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Terralt - Die Pyramidenprophezeiung Dies ist der dritte Band der Trilogie über unsere Parallelwelt Terralt und eine uralte Prophezeiung. Die 3 Hüterinnen, geboren auf Terra, und die 3 Meister von Terralt sind gewachsen und das nicht nur, was die Größe anbelangt. Sie haben ihre Fähigkeiten ebenso erweitert wie ihren Freundeskreis und das geht auch so weiter, bis ... Bei aller Genauigkeit der Angaben in der Prophezeiung ist gar nicht klar, worum es geht. Nur eines ergibt sich aus der Erfahrung: Prophezeiung bedeutet: lebensbedrohliche Entwicklungen, wichtige Entscheidungen und Gefahren, die das Leben kosten oder auch zu großem Ruhm führen können. Worum geht es jetzt eigentlich bei der Pyramidenprophezeiung? Wohin senkt sich die Waagschale: Tod oder Ruhm? Nur eines ergibt sich mit Sicherheit aus dem Text der Prophezeiung: die Kinder müssen gewaltig über sich selbst hinaus wachsen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Werden sie es schaffen?
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Dirk Richter
Terralt - Band 3 - Die Pyramidenprophezeiung
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- gekürzte Vorschau -
Inhaltsverzeichnis
Titel
00 Einleitung
01 Zeit der Ruhe
02 Der Steinkreis von Tirnan Arrachal
Impressum tolino
Bonn, den 19.07.2015
Dies hier ist der dritte Band der Trilogie über Terralt.
Hier ist jetzt der Hinweis angebracht, dass ich den Inhalt der ersten beide Bände nicht zusammenfassen kann und werde. Es sei nur erwähnt, dass der erste Band damit begann, dass eine Mutter mit ihren drei Mädchen auf der Erde, also Terra, in der Nähe von Bonn verschwand und nur ein nicht mehr fahrbares Auto zurückblieb. Sie landeten auf der am nächsten gelegenen Parallelwelt Terralt, also Terra Alterna. Es ist die einzige Welt, die für normale Menschen zu erreichen ist und das durch Portale, die man weder sehen noch deren Auftauchen man vorhersehen kann. Man geht und endet plötzlich auf der Parallelwelt, die üppig grün und sehr ähnlich zu unserer ist, bis vielleicht auf die viel geringere Anzahl von Menschen, das Fehlen eines Großteils der Technik, da gewollte Explosionen nicht funktionieren, und der Anwesenheit von naturnaher Magie, die jedem gegeben, aber nicht von jedem genutzt werden kann.
Es stellt sich heraus, dass die vier nicht ohne Grund nach Terralt kommen, aber das merken sie erst später. Die Mädchen sind Teil einer uralten Prophezeiung, zu der auch noch drei Jungen gehören. Das Leben wird abenteuerlich und chaotisch und strebt auf ein Ziel zu, dass die 6 erst in diesem Band erfahren werden.
Begleitet sie doch einfach und erlebt selbst, was sie erleben.
Auch dann werdet Ihr bestimmt beim Lesen viel Spaß haben ... manches wird dann aber leider unverständlich und seltsam wirken. Terralt ist schließlich doch ... anders als Terra.
„Warte, Grace“, bot sich der rothaarige Ian an, der gerade die Haustür des Zweithauses zum Wintergarten hin durchschritten hatte und öffnete ihr die äußere Tür. „Du willst doch bestimmt herein.“
Grace nickte ihm dankbar zu. Sie stand mit einem Tablett vor dieser äußeren Tür und hatte sich schon überlegt, wie sie beide Türen aufbekam, ohne die beiden Tontassen und die anderen Teile auf dem Tablett dabei in Gefahr zu bringen. „Danke, Ian. Ich wollte WiseGuy mit frischem Kaffee überraschen und habe ihn daher in der Mühle aufgegossen.“
„Deshalb war also heute Morgen dieser Bote vom Gildenmeister der Magie da“, begriff Ian und schüttelte den Kopf, sein Gesicht verziehend. „Ich kann ja wirklich nicht verstehen, was er an diesem bitteren Getränk findet. Und dass sogar Eva, die sonst immer darauf achtet, nur gute Lebensmittel zu verwenden, so vernarrt in diese Brühe ist ...“ er schüttelte den Kopf. „Ich verstehe es nicht.“
Grace lachte fröhlich und glitt grazil am Meister der Erde vorbei, als der ihr auch noch die innere Haustür öffnete. „Das wird wohl eine Sache sein, an der ihr hier auf Terralt ganz leicht diejenigen ausmachen könnt, die von Terra stammen“, erklärte sie. „Es gibt sehr viele Sachen, auf die ich hier gerne verzichte, aber das mit dem Kaffee verstehe ich schon sehr gut.“
Der unscheinbare Junge, dem man sein gewaltiges magisches Talent für alles was die Erde ausmachte, nun wirklich nicht ansah, zuckte nur mit den Achseln und wandte sich wieder zum Gehen. „Das sah übrigens super aus, wie du gestern Morgen Lecado gezwungen hast, ihr magisches Talent wirklich mal voll zu benutzen.“
Grace sah ihn nur fragend an, während sie das Tablett vorsichtig auf dem kleinen runden Tisch abstellte und erst einmal ihren dicken Überwurf abnahm. Es hatte nun endlich einmal aufgehört zu schneien, aber von Frühling war jetzt Mitte März trotzdem noch nicht viel zu spüren.
„Du ahnst gar nicht, wie oft wir Lecado darauf hingewiesen haben, dass sie, obwohl sie ein Mitglied der Gilde der Assassinen ist, ein ziemlich ungewöhnliches magisches Talent besitzt. Seit Du hier bist, kann sie das endlich nicht mehr bestreiten. Ohne ihr Talent, Angriffe schon zu spüren, ehe sie wirklich erfolgen, hätte sie gar keine Chance, gegen deine magische Geschwindigkeit zu bestehen.“
„Es freut mich, dass ich wenigstens zu etwas zu gebrauchen bin“, entgegnete Grace und ein Schatten huschte über ihr Gesicht.
Ian kam spontan auf sie zu und umarmte sie. „Du weißt ganz genau, dass wir dich noch wegen weit mehr Dingen lieben.“
„Ach, du liebst mich?“ neckte sie ihn und Ians Gesicht nahm fast die Farbe seiner Haare an und er ließ sie rasch wieder los. „Ob das Rebecca und Lynn auch so gut finden ...“
„Du weißt genau, wie ich das meine“, beschwerte er sich und Grace nickte ihm ernst zu.
„Ja. Und ich danke dir auch dafür.“ Sie sah ihn nachdenklich an. „Ohne dich und die anderen wäre ich wahrscheinlich immer noch in dem Loch.“ Damit spielte sie auf die Bleimine an, in der sie, zusammen mit fast 20 Kindern aus Terralt, festgehalten worden war, gleich nachdem sie durch eines der wenigen Portale zwischen Terra und Terralt nach Terralt geraten war. Da sie nicht von Terralt stammte und ihr Körper kaum der Magie ausgesetzt worden war, ehe man sie in die Bleimine brachte, hätte sie wahrscheinlich noch Jahre ausgehalten, während um sie herum die entführten und verkauften Kinder einer nach dem anderen gestorben wären, aber auf Dauer hätte auch ihr Körper versagt. Blei war für alle Terraltler ein gefährliches Element, da es die Magie verhinderte und jeden krankmachte, der ihm länger ausgesetzt war.
Warum das so war, hatte sie nie verstanden, aber sie hatte es mitansehen müssen.
Während ihre Gedanken fast vier Monate zurücksprangen, nickte Ian ihr noch einmal zu und verließ das Zweithaus, die Türe mit der kleineren Glasscheibe sorgfältig hinter sich schließend. Sie war jetzt etwa ein halbes Jahr auf Terralt, nachdem sie sich in Münster, in Deutschland, auf Terra eigentlich nur auf dem Heimweg befunden hatte. Praktisch von einer Minute zur anderen fand ihr Rad plötzlich keine Straße mehr vor und testete völlig unfreiwillig, wie weit ein Mensch flog, wenn das Rad von Tempo 20 km/h auf 0 reduziert wurde.
Gedankenverloren strich sie sich mit ihrer Rechten knapp oberhalb ihres rechten Knies über den dicken Stoff der Hose, die sie trug. Esther hatte sie später gefragt, ob sie die Narbe vielleicht entfernen sollte, doch sie war dagegen. Die Wunde hatte sich durch den Dreck in der Kiste, in der man sie nach Tirnan-Hohg gebracht hatte, leicht entzündet, ohne sonst irgendwelche Probleme zu hinterlassen.
Sie zweifelte keine Minute daran, dass es für Esther, als Hüterin der Menschen, ein Leichtes gewesen wäre, die, im Rahmen dessen was Gottes Plan für jeden Einzelnen war, Unglaubliches leisten konnte, jeden Hinweis zu entfernen. Sie konnte dabei so in einen Menschen hineinsehen, dass er fast schon erschreckte.
Grace nahm das Tablett wieder auf und musste dabei grinsen, als sie an die Zeit kurz nach ihrer Befreiung aus der Bleimine dachte. Das ihr magisches Talent, sich mit einem Mal mit einer unvorstellbar hohen Geschwindigkeit bewegen zu können, dank der Energieströme, die Eva durch die Gesteinsschichten schwemmte, da schon ausgebrochen war, konnte nicht bezweifelt werden. Nur hatte sie es auch heute noch nicht ganz unter Kontrolle und nicht alles passte sich an ihren Bewegungsrahmen an. Es könnte also gut sein, dass sich das Tablett und der Krug mit der Milch ihrer Geschwindigkeit anpassten, die beiden Kaffeebecher aber nicht.
