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Um den Thron seines entmachteten Vaters wiederzugewinnen, gibt es für Prinz Iason, aufgewachsen in der Verbannung bei den weisen Kentauren, nur einen einzigen Weg. Er muss das sagenumwobene Goldene Vlies ins Königreich Iolkos zurückholen. Allein mit dieser Heldentat kann er die Götter versöhnen, die aus Zorn auf den Tyrannen Pelias das ganze Land mit Armut gestraft haben. Und nur, wenn er das Abenteuer um das Goldene Vlies besteht, kann er seine Eltern aus Pelias' Gefangenschaft befreien. Der junge Prinz versammelt die tapfersten Streiter um sich, damit sie ihn an Bord des Schiffes Argos ins unbekannte Land Kolchis begleiten. Bis dorthin aber müssen die fünfzig Argonauten unter Jasons Führung Grenzen in Welten überschreiten, die kein Sterblicher vor ihnen zu betreten gewagt hatte. Sie durchfahren Meere und erreichen Länder, von denen bis dahin nur die Sänger erzählten. Es ist eine Epoche des Umbruchs, in der die alten Götter den neuen Gottheiten weichen müssen und fremde Völker, gerüstet mit härteren Schwertern, die Herrschaft der alten Könige bedrohen ... - Hanns Kneifel nimmt die Geschichte der klassischen Sage und erschafft daraus detailreich und spannend einen historischen Roman um eine der ersten großen Segelfahrten der Menschheit.
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Seitenzahl: 1183
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DIE
SPUR DES
WIDDERS
© Copyright Erben Hanns Kneifel
© Copyright 2016 der eBook-Ausgabe bei Verlag Peter Hopf, Petershagen
www.verlag-peter-hopf.de
Cover & Grafik: © Copyright Vasiliy Voropaev - Fotolia.com
ISBN ePub 978-3-86305-225-6
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Alle Rechte vorbehalten
Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv.
Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.
Um den Thron seines entmachteten Vaters wiederzugewinnen, gibt es für Prinz Iason, aufgewachsen in der Verbannung bei den weisen Kentauren, nur einen einzigen Weg. Er muss das sagenumwobene Goldene Vlies ins Königreich Iolkos zurückholen.
Allein mit dieser Heldentat kann er die Götter versöhnen, die aus Zorn auf den Tyrannen Pelias das ganze Land mit Armut gestraft haben. Und nur, wenn er das Abenteuer um das Goldene Vlies besteht, kann er seine Eltern aus Pelias' Gefangenschaft befreien. Der junge Prinz versammelt die tapfersten Streiter um sich, damit sie ihn an Bord des Schiffes Argos ins unbekannte Land Kolchis begleiten.
Das Buch
Der Autor
PROLOG: WINTERDONNER
ERSTES BUCH: DIE ARGONAUTEN
1. Die Grotte der Kentauren
2. Iason in Pagasai
3. Das Schiff der Pallas Athena
4. Das Schiff und die Ruderer – Argo
5. Cheiron, Orpheus und die Delphine
6. Nach Lemnos, in den Sommer
7. Der Schwarze Altar
8. Nachtsturm am Hellespontos
9. Der Tod und die Halkyone
10. Sturm und Speere
11. Rheas Weinstock, der Iasonsquell und die Nymphen des Hylas
12. Der Pfad zum Tartaros
13. Die Harpyien
14. Die Symplegaden
15. Der Tod des Steuermannes
16. Die Insel des Ares
17. Kolchis: Aia am Fluss Phasis
ZWEITES BUCH: IASON UND MEDEIA
1. Der eiserne Palast
2. Stiere und Schlangenzähne
3. Der Hain des Ares
4. Kaikias, Wind der Götter
5. Die Ufer der Flucht
6. Das Geheimnis der Symplegaden
7. Medeia, Iason und Apsyrtos
8. König Laomedons Schiffe
9. Die Grotte der Makris
10. Die Ebene der Alpträume
11. Seirenen, Butes und Talos
12. Das Ende in Pagasai
DRITTES BUCH: DER THRON VON KORINTH
1. Der zehnte Frühling
2. Glauke oder Der lautlose Eulenflug
3. Der große, lange Sommer
4. Verrat und Verräter
Der Himmel hing grau und tief an diesem Mittag. Auf dem breiten Pfad mahlten die Felgen einiger Wagen, die von der Stadt kamen. Es war eisig kalt: Der Atem aus Nüstern und Mäulern der Pferde und Maultiere dampfte weiß, die Wölkchen vor den Gesichtern gefroren an den Pelzrändern der Kapuzen. Es herrschte nahezu Windstille, nur hin und wieder kam eine Brise aus Nord oder Ost bis zum Waldrand; einmal führte sie den Geruch des Meerwassers mit sich, dann wieder den des Phasisflusses. Als das Rad des dritten Wagens über die Steine sprang, stieß der Geschundene, der darin auf einer blutigen Ochsenhaut lag, ein röchelndes Wimmern aus. Sein Kopf und der dreimal gebrochene Arm schlugen an den Wagenkasten.
In einem weiten Dreiviertelkreis, wie eine Mondsichel, stand der Wald aus Schwarztannen, Eichen und, unten am Fluss, kahlen Weiden. Krächzende Rabenvögel flatterten auf, als der Zug in den Wald einfuhr.
»Der Schwarze Gott«, knurrte der König und ruckte an den Zügeln, »muss das Opfer annehmen. Er wird uns Zeichen geben, gute Vorzeichen!«
Niemand antwortete. Die graue Helligkeit schwand, als der erste Wagen mit dem goldenen Widdergehörn an der Standartenstange zwischen den schwarzbemoosten Stämmen verschwand. Der Waldboden, auf dem Schneereste lagen, schluckte alle Geräusche. Der Pfad wand sich nach der Gabelung zum Phasis geradeaus zur Quelle; das Gespann fuhr auf den Nebel zu, der durch die reglosen Stämme kroch. In unterschiedlicher Höhe hingen Widderköpfe mit weißem Gehörn und goldenen Augäpfeln von den Ästen; auch sie bewegten sich kaum. Es waren Tausende, deren Augen aus Baumkronen, aus blattlosen Büschen heraus und von geschälten Pfählen herunter auf die Herankommenden glotzten; nachts verwandelten sich die schneeweißen Knochenschädel in das drohende Abbild eines vieläugigen Ungeheuers.
»Da, Vater!« Der junge Mann an der Seite des Königs streckte den Arm aus. »Die heiße Quelle. Sie schüttet noch immer.«
»Sie ist noch nie versiegt, seit dein Großvater den Thron bestiegen hat.«
Reglosigkeit, schwarze, herzbeklemmende Stille bis auf das fahle Rauschen in den Wipfeln: Die Rabenvögel schwiegen. Es wurde dunkler; im Osten erhob sich eine Wolke über das Meer. Dann klirrten leise die Eisenwaffen der Krieger. Die Ohren der Zugtiere spielten aufgeregt, die Schweife peitschten durch die Luft. Mächtige Äste schlossen sich über dem Pfad, die Bäume berührten einander und bildeten einen dunklen Gang, der sich wand wie eine träge Schlange und auf eine karge Lichtung führte. Hier standen zwei mächtige Eichen und uralte Tannen, deren Zweige den Opferaltar, die Steinsäulen, das Bohlendach und die Bretterwand überschatteten. Die Tiere blieben stehen und bissen auf die Trensen; pfeifende Hiebe mit der Peitsche trieben sie weiter, bis der erste Wagen inmitten einer hüfthohen Schicht aus Dampf und Nebel stehenblieb. Schwarze Schlangen, länger als sechs Ellen, hoben die Köpfe. Die Tiere des Kriegsgottes ringelten sich am Rand des Quelltümpels; alle anderen Nattern waren im Winterschlaf erstarrt. Der König und sein Sohn stiegen vom ersten Wagen und halfen den jungen Frauen herunter; die Schwarzhaarige trug die salben triefende Stirnbinde der Priesterin. Nebeneinander, schweigend, gingen sie zum Altar.
Das goldene Fell, wie ein großer, ausgefranster Mantel, hing unter dem Schädel, der so mächtig war wie der eines Stierkalbes. Das vergoldete Doppelgehörn ringelte sich über dem Holz und lief in schwarze Spitzen aus. Auf dem rechten Horn saß ein schwarzer Vogel, der davonflatterte, als die Gespanne näherknarrten. Stumpf glommen die Goldnägel, die das Fell auf dem Holz spreizten. Die Augen waren aus drei verschiedenen Metallen gefertigt, riesengroß und stierten jeden Ankömmling an, als lebe der große Widder. Der grauhaarige Mann mit dem goldenen Stirnreif blickte hinauf und verneigte sich tief.
»Alles ist bereit.« Der König wies auf trockenes Moos, Holzsplitter, dürres Rohr und schenkeldicke Kloben, die um den Altarsockel aufgeschichtet waren. »Bringt den fremden Späher!«
Bewaffnete sprangen von den Wagen. Fünf Gespanne hielten im Viertelkreis vor dem schwarzen Steinblock. Die Palastkrieger bildeten einen Halbkreis. Opferknechte hoben die blutige, hartgefrorene Ochsenhaut und schleppten sie näher. Der Mann, der vom Hals abwärts bis zum Gemächt gehäutet war, an Brust und Bauch ebenso wie auf dem Rücken, ächzte leise; die Laute aus seiner Kehle hatten nichts Menschliches. Sein Gesicht war fast unversehrt; es zeigte den Ausdruck von Leid und Schmerzen, die das Vorstellbare überstiegen.
