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Teil 4 besteht aus zwei Teilen: Zunächst erfahren wir viel über Ragoos Herkunft und Familie. Wir erhalten Einblicke in die Umstände ihres Lebens und erleben mit, welchen Gefahren sie täglich ausgeliefert ist. Einblicke in ihre Ausbildung führen dahin, dass wir erfahren, wie es dazu kam, dass sie viele Jahre später in einer speziellen Kammer im Habitat aufwacht. Es ist die Kammer von der sie von Dor'El überwacht wird. Der zweite Teil schließt sich unmittelbar an den vorhergehenden Band an. Unsere Akteure wagen einen mutigen Schritt und treffen auf eine uralte Technologie. Sie erhalten ein Angebot, welches sie ihrem Ziel der Aufklärung des großen Geheimnisses näherbringt. Doch dazu gehört auch diese Prophezeiung. Wie passt diese dazu? Ihnen wird eine Bitte vorgetragen. Können sie sie erfüllen? Was ist das für ein Signal? Führt es sie endlich zum Versteck der Schwestern? Und kennt Yara eventuell den Namen des Verstecks?
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Seitenzahl: 605
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Rainer Gellrich, Jahrgang 1964
Begeisterter Science-Fiction-Leser, geprägt durch Werke von Christopher Samuel Youd, Stanislaw Lem, Robert A. Heinlein, Isaac Asimov, Frank Herbert und anderen.
Unter dem Titel „Syberian Cluster“ begann er ab 2018 damit, seine Gedanken in einer Reihe von Erzählungen niederzuschreiben.
Bisher erschienen:
- Kaotatu (2020)
- No GAra (2021)
- Schwestern der Ewigkeit (2022)
- Die Tempel von Tululu (2023)
Neben dieser Reihe veröffentlichte er auch Kinder-Vorlese-Bücher unter dem Label „KinderAugen“.
Hieraus bisher erschienen:
Als der Elefant den Weihnachtsbaum gefressen hat (2022)
Eine Krimi-Serie ist in Vorbereitung.
Sie kamen aus der Tiefe des Raums.
Aus den Wirren der Frühzeit erhoben sie sich, ihren Horizont zu erweitern.
Sie lernten, die Große Leere zu durchqueren und suchten nach neuem Lebensraum.
Mit der Vielzahl neu entdeckter Sternensysteme vergrößerte sich die Varianz und bald überließen die Eltern ihre Kinder sich selbst.
Die Kinder blickten zu den Sternen hinauf. Sie spürten die Verbindung und verarbeiteten sie in Mythen und Monumenten.
Doch die Eltern erinnerten sich ihrer Kinder und schickten Botschaften aus.
Von einem dieser Sternensysteme aus würde man den Ursprung dieser Botschaften im Sternbild „Perseus“ vermuten.
Rainer Gellrich
Die Tempel von Tululu
Vergangenheit und weite Ferne
Syberian Cluster IV
© 2023 Rainer Gellrich
Umschlag: Rainer Gellrich
Lektorat: Jutta Haarth
Druck und Distribution im Auftrag des Autors:
tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany
ISBN Softcover:
978-3-347-63518-0
ISBN-Hardcover:
978-3-347-63519-7
ISBN E-Book:
978-3-347-63520-3
ISBN Großschrift:
978-3-347-63521-0
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter:
tredition GmbH, Abteilung „Impressumservice“, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.
DANKSAGUNG
Wieder danke ich zunächst meiner Frau, die mich bei diesem Band während der Zeit des Entstehens diesmal in besonderer Weise unterstützt hat, da ich zwischen Entwurf und Aufnahme der lektorischen Überarbeitungen einen Unfall erlitt. Trotz voller Berufstätigkeit half sie mir, die vielen Arzt- und Therapietermine wahrzunehmen und ermöglichte mir somit die Rückkehr in einen halbwegs normalen Tagesablauf und zum Abschluss des Buches.
Ich danke auch meiner Schwiegermutter, die sich erneut als Lektorin zur Verfügung gestellt hat und mit mir nicht nur um die Grammatik im Skript, sondern auch wieder um so manche Eigenschaft und Eigenart meiner Figuren gerungen hat, obwohl es in diesem Band deutlich mehr in Richtung „klassischer Science Fiction“ geht. Wir haben in manchen Sitzungen über technische Details diskutiert und ich bin mir sicher, dass mache Leser über die Hinweise am Ende des Buches dankbar sind, in denen vieles von dem erklärt wird, was für eingefleischte SF-Fans oft schon zur Selbstverständlichkeit geworden ist.
Und natürlich möchte ich den Dank an die begeisterten Leser der ersten drei Bände nicht vergessen, die mir durch ihre Rückmeldungen bestätigt haben, die Serie möglichst bald fortzusetzen.
Ein wichtiger Hinweis: Als dieses Buch entstand, war von einem Krieg in Europa noch nichts bekannt. Ähnlichkeiten in der Beschreibung mancher Zerstörungen entstammen tatsächlich meiner Fantasie und ich empfand es als sehr bedrückend, wie sehr uns alle die Realität eingeholt hat.
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
DANKSAGUNG
1 – Strand
2 – Gruppendynamik
3 – Schuld
4 – Sühne
5 – Vorbereitung
6 – Freunde
7 – Feinde
8 – Gesinnung
9 – Perspektiven
10 – Ausstieg
11 – Begrüßung
12 – Erinnerungen
13 – Mondschein
14 – Tetrarchie
15 – Inventur
16 – Planung
17 – Training
18 – Besucher
19 – Kontakt
20 – Planungen
21 – Aufbruch
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1 – Strand
Die meisten Mitglieder der Crew dienen schon lange in der imperialen Schulflotte. Für mich hingegen ist es die erste Fahrt als Kommandant auf so einem Schulkreuzer. Meine Ausbildung und die ersten Jahre habe ich als Techniker und später dann als Steuermann und Kommandant auf verschiedenen Erzfrachtern und einem Kreuzfahrer absolviert.
Mein Name ist Kuhula-Gumbara-Tarkuhu-Tark. In der Übersetzung zur Linga Imperia würde es so viel bedeuten wie „Der aus dem Nebel der Hügelwälder Hervorleuchtende von Tark“, aber die Bedeutung ist hier nebensächlich. Es sollte nur im Log vermerkt sein.
Wir Tarkeshianer genießen den Ruf, äußerlich etwas schwerfällig zu wirken, aber man schätzt unsere schnellen Reflexe und unsere Fähigkeit, sehr schnell eine brenzlige Lage einzuschätzen. Das sind wichtige Tugenden, wenn man in den Asteroiden-Minen von Tak-Schala oder im Nebel von Kanaak unterwegs ist.
Über die Gilde wurde ich in den imperialen Dienst berufen und verbrachte einige Zeit in den Kaskaden von Gorgonea. Das hört sich harmlos an, aber die Völker der Sigarniten, die diesen Bereich schon seit Jahrtausenden besiedeln, sind untereinander zerstritten und leben überwiegend von Piraterie. Da sie jedoch zu den Großen Entdeckervölkern gehören, bewahrt sie der Anspruch auf einen Teil der imperialen Tetrarchie vor Verfolgung oder Bestrafung und so ist ein Teil der imperialen Flotte immer wieder gefordert, die vielen Handelsrouten, die ihr Gebiet durchqueren, zu sichern, ohne die Piratenflotten dabei gänzlich zu zerstören.
Eine Aufgabe, bei der es genauso viel Geschick erfordert, wie die Navigation eines schwerfälligen Erzfrachters im Scholarani-Nebel.
Aus dem Log des imperialen Schulkreuzers „Philosoph des wahren Lichtes Aashrawari“ (fīli.āshirawarī).
„Ragoosha, bitte!“
Die Angesprochene blinzelte in das Licht der Doppelsonne. Sie stemmte die Hände in die Hüften und sah sich um. Es war ein langer Flug von Raheeli VII nach Belarana II gewesen, obwohl Belarana sogar gerade noch zum Schon-Tara-Sektor gehörte. Das war auch der Grund warum Passagiere, die sich innerhalb des Sektors bewegten, üblicherweise auf den Nullschlaf verzichteten und sich stattdessen der Annehmlichkeiten des jeweiligen Transportmittels bedienten.
Wie es sich für die Tochter eines Tetrarchen geziemte, hatte sie die Reise in ihrer eigenen Barke unternommen, die über eine Vielzahl von Ablenkungsmöglichkeiten während so eines Fluges verfügte. Einen Linienflug oder sogar Charter wäre für jemanden in ihrer Position undenkbar gewesen.