Vorsichtig stieg sie die Treppe in den ersten Stock hoch und ging zu dem kleinen Zimmer hinüber, das WiseGuy mittlerweile als Arbeitszimmer diente. Vor der grob gezimmerten Holztür stehend konnte sie ihn herzhaft lachen hören.
Sie stieß mit dem Fuß gegen die Tür.
„Hallo, WiseGuy“, rief sie. „Hier ist Grace. Ich habe dir eine Überraschung mitgebracht, bekomme aber die Türe nicht alleine auf.“
„Sie ist eigentlich nur angelehnt“, ertönte WiseGuys Stimme und im selben Moment schwang sie als Reaktion auf das Fußanklopfen von Grace auch lautlos auf.
Das gab für sie den Blick auf den Mann mittleren Alters frei, der auf einem Stuhl vor einem Tisch saß und dessen rechte Hand flach auf der Tischplatte lag. Ein recht protziger Ring am Ringfinger war der Ausgangspunkt einer dreidimensionalen Szene, die Grace sofort erkannte. Sie hatte sie schließlich miterlebt und sie konnte gut verstehen, warum WiseGuy gerade sie wählte, um damit die Beherrschung des Rings zu üben, den er vor einigen Monaten vom Gildenmeister der Magie bekommen hatte.
Die Szene in dem eiförmigen Bereich oberhalb des Rings schien mit einem Mal zu verschwimmen, begann sich wie wild zu drehen und löste sich in Nichts auf.
„So ein Mist!“ entfuhr es dem bärtigen Mann. „Ob ich wohl jemals lerne, diesen blöden Ring so zu beherrschen, dass er einmal so richtig das zeigt, was ich sehen will?! Der Gildenmeister der Magie müsste eigentlich wissen, wie schwer es einem Chronisten fällt, sich auf nur eine Sache zu konzentrieren.“
„War das nicht der erste der Weihnachtsfeiertage, als die ersten Gäste Geschenke für die drei Mädchen vorbeibrachten?“ wunderte sich Grace und trat vorsichtig mit dem Tablett ein. „Wolltest du das denn gar nicht sehen?“
„Oh doch“, seufzte der Mann, der wie sie selbst von Terra stammte und vor ein paar Jahren zusammen mit seiner Frau nach Terralt geraten war. Wie bei ihr selbst war dieser Übergang ohne Rückkehrmöglichkeit nicht aus freien Stücken geschehen. Nur waren er und seine Frau unbeschadet in Portbach angekommen und waren dort freundlich aufgenommen worden. Niemand hatte sie eingefangen und dann sofort zur Zwangsarbeit in einem Bergwerk gezwungen. „Hmmm. Das duftet ja herrlich. Das ist doch wohl nicht Kaffee, oder?“
Grace reckte ihren Hals und blickte in das Innere der Tassen. „Also für Kakao ist diese Brühe zu braun und für schwarzen Tee zu schwarz“, erklärte sie und grinste ihn an. „Also ich tendiere doch stark zu Kaffee.“
„Grace, du bist ein Engel!“ seufzte WiseGuy und nahm eine Tasse und die Milchkanne zu sich herüber. „Also ist der Besuch aus Südamerika in Cologna angekommen?“
Grace nickte und setzte sich mit ihrer Tasse auf das Zweiersofa, das in dem kleinen Raum genau unter dem Fenster stand. „Ja. Eigentlich wollte die Delegation auch nach Portbach kommen, aber das wird wohl noch einige Tage dauern. Der Gildenmeister der Magie wird den Besuch aber dann noch rechtzeitig ankündigen.“
Sie legte ihre Beine hoch und lehnte sich entspannt zurück, nachdem sie sich das große unförmige Kissen zurechtgelegt hatte.
„Warum gerade diese Szene?“
WiseGuy schlürfte genüsslich an seinem Kaffee und sah sie erst fragend an, ehe er verstand, dass sie sich auf seinen Versuch bezog, den magischen Ring zu bändigen und lachte leise.
„Ich werde die verdutzten Blicke, besonders den von Vanessa, nie vergessen, als dieser würdevolle Herr mit dem riesigen Schnäuzer sich tief verbeugte, diese Kiste vor ihnen abstellte und den Deckel anhob.“ Er drehte seinen Stuhl um und setzte sich auf die andere Seite des kleinen runden Tisches, nachdem er noch kurz einen Blick nach draußen geworfen hatte, wo auf der gegenüberliegenden Seite des Portbaches zwei der neuen Steinhäuser durch die noch kahlen Bäume und Büsche hindurchschimmerten, die dort auf dem schmalen Streifen Wiese schon fast fertig waren. Es sollten noch zwei hinzukommen, um den Gästen, Bittstellern und Freunden der Sechs ausreichende Unterkunft zu bieten. Zusammen mit dem neuen Gebäude für die Pyramidengarde lagen sie dann genau wie die ursprüngliche Wassermühle und das Zweithaus, in dem sie sich gerade befanden, noch alle innerhalb des großen Steinkreises von Portbach und damit auch im Schutz der mächtigen Magie, die den Steinkreis als Taraz erscheinen ließ.
Grace grinste still vor sich hin und wiederholte dann: „Wieso Stoff und warum für uns?“
WiseGuy lachte laut auf und schüttelte seinen Kopf. „Das war wieder echt Janessa. Messerscharf auf den Punkt gebracht und dann dem armen Mann entgegengeschleudert.“
„Der arme Mann war so erstaunt, dass er kein Wort herausbekam“, erinnerte sich Grace.
„Ein Glück, das Mara damals gerade da war. Die konnte dann schnell klären, dass Terraltler zur Wintersonnenwende gerne für ein gutes neues Jahr opferten und dann schon vermutete, dass wahrscheinlich noch andere auf die Idee kommen würden, den drei Hüterinnen zu opfern, die ihnen schon im letzten Jahr geholfen hatten.“
Beide erinnerten sich dann daran, wie dieser erste Mann nur der Anfang von vielen gewesen war, die über die Weihnachtsfeiertage zur Wassermühle pilgerten und den Mädchen Geschenke vorbeibrachten. Besonders Eva, die Mutter der Drei hatte sich erst geweigert, die Geschenke anzunehmen, bis Hartmut von Hohenried, der sie mit seiner Frau und einigen anderen besuchte, darauf hinwies, dass die Mädchen ja auch so schon einiges von den Menschen bekommen hatten, denen die Drei geholfen hatten. Dabei war es unerheblich, ob sich die Hilfe auf Menschen bezog, auf Tiere, oder auch auf Pflanzen, was aber seltener der Fall war. Immer wenn es ein Problem gegeben hatte, hatten Esther, die Hüterin der Menschen, Janessa, die Hüterin der Pflanzen und Bäume und Vanessa als Hüterin der Tiere geholfen ohne lange darüber nachzudenken. Keines der Mädchen war aber der Meinung gewesen, dass diese Geschenke ihnen wirklich zustanden. Esther hatte es als die Älteste dann auch so ausgedrückt, dass sie half, weil jemand Hilfe benötigte und sie helfen konnte, und dass sie dafür, dass sie von Gott diese Fähigkeit bekommen hatte, kein Recht auf die Sachen hätte. Nach einer längeren Diskussion, die jener erste Spender mit wachsender Unruhe mitverfolgte, hatten sie sich dann damit einverstanden erklärt, die Geschenke anzunehmen und an Bedürftige weiterzugeben, oder zu verkaufen und den Erlös zu spenden. Daraus war dann auch der Plan entstanden, die zusätzlichen Gebäude zu bauen.
Jener erste Spender war schließlich sichtlich beeindruckt verschwunden und hatte seine Erfahrungen offensichtlich weitergegeben.
Auch heute noch verging kaum ein Tag, an dem nicht Menschen auftauchten, die Geschenke vorbeibrachten. Mittlerweile gab es hinter der Kirche von Portbach ein Gebäude zur Aufnahme der Geschenke und der Gildenmeister der Magie hatte ein kleineres Luftschiff abgestellt, dass die Verteilung übernahm.
Sowohl Grace, als auch WiseGuy hingen ihren Gedanken nach und tranken dabei den Kaffee in kleinen Schlucken.
„Nicht, dass ich es nicht sehr zu schätzen wüsste, dass du den Kaffee zubereitet und herübergebracht hast“, meinte WiseGuy schließlich und zwinkerte Grace zu „aber war das der einzige Grund, der dich zu mir gebracht hat?“
Grace sah ihn nachdenklich an und schüttelte dann langsam den Kopf. „Nein, das war nicht der einzige Grund“, gab sie zu „Ich verstehe immer noch nicht, warum diese sechs so etwas Besonderes sind. Also ich verstehe schon, dass sie ganz besondere Fähigkeiten haben, also auch für die Verhältnisse von Terralt, aber ...“ Sie zuckte genervt mit den Achseln. „Verdammt, ich weiß gar nicht, wie ich es ausdrücken soll.“
„Ich verstehe schon, was du meinst“, wehrte WiseGuy ab und lächelte sie an. „Warum sie gerade die sind, die zusammen die Pyramidenprophezeiung erfüllen, kann ich dir leider auch nicht erklären. Sie sind eigentlich alle ganz normale Kinder, na zumindest waren sie es noch bis zu der Zeremonie in der Kirche von Portbach. Dort haben sie ihre jeweilige Verantwortung angenommen und haben es seitdem geschafft, auf der einen Seite einfach unglaubliche Dinge zu leisten und trotzdem absolut normal zu bleiben.“ Er lachte amüsiert auf. „Ich finde es einfach herrlich, wenn sie sich wieder einmal über absolute Lappalien in die Wolle geraten. Und das geschieht ja genauso mit den Jungen.“
„Und wenn es darauf ankommt ...“ sinnierte Grace.