Die junge Schwarzhaarige streifte die Kapuze ab und sah zu, wie der Körper auf den Opferstein gelegt wurde. Der Ausdruck ihres schmalen Gesichts war undeutbar. Einige Atemzüge lang schloss sie die Augen, dann hob sie eine reichverzierte Truhe aus dem Wagen. An der Glut, die in einem durchlöcherten Tonkrug mitgeführt worden war, entzündete ein Diener einen Span, an diesem eine öltropfende Fackel, und mit der Fackelflamme brannte er die Späne an der linken unteren Ecke des Steinblocks an. Der Körper, der auf dem kalten Stein zitterte, gab misstönende Laute von sich; ein Arm fiel schlenkernd herab. Gestocktes Blut tropfte von den Fingerspitzen. Wieder schrien die Raben. Von fern ertönte ein dumpfes Poltern, als bräche ein Berggipfel auseinander. Der König sagte:
»Priesterin. Bring ihn dazu, dass er hört, was ich sage – und dass er spricht.«
Die Schwarzhaarige träufelte rote, gelbe und giftig grüne Flüssigkeit in eine goldene Schale, goss etwas klares Wasser nach und verrührte das Gemisch mit einem Elfenbeinstäbchen. Sie ging, vom Nebel bis zu den Schenkeln eingehüllt, zum Altar, wich dem Rauch und den züngelnden Flammen aus und ließ vom Rand der Schale Tropfen um Tropfen ins Gesicht des Opfers fallen. Der Geschundene schrie, drehte den Kopf weg und machte abwehrende Bewegungen mit den Händen, deren Haut verrußt war. Der König stellte sich vor den Kopf des Opfers. »Hörst du mich, Fremder?«
Zwischen den verschorften Lippen drang ein Laut hervor, der »Ja« bedeuten konnte.
»Siehst du mich, Fremder? Siehst du schon den Eingang zur Unterwelt?«
»Ja. Sei verflucht, König.«
Vor drei Monden hatten umherstreifende Krieger den Fremden am Flussufer aufgegriffen. Er wehrte sich nicht und sagte, er sei ein heimatloser Wanderer, der Arbeit und vielleicht ein Stück Land suche; der König und sein Sohn glaubten ihm kein Wort und waren sicher, einen Späher ergriffen zu haben – er redete sogar in der Sprache der Kolcher. Sie begannen ihn zu foltern, aber er hatte bis zur letzten Nacht nichts anderes gesagt, geröchelt, gelallt oder gestöhnt.
Der König hob die Hand; gleichzeitig kam aus dem Wald ein seltsames Geräusch, und das Donnern aus der Ferne wurde lauter. »Hörst du, Fremder? Bald wird dein Schatten umherstreifen. Sag allen, die du in der Unterwelt triffst ...«
»Mach ein Ende, du Abschaum.« Plötzlich wurden die Worte des Sterbenden deutlicher. »Du bringst einen Unschuldigen um.«
Seine Schienbeine, die Knochen der Arme und etliche Rippen waren gebrochen worden; die übriggebliebene Haut zeigte tiefe, kohlenartig erhärtete Brandmale. Zwischen gesplitterten Zähnen und zerschnittenen Lippen, die wieder zu bluten begonnen hatten, sagte er unter der Wirkung der zauberischen Tropfen:
»Einen Unschuldigen, König. Irgendwann wird ein anderer kommen, ein Mächtiger mit geschliffenen Schwertern, der dir mehr Leid antun wird ... als deine Schinderknechte sich vorstellen. Warte. Der Tag wird kommen ...«
»Dein Schatten wird auch am Tag wandeln, Namenloser.« Der König winkte nach hinten. Die Bewaffneten traten einige Schritte vor und verengten den Halbkreis, die Flammen erfassten die dünnen Äste, der Rauch wurde schwarz. »Dies sage ich zu dir: Jeder Mann, der sich unserem Heiligtum nähert, stirbt so wie du.«
»Nicht einmal ich möchte so sterben wie du dereinst, König. Und nicht das Leid ertragen, das dich trifft. Und nicht die vielfache Verfluchung durch deine Götter. Mach ein Ende, Kreatur des Chaos.«
»Dein Ende, Fremder.«
»Darum bitte ich. Falls du ein Herz hast ...«
Der König winkte der jungen Frau. Im Flackerlicht der hochlodernden Flammen sah man die breite rote Strähne in ihrem schulterlangen Haar; sie schien aufzuglühen wie schieres Orichalkos. Die Schwarzhaarige öffnete ein Krüglein, kleiner als eine Handspanne, und träufelte sieben Tropfen ins Gesicht des rauchumhüllten Sterbenden. Eine seltsame Bewegung ging durch den Körper; er streckte sich, als sei er in einem warmen, duftenden Bad. Seine Stimme wurde zu einem undeutlichen Murmeln:
»Dank, schöne Zauberin.« Er versuchte sie anzusehen, blinzelte, zwang seinen Blick in ihre grünen Augen, holte röchelnd Luft und sprach leise weiter: »Ich wollte ... wirklich nur Arbeit ... vielleicht ein Stück Erde ... eine Frau, bei euch bleiben ... nun denn – Friede mit mir. Verflucht seid ihr alle ... wartet: Das Schicksal ist hart ... böse ... aber gerecht. O ihr Götter. Es tut gar ni...«
Er starb mit hektischem Zittern. Der knatternde Blitz und der Donner übertönten seine letzten Worte. Die Priesterin schloss die Truhe und trug sie zurück. Ihre langen Beine waren über den weißen Fellen mit gekreuzten Lederriemen umwickelt; sie ging, als sei sie die Königin. Die Opferknechte schoben mit den eisernen Lanzenspitzen das Holz von allen Seiten am Altarsockel zusammen. Die Flammen glitten senkrecht an den Steinflächen hinauf, trafen sich über dem Körper des Toten und wuchsen; wieder erschütterten Donnerschläge die Luft und den Boden. Der Widerschein der Blitze über dem Meer flackerte zwischen den schwarzen Stämmen, das Rabengeschrei ging im Krachen unter.
Der König hob beide Arme. Finger und Handgelenke waren von goldenen Ringen und Reifen übersät. Er schrie: »So endet jeder, der unser Heiligtum stehlen will, das Zeichen von Recht, Macht und Wohlstand. Gießt Öl in die Flammen. Betet! Spürt die Gegenwart des Dunklen Gottes. Hört den Donner!«
Er hob den Kopf und erstarrte in der Bewegung. Schmorende Fetttropfen sickerten über die Flanken des Altars und zischten auf qualmend. Das Gehörn, der weiße Schädel und das große Fell des Widders glänzten und blitzten im Widerschein der Flammen, ebenso wie die handtellergroßen Goldnägel, mit denen das Vlies an die altersgrauen Bretter geheftet war. Der Nebel der heißen Quelle, der Rauch und die vielfältigen Missgerüche vermischten sich zu betäubenden Wolken; wieder mussten die Bewaffneten die Maultiere und Pferde bändigen. Der nächste Blitz, der unweit des Heiligtums einschlug, spaltete einen Tannenstamm und fuhr in die Erde, die zu zittern schien. Ein Mann schrie und fiel, mit den Armen wild rudernd, zu Boden. Der hallende Donner machte alle Versammelten taub, ließ die Zugtiere scheuen: Ein harter, eisiger Wind fuhr, riesige Schneeflocken mit sich schleppend, durch das Gatter der Stämme.
»Zurück zum Palast!« Der König brüllte, deutete auf die Gespanne und sah zu, wie die Flammen den Körper aufzuzehren begannen. »Ihr hört es! Wir sehen es! Der Gott hat das Opfer angenommen!«
Der ausgestreckte Leichnam zuckte, bäumte sich auf, bewegte sich, als wolle er vom Altar gleiten; die Widderschädel, die Knochenköpfe goldäugiger Bären, Wölfe, Füchse und Wildschweine im Geäst hoben und senkten sich, pendelten hin und her, drehten sich und schienen die Schlangen beißen zu wollen, die im Nebeldampf umherkrochen und zischten. Das Schneegestöber wurde dichter, der Sturm vom Meer heulte und gurgelte zwischen den Ästen und Kronen, und unablässig prallte das Krachen des Donners auf die Opfernden, die in die Wagen stiegen. Die Gespanne wendeten im weißen Wirbel. Der König, Zügel und Peitsche in den Händen, drehte sich halb herum und richtete seinen Blick auf das Widderfell, dessen goldene Locken sich im Blitzschein verkehrt herum zu kräuseln schienen; er peitschte die Pferde und hetzte sie über den Pfad. Die ehernen Felgen schnitten eine zweite Spur in den nadelbedeckten und laubübersäten Boden.
Fast eine Stunde lang dauerte die Fahrt vom Heiligtum zum Palast. Die Tiere dampften und zitterten erschöpft, als sie die Wagen nach rechts und links zogen, zum Palast und zum Haus der Frauen. Zwischen den langen, spiraligen Wirbeln der Flocken tauchten Teile der Landschaft auf; grau, nass und trostlos: windgepeitschte Bäume und das fahle Widerlicht der vielverzweigten Blitze.
Der Schwarze Gott zeigte, dass er das Opfer angenommen hatte. Nur das Gesicht der jungen Schwarzhaarigen mit der roten Strähne trug einen nachdenklichen Ausdruck, als sie mit der kleinen Truhe in den Schutz des Vordaches floh.
