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Sein Ziel? Rache! Sein Mittel? Verführung! Für Milliardär Theo Nikolaidis ist es der perfekte Plan. Ein Architektur-Wettbewerb, bei dem die Gewinnerin schon feststeht: Helena Armstrong, seine Ex-Verlobte, die ihn vor ihrer Hochzeit eiskalt stehenließ. Sie dorthin zu locken, wo sie das Haus bauen soll, von dem sie einst gemeinsam träumten, ist ihm ein süßer Genuss, und sie besitzergreifend zu küssen, um sie anschließend fortzuschicken, sein größter Triumph. Doch warum fühlt der stolze Grieche bei ihrer Abreise keine Genugtuung, sondern Reue?
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IMPRESSUM
JULIA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2020 by Michelle Smart Originaltitel: „His Greek Wedding Night Debt“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIABand 2455 - 2020 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Kara Wiendieck
Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 08/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733714352
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Gedanklich hakte Helena Armstrong noch einmal alle Punkte ihrer Liste ab.
Wimperntusche und Eyeliner perfekt aufgetragen und nicht verschmiert? Check.
Nudefarbener Lippenstift auf den Lippen und nicht auf den Zähnen? Check.
Dichtes kastanienbraunes Haar zu einem festen Knoten im Nacken zusammengefasst, aus dem keine Strähnen hervorlugten? Check.
Silber-blau gemusterter, leicht ausgestellter Rock sauber und knitterfrei? Check.
Schwarze Bluse ebenfalls sauber und knitterfrei? Check.
Schwarze Strumpfhose ohne Laufmasche? Check.
Schwarze hohe Schuhe, in denen sie kaum laufen konnte? Check.
Dicke Brille ohne Fingerabdrücke? Check.
Zeichenrolle bereit? Check.
Herzschlag ansatzweise unter Kontrolle …?
Na ja, eine Frau konnte nicht alles haben.
Helena war so gut vorbereitet, wie sie nur sein konnte. Es war Zeit, ihren ersten großen Pitch bei einem Kunden zu wagen. Die Entwürfe, an denen sie einen Monat intensiv gearbeitet hatte, waren fertig, um sie dem mysteriösen Kunden zu präsentieren.
Bis jetzt hatte er sich von Anwälten vertreten lassen, um vollkommen anonym bleiben zu können – was zu fieberhaften Spekulationen geführt hatte, wer der oder die Unbekannte sein könnte. Ihre und vier weitere Büros waren zu dem Pitch eingeladen worden, ein Haus zu entwerfen. Der siegreiche Architekt würde auf eine griechische Insel geflogen, deren Name ebenfalls noch nicht enthüllt worden war, und eine tausend Quadratmeter große Villa im traditionellen Stil von Grund auf erneuern. Jedes Büro sollte einen Architekten mit Kenntnissen der griechischen Sprache und einem Grundwissen von klassischer europäischer Architektur zum Pitch schicken. Helena mit ihrer griechischen Mutter und ihrer Liebe zur Architektur der Antike erfüllte die Anforderungen perfekt. Endlich zahlte sich der grausame Griechisch-Unterricht ihres Vaters aus.
Sie hatte das Unbehagen hinuntergeschluckt, das sie bei der Vorstellung überfiel, auf einer Insel arbeiten zu müssen, die zu einem Land gehörte, das sie drei Jahre lang nicht mehr betreten hatte, und sich an die Arbeit gemacht. Die gestellte Aufgabe bestand darin, eine alte Schule in drei Luxus-Ferienwohnungen umzubauen. Sie gab sich keinen Illusionen hin, eine Chance auf den Sieg zu haben, da sie vermutlich die jüngste Architektin mit der geringsten Erfahrung sein würde. Trotzdem war es eine gute Übung. Der Gewinn der Ausschreibung war ungewöhnlich hoch. Nicht nur würde die Firma eine enorme Summe einstreichen, sondern auch die leitende Architektin würde eine Prämie zu Beginn und eine weitere bei Fertigstellung der Villa erhalten. Das Geld würde es Helena ermöglichen, ihren Schuldenberg abzutragen und noch einen ansehnlichen Rest übrig zu behalten.
