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Auf Terralt, der Parallelwelt zu unserer Erde, funktioniert vieles nicht wie auf unserer Welt. Was hier Technik ist, ist dort Magie. Neben den Menschen dieser Welt und Gästen gibt es unter anderen noch eine uralte Gruppe, die anders ist, auch wenn man es nicht sieht: Die Symbiosane. Wer sind sie? - Sie sind die Nachfahren der Überlebenden eines mutwillig zerstörten magischen Planeten. - Sie könnten dazu benutzt werden, die Welt Terralt zu unterjochen. - Sie sind als feige verschrien. - Sie haben Götter, die keine sind. - Sie schwimmen durch Materie, als ob es Wasser wäre.
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Noch ein kleines Vorwort
01 - Salao und Yssaahn - 2 Sucher
02 – Ein Dorf namens Bleibe
03 - Der Geist des Sees
04 - Der Empfang in Bleibe
05 - Das Runenspiel
06 - Entscheidungen
07 - Und wieder das Runenspiel
08 - Von schwarzen Löchern und Göttern, die keine sind
09 - Reisevorbereitungen
10 - Findet Glück und Schmerzen
11 - Nicht jeder ist gut
12 - Einschub aus Zukunft und tiefster Vergangenheit
13 - Ankommen
14 - Jedes ist seines Glückes Schmied
15 - Bad Selig und der Zahn der Zeit
16 - Bad Selig, 'Das Rad' und die Symbiosane
17 - Hoffnungen
18 - Abschied
19 - Das Ende oder ein Neuanfang
20 - Ankommen
21 - Die Befrieder
22 - Epilog
Impressum
Dieses Buch spielt auf der uns am nächsten gelegenen Parallelwelt: Terralt, von der wir nur sehr wenig wissen.
Der Grund: die Portale, durch die man diese Welt betritt (zumeist ohne es zu bemerken), funktionieren nur in der Richtung von Terra nach Terralt ... und nicht wieder zurück.
Hier geht um die Symbiosane, eine kleine Volksgruppe, die es schon so lange auf Terralt gibt, das sie selber nicht mehr genau wissen, wo ihre Wurzeln liegen.
Sie besitzen eine besondere Magie, die eine große Nähe zur Natur benötigt. Wenn die gestört wird, gibt es nur noch eine Möglichkeit: Sie machen sich auf die Suche ...
Manchmal findet man dann mehr als man je geahnt hat.
Dies hier ist das vierte Buch aus und über Terralt. Nein! Es ist nicht der vierte Band der Terralt - Trilogie, auch wenn es so einige Autoren gibt, die genau das mit einem Augenzwinkern gemacht haben (Auch die Trilogie mit dem ersten Band ‚Per Anhalter durch die Galaxis‘ besteht schließlich aus 5 Bänden). Sie spielt in derselben Welt und zu einer Zeit kurz nach der der Trilogie und so ist es auch durchaus natürlich, dass Personen, die in ihr aufgetaucht sind, jetzt auch auftauchen können. Trotzdem geht es um einen völlig anderen Aspekt dieser magischen Welt. Ich bin auch gespannt darauf, zu erfahren, wer diese Symbiosane sind und mitzuerleben, wo die Reise hingeht. Kommt einfach mit.
Wie bei so vielen Büchern dieses Genres gilt auch hier, dass jede wie auch immer geartete Ähnlichkeit der auftauchenden Personen zu lebenden oder toten Personen rein zufällig ist. Aber nun kommt herein und folgt mir in das ungewöhnliche Leben von ungewöhnlichen Menschen.
00 - Einleitung
Heute ist bewiesen, dass zur Erde auch Parallelwelten existieren, auch wenn nicht bekannt ist, wie viele es sind, oder wie sie beschaffen sind ... und vor allem: Wie man dort hinkommt! Was die Parallelwelt Terralt anbelangt lautet die Antwort: Durch Zufall und ohne Rückfahrschein.
In diesem Buch geht es jedoch nicht um die Menschen, die hier, ohne Spuren zu hinterlassen, verschwinden, sondern um eine Gruppe von Menschen auf dieser Parallelwelt.
Lernt die Gruppe der Symbiosane kennen, deren Wurzeln so weit in die Zeit zurückreichen, dass sich fast nur noch der Planet selbst an die Anfänge erinnert.
Lernt die Sucher kennen, besondere Terraltlerinnen und Terraltler, die neugierig auf die verschiedenen Spielarten des Lebens auf Terralt und so offen gegenüber anderen Kulturen und Arten zu leben sind, dass sie einen kleinen Teil ihres Lebens damit verbringen, nach neuen Erfahrungen und Eindrücken auf die Suche zu gehen.
"Können wir vielleicht mal Pause machen?" Die junge Frau mit den langen schwarzen Zöpfen, die ihr ausdrucksstarkes blasses Gesicht mit den fröhlichen und aufmerksamen Augen umrahmten, sah fast scheu zu ihrem hoch gewachsenen Begleiter hinaus, der im Moment neben ihr ging und eine große Ruhe ausstrahlte. Ansatzweise hatte sie diese Ruhe die beiden eigentlich schon immer erfüllt. Sie war in den letzten beiden Jahren aber sicherlich noch tiefer geworden.
Der junge schlanke, fast schon hagere Mann mit den kurzen wirren dunklen Haaren sah sie erstaunt an und nickte dann, seinen Blick auch weiterhin vorsichtig um sie herum wandern lassend. Seine linke schmale Hand deutete vor ihnen leicht nach rechts in den nicht ganz so dichten Wald, der den breiten Weg zu beiden Seiten säumte. Eine sanfte Kühle umspielte sie, während über dem Wald zum ersten Mal in diesem Jahr sommerliche Hitze auf den Baumkronen lastete. "Da liegt ein umgestürzter Baum ", stelle er ruhig fest und lächelte sie an.
Sie erwiderte das Lächeln und nickte.
Das war einer der Gründe, warum sie nun schon seit etwas über zwei Jahren zusammen unterwegs waren. Viel junge Männer hätten jetzt vielleicht eher darauf hingewiesen, dass sie noch keine Stunde unterwegs waren, seit sie das kleine Erlöserstadt verlassen hatten, oder auch gefordert, das sie doch vielleicht erst noch ein Stück weiterwandern sollten, damit sie auch rechtzeitig an ihrem Ziel ankommen würden. Aber eigentlich wussten sie gar nicht so genau, wo dieses Ziel lag, da beide nur den starken Drang verspürt hatten, aufzubrechen. Doch er sagte einfach: "Da liegt ein umgestürzter Baum ..." Damit überraschte Saláo sie immer noch, obwohl sie doch nun auch schon fast 8 Jahre mehr oder weniger zusammen waren, seid er mit seiner Familie in ihr Dorf Dunkelmoor in der Nähe von Nord-Fischreich oder, wie es auch genannt wurde ‚Friesenhafen‘ gezogen war und sie sich das erste Mal auf der Dorfstraße gesehen hatten.
Er, der zweite von drei Söhnen eines gelehrten Schreibers und weit gereisten Diplomaten, der lange in den östlichen Landen gelebt hatte und sie, Yssaáhn, die zweite von drei Töchtern aus der Familie, in der es schon seit Jahrhunderten viele Generationen von Lehrern unterschiedlichster Art gab, die an Universitäten, öffentlichen Schulen und auch in den Häusern von einflussreichen Menschen deren Kinder unterrichtet hatten. Als sie ihn gesehen hatte, fühlte sie sich sofort zu ihm hingezogen und war sich gleichzeitig nur zu bewusst, wie wenig hübsch sie war und nur aus ungelenken Knochen zu bestehen schien. Sie musste lächeln, als sie an diese Zeit zurückdachte.
Saláo benutzte seinen langen Eichenstab, der ihn um ein gutes Stück überragte und dieselbe polierte Oberfläche wie ihr Erlenstab aufwies, die im Verlauf ihrer Reisen nun auch schon lange nicht mehr so glänzte und sich dafür sehr vertraut anfühlte. Beide Stäbe waren hervorragend dazu geeignet, um auch jetzt vorwitzig hochgewachsene Brennnesseln so auf Seite zu drücken, dass sie ohne Probleme an ihnen vorbei ins Halbdunkel eintauchen konnte und er seiner Partnerin wortlos folgte.
Aber auch wenn sich ihr Stab mittlerweile wirklich vertraut anfühlte, konnte sie es eigentlich immer noch nicht glauben, dass sie wirklich und wahrhaftig 'Sucher' waren, also Menschen, die auf Terralt eine Sonderstellung einnahmen.