„... dann bilden sie ein fast unschlagbares Team“, vollendete WiseGuy.
„Wie vor ein paar Wochen, als der Zug auf so seltsame Art und Weise entgleist ist, und das mitten im dicksten Schneesturm genau zwischen Köln und Portbach“, bestätigte Grace.
„Du meinst Cologna. Es liegt hier in Terralt wohl an derselben Stelle wie Köln auf Terra und es gibt auch ein spezielles Bier, aber einem Kölner würde das Fehlen des Domes schon sehr traurig machen“, korrigierte WiseGuy und fuhr dann fort „Abgesehen davon waren sie eine ganz normale Familie, als sie bei einem Herbststurm von Terra nach Terralt geraten sind. Okay, sie waren da noch um einiges jünger beziehungsweise älter.“
Grace sah ihn stirnrunzelnd an. „Wie meinst du das denn?“
WiseGuy schmunzelte und nahm erst noch einen tiefen Schluck Kaffee. „Soweit ich weiß, haben Eva und ihre Mädchen noch nie so richtig darüber gesprochen, aber man muss schon ziemlich blind sein, um zu übersehen, dass die Mädchen weit schneller groß geworden sind, als es zu erwarten wäre.“ Er machte eine Pause. „Und Eva erscheint mir jünger denn je.“
„Das verstehe ich nicht.“
„Wie alt schätzt du die Mädchen?“
„Vanessa ist etwa neun oder 10, Janessa wohl eher 12 und Esther etwa 14 oder 15.“
„Vanessa sollte jetzt 8, Janessa 10 und Esther 13 sein.“
„Wie ist das möglich?“ erwiderte Grace verdutzt.
WiseGuy zuckte nur mit den Schultern.
„Ich weiß es natürlich nicht, aber auch der Gildenmeister ist der Meinung, dass die sehr starken magischen Kräfte mit dafür sorgen, dass sie sich optimal entfalten können.“
Mit einem Mal war ein leichtes Brummen zu hören, das von oben zu kommen schien. Grace sah irritiert nach oben.
„Das müsste das Luftschiff sein, das für die Sechs unterwegs ist“, vermutete WiseGuy und erhob sich. „Sollen wir nicht in den Wintergarten gehen? Nach der langen Zeit mit Schneestürmen und fiesem Wetter sollte man jeden Sonnenstrahl einfangen, wenn man die Möglichkeit hat.“
Grace nickte und erhob sich, während er das Tablett ergriff. Er sah sie an, während sie aufstand. „Ich kann ja schon verstehen, warum die Kinder dir den Namen Grace gegeben haben“, meinte er und sie sah ihn irritiert an.
„Deine Bewegungen scheinen immer anmutiger zu werden“, stellte er fest und Grace wurde rot, auch wenn sie schon wusste, dass er das nicht als Anmache, sondern absolut ehrlich meinte. „Wenn du mit Lecado trainierst, werden deine Bewegungen immer fließender, ehe dich dein Talent praktisch unsichtbar macht. Vermisst du Terra noch sehr?“
Sie gingen die Treppe hinunter und Grace hielt dabei kurz inne und seufzte. „Es geht so. Meine Familie vermisse ich schon, besonders meine Schwester“, erklärte sie. „Auch wenn ich selbst nicht mehr zurück kann, würde ich sie ja schon gerne wissen lassen, dass es mir gut geht.“
WiseGuy nickte verständnisvoll. „Das Problem haben, glaube ich, alle, die durch ein Portal nach Terralt gelangt sind“, meinte er mitfühlend. „Früher gab es auch noch Verbindungen von Terralt nach Terra, aber beide Welten streben immer mehr auseinander und jetzt gibt es nur noch Wege von Terra nach Terralt.“
Sie öffnete die Haustür und sie setzten sich in den verglasten Wintergarten, der mithilfe der neuen magischen Möglichkeiten Ians auch große dicke Glasscheiben zu erzeugen, einem terranischen Wintergarten ähnelte und heute in der tief stehenden Vormittagssonne hell und warm dalag, während man draußen, außerhalb des Steinkreises noch Schneereste liegen sah, wo die warmen Schwaden, die von dem mit heißem Wasser gefüllten Wassergraben nicht hochwallten und die Sicht versperrten.
„Ich hatte einen Freund, der wäre hier richtig ausgerastet, wenn er das erleben könnte“, meinte Grace schließlich. „Er ist ein absoluter Fan von Rollenspielen und war erst der absolute Mittelalter-Fan und ist dann auf Steampunk umgeschwenkt.“
„Mittelalter kenne ich ja, aber was ist Steampunk?“
„Leute, die Spiele spielen, die in der viktorianischen Zeit spielen und nur über Technik verfügen, die auf Dampfmaschinen beruhen. Das Punk bezieht sich dann auf die beginnende industrielle Revolution.“
„Und warum wäre er dann hier hin und weg?“
„Weil hier auf Terralt die Technik auch nur Dampfmaschinen zu verwenden scheint“, erklärte Grace und WiseGuy nickte verstehend. „Gibt es eigentlich gar keine Schusswaffen?“
„Nein. Die terraltische Magie verhindert diese Technik, was leider auch so etwas wie Feuerwerke unmöglich macht“, erklärte WiseGuy.
„Also könnte man das hier dann eher Steammagic nennen“, schlug Grace vor. „Also Dampfmaschinentechnik, die durch die göttliche Naturmagie ergänzt wird.“
WiseGuy nickte und trank den letzten Rest aus seiner Tasse. „Es sieht danach aus, als hätte Elektrizität eine gute Chance, hier auf längere Sicht neue Entwicklungen möglich zu machen. Jedenfalls wird zurzeit an der Universität von Sankt Grenwald ganz groß in dieser Richtung geforscht.“
„Das wäre diesem Freund dann auch ziemlich egal“, lachte Grace leise vor sich hin. „Das viktorianische Zeitalter gepaart mit Mittelalter und Harry Potter ... da würde er drauf abfahren!“
„Wie kann sich ein erwachsener Mensch eigentlich für solche Gruppen interessieren?“, meinte WiseGuy etwas irritiert und Grace sah ihn bloß durchdringend an. „Du kommst doch von drüben? Bist du schon so lange hier?“
Er hob grinsend beide Arme. „Ich ergebe mich. Ich verstehe, worauf du hinaus willst. Hier hat man das Gefühl Einfluss auf sein Leben nehmen zu können.“
Sie saßen auf der Bank und genossen noch die langsam untergehende Sonne, die ihre letzten wärmenden Strahlen in den Wintergarten sandte. Es wirkte alles so friedlich. Von den Baustellen jenseits des Portbachs war Rufen und Hämmern zu hören. Solange es einmal nicht regnete, wurden dort unter Hochdruck gleichzeitig zwei Dächer fertiggestellt, auch wenn beide Gebäude hinter den noch ungewöhnlich grünen Büschen direkt am Bach nur schemenhaft zu erkennen waren.
Der Wassergraben, der die Hauptwiese mit der Wassermühle, dem Zweithaus, in dem sie sich gerade befanden, und der großen Scheune in weitem Bogen umgab, wurde wahrscheinlich noch viele Jahrhunderte von den heißen mineralischen Quellen gespeist, die Pascal und Ian während des Angriffs auf die Wassermühle vor einigen Monaten umgelenkt hatten. Diese 'ziemlich natürliche' neue Wärmequelle reichte nun aus, alles, was innerhalb des großen Steinkreises von Portbach lebte, auch im tiefsten Winter angenehm zu temperieren. Wenn sich Pascal und Epharim dann noch zusammensetzten und das schlechte Wetter ein wenig um sie herum leiteten, gab es für einige Bäume und Büsche keinen Grund mehr, in einen Winterschlaf zu fallen.
Besonders Janessa war dafür dankbar. Als Hüterin der Bäume und Pflanzen langweilte sie sich so schon unendlich. So hatte sie aber innerhalb der Wärme des Steinkreises wenigstens die Möglichkeit, etwas mit ihren Fähigkeiten zu experimentieren. Auf der einen Seite konnte morgens ein junger Baum die Zufahrt zu einer der Baustellen verwehren, der am Abend zuvor noch nicht da gestanden hatte. Auf der anderen Seite hatte sie aber auch mit Ians Hilfe ein Gewächshaus aus Glas errichtet, dass jetzt immer wieder Überraschendes und manchmal sogar wohlschmeckendes Gemüse lieferte, das so manchen Biologen von Terra, der dort Ähnliches mit teilweise unvorhersehbaren Nebenwirkungen versuchte, vor Neid hätte erblassen lassen.
