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In Teil 3 der Serie erlangen wir einen Einblick in die Ursprünge des Exodus und erfahren, wie die Schwesternschaft die Menschheit über lange Zeit beeinflusst hat. In einer begleitenden Geschichte werden Momentaufnahmen einer Schwesternschülerin aufgegriffen, die zum besseren Verständnis der Untersuchungsergebnisse aus den geborgenen Daten aus dem Habitat dienen. Die Gruppe der bisher handelnden Personen wird erweitert und durch die Interaktionen erfahren wir noch mehr über das Leben der sich selbst "die Überlebenden" nennenden Menschen. Doch es kommen Zweifel auf. Sind sie wirklich die letzten Menschen, die die Katastrophe überlebt haben? Unterstützt durch Recherchen in historischen Archiven erfahren wir gemeinsam mit unseren Helden, wie es dazu kam, dass sich das Leben auf der Erde so drastisch verändert hat. Aufgeklärt wird in diesem Band, wie es zur Bildung der Verbotenen Zone kam und es gibt weitere Hinweise über den Zusammenhang zwischen den Koletis und den Bewohnern der Zone. In spannenden Episoden erleben wir mit, wie unsere Heldinnen/Helden den Hintergrund einer über Jahrhunderte funktionierenden und plötzlich vor wichtige Entscheidungen gestellte Gesellschaft aufdecken. Auch die persönlichen Beziehungen der handelnden Personen entwickeln sich und das führt zu so manch einer zeitlosen Aussage, durch die sich das Buch gut lesen lässt und Lust auf das nächste Kapitel macht. Doch was ist das für ein Signal? Nimmt jemand von außen Kontakt zu ihnen auf?
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Seitenzahl: 544
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Rainer Gellrich, Jahrgang 1964
Begeisterter Science-Fiction-Leser, geprägt durch Werke von Christopher Samuel Youd, Stanislaw Lem, Robert A. Heinlein, Isaac Asimov und Frank Herbert.
Unter dem Titel „Syberian Cluster“ begann er ab 2018 damit, seine Gedanken in einer Reihe von Erzählungen niederzuschreiben.
Bisher erschienen:
- Kaotatu (2020)
- No GAra (2021)
- Schwestern der Ewigkeit (2022)
- Die Tempel von Tululu (2023)
Neben dieser Reihe veröffentlichte er auch Kinder-Vorlese-Bücher unter dem Label „KinderAugen“.
Hieraus bisher erschienen:
Als der Elefant den Weihnachtsbaum gefressen hat (2022)
Sie kamen aus der Tiefe des Raums.
Aus den Wirren der Frühzeit erhoben sie sich,ihren Horizont zu erweitern.
Sie lernten, die Große Leere zu durchquerenund suchten nach neuem Lebensraum.
Mit der Vielzahl neu entdeckter Sternensystemevergrößerte sich die Varianz und bald überließen dieEltern ihre Kinder sich selbst.
Die Kinder blickten zu den Sternen hinauf.Sie spürten die Verbindung und verarbeiteten siein Mythen und Monumenten.
Doch die Eltern erinnerten sich ihrer Kinderund schickten Botschaften aus.
Von einem dieser Sternensysteme aus würde manden Ursprung dieser Botschaften im Sternbild„Perseus“ vermuten.
Rainer Gellrich
Schwestern der Ewigkeit
Eine geheimnisvolle Hinterlassenschaft
Syberian Cluster III
© 2022 Rainer Gellrich
[1] 2023
Umschlag: Rainer Gellrich
Lektorat: Jutta Haarth
Druck und Distribution im Auftrag des Autors:
tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany
ISBN
Paperback:
978-3-347-54707-0
Hardcover:
978-3-347-54708-7
e-Book:
978-3-347-54709-4
Großschrift:
978-3-347-54714-8
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung „Impressumservice“, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.
DANKSAGUNG
Schwer zu sagen, wem ich alles danken sollte: Denjenigen, die mir die Ideen und Vorlagen für die Handlungen und Personen gegeben haben oder denjenigen, die mir die Zeit und den Raum gegeben haben, dieses Werk über die Zeit entstehen zu lassen?
Der größte Teil meines Dankes sollte meiner Frau gelten, die mich während der Zeit des Entstehens ertragen hat. Trotz ihres grundsätzlichen Desinteresses am Science-Fiction Genre hat sie sich tapfer durch alle Kapitel gearbeitet und mich dabei unterstützt, aus verwirrenden Gedanken nachvollziehbare Inhalte zu formen und mir die Zeit und Motivation gegeben, einen weiteren Band zu vollenden.
Gleiches gilt für meine Schwiegermutter, die sich wieder als Lektorin zur Verfügung gestellt hat und mit mir nicht nur um die Grammatik im Skript, sondern auch um so manche Eigenschaft der Figuren gerungen hat.
Auch danke ich jenen, die mir Rückmeldungen gegeben haben und denjenigen, mit denen ich über den Inhalt diskutieren durfte. Ich habe auch ihre Gedanken als Unterstützung gern angenommen und freue mich darüber, dass ich wohl nicht nur den Geschmack einer spezifischen Leserschaft getroffen habe, selbst wenn die Geschichte auch mit diesem Band vermutlich immer noch nicht zu Ende erzählt ist.
Nicht vergessen möchte ich den Dank an die begeisterten Leser der ersten beiden Bände, die mir durch ihre Rückmeldungen bestätigt haben, die Serie fortzusetzen.
Ein wichtiger Hinweis: Als dieses Buch entstand, war von einem Krieg in Europa noch nichts bekannt. Ähnlichkeiten in der Beschreibung mancher Zerstörungen entstammen tatsächlich meiner Fantasie.
Inhaltsverzeichnis
1 – Orientierung
2 – Rückzug
3 – Wiedersehen
4 – Yara
5 – Anfänge
6 – Ewigkeit
7 – Zurück
8 – Tommak
9 – Explosion
10 – Relikt
11 – Energie
12 – Vergangenheit
13 – Einschlag
14 – Metall
15 – Ausblicke
16 – Außenwelt
17 – Analysen
18 – Wahrheit
19 – Loyalität
20 – Lebenszeichen
21 – Linien
22 – Donner
Hinweise
1 – Orientierung
Mein Name war Guschra, aber das ist längst Geschichte.