Langsam ging Helena in das Besprechungszimmer. In ihren Ohren hallten noch die „Viel Glück“-Rufe ihrer Kollegen nach. Die meisten von ihnen kannte sie, seit sie als völlig unerfahrene einundzwanzigjährige Uni-Absolventin hier begonnen hatte.
Als sie den Raum betrat, fühlte sie sich stark genug, um Stanley in die Augen zu schauen. Er nickte ihr ermutigend zu. Sie wollte den Architekten, der sie vor fünf Jahren unter seine Fittiche genommen hatte, unbedingt stolz machen. Schon vor ihrem Abschluss hatte sie ein Jahr für ihn gearbeitet. Während ihres Masterstudiums hatte er ihr stets mit Rat und Tat zur Seite gestanden und anschließend dafür gesorgt, dass sie auch das Jahr vor ihrem Abschlussexamen in der Firma arbeiten konnte. Auch für ihre Festanstellung danach hatte er sich starkgemacht.
Außer Stanley waren die beiden anderen Seniorpartner anwesend, außerdem eine Assistentin sowie der mysteriöse Kunde. Er hatte ihr den Rücken zugewandt und unternahm keine Anstalten, sie zu begrüßen.
Ihr erster Gedanke war, dass der Unbekannte ein Mann war.
Ihr zweiter lautete, dass er ein Prominenter sein musste, weil man ihm, obwohl er allen den Rücken zuwandte, Respekt zollte.
Helena ging zügig zu dem ihr zugewiesenen Platz ihm gegenüber und setzte ein warmes und einladendes Lächeln auf. Dann sah sie sein Gesicht.
In genau diesem Moment zerfielen all ihre Gedanken zu Staub, in ihrem Kopf herrschte absolute Leere.
Der Man vor ihr war Theo Nikolaidis. Derselbe Theo Nikolaidis, den sie vor drei Jahren verlassen hatte – vierundzwanzig Stunden vor ihrer Hochzeit.
Theo gab sich keine Mühe, sein selbstzufriedenes Grinsen zu verbergen.
Dieser Augenblick, in dem das Lächeln auf Helena Armstrongs Lippen erstarb, war einer, den es auszukosten galt … am besten mit einem Glas guten Wein und – hätte er dergleichen gemocht – einer Platte feinster Kanapees. Er mochte gutes Essen, am liebsten traditionelle griechische Küche, doch der einfache Eintopf, den seine Großmutter so hervorragend beherrschte, passte einfach nicht zu diesem triumphalen Moment.
Er stand auf, streckte die Hand aus und neigte erwartungsvoll den Kopf. „Guten Morgen, Helena“, sagte er mit einem noch breiteren Lächeln und freute sich, dass ihr das Blut in die Wangen schoss. „Wie schön, dich wiederzusehen.“
Hätte er Mitleid mit dieser Frau empfunden, die ihn zum Gespött gemacht hatte, hätte er bestimmt welches heraufbeschwören können, doch ihre panischen Blicke, die zwischen seinem Gesicht und seiner ausgestreckten Hand hin und her huschten, waren einfach Gold wert.
Nach einer Pause, deren Länge an Unhöflichkeit grenzte, streckte sie ihm ihre zarte weiße Hand mit kurz geschnittenen Nägeln entgegen. Eine Zehntelsekunde ergriff sie seine, bevor sie ihre hastig zurückzog. „Mr. Nikolaidis“, murmelte sie, nahm Platz und stellte ihre Akentasche auf dem Boden ab. Ohne ihn anzuschauen, legte sie die Rolle mit den Plänen auf den Tisch vor sich.
„Sie beide kennen sich?“ Die Frage kam von einem der Partner. Er war alt genug, um Helenas Vater zu sein, doch der Blick, mit dem er Helena musterte, löste in Theo den Wunsch aus, ihm körperlich wehzutun.
Anstatt seine Fäuste sprechen zu lassen – noch vor dem Teenageralter hatte Theo gelernt, diese Seite von sich zu kontrollieren –, lächelte er wieder, was den älteren Mann blass werden ließ. „Helena und ich sind alte Freunde. Nicht wahr, agapi mou?“
Die Worte brachten sie dazu, ihn anzuschauen. Ihre natürlich vollen Lippen waren zu einer schmalen Linie zusammengepresst, ihre dunkelbraunen Augen funkelten vor Wut.