Wenn es keinen Unterricht gab und auch sonst kein Training auf Pferden oder an Waffen anstand, zog sie sich in das imposant aussehende Glasgebäude zurück.
Auch jetzt saß sie wieder leicht zitternd auf dem Boden zwischen Pflanzen, die nicht nur ungewöhnlich aussahen, sondern auch ungewöhnlich schnell und unpflanzlisch denken konnten. Im Moment waren sie aber auch etwas hilflos, weil der Lebenszyklus der alten und erfahrenen Bäume noch sehr langsam war und sie nicht wussten, wie sie ihrer Herrin helfen sollten. Sie zitterte nämlich nicht vor Kälte und starrte unsehend vor sich hin. Die Pflanzen hätten einem Interessenten genau sagen können, dass es ihr seit dem Tag schlecht ging, an dem die Nachricht von dem schrecklichen Zugunglück den Steinkreis von Portbach erreichte und praktisch jeder, der über ein Pferd oder einen Wagen verfügte, sofort in Richtung Cologna startete. Die Sechs hatten dabei unter der Führung von Pascal die Kontrolle über ihr geliehenes Luftschiff übernommen und waren schließlich wirklich fast als Erste am Unglücksort auf halbem Wege zwischen Cologna und der Haltestelle von Portbach angekommen. Dieses Mal hatten die Jungen das Wetter direkt beeinflusst und die schneeträchtigen Wolkenmassen einfach auf Seite geschoben.
Esther und Ian waren die Ersten gewesen, die den Ort erreichten, wo der Zug auf gerader Strecke mit einem Mal entgleist war. Als dann bekannt wurde, dass jemand die Metallschienen verdreht hatte als bestünden sie aus Draht, und damit provoziert hatte, dass alle vier Wagen in voller Fahrt die Böschung rechts und links der nicht mehr vorhandenen Gleise hinunterstürzten und Tod und Leid erzeugten, lenkte Esther ihre ganze Wut in ihre Fähigkeiten und rettete vielen Menschen das Leben, die eigentlich schon keine Chance gehabt hatten.
Janessa wurde den Anblick der Toten und Sterbenden einfach nicht mehr los und schlief kaum noch eine Nacht durch. Es wirkte schon seltsam, dass scheinbar niemand ihren Schmerz bemerkte. Sie war jedoch die mittlere Schwester. Sie verschmolz fast mit dem Hintergrund. Anfangs hatte es sie geärgert, aber dann hatte sie auch die Vorteile erkannt, fast nie im Mittelpunkt zu stehen. Im Moment war ihr diese Fähigkeit aber nicht hilfreich. Ihre Gemeinschaft war aber auf der anderen Seite auch so bunt und ungewöhnlich, dass es durchaus jemanden gab, der ihre Probleme erkannte und gerade direkt neben ihr auf dem Eimer sitzend erschien, mit dem Janessa Wasser in ihr Gewächshaus getragen hatte.
„Dich trifft keine Schuld“, meinte Lena leise und mitfühlend und Janessa erschrak noch nicht einmal bei ihrem Auftauchen.
„Du hast gut reden, Lena“, seufzte Janessa und wischte fast wütend eine Träne weg, die ihr die Wangen herunterrannen. „Du bist auch ein Geist. Aber ich bin so eine blöde Hüterin und konnte weder den Bäumen helfen, die brannten, noch irgendeinem der Menschen, die um Hilfe riefen.“
Hilflos und wütend zugleich schlug sie mit der flachen Hand auf ein frisches Stück Erde direkt vor ihr und bekam ganz große Augen.
„Oh nein. Das wollte ich nicht!“ Damit lockerte sie die Stelle, die ihre Hand gerade platt gedrückt hatte sofort wieder. „Bitte entschuldigt.“
„Hast du da Samen gepflanzt“, erkundigte sich Lena und Janessa nickte, während ihre Hand leicht bläulich zu Glühen begann.
„Ich kriege einfach nichts richtig hin“, murmelte sie und musste wieder schlucken. „Es war eine blöde Idee, mich zur 'Hüterin der Bäume und Pflanzen zu ernennen.“
Sie merkte gar nicht, wie Lena verschwand, so war sie mit ihrem Selbstmitleid beschäftigt. So erschrak sie auch, als Lena plötzlich meinte.
<Komm auf die Geistebene!>
Besonders verwunderte sie der befehlende Tonfall. Sie gehorchte aber und ihr Geist erreichte mühelos die Geistebene, die ganz Terralt überdeckte. Dort war es sonst eigentlich immer eher spärlich beleuchtet, weil besonders im Winter nur wenig Tiere und Pflanzen ihr besonderes Licht spendeten. So erstaunte sie jetzt auch das helle Leuchten, das sie empfing und das Gefühl der Geborgenheit, dass sie eigentlich nur im Kontakt mit Bäumen empfand.
Lena war nur als schwach leuchtender Schatten vor dem gleißenden Leuchten zu erkennen.
<Es gibt nicht nur hier, wo der Winter das Leben schlafen lässt, Bäume.> Damit erfüllten Janessa Gefühle der Liebe und Dankbarkeit von Bäumen, die noch weit älter waren, als alle, zu denen sie bisher Kontakt aufgenommen hatte. Sie führten ihr vor Augen, was sie bisher schon alles für Pflanzen und Bäume getan hatte und zeigten ihr, wie vielfältig pflanzliches Leben auf Terralt sein konnte. Sie lernte auch Bäume kennen, die anders waren, als alle, die sie bisher berührt hatte und sie lernte viel.
Lena war zu Janessas Körper zurückgekehrt und wachte über ihn, auch wenn selten jemand in das Gewächshaus kam. Sie sah voll Liebe auf den zusammengesunkenen schlanken Körper der Hüterin der Bäume zu ihren durchscheinenden Füßen hinunter. Sie war schließlich immer noch ein Geist und wurde deswegen von Wänden und Türen nur wenig behindert, wenn sie sich durch das Gelände rund um die Wassermühle bewegte, in der sie vor so vielen Jahren ums Leben gekommen war. Die Jahrzehnte nach ihrem Tod waren schrecklich gewesen und deswegen war sie jetzt umso dankbarer für die offene Freundschaft, die besonders die drei Mädchen ihr entgegenbrachten, seit sie zu ihrer Wassermühle gekommen waren. Sie waren die Freundinnen, die sie zu Lebzeiten kaum gehabt hatte und sie war jetzt wieder fast so glücklich, wie in den wenigen Jahren, die sie zusammen mit ihren Eltern hier gelebt hatte, bis die Mehlstaubexplosion schließlich alle drei getötet hatte. Wenn sie Janessa jetzt dadurch helfen konnte, dass sie über ihren Körper wachte, machte sie selbst glücklich. Sie hob ihren Kopf, als Menschen um die Mühle kamen, die sich lautstark stritten.
Das waren ja Lecado, Esther und der Gildenmeister der Magie?! Sie konnte sich nicht daran erinnern, Lecado, die junge Assassine, jemals so wütend gesehen zu haben.
„Was ist das bloß wieder für eine bescheuerte Idee?“, wetterte Lecado los und stapfte hinter Esther und dem Gildenmeister her. Auch Esthers Augen blitzten, während sie wütend hinter dem ruhig, ja fast amüsiert wirkenden Gildenmeister der Magie herging, dessen Gesicht sich aber verfinsterte, ehe er sich zu Lecado umwandte.
„So, jetzt sind wir wenigstens etwas aus der Hörweite deines Bruders“, begann er und musterte die wutschnaubende Lecado streng. „Was sollte das gerade?!“
Lecado setzte zu einer Erwiderung an, doch Hartmut von Hohenried schnitt ihr sofort das Wort ab.
„Dein Bruder ist auf Einladung der Sechs hier und mit Auftrag deines Gildenmeisters und du führst dich auf, als wäre es das Schlimmste, was hätte passieren können!“
„Aber ...“
„Es ist schon klar, dass du ihn vor einigen Monaten weggeschickt hast, da du dich geschämt hast; sowohl wegen deines Versagens beim Umbringen der Mädchen und weil sich bei dir doch wahrhaftig die Anfänge eines magischen Talents zu zeigen begannen.“
„Aber ...“
„Und da hast du ihn lieber gleich weggeschickt“, fuhr der Gildenmeister ungerührt fort, während Lecado ihren Mund auf und zu machte, als wäre sie ein auf dem Trockenen liegender Fisch. „Was du aber nicht wusstest, war, dass sowohl Mara als auch Esther ihn schon durch Zufall kennengelernt hatten und er nicht nur ein beeindruckendes Talent besitzt.“
Lecado schwieg, sah ihn aber jetzt verdutzt an.
„Was du nicht weißt, ist, dass auch er durch den kurzen Einfluss im Umkreis der Sechs ein eigenes magisches Talent entwickelt hat: Er spürt die Anwesenheit von Giften und kann sie umwandeln, ohne sie auch nur zu berühren.“
Lecados Augen wurden groß und sie schluckte.
„Auf der einen Seite sind sowohl dein Gildenmeister als auch ich der Meinung, dass hier so jemand dringend gebraucht wird. Auf der anderen Seite wird sein Talent hier bestimmt auch noch wachsen.“
„Die Unsichtbaren!“, hauchte Lecado fassungslos und der Gildenmeister nickte, während ihn jetzt Esther fragend ansah.