Während die Barke auf ihrem Liegeplatz auf die Weiterreise wartete, hatte sie eine der luxuriösen Unterkünfte auf Belarana II für die nächsten Tage als Aufenthaltsort erwählt, die sich so weit weg vom Raumhafen befand, dass das Kreischen der Meeresvögel nicht vom donnernden Lärm startender Triebwerke übertönt wurde. Natürlich residierte sie dort nicht allein, sondern mit ihr wohnte dort auch das sie begleitende Gefolge, welches sich um ihr Wohlergehen und ihre Sicherheit zu sorgen hatte. Doch natürlich kannte man auf Belarana II die Gepflogenheiten von Reisenden ihres Status und selbstverständlich standen die oberen drei Etagen eines der hoch aufragenden Gebäude in Strandnähe ausschließlich zu ihrer Verfügung.
Sandeelia, ihre Zofe, berührte sie vorsichtig am Arm. „Ragoosha, bitte!“, wiederholte sie leise. „Ich bitte Euch, nicht zu lange an einer Stelle zu verweilen.“
Ragoosha seufzte. Natürlich hatte Sandeelia recht, aber obwohl man sie entsprechend erzogen hatte und sie damit aufgewachsen war, fiel es ihr manchmal doch schwer, sich an diese Zwänge zu halten, die für Personen in ihrer Position zu den notwendigen Sicherheitsvorkehrungen zählten und deren Einhaltung alle Beteiligten von ihr erwarteten. Auf der einen Seite war sie außerhalb ihrer Heimatwelten ständig in Gefahr, auf der anderen Seite wurde von ihr jedoch eine Präsenz gefordert, in deren Strahlen sich die einfachen Leute sonnen konnten.
So nahm sie kurz noch eine von diesen sorgfältig einstudierten Posen ein, von denen sie wusste, dass sie so ein Bild von sich bald in diversen Magazinen wiederfinden würde: Die Beine leicht gespreizt, den Blick hoch erhoben, mit den Händen die Haare im Nacken anheben und ein mögliches Beobachtungsziel anlächeln. Dabei immer darauf achten, einen Wind- oder Luftzug von vorn zu verwenden, der Haare und Umhang leicht aufbauschen würde. Kurz den Kopf schütteln und dann ein unschuldiger Blick. Fertig.
Sandeelia drang erneut auf sie ein und sie ging einige Schritte weiter, doch sie war so in Gedanken, dass sie kein Auge für den malerischen Strand hatte.
Sandeelias Sorge war natürlich nicht unberechtigt und sie mochte ihre Zofe aus vielen Gründen. Sie kannte Sandeelia schon sehr lange. Es war üblich, Zofen sorgfältig auszusuchen und früh mit demjenigen zusammenzubringen, für den sie später arbeiten sollten, wenn sie alt genug dafür waren. Ragoosha und Sandeelia waren daher zunächst gemeinsam aufgewachsen, ohne ihre unterschiedliche Herkunft oder Bestimmung zu kennen. Die Bedeutung ihrer Herkunft und die Rollenverteilung wurde ihnen erst später erklärt und so vollzogen, dass es beide eng miteinander verband.
Mit der zweiten Zofe war es nicht so. Traditionell gab es immer eine, die „Leibzofe“ genannt wurde, in diesem Fall Sandeelia – und eine, die „Dienstzofe“ genannt wurde. Dienstzofen wuchsen nicht mit ihren späteren Dienstherrinnen auf. Sie entstammten normalerweise nicht so hochstehenden Familien wie die der Leibzofen.
Doch die Stellung war begehrt. Es war Tradition, dass Zofen so gut entlohnt wurden, dass man sich ihrer Loyalität und der ihrer Familie sicher sein konnte. Die Höhe der Entlohnung einer Zofe wurde zwar grundsätzlich zwischen dem Hof und ihrer Familie verhandelt, aber es war üblich, dass diejenigen, deren Familien in der Position unter den namhaften Familien des Imperiums etwas höher standen oder diejenigen, die ihre Reichtümer ausschließlich durch imperiale Gunst angehäuft hatten, meistens keine hohen Ansprüche stellten. Allein das Privileg, ein Familienmitglied an den imperialen Hof entsenden zu können, war für die eigenen Geschäfte recht lukrativ.
Lualanna, ihre Dienstzofe, gehörte solch einer reichen Familie an, die es geschafft hatte an strategisch wertvollen Positionen die Kontrolle über Schiffswerften zu erlangen, in denen nicht die imperiale Flotte, sondern überwiegend die großen Transporter der Händler-Gilde gewartet wurden.
Als Tochter des Tetrarchen machte sich Ragoosha grundsätzlich niemals Gedanken um Geld. Ihr war es egal, zu welchem Kurs ihre Zofen für sie ihre Dienste verrichteten und auch was die anderen dafür bekamen, für sie zu arbeiten oder über das, was man für die obersten Etagen in diesem Luxushotel verlangte, oder für das Essen oder …
Sandeelia wehrte einige aufdringliche Touristen ab und wurde darin von Ragooschas Leibwächtern unterstützt.
Ragooshas Blicke suchten nach Gaschell.
Er war der Oberste ihrer Leibwache. Leider konnte sie nur eine kleine Truppe nach Belarana II mitbringen, da die Plätze in der Barke begrenzt waren. Ihr Onkel hatte sie ermutigt, ein gutes Verhältnis zum Anführer der Leibwache aufzubauen und sich von ihm im Gebrauch von Waffen ausbilden zu lassen.
War sie anfangs noch unsicher, hatte sie dies mittlerweile zu ihrer täglichen Routine gemacht. Obwohl Gaschell immer die formelle Distanz wahrte, war er ihr mit der Zeit zu einem wichtigen Teil ihres Lebens geworden. Immerhin vertraute sie ihm ihr Leben an. Sein Einsatz war zwar erst wenige Male notwendig geworden, aber sie wüsste niemanden, dem sie – außer Sandeelia – so nahestand wie ihm.
Im Grunde befehligte sie damit eine kleine militärische Einheit, obwohl sie das noch nie so betrachtet hatte. Auf den Heimatwelten unterhielt der Tetrarch eine beachtliche Flotte mit einer ansehnlichen Anzahl an Soldaten. Vor drei Standardjahren hatte er Gaschell beauftragt, aus allen Truppengattungen eine persönliche Leibwache für sie aufzustellen. Für die Reise nach Belarana II wurden daraus die besten Leute ausgesucht.
Gaschell hatte anfangs einmal versucht, ihr seine Kriterien für seine Auswahl darzulegen, aber sie konnte zu wenig Verständnis für militärische Details aufbringen. Dennoch vertraute sie seiner Erfahrung und lag damit wohl richtig. Obwohl sie selbst Gaschells Leibwache nur wenig Anlässe bot, sich zu beweisen, konnte er den Versuch einer Entführung ihrer Schwester Reliasoolu bei ihrem Besuch auf Raheeli VI erfolgreich verhindern. Auch der Zwischenfall auf Borschta III war glücklich ausgegangen. Damals hatte Ragoosha eine Schulfreundin besuchen wollen, als Unruhen ausbrachen. Gaschell hatte ihre Evakuierung einleiten können, bevor die Rebellen den Raumhafen unter ihre Kontrolle bringen konnten.
Es war damals nicht aus ihm herauszubringen gewesen, ob es sich wirklich nur um ein lokales Ereignis gehandelt hatte oder ob das alles nur veranstaltet wurde, um eine von ihnen in ihre Gewalt zu bringen. Ihre Schwester und sie waren zwar nicht die einzigen Töchter des Tetrarchen, aber immerhin Mitglieder der imperialen Familie und somit immer ein potentielles Ziel von Terroristen. Genau das war einer der Gründe, warum sie die Heimatwelten nur ungern verließ. Doch die Exkursion war wichtig für ihre weitere Ausbildung und daher nicht vermeidbar. Immerhin hatte man für den Sammelpunkt aller Teilnehmer Belarana II gewählt. Hier trafen sich die Reichen und Schönen des Imperiums, um sich zu erholen – was auch immer sie darunter verstanden. Es war anzunehmen, dass der Aufwand an Sicherheit sich quasi relativierte, denn um sich hier auch nur ein winziges Hotelzimmer weit im Hinterland für einen Tag leisten zu können, musste man schon bereit sein, eine beachtliche Summe auf den Tisch zu legen, sofern man überhaupt noch ein solches Zimmer erhalten konnte. Viele Unterkünfte waren auf Standardjahre im Voraus ausgebucht.
Plätze in Unterkünften oder Teilnahmeberechtigungen für den Besuch der Attraktionen auf Belarana II konnte man nicht einfach so erwerben. Das Prinzip baute – in groben Zügen erklärt – darauf auf, dass man eine Einladung erhielt. Eingeladen wurde man natürlich nur, wenn man eine Empfehlung oder Vermittlung durch die lokalen Behörden, einen der wenigen lokalen Vermittler oder einen der noch selteneren freien Vermittler erhielt, die ihre Büros überall im Imperium betrieben. Um eine solche Einladung zu erhalten, waren gewisse „Gebühren“ zu entrichten, über die letztendlich die Finanzaufsicht am imperialen Hof wachte, um die Entstehung eines Schwarzmarktes zu verhindern, was vermutlich dennoch nicht gelang.