Es fing damit an, dass sich in ihrer Jugend ihr magisches Talent nie gezeigt hatte, sie auch beide eigentlich nie wirklich danach suchten, wie ihre Altersgenossen es schon früh taten. Natürlich waren die Traditionen in ihren beiden Familien bei aller Freiheit der Gedanken sehr stark gewesen und hätten ihnen gerne ihr jeweiliges Leben vorherbestimmt, doch beide hatten es geschafft, sich nicht einzäunen zu lassen. Sie hatten sich stattdessen, unabhängig voneinander, für alles und jeden interessiert und hatten schon, solange sie denken konnten, jede Gelegenheit genutzt, Menschen anderer Kultur und anderen Glaubens kennenzulernen. Als dann der örtliche Priester der Christen zusammen mit der Weisen des Alten Glaubens mit den beiden Stäben bei ihren Eltern auftauchten, während beide Familien gerade zusammen aßen, waren ihre Verwandten von erstaunt bis hin zu glattweg entsetzt gewesen. Ihre Verwandten, wohl bemerkt, aber nicht sie selbst. Sie hatten sich nur mit einem Gefühl des Verstehens und Akzeptierens angesehen und die Frage ohne Worte besprochen, bis sie schließlich ganz leicht genickt hatte, wobei ein erleichtertes Lächeln über das Gesicht von Salao huschte und auch er nickte. Dann hatten sie sich stumm an die beiden geistlichen Führer gewandt, die gerade im Kreuzfeuer ihrer beider Elternpaare standen. Sie sprachen nicht, doch beide Vertreter der verschiedenen Religionen blickten den zu ihnen gehörigen Schützling kurz an, während sie sonst andächtig den Argumenten der Erwachsenen lauschten und an den richtigen Stellen ernst nickten.
Irgendwie schien niemand zu bemerken, wie sie so neben die beiden Geistlichen getreten waren. Erst als sie fast synchron eine Hand um einen der Stäbe legten, verstummten ihre Eltern fast schlagartig und starrten sie entgeistert an, während sich die besondere Magie der Wanderstäbe von Suchern manifestierte.
Seit sehr langer Zeit war es das Vorrecht eines Stammes mit mittlerweile gar nicht mehr feststellbaren Wurzeln in tiefster Vergangenheit, diese Stäbe herzustellen und an zumeist überraschte Vertreter der unterschiedlichsten Religionen und religiösen Gemeinschaften auszuliefern. Die Mitglieder dieser Gemeinschaft verehrten auf ihre Art wohl die große Erdmutter so, wie es zum Beispiel auch die Karane taten, doch zusätzlich auch noch eine Art minderer Gottheiten, die sich besonders um bestimmte Aspekte des Seins auf Terralt kümmerten. Was ihr Name 'Symbiosane' nun eigentlich bedeutete, verlor sich, zumindest für alle anderen Terraltler, mittlerweile in den verschlungenen Falten der Zeit. Es war jedenfalls unbestritten eine ihrer Aufgaben, jeden neuen Sucher mit einem passenden Wanderstab auszurüsten. Jeder bezeichnete so einen Stab als Wanderstab, aber das war wahrscheinlich der falscheste Name, auch wenn so ein Wanderstab für lange Wanderungen natürlich durchaus praktisch war.
Die beiden setzten sich auf den Stamm nebeneinander und umfassten beide ihre Stäbe, ohne sich anzuschauen.
Yssaahn holte tief Luft.
„Die Menschen aus Erlöserstadt waren eigentlich auch nicht viel seltsamer oder ungewöhnlicher als so manch andere, denen wir bisher schon begegnet sind“, erklärte Salao und seine leise warme Stimme blieb dabei weit unter den vielfältigen Tönen und Geräuschen um sie herum, die den Wald erfüllten und sie genauso umgaben, wie die leicht feuchte Kühle des Waldes mit den würzigen Gerüchen eines Mischwaldes. Yssaahn sah kurz zu ihm hinüber und nickte dann.
„Da stimmt natürlich“, stimmte sie ihm zögernd zu und dachte an die letzten fast drei Wochen zurück, die sie zuerst bei den Kadanen und ihrer ungewöhnlichen Kirche begonnen hatten, ehe sie dann als Gäste des Heilers in der kleinen Stadt Erlöserstadt gelebt hatten.
„Besonders in Erlöserstadt war aber überall dieser Graben zwischen dem neuen christlichen Glauben und den alten Strukturen immer und überall zu spüren“, gab sie zu bedenken. „Sogar der Heiler war immer sehr freundlich und zuvorkommend, aber eigentlich hat er immer nur das gemacht, was er letztlich machen wollte.“
Salao nickte und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Trotz allem ist er aber immer noch zu zuerst ein hervorragender Heiler und wir haben, glaube ich, beide bei ihm viel gelernt.“
Sein Stab fing mit einem Mal ganz leicht an zu glühen und ein tiefer Ton schien ganz leise von ihm auszugehen. Yssaahn kannte dieses Phänomen eigentlich mittlerweile, doch jedes Mal, wenn es geschah, konnte sie nur verwundert feststellen, wie dieser Ton ihr Innerstes erreichte und irgendwie die Verkrampfung löste. Sie schloss ihre Augen und ließ den Ton auf sich wirken, bis sie die leichte Vibration in ihrem Stab spürte und schließlich auch von dort ein etwas hellerer Ton ausging. Sie atmete tief ein und aus.
„Die Führerin des Dorfes macht ihre Sache schon super und sie ist schon empfindsam genug, dass sie auch mitbekommt, wenn Teile des Dorfes in alte und dumme Verhaltensweisen abzugleiten drohen.“
„Was ist eigentlich so toll daran, wenn man sein Gehirn ausschaltet und das Denken einem machthungrigen und skrupellosen Menschen überlässt?!“, wunderte sich Yssaahn.
„Man kann sich einreden, dass man für nichts von dem, was geschieht, verantwortlich ist“, versuchte Salao eine Erklärung und Yssaahn schüttelte verständnislos den Kopf. „Auch wenn das gewiss nicht unser Denken ist, haben wir das doch immer erlebt, wenn uns unser Weg zu fanatischen Anhängern gebracht hat, an wen oder was die dann auch immer glaubten“, erinnerte er seine Partnerin.
„Dumm!“
„Aber so verlockend einfach.“
Sowohl das Glühen beider Stäbe als auch die beiden zarten Töne waren inzwischen verschwunden.
„Sollen wir jetzt wieder weiterziehen, wohin auch immer uns die Stäbe als Nächstes bringen werden?“ Er sah seine Gefährtin lächelnd von der Seite an und Yssaahn nickte nachdenklich.
„Ist wahrscheinlich besser“, gab sie zu, während sich Salao mithilfe seines Stabes elegant erhob und ihr seine Hand hinstreckte. „Das Gefühl war ja schon absolut eindeutig.“
„Stimmt. So klar ist es selten“, stimmte er zu und bog wieder die Brennnesseln zur Seite, damit sie unbeschadet auf den Weg hinaustreten konnten. Irgendwie freute es ihn, Yssaahn wieder in ihrer gewohnten Kombination aus der leichten und strapazierfähigen langen Hose und dem langen grünen Seidenüberwurf zu sehen, auf dem vorne zwei exotische Vögel ein Nest zu bewachen schienen, das sich etwa auf der Höhe ihres Herzens befand. Der Überwurf war ein Geschenk aus dem Innern des Kontinents der Menschen mit mandelförmigen Augen, das sie ohne die neuen alten Steinkreise wahrscheinlich nie erreicht hätten. Es bewies ganz nebenbei, dass einige der Menschen, die jetzt auf ihrem Kontinent lebten, wie beispielsweise die Karane, ursprünglich einmal ganz weit aus dem Osten kamen. Sie hatten verwitterte Steine gesehen, die eigentlich gar nicht mehr als Teile eines Steinkreises zu erkennen gewesen waren. Seit den Ereignissen rund um die Kinder der Pyramidenprophezeiung vor mehr als zwei Jahren schien sich Terralt immer mehr auf seine eigenen Stärken zu konzentrieren und vieles, was vor lautem Vergessen schon ganz kraftlos geworden war, wurde plötzlich wiederentdeckt und erlangte zumindest einen kleinen Teil seiner alten Größe zurück. Dabei waren es nicht nur die Steinkreise, die sich als Möglichkeit herausgestellt hatten, viel schneller als mit anderen Verkehrsmitteln große Entfernungen zu überbrücken. Es bildeten sich sogar neue Knotenpunkte, die es vorher so noch nie auf Terralt gegeben hatte.
Gerade diese absonderlichen alten magischen Transportmöglichkeiten sorgten jetzt dafür, dass die vielen verschiedenen Kulturen auf Terralt voneinander erfuhren und miteinander Kontakt aufnahmen. Das war gut, auch wenn es nicht immer ohne Reibereien abging. Salao holte eine kleine Holzflöte aus einer Innentasche seines leichten Wollumhanges und fing an, eine kleine Melodie anzustimmen, die er von einer jungen Frau gelernt hatte, die sie oberhalb des Meeres getroffen hatten, dass in Anlehnung an den Namen auf Terra das Schwarze Meer genannt wurde und Yssaahn errötete ein wenig, als sie jetzt wieder daran denken musste, wie eifersüchtig sie auf diese Frau gewesen war, die ihr schließlich nach einem Schlangenbiss auch noch das Leben rettete und sie dann gleichzeitig wegen ihrer Unachtsamkeit heftig ausschimpfte. Yssaahn wäre fast über eine hochstehende Wurzel gestolpert, so intensiv war die Erinnerung und sie lächelte, als sie sich noch auffing. Sie hatten sich gegenseitig angebrüllt und waren schließlich doch, oder gerade deswegen, als tiefe innige Freundinnen auseinandergegangen. Salao hatte dem Austausch nur verständnislos beigewohnt und beide Frauen mussten ihm schließlich sogar noch erklären, dass er selbst letzten Endes der Anlass für die Auseinandersetzung gewesen war.