Ich wurde im elften Jahr der Herrschaft unserer allmächtigen Majestät Ko‘Tassundrum Gandara B‘Orschemma Dadreallorus II. auf Turallus IX geboren.
Acht weitere Planeten trennten uns von der gigantischen Sonne Turallus. Unser kleiner Planet brachte nur karge Halbwüsten hervor. Lediglich in einem schmalen Band um den Äquator reichte es für ein mäßiges Wachstum flechtenartiger Vegetation. Die anderen Planeten waren unbewohnbar.
Meine Eltern waren Farmer. Als drittes Kind der Familie war der Aufwand, mich zu ernähren, bald größer als mein Beitrag durch meine meist nur widerwillige Mitarbeit.
Eines Tages erwischten mich die Gardisten beim Stehlen auf dem Markt. Meinen Eltern blieb keine Wahl. Ich erinnere mich an einen letzten Blick auf meine Mutter und die Tränen, die auf ihre Tunik fielen. Das Gesicht meines Vaters konnte ich nicht erkennen. Ihn hatten die Gardisten zu Boden gedrückt und hielten ihn dort fest.
Durch das kleine Fenster des Gefangenenwagens sah ich, wie wir Marktstadt verließen und uns in die Berge bewegten. Es wurde schon dunkel, als wir unser Ziel erreichten. Dann schloss sich das Tor der Zitadelle hinter mir.
Später in der Nacht konnte ich einen Blick aus einem der kleinen Fenster werfen. Weit unter uns blinkten die wenigen Lichter von Marktstadt in der Ferne. Hier, in der Zitadelle der Schwesternschaft auf Turallus, begann mein neues Leben. Das Alte blieb in der Ferne zurück.
Aus dem Tagebuch der Gabrellana Turalla Boralia, Schwester des 4. Ordens (S4O).
Gorusch, der Malin und Ragoo die Hände auf die Schultern gelegt hatte, sah sich zu Dor’El um.
Die stand mit den verbliebenen Leuten aus Goruschs Gefolge vor einem dunklen Haufen und beobachtete, wie Inka mit einem langen Stab darin herumstocherte. Inka gehörte zu den wenigen weiblichen Wachen, die nach dem Verschwinden der Schwestern aus der Siedlung noch immer unter Goruschs Kommando verblieben waren. Sie hatte etwas gefunden.
Gorusch nahm seine Hände wieder herunter und gemeinsam mit Ragoo und Malin traten die drei vor und blickten auf das, was Inka freigelegt hatte.
„Das sind zwei von denen, auf die wir die Koletis losgelassen haben“, berichtete Inka. Sie streckte sich und Ragoo bewunderte ihre stattliche Figur. Inka trug eine Art von Panzerung, die der ähnelte, wie die Teisett sie trugen, allerdings ohne Helm.
Während Ragoo vor dem, was Inka gefunden hatte, zurückschreckte, bückte sich Malin und zog an Inkas Stab. Die ließ ihn los und Malin benutzte ihn als Hebel, um an etwas unter dem Haufen heranzukommen. Dor’El, die neben ihr stand, übernahm den Stab von ihr und dann griff Malin tief in den dunklen Haufen und zog etwas heraus, was im Schein der leuchtenden Luma schwach glitzerte.
Dor’El hatte inzwischen mit dem Stab einen guten Ansatzpunkt gefunden und den oberen Teil des dunklen Haufens ganz nach hinten geklappt.
Mit einem Schauder des Entsetzens nahm Ragoo wahr, dass der Haufen aus mindestens zwei Menschen bestand, die hier übereinanderlagen. Es waren diese „Wilde Menschen“, die sie zuvor angegriffen hatten. Was genau ihnen widerfahren war, konnte sie nur erahnen.
Goruschs Leute hatten diese wilden Kreaturen, die sie „Koletis“ nannten, auf die Angreifer gehetzt, um sie und die Schwestern, die sie aus dem Tempel geholt hatten, zu schützen.
Wie schon zuvor, als sie die beiden Leichen im Tunnel entdeckt hatten, stellte sie erneut fest, dass die Menschen der Siedlung wenig zimperlich waren, wenn es um die Sichtung der Überreste von Gefallenen ging.
Sie beobachtete lieber aus einiger Entfernung, wie Dor’El und Malin weitere Gegenstände unter den unförmigen Überresten hervorzogen.
Jemand richtete ein Luma auf die Fundstücke und ein erstauntes Raunen ging durch die Gruppe der Umstehenden. Malin präsentierte einige Gegenstände, bei denen manche Stellen im Licht funkelten und insbesondere Gorusch betrachtete sie mit großem Interesse.
„Das ist eine Axt“, bezeichnete er eines der Fundstücke. „Wie es aussieht, ein Werk von Olekk.“ Er nahm Malin die Axt ab und drehte sie langsam im Licht. „Oder von seinem Vater“, murmelte er. „Jedenfalls nichts, was wir hierlassen sollten.“
Er reichte die Axt an Malin zurück, die sie kurz in der Hand drehte und dann an Dor’El weiterreichte.
Gorusch nahm noch ein anderes Stück in Augenschein, das Malin ihm reichte. „Sieht fast wie eine Ambi aus“, war seine erste Einschätzung. Er nahm die vermeintliche Waffe in die Hand, als wäre es eine Ambikirev und untersuchte die verschiedenen Knöpfe und Hebel. „Keinerlei Flexstreifen“, murmelte er und klopfte darauf herum. „Eine Ambi ohne den Querbalken. Vielleicht ist der ja abgebrochen?“
Er reichte die Waffe an Dor‘El weiter. „Die nehmen wir natürlich auch mit. Vielleicht kann uns Andrasch mehr dazu sagen“, meinte er.
Andrasch war der Waffenmeister der Siedlung. Er und Tommak waren für die Instandhaltung der wenigen technischen Gerätschaften und insbesondere für die Bewaffnung von Goruschs Wachen zuständig.
Ragoo blickte der Waffe nach, als Malin sie übernahm.
„Was hast du?“, fragte Malin.
Ragoo überlegte: „Ich habe dafür so schnell kein Wort, aber das sieht doch ein wenig so aus wie so eine der Püstol, die ich von Andrasch bekommen habe. Nur größer.“
Malin nahm den Kopf zurück, zog die Augenbrauen hoch und blickte Ragoo verwundert an. „Auf keinen Fall! Die sind doch viel kleiner und das Ding hier …“, sie deutete auf die Waffe, die sich Dor’El gerade anschaute, „das ist doch viel zu sperrig.“
Doch Ragoo gab nicht auf. Sie streckte ihre Hand aus. „Gib es mir bitte mal her“, bat sie.