Es ist daher nicht sonderlich überraschend, anzunehmen, dass ein Großteil des insgesamt von der Verwaltung Belaranas benötigten Finanzvolumens aus diesen Quellen stammte. Jemand hatte ihr einmal ausgerechnet, dass ein Minenarbeiter von Raheeli VII seine Ersparnisse vieler Jahre aufwenden müsste, um hier nur einige Tage zu verbringen.
Dafür wurde Belarana allerdings sehr gut geschützt. Wo sich eine so hohe Dichte an echter und gekaufter Prominenz aufhielt, war selbstverständlich auch das Bedürfnis nach Sicherheit besonders hoch. Während ein Teil der Einnahmen des durch ein Familienkartell verwalteten Belarana-Systems in die Gestaltung und den Ausbau des zweiten Planeten, der die beiden Doppelsterne umkreiste, als Luxus-Ferienort gesteckt wurde, flossen ebenfalls enorme Summen in den Aufbau und den Erhalt eines mehrfach gestaffelten Verteidigungssystems um Belarana und gingen ebenfalls als „Gebühren“ an diverse Stellen der imperialen Verwaltung, damit das auch so blieb.
Der Weg von einem der markierten Einsprungpunkte in das System bis zu einem der zugewiesenen Landeplätze oder orbitalen Dockmöglichkeiten wurde streng überwacht und begleitet. Ein unangekündigter Einsprung – zudem noch außerhalb der festgelegten Routen – führte immer zu einem massiven Eingriff der Sicherheitsflotte und dem Einsatz orbitaler und im System verteilter Stationen, auf denen Waffensysteme installiert waren, die es auch mit einem der imperialen Kampfkreuzer aufnehmen konnten.
Hinter vorgehaltener Hand wurde geflüstert, dass das Kartell von Belarana direkten Zugang zu den Flottenwerften auf Charros X hatte und von dort aus auch mit Waffen versorgt wurde. Inwiefern sich der Einfluss des imperialen Hofes auf eine Bevorzugung bei der Belegung ganzer Inselgruppen auf Belarana II erstreckte, war eines der Dinge, über die nicht offen diskutiert werden durfte.
Es war jedenfalls für alle Seiten wichtig, Belarana von kriminellen Aktivitäten jeglicher Art freizuhalten und gleichzeitig die Schönheit des zweiten Planeten hinsichtlich seiner Eignung als Ferienort – insbesondere für den menschlichen Teil des Imperiums – zu erhalten. Eine Beschränkung von Bebauung, Verkehrswegen und insbesondere der Anzahl sich gleichzeitig auf Belarana II befindlichen Individuen, gehörte selbstverständlich dazu.
So war es nicht verwunderlich, wenn die Strände nicht zu sehr belegt erschienen, wenngleich das für die wenigen Unterkünfte in dem dafür nutzbaren Landstreifen nicht galt.
Ragoosha trat also noch einige Schritte weiter aus dem Eingangsbereich des Hotels heraus und erlaubte so der Wachmannschaft, die man zur Ergänzung von Gaschells Leuten von lokaler Seite gestellt bekommen hatte, ihre Positionen einzunehmen. Gaschell ließ indes die Schilddrohnen starten, die sie aus einiger Entfernung überwachen und notfalls auch schützen würden.
Die lokale Wachmannschaft stand einige Schritte abseits, wo sie auf möglichen Aufnahmen von ihr nicht im Weg wäre, würde ihr dann aber in einigem Abstand folgen, um einerseits einem möglichen Attentäter den von ihnen ausgehenden Schutz zu demonstrieren und gleichzeitig nah genug, um die Annäherung einer solchen Person zu verhindern. Sie fragte sich zwar immer, ob dieses Prinzip funktionierte, war aber froh darüber, dass sie es noch nie direkt ausprobieren musste.
Langsamen Schrittes schlenderte sie an der Promenade entlang und beobachtete die Seevögel, die sanften Wellen und die anderen menschlichen Besucher von Belarana II, die hier ebenfalls unterwegs waren.
Es blieb nicht aus, dass sie dabei von vielen Passanten neugierig beäugt wurde, denn selbstverständlich trug sie ihre traditionelle Kleidung, die sich von derjenigen der anderen Besucher auf Belarana II deutlich unterschied: Wie alle Raheelianer trug sie die hohen Stiefel, da es sowohl in den Kargwüsten von Raheeli V als auch in den Savannen von Raheeli VI Parasiten gab, die einem ungeschützten Bein sehr schlecht heilende Wunden zufügen konnten. Von den Schnappkneifern aus den Sümpfen von Raheeli IV ganz zu schweigen.
Das Raheeli-System kreiste ebenfalls um einen Doppelstern. Dennoch war die Sonneneinstrahlung auf den bewohnten Planeten durchaus erträglich. Über die Jahrtausende hinweg hatten die Raheelianer helle Haare und eine dunkle Haut entwickelt, wodurch sie nicht nur am imperialen Hof meist sehr schnell auffielen, selbst wenn sie ihren Kleidungsstil der Umgebung anpassten.
Raheelianer bevorzugten vom Kleidungsstil her helle Farben und da Ragoosha von Raheeli V stammte, trug sie auch jetzt die traditionelle kurze Kleidung und einen langen Umhang, um sich damit gegen die Nachtkühle zu schützen, die das Klima auf Raheeli V so abwechslungsreich machte. Obwohl es auf Belarana II diese extremen Temperaturunterschiede nicht gab – Belarana II umkreiste zwar ebenfalls eine Doppelsonne auf einer Bahn, bei der die Oberflächentemperatur von vielen Spezies als angenehm warm empfunden wurde – würde kein Raheelianer deshalb andere Kleidung tragen. Noch ein Grund dafür, warum ihr Onkel für sie diese zusätzliche Bewachung angeordnet hatte und nicht allein auf ihre streng limitierte Leibwache setzte, obwohl auch er Gaschell und seinen – für diese Reise – besonders ausgesuchten Leuten restlos vertraute.
Zwei dunkelhäutige und schwarzhaarige Kinder schlüpften unter der Absperrung durch und kreuzten lachend ihren Weg. Ragoosha hielt kurz inne, um sie passieren zu lassen. An der Absperrung standen noch zwei Personen, die den Kindern äußerlich ähnelten, vermutlich ihre Eltern. Sie blickten ihren Kindern nach und betrachteten Ragooshas Gefolge mit ängstlichen Blicken, was Gaschell dazu veranlasste, sie mit eindringlichen Gesten zum Weitergehen aufzufordern.
Die beiden Erwachsenen erinnerten Ragoosha kurz an ihren Onkel und ihre Tante. Bei denen lebte sie seitdem sie laufen konnte, denn ihre Eltern waren Teil des imperialen Hofes und es war Sitte, dass Kinder erst im Erwachsenenalter und mit einem ausgewählten Partner an ihrer Seite wieder zu ihren Eltern an den Hof kamen. Bis dahin lebten sie bei Verwandten – vorzugsweise mütterlicherseits.
Im Falle von Ragoosha und ihrer sechs Geschwister, hatte die dafür notwendige Anzahl an verfügbaren Verwandten nur deshalb ausgereicht, weil eine ihrer leiblichen Schwestern in den Dienst des Tempels entsandt wurde. Auch das war für Familien ihres Standes so üblich. Nur deshalb erlaubte der imperiale Senat diese große Anzahl an Nachkommen. Ihre Geschwister sah sie nur selten, aber auch das gehörte zu den notwendigen Sicherheitsmaßnahmen, damit ein möglicher Attentäter niemals alle Nachkommen eines Mitgliedes der herrschenden Familien – und somit die gesamte Thronfolge – durch ein gezieltes Attentat auslöschen könnte.
Als sie den beiden Kindern und ihren Eltern nachblickte, schien Sandeelia ihre Gedanken zu erraten, denn sie trat an Ragooshas Seite und unterbrach somit den direkten Blick auf die Familie. Dennoch konnte sie damit Ragooshas Gedanken nicht vollständig ablenken, obwohl Gaschell und sie versuchten, die Gruppe näher an einen Pavillon heranzuführen, für den man ein Stück des Strandes abgesperrt hatte.
Ragoosha blickte in den Himmel, als ob sie von hier aus die Heimatwelten sehen könnte und dachte an ihre letzten Tage auf Raheeli.
Kurz vor ihrer Abreise hatte sie ihrem Großonkel noch einen Besuch abgestattet. Ihre Familie herrschte schon seit vielen Generationen über die Monde und Planeten von Raheeli. Der Reichtum der Familie rührte von den reichen Mineralienvorkommen der äußeren Planeten und Monde des Systems her, aber nur ihr Großonkel und seine kleine Familie bewohnten noch eine der Schürfanlagen auf Raheeli VII. Die restliche Familie hatte sich auf die inneren Planeten zurückgezogen. Schon seit den Expansionskriegen unter Guushara-Banna-Corell vor vielen Generationen, hatten einige Zweige ihrer Familie ihre Stammsitze auf andere Systeme innerhalb des Schon-Tara-Sektors verlegt.