„Frauen!“, hatte er schließlich nur kopfschüttelnd gemeint.
„Männer!“, hatte Yssaahn entgegnet und Massajahn stirnrunzelnd angesehen, bis beide in lautes Gelächter ausgebrochen waren.
Die Zeit im Winterlager der Tataren war schon etwas ganz besonderes gewesen!
Es dauerte nur wenige Schritte, bis sie wieder in den gemeinsamen Schrittrhythmus fielen, der sich schon nach wenigen Tagen ihrer Wanderschaft zwischen ihnen beiden entwickelt hatte. Aus dies hier war wieder ein Weg, den vor vielen Hundert Jahren die Römer angelegt hatten. Es war schon beeindruckend, wie wenig Aufwand auch heute noch nötig war, um die alten Wege auch nach so langer Zeit noch gut benutzbar zu halten.
Um die Mittagszeit machten sie an einem Bach Halt, der durchaus derselbe sein konnte, dem sie schon vom Dorf der Karane aus bis nach Erlöserstadt gefolgt waren. Yssaahn musste nur ihre Hand flach über das träge dahinfließende Wasser halten, um den immer noch ungewöhnlich hohen Anteil von Blei zu spüren, dem Metall, das für Terraltler um so vieles gefährlicher war als beispielsweise für Terraner.
„Ob wir die Sechs treffen?“, hoffte Yssaahn laut und nahm einen Schluck Wasser von der Seite des glitzernden fließenden Lebenselixiers, wo der Bleianteil fast verschwunden war.
„Was sagt dein Gefühl?“, entgegnete ihr Partner mit einer eigenen Frage und lächelte.
Yssaahn seufzte. „Spielverderber. Du weißt genau, dass die Antwort ungewöhnlich verworren ist.“
„Das heißt dann wohl, dass wir es abwarten müssen“, neckte er weiter.
„Du bist manchmal so was von doof“, stellte Yssaahn nur entrüstet fest, bückte sich bis zum Bach hinunter und spritzte ein Handvoll Wasser in Salaos Richtung.
„Na warte.“ Damit hüpfte der auf die andere Seite des Baches, ließ seinen Wanderstab sicher ins Gras der Böschung fallen und tauchte gleich beide Hände ebenfalls in das klare kalte Wasser. In Sekunden war die herrlichste Wasserschlacht im Gange und weithin scholl das Geschrei der beiden in den Wald hinein. Ein alter Bauer, der fast ein Kilometer entfernt verschlafen auf seinem Kutschbock hing, hob kurz seinen Kopf, schüttelte ihn und seufzte dann, an die Zeit zurückdenkend, als er selbst noch jung und voll überschäumender Kraft war. Leider war diese Zeit nun doch schon länger vorbei und die Geschwindigkeit seines Lebens hatte sich schon sehr verringert und passte nun zu dem starken und langsamen Ochsen, der seinen Wagen zog. Wenigstens blieb ihm ja noch die Erinnerung.
Er tätschelte das Hinterteil des großen braunen Tieres, das kurz innehielt und ihm einen verwunderten Blick zuwarf, ehe es wieder in seinen gemächlichen Tritt verfiel, der beide in einigen Stunden nach Hause bringen würde, während die ohnehin nicht sehr lauten Rufe immer leiser wurden.
Salaos musste mittlerweile so lachen, dass er fast den Halt verlor und doch noch ins eiskalte Wasser gerutscht wäre, wenn er sich nicht im letzten Moment an den Zweigen einer Weide festgehalten hätte, die sich unter seinem Gewicht gefährlich zu Boden senkten, ohne jedoch nachzugeben.
„Du Scheusal!“, empörte sich Yssaahn und benutzte nun auch beide Hände, um Salao nass zu spritzen. „Unbescholtene Mädchen so hinterrücks nass zu spritzen!“
„Komm, lass das Yssa“, bat er. „Wir sind nun beide schon nass genug und wir müssen endlich weiter.“
Er richtete sich dabei lachend wieder auf und warf kurz einen Blick hoch zur Weide, um sicher zu stellen, dass er nicht aus Versehen einige der elastisch herunterhängenden Äste beschädigt hatte. Wie zufällig strich seine linke Hand über die Blätter.
Yssaahn erhob sich grummelnd und wäre dabei ihrerseits fast auf einem nassen moosbewachsenen Stein abgerutscht und ins Wasser gefallen, wenn Salao ihr nicht noch geistesgegenwärtig zu Hilfe gesprungen wäre. Sie sah ihn dankbar an und ihre Augen funkelten dabei immer noch angriffslustig.
„Danke“, meinte sie dann aber und küsste ihn rasch auf den Mund.
„Wenn mein Fuß jetzt nicht so nass und kalt wäre, hätte ich jetzt 'gern geschehen' gesagt“, entgegnete Salao trocken und senkte seinen Blick zu seinem linken Fuß hinunter, der seit der Rettungsaktion seiner Partnerin mitten im eiskalten Wasser des Baches stand und mit seinem plötzlichen Auftauchen besonders einen kleinen Fisch sehr verwirrte.
Yssaahn lachte schallend auf und hielt ihm ihre Hand hin, doch Salao winkte kopfschüttelnd ab und deutete auf seinen Wanderstab, der gar nicht mehr im Gras der Böschung lag, sondern gerade im Begriff war, sich aus eigener Kraft in die Luft zu erheben. Sie verstummte und beide hörten den vertrauten Ton seines Wanderstabes und einen zweiten, nicht minder vertrauten von hinter Yssaahn. Sie fuhr herum und sah, wie sich auch ihr Stab gerade erhob und nun senkrecht aus dem Gras zu wachsen schien. Beide verstummten besorgt und ergriffen ihr jeweiliges Symbol ihrer Sucherschaft. Salao umfasste seinen Stab, der stark vibrierte und sprang leichtfüßig über den Bach zurück zu ihren Bündeln während Yssaahn zu ihrem ging und ihre rechte Hand um das vertraute Holz schloss. Sobald beide Stäbe wieder in den Händen ihrer 'Verbundenen' waren, übten sie einen eindeutigen Zug in eine bestimmte Richtung aus. Beide waren sie nun schon lange genug mit ihren Stäben verbunden, um mehrere Sachen gelernt zu haben. Es fing damit an, dass sowohl Salao und Yssaahn längst begriffen hatten, dass sie ihre magischen Wanderstäbe nicht besaßen. Darüber hinaus hatten sie gelernt, auf die Signale der Stäbe zu achten, die sie schon mehrmals vor Gefahren gewarnt und auch schon häufiger die Richtung und die Geschwindigkeit bestimmt hatten, in denen sie ihnen folgen sollten.
„Wir sollen wohl weiter“, stellte Salao beunruhigt fest und Yssaahn nickte nachdenklich.
„Ja, aber es ist noch nicht so drängend“, stellte sie fest. „Du solltest aber rasch deine Schuhe wechseln, damit du dich nicht erkältest.“
Salao sah sie nachdenklich an und schloss kurz die Augen, seinen Stab horizontal haltend, ehe er nickte und ihn vorsichtig neben seiner Tasche auf den Boden legte und sein zweites Paar Schuhe hervorkramte. Es war schon eigenartig, dass die beiden Stäbe, bis auf die unterschiedliche Größe und das unterschiedliche Holz aus dem sie bestanden, doch schon sehr ähnlich aussahen und beide aus einem fast unbehandelten und nur geschälten Stück Holz zu bestehen schienen. Ihre innere Magie war aber vollständig unterschiedlich. Wenn die beiden Sucher mittels ihrer Magie mit ihnen Kontakt aufnahmen, schwebte Salaos Stab immer horizontal über dem Boden während der von Yssaahn den Boden berührte und sich aufrecht hinstellte. Salao verschnürte die Schuhe und hängte den nassen Schuh von außen an einer Schlaufe an seine Tasche, während der andere wieder in ihr verschwand. Als er sich nach seinem Stab bückte, schüttelte er irritiert den Kopf, während ihn ein Gefühl der Knurrigkeit überrollte, das klar von eben diesem Stab stammte.
„Wir sollten uns beeilen“, bestätigte Yssaahn seine Vermutung und er nickte.
„Wir sollen in Kürze an einem ganz bestimmten Ort sein ...“
„... den unsere Stäbe kennen“, schloss Yssaahn und sie gingen wieder zu dem Weg zurück, den sie vor ihrer kleinen Wasserschlacht verlassen hatten.
Schon nach Kurzem hatten sie wieder ihren Rhythmus gefunden und gingen nebeneinander her, beide einer der beiden Spurrillen folgend, die die Wagen im Laufe der Zeit in den Boden gefräst hatten.
Versuchen wir nun, uns vorsichtig einer Gruppe von Menschen, offensichtlich Jägern, zu nähern, die sich in ihrer augenscheinlich exotischen Kleidung und mit ihren ebenso ungewöhnlichen Waffen wie Schatten durch den Wald bewegen, als wären sie Geister. In diesem Waldgebiet gleich hinter dem Einschnitt in die Hügelkette, die auf Terra von der einen Seite das Vorgebirge und von der anderen Venusberg genannt wird und in die Voreifel übergeht, wirken sie definitiv vollkommen fehl am Platz. Sie sind kleiner als Yssaahn und Salao, haben eine viel dunklere Hautfarbe und nur wenig Kleidung an. Dafür sind besonders ihre Gesichter und leuchtenden Farben gemalt und lassen sie wie Monster mit riesigen Augen und noch riesigeren aufgerissenen Mäulern erscheinen. Bunte Federn von Vögeln, die auch ganz sicher nicht aus diesem Teil der Welt stammen, schmücken sie. Dabei stoßen sie seltsame Laute aus, die wohl an Vögel erinnern, auch wenn es wiederum bestimmt keine Vögel sind, wie sie in diesem Wald üblich sind.