Glaubte sie wirklich, sie hätte jetzt schon einen Grund, zornig zu sein? Das hier war erst der Anfang.
Sie nickte knapp, dann schraubte sie den Deckel von der vor ihr liegenden Rolle. „Sollen wir anfangen?“
Theo breitete die Hände aus. „Ja. Zeig mir deine Entwürfe. Lass mich sehen, ob du so talentiert bist, wie man mir erzählt hat.“
Kurz verengten sich ihre Augen, dann setzte sie ein umwerfendes falsches Lächeln auf. „Das musst du selbst beurteilen.“
„Glaub mir, agapi mou, ich habe auf die harte Tour gelernt, dass ein Ruf genauso trügerisch sein kann, wie der äußere Schein.“
Helena war die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Begegnet war er ihr zum ersten Mal auf seiner Heimatinsel Agon. Er hatte damals seinen Freund Prinz Theseus in dessen Palast besucht. Da es ein wunderschöner Tag war, hatte er beschlossen, durch die Palastgärten zu spazieren. Dort hatte er eine junge Frau entdeckt, die auf einer Bank neben der Statue der Göttin Artemis saß. Auf ihrem Schoß lag ein offenes Buch, in der Hand hielt sie einen Stift. Sie hatte sich ein wenig vorgebeugt, sodass ihr kastanienbraunes Haar über ihr Gesicht und ihre schmalen Schultern fiel. Zerstreut streifte sie eine Strähne hinter ihr Ohr zurück. Zum Vorschein kam ein Gesicht, dass ihn, trotz einer riesigen Brille, auf der Stelle fasziniert hatte.
Er starrte die Fremde an. Lange.
Schließlich regte sich seine Neugier, was sie da eigentlich tat. Leise trat er hinter sie und spähte ihr über die Schulter. Er blickte auf eine äußerst detailreiche Zeichnung des Palastes. Das Bild war wunderschön. Obwohl sie nur einen Bleistift benutzt hatte, hatte sie dem Palast Leben eingehaucht. Es war ihr sogar gelungen, das sich in einigen Fenstern spiegelnde Licht darzustellen!
Kein Wunder, dass er von ihr verzaubert war. Eine Frau mit Schönheit, Talent und Verstand? Am liebsten hätte er sie auf ein Podest gestellt und ihr gehuldigt, so wie seine Landsleute vor vielen Jahrhunderten Artemis verehrt hatten.
Sehr schade, dass er die Statue, die Zeugin ihrer ersten Begegnung wurde, nicht als warnendes Zeichen verstanden hatte. Der Legende nach hatte Artemis geschworen, niemals zu heiraten.
Doch im Gegensatz zu der Göttin, hatte Helena ihre Abneigung gegen die Ehe erst am Tag vor ihrer Hochzeit erwähnt. Dumm, wie er war, hatte er ihr nicht geglaubt, sondern angenommen, sie sei bloß nervös. Natürlich würde sie in die Kathedrale von Agon kommen.
Wenn Theo sich heute an damals erinnerte, überkam ihn oft der Gedanke, er sollte sich eigentlich bei ihr bedanken. Die vergangenen drei Jahre hätte er ein langweiliges geregeltes Leben führen können, anstatt seinen ausschweifenden Lebensstil wiederaufzunehmen, den er für sie aufgegeben hätte. Um ehrlich zu sein, hatte Helena ihm mit ihrem Rückzieher die Freiheit geschenkt. Und er hatte jeden Moment genutzt … allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt.
Drei Jahre nach seiner öffentlichen Demütigung hatte er immer noch nicht mit einer anderen Frau geschlafen. Gott allein wusste, dass er es versucht hatte, aber seine normalerweise unersättliche Libido schien in einen hartnäckigen Winterschlaf gefallen zu sein. Er, der jede Frau haben konnte, hatte jedes Interesse am anderen Geschlecht verloren. Gut, er hatte Verabredungen – jede einzelne, um Helena unter die Nase zu reiben, was sie verpasste –, aber mehr war nicht passiert.