Von den einst elf Monden umkreisten Raheeli VII nur noch acht und selbst diese würden eines Tages verschwunden sein, wenn man ihren gesamten Mineralvorrat abgebaut hatte.
Auf Raheeli VII waren bereits Grav-Generatoren im Einsatz, damit die dünne Atmosphäre erhalten blieb und man im Freien keinen Atemschutz benötigte. Auch hier wurde viel von dem wertvollen Mineral abgebaut und der begleitende Abraum enthielt zudem noch viele wertvolle Metalle, sodass auch dieser gänzlich verarbeitet wurde, was über die Jahrhunderte zu einem enormen Reichtum der Familie geführt hatte. Der globale Bergbau führte allerdings dazu, dass sich die Masse des Planeten über die lange Zeit des Abbaus immer weiter verringerte.
Sie besuchte ihren Großonkel nur selten, aber es war Sitte, dass man vor einer längeren Reise, die über die Grenzen des Heimatsystems hinausging, den Segen des ältesten Familienmitglieds am Stammsitz erbat.
Ragoosha verfügte über einen eigenen Gleiter, der sogar die Fähigkeit zu interplanetarer Reise besaß. Die Reise zu ihrem Großonkel hatte ihr wieder einmal die Vorzüge ihrer Stellung verdeutlicht: Während andere Kinder in ähnlichen Situationen auf öffentliche Transportmittel angewiesen waren, konnte sie auf der Reise von Raheeli IV nach VII ihre schon fortgeschrittenen Kenntnisse in Astronavigation unter Beweis stellen.
Es war ihre erste Reise ohne direkte Begleitung gewesen und als sie aus ihrem Gleiter in die dünne Luft von Raheeli VII trat, fühlte sie zum ersten Mal die Freiheit, die die Abwesenheit des sonst immer sehr um sie bemühten Hofstaates mit sich brachte.
Ob und wie Gaschell sie bei ihrem Flug nicht aus den Augen gelassen hatte und wie weit der nächste Einsatzgleiter seines Teams entfernt war, darüber konnte sie nur spekulieren. Selbst auf eine direkte Frage würde sie von ihm keine genaue Antwort erhalten. Das stand zwar grundsätzlich zum höfischen Protokoll im Widerspruch, allerdings hatte sich Gaschell bei einer solchen Begebenheit schon einmal auf die übergeordneten Anweisungen ihres Vaters berufen und sie wollte Gaschell nicht unnötig in Verlegenheit bringen.
Ihr Großonkel freute sich sichtlich über ihren Besuch und ließ es sich nicht nehmen, mit ihr einige der aktuellen Abbaustellen persönlich zu besuchen. Wie immer, wenn Ragoosha sich zu einem Besuch ankündigte, hatte er einige besonders schöne Mineralienformationen für sie auf- und vorbereiten lassen.
Obwohl Ragoosha ihren Großonkel schon öfter besucht hatte, freute sie sich immer wieder auf die Wunder, die ihr bei diesen Gelegenheiten präsentiert wurden. Und sie wurde auch bei diesem Besuch nicht enttäuscht: Die Geode war so groß, sie hätte sich hineinstellen können, wenn die scharfen Kanten der nach innen gerichteten Kristallspitzen nicht gewesen wären.
Eine der Eigenschaften dieses wertvollen Rohstoffes war die enorme Härte und das zu nadelfeinen Spitzen zulaufende Kristallgitter, welches in der Lage war, fast jedes andere Material zu durchstoßen. Noch nicht einmal die gehärteten Sohlen der Stiefel eines Minenarbeiters wären in der Lage gewesen, den Druck des eigenen Körpers auf eine solche Spitze zu vermindern.
Trotz der grausigen Bilder zeigte man den Kindern im Raheeli-System schon im Schulkindalter eine Simulation, bei der der gesamte Körper eines Menschen von diesen Kristallen aufgespießt wurde. Schönheit und Reichtum im Raheeli bargen eine große Gefahr. Das frühzeitig zu lernen, war wichtig.
Der Abbau dieser Kristalle war sehr schwierig und leider gab es immer wieder schlimme Unfälle, obwohl die Bewohner des Raheeli quasi gemeinsam mit diesen Kristallen aufwuchsen. Es war daher nicht verwunderlich, dass in den Minen von Raheeli so gut wie keine Arbeiter von außerhalb des Systems zu finden waren.
Es hatte eine dunkle Zeit gegeben, in denen die Minen als Gefängnis genutzt wurden. In der Zeit des zweiten Imperiums wurden im gesamten Raheeli-System tausende von Gefangenen in die Minen gesteckt. Es ging dabei weniger um die zu leistende Arbeit als um die Tatsache, dass ein Ausbrechen extrem schwer und dazu noch sehr gefährlich war. Die Raheelianer ließen sich für diesen Dienst am Imperium gut bezahlen.
Erst mit den Erneuerungsbewegungen, die zur Gründung des dritten Imperiums und der Einführung der Tetrarchie geführt hatten, kehrte man von dieser Praxis ab. Doch da hatte das Raheeli bereits seinen schlechten Ruf weg und der hielt sich sehr hartnäckig.
Schon vor der Zeit des ersten Tetrarchen entdeckte man zum Glück eine bemerkenswerte positive Eigenschaft dieser Kristalle: Sie konnten energetische Strahlung extrem eng bündeln und in eine Schwingung versetzen, sodass diese gebündelte Energie, wenn sie über einen Kristall abgestrahlt wurde, auch über längere Distanz eng gebündelt blieb und nicht streute.
Selbstverständlich musste man für eine praktische Anwendung nicht lange suchen. Nachdem man Wege gefunden hatte, mit den gefährlichen Kristallen umzugehen, ging es verhältnismäßig schnell, bis die ersten Waffen damit ausgerüstet wurden.
Die Tetrarchen erleichterten ihr Gewissen in der Weise, dass im Raheeli selbst keine Waffenfabriken oder Schiffswerften der Flotte errichtet wurden, aber da sie das Monopol auf die Förderung besaßen und seit Beginn der militärischen Nutzung der Kristalle dieses auch zu verteidigen wussten, wurde dieser Anspruch zwar oft angefochten, aber niemals erfolgreich. Die Sorge, nicht mehr mit den Kristallen beliefert zu werden, überwog.
Die Berater des ersten Tetrarchen waren überzeugend darin gewesen, für die Errichtung der ersten Verteidigungsanlagen ein hohes finanzielles Risiko einzugehen. Nur so war es aber möglich, dass es über die vielen Generationen der Tetrarchie niemals zu einem erfolgreichen Überfall auf das Raheeli-System kam.
Es etablierte sich die Vorgehenseise, die Erlöse aus dem Verkauf der Kristalle immer in einem guten Verhältnis zu den Aufwendungen für die Sicherheit zu verwenden, bis es als absolut unmöglich erschien, das Raheeli durch einen offenen Angriff von außen in Besitz zu nehmen.
Als einzige Möglichkeit blieb daher, über Geiselnahmen und ähnliche Aktionen, Druck auf die Tetrarchen auszuüben. Bei einem dieser Versuche bewies einer der Vorväter aus Ragooshas Familie jedoch, mit welcher Härte man vorzugehen pflegte, wenn Familienmitglieder bedroht wurden, denn es gehörte zu den Tugenden eines jeden Raheeli, sich an Waffen und deren Gebrauch ausbilden zu lassen. Es gibt viele Geschichten darüber, wie grausam und gnadenlos der Onkel des entführten Kindes die Mitglieder und Anhänger der Entführer seinerzeit verfolgt und vernichtet hatte. Diese hatten ihre Geisel ermordet, was die Wut der Raheelianer noch weiter anstachelte und schließlich zur Vernichtung eines gesamten Planeten geführt hatte. So gehörte das Raheeli vermutlich zu den wenigen Systemen, die immer noch eine große Anzahl aktiver Soldaten stellte, obwohl die Anzahl und Größe der Schiffe in der raheelianischen Flotte als überschaubar angesehen wurde.
Nur wenigen Überlebenden der Entführer gelang damals die Flucht. Die ganze Geschichte war Pflichtlektüre in der Schule. Dennoch konnte sich Ragoosha spontan nicht mehr genau an den Namen ihres Vorfahrens erinnern, als sie vor einigen Standardjahren für einen Boulevard-Berichterstatter darauf angesprochen wurde. Der Beitrag wurde nie publiziert.
Seit einigen Generationen verlangsamte sich die Intensität des Bergbaus im Raheeli immer mehr, was den Reichtum von Ragooshas Familie und vieler anderer Raheelianer kaum schmälerte. Der Tetrarch achtete strikt auf die Fördermengen und die Verfügbarkeit des Minerals, sowie die Sicherheitsaspekte, die damit im Zusammenhang standen.