Die Vogellaute werden ein wenig hektischer und zeigen damit, dass sie sich langsam dem Ziel ihrer Jagd nähern: einem riesigen braunen Bären, wie sie noch nie einen erblickt haben und dessen magische Lebenskraft im Sterben ihnen gehören würde, wenn sie sich sein Fell holen, dass ihnen ja als den rechtmäßigen, edlen Jäger einer solch mächtigen Kreatur ohne Zweifel auch zusteht.
Endlich konnten sie sich hier frei bewegen, nachdem sie so lange in den komischen Häusern dieser blassen Menschen verbringen mussten, die sie so lange nicht verstanden hatten, trotz der vereinigenden Sprachmagie, wie sie auf Terralt ja überall herrschte. Ihre Denkweise war so unnormal, dass die richtigen Worte alleine nicht ausreichen konnten. Jantzehl, ihr Anführer, war nun aber trotzdem froh, dass sie auf den Rat ihres Medizinmannes gefolgt waren, und sich mithilfe des Reiseraumes in ihrer heiligen Pyramide auf den Weg gemacht hatten, um die neuen Orte, die sie damit seit Kurzem erreichen konnten, zu erforschen.
Solange man sie nicht mit den wahren Mächtigen der Pyramidenprophezeiung bekannt machte und aufhörte zu behauptete, dass es sich dabei um diese lächerlichen Kinder handelte, waren sie auch nicht gezwungen, sich den unsinnigen Wünschen dieser Menschen unterzuordnen. Dort wo sie herkamen, würden sie noch nicht einmal etwas als Opfer an die Götter taugen! Dafür waren sie viel zu jung und zu wenig Krieger! Die Mädchen könnte man zumindest noch an richtige Krieger verheiraten, damit sie wenigstens ein paar anständige Kinder bekamen.
Groß gewachsen waren sie ja zumindest.
Besonders die Jungen waren aber eindeutig hoffnungslos verweichlicht. Noch schlimmer als der Junge, den sie zusammen mit dem Mädchen aus dem Volk der Tolktehken als Gastgeschenk mitgebracht hatten.
Aber zuerst sollten sie sich jetzt auf das Ziel ihrer Jagd konzentrieren: den gewaltigen Bären, den ihr bester Späher vor Tagen ganz in der Nähe des Kreises von Portbach entdeckt hatte. Seine magischen Kräfte waren bestimmt riesig und würden ihm dem Anführer noch für lange Zeit seine Position als Führer ihres Stammes sichern, wenn er erst einmal das Herz und das Hirn genommen hatte. Jantzehl lauschte kurz auf die Signale seiner edlen Gefährten, löste das kurze Blasrohr aus der Halterung auf seinem Rücken und öffnete vorsichtig einen der Lederbeutel an seinem Gürtel. Mit den darin in ein Leder sicher eingepackten winzigen Pfeilen musste man sehr vorsichtig sein. Das Gift, mit dem die Spitze getränkt war, war nicht nur für ein großes Raubtier schon nach kurzer Zeit absolut tödlich. Auch erfahrene Jäger wie er mussten sich vor seiner Wirkung in acht nehmen. Ein ziemlich schriller Vogellaut drang durch den Wald und ein siegessicherer Ausdruck erschien auf seiner angemalten Fratze. Seine Jäger hatten den Bär gesichtet und ihm einen Pfeil verpasst, der ihn nur etwas benommen machen sollte. Die Ehre des finalen Pfeiles würde natürlich für ihn bleiben. Schließlich war er ihr Anführer!
Er schob den gefiederten Pfeil in das Rohr und folgte dann wieder vorsichtig den vertrauten Vogellauten seiner Kameraden.
Yssaahn und Salao schritten nebeneinander her, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Gerade ihre gemeinsame Zeit als Sucher hatte sie vertrauter miteinander werden lassen, als so manches lange miteinander verheiratete Ehepaar. Gerade mit der wiederentdeckten Möglichkeit, mithilfe der Steinkreise weite Strecken auf Terralt in wenigen Augenblicken zurückzulegen, hatte sie Völker kennenlernen lassen, für die sie sonst viele Jahre benötigt hätten. Ihr Weg hatte sie dabei zu gewaltigen Steppen gebracht, in dichte Waldgebiete, in denen es so heiß und feucht war, dass auch die Natur jeden Tag zu schwitzen schien und sie mit Wasserfluten überschüttete, die nicht das geringste bisschen Abkühlung brachten, bis hin zu gewaltigen Bergen, in denen das Atmen schwerfiel und ein eisiger Wind jedes Kleidungsstück durchdrang. Wohin sie aber auch gelangten, wurden sie immer von Menschen empfangen, die sie sofort als Sucher erkannten und ihnen die Dinge reichten, die sie in der neuen Umgebung zu überleben brauchten.
Es war eine Nebenwirkung der unbeschreiblichen Entwicklungen, die durch die Erfüllung der Pyramidenprophezeiung durch die sechs Kinder in Gang gesetzt worden war und die dazu führte, dass sich nun auch andere heilige Orte an verschiedenen Stellen von Terralt mit einen Mal als Stationen für die Reisen nutzen ließen. Yssaahns Eltern hatten die Gebiete bereist, die auf Terra der Mittlere Osten und das Schwarze Meer hießen, wobei es die Eltern von Salao eher in die Länder rund um das Mittelmeer gezogen hatte, auch in die Gebiete hinter dem magischen Schutzvorhang, der ihren Kontinent von dem trennte, auf dem die Menschen eine viel oder auch sehr viel dunklere Hautfarbe haben.
Sie hatten jedenfalls viel gesehen und erlebt, was den tieferen Sinn von Suchern ausmachte. Sie hatten sehr unterschiedliche Menschen, Kulturen, Nahrungsmittel und auch Glaubensvorstellungen kennengelernt. Nicht alles hatten ihre Mägen vertragen ... auch nicht der von Salao.
Sie kamen rasch voran und nahmen um sich herum eigentlich keinen Hinweis wahr, der ihnen hätte erklären können, warum die Magie ihrer Stöcke sie jetzt eigentlich in diese bestimmte Richtung trieb.
Um sie herum war der Wald erfüllt von all den Gerüchen und Geräuschen, die für diese Gegend typisch waren. Das alleine war aber schon eine Wohltat nach den vielen Monaten, die sie in Gegenden verbracht hatte, wo beides so vollständig fremd gewesen war.
Yssaahn war sehr froh gewesen, als sie der letzte Sprung, der in einem edlen Zelt nördlich des Schwarzen Meeres zwischen fünf sehr alten Steinfiguren gestartet war, dann überraschenderweise zu einem Steinkreis gebracht hatte, wo sie von einem jungen Mädchen mit einer unheimlichen Energie und einem ebensolchen Humor und einer Kreispersönlichkeit empfangen wurden, die wie eine Kriegerin aus grauer Vorzeit mit einer unsagbar schlechten Laune aussah. Sie waren überrascht und sehr erfreut gewesen, als sich herausstellte, dass sie damit unweit der ersten Stadt der Kadane gelandet waren, von der sie bisher nur gerüchtweise gehört hatten. Es war schon beeindruckend gewesen, das Volk der Kadane zum ersten Mal nicht als Bittsteller, sondern als Herren eines Dorfes zu erleben, das sich schon jetzt zu einer kleinen Stadt zu mausern begann.
Yssaahn war so in ihre Gedanken vertieft, dass sie beinahe über eine Wurzel gestolpert wäre, wenn Salao sie nicht noch im letzten Moment am Arm ergriffen hätte.
Sie lächelte ihn kurz dankbar an und er nickte nur, ehe sie ihren Weg wieder aufnahmen. Er wusste ziemlich genau, was in Yssaahn vorging. Auch er war erfüllt mit den verschiedensten Eindrücken und Erfahrungen ... und dem unbestimmten Gefühl, dass sie sich nun langsam dem Ziel ihrer langen Reise näherten.
Wie das aussah und wo es sie hinbringen würde, war ihm aber auch völlig unklar. Sie waren bisher der Route Gottes gefolgt und er hatte ihre Sicht der Welt bereits in grandioser Art verändert und erweitert. Sie würden ihm auch weiterhin folgen und die Stäbe, die sie als Sucher charakterisierten, waren mit ihm genauso eng verbunden wie mit Terralt, der Welt, die sie umgab und in die sie gehörten. Er hatte seinen Stab aber noch nie so drängend erlebt und das begann ihm Sorgen zu machen.
Sie hasteten weiter und machten nur gelegentlich Pause, um etwas zu trinken. Wenn es wenigstens irgendeinen Hinweis gegeben hätte, was nun eigentlich das Ziel ihrer Hetze war.