Was als kleines Ärgernis begonnen hatte, war zu einem ernsthaften Problem geworden. Er wollte keine andere Beziehung. Beziehungen waren etwas für Narren. Sie verlangten Gefühle und Vertrauen – beides hatte er sich verboten je wieder zu empfinden. Doch er war erst dreiunddreißig – viel zu jung, um den Rest seines Lebens in Enthaltsamkeit zu verbringen.
Dann, vor sechs Monaten, hatte er in einer Architekturzeitschrift eine Anzeige gelesen. Die Agentur Staffords verkündete, die frisch gebackene Architektin Helena Armstrong übernommen zu haben. Beigefügt war ein grobkörniges Foto von ihr. Am nächsten Morgen war er mit der ersten Erektion aufgewacht, seit sie ihn verlassen hatte. Aber die Erleichterung über das Wiedererwachen seiner Libido hielt nicht lange an. Gleich am Abend besuchte er die Party auf der Jacht eines Freundes mit einer Schar spärlich bekleideter junger Frauen … und nichts passierte. Erst als er alleine im Bett lag, die Augen schloss und sich Helena nackt vorstellte, erwachte die Lust erneut.
Auf einmal wusste er, was zu tun war. Er brauchte Helena zurück in seinem Leben. Diesmal würde er mit ihr schlafen, wie er es schon vor drei Jahren hätte tun sollen. Er würde sie dazu bringen, sich wieder in ihn zu verlieben. Und dann würde er sie verlassen und demütigen.
Danach würde er sie endlich vergessen und sein eigenes Leben weiterführen können.
Im Nachhinein wusste Helena nicht, wie sie die vergangenen Stunden überstanden hatte. Als sie spät am Abend mit der U-Bahn nach Hause fuhr, legte sie ihren Kopf in den Nacken und schloss die Augen.
Hatte sie alles nur geträumt?
War Theodoros Nikolaidis wirklich der mysteriöse Klient, der sie in den letzten beiden Monaten auf Trab gehalten hatte?
Irgendwie war es ihr gelungen, sich zusammenzureißen und die Präsentation zu halten. Sie wusste genau, dass jedes Wort reine Zeitverschwendung war, aber ihr Stolz erlaubte ihr nicht, weniger als ihr Bestes zu geben. Wenn Theo einem anderen Büro den Zuschlag gab, würden ihre Kollegen ihr zumindest keine mangelnde Professionalität vorwerfen können.
Und Theo würde nie erfahren, dass sich hinter ihrem ruhigen kompetenten Auftreten ein gebrochenes Herz verborgen hatte.
Am Ende ihrer Präsentation wirkte seine Miene völlig undurchschaubar. Er hatte keine einzige Frage gestellt, sondern lediglich auf seine Uhr geblickt. Dann war er aufgestanden, hatte allen für ihre Bemühungen gedankt, Helena zugezwinkert und sich verabschiedet.
Weder Helena noch die Seniorpartner noch die anderen Mitarbeiter mussten es laut aussprechen, aber die gedämpfte Atmosphäre in den Stunden danach sprach für sich. All die Arbeit, die Helena in die Entwürfe gesteckt hatte, all die Hilfe und Unterstützung, die ihre Kollegen ihr gegeben hatten … es war alles umsonst gewesen.
Sie atmete tief ein, und es war ihr egal, dass die schale abgestandene Luft des U-Bahn-Waggons ihre Lungen füllte.
Theo nach all der Zeit wiederzusehen …
Denk nicht an ihn!
Doch sie konnte genauso wenig verhindern, dass sich die Schatulle mit Erinnerungen öffnete, wie ein Kind einer Tüte mit Süßigkeiten widerstehen konnte …
Nur aus einer Laune heraus war sie an jenem Tag vor drei Jahren durch den Palastgarten spaziert. Nachdem sie ein Jahr für ihren Masterabschluss hart gearbeitet hatte, brauchte sie eine Pause. Deshalb hatte sie beschlossen, sich eine kurze Auszeit bei der Familie ihrer Mutter auf Agon zu gönnen. Auf der Insel schien immer die Sonne, das Leben fühlte sich einfacher und freier an. Sogar ihr Vater entspannte sich dort so sehr, dass er aufhörte, alle fünf Minuten nach einem Fehler zu suchen.