„Es gibt innerhalb der Assassinen eine Gruppe, die seit Jahrhunderten nichts anderes macht, als Angriffe auf das Leben wichtiger Personen zu verhindern. Da nur die Gildenmeister der Assassinen wissen, wer dazugehört, werden sie seit alters nur 'die Unsichtbaren' genannt.“
„Aber ...“ Lecado erwartete fast, wieder unterbrochen zu werden, doch das passierte nicht. „Wieso sagt ihr mir das denn jetzt?“, vollendete Lecado und schluckte dann. „Weil ich auch ...“
Der Gildenmeister nickte und grinste. „Natürlich. Dein Talent und deine Aufgabe passen beide zu dem, was die Unsichtbaren machen. Nur, dass es bei dir bekannt ist und sogar sein soll.“
Lecado lachte befreit auf und schüttelte ihren Kopf, ehe sie wieder ernst wurde, ihre rechte Hand über ihren Brustpanzer hielt und sich nacheinander vor Esther und dem Gildenmeister verbeugte.
„Könnt ihr mir meine Torheit noch einmal verzeihen?“, bat sie und es war Esther, die antwortete.
„Einer guten Freundin zu verzeihen ist nicht schwer, aber es wird schwieriger werden, deinen Bruder wieder freundlich zu stimmen“, erklärte sie grinsend. „Der hat schon den ersten Rauswurf erst verstanden, als ich es ihm erklärt habe.“
„Du hast ...?!“ Lecado wusste nicht, was sie sagen sollte und entschied sich dann spontan einfach dafür, die Hüterin der Menschen zu umarmen.
„Danke, Esther. Ich kann manchmal ziemlich impulsiv sein“, versuchte Lecado sich zu verteidigen.
„Ach wirklich? Das ist mir noch gar nicht aufgefallen“, behauptete Esther nur und erwiderte die Umarmung.
„So und wo das nun geklärt ist, sollten wir zu deinem Bruder zurückgehen und du bringst ihn zu seinem neuen Zimmer.“
„Aber wo soll das denn sein?“, wunderte sich Lecado.
„Euer neues Haus ist heute teilweise fertig geworden“, informierte sie Esther und Lecado holte tief Luft.
„Gott sei Dank! Die provisorischen Hütten am warmen See sind einfach nicht warm zu bekommen“ stellte sie fest. „Wie viele könnten dann jetzt schon einziehen?“
„Wenn ihr euch Zimmer teilt, müsste ihr jetzt eigentlich schon alle ein Plätzchen finden“, erklärte Hartmut von Hohenried.
„Das ist nun wirklich kein Problem“, stellte Lecado fest und die Drei verschwanden wieder um die Wassermühle herum zum Eingang der Mühle, vor der der Wagen stand, mit dem Mara den Gildenmeister und den neuen/alten Assassinen der Pyramidengarde zur Mühle gebracht hatte. Die Pyramidengarde hießen die Wächter, die aus Mitgliedern der Gilde der Magie und der Gilde der Assassinen in Erinnerung an die Zeremonie, in der sich die drei Mädchen und drei Jungen zu der ungewöhnlichsten Rettungstruppe zusammengefunden hatten, die Terralt seit Langem erlebte. Während der Zeremonie in der Kirche von Portbach hatte das Symbol einer dreischenkeligen Pyramide eine große Rolle gespielt.
Lena wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Janessa zu, deren Zustand sich immer noch nicht geändert hatte. Fedora und ihr Bruder waren Geister, die sich den Sechs nach ihrer Befreiung ihrer Seelen aus den Fängen des schwarzen Grafen angeschlossen hatten. Sie würden noch eine Zeit lang in der Bibliothek von Sankt Grenwald sein. Zusammen mit der Frau von WiseGuy versuchte Fedora dort, ein Buch aus einem Regal zu nehmen und alleine aufzuschlagen und umzublättern. Ihr Bruder interessierte das wohl ziemlich wenig, aber er hielt sich jetzt, wo er auch mit dem ewigen Licht auf der Geistebene Kontakt gehabt hatte, an sein Versprechen, immer auf Fedora aufzupassen. Dass er sein Alter noch nicht verändern konnte und damit immer noch jünger als seine Schwester war, interessierte ihn dabei überhaupt nicht. In Wirklichkeit war ihm nur zu klar, dass er seine Schwester fast verloren hatte, als diese sich nach ihrer Befreiung aus freien Stücken den Sechs angeschlossen hatte.
Lena überlegte, ob sie noch einmal hoch zur Geistebene wechseln sollte, als sich Janessa Brustkorb unter einem tiefen Atemzug hob und senkte und sie ihre Augen aufschlug. Sie war erleichtert und dankbar, als sie jetzt wieder das Feuer in ihren Augen sehen konnte, dass sie seit dem Zugunglück vermisst hatte.
„Danke, Lena“, meinte Janessa nur schlicht und umarmte die überraschte Lena, die rasch ihre Stofflichkeit erhöhte. „Vielleicht kann ich heute Nacht zum ersten Mal wieder richtig schlafen.“
Lena grinste sie an. „Ich bin nachts gerne mit dir zusammen, aber du hast einfach noch so einen blöden Körper und dem geht es besser, wenn er ausschlafen kann.“
Janessa erwiderte nichts, sondern verließ das Gewächshaus. Dort setzte sie sich auf das feuchte aber nicht kalte Gras und machte sich daran, sich zu entspannen und beide Hände mit den Handflächen flach auf das Gras zu legen. Dann ging ein blaues Leuchten durch ihren Körper und ein Geräusch, wie Wind der durch Bäume strich, schien aus dem Nichts zu kommen. Das Leuchten nahm immer mehr zu und bildete schließlich eine Art Ring um Janessa. Gleichzeitig schien auch das Rauschen nicht vorhandener Blätter immer lauter zu werden und dann zu verstummen. Das blaue Leuchten verschwand und hinterließ in einem Ring um Janessa seltsam aussehende Früchte und Samen.
„Was war das denn?“, kam Vanessa neugierig mit Epharim zu ihnen hinüber geschlendert und beide blickten auf die Samen hinunter, die Janessa nun in eine Holzkiste packte, die im Gewächshaus stand. „Epharim meinte sofort, dass das gerade deine Magie war, aber trotzdem anders als sonst.“
„Er hat recht“, erwiderte Janessa und behielt einen dunkelbraunen Samen zurück, während sie die Kiste in ein einfaches Regal stellte. „Es ging mir nicht gut und Lena hat mich mit anderen Bäumen bekannt gemacht, die jetzt nicht schlafen.“
„Ich habe dir doch gesagt, dass da etwas auf der heiligen Ebene passiert ist“, ereiferte sich Vanessa an Epharim gewandt.
„Ist ja schon okay“, wehrte der Junge ab, der immer noch sehr schlank war, aber nun auch nicht mehr wie ein kleiner Junge, sondern auch so etwa alt wie die Hüterin der Tiere aussah. „Es war aber kein Gottesdienst.“
„Das habe ich auch nicht gesagt“, entgegnete Vanessa und Janessa ging mit dem Samen in der Hand in Richtung Portbach.
Sie kniete sich ins Gras und legte wieder eine Hand flach auf das Gras. Sie schloss kurz ihre Augen.
„Van, meinst du, dass ich hier einen großen Baum pflanzen kann? Die Pflanzen sind damit einverstanden, aber hier sind doch auch irgendwo Mäuse und so etwas.“
„Besonders viele 'so etwas'“, konterte Vanessa und schloss ihre Augen. Eine gelbe Welle breite sich von ihr ausgehend auf dem Boden aus und flutete dann wieder zurück. „Es gibt keine Einwände, aber lass ihn bitte nicht zu schnell wachsen.“
Janessa nickte und konzentrierte sich auf den Samen, der bereits blau leuchtete, als sie ihn in den Boden steckte. Sie hatte keine Ahnung, wie die Art von Baum hieß, aber er gehörte zu einer Art, die etwas wie eine Art Netz über die ganze Welt aufspannte, in der jeder mit jedem anderen verbunden war. Sie konnten alle 'sehen' und fühlen, was jeder dieser Bäume irgendwo auf Terralt mitbekam und würden auch an allen Erinnerungen teilhaben, die dieses Netz von Bäumen gesammelt hatte.
Auch Esther kam nun zusammen mit Gabriele zu ihnen herüber geschlendert. Gabriele war vor einigen Monaten zu ihnen gestoßen und hatte mittlerweile faktisch die Praxis des Arztes von Portbach übernommen. Sie war immer noch der Akolyth von Esther und kontaktierte sie auch häufig über ihr Amulett, doch fand sie immer seltener Zeit, sich bei der Wassermühle sehen zu lassen. Ihr Mann Marc war für alle Holzarbeiten der neuen Bauten zuständig und tauchte meist erst abends auf, wenn die Arbeiten an den Bauten ruhten. Auch er hatte nur noch selten Zeit, mit Janessa, dessen Akolyth er war, durch den Wald zu streifen.
Janessa konzentrierte sich weiter auf den Samen und kanalisierte magische Energie in ihn hinein, die schon rasch dazu führte, dass sich ein Spross bildete, der sich ausdehnte und zum Licht schlängelte, wie in einer Zeitrafferaufnahme. Nur das es keine Trickaufnahme war, sondern ein Aspekt der Magie von Janessa.