Orpheus hatte noch nicht geschlafen; er hörte die leisen Echos der Huftritte. Durch den kühlen weißen Sand der Grotte näherte sich Beldana mit behutsamen Schritten; jetzt bewegte sich ihr Schatten an der Wand und der Decke der Grotte. Die Nacht war erfüllt von Grillengezirp und dem leisen Plätschern der Wellen. Langsam drehte sich Orpheus herum und sah Beldanas zierlichen Körper im Schein des Öllichts.
»Es ist späte Ebbe«, sagte er leise. »Die Zeit der Nacht, in der niemand träumen kann.«
»Bis auf Cheiron. Er schläft jetzt. Ob er träumt – wer weiß?«
Orpheus stand von seinem Lager aus frischem Heu, Schaffellen und einem Laken auf. Ein Windstoß vom Meer kam durch den Eingang, ließ das Flämmchen zucken und taumeln und warf auch seinen Schatten an den Fels, der aus kreidigem Gestein und Nischen bestand, von Wellen und Brandung der Vergangenheit glattgewaschen.
»Ob er träumt, was Iason unruhig gemacht und fortgetrieben hat?« Orpheus, der beste Sänger des Landes zur Kithara, war, wenn er stand, wenige Fingerbreit kleiner als die Kentaurin. Sie kreuzte die Arme vor der Brust und hob die Schultern. »Nach fast zwanzig Jahren, in denen er von Cheiron gelernt hat?«
»Weißt du's?«
»Ich weiß es. Aber vielleicht glaube ich es auch nur zu wissen.« Orpheus hob eine Leier vom Astende; an dem entrindeten Baum, der im Höhlensand zu wurzeln schien, hingen sein Mantel, die runde Filzmütze und das Schwertgehänge neben dem Schild. Beldana und er gingen zwei Dutzend Schritte aus der Höhlenmündung hinaus, damit ihre Stimmen und deren Widerklang den weißhaarigen Kentauren nicht weckten. Orpheus spürte kalten, nassen Sand zwischen den Zehen.
»Haben es dir wieder die Tümmler erzählt?«
»Die Delphinoi spielen und jagen jetzt nicht in unserer Bucht, nicht vor Magnesias Küste.« Orpheus schüttelte den Kopf und lachte. Seine Fingerkuppen streiften die Saiten; ein leiser Akkord aus sieben Tönen und einem weichen Brummen verhallte. »Vielleicht hab' ich es in den Sternen gesehen? Nein, Beldana: Es ist eine alte Geschichte, fast schon eine Legende, in jedem Fall ein Märchen, aus Wahrheit, Erfindung und Phantasie gewoben wie ein kretischer Teppich. Keine erbauliche Erzählung, Schönste.«
»Ich kenne sie nicht.« Beldana teilte ihr nachtschwarzes Haar mit beiden Händen und schob es über die Schultern. Orpheus betrachtete ihre prallen, großen Brüste und beneidete den Schlafenden. »Auch ich finde keinen Traum, der mir in den Schlaf hilft – erzähl's mir, Orpheus.«
»Alle Geschehnisse sind voll von Zeus, Beldana. Ich weiß nicht, warum Gott Hermes einst der Königin Nephele jenen Widder geschenkt hat, aber ... ich erzähl' besser vom Anfang an. Höre: Ein Enkel des Minyas und Sohn von König Athamas, der schöne junge Prinz Phrixos, musste viel Arges von seiner Stiefmutter erdulden. Nun ja – Stiefmütter und Schwiegermütter; vergeblich sucht man bei ihnen Klugheit und Schönheit. Überdies verliebte sich Biadike, die Frau des Oheims, in Phrixos. Er verschmähte ihre leidenschaftlichen Angebote, und also klagte sie ihn an, er habe sie vergewaltigt.« Orpheus lachte. Wieder schien es, als fange sich der Nachtwind in den Saiten und wirble deren Klang über den Strand. »Schließlich sollte er, weil man Biadike mehr glaubte als ihm, deswegen zu Orchomenos geopfert werden; eine Stadt im Nordosten Arkadiens, nahe Boiotien. Der junge Herakles verhinderte das Opfer. Dies war zu der Zeit, als das erste Bronzene Geschlecht die Erde beherrschte. Phrixos' leibliche Mutter Nephele und seine Schwester Helle retteten ihn von der Opferstelle, und Nephele setzte die Geschwister auf den Rücken des geflügelten Widders. Sie hielten sich am geschwungenen Gehörn fest; das Tier des Hermes flog mit ihnen davon, mit Zephyros im Rücken.«
»Bronzenes Geschlecht?« Beldana hob die Hände. »Gab es – oder gibt es – Menschen aus Bronze?«
»Hat dir Cheiron nichts erzählt über die fünf Zeitalter der Sterblichen?« Orpheus bemühte sich, auf ihre Frage zur Geschichte der Welt in wenigen Worten zu antworten; er erwähnte die Goldene Rasse, die von Prometheus erschaffen oder aus dem Boden Attikas gewachsen war und sich von Eicheln und Wildfrüchten, Honig, Schafs- und Ziegenmilch ernährte; die Silbernen – die nur Brot aßen – und die Bronzenen Geschlechter, die einander folgten, Brot und Fleisch aßen, den Kampf liebten und die der Schwarze Tod hinwegraffte. »Sie wurden vom nächsten Geschlecht der Bronzenen abgelöst, zu dem Thalos Karpathos von Kreta zählte. Nun begann die eherne Rasse die Welt zu bevölkern; so war es seit Ende des Chaos und dem Beginn der Herrschaft des Göttervaters Zeus.«
Der Eingang der Grotte verbarg sich halb zwischen dem Geäst alter Bäume, der Hang fiel zum Wasser hin ab, und der sichelförmige Strand der Bucht lag ebbetrocken. Die Luft roch nach Wacholder und der ersten Myrthenblüte. Im Mondlicht bildeten die Fußspur des Sängers und die scharfen Hufeindrücke der schneeweißen Kentaurin eine seltsame Doppelreihe.
Beldana wiederholte die Frage. »Flog durch die Luft und – wohin?« Sie versuchte, ihr Haar zusammenzuraffen.
Orpheus sprach weiter. »Nach Sonnenaufgang. Dem Mädchen schwindelte nach einiger Zeit; es war ein zu langer, zu weiter Flug. Helle verlor den Halt, fiel aus den Wolken wie einst Ikarus und starb im Meer, in der Meerenge, die von ihr den Namen erhielt, im Hellespontos. Aber Phrixos erreichte das Ziel des Widders, das Land Kolchis. Ein König nahm ihn gastfreundlich auf. Aber – war es das Ziel? Oder war das Tier nur erschöpft und wollte ausruhen? Man erzählt, das Fell des Widders sei golden gewesen, funkelnd und weich.«
Beldana hielt an und blickte in Orpheus' Gesicht. »Ich kenne dich gut genug, thrakischer Dichter: Das ist nur ein Teil der Erzählung. «
»Die Wurzel des Baumes jener Geschichte.« Seine Fingerspitzen berührten, flatternd wie ein winziger Vogel, die Saiten; wieder zitterte eine verhallende Folge leichter Töne über den Strand. Beldana legte lächelnd die Hand an ihr Ohr. Ein Strahl Mondlicht fing sich im Goldschmuck des Handgelenks. Orpheus sagte:
»Später nahm Phrixos die schöne Chalkiope, eine Tochter des Kolcherkönigs Aietes, zur Frau. Er opferte den lebensrettenden Widder, nachdem dieser unzählige kolchische Schafe besprungen hatte, dem Göttervater, denn Zeus hielt seine Hände einst über die Flüchtenden. Das Vlies schenkte Phrixos dem König Aietes, also seinem Schwiegervater; dieser weihte es dem Ares, dem Kriegsgott auch der Kolcher, und nun hängt das sorgfältig gegerbte Fell im dunklen Hain des Ares, mit goldenen Nägeln befestigt. Phrixos ist längst gestorben.«
»Und deswegen verließ uns Iason vor zwei Monden?«
»Ach.« Orpheus seufzte. »In vielen Teilen der Welt hörte man vom Goldenen Vlies. Es ist ein großer Schatz, und jeder Held im ganzen Land träumt von der Herausforderung, das Fell zu erbeuten und durch Abenteuer in der Fremde seinen Namen unsterblich zu machen. Auch Iason weiß davon, so wie ich und andere. Aber uns sagte er, warum er wirklich ging.«
»Um sein Königreich drüben in Thessalien von Pelias einzufordern.«
»So ist es. Überdies weiß niemand genau, wo Kolchis liegt; jenseits von Ilion jedenfalls, weit im Osten, an den Küsten des geronnenen Meeres. Der Widder ist, wie der minoische Stier oder die Rosse des Sonnenwagens, ein Symbol. Die Kunde von einem schier unerreichbaren Ziel, eine Legende, die Menschen ungeduldig und gierig macht. So wie besseres Erz die Bronze ersetzt, so wie die Söhne dem Vater folgen, zieht das Goldene Vlies die Wünsche, Gedanken und Begehrlichkeiten an.«
Sie hatten das Ende des Strandes erreicht. Mondlicht lag als breite, unruhige Gasse auf den Wellen und auf dem weißen Fell der Kentaurin. Das Meer hob sich der Morgendämmerung entgegen; die Flut kam. Orpheus legte die rechte Hand auf Beldanas Rücken. Sie erschauerte und bewegte den Schweif. Orpheus sagte:
»Nun kommen die Träume zur Legende: Selbst Delphine oder Tümmler wissen, dass der Mensch sich rüstet, mit List oder Waffen, oder mit beidem, und mit Gewalt, die Träume zu zerstören. Das ist es, was ich befürchte: Ein Held zieht aus, um das Widderfell zu stehlen, und dies wird das Ende einer märchenhaften Wahrheit werden.«
Beldana nickte und spielte mit der Goldkette, die über dem Ansatz ihrer Hüften lag, dort, wo ihr Körper in den der Stute überging. Ihr silbergrauer Schweif fegte Sandkörnchen auf, als sie sich halb aufbäumte. »Du meinst, Iason hat damit etwas zu tun?«
»Ich weiß es noch nicht.« Orpheus riss drei harte Akkorde. »Aber ich kenne wie kaum ein zweiter die Mythen und Legenden, die Erzählungen und Hinzufügungen zu Märchen, ich weiß, wo sie mit dem Schicksal von uns Menschen verknüpft sind.«
»Auch mit denen des zweiten Bronzenen Geschlechts, die sagen, sie seien Kinder von Göttern oder Göttinnen und Sterblichen?«
Sie hatten die halbe Höhe des ansteigenden Strandes erreicht. Ein Stern im Bild des Himmelsjägers Orion blinkte, ein Sternsplitter riss eine nadelfeine Lichtlinie in die warme Nacht.