Dor‘El reichte ihr die seltsame Waffe. Gorusch und die anderen sahen interessiert zu.
Ragoo nahm die Waffe, drehte sie um und hielt sie sich an die Hüfte. „Nicht so ganz, aber irgendwie …“ Ragoo blickte an sich herunter. „Wenn ich hier …“ Sie drückte auf einen kleinen Hebel und es klickte. Dann riss sie die Waffe hoch und während einige, die sich mittlerweile nahe um sie geschart hatten, erschrocken zur Seite sprangen, hielt sie die seltsame Waffe an ihre Schulter gedrückt und stütze das eine Ende mit der anderen Hand ab.
Langsam bewegte sich ihr Finger der rechten Hand und suchte nach einem Halt. Malin, die immer noch direkt neben ihr stand, erkannte, was Ragoo da machte und ließ ihre Hand vorschnellen. Sie packte Ragoos Hand und umklammerte sie.
„Ich verstehe“, keuchte sie. „Bitte mach es nicht. Wenn das Ding hier noch funktioniert …“ Sie schluckte.
Ragoo hatte die Waffe langsam gesenkt und blickte sie verständnisvoll an. „Natürlich“, sprach sie langsam. „Ich bin vorsichtig.“
Sie drückte den kleinen Hebel wieder nach unten und hielt die Waffe jetzt am oberen Ende fest, während sie das untere auf dem Boden absetzte. „Auch das ist so ein Ding, zu dem ich ein Bild im Kopf habe“, sagte sie und schaute Gorusch an. „Ich hatte das schon, als Andrasch mir meine Püstol zeigen wollte: Es kam mir so vor, als hätte ich das alles schon einmal gesehen, aber ich weiß einfach nicht mehr wo oder wann.“
Ragoo schüttelte den Kopf und Gorusch presste nachdenklich die Lippen aufeinander. Als sie aber nichts weiter dazu sagte, meinte er: „Ich habe mit Rofarlin gesprochen, nachdem ihr neulich bei ihm wart.“ Er gab Malin einen Wink, damit sie Ragoo die Waffe abnahm und fasste Ragoo mit den Händen an beide Schultern.
„Deine Wahl der Kleidung, deine Sprache …“ Er blickte ihr direkt in die Augen. „Andrasch sagte, du hättest fast keine Anleitung benötigt, um die Püstol zu verwenden. Deine Herkunft … ist uns immer noch ein Rätsel.“ Er räusperte sich. „Wir wissen nicht, an welche Fähigkeiten du dich nicht mehr erinnern kannst.“ Als Ragoo den Kopf senkte, fügte er schnell hinzu: „Aber dafür sind wir doch hier – oder?“
Er deutete auf die Waffe, die Malin jetzt übernommen hatte. „Rofarlin und Andrasch werden sich das Ding einmal genauer ansehen. Wenn es für uns nützlich ist, dann werden wir sehen, was wir damit machen können. Wenn es uns hilft, die Rätsel hier zu lösen, umso besser.“
Er nickte Malin zu, die die Waffe weitergab.
„Wenn ich Rofarlin richtig verstanden habe, dann kommst du von weit her. Von sehr weit.“ Er lachte leise und das ließ Ragoo den Kopf wieder heben. „Und ich habe das Gefühl, als ob du zu uns geschickt wurdest, um uns einen neuen Weg zu weisen.“ Er deutete mit dem Kopf in die Richtung, in die ein Teil seiner Leute mit den Schwestern verschwunden war.
„Die scheinen eine große Angst vor dir zu haben.“ Er räusperte sich erneut. „Die Schwestern machen den Eindruck, dich zu kennen und sie fürchten sich vor dir. Das muss doch etwas zu bedeuten haben.“
Er lächelte sie an, damit sie sich etwas entspannte. „Dazu noch diese Prophezeiung, die so augenscheinlich gut zu dieser Situation passt?“ Er schüttelte den Kopf. „Duranaja sagt immer: Es gibt keine Zufälle und ich glaube, damit hat sie recht.“
Er ließ sie los, blickte in die Runde und erhob seine Stimme wieder. „Und ich sage euch: Hier hat etwas begonnen mit dem niemand gerechnet hat. Die Schwestern schon gar nicht. Noch niemals hat sie jemand aus ihrem verborgenen Tempel geholt. Noch niemals haben sie die Kontrolle über uns verloren. Das alles habt ihr in kurzer Zeit fertiggebracht.“
Er schaute Malin an: „Was mit dem denkwürdigen Erscheinen unserer Besucherin begonnen hat und zu dem Verschwinden der Schwestern aus unserer Gemeinschaft führte, wird für uns noch mehr bedeuten als wir alle …“ Dann ging sein Blick zu den Umstehenden und er betonte: „… wir alle es uns heute denken können.“ Und zu Ragoo sagte er: „Selbst du nicht. Das meint Rofarlin jedenfalls.“
Ragoo schüttelte den Kopf und wollte gerade etwas sagen.
„Warten wir ab“, kam Gorusch ihr zuvor. „Warten wir ab, an was du dich noch erinnern kannst und dann sehen wir, was passiert.“
Er wandte sich zu Dor’El, die immer noch die Axt in Händen hielt und schmunzelte. „Du siehst nicht aus, als ob du dich davon trennen könntest.“
Dor’El, die Goruschs Worte gehört hatte, blickte erschrocken auf. Tatsächlich: Sie war so versunken gewesen, dass sie nicht mehr darauf geachtet hatte. Langsam hob sie die Axt. Sie fühlte sich gut an in ihrer Hand. „Ich weiß nicht …“, begann sie. „Das fühlt sich so richtig an.“ Unsicher blickte sie umher.
„Das dachte ich mir schon“, grinste Gorusch. „Mehr Beweise, dass du eine verschollene Tochter unserer Gemeinschaft bist, brauchen wir wohl kaum.“
Dor’El nickte.
„Gut, dann …“ Gorusch klatschte in die Hände. Langsam zog er seine Toruud, die kleine Pfeife, die jeder um den Hals trug, hervor.
Ragoo wunderte sich: Wollte er einen Koleti rufen? War das nicht viel zu gefährlich?