So ungeduldig hatten die beiden Sucher ihre Sucherstäbe noch nie erlebt. Sogar ihre Pause am Mittag fiel ziemlich kurz aus. Die Kraft der Stäbe hielt sich auch nicht damit auf, sie der uralten und immer noch gut genutzten Straße zu folgen, sondern, als sie einen wenig vertrauensvoll dahinfließenden kleinen schwarzen Wasserlauf passierten, war es eindeutig, dass sie nicht über die ungewöhnlich aussehende Brücke geführt wurden, sondern dem dunklen Wasser folgen sollten. Sie hatten die Brücke schon hinter sich gelassen, als Salao endlich klar wurde, was an der Brücke seltsam gewesen war. Sie sah nicht gemauert aus, sondern schien aus zwei gewaltigen Steinblöcken zu bestehen, die perfekt geformt waren, ohne dass man irgendwelche Bearbeitungsspuren feststellen konnte.
Aber es gab im Moment sowieso keine Möglichkeit, sich darüber Gedanken zu machen. Der Weg war hier noch weitaus unwegsamer. Überall wuchs irgendetwas und streckte ihnen Wurzeln und armdicke Äste in den Weg. Schlimmer waren jedoch die Stellen, an denen kaum etwas zu wachsen schien. Das deutete dann gerne auf unschuldig aussehende Schlammlöcher hin, wie sie die beiden aber noch aus ihrer Heimat kannten. Sie waren am Rande eines großen Moores aufgewachsen und ließen sich nicht so leicht irreführen.
„Hör mal“, meinte Yssa mit einem Mal und Salao blieb einen Moment stehen.
„Kinder“, bestätigte er Yssaahns Beobachtung. Auf ihre mit gerunzelter Stirn gestellte Frage konnte er aber auch nur mit den Schultern zucken.
Wenigstens drängten sie ihre Stäbe jetzt nicht mehr direkt entlang des Baches, sondern gestatteten ihnen, sich durch das dichte Unterholz rechts des trägen dunklen Wassers voranzukämpfen. Die Sinne beider waren zum Zerreißen gespannt, denn die Erfahrungen ihrer langen Wanderschaft zeigte ihnen, dass sie jetzt ganz kurz davor waren, den Grund ihres Hierseins zu erfahren. Eines war sicher. Ihnen würde nicht die Rolle eines Zuschauers zuteilwerden.
Sogar wenn man sich jetzt der Hilfe des Falken hätte bedienen können, der gar nicht so weit entfernt hoch am Himmel kreiste, hätten auch seine schon sehr scharfen Augen nicht ausgereicht, um jede Einzelheit der Geschehnisse wahrzunehmen, die sich nun unaufhaltsam zusammenbraute. Einzig die Gruppe von Kindern, die am Rande des schwarzen Gewässers laut und fröhlich etwas spielte, was von oben wie eine Variante des ewigen Spiels aussah, was man Verstecken nannte und was es wohl in so ziemlich jeder Kultur gab, war klar erkennbar. Man konnte aber sicher sein, ob ihre Eltern mit dem ausgesuchten Platz für ihr Spiel einverstanden wären, wenn sie zufällig vorbeigekommen würden, was aber auch nicht geschah. Vielleicht hätte das noch etwas geändert, aber sicher war das nicht.
Der Falke hätte den gewaltigen Bären, der alles andere als zielstrebig auf die still daliegende Wasserfläche zustrebte, allenfalls indirekt gesehen, weil er wie betrunken durch das dichte Unterholz pflügte und ganz untypisch viel Krach machte. Wir werden es uns sparen, in sein mächtiges und verwirrtes Bewusstsein einzudringen, dass immer mehr mit grausamen Schmerzen und grellen Illusionen überflutet wurde, die eine unbeschreibliche Angst schürten, die jeden Bezug zur Realität längst hinter sich gelassen hatte. Er erinnerte sich auch nicht mehr daran, dass die Bärin ursprünglich losgesprintet war, um die Jäger von ihren beiden Jungbären des letzten Winters wegzulocken, die erst vor wenigen Wochen das erste Mal aus ihrer Höhle gekommen waren. Es war nicht das erste Mal, dass sie diese seltsamen Menschen bemerkte, die sich sehr von denen unterschieden, die aus Portbach stammten.
Auch ihr Gedanke an die Hüterin der Tiere, die sich ihr erst dann nähern würde, wenn sie das Zeichen gab, dass sie durch ihren Mutterinstinkt keine Gefahr mehr war, war schon längst im Nichts verschwunden.
Und dann hatte sie den leichten Stich an ihrem rechten Hinterlauf gespürt und ihre Welt geriet aus den Fugen. Während ihr das Denken immer schwerer fiel, blieb nur noch ein Drang: Sich möglichst weit von ihrer Höhle und damit ihren beiden neuen Lieblingen zu entfernen, damit diese nicht in die Hände dieser seltsam riechenden und noch seltsamer aussehenden Menschen geriet, die ihr nicht länger lächerlich erschienen, sondern in ihrer Bemalung immer bedrohlicher wirkten.
Und dieser Schmerz, der sich anfühlte, als würden alle ihre Gliedmaßen lichterloh brennen.
Es war den Verfolgern aus den mittelamerikanischen Gefilden ein Leichtes, dem gewaltigen Tier zu folgen. Es war nichts Heroisches daran, als ihr Anführer letzten Endes seinen tödlichen Pfeil auf den Bären schoss, der am Hals sein immer noch sehr dichtes Fell durchdrang und sich nur kurz festhakte, ehe er von der stürmischen Bewegung der riesigen Kreatur wieder losgeschüttelt wurde.
Es war jedoch schon zu spät. Die vergiftete Spitze hatte ihr Ziel erreicht.
Als Yssaahn und Salao im Schutz einer Ansammlung großer Kiefern den Ursprung des schmalen schwarzen Baches erreichten, der diesem so trügerisch still daliegenden Teich entsprang, waren sie total überrascht, dass ihre Stäbe sie nicht hinaus in Freie stolpern ließen, sondern innehielten und regungslos in der Luft standen. Der von Yssaahn berührte dabei den Boden genau so selbstverständlich, wie der von Salao in der Luft schwebte.
Sie sahen sich beide an. Die Anspannung hatte sich in keiner Weise verändert. Sie waren wohl nicht wegen der Kinder da, die auf der anderen Seite, vielleicht 20 oder 30 Meter von ihnen entfernt spielten.
Jedenfalls nicht direkt.
Nur was der Grund war, war noch nicht klar.
In diesem Moment erklang erschreckend nah ein fürchterliches Gebrüll reinster Agonie, und zerberstende Äste wurden zu ihrer Linken immer lauter.
„Oh mächtiger Gott“, entfuhr es Salao halblaut und er zerrte an seinem Stab. Was sich da auch immer näherte, durchpflügte gerade den Wald auf der anderen Seite des schwarzen Baches und kam immer näher.
Die Kinder hielten in ihrem Spiel erschrocken inne und blickten in dieselbe Richtung wie die beiden Sucher.
„Jetzt lasst uns endlich etwas tun“, bettelte Yssaahn mit zusammengebissenen Zähnen und zerrte an ihrem Stab. Sie strauchelte, als der sich plötzlich löste. Sie und Salao zögerten nicht lange und machten sich gar nicht erst die Mühe, erst vorsichtig zu klären, ob die Entfernung zur anderen Seite des Baches vielleicht zu breit war, oder ob die andere Seite überhaupt genügend Halt bieten würde. Beide waren mit wenigen Sätzen an einer sanften Uferböschung und sprangen gleichzeitig los.
Beide hörten einen leisen Schrei eines Adlers, der aber noch ziemlich weit weg zu sein schien, und kamen nebeneinander auf der anderen Seite auf, mitten in einem riesigen Busch Brennnessel. Salao strauchelte, aber Yssaahn umpackte seinen Arm und verhinderte einen Fall, ehe sie ihren Stab wie eine Machete vor sich her schwang und sich damit einen Eingang in das Dickicht vor ihnen verschaffte, in dem das Brüllen erneut zu hören war.
Salao folgte seiner Gefährtin durch das Loch, weder auf den Kontakt mit den Brennnesseln, noch den genauso schmerzhaften mit den Brombeerranken achtend, die sich mit seiner Kleidung verhakten und schmerzhafte Striemen auf ihren Armen und Beinen hinterließen. Als er endlich unter den Riesenbäumen ankam, geriet er ins Straucheln, als sein Gehirn eine Welle unfassbaren Schmerzes überrollte, dass von einem gewaltigen Bären ausging, der gut ein Dutzend Meter von ihm entfernt in Richtung auf den See zu torkelte. Er fasste sich aufstöhnend an seinen Kopf, während Yssaahn ihn nun an seinem rechten Arm kurz unter seiner rechten Schulter fasste und mit sich riss, ihren Stab zu Stabilisierung in den Waldboden rammend.
Zu ihrer Rechten schrien jetzt auch die Kinder auf und stoben auseinander. Ein schmerzhafter Schrei erklang, doch die beiden Sucher konnten sich im Moment nicht darum kümmern und versuchten, dem gewaltigen torkelnden Tier zu Weg abzuschneiden.
Trotz seiner gewaltigen Schmerzen war der Bär aber noch immer schneller als die beiden, zumal ihn auch der Ast, der sich in seine linke Seite gebohrt hatte, ehe er abbrach, nicht weiter bremsen konnte. Das Tier walzte laut brüllend an ihnen vorbei und sie konnten nichts weiter machen, als ihm zu folgen.