»Auch mit denen«, sagte Orpheus. »Es ist das Schicksal der Menschen, aus Blüten Flüche und aus Liedern Schmerzensschreie zu machen. Was in Schönheit und unschuldiger Freude begann, endet in Chaos, Blut und Tränen.«
Schweigend legten sie die wenigen Schritte zum Grotteneingang zurück. Beldana berührte Orpheus am Arm und trabte leise in den Hintergrund der riesigen Höhle, vorbei an den ledernen Trennwänden. Orpheus setzte sich, die Kithara im Arm, und lehnte sich an die Höhlenwand. Das Flämmchen im summenden Fett flackerte, als Beldana mit dem Wein zurückkam und sich in den Sand lagerte. Orpheus strich einige Akkorde, holte Luft und begann leise zu singen.
Die Geschichte von Pelias und Neleus beginnt mit einem göttlichen Betrug – die schöne Tyro mit dem hüftlangen Haar geht auch heute den schmalen Pfad am Ufer des Enipeusflusses entlang und setzt sich auf große, rundgeschliffene Kiesel, deren Äderung aussieht, als wären sie Marmor. Sie hat den Mann mit dem goldenen Haar aus dem Fluss auftauchen sehen, vor wenigen Tagen, hat ihn für den Gott des Flusses gehalten und sich in ihn verliebt. Sie seufzt; über ihr Leben hat sich ein Schatten gelegt, seit sie – aus Unachtsamkeit, denn sie hätte sie nicht nahe des Abgrundes spielen lassen dürfen – ihre beiden Söhne getötet oder zugelassen hat, dass sie abstürzten und ihre Körper zerschmetterten. Sie stellt die Füße ins sprudelnde Wasser, sieht einer Bachstelze zu und hebt mit den Schalen ihrer Hände die Brüste an; der Flussgott soll sie sehen und begehren, denn Oheim Sisyphos, Vater der Kinder, hat sich den Sklavinnen aus dem Land der Aigyptioi zugewandt. Sie streichelt, als sie den Nebel über den Wellen sieht und das laute Plätschern hört, die Spitzen der Brüste, damit sie sich aufrichten; ihr Schoß wird heiß, als sie das Wispern des Gottes hört, aus dem Dunkel zwischen den Pinienstämmen oder dem Uferschilf. Die Stimme, sie kann nur dem Flussgott gehören, denn sie ist wie Honig, wie warmes Öl und wie schwarzer Wein von den Berghängen, diese Stimme sagt zu ihr:
»Komm morgen zu meinem Zusammenfluss mit dem Bach Alpheios. Bring Wein der Sterblichen mit, schönste Tyro.« Ihre Finger pressen die Brüste, und sie spürt den süßen Schmerz nicht. »Vergiss, was Schwiegermutter Sidero dir angetan hat. Komm zur Stunde des Pan; ich werde mich in dich verströmen wie nie ein Halbgott zuvor.«
Der Nebel vergeht, das Schilf knackt und raschelt; ein Reiher klagt jenseits des Röhrichts. Tyro geht zum Palast zurück und unterdrückt ihre Angst vor Sisyphos, und Sidero vergisst sie beinahe, denn sie ist sich der Liebe des Gottes sicher; und seiner Begierde, die so ist wie ihre Sehnsucht.
Sie setzt sich in der Stunde des hohen Mittags auf die Moospolster, am nächsten Tag, senkt den zweihenkligen Krug ins kühlende Wasser und putzt die Trinkschalen mit dem Saum des Chitonhemdes, beim langsamen Strudel der Wasser, die sich über der seeartigen Buchtung drehen. Es erscheint auch an diesem Mittag, als das Summen der Fliegen leiser geworden ist, Dunst über den Wellen, und als der schwirrend ruckhafte Flug der Libelle endet, kommt aus dem Strudel der junge, goldhaarige Enipeus und streift das Wasser aus dem Haar. »Füll die Schalen, Allerschönste.« Seine Stimme ist wie Taubengurren. »Für uns. Ich zeige dir, wie wir Götter die Sterblichen lieben.«
Er hält seine rechte Hand einen langen Augenblick über die Öffnung des Kruges, dann kommt er nackt, mit kräftigen Gliedern, von denen Tropfen rinnen, aus dem Fluss. Sie trinken, und über den Rändern der Tonschalen treffen sich ihre Blicke wie kaltes Feuer. Als sie die Wärme des ungemischten Weines im Körper spürt, zwischen den Brüsten bis zur Scham, merkt sie, dass zauberischer Halbschlaf sie zu ergreifen beginnt. Sie wartet auf Worte, denen sie gehorchen darf – ihr freier Wille fliegt davon wie die Bachstelze. Vor ihren Augen, noch während sie trinken, wird der Jüngling zu einem grünhaarigen Mann, mit gefurchten Gesichtszügen und nassen, schmutzigen Fingern. Tyro lässt die fast leere Schale fallen, als eine Hand nach ihrem Haar greift und sich die duftenden Strähnen um die Finger wickelt; vor ihren Augen verwandelt sich der Flussgott in einen anderen Olympier: in die Gestalt des meeresherrschenden Poseidon. Als die andere Hand ihr das Kleid vom Leib reißt, weint sie, das Glied Poseidons richtet sich auf, er packt ihre Brüste, dringt keuchend in sie ein. Zwischen seinen Lippen kommt kalter Geruch nach salzigen, toten Fischen hervor; sie wehrt sich nicht.
»Bis zum Sonnenuntergang, Braunhaarige«, stößt er hervor, als er sie nimmt, »wirst du die Leidenschaft des Olympiers spüren.«
Sie erinnert sich an alles, was in diesen neun Stunden geschieht: auf dem Rücken, die Schenkel um Poseidons Schultern gepresst, auf den Knien, den Kopf im Moos, zwischen den Unterarmen, ihr Körper über einen modernden Baumstamm geworfen und von hinten genommen, mit dem Geschmack von Wein, Salzwasser, Mooshärchen und Fisch auf den Lippen, in erschöpfter, erschöpfender Raserei, ohne Zärtlichkeit in nie gekannter Leidenschaft, die Arme um einen Birkenstamm geschlungen; zitternd, stöhnend und wimmernd, auf den Knien, bis zur Erlösung der Dämmerung.
Poseidon versinkt im dunklen Strudel, der Nebel verschwindet; zwischen den Scherben der Schalen und dem leeren Krug liegt ihr zerrissenes Gewand. Als sich Tyro durch die beginnende Nacht ihren Weg sucht und ihr Körper zu schmerzen beginnt, sind ihre Gedanken klarer: Sie ahnt, dass ein roher Gott sie vergewaltigt und geschwängert hat, Poseidon, dem ihr Schicksal gleichgültig ist, der den Flussgott Enipeus übertölpelt hat. Sie erinnert sich an schäumende Wellen, an lange Stunden schmerzhaft schändender Lust, und sie weint still in ihrer Kammer bis zum Morgengrauen.
Sie gebiert, stets in der Angst vor Sidero, Zwillinge; schon als das Bronzemesser die Nabelschnüre durchtrennt, ist ihr bewusst, dass sie die Kinder Pelias und Neleus weggeben oder aussetzen muss. Und so wurde Gott Poseidon zum Vater von Iasons Geschlecht.
Orpheus legte den Unterarm schützend über die Augen und wandte den Kopf vom Licht weg; er sann über seinen letzten Gesang nach. Im Morgengrauen hatten ihn die Geräusche der hitzigen Paarung geweckt, Cheirons Murmeln und das heisere Keuchen Beldanas; jetzt, während sie im Meerwasser oder an der Quelle plätscherten, dachte er an das Goldene Vlies im unentdeckten Kolchis und an die Menschen, die dort wohnen mochten.
Im Ghemel, dem kältesten Mond des Jahres, hatte Iason – Diomedes den klugen Kentauren verlassen, der ihn, wie viele Prinzen und spätere Helden, aufgezogen und erzogen hatte; Cheiron hatte gesagt, er wisse nichts mehr, was er den Vierundzwanzigjährigen noch lehren könne. Iasons Ziel war Iolkos, das kleine Königreich seines Großvaters und Vaters unterhalb der westlichen Flanke des Berges Pelion, in dessen östlichem Vorgebirge sich auch die Grotte der Kentauren verbarg.