Doch Gorusch bedeckte sorgfältig einige der Löcher auf der Toruud mit seinen Fingern und blies ganz vorsichtig hinein.
Ein heller, schwirrender Ton erklang.
Gorusch ließ diesen Ton einige Male erklingen und steckte dann die Toruud wieder zurück.
Malin zupfte Ragoo am Jackenärmel. „Keine Sorge, er ruft nicht so ein großes Ding“, meinte sie und zeigte nach oben. „Pass mal gut auf, was gleich passiert.“
Was sogleich passierte, war jedoch, dass das Ju-ju aus ihrer Tasche unter der Jacke nach oben krabbelte und in ihrem Kragen auftauchte, wo es neugierig herumschnupperte. Doch Gorusch beachtete es nicht. Er sammelte seine Truppe um sich und erteilte ihnen Anweisungen.
Die meisten seiner Leute sammelten die Luma wieder ein, mit denen sie die Halle bisher ausgeleuchtet hatten. Andere nahmen ihre Ausrüstung wieder auf und Ragoo erkannte, dass sie sich für den Abmarsch rüsteten. Dann bemerkte sie, dass Gorusch seinen Kopf hob und immer wieder nach oben blickte. Was suchte er da?
Durch die Einsturzlöcher in der Hallendecke waren jetzt keine kleinen Lichter mehr zu erkennen. Es wurde immer dunkler. Sie erschrak ein wenig, als Malin sie wieder am Arm packte und leise „hör mal“ flüsterte.
Sie hörte zunächst nichts. Die kleine Truppe machte zwar wenig Geräusche, aber sonst … doch. War da ein helles Pfeifen gewesen?
„Ah!“ Gorusch hatte wohl auch etwas gehört, denn er drehte sich um und schien nach etwas zu suchen, was er über ihren Köpfen vermutete.
Wenige Augenblicke später huschte vor Ragoos Gesicht etwas durch die Dunkelheit und steuerte auf Gorusch zu.
Der lachte plötzlich laut auf und griff sich an den Oberkörper. Von dort hörte Ragoo ein leises Klicken und Quietschen.
Mit der freien Hand winkte Gorusch sie zu sich.
„Er hat es geschafft“, meinte Gorusch und zeigte auf seine Hand, in der er ein kleines Paket hielt. „Zuverlässig, mein Kleiner“, lachte er.
Auch aus der Truppe kamen einige Lacher.
Er hielt das Paket näher an Ragoo heran, damit sie es in der Dunkelheit besser erkennen konnte. In Goruschs Hand hockte ein kleines Tier, das zur Hälfte aus etwas bestand, in das es sich eingewickelt hatte und an einem Ende ragte ein spitzes Gesicht mit zwei kleinen Augen, zwei zitternden Ohren und einer schnüffelnden Nase heraus.
„Das ist ein Nahkhiir“, erklärte Gorusch. „Davon gibt’s nicht mehr viele. Die haben sich im Verlauf der Zeit kaum verändert. Rofarlin meint, die zischen hier schon seit vielen Generationen herum, aber dummerweise finden sie kaum noch natürliche Nahrung.“
Er strich dem kleinen Tier mit einem Finger über den Rücken.
„Da sie aber den Pflanzen guttun, von denen wir leben, haben wir immer gut auf sie aufgepasst und manche von ihnen sind so schlau, dass wir sie sogar außerhalb der Pflanzungen für uns arbeiten lassen können.“
„Wie das?“, wunderte sich Ragoo.
„Schau mal“, forderte Malin sie auf. Ragoo blickte in ihre Richtung und sah, wie einer aus der Truppe mit einem kleinen Zettel zu Gorusch trat.
Der hielt sich das kleine Tier an seine Brust, wo es sich festkrallte. Dann nahm er den Zettel und faltete ihn ein paarmal. Anschließend rollte er das Zettel-Paket zu einer kleinen Rolle und nahm den Nahkhiir wieder vorsichtig in die Hand.
Er zeigte Ragoo, wie er die kleine Rolle an einer der Klauen des Nahkhiir befestigen konnte, an der es eine entsprechende Vorrichtung trug.
„So“, flüsterte Gorusch. „Der kleine Bursche wird unseren Leuten in der Siedlung einen kurzen Bericht bringen und die Schwestern ankündigen, die dort bald ankommen sollten.“
Ragoo staunte. „Das geht so schnell? Die sind doch schon eine Weile unterwegs?“
„Klar“, meinte Malin. „Die sind unheimlich schnell. Du siehst sie kaum anfliegen, da hängen sie schon an dir. Warte mal den Start ab.“
Und richtig: Kaum hatte Gorusch dem kleinen Tier etwas vor die schnüffelnde Nase gehalten, der Nahkhiir kaute kurz darauf herum, blickte sich um, … und war verschwunden. Ragoo hörte noch ein kurzes Quietschen, dann lachte Gorusch wieder.
„Ja, sie sind wunderbar. Dein Gesicht aber auch.“ Er beruhigte sich wieder. „Tut mir leid, aber so ist das bei uns: Wir haben Gebräuche, die müssen dir wirklich seltsam vorkommen.“
Er ließ Ragoo keine Zeit, zu antworten, sondern ging zu seinen Leuten.
Auch Ragoo, Malin und Dor’El machten sich für den Aufbruch bereit. Dor’El hatte eine Möglichkeit gefunden, die Axt an ihrem Gürtel zu befestigen und jetzt wieder beide Hände frei. Ragoo hingegen kam sich mit ihren leeren Waffenhalterungen an den Beinen seltsam vor.
Auch Malin fehlte die Sicherheit ihrer Ambikirev, doch da bekam sie von Jonscha, einem aus Goruschs Truppe, bereits seine hingehalten.
„Die is‘ nich so gut wie deine, aber besser als nix“, meinte Jonscha. „Ich geh‘ mit der Truppe los, da brauch‘ ich sie nicht.“
Malin dankte ihm und zog sie sich auf den Rücken.
„Bei dir wird’s schwieriger“, sagte Gorusch. „Er hielt ihr zwei der Schockstäbe der Teisett entgegen. Überrascht griff Ragoo zu. „Normalerweise lassen wir sie liegen“, erklärte er. „Wir haben keine Möglichkeiten, die Energiezellen aufzuladen. Von daher …“ Er blickte nachdenklich auf die beiden Stäbe in Ragoos Händen. „Die sind noch voll. Das sollte zunächst reichen.“
Als Ragoo ihn immer noch verwundert anblickte, fügte er hinzu: „Wenn du mit den Püstol umgehen kannst und anscheinend ja auch ein Gefühl für diese andere Waffe hast, solltest du gut mit den Schockstäben umgehen können, denke ich. Hinhalten, zielen, abdrücken, treffen. Du schaffst das.“
Ragoo nickte. Jetzt verstand sie seine Auswahl.