„Barmherzige Mutter“, entfuhr es Yssaahn, als ihr Blick nach rechts fiel und sie den Grund des Schreies begriff, den sie nur nebenbei wahrgenommen hatte. Ein junges Mädchen war gestolpert und hatte sich ihren rechten Fuß verletzt. Mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund starrte sie auf das riesige Tier, das genau auf sie zu stolperte. Ein anderes blondes Mädchen war bei ihr und versuchte hektisch, den verhakten Fuß freizubekommen.
Plötzlich fiel ein dunkler Schatten auf die beiden Mädchen und die Blonde blickte kurz nach oben, um dann noch hektischer an dem Bein des anderen Mädchens zu zerren, was nur zu noch größeren Schmerzen führte, ohne dass sie ihn frei bekam.
Der Schatten aus der Luft wurde rasch größer, zusammen mit einem markerschütternden Schrei des Raubvogels, der verdächtig nach „NEIN!“ klang und ein riesiger Adler landete einige Meter neben den Mädchen grellgelb leuchtend im Gras und stolperte der Länge nach hin.
Der riesige Bär hielt kurz verwirrt inne, was Yssaahn und Salao die Chance eröffnete, sich zwischen ihn und die beiden Mädchen zu platzieren. Warum beide die noch immer leuchtende Gestalt ignorierten, als wäre sie keine Bedrohung, konnten sie später nicht mehr sagen, aber beide reagierten, ohne groß nachzudenken. Salao stellte sich so hin, dass er das gewaltige Tier direkt ansah, während Yssaahn zu den beiden Mädchen sprang. Salao schrie.
„Lass die Kinder in Ruhe!“
Dabei rammte er seinen Stab, der bereits silbern glitzerte, in den Boden. Das Glitzern breite sich blitzschnell auf ihn aus und mit einem Mal stand nicht nur ein Mensch vor dem Bären, sondern eine ganze Reihe identisch aussehender Salaos, die jeder einen leuchtenden Stab hielten. Dabei waren die Abbilder mindestens zweieinhalb Meter hoch und versperrten dem verwirrten Tier die Sicht auf das schwarze Gewässer und die Menschen. Das Tier brüllte auf, weil sich das Glitzern dieses ‚Zauns‘ wie spitze Messer in seine Augen bohrte. Der Bär erhob sich auf die Hinterbeine, brüllte erneut auf und tapste auf den silbernen Wall zu. So verwirrt und rasend vor Schmerzen er auch war, schreckte er dann doch vor dem Hindernis zurück. Er schwang nur eine der gewaltigen Pranken mit deutlich sichtbar ausgefahrenen Krallen und schwang sie von oben nach unten an der Mauer entlang. Er ritzte dabei vier Finger von Salaos Hand, der vor Schmerz die Luft einsog, den Griff aber nicht lockerte. Benommen schüttelte sich die so aufgerichtet gut zwei Meter hohe Gestalt des Bären, wandte sich ab und fiel wieder auf alle Viere zurück, um dann ganz zu Boden zu sinken und einen gequälten Laut auszustoßen, der den Kindern und den Suchern direkt ins Herz stach. Es folgte ein stoßhafter Atem, ehe das Tier regungslos liegen blieb und sich nicht mehr rührte. Im gleichen Moment ertönte von allen Seiten aus dem Wald ein triumphales Geheul und erschreckend aussehende menschliche Gestalten brachen hervor, allen voran ein bunt bemaltes Etwas mit bunten Federn auf seinem Kopf und leuchtenden Augen, in denen im Moment nur wenig Menschliches zu sehen war.
Das grellgelbe Leuchten flammte erneut auf und ein fürchterliches Brüllen ertönte, während eine gewaltige Gestalt mit pink-schwarzen Streifen mit Leichtigkeit über die Phalanx der silbernen Stäbe sprang und zwischen Salao und dem Bären den Boden berührte und erneut gelb aufleuchtete. Dieses Mal war das „NEIN!“ deutlich zu hören und eine Welle der Macht ging von der Gestalt aus und ließ Salao vor Schmerz und Überraschung kurz wanken, ehe er sich dann aber wieder fing. Warum er sich die ganze Zeit sicher war, dass der Bär nicht an ihm vorbeigekommen wäre, konnte Salao nicht sagen, aber er war auf geheimnisvolle Art und Weise mit dem Boden tief verwurzelt und seine Abbilder reichten auf beiden Seiten bis zu je einer riesigen alten Eiche. Zusammen mit ihm und seinem Stab bildeten sie eine Barriere.
Yssaahn war bei den Mädchen angelangt und hatte den Fuß der Gefallenen mit den dunkelblonden Streifen in ihren mittelbraunen Haaren gelöst, indem sie mit ihrem Stab die Wurzel berührte, die plötzlich wegzuschmelzen schien und den unnatürlich verdrehten Fuß freigab.
Von ihnen aus gesehen hinter der silbernen Barriere erlosch das gelbe Leuchten und der riesige Säbelzahntiger, der die Barriere so mühelos überwunden hatte, verwandelte sich in ein Mädchen von vielleicht 14 oder 15 Jahren in einem von Wut und Schmerz verzerrtem Gesicht, auf dem die Tränen herunterliefen. Sie hatte ihre Hände erhoben. Beide leuchteten gelb auf und sie klatschte sie über dem Kopf zusammen. Eine gewaltige Druckwelle breitete sich von ihr aus und schleuderte die bunten Gestalten nach hinten, wobei alle Waffen, welcher Art auch immer, zerbarsten und dabei auch die eine oder andere Verletzung anrichteten.
„Ich seid wirklich das Hinterletzte!“ schrie sie voller Verachtung in den Wald, ehe sie sich heulend auf das Bärenmonster warf, das reglos auf dem Boden lag. Sofort umgab beide ein helles metallisch gelbes Leuchten, das aber leider zu spät kommen würde. Salao seufzte und starrte in den Wald vor sich, in dem diese seltsamen Menschen, die anders aussahen, als alle, die er je gesehen hatte, sich langsam wieder aufrappelten und sich um den besonders bunten zu sammeln schienen.
„NEIN! WARUM SIE?!“
Der Schrei des Mädchens war so gewaltig, dass sich auch Salao mit beiden Händen an den Kopf fasste und dabei die Verbindung mit den beiden Bäumen verlor. Dabei erloschen sowohl die Reihe der silbernen Stäbe als auch die der silbernen Salaos und es gab nur noch einen Salao, der sich seinen Sucherstab unter den Arm klemmte und seine blutenden Finger untersuchte. Der Schrei war dabei bei Weitem nicht nur durch seine Ohren gebrochen. Er schien gleichermaßen in seinem Gehirn zu explodieren. Während er noch darüber nachdachte, wie weit er wohl zu 'hören' gewesen war, erschienen gleichzeitig um das schrecklich heulende Mädchen herum fünf weitere Personen, die alle in Kampfhaltung mit gezückten Waffen, irgendwelchen langen Stäben, nach außen blickten. Hätte er noch einen weiteren Hinweis benötigt, wären es die verschiedenen Farben gewesen, die jede der Personen einen Moment lang umgab, ehe sie erloschen. Damit war auch klar, wer das Mädchen war, das heulend sein Gesicht in dem zerzausten Fell des Bären verbarg. Das war genauso sicher die Hüterin der Tiere mit ihrer gelben Magie, wie die beiden anderen jungen Frauen ihre Schwestern und die drei jungen Männer die Meister der Elemente waren. Salao schluckte. Es war schon etwas anderes, einer Legende zu begegnen, als von ihr nur zu hören. Die Älteste der drei, die bei ihrer Ankunft zufällig in seine Richtung und damit in die des verletzten Mädchens geblickt hatte, verschwand und hockte plötzlich neben Yssaahn, die sich gewaltig erschrak.
„Kommst du hier klar?“ erkundigte sich die junge Frau und ein Frösteln lief Yssaahn über ihre zerkratzten Arme, als sie die magische Kraft fast körperlich spürte. Und dann hieß es auch noch, die 6 Kinder hätten einen Großteil der Macht, die sie für die Entscheidung über Terralt benötigten, danach verloren!
Sie beugte sich jetzt vor, lächelte das Mädchen mit dem gebrochenen Fußgelenk an und hielt ihre Hand über das entsprechende Gelenk. „Hallo Mel. Das ist ja wohl ein eindeutiger Fall von 'zur falschen Zeit am falschen Ort ‘“, plauderte sie los und ihre Hand und das Gelenk des Mädchens leuchteten sanftrot auf. Yssaahn sah, wie sich der Fuß wieder in die richtige Stellung brachte und der Splitterbruch, der sich unter der Haut deutlich abgezeichnet hatte, verschwand. Sie blickte kurz zu Yssaahn hoch. „Entschuldige, aber im Moment bin ich da wohl doch schneller.“
Yssaahn sollte sich irgendwann wieder an diesen Satz erinnern, ohne ihn in diesem Moment auch nur ansatzweise zu verstehen.
Die junge Frau hob plötzlich ihren Kopf und schien zu lauschen, ehe sie sich in einer fließenden Bewegung erhob.