„Ein Erinnerungsbaum!“, stellte Gabriele erstaunt fest und sah dabei sehr überrascht aus. „Marc wollte ja eigentlich mit dir im Frühjahr zu einem dieser Bäume fahren, die normalerweise nur in wärmeren Regionen wachsen.“ Sie warf einen Blick auf die Büsche, die innerhalb des Steinkreises nur kaum Blätter verloren hatten. „Aber es könnte hier wirklich funktionieren.“
„Was ist denn an diesem Baum so besonders?“, erkundigte sich Vanessa neugierig.
„Sie gelten einfach als etwas sehr Besonderes und es würde nie jemand auf die Idee kommen, so einen Baum zu fällen. Sie sollen Glück bringen und dort, wo sie stehen, eine große Heilwirkung haben“, erklärte Gabriele, während Janessas Magie abebbte und den kleinen Steckling von etwa 30 Zentimeter Höhe nun wieder sich selbst überließ. „Besonders bei Verwirrtheit des Geistes helfen sie, wenn der Kranke mehrere Nächte hintereinander in ihrer Nähe übernachten.“
Dann geschahen mehrere Dinge gleichzeitig.
Ein tiefer Ton überschwemmte mit einem Mal die Wiese und ein schwaches Leuchten war aus dem Dickicht zu erahnen, das sich hinter dem den Nebelschwaden des warmen Wassergrabens befand. Es kam von dem Ort, an dem sich einer der riesigen rechteckigen Steinblöcke befand, aus denen der große Steinkreis befand, der die Wassermühle in einem Durchmesser von etwas über 100 Metern umgab. Die Kinder sahen sich erstaunt an.
„Das hatten wir aber lange nicht mehr!“, stellte Esther fest. „Jemand versucht, zu unserem Steinkreis zu reisen.“
„Wo ist denn ...?“Epharim konnte seine Frage gar nicht mehr beenden, bevor die Luft dicht neben ihnen flimmerte und eine blonde Frau von Anfang dreißig erschien und gleichzeitig besorgt und gehetzt aussah.
„Könnt ihr bitte gleich zur Mühle herüberkommen?“, bat sie die Kinder und sah besonders Esther an. „Das sind Elly und Tschorna und ich weiß nur, dass es bei dem Steinkreis, den sie gerade wiederbeleben, Probleme gibt.“
„Natürlich Taraz. Wir kommen sofort“, beruhigte sie Esther, und Taraz nickte und verschwand sofort wieder, während sich über den acht Steinen Lichtbogen bildeten, die sich über der Wassermühle zu treffen schienen, in deren einer Wand der Mittelstein des Steinkreises mit eingebaut war.
„Die sah aber besorgt aus!“, stellte Vanessa fest, als sie zu der Hintertür der Küche hinüberliefen.
Das Leuchten und der Ton schwollen immer mehr an, bis sich das Licht schließlich im Schnittpunkt der Bogen zu vereinigen schien und zu Boden stürzte. Das sah schlimmer aus, als es war. Das Licht erhellte den Steinweg und die Wiese direkt vor dem Hintereingang, dass sich alle kurz abwenden mussten, und als sie wieder hinsehen konnten, standen Elly und Tschorna direkt neben der Tür und vor dem großen Stein, der immer noch nachglühte und Taraz materialisierte sich neben ihnen, während Elly langsam in sich zusammensank, noch ehe Tschorna reagieren konnte, deren Karan, der belebte Kristall in ihrer Stirn, gerade wieder erlosch.
„Oh Gott!“, hauchte Janessa entsetzt, als sie die schmutzige Kleidung und besonders das Rot bei Elly erblickte.
Esther erreichte Elly nur knapp vor Gabriele und ihr Armband leuchtete bereits feurig rot, ehe sie Elly berührte.
„Ist schon okay“, flüsterte Tschorna leise und schwankte, ohne umzukippen und versuchte sogar zu grinsen. „Es sieht schlimmer aus, als es ist. Das ist nur Tierblut, auch wenn das schon eklig genug ist“, erklärte sie und nickte Gabriele dankbar an, die das schmächtige Mädchen am Arm aufrecht hielt.
Die Tür der Küche wurde von innen aufgerissen und Eva stürmte heraus. Die Augen der Mutter der drei Hüterinnen weiteten sich erschreckt, als sie die beiden Mädchen sah, die schon ein sehr ungewöhnliches Paar abgaben.
„Tierblut!“, rief Esther nur. „Den beiden geht es sonst gut. Ich habe sie schon untersucht.“
„Aber wieso ...“
„Lasst uns bitte erst einmal zu Atem kommen“, bat Tschorna und klang immer noch vollkommen außer Atem. „Das sah im Steinkreis Tirnan Arrachal plötzlich so gefährlich aus, dass mir keine andere Wahl mehr blieb, als uns in Sicherheit zu bringen, aber wenn Karan so rasch handelt, nimmt es alle Lebewesen, die nahe bei mir stehen, ziemlich mit.“
Taraz wurde blass und starrte die beiden entsetzt an und löste sich auf, während alle nur noch in ihren Köpfen ein gequältes <Tirnan- Arrachal!> hörten und von einer Welle so unterschiedlicher Gefühle überrollt wurden, dass sie nur noch verblüfft auf die Stelle starren konnten, an der Taraz gerade verschwunden war.
„Was hat sie?“, fragte Vanessa verwirrt und ihre Mutter schluckte.
„Wenn ich das Chaos richtig verstehe, dass sie da gerade gesendet hat, kennt sie den Namen ganz genau und es etwas sehr, sehr Persönliches damit verbunden“, versuchte Eva das zu deuten, was sie gerade gespürt hatte.
Der Edelstein, der mitten auf der Stirn des vielleicht 14jährigen Mädchens mit den schulterlangen blonden Haaren mit den mittelbraunen Strähnen saß, fing träge an zu leuchten und sprach mit dem Mund der Hohepriesterin der Volksstämme der Karane.
„Es tut mir Leid, dass wir meinen Plan nicht zu Ende bringen konnten, ehe ich Taraz davon berichten konnte“, erklang eine Stimme, die weitaus älter war als die natürliche von Tschorna und ehrliches Bedauern schwang in ihr mit. „Ich wisst ja, dass Steinkreise, wenn sie lange bestehen und der gewaltigen Erdmutter dienen, schließlich eine eigene Persönlichkeit entwickeln.“
„Zwei kennen wir ja schon persöhnlich: Taraz und Sofania“, bestätigte Esther.
Karan ließ Tschorna nicken und fuhr dann fort: „Was ihr noch nicht wisst, ist, dass es auch bei diesen Persönlichkeiten Frauen und Männer gibt.“ Man hörte, wie fremd Karan dieser Teil der menschlichen Existenz war, auch wenn sie die Auswirkungen ja schon seit vielen Jahrtausenden quasi aus erstem Kopf erlebte.
„Die Verkörperung des Steinkreises, den ihr gerade wiederbelebt, ist der Partner von Taraz?!“, mutmaßte Eva und Karan ließ Tschorna erneut nicken.
„Taraz braucht sich dabei überhaupt keine Sorgen zu machen“, erklärte Karan und pulsierte jetzt kraftvoll auf Tschornas Stirn, wie um das noch zu bekräftigen. „Es fehlt noch der Priester oder die Priesterin, aber wir können die Zeremonie auch alleine durchführen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Statt den oder die zu finden, kamen dann plötzlich gleich zwei Gruppen und wollten am Steinkreis opfern. Ein weiterer Clan meiner Karane und eine andere Gruppe, die mich sehr an Menschen erinnert hat, die zu meiner letzten Zeit unter den Menschen auf den Inseln im Osten des Mittleren Meeres wohnten und viele verschiedene Götter verehrten.“
„Griechen?“, meinte Eva stirnrunzelnd. „Wo wart ihr denn?“
„Wir waren in Tirnan Arrachal und das ist wohl in der Nähe des Mittleren Meeres, aber viel weiter im Westen, noch auf diesem Kontinent kurz vor der Gebirgskette, hinter der die riesige sanfte Ebene liegt.“
„Sie meint das Pyrenäen-Gebirge in dem Gebiet, das auf Terra Frankreich heißt“, kam mit einem Mal eine tiefere Jungenstimme aus der offenen Küchentür und Pascal, der älteste der drei Jungen, die die Kräfte von Terralt verkörperten, trat heraus und sah dabei sehr ernst aus.
„Woher weißt du das denn?“, erkundigte sich Esther erstaunt und Pascal feixte.
„Hey, ich werde doch wohl wissen, wo ich herkomme“, beschwerte er sich. „Und da ich euch sowieso irgendwann einmal dahin einladen wollte, habe ich mich erkundigt, wie diese Gegend bei euch heißt. Aus Arrachal ist übrigens im Laufe der Zeit Arrac entstanden.“
„Und du heißt Pascal de l'Arrac“, beendete Eva verblüfft den Gedankengang.