Am dritten Morgen wachte sie früh auf und entschied, den Palast zu besuchen. Schon als Kind hatte sie das Gebäude geliebt.
Bepackt mit ihrem Skizzenblock, ein paar Bleistiften, einer Flasche Wasser und einem Lunchpaket, setzte sie sich schließlich auf eine Bank und begann, das wunderbarste Bauwerk der Welt zu zeichnen.
Nach fünf Stunden spürte sie plötzlich, dass sie beobachtet wurde. Sie schaute in genau dem Moment auf, als der Unbekannte leise in ihr Ohr flüsterte: „Sie besitzen Talent, meine Dame. Nennen Sie mir Ihren Preis.“
Hastig wandte sie den Kopf und sah sich einem atemberaubend attraktiven Mann gegenüber. Groß und muskulös, kurzes braunes, ein wenig zerzaustes Haar, dessen Spitzen von der Sonne blond gefärbt worden waren, dazu eine tiefe Bräune, die auf ein Leben in der freien Natur schließen ließ. Als sie in die eisblauen, von feinen Lachfältchen umgebenen Augen schaute, schien ihr Herz einen Schlag auszusetzen.
Mehr als drei Jahre später verspürte sie genau die gleiche Reaktion bei ihrem Wiedersehen.
Mehr als drei Jahre später zahlte Helena noch immer den Preis für ihren spontanen Besuch im Palast.
Sie erreichte ihre Station. Die Tasche geschultert, stieg sie aus der U-Bahn und die steile Rolltreppe hinauf. Den Heimweg angetreten hatte sie, als die Sonne längst untergegangen war. Jetzt, als sie die Station verließ, prasselte kalter Regen vom Nachthimmel. So viel zu der leichten Bewölkung, von der in der Wettervorhersage die Rede war. Die Pfütze, in die sie kurz darauf trat, durchnässte augenblicklich ihre flachen Leinenschuhe, in die sie nach der katastrophalen Präsentation geschlüpft war.
Fantastisch. Alles, was jetzt noch fehlte, war, von einem Bus angefahren zu werden, dann wäre ihr Tag komplett.
Als sie ihre Kellerwohnung erreichte, waren ihre Kleider genauso nass wie ihr linker Fuß.
In ihrer Wohnung war es eiskalt. Zitternd schimpfte sie sich aus, weil sie geglaubt hatte, Anfang Mai würden die Temperaturen wieder steigen.
Sie schaltete die Heizung ein, zog ihre durchnässten Kleider aus und schlüpfte in einen dicken Frotteemantel. Dann ließ sie sich ein heißes Bad ein. Plötzlich klingelte es an der Tür.
Seufzend nahm sie ihre Brille ab und legte die Hände vor ihr Gesicht. Sie fühlte sich völlig kraftlos.
Als es ein zweites Mal schellte, drehte sie den Wasserhahn zu und setzte die Brille wieder auf. In den drei Jahren, die sie hier wohnte, hatte es nur einen unangekündigten Besucher gegeben: einen Paketboten, der hoffte, sie würde eine Lieferung für das Paar in der oberen Wohnung annehmen.
Sie schlich zur Tür und spähte vorsichtig durch den Spion … und wich erschrocken zurück.
Wie, zur Hölle, hatte er sie gefunden?
Wieder läutete die Glocke.
Mit wild pochendem Herzen machte sie einige Schritte rückwärts. Solange Theo keinen Röntgenblick entwickelt hatte, konnte er nicht wissen, dass sie hier war. Sie flüchtete zurück ins Bad.
Ein Fehler. Das Klingeln, das dann ertönte, wurde zu einem durchgängigen schrillen Ton.
Dieser egoistische hinterhältige … Ihr wollte kein Wort einfallen, dass ihr keinen Klaps ihrer Großmutter eingebracht hätte.
Der Schock, unter dem sie stand, seit sie ihn in dem Konferenzraum gesehen hatte, fiel von ihr ab und machte lodernder Wut Platz. Eilig hastete sie zurück, löste die drei Riegel, Sicherheitsschloss und normales Schloss und riss die Tür auf.
Und da stand er, in einem schwarzen Hemd und schwarzen Hosen. Auf seinem Gesicht lag ein breites Grinsen, das man für Begeisterung hätte halten können, doch in seinen eisblauen Augen flackerte kalte Wut.