Mittlerweile rundete sich der Mond, und Elafeb, die Zeit der achtundzwanzig Aussaattage, ging zu Ende – auch er, Orpheus, musste zurück nach Thrakien. Der Teil der Welt, in den sich die Kentauren zurückgezogen hatten, lag abseits aller Pfade und Wege, fern aller Nachrichten. Er gähnte und stand auf, sah sich um und zuckte mit den Schultern.
»Die schönste Zeit geht zu Ende. Und Cheirons treffliche Gastfreundschaft soll auch ein thrakischer Sänger nicht über die Maßen ausnutzen.«
Cheiron hackte und sägte Treibholz für die Feuer. Er grüßte Orpheus mit dem Beil, das er über dem Kopf schwenkte. Beldana lag in der Vormittagssonne und bürstete ihr Haar trocken. Das Gestirn hatte einen gelben Hof, die Strahlen brannten ungewöhnlich grell und heiß. Die Schwalben jagten dicht über dem Gras und den winzigen Uferwellen. Orpheus zog die Schultern hoch.
»Ich hab' von oben ein Segel gesehen«, rief Cheiron und hieb die Schneide in einen salzverkrusteten Stamm. Er deutete auf den bewachsenen Hang. Die erste Blüte des Ginsters färbte die dreieckige Fläche. »Vielleicht kommt endlich der Fischer mit Wein und Nachrichten, und dann wirst du Weiterreisen können!«
»Vielleicht bringt er dir einen neuen Schüler.« Orpheus wusch sich ohne Hast, fühlte den wachsenden Bart und trocknete sich ab; als seine Blicke das sonnenüberflutete Meer absuchten, konnte er kein Segel sehen. »Reicht der Wein noch für unseren Braten?«
Cheiron nickte; er hatte mit seinem anscheinend unfehlbaren Pfeil – Orpheus hatte sehen können, dass er stets sein Ziel traf – einen jungen Bock geschossen, dessen Fleisch in saurer Ziegenmilch lag. In der dicken Sandschicht der Höhle steckten viele Krüge, die mit Salz, Wein, Öl und Honig gefüllt gewesen waren; andere waren schon leer, und Orpheus hatte geholfen, sie zu reinigen. Er kämmte sich, fasste das Haar im Nacken mit der Bronzespange zusammen und zeigte nach Sonnenuntergang.
»Der einsame Segler dort draußen sollte sich beeilen.« Über dem Meer und halb über dem nördlichen Teil der Insel Euboia wuchs eine Gewitterwolke. »Spürt ihr, wie die Sonne sticht? Ich möchte nicht auf See sein, wenn Euros oder Kaikias zuschlagen, die kalten Winde aus Sonnenaufgang.«
»Und unsere Krüge zerschlagen, mit Honig und Wein«, rief Beldana und streifte Sand von ihren Flanken. »Wirst du mit dem Fischer wegfahren, Orpheus? Schon so bald?«
Orpheus belud sich mit Holzkloben und blieb vor dem Höhleneingang stehen, blickte aufs Meer hinaus und blinzelte. Noch stärker blendete die Sonne, und außer einigen Möwen sah er nichts, auch kein Segel.
»Bald. Weißt du – ich kam vom Strom Neilos, den die Aigyptioi Hapi nennen, zu euch, um besseres Saitenspiel zu lernen und ein paar Legenden zu hören. Eine lange Reise. Mein Vater Oiagros wird voll Ungeduld sein, und meine schöne Mutter auch.«
»Grüße besonders Mutter Kalliope von uns«, sagte Cheiron und begann, das Holz im regengeschützten Winkel aufzuschichten. »Deinen königlichen Vater kenne ich nicht.«
»Ich grüße ihn, wenn irgendwann der unsichtbare Fischer ablegt und mich wohlbehalten an meiner Küste absetzt.«
Ein fernes Grollen kam übers Meer. Ein paar aufgeschreckte Vögel im Gebüsch zeterten. Cheiron und Orpheus wechselten einen kurzen Blick, Beldana hatte Bürsten, Ölkrüglein und Tücher in ein Bündel geschlungen und galoppierte vom Strand schräg den Hang hinauf.
Cheiron deutete auf die junge Kentaurin. »Ein herrliches, leidenschaftliches Geschöpf. Fast zu jung für einen Uralten wie mich – du verlässt uns auch, weil du es satt hast, mit deiner vielsaitigen Kithara nur Möwen, Bergziegen und Delphine zu unterhalten, nicht wahr?«
»Viel davon ist wahr.« Orpheus schlug mit der Faust freundschaftlich auf Cheirons harten Schultermuskel. »Vielleicht spiele ich wirklich einmal für die Frau in meinen Träumen. In Thrakien oder in einem anderen Land.«
»Am Hapistrom, im Land der Rômet, gab es keine, für die du gern gesungen hast?«
»Viele, Cheiron«, sagte Orpheus und schürzte die Lippen. Beldana galoppierte lachend zwischen ihnen hindurch. Ihre zierlichen Hufe schleuderten Sandfahnen hoch. »Sie waren schön, leidenschaftlich, einige spielten große Harfen – ähnlich klingend wie Apollons Leier – fast so gut, wie ich die Kithara spiele; von einigen Frauen träume ich, aber sie haben in meinem Herzen keine köstliche Wunde zurückgelassen.«
»Du träumst von Frauen? Bisher weiß ich, dass du von alten Sagen träumst und sie in schöne Lieder verwandelst.«
»Nur wenn ich nicht geweckt werde.« Er zögerte, lächelte und sah ins Halbdunkel der Grotte. »Im Morgengrauen. Von Liebenden. Nein, Cheiron, ich träume von allen Dingen, auch von Göttern und von meinem fernen Ende. Es wird furchtbar sein – aber: Ich bin Sänger, kein Seher.«
Der alte, sonnengebräunte Unsterbliche schüttelte den Kopf. Im Weiß seines kurzen Bartes glänzten Silberfäden. Er legte den Arm um Orpheus' Schultern und zog ihn an sich, dann schob er ihn zum Eingang der Grotte. »Du weißt es: Wir sind ein Geschlecht, o Mann süßer Klänge, dessen Zeit bald vergangen sein wird. Ich hab' vieles erfahren und gesehen und erlebt; man rühmt mich, Lehrer von Helden zu sein – lass mich dir sagen, dass dein erträumtes schrecklich Ende so fern ist wie ein Stern.«
»Und was in meinem Leben ist näher?«
»Das Gewitter.« Ein Windstoß wehte einen Sandschleier vom Spülsaum hangaufwärts. »Und – eine lange Fahrt im Boot.« Sie blieben schweigend nebeneinander stehen und blickten nach Sonnenuntergang. Die Winde kämpften gegeneinander, die Wolke war riesenhaft gewachsen, tiefschwarz an den Seiten, und über dem Meer, von Süden, giftig gelb wie Asphodelenblätter, griff sie nach der Sonne. Der Sturm wühlte die Wellen auf, und jetzt, als Cheiron darauf deutete, sah Orpheus das dreieckige Segel eines Bootes, das in weite Bogen, zwischen gischtbedeckten kurzen Wellen, mit schäumendem Wasser vor dem Bug, auf die Bucht zukam.
»Da! Wein, Öl und Honig.« Orpheus zuckte zusammen, als ein Blitz aufflammte und ins Meer schlug. »Und ein ängstlicher Fischer.«
Poseidon war gnädig: Im kreideweißen Flackerlicht der Blitze, im Heulen des Sturms und in langen, schrägen Schauern blaugrauen Sturzregens kämpfte sich das Boot zwischen den Felskaps der Bucht auf deren Mittelpunkt zu. Zwei Falken suchten im Sturzflug Schutz im Uferwald. Als sich der Bug auf den Sand schob, fiel das Segel; Cheiron und Orpheus halfen, das Boot höher hinaufzuziehen, und führten die beiden Fischer in die Grotte. Zwei Stunden oder länger tobte das Unwetter. Es war genug Zeit, um viele Fragen zu stellen und von dem jungen und dem alten Fischer alles zu erfahren, was sie und viele Achaijer wussten: Seltsame und aufregende Nachrichten gingen von Ort zu Ort, Boten wanderten hin und her, und vieles glich dem Inhalt der Geschichte, deren Worte Orpheus in der Nacht sang; das weitere Schicksal der schönen Tyro.
Und so kam Iasons Vater zur Welt: Tyro gebiert Zwillinge, Pelias und Neleus, der ihren Körper etliche Atemzüge später verlassen hat. Unverständnis und Ablehnung kennzeichnen das Verhalten fast aller Bewohner des Palastes ihr gegenüber; mit Hilfe mitleidiger Ammen und Mägde bringt sie die Kinder zu Hirten und Bauern. Die Stute, an deren Euter man Pelias gelegt hat, schlägt aus und zeichnet sein Gesicht mit einem scharfen Huftritt. Eine große Hündin wird zur Amme des Neleus. Tyro flieht und sucht die Nähe des Gründers von Iolkos, ihres Oheims Kretheus; sie ist selbst am meisten überrascht, dass sie ihre Schönheit nicht verloren hat, trotz der vier Geburten. Kretheus, ein Mann in mittleren Jahren, zeugt in zärtlichen Nächten – ohne jenes göttliche Strahlen, mit Erniedrigung und Schmerz verbunden – abermals einen Sohn: Aison, der jenen Diomedes zeugen wird, den Cheiron heute Iason nennt. Kretheus liebt Tyro, sie achtet und verehrt ihn, und er nimmt – viel später! – Neleus und Pelias an Kindes statt. Sie wachsen heran und erfahren, was Schwiegermutter Sidero ihrer Mutter Tyro angetan hat; jahrelang ist sie gedemütigt und schlechter als eine Sklavin behandelt worden. Die Zwillinge sind alt genug, um Waffen zu tragen und Rache üben zu können. Sidero flüchtet vor ihren Enkeln in den Tempel der Göttermutter Hera. Pelias, dessen Gesicht von der Wunde des Hufschlags seiner frühen Jugend vernarbt ist, und sein Bruder, den die Hündin gesäugt hat, verfolgen Sidero, die, vor den geschliffenen Schwertern zurückweichend, den Altar der Obersten Göttin erreicht und sich ans Widdergehörn des Standbildes klammert. Sie stirbt unter den Schwerthieben Pelias'.