Trotz der eindrucksvollen Demonstration konnte sich Ragoosha dennoch nicht vorstellen, die Kristalle ohne den Einsatz von Grav-Halterungen und automatischen Fördereinrichtungen abzubauen. Dass man diese in früheren Generationen mit einfachen Werkzeugen schürfen und bearbeiten konnte, erstaunte sie immer wieder, wenn sie die geschichtlichen Ausstellungen in den Präsentationsräumen ihres Großonkels besuchte.
Doch der letzte Besuch bei ihrem Großonkel war nur der Beginn einer längeren Reise gewesen und schon zwei Standardtage später durfte sie die persönlichen Gegenstände bestimmen, die sie auf ihrem weiteren Weg begleiten sollten.
Sie hatte die unteren Stufen der Bildung erfolgreich abgeschlossen und wandte sich nun den Spezialisierungen zu, bei denen sie Dinge lernen würde, die für junge Menschen in ihrer Position förderlich waren.
Neben Astrophysik, Exogeologie und Exobiologie interessierte sie sich besonders für Navigation und Schiffsführung. Ihr Onkel sah in ihr ein natürliches Talent und förderte sie entsprechend. Dass er sie daher allein mit einem Raumgleiter innerhalb des Systems fliegen ließ, lag nicht nur an der guten Notfallabsicherung, die durch die engmaschigen Verteidigungseinrichtungen entstanden war, sondern auch daran, dass er sie persönlich angeleitet hatte und von ihrem Talent absolut überzeugt war.
Ragoosha konnte schon mit einem Gleiter innerhalb des Systems navigieren und fliegen, bevor sie die theoretischen Grundlagen in den Kursen der Universität absolviert hatte. Nun war für sie die Zeit gekommen, sich zur weiteren Ausbildung auf eine Exkursion zu begeben. Jugendlichen, deren Eltern sich so eine Exkursion nicht leisten konnten, war zwar der Zugang zu den imperialen Universitäten nicht verschlossen, aber es gehörte schon zum Privileg der Reichen oder der herrschenden Gesellschaft, auf interstellare Exkursionen gehen zu können, auf denen eine Vielzahl von speziellen Kursen angeboten und durchgeführt wurden, wie sie so in den planetaren Universitäten maximal theoretisch angeboten werden konnten.
Ragoosha kannte ihre Mitstudenten noch nicht, aber das galt ja auch für die meisten, die ebenfalls in den nächsten Tagen von ihren Heimatwelten anreisen würden, um dann mit ihr gemeinsam die weitere Reise anzutreten. Sie würde man vermutlich überall erkennen. Über die sozialen Medien drang jeder ihrer Aufenthaltsorte früher oder später an die Öffentlichkeit. Ein Aufenthalt auf Belarana II würde für die anderen allerdings nicht so der Inbegriff von Luxus sein, den sie gerade verspürte, denn in ihrer Familie reiste man selten an Orte außerhalb des Heimatsystems oder an den imperialen Hof auf Algenib IX.
Das System von Belarana nahm hinsichtlich seines Spektrums eine Sonderstellung ein: Das Gesamt-Spektrum der beiden Sterne beinhaltete für die meisten Spezies des Imperiums die ideale Zusammensetzung, um einen Aufenthalt auf dem zweiten Planeten zu einem Erlebnis besonderer Güte zu machen, wenn man der Werbung trauen durfte. Denn in einem Punkt unterschied sich Ragoosha kaum von anderen Jugendlichen ihres Alters: Auch sie verbrachte viel Zeit in Informationskanälen, die ihre Kosten durch Werbung finanzierten. Dort wurde Belarana gerade immer dann genannt, wenn es um Erholung ging, bei der man zusätzlich noch erwarten konnte, in nächster Zeit weniger kosmetische Unterstützung zu benötigen. Ob Sonne, Luft oder Wasser – Belarana war ein Pilgerort für diejenigen, die von ewiger Jugend träumten – und es sich leisten konnten. Über Letzteres musste sie hingegen nicht einmal nachdenken.
Für Belarana II als Startpunkt der Exkursion gab es den großen Vorteil, dass insbesondere die Familien der sich hier versammelnden Jugendlichen sicher sein konnten, dass diese weniger Begegnungen mit Belästigung oder Kriminalität zu fürchten hatten, als in anderen Systemen, denn Belaranas Exklusivität und Sicherheit waren einzigartig.
Ragoosha drehte ihre Nase in den Wind. Er roch angenehm und beinhaltete eine leichte, salzige Würze. Ihr weißes Haar wehte in der sanften Brise, die auch ihren Umhang aufbauschen ließ, was wiederum den Blick auf ihre langen Beine freigab. Auch ohne es bewusst herbeizuführen, wurde sie von den wenigen anderen Passanten mit bewundernden Blicken bedacht. Es würde sie nicht wundern, ein Bild von sich – in dieser Pose – recht bald in vielen Unterhaltungskanälen zu finden, aber das war ja normal. Es gefiel ihr sogar.
Zudem hatte das Aufwehen ihres Umhanges dafür gesorgt, dass einige aus ihrem Gefolge, die ihr schon wieder unangenehm nahegerückt waren, etwas mehr Raum ließen und das freute sie so sehr, dass sie sich die nächste Brise herbeiwünschte.
Man hatte am Strand – nur unweit ihrer Unterkunft – einen leichten Pavillon aufgestellt und dort für sie eine kleine Erfrischung organisiert.
Ihrem geschulten Blick entgingen allerdings die weiträumigen Absperrungen nicht, mit denen das zwar ausschließlich zahlungskräftige, aber dennoch weniger prominente Publikum ferngehalten wurde. Doch es gehörte auch „zum Spiel“, dass sie so tat, als würde sie das nicht bemerken und mit etwas anerzogener Gelassenheit ignorierte sie die Schattenseiten ihrer Herkunft und genoss die ihr angebotenen Annehmlichkeiten.
Um diejenigen, die sich um ihre Sicherheit zu bemühen hatten, nicht noch mehr in Bedrängnis zu bringen, verzichtete sie anschließend auf einen Ausflug in die Parkanlagen am Strand und ließ sich wieder zurück in die bescheidene Herberge geleiten, in der man die oberen drei Etagen für sie hergerichtet hatte.
Zu ihrem Appartement gehörte auch eine der ausladenden Dachterrassen, auf der sie die restlichen Stunden bis zum Einsetzen des spektakulären Sonnenunterganges verbringen konnte.
Kurz nachdem Belarana-a, die größere der beiden Sonnen, in funkelnden Farben die Wolken und das Meer in ein natürliches Feuerwerk verwandelt hatte und die am Strand versammelten Besucher die ersten Feuerballons fliegen ließen, zog sie sich zurück. Sie wusste, dass sie damit einem Großteil ihres Gefolges einen Gefallen tat. Obwohl diese sich bemühten, wenig Lärm zu machen, hörte sie ihr Lachen bis durch die geöffneten Fenster ihres Schlafgemaches, als diese sie sich in Gruppen aufmachten, den Sonnenuntergang von Belarana-b am Strand zu bewundern. Manche mochten auch eine der vielen Bars besuchen, deren blinkende Lichter sich in den flachen Wellen spiegelten.
Sie freute sich für sie. Sollten sie doch die kurze Zeit ihres Aufenthaltes nutzen können, einige der nächtlichen Angebote im Umkreis zu besuchen und somit auch einen Hauch dessen zu spüren, dem sie bereits überdrüssig geworden war. Schon als kleines Mädchen hatte sie sich nicht viel daraus gemacht, die Angebote in den Freizeitparks von Raheeli VI zu besuchen. Sie wusste aber, wie andere Mädchen in der Schule sie dennoch darum beneideten.
Belarana II war in dieser Hinsicht selbstverständlich eine absolute Steigerung, aber sie verbrachte die Abendstunden lieber mit Kampfübungen. Vor einigen Jahren hatte sie von ihrem Onkel einen transportablen Holo-Simulator geschenkt bekommen und seitdem übte sie fast täglich damit. Ihre Tante hatte ihr einmal eine Geschichte einer jungen Prinzessin erzählt, die sich selbst gegen eine Horde wilder Angreifer verteidigen musste und es auch konnte. Seit diesem Abend hatte sie sich vorgenommen, dazu genauso gut in der Lage zu sein wie die Prinzessin in der Geschichte. Gaschell hatte sie darin nicht nur unterstützt, sondern leitete sie auch zu bestimmten Übungen an. Manchmal hinterlegte er im Speicher des Simulators auch die eine oder andere Überraschung für sie.
Während sich die Geräusche feiernder Besucher am Strand mit dem Rauschen des Meeres mischten, tobte sich Ragoosha in ihren Kampfsimulationen aus.