„Entschuldigt“, meinte sie im Weggehen und nickte ihnen noch einmal kurz zu. „Ich glaube, wir müssen jetzt Recht sprechen.“ Damit verschwand sie mitten im Schritt und kniete dann plötzlich neben ihrer haltlos weinen Schwester.
Ganz nebenbei war über ihren Köpfen ein Wasserstrahl aus dem See genau auf die Gruppe der erfolgreichen Jäger zugeschossen und hatte sich als plötzlich undurchdringliche riesige Kugel um sie gelegt. Beide der neu angekommenen Mädchen versuchten das jüngste Mädchen zu trösten, was aber nicht richtig gelang.
„WARUM? Warum haben sie sie getötet? Sie hat ihnen doch gar nichts getan!“
„Ich weiß es auch nicht genau“, versuchte die Älteste zu erklären. „Wenn ich 'unser Geschenk' Sardu richtig verstanden habe, töten sie starke wilde Tiere gerne, um so an ihre Lebenskraft zu kommen, wie immer das auch gehen soll!“
„Aber sie ist doch eine Mutter! Sie hat doch zwei Kinder!“
„Ich glaube, dass ihnen das egal ist“, meinte jetzt die dritte schlanke junge Frau mit den langen dunklen Haaren.
Dabei schienen die, um die es ging, in ihrer Wasserblase lautstark zu wüten, ohne dass man etwas hörte und ohne dass die Mädchen und die drei Jungen sie auch nur eines Blickes würdigten.
„Sie sollen verschwinden“, bestimmte die Hüterin der Tiere und warf ihnen einen hasserfüllten Blick hinüber. „Sie sollen wieder dahin zurückgehen, wo sie hergekommen sind.“
„Taraz meint, wir müssten sie nur zu ihr schicken und sie würde sie dann gleich in ihre Pyramide in den mittelamerikanischen Urwald senden, wo sie hergekommen sind.“
„Und sie kommen dann sicher nie wieder?“, schniefte das Mädchen und streichelte noch immer den Kopf der Bärin. Sie wirkte mit einem Mal sehr jung und verletzlich.
„Dafür werden die Persönlichkeiten der Steinkreise schon sorgen“, meinte der junge, sehr schlanke Mann und ließ die Wasserkugel etwas schrumpfen, damit die darin Gefangenen nicht mehr so herumtobten. „Sie können ab jetzt noch zwischen den verschiedenen Pyramiden in dem Teil, den ihr auf Terra wohl Mittelamerika nennt, hin und herspringen, aber das wird es dann auch gewesen sein.“
Das Mädchen mit den dunklen Haaren in dem dunkelgelben Umhang nickte und umarmte die Bärin noch einmal. „Ich werde mich um deine Kinder kümmern. Ich habe noch Verbindung zu deinen anderen Kindern und da gibt es eine, die in diesem Winter keine Kinder bekommen hat.“
„Kannst du die so halten?“, erkundigte sich der rothaariger junger Mann bei dem grinsenden schlanken Mann, der der Meister des Wasser sein musste.
„Kein Problem, wieso?“
„Dann hebe sie etwas an. Das macht den Transport einfacher.“
Der schlanke Mann nickte und die heroischen Jäger aus einem der größten Königreiche in Mittelamerika stiegen etwas an und kugelten dann im Innern der Sphäre herum, während sie immer noch wild gestikulierten, was aber niemanden groß zu interessieren schien.
Als sie in einem Meter Höhe schwebten, meinte der dritte dunkelhaarige Junge nur: „Jetzt.“
Damit war die Wasserkugel plötzlich leer und löste sich in einen heftigen Schwall Wasser auf, der sich über den Waldboden ergoss.
Die Jungen blickten noch kurz zu den beiden Suchern und beiden Mädchen hinüber und nickten ihnen zu, während von der anderen Seite des Sees her viele Stimmen erklangen. Die anderen Kinder hatten offensichtlich Erwachsene geholt.
„Entschuldigt, aber es wird da garantiert in Kürze noch ein paar dieser blöden Sitzungen geben und eure Eltern sind ja auch schon da“, stellte der rothaarige Junge lächelnd fest. Dann sah er kurz Salao und dann Yssaahn an. „Es wäre schön, wenn wir uns beim nächsten Mal unter angenehmeren Verhältnissen treffen.“
Damit nickte er ihnen zu und zwei der drei Jungen verschwanden, gefolgt von den beiden Mädchen. Nur die Hüterin der Tiere und der rothaarige Junge blieben zurück. Der rechte Arm beider glühte auf und sie sahen sich wortlos an, bis der Rothaarige schließlich nickte. Dann glühte die Hüterin der Tiere erneut gelb und verwandelte sich in eine pinke Bärin, schrie ihren Schmerz in den Himmel hinauf und der Leichnam der Bärin verschwand unter einem goldenen Leuchten, während der Boden merklich vibrierte. Sie verwandelte sich wieder zurück in einen sehr traurigen Menschen und wartete ab. Es dauerte einige Minuten, ehe die Vibration nicht mehr zu spüren war und sich der goldene Schimmer verzog. Die Hüterin starrte auf die Gestalt am Boden und Tränen liefen über ihre Wangen. Der rothaarige junge Mann trat zu ihr und umarmte sie.
„Es tut mir leid, Vanessa. Besser bekomme ich es nicht hin.“
„Das ist schon gut so, Ian. Ich wollte nur nicht, dass sie einfach hier liegen bleibt, auch wenn ich ja schon einige der Aasfresser kenne“, meinte die Hüterin und wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht. „Und ich finde, dass sie aussieht, als würde sie nur Schlafen.“
Sie strich vorsichtig über die Oberfläche der Gestalt und nickte, ehe sie sich erhob und fast verschämt zu den Mädchen und den beiden Suchern herüberblickte.
„Es tut mir Leid, dass ihr das mit ansehen musstet“, meinte sie leise und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Diese Bärin war eine der wertvollsten Geschöpfe, die ich bisher kennengelernt habe und es ist wirklich eine Schande, dass sie so enden musste.“
Sie seufzte.
„Jetzt ist sie eine Figur aus Stein und wird für immer hier bleiben und schlafen.“
„Wir sollten jetzt zurück zum Kreis“, meinte der Rothaarige sanft und legte seinen Arm um ihre Schultern. „Der Gildemeister der Magie will genau wissen, was passiert ist.“
Vanessa nickte gedankenverloren, lächelte die 4 noch einmal an und beide waren mit einem Mal verschwunden.
„Was haben denn die Hüterin der Tiere und der Meister der Erde da gemacht?“, erkundigte sich plötzlich eine sanfte Stimme hinter ihnen und Yssaahn und Salao blickten erstaunt in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war.
Eine Frau von Mitte 40 mit einem dunkelgrauen Wuschelkopf sah sie freundlich an und trat nun aus der Gruppe von 6 Erwachsenen und mindestens genauso vielen Kindern hervor und kam auf sie zu. Zum Erstaunen der beiden Sucher umarmte sie erst Salao und dann Yssaahn herzlich.
„Ich danke euch von Herzen“, meinte sie dabei. „als wir ankamen, waren wir auf der falschen Seite des Sees. So konnten wir wohl alles mit ansehen, aber leider nichts tun.“ Als sie die Umarmung beendet hatte, trat sie einen Schritt zurück und verbeugte sich.
„Ihr habt euch, ohne zu zögern, dem Bären in den Weg gestellt und dafür danke nicht nur ich euch von Herzen“, meinte die Frau und lächelte sie an, während die beiden immer noch ziemlich verstörten Mädchen auf zwei Erwachsene zugingen und dort mit offenen Armen empfangen wurde. Zumindest traf dies auf eines der beiden Mädchen zu, während die Blonde etwas unsicher dastand, bis die Frau, die die Sucher umarmt hatte, ihr die Hand auf ihre Schulter legte und zu sich zog.
„Außerdem war es eine Freude, endlich einmal mit eigenen Augen sehen zu können, wozu die Sucherstäbe, die wir schon seit vielen vielen Jahrhunderten formen, in der Lage sind.“ Sie nickte den Beiden zu. „Bitte kommt mit in unser Dorf. Es ist schon lange her, dass Sucher ihren Weg zu uns Symbiosane gefunden haben.“
Ihr Lächeln verstärkte sich, als sie die erstaunten Gesichtsausdrücke von Yssaahn und Salao sah und nickte bestätigend.
„Wir sind Symbiosane und es ist sehr wahrscheinlich, dass eure Stäbe beide aus unserem Dorf kamen“, erklärte sie und wandte sich dann zum Gehen. „Aber das wird sich klären, wenn wir in Bleibe ankommen. So nennen wir unser kleines Dorf.“
Yssaahn und Salao sahen sich verwundert an und Salao zuckte schließlich nur mit den Schultern und deutete in Richtung der kleinen bunt gemischen Gruppe, wo sie besonders von den Kindern neugierig gemustert wurden.
Yssaahn warf noch einen letzten Blick auf die reglose Gestalt und schüttelte den Kopf. Die Figur sah wirklich aus, als wäre sie aus Stein oder aus einer Art Metall. Der Meister der Erde. Er hatte die tote Bärin wirklich in etwas verwandelt, was für niemanden eine Trophäe sein konnte und was, schon wegen seines wahrscheinlich ziemlich gewaltigen Gewichts noch für lange Zeit genau an dieser Stelle liegen bleiben würde.