Jedes Mal, wenn Pelias in der Schicht polierten Silbers auf dem Bronzespiegel sein Gesicht sieht, erschrickt er; nichts hat ihm geholfen, die Künste der Ärzte haben ebenso versagt wie die Versuche, das Antlitz durch einen Bart weniger befremdlich wirken zu lassen – nur Mutter Tyro, schön wie eine Zwanzigjährige, betrachtet ihn mit liebenden Augen. Halbbruder Aison wächst heran und begreift, wenn überhaupt, zu spät, dass er, ohne zu wollen, gegen grausige Schatten einer gewalttätigen Vergangenheit kämpfen muss; und bald wird Iason an seiner Seite sein.
Die Fischer berichteten: Der junge Achilleos, Sohn des Königs Peleus, des Myrmidonen, begleitet von zwei Herolden und reichen Geschenken, war auf dem Weg zu Cheiron. Sein Vater folgte ihm; Peleus' Ziel war Pagasai in Iolkos. Argos der Thespier baute nahe Pagasai im Sold König Pelias' an einem sonderbaren Schiff. Von Thrakien, Orpheus' Heimat, hatten die Fischer keine Nachrichten gehört; Orpheus war beunruhigt. Jenes schwarze Erz, schärfer und härter als Bronze, war in Gestalt kleiner Werkzeuge von einem unbekannten Ort ins Land gebracht worden – eine Erregung, die niemand recht begreifen konnte, beherrschte viele Marktplätze und Häfen der Inseln und Küsten: Gerüchte, Geschwätz, merkwürdige Vorbereitungen, Frauen und Männer, die von Orakelsprüchen und Stieropfern berichteten ... Beldana, Cheiron und Orpheus erfuhren während des Wettersturms, beim Essen in der trockenen Höhle alles, was die Fischer in den Häfen gehört hatten. Doch die Berichte waren kaum zu deuten und ergaben kein klares Bild.
Zwei Tage und zwei Nächte später saß Orpheus, halb träumend, halb fiebernd vor Unruhe und Erregung, den Arm auf dem Ledersack seiner Harfe und der Kithara, den flachen Hut des Wanderers im Nacken, im Heck des Fischerbootes, das mit gutem Notos und Lips nach Nordost fuhr, zu Thrakiens Küste; ihm war, als flüstere ihm das Gischtdreieck jeder Welle zu, dass er von einer Insel aus der längst verstrichenen Vergangenheit in die Gegenwart zurückkehre; in eine Zeit, die ohne all die Legenden, Halbwahrheiten und Wahrheiten unausdenkbar war.
Aus dem Bach Anauros, der im späten Frühjahr aus dem Gebirge kam, war im Bereich der Furt eine strudelnde Bahn geworden; hinter den Pfeilern der halb gebauten, nie beendeten Brücke gurgelte schäumend das Wasser. Iason lehnte Speer, Lanze und Schild gegen eine verwitterte Säule, setzte den Watsack ab und kratzte sich im Nacken. Auf einem roh behauenen Quader saß eine alte Frau, sah ihn an und deutete mit beiden Händen auf die Flut. Iason nahm die Lederkappe ab und blies auf den breiten Schweißrand.
»Ich will übers Wasser, zur Königsburg in Pagasai zu Iolkos. Es würde mich umbringen, junger Held. Ich warte schon seit Sonnenaufgang – niemand wollte mir helfen. Die Furt ist ihnen zu tief gewesen.«
»Ein treffliches Mittel, ersäuft zu werden«, sagte Iason, nickte und betrachtete mit schräg gelegtem Kopf die Alte. Sie wirkte wie eine rüstige Greisin, die mit viel Schminke und jugendlicher Kleidung versuchte, die Spuren des Alterns zu verwischen. »Genau dorthin will ich auch. Zu Pelias mit der Hufnarbe. Ich helf dir, wenn ich kann. Ich kann schwimmen – und du?«
Sie schüttelte lächelnd den Kopf. Er ging ein Dutzend Schritte vorwärts und blieb stehen, als das Wasser um seine Knie schäumte und den engen Lederchiton durchnässte. Iason spürte den Druck der Wellen, tastete sich weiter und versank in der Mitte der Furt bis zur Brust. Unter den Ledersohlen der Sandalen fühlte er kleine Kiesel, sah am gegenüberliegenden Ufer umgestürzte Bäume und angeschwemmte Äste; dort konnte er sich festhalten. Er kehrte um, nahm Schild und Lanzen in die Linke und sagte lachend:
»Auf meine Schultern, Mutter; wenn wir umfallen, müssen wir schwimmen – dorthin; ich helfe dir.«
»Danke, du schöner Kräftiger. Halt still.«
Die Greisin kletterte an ihm hinauf, schlang die Beine um seine Lenden und die Arme um seine Brust. Sie war nicht schwer, behinderte ihn aber, als er sich Schritt um Schritt durch die Strömung tastete, mit dem Ende der langen Lanze gegen die knirschenden, nachgebenden Kiesel stemmte und fast bis zum Hals eintauchte. Ein Dutzend Schritte weiter schien es, als sei die Last auf seinen Schultern doppelt so schwer geworden. Das Wasser des Anauros war frühjahrskalt; Iason suchte mit den Zehen jeden weiteren Schritt und sah, wie das Wasser an seinem Körper abwärts glitt, und schließlich stapfte er, bis zu den Oberschenkeln umschäumt, auf das jenseitige Ufer.
Die alte Frau rutschte von seinen Schultern. »Die Götter werden es dir danken. Wie heißt du?«
Iason hob die Füße aus dem Wasser und sah, dass er die Sandale am rechten Fuß verloren hatte. Er reichte der alten Frau die Hand und deutete auf den Uferpfad und die Stapel von Bauholz und ungeschälten Stämmen. Sein knielanges Chiton-Ledergewand troff und klebte auf der Haut. »Diomedes nannte mich meine Mutter, Iason nennt mich der alte Cheiron. Wir sind nicht ertrunken. Wohin gehst du, Fremde?«
Er schüttelte sich und wartete, dass die Sonnenwärme das Wasser in seinem langen Haar und im Leopardenfell trocknete. Die Alte flocht ihr ergrautes Haar zum Zopf und sagte:
»Dorthin. Ich hab' einiges zu tun in Iolkos. Dank dir, schöner Held.«
»Gehen wir nicht zusammen? Weißt du, wer König in Iolkos ist? Wer die Stadt Pagasai beherrscht?« Iason nahm das Fell von den Schultern und wrang es aus. »Aison? Ein anderer?«
»Es ist Pelias, der liebe alte König« – sie kicherte –, »der einst seinen Bruder Neleus halbtot geschlagen und aus dem Land getrieben hat. Nun ist auch er alt und zittert, wenn er an die Sprüche der Orakel denkt.«
»Was prophezeien die Orakelsprüche?«
Die Greisin schenkte ihm ein Lächeln, das auf ihn wie das einer viel Jüngeren wirkte, und sagte: »Frag ihn selbst oder andere in Pagasai. Oder frag Diener aus dem Palast. Vielleicht sagen sie's dir.«
Iason nickte; allzu spärlich waren die Nachrichten gewesen, die ihren Weg von seinem Geburtsort bis in Cheirons Grotte fanden. Er packte Watsack, Speer und Lanze und blickte auf den Pfad, der sich jenseits der Furt zum Wald schlängelte. Die alte Frau schlüpfte in ihre Sandalen, ging überraschend schnell, mit kräftigen Schritten, zum Gebüsch und schob Zweige und Ranken mit beiden Armen auseinander. Iason erhaschte einen letzten Blick und glaubte zu sehen, dass ihre Schenkel, der Rücken und die Schultern die einer jungen Frau waren; sie winkte hinter den Büschen und war verschwunden. Er warf einen langen Blick auf die Wellen; seine Sandale schwamm inzwischen wohl weit flussabwärts. Er zuckte mit den Schultern und ging weiter; seit er am Fuß des westlichen Hanges des Pelionberges angelangt war, versuchte er vergeblich, sich an die Landschaft seiner frühen Jugend zu erinnern. Die Königsburg Pelias' war drei Tagesmärsche weit entfernt.