Als das Chron anzeigte, dass die Grenze des nächsten Tages gerade überschritten wurde, besiegte sie den letzten ihrer simulierten Gegner, ließ ihre Waffen fallen und begab sich in die Sanitär-Räume.
Müde und erfrischt schlüpfte sie dann in ihr Bett und dachte vor dem Einschlafen darüber nach, was man wohl für sie arrangiert hatte, um den nächsten Tag zu gestalten. Über das InfoPad hatte sie sich bereits informiert, dass man den imperialen Schulkreuzer erst in vier Tagen erwartete.
Es blieb ihr also noch etwas Zeit, sich den salzigen Wind durch ihre Haare wehen zu lassen und den heimlichen Beobachtern für die öffentlichen und privaten Klatsch-Kanäle einige Bilder zu liefern.
Vor der Tür ihres Appartements hörte sie die Wache wechseln und fragte sich, ob ihre Leibwache oder gerade die lokale Mannschaft für ihre Sicherheit zuständig sei.
Das hielt sie noch einen Moment wach und als sie ein vertrautes Räuspern hörte, war ihr klar, dass ihr Schlaf für die nächsten Stunden unter der persönlichen Obhut von Gaschell, dem Obersten ihrer persönlichen Leibgarde, in besten Händen war.
2 – Gruppendynamik
Immer dann, wenn ein Tarkeshianer eine Führungsposition übernehmen will oder soll, muss der Botschafter am imperialen Hof für ihn vorsprechen. Obwohl unsere Qualifikationen nicht nur durch die Abschlüsse an der Flottenakademie nachgewiesen werden und unser Volk innerhalb der Flotte einen ausgezeichneten Ruf innehat, ist es notwendig, dass der oberste Flottenrat jedes Kommando in einem formellen Verfahren prüft und bestätigt.
Ich bezweifle jedoch, ob ein Verwaltungsapparat – so groß er auch sein mag – dies wirklich bewerkstelligen kann. Meiner Meinung nach geht es nur um die Gebühren, die dabei zu entrichten sind und die mich ein halbes Jahr meiner Bezüge kosten werden. Vermutlich dient dieser Beitrag allerdings zum Aufbau und Erhalt der imperialen Flotte und wie jedem treuen Tarkeshianer sollte es auch mir das wert sein.
Der Gedanke, auf einem imperialen Schulkreuzer die heranwachsende Elite des Imperiums zu kutschieren, lässt mich zwar mit Wehmut an meine aufregende Zeit in den Asteroiden-Minen denken, aber da ich bereits die Hälfte meiner biologischen Lebenszeit überschritten habe, wird mir ein wenig Ruhe ganz guttun.
Wie ich bereits las, befinden sich auch einige Tarkeshianer unter den Mitgliedern der Crew. Das beruhigt mich, da es einen Teil des Studienganges geben wird, bei dem die Studenten auf einem Streckenabschnitt selbst die Konsolen zu bedienen haben. Die Nachtschichten eingeschlossen. Wir Tarkeshianer lieben die Gesellschaft anderer Tarkeshianer.
Ich bin schon gespannt, ob mir während der ersten Tage an Bord unter den Studenten jemand auffällt, der die Rolle des Kommandanten übernehmen kann. Die Auswahl treffe ja nicht ich allein, sondern der oder die Studienleitenden, aber ich freue mich wirklich auf diese Reise, bei der wir uns so weit von meinem Heimatsystem entfernen werden, wie ich es noch nie war.
Aus dem Log des imperialen Schulkreuzers „fīli.āshirawarī“.
Ihre erste Zofe weckte sie zwar pünktlich, aber Ragoosha sah ihr deutlich an, dass auch sie die Annehmlichkeiten dieses exklusiven Ferienortes in den Nachtstunden genutzt hatte.
„Deine Nacht war kurz, Sandeelia?“
Die unterdrückte ein Gähnen und wandte sich kurz ab.
Ragoosha lachte. „Das macht nichts. Wenn heute nur die Hälfte von euch einsatzbereit ist, wird es wohl genügen. Bitte sorge für die Einteilung und wenn Lualanna ausgeruhter ist als du, dann werde ich auch mit Lualanna zurechtkommen.“
„Ihr seid zu gütig, Hoheit.“ Sandeelia verbeugte sich mit den beiden zusammengelegten Händen vor der Stirn, wie es im Raheeli Sitte war. „Ich werde mit Lualanna sprechen, nachdem ich Euch für den Tag vorbereitet habe und ab heute Abend stehe ich Euch wieder vollständig zur Verfügung.“
Sandeelia ging Ragoosha noch zur Hand, damit sie sich in der Öffentlichkeit repräsentativ zeigen konnte und half ihr auch beim Ankleiden. Sie sorgte dann noch für die Bereitstellung des Frühstücks auf der Dachterrasse und zog sich danach zurück, um mit der zweiten Zofe, Lualanna, die Planungen für den Tag zu besprechen.
Während Ragoosha ausgiebig ein leichtes Frühstück genoss und sich von der einheimischen Bedienung einige der dargebrachten Köstlichkeiten erklären ließ, genoss sie die Aussicht über den langen, sich dahinschlängelnden Strand und den Verlauf der sanften Hügel, die zum Landesinneren anstiegen. Sie wusste, dass es auch dort bald wieder zu einem Strand hinunterging, den auf Belarana II gab es nur kleine Inseln und keinen Großkontinent.
Gaschell begleitete den ortskundigen Führer, den sie zum Frühstück eingeladen hatte, um ihr die wichtigsten Punkte aus der Geschichte von Belarana II zu erläutern und der auch auf ihre Fragen Antworten geben sollte. Dabei bewunderte sie Gaschell, dem seine nächtliche Wache vor ihrer Tür augenscheinlich nicht anzumerken war.
Der einheimische Führer bestätigte ihre Informationen, dass es auf Belarana II weder Industrie noch Landwirtschaft gäbe und dass sämtliche Güter aus den umliegenden Systemen importiert wurden. Dies galt auch für die Lebensmittel. Ragoosha fand es ein wenig schade. Ihr wurde dadurch die Künstlichkeit dieses Ortes bewusst.
Doch der einheimische Führer war vermutlich durch Sandeelia bereits darauf vorbereitet worden, dass Ragoosha für kulturelle Hinterlassenschaften ein großes Interesse hegte. Für heute war eine Besichtigung im Landesinneren geplant. Auf den wenigen Anhöhen, die das Terraforming erhalten hatte, gab es diverse Reste einer längst untergegangenen Zivilisation. Nur wenige Besucher kümmerten sich darum. Während der Tageszeit boten die vielen Strände und die großen Wasserflächen so viele Möglichkeiten der Freizeitgestaltung, dass der Bedarf an Exkursionen in das bescheidene Landesinnere nur sehr gering ausfiel.
Insbesondere in den Nachtstunden pulsierte das Leben in den Clubanlagen entlang der Strände, während die landesseitigen Anhöhen im Schweigen eines niedervegetarischen Buschlandes und spärlichen Waldes versanken.
Der Führer hatte bereits einige landgängige Transportmittel organisiert, denn diese waren für einen Besuch einer der freigelegten Ruinenstätten im Landesinneren notwendig. Den Weg vom Strand zu den Anhöhen fliegend zu bewältigen, war auf Belarana II nicht gestattet. An einigen Strandabschnitten ließen sich Besucher mithilfe von verankerten Ballons oder Segeln in die Luft heben und auch wegen der in großen Abständen voneinander befindlichen Unterkünfte mit ihren ausladenden Terrassen waren Lufttransporte ausschließlich den lokalen Rettungsdiensten vorbehalten.
Ragoosha hatte sich zwar schon gewundert, als sie für den Transfer vom Raumhafen bis zur Unterkunft ein bodengebundenes Landfahrzeug verwenden sollte, aber nicht gewusst, dass dies grundsätzlich für alle lokalen Transportmittel galt und blickte sich eher zufällig zu Gaschell um, der in einiger Entfernung darüber wachte, dass der einheimische Führer ihr nicht zu nahe kam.
Gerade, als sie ihn hinter den Pflanzungen, die auf der Terrasse einen Teil der Beschattung darstellten, entdeckte, gab er ihr ein heimliches Handzeichen.
Gaschell hatte sie – seit Beginn ihres Trainings mit ihm – auch in die Kunst der non-verbalen Kommunikation der Sicherheitskräfte von Raheeli eingeweiht. Jetzt signalisierte er gerade, dass er ihr dringend etwas mitteilen müsste und so gab sie vor, sich kurz zurückziehen zu müssen.
Hinter einem Vorhang beobachtete sie, wie sich Gaschell ebenfalls ablösen ließ und dann einen der anderen Zugänge zur Terrasse ansteuerte, um sich mit ihr ungestört zu treffen.