Sie spürte, wie Salaos Hand sie berührte und sah ihn an, ehe ihr Blick sich der Gruppe von Menschen zuwandte, denen sie jetzt folgen würden, zumal sowohl sie als auch ihr Partner den ganz leichten Zug in ihrem Sucherstab spürte, der sie bat, diesen Menschen zu folgen.
Einer Gruppe der geheimnisvollen, fast unbekannten und verlachten Symbiosane, die es auf Terralt schon sehr sehr lange gab. Fast genauso alt waren die Gerüchte und die spöttischen Bemerkungen, die in dem Spruch „Feige wie ein Symbiosane“ gipfelten.
Warum hatten ihre Stäbe sie gerade hier hingeführt? Sie würden es noch erfahren. Bisher hatten sie ihnen viele Erfahrungen und Freunde beschert, die ihr Leben auf jede nur mögliche Art erweitert und bereichert hatten. Warum sollte es jetzt anders sein?!
Sie nahm die Hand von Salao, die er ihr hinhielt, an und Salao konnte einen Schmerzlaut nicht verbergen. Sofort sah sich Yssaahn seine Finger an und rief der Gruppe, die schon zwischen den Bäumen zu verschwinden drohten, zu, dass sie sich noch um ihren Partner kümmern müsste. Die Frau mit den sanften sprechenden Augen kam sofort zurück und half Yssaahn dabei, Salaos Wunden zu säubern, ehe sie aus ihrer Umhängetasche einen kleinen Tiegel mit einer Salbe und ein Stück Stoff entnahm und die Wunden verband. Gemeinsam folgten sie der seltsamen Gruppe tiefer in den Wald hinein, weg von dem schwarzen See und der steinernen Figur einer Bärin, die hier auf ewig schlafen würde.
01.5 – Für alle, die Terralt noch nicht kennen
Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um noch ein kleines Kapitel einzuflechten, ehe einige Nebenfiguren auftauchen, die einmal Hauptfiguren waren, und zwar in der Trilogie der drei Hüterinnen von Terralt und der Pyramidenprophezeiung, die vor drei Jahren mit dem ungewollten Übertritt dieser drei Mädchen und ihrer Mutter von Terra nach Terralt begann und schließlich in einem Kampf gegen das Böse und noch viel mehr gipfelte. Mit der Begleitung ihrer Geschichte hat die Arbeit des Chronisten von Portbach auf Terralt angefangen und für die unter euch, die sie bisher noch nicht gelesen haben, ist zumindest eine grobe Einordnung dieser Figuren an dieser Stelle notwendig.
Eigentlich ist dieses Buch über die entscheidenden Vorkommnisse und Entwicklungen der Symbiosane in sich abgeschlossen und unabhängig von den zeitlich vorher liegenden spannenden Entwicklungen auf unserer Schwesterwelt Terralt.
Man muss auch nicht wissen, dass unsere Welt, also Terra, Teil einer Gruppe von vormals 6 und heute noch 5 Welten ist, die durch Tore (also Portale) miteinander verbunden ist. Dabei sind die Portale von Terra und Terralt die ungewöhnlichsten, da sie nur von Terra nach Terralt zu durchqueren sind. Auf der Erde kennt man die Menschen, die sie durchschreiten nur als die, die ohne eine Spur verschwunden sind.
Trotzdem ist es ein Fakt, dass gerade der Ort und die Zeit auf Terralt erst den Anlass liefern, der zu der Suche eines neuen Lebensraumes führt und damit auch eine Folge der Entwicklungen darstellt, wie sie die drei Mädchen und deren Mutter von Terra ausgelöst haben, zu denen dann noch drei Jungen von Terralt stießen.
Die ersten, die die Hüterinnen genannt werden und die letzten, die zu den Meistern wurden sind alle 6 fest und tief in den magischen Energien von Terralt verwurzelt, haben zusammen die Pyramidenprophezeiung erfüllt und den Weg in die Zukunft des Planeten bestimmt, indem sie den Weg geebnet haben, auf dem die jungen Menschen des Planeten die Richtung in die Zukunft bestimmt haben.
Auch nach dieser Entscheidung gehören die Mädchen und Jungen noch zu den mächtigsten Menschen des Planeten und haben auch weiterhin die Möglichkeit und Pflicht, mit diesen Fähigkeiten zu helfen, sei es den Bewohnern des Planeten (Mensch, Tier und Pflanze), als auch dem Kräften der Natur.
Ihr Lebensmittelpunkt bleibt in Portbach, was auf Terralt ziemlich genau an derselben Stelle zu finden ist, wie auf Terra die Stadt Bonn mit seinen Stadtvierteln.
Dieser neue Ort der Macht verändert aber auch die Umgebung um Portbach und rückt damit die kleine Gruppe der Symbiosane in den Fokus des Chronisten.
Esther (die Hüterin der Menschen), Janessa (die Hüterin der Pflanzen und Bäume), sowie Vanessa (die Hüterin der Tiere) tauchen auch jetzt noch genauso auf wie die Meister der Erde, des Wassers und der Luft (Ian, Pascal und Ipharim) , die auch jetzt noch wichtige Aufgaben zu erfüllen haben und ihre Wege kreuzen sich mit denen der Symbiosane.
Eigentlich scheinen diese Symbiosane dabei nur eine Randnotiz am Lebensblock der Geschichte der Welt von Terralt zu sein ... eigentlich
Yssa und besonders Salao waren froh, dass sich die kleine Gruppe schon wegen der kleineren Kinder recht langsam durch den Wald bewegte. Neben der Verletzung von Salao waren beide auch ziemlich kaputt. Schließlich waren beide das letzte Stück durch sehr unwegsames Gelände gerannt und das Wirken von Magie forderte von dem, der sie vollbrachte, auch immer ihren Tribut. Auch das traf wieder in besonderem Maße Salao. Yssa reichte ihm mehrmals die Wasserflasche.
„Ich komme mir fast vor wie ein alter Opa“, meinte er schließlich ein wenig gereizt und nickte in Richtung seines Sucherstabes. „Wenigstens gut, dass wir die Stäbe überhaupt haben.“ Er sah auf seinen und runzelte etwas die Stirn. „Auch wenn mich das Vibrieren jetzt ein wenig irritiert.“
Yssa sah ihn mit großen Augen an und hielt ihren Stab einfach nur fest. Es stimmte. Auch ihrer war ganz leicht am Vibrieren. So leicht, dass es bestimmt keine Nachricht an sie beiden war.
„Gibt es ein Problem?“, fragte die dunkelhaarige Frau mit den sanften Gesichtszügen und der genauso sanften Stimme und wandte sich an der Stelle, wo ein wohl schon häufiger befahrener Weg ihren Trampelpfad vom Sumpfsee querte, mit sorgenvoll gerunzelter Stirn an sie.
Yssa lächelte sie an und schüttelte den Kopf. Von dieser Frau ging eine ungewöhnliche und sehr starke sanfte Kraft aus und sie wurde ihr immer sympathischer, je länger sie in ihrer Nähe waren.
„Nein es geht schon. Irgendwie benehmen sich unsere Stäbe auf einmal ein wenig seltsam.“
Sie war sich schon im Klaren darüber, dass das ein wenig seltsam klang, aber sie hatte einfach das Gefühl, das sie der Frau die Wahrheit sagen konnte und sollte. Als diese jetzt kurz auflachte, überraschte sie diese Reaktion aber doch schon.
„Das kann durchaus sein“, erklärte sie grinsend und sah zu den Stöcken ohne sie zu berühren. „Wenn ich ihre Aura richtig deute, erkennen sie, dass sie sich dem Platz nähern, an dem sie entstanden sind. Da braucht ihr euch aber bestimmt keine Sorgen zu machen.“ Damit wandte sie sich einem etwa fünfjährigen Mädchen zu, was ihr aufgeregt etwas zuflüsterte. Es schien eine Schwester des Mädchens zu sein, das Yssa vor dem wahnsinnigen Bären gerettet hatte und dass mit einem anderen etwa gleichaltrigen Mädchen um die Gruppe herum durch den Wald lief, als wäre ihr Knöchel nie gebrochen gewesen. Jetzt wo sie die 6 einmal erlebt hatten, wurde ihr erst bewusst, wie gewaltig die Magie war, über die diese Jugendlichen verfügten. Und wie nebenbei die Hüterin der Menschen das Mädchen geheilt hatte!
Yssaahns Nackenhaare schienen sich aufzustellen und sie blickte in das Unterholz zu ihrer Rechten. Sie hatte das Gefühl, beobachtet zu werden, und ihr Blick kreuzte sich mit dem einer Frau von Anfang bis Mitte 20 in einem sehr altertümlich wirkenden Gewand aus Leder und einem Bogen auf ihrem Rücken. Sie stand so gut verborgen und regungslos im Unterholz, dass es schon alleine deswegen eigentlich gar nicht verständlich war, dass Yssa sie überhaupt wahrgenommen hatte. Sogar auf die Entfernung schienen die Augen sie abschätzend zu durchbohren. Gleichzeitig strahlte die schmale Gestalt eine fast greifbare Traurigkeit aus. Sie fasste blind nach Salao, der zu ihr hinübersah.
„Was ist Yssa?“
„Da im Unterholz ...“
„Wo?“ Salao folgte ihrem Blick. „Ich kann nichts sehen.“