Ihre Waffenhalterungen waren zwar dafür nicht gedacht, aber auch sie konnte sich die beiden Stäbe in den Gürtel stecken.
„Gut. Abmarsch!“ Gorusch klatschte in die Hände und wies mit einer Hand die Richtung an.
Einige seiner Leute übernahmen die Führung. Ein paar von ihnen warteten, bis auch Gorusch, Dor’El, Malin und Ragoo sich ihnen angeschlossen hatten, dann übernahmen sie die Nachhut.
Der Weg führte sie durch einen dunklen Gang, dessen Eingang Ragoo ohne Hilfe in der dunklen Seite der Halle niemals entdeckt hätte. Immer wieder gab Gorusch seinen Leuten leise Hinweise. Er schien sich vollkommen sicher zu sein, wo sie hinwollten, aber nur er kannte das Ziel. Selbst Malin konnte Ragoo keine Auskunft darüber geben.
Bald hatten sie wieder so eine filigrane Brücke zu überqueren, bei der man das andere Ende kaum und den Boden in der Tiefe nicht erkennen konnte.
Konnte man nicht? Wirklich?
Ragoo hielt kurz an, um in die Tiefe zu spähen. Ganz unten meinte sie, wieder dieses blaue Leuchten zu erkennen. Doch dann wurde sie schon von Dor’El sanft angestupst. Keine Zeit hier zu verweilen.
Hinter der Brücke führte der Weg in einen größeren Raum. Eine rutschige Treppe führte zunächst nach unten und dann wieder einige Stufen hinauf.
Ragoo war auf einer Stufe ausgerutscht und hatte nach unten gegriffen, um die Balance wiederzufinden. Dabei berührte sie eine der Treppenstufen kurz mit der Hand. Die Stufe fühlte sich warm an. Beinahe heiß.
Sie wollte es gerade Malin berichten, da griff Dor’El nach ihr. Mehrere tiefe Risse durchzogen die Treppenstufen. Als sie sich streckte, um eine vollständige Stufe zu erreichen, hielt Dor’El sie am Arm fest.
„Vorsicht!“, zischte sie ihr zu. „Ich habe den Kontakt verloren.“
Als Ragoo sie verwundert anblickte, erklärte sie: „Ich hatte teilweise einen guten Plan im Kopf, wie im Tempel, aber hier …“ Sie deutete umher.
„Seitdem wir über die Brücke gekommen sind, ist da plötzlich alles so …“ Dor’El stutzte kurz und blickte zu Boden „Da ist alles so … gedämpft.“
„Wie?“ Malin trat zu ihnen.
„Na, ich meine … zuvor, da hatte ich den Verlauf der Wege ganz klar vor mir, aber seitdem wir über die Brücke gekommen sind … nein.“ Dor’El blickte sich um. „Seitdem wir über diese Spalten gegangen sind, da …“ Sie sah sich wieder um. Hinter ihr scharrten einige der Nachhut ungeduldig mit den Stiefeln.
Gorusch kam zu ihnen.
„Was habt ihr?“, fragte er.
„Diese Treppe“, begann Ragoo. „Sie ist heiß.“
„Heiß“, fragte Gorusch.
„Ja. Ich habe die Stufen angefasst und …“ Sie deutete auf Dor’El. „Auch ihre Wahrnehmung hat sich verändert.“
Gorusch sah sie forschend an.
Dor’El erkannte darin die Aufforderung zu weiterer Erklärung. „Also, zunächst habe ich noch gewusst, wo wir sind. Als wir dann diese Treppe heraufgekommen sind, fühle ich mich, als stünde ich in dichtem Nebel.“
„Nebel?“, fragte Malin. „Was ist das?“
Dor’El drehte den Kopf zu ihr und ihre Stimme klang wieder so seltsam als sie dozierte: „Nebel. Von Nebel spricht man, wenn sich Wassertröpfchen fein in der Luft verteilen und durch Kondensation in feuchter und übersättigter Luft entstehen. Es handelt sich im Grund um eine Wolke auf Bodenhöhe, die die Orientierung enorm erschwert und …“
„Lass gut sein, Mädchen“, grummelte Gorusch. „Dein Wissen kann einem ja Angst machen.“
„Was ist eine Wolke?“, wollte Malin wissen und ein schelmisches Grinsen umspielte ihre Mundwinkel.
Noch bevor Dor’El zu einer erneuten Erklärung ansetzen konnte, stoppte Gorusch sie mit einer Handbewegung. Dann lachte er: „Wirklich, Mädels. Ihr macht mich wahnsinnig.“
Er blickte kurz zum vorderen Teil der Truppe, doch diejenigen, die die Gruppe nach vorn absicherten, zeigten keinerlei drohende Gefahren an.
„Also, jetzt noch einmal in einfachen Worten“, bat er Dor’El. „Was genau ist hier los?“
Dor’El überlegte nicht lange. „Die Treppe ist nicht nur warm, der Boden darunter ist heiß.“
Gorusch nickte. „Und was bedeutet das?“
Dor’El deutete auf die Decke über ihnen. „Wenn ich genau überlege, könnte es sein, dass wir uns hier in der Nähe oder vielleicht sogar schon in einem Habitat befinden, ohne dass es hier die üblichen Schleusen gibt.“
Malin und Ragoo sahen sich an. Malin zuckte mit den Schultern.
„Die grundlegenden Baupläne waren immer gleich“, berichtete Dor’El. „Ich kenne die Baupläne sehr gut. Wenn wir hier das nächste Habitat erreicht haben, dann kommen wir gleich an der Maschinenhalle vorbei.“
Gorusch zeigte leichte Ungeduld. „Und was dann?“
Dor’El zögerte. „Na, wenn hier der Boden schon so heiß ist, dann sollten wir uns dort nicht zu lange aufhalten.“ Sie schaute sich um. „Ohne euch mit technischen Details langweilen zu wollen, kann ich euch nur sagen, dass diese Hitze nicht so spürbar sein sollte, wenn hier alles noch in Ordnung wäre.“
„Was genau ist denn nicht in Ordnung?“, fragte Malin dazwischen.