Als Iason mit dem Fußballen auf einen scharfkantigen Stein trat, zuckte er zusammen, dann grinste er: Manche Krieger entledigten sich im Kampf freiwillig der rechten Sandale, um das Schwert leichtfüßiger und schneller gebrauchen zu können. Er ging vom Pfad herunter und auf trockenem Wintergras weiter. Jetzt erst fiel ihm ein, dass die zierliche Greisin unerwartet schwer gewesen war. Das Land war fast menschenleer; er sah weder Felder noch Weiden, und der Weg verlor sich zwischen den Stämmen eines lichten Waldes. Iason wanderte, bis in der Abenddämmerung sein Magen knurrte und er kalten, stechend scharfen Rauch schmeckte. Die Köhlerhütte fand er auf einer Lichtung, die zum freien Land hin offen war. Zwei Hunde sprangen ihm entgegen und knurrten, er hob den Arm und rief:
»Ruf deine struppigen Kläffer zurück, Freund Köhler – ich will nur ein Dach über dem Kopf für diese Nacht und einen Schluck heißen Sud.«
Die windschiefe Tür knarrte auf, ein alter Mann mit rußigem Gesicht pfiff den Hunden und winkte. »Viel mehr hab' ich auch nicht. Komm herein. Stoß dir nicht den Kopf am Balken, Fremder.«
Iason lehnte die Waffen an die Wand aus Bruchsteinen, hängte den Schild daneben und bückte sich, als er ins halbdunkle Häuschen trat. Eine alte Frau kauerte an der Feuerstelle und rührte in einem Kessel.
»Ich bin eigentlich kein Fremder«, sagte Iason leise und sah sich vergeblich nach einem Schemel um. Er verbeugte sich vor der Frau und setzte sich auf eine Bank aus Lehmziegeln, die den Alten als Schlafstätte diente. »Sagt es niemandem. Noch nicht. Ich bin Iason, der Sohn des Aison, des rechtmäßigen Königs von Iolkos. Meine Mutter ist Polymele. Ich bin fremd hier.«
»Dann weißt du nicht, was im Palast vorgeht, Iason?«
»Nein. Wisst ihr es?«
»Ich bin Pimplea«, sagte die Frau und schöpfte Sud in eine Schale aus rauem Ton. »Es ist viele Jahre her, als ich jung war und Kohle zum Palast brachte. Polymele und Aison haben dich ausgesetzt, nicht wahr?«
»Sie haben gesagt, ich sei tot geboren, und mich zu Cheiron gebracht. Das hat mir Cheiron gesagt, als ich alt genug war. Vor mehr als fünfzehn Jahren.« Die Hunde kauerten sich neben Iasons Knie; er öffnete die bronzene Gürtelschnalle und legte das Schwert zur Seite. »Sagt mir, was im Palast vor sich geht. Regiert Pelias gut? Wisst ihr etwas über meine Eltern?«
»Man sagt, dass nach dem Tod deines Großvaters Kretheus der jetzige König deinem Vater den Thron entrissen hat.«
»Mein Vater Aison ist der rechtmäßige Erbe. Großvater Kretheus hat es so bestimmt und den heiligen Eid geschworen.« Iason leerte die Schale und riss sich an einer Kerbe die Lippe auf. »Ich bin gekommen, um das Erbe anzutreten. Dein Sud ist gut, Pimplea. Danke.«
»Und König Pelias kennt ein Orakel. Es hat gesagt, dass ein Bewohner von Aiolis, des Landes vieler Städte, ihn töten wird. Seitdem findet man hier und dort, dann und wann, tote Männer; man sagt, es seien solche aus Aiolis. Ich weiß nicht, wo Aiolis liegt.«
»Ich auch nicht. Was du mir sagst, Mutter Köhlerin, gefällt mir nicht.« Iason dachte an die Erziehung durch Cheiron. Er hatte ihn gelehrt, ruhig zuzuhören, bedächtig zu denken und erst dann zur Waffe zu greifen, wenn nichts anderes mehr half, denn er, Iason, kannte die Menschen außerhalb Cheirons Höhlen und Grotten nur aus den Lehren des Kentauren. Das bedeutete für ihn, und er dachte immer wieder daran: Er kannte die Menschen nicht.
Iason lehnte sich an die raue Wand und blickte ins faltige Gesicht des Köhlers. »Damit ich dich anreden kann, Vater: Sag mir deinen Namen. Und sag mir, was du von meiner Großmutter weißt, über deren Schönheit so viele gesprochen haben.«
»Halmos heiß' ich. Deine Großmutter Tyro ist ebenso längst gestorben wie Großvater Kretheus.«
»Was, Halmos, weißt du von meiner Mutter?«
»Nichts. Vielleicht lebt sie noch. Dein Vater, sagen sie, schmachtet im tiefsten Kerker des Palastes.«
Iason blickte seine Hand an und reichte Pimplea die leere Schale; die Finger zitterten nicht. Seine Lippen waren trocken, sein Herz schlug, und zwischen den Schulterblättern spürte er ein Rinnsal aus Schweiß.
»Ich glaube, er wird bald jenes Gewölbe verlassen können.« Er sah zu, wie Halmos dünne Scheiben von einem Wildschwein-Schinken schnitt. Pimplea brach Stücke von einem Fladenbrot und rührte weiter im Kessel. »Ich bin allein hier. Pelias weiß nichts von mir; er wird mich nicht erkennen. Darf ich heut' Nacht bei euch bleiben?«
»Auf einem Lager aus dürren Blättern und Stroh, und mit deinem Fell musst du dich zudecken. Wir sind arm, Herr.«
»Ich weiß. Ich werd' euch das Lager nicht wegnehmen. Erzählt mir mehr vom Palast und der Stadt, vom seltsamen Schiff des Argos – wenn ihr etwas darüber wisst – und davon, was mich erwartet, wenn ich die Stadt betrete. Stimmt es? Zwei Tagesmärsche?«
»Mit deinen langen Beinen machst du größere Schritte – eineinhalb Tage, Fürst Iason.«
»Sag dann Fürst zu mir, wenn es soweit ist.« Iason hob die Hand.
»Ich sag' dir, was ich weiß – es ist nicht viel, weil wir selten in Pagasai sind, in der Stadt.«
Iason kaute auf dem Schinken und dem salzigen, geölten Brot, starrte in die kleinen Flammen unter dem Kessel und brummte: »Ich hab' länger als zwanzig Jahre auf die Wahrheit gewartet. Und da kann ich keine Vollkommenheit erwarten. Redet, bitte; ich bin still und hör' euch zu.«
Die Hunde hechelten, ab und zu knackte ein dünnes Scheit, der Kohlenmacher öffnete seinen letzten Weinkrug und kramte kleine Becher aus einer Truhe; Pimplea schöpfte mit einem Holzlöffel dicken Brei aus Linsen und Hafer in Schalen und teilte sie aus. Iason zwang sich dazu, weiter zuzuhören und nur wenig zu fragen. Es schien, alles in allem, dass unter König Pelias' Herrschaft das kleine Land der Iolker in nur bescheidenem Wohlstand lebte. Pelias, flüsterte und raunte man, war ein ehrloser Schurke, ein Mörder, der von seiner Macht nicht lassen konnte. Nun, da er alt war, klammerte er sich an seinen Thron wie ein starrsinniges, unreifes Kind und war sicher, dass für ihn kein Gesetz mehr galt, dass er das Unmögliche leben und sich selbst über den Willen der Götter hinwegsetzen konnte; so hatten Cheiron und Orpheus ihm, dem Jüngeren, das Wesen eines Tyrannen erklärt.
Der Köhler breitete die Arme aus und zuckte mit den Schultern. »Mehr wissen wir nicht, Fürst Iason.«
»Noch einmal.« Iason deutete auf das alte Paar. »Nennt mich Diomedes. Als Sohn des Aison bin ich in Gefahr, ebenso wie es Vater Aison und Mutter Polymele gewesen sind.«
»Ich versteh's, Diomedes.«
Sie leerten den Weinkrug, und als sich die Flammen in die rote Glut zurückgezogen hatten, löste Iason die dünnen Riemen um den zusammengerollten Mantel und streckte sich im Winkel des Stalles aus. Er war müde, aber seine Gedanken wirbelten wie Blätter im Sturm: Zwar hatte er, vom klugen Kentauren vorbereitet, keinen herzlichen Empfang in Pagasai erwartet, aber auch keinen mordenden König mit Hufmalen im alten, bärtigen Gesicht. Er schlief ein, als er sich das Aussehen der Stadt und des Palastes vorzustellen versuchte und wie er, viel zu jung und unerfahren, König Pelias entgegentreten musste.
Kalliope beobachtete den König auch an diesem Abend; sie kannte ihn inzwischen so gut, dass sie seine Gedanken erraten konnte. Auch heute Abend hatte Pelias lange in die polierte Silberfläche gestarrt und dort sein verwüstetes Gesicht gesehen; hinter ihm, verkrümmt und unterschiedlich dick durch die Unregelmäßigkeit der Silberschicht auf der Bronze, schienen sich die Steinsäulen bewegt zu haben. Pelias hatte wieder auf den Geist des Phrixos aus Kolchis gewartet, der ihn stets in den Stunden der Finsternis heimsuchte, oder auf den Großen Krieger, der nur einen Schuh trug und den Aiolos geschickt hatte, um ihn, Iolkos' König, zu strafen und zu töten.
Pelias fürchtete sich wieder vor der Nacht; wie vor allen jenen Nächten, seit ihn Phrixos gewürgt und ihm ins Ohr geschrien hatte, dass sein Geist umherirre, weil seinem Gebein im fernen Kolchis kein Begräbnis nach achaiischem Ritus, durch reinigendes Heiliges Feuer, ausgerichtet worden war. Auch das Orakel zu Delphi hatte gesagt, dass Iolkos niemals zu Wohlstand und Größe käme, wenn nicht der Geist des Phrixos und das Vlies des geflügelten Widders nach Pagasai zurückgebracht würden. Durch den Krieger mit einem Schuh? Von Kolchis? Mit dem Schiff?
Bevor die Traumgestalten zwischen den Säulen hervortreten konnten, hatte sich Pelias abgewandt und nach dem Pokal gegriffen. Den ungemischten Wein trank er wie in jeder Nacht; er begann sich wie in jeder Nacht zu betäuben.