Pascal hob mit ernstem Blick eine Augenbraue und meinte nur trocken: „Das kann ich jetzt schlecht bestreiten. Seit ich mich dafür entschieden habe, bei meiner Mutter und Charly zu bleiben, ist mein Name Pascal de l'Arrac und ich erinnere mich sogar an einen bewaldeten Hügel ein ganzes Stück von dem Haus meiner Mutter, das der Wald von Arrachal genannt wird.“
„Also rot steht dir nicht“, stellte Tschorna gerade mit einem kritischen Blick auf Elly fest und ihre Augen glitzerten. Die trockene Art, wie sie das herausbrachte, ließ dabei keinen Zweifel aufkommen, dass sie es war, die hier sprach und nicht die mächtige, uralte Wesenheit des Karan, der jetzt als gut sichtbarer durchsichtiger Edelstein ihre Stirn knapp über der Nasenwurzel zierte und nach dem, was die Sechs bisher gelernt hatten, eine Wesenheit war, die sogar noch älter als die Steinkreise war, die es auch schon lange vor den Römern gegeben hatte. Karan ließ sich dabei nie mit Fragen in die Enge treiben und selbst der redegewandte Gildenmeister der Magie hatte letztendlich nur ein mildes Lächeln geerntet, ehe sich die Wesenheit einfach in den Hintergrund zurückgezogen und Tschornas Ich das Feld überlassen hatte.
„Es tut mir Leid, Gildenmeister“, hatte Tschorna damals auch grinsend erwidert. „Karan will nichts sagen und ich weiß es nicht.“
Hartmut von Hohenried hatte nur lächelnd den Kopf geschüttelt. „Es ist schon traurig, wie wenig gewillt Karan ist, unsere Fragen zu unserer Vergangenheit zu beantworten. Es ist ja noch nicht einmal klar, ob Karan männlich oder weiblich ist.“
Der Edelstein pulsierte kurz auf. „Das ist nun aber wirklich eine der unwichtigsten Fragen!“, stellte Karan fest und schaffte es, mit dem Gesicht der 13jährigen Vertreterin des Volkes der Karane einen Gesichtsausdruck zustande zu bringen, der ihr/sein ganzes Bedauern über die unreifen Fragen eines Kindes beinhaltete. Es blieb dem Gildenmeister der Magie nichts anderes übrig, als sich ehrerbietig vor Karan zu verbeugen und geschlagen zu geben. Sie wussten mittlerweile, dass Karan den Kristall nur aus Höflichkeit zum Leuchten brachte, wenn sie die Stimme von Tschorna nutzte. Trotz ihrer nur kurzen Besuche im Steinkreis von Portbach kannten alle das Gespann Tschorna/Karan aber gut genug, um auch so klar zu erkennen, wer da gerade sprach; und in diesem Moment war es Tschorna, die bei den Reisen, die sie zusammen mit Elly schon unternommen hatte und der Nähe zu einem Wesen, das über das Wissen von Jahrtausenden verfügte, viel an Selbstsicherheit und Ausstrahlung gewonnen hatte, ohne dabei ihre kleine Eigenarten zu verlieren.
„Rot steht dir wirklich nicht“, wiederholte sie nochmals und hatte Mühe, das Lachen aus ihrer Stimme zu verbannen. „Außerdem magst Du doch gar kein Rehfleisch; besonders, wenn es auch noch roh ist!“
„Also ich habe ganz deutlich gesehen, dass dieser nette Mann mit dem beeindruckenden schwarzen Schnäuzer in seinem Bettlaken mit den Flecken dieses liebe Geschenk eigentlich dir geben wollte, ehe er sich in dem Bettlaken verhedderte und die Gabe noch das Fliegen lernte.“
„Er ist nicht gestolpert, sondern der fesche Mann in seinem Lederdress, der mir liebenswerterweise frisches Obst schenken wollte, hat ihn ganz böswillig geschubst.“
„Ach deswegen hat ihm dann der Mann in dem Bettlaken mit dem Schnäuzer das Metalltablett über den Kopf gehauen“, ging Elly scheinbar ein Licht auf und brach in Gelächter aus, in das nicht nur Tschorna mit einstimmte. Die Vorstellung der beiden unterschiedlichen Verehrer stand allen ziemlich plastisch vor Augen. Das Gelächter schallte über die Wiese und holte sogar Taraz wieder herbei.
„Warum seid ihr dann geflohen?“, erkundigte sich Eva, als sich alle wieder etwas beruhigt hatten.
„Weil zu diesen beiden Priestern noch je eine Gruppe von Anhängern gehörte, die dann auf die jeweilig andere Gruppe losgeschlagen hat“, erklärte Tschorna und Karan ergänzte rhythmisch leuchtend. „Es ging dabei aber eher darum, möglichst spektakulär zu verschwinden, damit beide Gruppen merken, wie dumm und kindisch sie sich verhalten haben.“
„Und der Kreis ...“, warf Taraz für ihre Art schon außergewöhnlich ängstlich ein und Karan wandte sich zu ihr um und jeder spürte die gewaltige Welle positiver Energie, mit der sie Taraz überrollte.
„Dem geht es gut und es fehlt ihm nur noch die Zeremonie, für die Elly zuständig ist, um ihn vollends zu wecken. Ich habe jedenfalls nichts gespürt, was darauf hindeutet, dass es einen Grund gibt, sich Sorgen zu machen.“
Taraz verbeugte sich tief vor ihr, und Eva und Esther sahen die große Erleichterung auf ihrem Gesicht und sahen sich verstehend an.
„Wann ...“, begann Taraz und brach dann wieder ab.
„Allzu lange sollten wir nicht warten“, warf Elly ein und grinste. „Sonst vertragen sie sich miteinander und haben dann aber keine Lust mehr, noch länger auf uns zu warten.“
„Kann ich ...“, begann nun Pascal und Tschorna/Karan blickten genervt zum Himmel.
„Bitte sprecht doch in ganzen Sätzen!“, bat Karan. „Es hat lange genug gedauert, bis die Menschen genug Sprache entwickelt hatten, dass ich mich mit ihnen über den Schöpfer, das Leben, den Tod und solche Dinge unterhalten konnte.“ Damit wandte sie sich um und fixierte WiseGuy, der auch gerade mit Grace herübergekommen war.
„Es ist nach der Skala von Terra bedeckt, aber nicht am regnen und 21 Grad Celsius.“ WiseGuy war so erstaunt, dass er gar nichts erwidern konnte, denn es war ihm gerade durch den Kopf gegangen, dass es doch vielleicht eine nette Idee wäre, einen Ausflug in den Süden Frankreichs zu machen, auch wenn es auf Terralt gar kein Frankreich gab, oder Deutschland, oder Italien, oder ...
„Es wäre für euch bestimmt auch gut, hier einmal herauszukommen und die Karane bedanken sich in der Regel abends auch häufig mit einem Fest“, stellte Karan fest und fuhr dann in Evas Richtung gewandt fort. „Es wird für die Sechs sicher lehrreich, da sie bisher auch noch nie mit den Romanas zu tun hatten. Leider sind sie nur noch ein trauriges Echo der Römer, wie ich sie noch kennengelernt habe.“
„Schaffst du uns denn alle?“, zweifelte Vanessa, was an sich schon ungewöhnlich war. Es war sonst das Vorrecht ihres Alters, sich über so etwas nur selten Gedanken zu machen.
„Zusammen mit Taraz wird das überhaupt kein Problem sein. Wir sollten aber nicht mit allzu Vielen dort auftauchen. Vielleicht erst einmal nur mit euch sechs und eurer Mutter.“
Alle stoben auseinander und machten sich für einen kurzen Trip bereit. Die Aussicht auf einen Vorgeschmack auf den kommenden Frühling ließ sie aufleben. Der Winter war ungewöhnlich lang und schneereich gewesen, und auch wenn sie hier die Kombination aus den heißen Quellen und den Wetterfähigkeiten der drei Jungen vor schlimmer Kälte verschonte, ging das Wetter allen ziemlich auf die Nerven.
Taraz ging noch ihren Pflichten nach und informierte erst Eva, dann Esther und schließlich Lecado darüber, dass die Gemeindevorsteherin von Erlöserstadt sie gerne via Steinkreis besuchen würde, aber nur Lecado schien sich in der allgemeinen Aufbruchstimmung dafür zu interessieren.
Esther hatte es aber durchaus mitbekommen, auch wenn sie mit der Frage nach einer passenden Garderobe vollauf beschäftigt zu sein schien.
Als die junge Frau im Schimmer der Verbindung zwischen den Steinkreisen von Tirnan-Hohg und dem von Steinkreis sichtbar wurde, musste sie wieder unwillkürlich an jemanden denken, den sie bisher immer noch nicht kannten: denjenigen, der für kurze Zeit die Führung über den Geist des gerade gestorbenen ehemaligen Pfarrers von Erlöserstadt übernommen und sie zu töten versucht hatte, ehe Lena sie gerettet hatte. Denjenigen, der wahrscheinlich jetzt noch große Schmerzen an dem Finger hatte, an dem er das Gegenstück zu dem Ring getragen hatte, über den die Verbindung zu dem Pfarrer von Erlöserstadt lief, der auch der Züchter genannt wurde. Was für ein Scheusal das wohl war?!
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Scheusal? Wer ihn in diesem Moment gesehen hätte, hätte sich über so eine Bezeichnung wohl eher gewundert.