„Ich denke, wir alle kennen dieses blaue Licht.“ Alle nickten und Gorusch machte eine ungeduldige Handbewegung. „Dieses Licht entsteht, wenn ein Kraftwerk, welches ein Habitat mit Energie versorgt, beschädigt wird.“
Gorusch brummte.
Dor’El beeilte sich, mit Ihrer Erklärung weiterzumachen. „Wenn so ein Kraftwerk beschädigt wird, kann gefährliche Strahlung austreten.“ Schnell fügte sie an. „Diese Strahlung sehen wir zum Teil als blaues Licht. Einen Teil davon fühlen wir als Wärme und einen großen Teil können wir nur spüren.“ Sie senkte die Stimme. „Wir werden sehr krank davon und können sogar sterben, wie alle, die hier …“ Sie senkte den Kopf.
Ragoo sah, wie ihr Tränen über die Wangen liefen. Als sie sich zu Malin umdrehte, hatte auch sie Tränen in den Augen.
Gorusch hingegen stand wie erstarrt da und nickte langsam. Dann nahm er Malin in den Arm und drückte sie an sich.
Nach einigen Schluchzern von Malin winkte er auch Ragoo zu sich und selbst Dor’El nahm dankbar einen seiner starken Arme an.
Es brauchte einen Moment, dann räusperte er sich und sie lösten sich wieder alle von ihm. „Rofarlin hat mir gegenüber bisher immer nur Andeutungen gemacht.“ Er räusperte sich und strich seinen Bart glatt. „Ich habe natürlich die Schriften studiert und mir so meine Gedanken gemacht, aber wir leben nun mal mit dieser Situation“, erklärte er Ragoo. „Ich war leider schon bei zu vielen Gelegenheiten dabei, wenn jemand aus der Zone nicht mehr zurückkam und auch dann, wenn ein glücklicher Rückkehrer einige Zeit später zu den Heilern kam.“
Er musste schlucken. „Ich war noch jung und liebte ein Mädchen.“ Mit einem Glitzern in den Augen sah er zu Malin. „Sie war blond, groß und genauso verrückt wie du. Immer wieder schlich sie in die Zone und holte viel gutes Metall heraus.“
Er atmete mehrfach tief durch.
„Eines Tages kam sie zurück und man spürte, dass mir ihr etwas nicht stimmte. Sie war sehr lange unterwegs gewesen und ihre Ausbeute war gewaltig, doch es ging ihr von Tag zu Tag schlechter und bald schon lag sie bei den Heilern.“ Seine Stimme zitterte und er schluckte. „Ich besuchte sie jeden Tag und eines Tages berichtete sie mir, dass sie einen neuen Weg gefunden habe. Er führte an eine Stelle mit großem Vorkommen an Metall.“
Seine Stimme fand seine normale Festigkeit wieder.
„Es ist der Weg, den wir hier gehen und den ich jetzt schon viele Male gegangen bin. Im Gegensatz zu ihr war ich allerdings vorsichtiger und habe nie lange hier verweilt.“
Er griff sich in den Bart.
„Sie ist wenige Tage nach meinem letzten Besuch verstorben und seit dieser Zeit gab es nur noch eine Frau in meinem Leben.“ Trotz der traurigen Geschichte stieg ein Lächeln in seinem Gesicht hoch und er schaute zu Malin.
Die schaute ihn staunend an. Diese Geschichte hatte er ihr noch nie erzählt.
„Na, jedenfalls verdanke ich ihr einen sehr interessanten Einblick in unsere Geschichte. Rofarlin habe ich nur einen Teil davon erzählt und ich durfte daraufhin einige Bücher durchstöbern, die sehr alte Berichte über die Anlage der Siedlungen und Habitate enthielten.“
Diejenigen, die die Gruppe von hinten sicherten zischten einige Worte und zogen so Goruschs Aufmerksamkeit auf sich.
„Wir sollten weiter“, unterstützte auch Malin ihre Meldung.
„Gleich.“ Jetzt wollte sich Gorusch gerade nicht drängen lassen. „Um es kurz zu machen: Ich war also mehrfach hier und immer sehr vorsichtig, denn sie hatte mir erzählt, dass sie hier zwar viel und gutes Metall, aber auch etwas anderes gefunden hatte.“
„Das Relikt?“, fragte Ragoo.
Gorusch nickte. „Wenn man es so nennen möchte, dann ja.“ Er winkte seinen Leuten auf beiden Seiten zu, dass es gleich weitergehen würde.
„Wir sind nicht mehr weit davon entfernt. Ihr werdet mir sagen, was das ist. Ich sorge dafür, dass wir einen sicheren Weg nehmen.“ Dabei blickte er zu Dor’El. „Und wenn du etwas Ungewöhnliches spürst, dann sag es mir bitte sofort – ok?“
Dor’El nickte.
Sie machten sich wieder auf den Weg. Die Treppe ging nur noch wenige Stufen hoch, dann brach sie ab.
Dafür gab es an der Seite einen breiten Durchbruch durch die Seitenwand. Hier übernahm Gorusch die Vorhut und sie fanden sich bald in einer dunklen Halle wieder.
Sie ähnelte einer Halle, die sie zuvor schon besucht hatten. Ragoo erinnerte sich daran, wie Dor’El die technischen Einrichtungen beschrieben hatte. Auch hier gab es diese Apparaturen, wenngleich sie keinerlei Anzeigen darauf aufleuchten sah.
Vorsichtig bewegten sie sich tiefer in die Halle hinein. Mehrfach schaute Ragoo besorgt zu Dor’El, doch die zeigte keine Anzeichen einer drohenden Gefahr an.
Dann bemerkte sie mit einem Mal, dass sich eine Hand in die ihrige schob. Erstaunt blickte sie an sich herunter und erkannte, dass die Hand zu Malin gehörte. Sie erwiderte den Händedruck und spürte, wie Malin sich enger an sie drückte.
Gorusch dirigierte die Truppe auf einem für sie alle unsichtbaren, aber scheinbar für ihn sehr vertrauten Weg durch das Gewirr von Röhren und dunklen Geräten.