Pelias ging durch die leere Halle des Megaron im Mittelpunkt des Palasts und wankte die Stufen in den Schlafraum hinauf; dann riss er die wollenen Vorhänge zur Seite und starrte auf die Dächer und Gassen Pagasais hinunter, hinüber zum Frauenhaus, wo seine Töchter schliefen oder auf die Wutausbrüche des Vaters warteten: Alkestis, Euadne und Amphinome, die Jüngste, betrachteten verstört und verängstigt die Geschehnisse im Palast und in Pagasai und wussten nichts von dem, was ihren Vater umtrieb. Pelias stierte auf die Bucht und den Hafen, als erwarte er, Phrixos' Geist durch die Baumwipfel schweben zu sehen und zwischen den Mauern den klirrenden Schritt des Kriegers zu hören, des späten Abkömmlings des Aiolos', der ihn – das Orakel hatte es verkündet! – dereinst mitleidlos töten würde; wieder füllte Pelias seinen Pokal und schrie:
»Kalliope! Komm her! Befrei mich von den Erinnyen des Phrixos! Lass mich nicht warten.«
Er setzte sich auf den Rand der Liege und sah zu, wie eine Sklavin die Öllichter anzündete. Ein kalter Windstoß fuhr durch den Raum, blähte die Vorhänge und ließ die Läden klappern und die vielen Flämmchen zittern; Pelias stöhnte laut, trank den Pokal leer, und dann kam Kalliope, die Sklavin von der Insel Lemnos, herein und kauerte sich zu seinen Füßen nieder. In der Stadt blies jemand klagend auf der Hirtenflöte.
»Du hast mich gerufen, Herr.«
»Wie gestern und in anderen Nächten. Schließ die Tür. Zieh die Vorhänge zu. Mach die Läden fest; es reicht, wenn die Stimmen durch Mauern und Dach dringen.«
Pelias streckte sich auf der Liege aus und atmete schwer, er hielt die Augen geschlossen. Kalliope wusste aus seinen wirren Reden, die er im Schlaf führte, und den gurgelnden Angstschreien: Ein nebliger Wirbel, in dem Feuerfunken wie Sterne blitzten, begann sich vor seinem inneren Auge zu drehen; ihm war, als ob er in rasenden Bildern die Taten seines Lebens noch einmal erlebte: wie er Sidero getötet und wie er Aison den Thron entrissen und ihn im dunklen Verlies gezwungen hatte, dem Erbe zu entsagen, wie er die Besucher aus Aiolien hatte erwürgen lassen, wie er nie wieder der Hera, sondern dem Poseidon geopfert hatte ... Die Läden schlossen sich mit dumpfem Krachen. Pelias' Gedanken waren verwirrt; er sah zu, wie Kalliope zögernd das Kleid abstreifte und sich neben ihm ausstreckte, das Haar über den Brüsten; ihre Finger berührten sein Gemächt.
Pelias trank auch in dieser Nacht, die scheinbar hundert Stunden oder mehr lang war, er schlief kaum und reizte Kalliopes Körper, bis sie stöhnte, und als er sie nehmen wollte, versagte er, wie in vielen Nächten zuvor; er schlug sie, aber trotzdem ließ ihn seine Manneskraft im Stich. Im Morgengrauen, einen Tag vor dem Fest des Poseidon, fiel er in einen kurzen Schlaf, der Kalliope entsetzte; sie hielt den alten König für tot.
Mit dem längst nicht mehr weißen Tuch, das Iason meist um den Hals trug, trocknete er das Gesicht und das Haar; in Pagasai würde er es schneiden lassen. Er nahm aus dem ledernen Beutel vier silberne Plättchen. Eines behielt er, drei drückte er in Halmos' Hand. »Für den Schinken und den Wein, alter Köhler«, sagte er leise.
»Wenn ich Herr bin in Pagasai, schicke ich dir Handwerker für deine Hütte und Essen. Dank für das Nachtlager.«
Halmos verbeugte sich, dann sah er in Iasons Gesicht, als sei er ein Fremder. »Herr Diomedes«, sagte er. »Mir ist, als wärst du heute Nacht in meinem erbärmlichen Stall um zehn Jahre älter geworden.«
Iason hakte die Klaue des Fells in die Bronzeöse und rückte das Schwert über der linken Hüfte zurecht. Ein grauer Frühjahrstag begann; die Sonne war nur ein heller Kreis hinter tiefhängenden Wolken.
»Ich hab' geahnt, dass nicht ganz Pagasai jubelt, wenn ich ans Stadttor klopfe«, sagte er. »Nun weiß ich, wie schwer ich es haben werde.«
»Welche Göttin schützt dich, Herr?«
»Ich opfere der Pallas Athena.«
»Möge sie jeden deiner Schritte bewachen, Diomedes.«
»Bisher hab' ich's gut überlebt.«
Iason und der Köhler schüttelten einander die Handgelenke; Iason packte Schild und Speere und ging mit langen Schritten davon.
Das Stadttor stand weit offen wie das Hafentor, die gemauerten Tortürme schienen leer, die breite Straße, die in weiten Windungen vom Hafen zu Pagasais Marktplatz führte, war verlassen wie die meisten Weiden und wohlbestellten Felder. Iason hörte das Murmeln einer großen Menschenmenge, dumpfe Trommelschläge und trillernde Flöten; über den Lärm erhob sich die schrille Stimme eines Mannes. Es roch nach Feuer, schmorendem Fell oder Horn. Iason legte die Hand unter dem Schild an den Schwertgriff und folgte der ansteigenden Straße; er erkannte keines der Gebäude, die er aus seiner Kindheit hätte kennen müssen. Nur die Fundamente des Palastes, aus so großen Felsen, dass sie nur das Werk von Zyklopen sein konnten, und die Aufbauten aus Balken und lehmgefülltem Geflecht zwischen den bunten Säulen – eine kurze Erinnerung zeigte ihm fröhliches Kinderleben dort oben am Hang. Zwischen grünenden Fruchtbäumen standen Zelte. Hinter ungekalkten Mauern knurrten und winselten Hunde, eine Katze strolchte entlang einer Bruchsteinmauer.
»Ein paar mutige Plünderer könnten Pagasai ohne Gegenwehr erobern«, murmelte er und blieb nach fünf Dutzend Schritten am Rand der Agora stehen. Er lächelte flüchtig: Agora, Megaron, Orakel – all diese Wörter hatte ihm Cheiron erklärt. Auf dem Stadtplatz waren Hunderte Stadtbewohner versammelt, die meisten wandten ihm den Rücken zu; bis auf einen großen Kreis in der Mitte standen die Menschen dichtgedrängt, Iason setzte sich auf die oberste Stufe einer Eingangstreppe; er versuchte Pelias zu erkennen.
Aus einem Holzstoß loderten Flammen. Der Rauch stieg fast senkrecht auf, wenige Funken prasselten. Drei Männer hielten einen mächtigen, gefleckten Stier am Nasenring, am Schwanz und mit breiten Lederriemen fest, zwischen den Trommlern und Flötenspielern rief ein alter Priester den Meeresgott an; Pelias schien der graugesichtige alte Mann zu sein, mit breitem Stirnreif aus Gold, der von weißgekleideten jungen Frauen eine goldene Schale mit Wein füllen ließ und sie langsam, Tropfen um Tropfen, in die aufzischende, dampfende Glut leerte. Trankopfer für Poseidon, dachte Iason und beobachtete schweigend den König, der die Szene beherrschte, das Opfer leitete und auf dem Thron seines Vaters Aison saß.
Ein müder Mann, der einst stark und behänd gewesen war, mit viel Grau und Weiß im Bart, der an den Schläfen begann und den Mund umschloss, über der Narbe, die einem halben Kreis zwischen Stirn, Wange und Kinn glich. Unruhig zuckten Pelias' lauernde Blicke umher: Er schien im Gesicht eines jeden der Versammelten zu forschen, sah scheinbar alles, seine Bewegungen waren fahrig. Halb von Flammen und Rauch umgeben, stand am Eingang der Hafengasse ein weißer Steinblock, den in Kniehöhe ein Fries umlief. Die Flanken des Opferaltars und ein Teil der Oberfläche, die schüsselförmige Vertiefungen und Blutrinnen zeigte, waren verrußt; der geopferte Wein verkochte blasig dampfend wie Blut. Der Opferdiener trennte mit dem Messer die Kringel der Stirnhaare zwischen dem Stiergehörn ab und reichte sie Pelias, der sie hochhielt und ins Feuer warf.
Iason kniff die Augen zusammen: Dort, wo sich weißgekleidete Frauen und zwei Männer aufhielten, umstanden Krieger den Opferkreis. Hinter dem Wangenschutz und dem Nasensteg ihrer schwarzen Helme blitzten ihre Augen wachsam im Widerlicht des Feuers. Sie hielten die Hände an den Schwertgriffen, Iason begann sie zu zählen; Pelias hatte Gäste und schützte sie, oder sie schützten sich selbst durch ihre Krieger.
Pelias sprach mit den Frauen, die den doppelhenkligen Krug abgestellt hatten und Honig in eine Schale laufen ließen; der dumpfe Chor der Pagasaier wiederholte die Anrufungen des Priesters. Der weißhaarige Fremde hob die Hand, deutete ins Feuer und nickte dem Opferschlächter zu, der mit einem doppelschneidigen Bronzebeil hoch über dem Kopf ausholte. Die Opferknechte traten zur Seite; ein Raunen ging durch die Menge, niemand beachtete Iason.