Der nachfolgende Teil gehört genau an diese Stelle, da er zeitlich genau hier hinpasst, aber meine Ehre als Chronist von Portbach zwingt mich dazu, darauf aufmerksam zu machen, dass ich ihn erst Monate später so genau klären konnte, wie er jetzt hier auftaucht. Dazu musste es mir erst gelingen, den widerspenstigen Ring, den mir der Gildenmeister der Magie gegeben hat, zu beherrschen. Erst dann war es möglich, die kommende Szene im magischen Raum wieder erstehen zu lassen. Es ist mir jedoch wichtig, damit die Möglichkeit zu schaffen, die tragische Figur etwas genauer darzustellen. Auch auf Terralt ist niemand nur gut oder nur böse. Wer das glaubt, verkennt die Tiefe des Auftrages, den uns die Bibel so eindrucksvoll übermittelt. Wir haben die Entscheidung, ob wir uns gut oder schlecht entscheiden; und das immer und immer wieder. Bitte entschuldigt den Einschub, aber ich habe mich nun einmal dafür entschieden. Gezeichnet von WiseGuy, Chronist von Portbach
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Der Bischof vom Rheinbogen stand gerade, in seinen dicken schwarzen Umhang gehüllt, auf dem windgeschützten Balkon seiner Villa, die etwa 20 Meter vom Rheinufer entfernt auf einer Anhöhe stand und aus so mächtigen Steinblöcken erbaut worden war, dass es sie schon mehrere Jahrhunderte gab und wohl auch noch Jahrhunderte vor ihr lagen. Überall gab es Bogen, die auch diesen Balkon zum steil abfallenden Garten abgrenzten und dabei den scharfen Wind und auch das heute endlich einmal recht helle Licht abhielten. Wenn es regnete, war es in den Räumen hinter den großen Fenstern schnell so düster, dass man ohne genügend Kerzenleuchter nichts mehr sah.
Nur im Hochsommer konnte man auf dem immer kühlen, gut zwei Meter tiefen Balkon, der sich über die gesamte Breite der Villa erstreckte, angenehm sitzen, was der Bischof dann auch gerne tat. Im Moment brauchte er aber den dicken Wollumhang, als er an dem Steingeländer lehnte, in seiner Rechten ein gut gefülltes Weinglas haltend.
Unten floss der Rhein breit und träge vorbei und die Kähne, die stromauf fahren mussten, waren klar im Nachteil. Wenn er den Berichten glauben konnte, die er im Laufe der Jahre über Terra gesammelt hatte, hatten die Menschen dort ohne die Beschränkungen durch die verfluchte Magie nicht solche Probleme. Er hoffte darauf, dass diese Beschränkungen auch wegfallen würden, wenn er sein Ziel endlich erreicht und die verfluchte Magie vom Angesicht von Terralt getilgt hatte.
Der Bischof merkte gerade noch rechtzeitig, dass er seinen Griff um das bauchige Weinglas so verkrampfte, dass es fast zersprang und er fluchte leise vor sich hin, um sich dann sofort bei Gott dafür zu entschuldigen.
Auch wenn schon so manche unschöne Sache auf seinen Willen hin geschehen war, geschah alles aus seinem tiefen Glauben heraus ... und aus seinem Hass gegen die Magie und alles, wofür sie verantwortlich war.
Er hörte, wie hinter ihm die Tür des Wohnzimmers geöffnet wurde und kleine Kinderfüße sich in Holzschuhen ohne großen Erfolg bemühten, geräuschlos zu ihm hinüber an das Steingeländer zu schleichen.
„Mach bitte die Türe zu, Sarah“, meinte er und seine Stimme enthielt eine Weichheit, die ihm viele nie und nimmer zugetraut hätten.
„Och, Papa“, beschwerte sich eine Kinderstimme maulend. „Ich wollte dich doch überraschen.“
„Es tut mir leid, Kleines, aber mit Holzschuhen ist das auf diesen Fliesen schon mehr als unmöglich.“
„Mehr als unmöglich geht doch gar nicht“, warf seine älteste Tochter ein und der Bischof wandte dem vielleicht siebenjährigen Mädchen seinen Kopf zu und nickte anerkennend.
„Da hast du vollkommen Recht, Sarah!“, bestätigte er und sah seine Tochter liebevoll an.
Sie schloss gehorsam die Balkontür hinter sich und blieb dann unschlüssig und zitternd stehen, bis er einladend seinen Umhang öffnete. Sie rannte zu ihm hinüber und stellte sich dann vor ihn, während er den Umhang wieder schloss. Leider konnte sie jetzt gar nicht mehr zum Rhein hinuntersehen, da das mächtige Steingeländer gerade auf der Höhe ihres Kopfes verlief, aber das schien ihr jetzt nicht wirklich etwas auszumachen. Sie wollte sowieso nur bei ihm sein. Es kam nicht oft vor, dass er schon so früh aus dem Bischofssitz nach Hause kam und seine drei Kinder noch nicht schliefen. Er sah auf ihren braunen Lockenschopf hinunter und starrte wieder zum Rhein hinunter.
Gerade schob sich ein sehr ungewöhnlich und schnell aussehendes Schiff von stromab in sein Gesichtsfeld und seine Gesichtszüge verloren mit einem Mal wieder alle Weichheit.
Dieses verfluchte Ding hatte er jetzt schon einige Male gesehen. Das war wieder so ein Testschiff von den Magiern aus Sankt Grenwald, Gott möge sie ... Dann tönte auch noch Lachen zu ihnen hinauf und das Gefährt kämpfte sich, begleitet von einem Summen und einem klackernden Geräusch, unchristlich schnell stromaufwärts. Ein junges Mädchen und ein junger Magiestudent in den typischen Farben eines der Häuser der Universität winkten nun auch noch zu ihnen hinauf. Der Bischof biss die Zähne so stark aufeinander, dass sie knirschten.
„Was ist, Papa?“, meldete sich seine Tochter ängstlich, die wohl nichts gesehen hatte, aber merkte, wie sich ihr Vater verkrampfte.
„Nichts, Sarah. Es ist alles in Ordnung“, beruhigte er sie und zwang sich dazu, sich zu entspannen.
Es fiel ihm schwer.
Immer, wenn er Magische sah, schrie ein Teil seiner Selbst auf, zu dem er seine Verbindung schon vor vielen Jahren verloren hatte. Er war nur ein wenig älter als Sarah gewesen, als ihn seine Eltern voll Stolz auf eine Schule geschickt hatten, die über die besten magisch begabten Lehrer weit und breit verfügen sollte. Weder in der Familie seiner Mutter noch in der seines Vaters hatte es jemals nennenswerte magische Begabungen gegeben und seine Eltern hatten nun gehofft... Es versuchte, alle weiterführenden Gedanken an diese Zeit im Keim zu ersticken. Besonders ein 'magisch begabter Lehrer' hatte sich sehr um ihn bemüht, doch ging es dabei nicht um das Wecken seiner magischen Fähigkeiten, sondern darum, ihn mit Magie gefügig zu machen und dann zu benützen, wie man ein Handtuch benutzt, um seine Hände abzutrocknen.
Das war der Zeitpunkt gewesen, an dem der spätere Bischof erkannte, dass die Magie nur das Werk des Teufels sein konnte!
Im darauffolgenden Sommer war er, aufgrund seiner überragenden Leistungen in der Schule nach Süden gereist und hatte die Eliteschule in der Nähe des Papstsitzes besucht. Er hatte viel gelernt und war rasch in der Hierarchie der Kirche aufgestiegen, nachdem er auch genauso rasch begriffen hatte, dass er seinen Hass auf die Magischen am Besten erst einmal für sich behalten sollte. Jedenfalls, bis die Zeit reif war und er einen Weg gefunden hatte, alles Magische zu bekämpfen. Dann war er auf seinen Wanderungen durch das Gebirge auf eine Gruppe von Menschen gestoßen, die seinen Hass auf alles Magische teilten und sich die 'Einzig Wahren Gläubigen Christi' nannten.
Geistesabwesend strich er seiner Tochter über ihr Haar, während das Versuchsboot der Universität von Sankt Grenwald unaufhaltsam stromauf fuhr.
Mittlerweile war er auch ihr Bischof und damit einer ihrer höchsten Würdenträger und stand kurz davor, seine Rachepläne endlich in die Tat umsetzen zu können, damit seine Kinder in einer reinen und sauberen Welt aufwachsen konnten, die nicht von den Auswüchsen des Bösen verpestet wurde. Er war also ein Bischof zweier Kirchen!
„Komm, Kleines“, meinte er liebevoll und fasste sie sanft an ihren schmalen knochigen Schultern. „Lass uns besser wieder hineingehen. Das Essen ist doch bestimmt auf fast fertig. Weißt du denn, was es gibt?“
Sarah wusste er natürlich schon und sie berichtete ihm über alles, was sie unten im Küchenbereich herausgefunden hatte.
Ehe er die Verandatür verschloss, warf der Bischof noch einen triumphierenden Blick in Richtung des verschwundenen Versuchsbootes, während wieder einmal eine Schmerzwelle durch seinen Arm schoss, weil sein Ringfinger noch immer nicht wieder ganz in Ordnung war, wo das Fleisch um den verfluchten Zwillingsring dieses idiotischen Pfarrers aus Erlöserstadt fast verbrannt war. Sollten sie jetzt ruhig noch lachen. Es würde nicht mehr lange dauern und er war derjenige, der Grund haben würde, laut zu lachen, während das Feuer das Werk des Teufels vom Angesicht Terralts reinigte. Man hatte ihm ein altes Buch eines ehemaligen Mönches aus Terra zukommen lassen, der solche Reinigungen durch Scheiterhaufen genau beschrieb.
So in etwa stellte sich der Bischof dann auch die Lösung des Problems vor. Mit einem entschlossenen Ruck verschloss er die Verandatür und wandte sich um, um seiner Tochter zum Esstisch zu folgen.
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