Während Dor’El der schemenhaft erkennbaren Einrichtung großes Interesse entgegenbrachte, folgte Ragoo ihm im Vertrauen, dass er allein einen sicheren Weg für sie alle kennen würde. Die sonst immer so starke Malin an der Hand kam sie sich zwar immer noch sehr verletzlich vor, aber sie versuchte, das Gefühl nicht nach außen dringen zu lassen.
Immer wieder kamen sie an völlig zerstörten Teilen dieser unbekannten Einrichtung vorbei. Dann blieb Gorusch plötzlich in einem Durchgang stehen und deutete nach vorn. Sie stellten sich zu ihm und strengten ihre Augen an.
Immer deutlicher schälten sich Details einer großen Halle voller seltsam verbogener Leitungen, Leitern, Behältern und anderen Einrichtungsgegenständen aus der Dunkelheit hervor.
An vielen Stellen leuchtete dieses blaue Licht und Ragoo fragte sich, ob Gorusch wirklich einen sicheren Weg eingeschlagen hatte.
Erst, als sich ihre Augen noch weiter an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte sie, dass ein Großteil der Hallendecke fehlte.
Es waren aber keine kleinen Lichter zu erkennen, bei denen es sich um Sterne des Himmels handelte, sondern der zackige Rand des Deckeneinsturzes wurde durch ein tiefrotes, dämmriges Licht erkennbar, welches von einer Seite her die tiefen Schatten verdrängte.
Hatte es hier einen so großen Deckeneinsturz gegeben, dass die Halle großflächig zur Oberfläche hin frei lag?
Gorusch stand direkt vor ihr und deutete mit der Hand auf eine Stelle in der Ferne. „Da hinten müssen wir hin. Seid vorsichtig. Wir müssen einige wackelige Schutthaufen überqueren, aber ich war hier schon mehrfach. Es ist möglich.“
Die Nachhut hatte sich gerade davon überzeugt, dass niemand der Gruppe gefolgt war und Gorusch begann damit, die Aufstellung neu zu formieren.
„Ihr beiden nehmt hier links die Seite. Wenn es gleich heller wird, achtet bitte darauf, die Säulenreihe nicht zu durchqueren. Ihr werdet sonst das blaue Licht nicht mehr erkennen können.“
Dann deutete er auf eine andere Gruppe. „Ihr nehmt die rechte Seite und …“ Mit einem vor Schmerz verzerrten Gesichtsausdruck hielt er inne und krümmte sich zusammen.
Noch bevor jemand reagieren konnte, ertönte in der düsteren Halle ein langgezogener tiefer Ton. Ragoo meinte, darin ein Horn zu erkennen, aber da ging Gorusch schon auf die Knie und sie bemühte sich, ihn zu stützen.
Malin hatte schnell ihre Hand losgelassen und die Ambikirev angelegt. Angestrengt zielte sie in die Dunkelheit hinein.
Wieder ertönte so ein langgezogener Ton, dann erklang ein Heulen wie aus vielen heiseren Kehlen. Während die Wächtergruppe nach einem Angreifer Ausschau hielt, tastete Ragoo mit der Hand über Goruschs Rücken.
Dort steckte ein langer Schaft, den sie mit der Hand griff. Noch bevor sie ihn herausziehen konnte, streckte Dor’El eine Hand vor und hielt ihre fest. „Auch wenn es dir logisch erscheint“, zischte sie. „Lass ihn stecken. Wenn du ihn jetzt herausziehst, könnte es noch schlimmeren Schaden verursachen.“
Es fiel Ragoo schwer, ihr zuzustimmen, doch Dor’El mit ihrem Wissen als MTech schien sich da auszukennen. So hielt sie den Schaft mit beiden Händen fest und brach ein großes Stück davon ab.
Gorusch stöhnte laut auf.
Malin und die anderen gaben einige Salven aus ihren Ambikirev ab, aber ohne ein erkennbares Ziel war ein Erfolg nicht zu beobachten.
Weitere dieser Hornstöße und ein Heulen erfüllten die Dunkelheit. Dazu kam noch etwas, was Ragoo nur als ein „rhythmisches Schlagen auf irgendetwas“ bezeichnen könnte.
„Zurück!“, stöhnte Gorusch. „Zur Treppe!“
Es waren nur wenige Augenblicke vergangen, aber es kam Ragoo viel länger vor. Sie half Gorusch auf die Beine und warf einen kurzen Blick zurück in die Halle, wo sich das Relikt befand, zu dem Gorusch sie führen wollte. Das würde jetzt wohl warten müssen.
In der Düsternis der Halle meinte sie Bewegungen zu erkennen. Wenn dort Angreifer waren, dann bewegten sie sich rasch auf sie zu. Viele Angreifer.
Während sie und Dor’El den verletzten Gorusch zur Treppe führten, versuchten Malin und die Wächter die Angreifer wenigstens etwas von ihnen fernzuhalten, in dem sie Salve um Salve blind in die Dunkelheit abgaben.
Nicht nur Inka trug Teile einer Teisett-Rüstung. Während Malin sich dagegen entschieden hatte, sich Teile einer Raudrüh anzueignen, trugen viele aus der Gruppe der Wächter einige von diesen Raudrüh-Platten unter ihren Gewändern.
Mehrfach hörte Ragoo, wie diese anscheinend von Geschossen getroffen wurden und in ihr stieg eine große Angst um Malin auf.
Doch es gab keine Zeit, sich umzuschauen, denn sie mussten den Weg zurück auf die Treppe finden, von der aus, wie Gorusch ihnen mühsam zugeflüstert hatte, es einen anderen Weg zurück zur Siedlung geben würde.
Sie hoffte nur, dass sie alle noch rechtzeitig vor den Angreifern, die sie für diese Wilden Menschen hielt, einen sicheren und vor allem einen schnellen Rückweg würden einschlagen können.
Da schrie jemand hinter ihr schmerzvoll auf.
2 – Rückzug
Natürlich hätte es mich schlechter treffen können. Abgesehen davon, dass ich nicht mehr damit rechnen darf, meine Familie jemals wiederzusehen und ich in der Zitadelle viel zu Lernen und zu Arbeiten habe, sorgen die Schwestern doch dafür, dass ich saubere Kleidung und ausreichend Nahrung bekomme.
Sie nennen mich fortan Gabrellana und ich gehöre zu einer Gruppe von Kindern mit ähnlicher Vorgeschichte, die gemeinsam in der Abgeschiedenheit der Zitadelle ausgebildet werden.