Sie stand gerade erst an der inneren Tür ihres Appartements, da wurde diese bereits leise geöffnet und Gaschell nickte ihr zu. Wortlos folgte sie ihm in ein rückwärtiges Zimmer, wobei er auch dessen Tür leise hinter sich schloss.
„Was gibt es?“, signalisierte sie ihm.
Er nickte ihr zu und zog einen Störer aus seiner Jackentasche. Als der Störer aktiviert war, trat er weiter in den Raum hinein und sprach leise zu ihr: „Hoheit, mir wurde zugetragen, dass man etwas plant.“
„Bestimmt nicht zu meiner Belustigung, wenn wir unser Gespräch abschirmen müssen“, lachte Ragoosha leise.
Doch Gaschell war nicht für einen Spaß aufgelegt. „Das ist richtig, Hoheit. Es ist leider noch nicht so konkret, dass ich Gegenmaßnahmen formulieren könnte, aber Torrino hat gestern in einer der Tavernen am Yachthafen eine Bemerkung gehört, die mich doch etwas verunsichert hat. Gerade eben bekam ich eine Bestätigung durch die lokale Garnison.“ Torrino war der Name einer der raheelianischen Leibwächter, die Gaschell mit nach Belarana II gebracht hatte.
„Also geht es über das normale Level hinaus?“ Ragoosha war bewusst, dass sie außerhalb der Heimatwelten grundsätzlich immer in Gefahr schwebte und hatte das mittlerweile akzeptiert.
Doch sie merkte es Gaschell an, der sie nicht angesprochen hätte, wenn es sich um das übliche Gerede oder die üblichen Entführungsversuche handeln würde. Hier ging es anscheinend um mehr, denn ihr Sicherheitschef druckste sonst nie herum.
„Torrino meint, jemand würde eine Gruppe anwerben. Er ist so ein sparsamer Typ, da drückt er sich immer gern an den Orten herum, die von Einheimischen oder von Werftarbeitern aufgesucht werden.“ In Gaschells Gesicht zeigte sich jetzt doch eine Andeutung eines verschmitzten Lächelns. „Auf Landurlauben, wenn man ihn sucht, dann immer in der schäbigsten Kneipe. Er gönnt sich zwar auch mal etwas, aber er gibt nie gern viel Geld aus.“
Ragoosha nickte. „Er versorgt eine große Familie, denke ich.“
„Exakt, Hoheit. Ihr seid gut informiert.“
Doch dann legte sich wieder ein Schatten von Besorgtheit über Gaschells Gesicht. Er berichtete Ragoosha über alles, was er mittlerweile in diesem Zusammenhang erfahren hatte.
Für den heutigen Ausflug waren mehrere Fahrzeuge mit verdunkelten Sichtscheiben organisiert worden und in der Rettungsstation wurde ein Gleiter in Bereitschaft gehalten. Er hatte auch die lokale Wachmannschaft verstärken lassen und noch zwei Schilddrohnen angefordert, die im Verdachtsfall dafür sorgen würden, sie vor den Auswirkungen von eingesetzten Schusswaffen zu schützen. Dennoch plagte ihn die Sorge, in den nächsten Tagen die notwendige Sicherheit zu gewährleisten.
Ragoosha war froh über seine Offenheit. Sie hatte gelernt, dass es immer von Vorteil war, wenn sie über alle Aspekte der aktuellen Lage informiert war. Als sie vor einigen Jahren einen Industriekomplex auf Yallamas III besuchte, war sie ebenfalls gut instruiert worden und konnte so bei den ersten Anzeichen einer drohenden Gefahr genau richtig reagieren. Damals hatte eine Gruppe von Terroristen versucht, sie mitsamt ihrem Gefolge in einen Schmelztiegel zu werfen.
Aufgrund der Informationen, die Gaschell kurzfristig erhalten konnte, wurde damals die Besichtigungstour in den Fabrikanlagen geändert und als die Ausführung ihres Planes scheiterte, hatten die Terroristen ein Feuergefecht eröffnet, dem sich Gaschells Schützlinge rasch entziehen konnten, weil sie sich immer im Bereich der Fluchttüren aufgehalten hatten. Auch die Schilddrohnen, die Gaschell rechtzeitig hatte aufsteigen lassen, waren bei ihrer Flucht hilfreich gewesen.
Es war nicht Gaschells Art, sie in Angst zu versetzen, das wusste sie. Nein, Gaschell war auf ihre Mitarbeit und Beobachtungen angewiesen, um sie bestmöglich zu schützen. Daher würde er jetzt alle Möglichkeiten in Betracht ziehen und das so, dass es durch einen unwissenden Beobachter nicht zu erkennen war.
Ragoosha dankte ihm und begab sich wieder auf die Terrasse, um mit dem einheimischen Führer weitere Details ihres Ausfluges zu besprechen. Das Handzeichen der von Gaschell eingesetzten Leibwache zeigte ihr an, dass dieser sich während der Zeit ihrer Abwesenheit nicht von der Stelle gerührt hatte.
Der heutige Besuch sollte einer Klosteranlage auf einem Hochplateau im Hinterland gelten. Diese war vermutlich vor vielen Jahrhunderten errichtet worden und seitdem zwar als solche bekannt geworden, aber schon seit Generationen verlassen und verfallen. Wie der Führer zu berichten wusste, gab es dort nur noch eine kleine Einsiedelei, in der eine letzte Anhängerin einer uralten Religion ein karges Dasein fristete.
Leider konnte er über die Natur dieser Religion oder dem Verbleib der übrigen Mitglieder der Klostergemeinschaft nicht viel Auskunft geben. Auch wusste er nicht, ob diese Einsiedlerin Mitglied der seinerzeitigen Klostergemeinschaft war. Ragoosha war ein wenig enttäuscht, denn das hatte sie eigentlich von ihm erwartet. Aber er schien selbst von Religion nicht viel zu halten und so informierte er sie lediglich darüber, dass es lokale Sitte sei, der Einsiedlerin eine kleine Gabe zu bringen und sich von ihr die Zukunft vorhersagen zu lassen.
Ragoosha hingegen hatte Religionen gegenüber keine Vorbehalte, aber sie war doch etwas überrascht: Eine Wahrsagerin? Ihrer Schulbildung nach hatte man die „Religion der Wahrsagerinnen“ während der Erhebungskriege vernichtet. Das war gegen Ende des zweiten Imperiums gewesen. Sollte hier eine letzte Zelle dieser versunkenen Religion überdauert haben?
Doch ihr Frühstücksgast hatte dazu keine Hintergrundinformationen parat und so ließ sie es dabei bewenden. Immerhin hatte er ihr Interesse geweckt und vielleicht könnte sie ja auch vor Ort Antworten auf ihre Fragen erhalten.
Sie ließ sich von ihm noch erklären, dass auch die Tierwelt auf Belarana II den Anforderungen an eine Ferienwelt angepasst worden war. So gab es keinerlei störende Insekten und die Seevögel, die man über dem Strand kreisen sah, kamen nicht in das Landesinnere, sondern blieben im oder über dem Wasser.
Lualanna hatte inzwischen die Begleitung und Verpflegung für die Exkursion zusammenstellen lassen und meldete sich bei Ragoosha zurück. Die überließ es dem vom Hotel gestellten Personal, sich um die Reste des Frühstücks und um die Pflege ihrer Räume zu kümmern und ließ sich von Lualanna in ihren Umhang helfen. Ihr fiel dabei der bewundernde Blick des lokalen Führers auf, als Lualanna ihr den Umhang richtete und sie ihn mit der traditionellen Fibel schloss, die das Wappenzeichen des Tetrarchen von Algenib zeigte – den Stern mit der Spirale im Inneren.
Ob er das Symbol erkannt hatte? Bestimmt doch, denn er hatte sich im Gespräch mit ihr nicht nach ihrer Herkunft erkundigt. Ragoosha nahm an, dass er schon im Vorfeld ausgiebig über sie und den Umgang mit ihr informiert worden war, denn er befolgte alle diesbezüglichen Regeln, auch wenn sie sie nicht von ihm verlangt hätte. Wenn Gaschell es nicht unternommen hatte, war es mit Sicherheit von Sandeelia ausgegangen. Die beiden waren sich in derartigen Dingen immer einig, was und wann etwas zu geschehen hatte.
Im Vorraum ihres Appartements fand sie bereits ihr Gefolge für den heutigen Tag versammelt. Lualanna hatte die Auswahl getroffen und Ragoosha registrierte mit einiger Belustigung, dass manche von ihnen sich kleine Provianttaschen umgehängt hatten. Vermutlich waren noch nicht alle von ihnen in der Lage gewesen, sich ein Frühstück zu gönnen und würden das auf dem Weg erledigen, wenn sie sich unbeobachtet fühlten.