Theo hob die Arme, Handflächen nach außen und neigte den Kopf. „Überraschung!“
Theo erlaubte sich einen Moment, Helenas wütende und zugleich entsetzte Miene zu genießen, bevor er an ihr vorbei ins warme Innere der Wohnung stürmte.
Während er die Schuhe auf der Türmatte abstreifte, wischte er den Regen mit den Händen aus seinem Gesicht.
„Nettes Plätzchen hast du da“, kommentierte er, als er einen fadenscheinigen Teppich betrat, der auf dem Dielenboden lag. Ein Immobilienmakler würde ihre Wohnung als urgemütlich anpreisen. Ein Laie würde sie als winzig und verwohnt bezeichnen.
Helena schloss die Tür und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. „Was willst du hier?“
Er wandte sich zu ihr um und legte – mit gespieltem Schmerz – eine Hand auf seine Brust. „Unser Wiedersehen scheint dich nicht glücklich zu machen, agapi mou.“
„Malaria wäre ein willkommenerer Gast. Meine Güte, Theo, es ist drei Jahre her. Du tauchst als mysteriöser Auftraggeber an meinem Arbeitsplatz auf und dann bei mir zu Hause? Was soll das?“
„Ich dachte, du würdest gerne persönlich erfahren, dass du gewonnen hast.“
Sie runzelte die Stirn. „Was gewonnen?“
„Den Auftrag.“ Er grinste so breit er konnte. Theos, wie sehr er die Situation genoss! „Herzlichen Glückwunsch. Du bist die Architektin für mein neues Heim.“
Sie wurde blass.
„Warum öffnest du nicht eine Flasche Wein für uns, und wir besprechen die Details?“ Er spähte durch die nächste Tür und entdeckte eine Küche, die so winzig war, dass ein Kleinkind Probleme hätte, sich darin zu bewegen.
„Wovon sprichst du?“
Theo drehte sich wieder zu ihr um und tippte Daumen und Zeigefinger mehrmals gegeneinander. „Details. Sie sind wichtig, findest du nicht auch?“
„Nun … ja …“
„Und Alkohol macht es immer leichter, über langweilige Details zu sprechen.“ Er ging zum Kühlschrank und öffnete ihn. Angesichts des spärlichen Inhalts seufzte er theatralisch. „Kein Weißwein. Wo lagerst du den roten?“
„Ich habe keinen.“
„Keinen? Irgendetwas anderes Alkoholisches?“
„Nein …“
Er zog sein Handy aus der Tasche und zwinkerte ihr zu, während er es mit seinem Fingerabdruck entsperrte. „Leicht zu korrigieren.“
„Moment.“ Argwohn keimte in ihr auf.
„Ja?“
„Du willst mir sagen, dass ich die Ausschreibung gewonnen habe?“
„Doch. Herzlichen Glückwunsch.“
Helena zog die Augenbrauen zusammen, ihr Misstrauen wuchs.
„Du darfst lächeln, weißt du.“ Sie immer weiter zu reizen, machte ihm wirklich Spaß.
Ohne ihn eine Sekunde aus den Augen zu lassen, verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Ich werde lächeln, sobald du mir erklärt hast, warum du persönlich zu mir gekommen bist, um mir die Neuigkeiten zu überbringen, anstatt offiziell meinem Chef Bescheid zu geben. Und jetzt würde ich gerne wissen, wer dir meine Adresse gegeben hat. Und wirst du endlich aufhören, meine Schränke und Schubladen zu durchsuchen?“
„Der Inhalt einer Küche ist ein guter Hinweis auf den Charakter einer Person“, erwiderte er scherzhaft und zog eine weitere Schublade auf, die genau eine Rolle Alufolie, eine Rolle Frischhaltefolie und zwei Geschirrtücher enthielt.
„Und die Unfähigkeit, das Durchsuchen besagter Küche einzustellen, obwohl die Besitzerin es verlangt hat, ist ebenfalls ein guter Hinweis.“
Mit einem weiteren theatralischen Seufzen schloss er die Schublade wieder. Nach allem, was er bislang gesehen hatte, stand Helena dem Kochen noch genauso abgeneigt gegenüber wie vor drei Jahren.