Ragoosha war in dieser Hinsicht nie sehr streng, mochte es aber auch nicht, wenn die Pflichten vernachlässigt wurden. Sie konnte dann schon drastische Strafen verhängen, wenn das der Fall war. Das wussten alle, die in ihren Diensten standen, sehr gut. Da sie in ihrer Barke kaum ausreichend eigenes Personal mitbringen konnte, hatte man für sie zusätzlich eine lokale Gruppe angeworben, die von Gaschell und Sandeelia entsprechend eingewiesen worden war. Von daher war ihr bewusst, dass sie in dieser Hinsicht kaum den Standard zu erwarten hatte, den sie für gewöhnlich erhielt. Doch da es sich nur um einige wenige Tage handelte, würde es gehen müssen.
Sie inspizierte die Gruppe, die trotz der relativen Enge des Vorraumes angetreten war, machte hier und dort eine Anmerkung und wartete dann geduldig, bis für sie eine Aufzugsgondel zur Verfügung stand. Leider hatte der Vorraum keine Fenster, sodass ihr selbst die kurze Zeitspanne des Wartens sehr lang vorkam.
Lualanna ging noch einmal zurück in ihr Appartement, um etwas zu holen und hätte fast die Gondel verpasst, aber jemand hielt den Aufzug schnell noch an, was Gaschell mit einem zurechtweisenden Räuspern quittierte. Doch die Hausangestellte verstand seinen Hinweis nicht und Lualanna schlüpfte schnell in die Gondel. Die beiden Leibwächter waren bereits über einen anderen Weg in die Halle gelangt und die zweite Gruppe ihres Gefolges würde mit der nächsten Gondel folgen.
Mit dem Öffnen der Gondeltür trat Ragoosha wieder in das strahlende Licht Belaranas, welches durch die großen Seitenfenster und vor allem durch die transparente Dachfläche in die Vorhalle leuchtete.
Unbewusst schüttelte sie ihren Kopf und ließ ihre Haare wie einen Vorhang wehen, während Gaschell sich vor dem Haus mit den lokalen Sicherheitskräften traf und die bereitgestellten Fahrzeuge in Augenschein nahm.
Ragoosha kannte die Prozedur bereits. Sie war immer etwas genervt davon. Dummerweise ließ es sich nicht vermeiden. Selbst im Raheeli-System gab es Orte, da war es mittlerweile notwendig geworden, ihre persönliche Sicherheit durch den Einsatz bewaffneter Wachen sicherzustellen und Fahrzeuge, die nicht aus dem eigenen Fuhrpark kamen, mussten immer sehr sorgfältig untersucht werden. Gaschell hatte schon öfter das eine oder andere bösartige Anhängsel gefunden und entfernen lassen.
Sie liebte ihre Ausflüge nach Raheeli VII. Es gab dort nur noch wenige Bergarbeiter. In den meisten Minen wurden automatische Einheiten eingesetzt. Die interessierten sich nicht für sie und sie hatte andererseits auch kaum Interesse, den industriellen Mineralabbau vor Ort zu besichtigen.
Hier ließ es sich allerdings nicht vermeiden, auf die Sicherheit zu achten: Man sperrte zwar viele Orte für sie ab, aber manchmal ließ sich eine direkte Begegnung mit anderen Reisenden nicht vermeiden. Der lokale Sektor-Gouverneur hatte darauf bestanden, dass sie keinen Schritt ins Freie trat, ohne dass ein Trupp aus der lokalen Garnison sich ihren Leibwächtern anschloss.
So eine Anweisung wäre nicht notwendig gewesen, denn Gaschell diente der Familie schon so lange, dass er beim Eintreffen dieser Botschaft laut aufgelacht hatte. Als sie ihn um den Grund seiner Belustigung fragte, erklärte er ihr, dass diese „Anordnung“ – er betonte es ausdrücklich – wohl die Antwort auf seine Anforderung nach lokaler Unterstützung bei der sektoralen Garnison gewesen sei. Da befanden sie sich schon im Anflug auf Belarana und Ragoosha freute sich über seine Offenheit ihr gegenüber, wobei Gaschell niemals die Pflichten des Protokolls vergaß.
Es waren drei Fahrzeuge vor dem Haus abgestellt worden und die Prüfung der Sicherheit war noch nicht abgeschlossen, da trat ein Mitarbeiter des Hotels in den engeren Sicherheitsbereich um Ragoosha und wurde sofort von ihren Leibwächtern angehalten. Doch es handelte sich lediglich um die Frage, ihr eine Erfrischung reichen zu können.
„Ungeschickt“, murmelte Lualanna dem Hotelpagen zu, der daraufhin errötete und sich langsam wieder verzog. Ragoosha überspielte die Situation, indem sie einen langen Blick durch die transparente Decke schickte.
Doch sie und ihr Gefolge versperrten immer noch den Bereich vor den Aufzügen und das gefiel wohl einer anderen Gruppe von Gästen nicht, denn ein junges Paar mit einigen Gepäckstücken in der Hand und noch einigen Trägern im Schlepptau wurde ungeduldig.
„Geht es hier langsam mal weiter oder sind andere Gäste hier nicht erwünscht?“, fragte der breitschultrige männliche Teil des Paares, während sie ihm in den Arm fiel und ihr dabei eine ihrer Taschen von der Schulter rutschte.
Ragoosha wandte den Blick diesem Paar zu. Der Mann ließ jetzt ebenfalls eine Tasche fallen. Er schützte seine Augen mit der freien Hand, wobei er seinen Kopf senkte, als ob er sich bemühen müsste, von ihr nicht angeblickt zu werden.
Gerade gab Ragoosha ihrem Gefolge Zeichen, den Bereich vor den Aufzügen zu räumen und sich in einem Seitenbereich des Foyers neu zu formieren, da hörte sie ihn zu seiner Begleiterin sagen: „Du verstehst es nicht. Das ist eine Raheeliani. Das sind Hexen. Die haben etwas im Blick. Schau sie nicht an!“
Doch auf Aussagen wie diese war Ragoosha vorbereitet. Sie hatte es nicht glauben können, als man sie erstmalig damit konfrontiert hatte. Ihre Tante hatte sie damals, als sie in das Alter kam, in dem ihr Körper sich von einem Mädchen in eine junge Frau verwandelte, über die Veränderung in ihrer Biochemie aufgeklärt: Raheelianerinnen verströmen alle ein natürliches Pheromon, welches bei anderen Rassen im Imperium zu unterschiedlichen Reaktionen führen konnte.
Für die Zeit außerhalb der Heimatwelten wurde Ragoosha daher mit einem Medikament versorgt, das die Zusammensetzung des Pheromons veränderte und dessen Produktion eindämmte. Von daher war es eher unwahrscheinlich, dass sie dem Mann eine Ursache für seine Besorgnis geliefert hatte. Sie war aber auch darüber informiert worden, was man im Rest des Imperiums über die Bewohner ihres Systems dachte. Das jetzt so direkt zu hören, war dennoch nicht angenehm für sie.
Nur zu gern hätte sie sich auf eine Diskussion oder vielleicht sogar noch mehr einlassen wollen, aber einerseits geziemte sich das nicht und andererseits hätten das ihre Leibwächter in jedem Fall zu verhindern versucht. Oder sollte sie es darauf ankommen lassen? Doch mit einem geschulten Blick erkannte sie, welche Aufmerksamkeit sie bei den anderen Touristen im Foyer erregte und sie bevorzugte es, ihrer Familie keine nachteiligen Botschaften über die Titelseiten der Boulevard-Presse zu übermitteln.
So beließ sie es dabei und bemühte sich, das Paar einfach zu übersehen. Angestellte des Hotels versuchten ebenfalls, das Paar von ihr fernzuhalten, doch das schien die beiden nur noch mehr anzustacheln, denn sie wurden jetzt zusehends lauter. Zum Glück wurde eine Seitentür des Foyers geöffnet und Ragoosha konnte mit ihrem Gefolge auf diesem Weg den Ort dieses unschönen Zusammentreffens verlassen.
Als sie in die Sonne vor dem Haus trat, fiel ihr auf, dass alle Mitglieder des von der Garnison entsandten Trupps und der Teil des einheimischen Gefolges einen Augenschutz trugen. Jedoch weder sie noch ihre persönlichen Zofen hatten einen entsprechenden Bedarf, denn im Raheeli-System herrschte eine viel höhere Sonneneinstrahlung, sodass sie den vollen Sonnenschein von Belarana-a und Belarana-b auch gut ohne jeglichen Schutz vertrugen.
Die großen Fensterflächen der Fahrzeuge waren verdunkelt worden. Das diente einerseits dem Sonnenschutz, andererseits verbarg es die Insassen auch vor zu neugierigen Blicken, was ihr – insbesondere nach dem Auftritt des Paares im Foyer – ganz gelegen kam. Gaschell ging es allerdings nicht um den Sonnenschutz, sondern mehr um den Blickschutz und er stelle mit Besorgnis fest, dass dies für den vorderen Bereich der Fahrzeuge nicht zutraf.