„Hast du schon gegessen?“, fragte er.
„N… ja.“
Er lachte über die offensichtliche Lüge und zückte wieder sein Handy. „Was möchtest du?“
„Dass du aufhörst, dich wie ein hyperaktives Kind zu benehmen. Komm endlich zum Punkt, und dann verschwinde aus meiner Wohnung.“
Theo runzelte die Stirn, dann tippte er etwas in sein Handy. „Spricht man so mit dem Mann, der dich reich machen wird?“
„Wenn mir Reichtum irgendetwas bedeuten würde, hätte ich dich geheiratet.“
Wieder legte er eine Hand auf seine Brust und tat so, als würde er sich vor Schmerzen krümmen. „Aua. Wie ich sehe, hast du dir in den vergangenen Jahren eine spitze Zunge zugelegt.“
„Und dein Gehör hat sich verschlechtert. Zum letzten Mal, beantworte meine Frage.“
„Welche? Es waren so viele.“
Sie seufzte entnervt, und Theo lachte auf, weil er endlich eine richtige Reaktion aus ihr herausgekitzelt hatte. Von ihrem unverhofften Wiedersehen hatte sie sich rasch erholt und die Präsentation kontrolliert und professionell gehalten. Jemand, der sie nicht kannte, mochte meinen, dass Selbstbeherrschung ihre Persönlichkeit ausmachte, aber dem war nicht so. Helena verwahrte ihre Gefühle hinter förmlicher Kleidung. Doch wurden sie entfesselt … Dann brannte ein Feuer in ihr! Er konnte es kaum erwarten, die Hitze ihrer Leidenschaft neu zu erfahren.
„Du kannst damit anfangen, woher du meine Adresse kennst“, stieß sie mit unverhohlener Verärgerung hervor.
„Deine Mutter hat sie mir gegeben.“ Ein Foto an der Küchenwand neben der Tür erregte seine Aufmerksamkeit. Das Bild zeigte Helena, wie sie mit einem süßen Kleinkind kuschelte. Er berührte den Glasrahmen neben dem Gesicht des Kindes. „Wer ist das?“
Sie ignorierte die Frage. „Du hast meine Mutter besucht?“
„Ich wollte dich finden, agapi mou. Wer könnte mir da besser behilflich sein als deine Mutter?“
Er spürte ihren verwirrten Blick, schaute sie jedoch absichtlich nicht an.
Diese Szene hatte er sich, seit er seinen Plan entworfen hatte, schon oft vorgestellt. Bisher hatten nur zwei Dinge seine perfekte Fantasie gestört: völlig durchnässt an Helenas Haustür anzukommen und ihr grauer Frotteebademantel. In seiner Fantasie trug sie einen Kimono aus reiner Seide, der ihre wunderbaren Kurven umschmeichelte, nicht dieses formlose Ding, das sie vom Hals bis zu den Knöcheln bedeckte. Jegliche Art von Verführung musste das Letzte gewesen sein, woran sie bei dem Kauf gedacht hatte. Es hielt ihn jedoch nicht davon ab, ihr das hässliche Teil vom Leib reißen zu wollen … sie hätte einen Kartoffelsack tragen können, er wollte sie immer. Trotzdem schwor er sich, das Ding bei der ersten Gelegenheit zu verbrennen.
„Wann hast du sie getroffen?“, fragte sie knapp.
„Vor drei Monaten.“ Ein gerahmtes Foto hinter ihr erregte seine Aufmerksamkeit. „Wer ist das Kind, das du da auf dem Arm hältst?“
„Hör auf, das Thema zu wechseln.“
Sie hatte sich nicht von ihrem Platz auf der Türschwelle der Küche wegbewegt. Der Raum war so klein, sie hätte Theo gestreift, hätte sie ihn betreten. Ihm war völlig bewusst, dass Helena im Augenblick lieber eine Tarantel gestreichelt als ihn berührt hätte. „Meine Mutter hat gar nicht erzählt, dass ihr euch gesehen habt.“
Theo grinste. Er hatte seinen Spaß. Der ganze Tag bereitete ihm diebische Freude. „Ich habe sie gebeten, es nicht zu tun.“
„Warum?“