Ich habe schon gelernt, dass wir dabei nach unseren Fähigkeiten sortiert werden und da ich nicht den Drang verspüre, Arbeiten zu verrichten, nach denen man sich hinterher lange reinigen muss, gebe ich mir große Mühe, mein Wissen um die Geheimnisse des Universums zu erweitern.
Man findet mich daher auch außerhalb der Bildungszeit oft in der Bibliothek der Zitadelle, wo ich mich – sehr zur Freude der Mutter Schriftbewahrerin – in das Studium der angebotenen Schriften vertiefe.
Nach zwei weiteren Umläufen sehe ich zwar immer noch so aus wie ein Kind, durfte meinen Schlafplatz allerdings schon in den Turm der älteren Mädchen verlegen.
Ich erinnere mich noch deutlich an den enttäuschten Gesichtsausdruck der Mutter Orgadara Kordalla, als die Mutter Oberin mich aus ihrer Obhut in die von Mutter Hannarah Urga Schona übergab.
Von da an durfte ich auch die oberen Türme besuchen und mehr als einmal beobachtete ich den Sonnenuntergang hinter der Großen Ödnis, ohne meinem früheren Leben im habitablen Farmring nachzutrauern.
Hier bin ich jetzt und weiß über die Ökologie von Turallus IX mittlerweile mehr als jeder Farmer, der seine kargen Erträge auf dem Markt anbietet. Und stehlen muss ich auch nie wieder.
Aus dem Tagebuch der Gabrellana Turalla Boralia, S4O
Ragoo wollte sich umdrehen, aber da stolperte Gorusch und sie musste sich gemeinsam mit Dor’El bemühen, ihn wieder aufzurichten.
Ausgerechnet Gorusch.
Warum musste es heute ausgerechnet Gorusch treffen?
Sie waren ihrem Ziel, der Aufdeckung des Geheimnisses des rätselhaften Relikts doch schon so nahe gewesen.
Jetzt stolperte auch Dor’El und Ragoo musste sich ziemlich anstrengen, um sich den sich dahinschleppenden Gorusch nicht aus den Händen reißen zu lassen.
Doch Dor’El fand schnell wieder einen sicheren Tritt und auch wenn sie Gorusch immer wieder stöhnen hörte, stieg doch ihre Bewunderung für diesen Mann, der sich um den Wiederaufbau der Gesellschaft in der Siedlung bemühte und sich gleichzeitig mit ihnen auf den gefährlichen Weg gemacht hatte, ihr etwas zu zeigen, woraus sie Rückschlüsse für ihre Herkunft finden könnte. Jetzt aber war es unbedingt notwendig, Gorusch hier heraus und zu den Heilern zu bringen. Gewiss gab es danach noch einmal eine Gelegenheit, diesem Geheimnis erneut auf die Spur zu kommen. Hauptsache Gorusch überlebte das hier.
Sie hatten die Treppe mühsam bewältigt und hielten kurz an.
„Hier, links rüber“, stöhnte Gorusch. „Er versuchte, sich ein wenig aufzurichten, aber das Ding in seinem Rücken schien das zu verhindern.
Dor’El, die das bemerkte, drückte ihn mit einer Hand wieder in die gebogene Haltung zurück. „Nicht zu viel bewegen“, sprach sie ruhig auf ihn ein. „Wenn das ein Pfeil war und der zu tief eingedrungen ist, wird er weniger Schaden anrichten, wenn er nicht zu viel bewegt wird.“
Gorusch wollte wohl lachen, aber es kam nur ein Keuchen heraus.
Jetzt schaute Ragoo sich um, aber wer da vorhin geschrien hatte, ließ sich nicht mehr feststellen. Gorusch war wohl nicht der Einzige, der über eine Wunde klagte.
Sie folgten Goruschs geflüsterten Anweisungen und standen bald vor einer Wand, die im schwachen Licht aus der Tiefe unterhalb der Brücke kaum zu erkennen war.
„Hier ist ein Durchgang. Etwa …“ Gorusch musste kurz verschnaufen. „Etwa sechs Schritte vom Ausgang zur Brücke entfernt.“
Da sie ihn beide noch hielten, zischte er: „Los, Mädels. Eine von euch muss die Tür öffnen!“
Eine Tür?
„Na, los!“, keuchte Gorusch. „Fest dagegentreten!“ Er wies mit seiner Hand auf die Wand neben Dor’El.
Die ließ ihn vorsichtig los und trat an die Wand. Dabei suchte sie mit ausgestreckten Armen die ungefähre Stelle, die Gorusch bezeichnet hatte.
„Mehr links!“, stöhnte Gorusch. „Da, jetzt!“
Dor’El hob den rechten Fuß und stieß ihn an die Wand.
Es passierte nichts.
„Etwas weiter nach links und noch einmal!“ Gorusch hustete.
Wieder trat Dor’El mit aller Kraft zu und beinahe wäre sie jetzt gestürzt, denn die Wand hatte nachgegeben.
Die anderen waren jetzt auch vollständig zu ihnen aufgeschlossen und deckten weiterhin ihren Rückzug.
„Wir haben fast keine Ammo mehr!“ Malin drängte sich an Ragoo und brachte sie dadurch beinahe aus dem Gleichgewicht. „Gib mir schnell mal einen oder beide Schockstäbe. Versuchen wir es mal damit!“
Ragoo hob die Ellenbogen an, um Gorusch nicht loszulassen und Malin gleichzeitig die Gelegenheit zu geben, in ihren Gürtel zu greifen.
Die reichte ihre Ambi kurz an den nächsten aus der Truppe weiter, zog die beiden Schockstäbe aus Ragoos Gürtel und feuerte mit einem in die Dunkelheit des oberen Treppenabsatzes.
Das Geheule hatte mittlerweile fast aufgehört, aber nun vernahm man einige erschreckte Aufschreie, als der Blitz des Schockstabes in die Dunkelheit zischte.
Malin feuerte weiter.
Inzwischen hatte Dor’El die von Gorusch als „Tür“ bezeichnete Öffnung so weit aufbekommen, dass man hindurchschlüpfen konnte.
Der eine Schockstab gab nichts mehr von sich. Auch viele aus der Truppe hatten bereits ihre Ambis leer geschossen und sie sich über den Rücken gezogen.
Malin warf den Schockstab die Treppe hinauf und machte den zweiten schussbereit.
Während Ragoo Gorusch stützte und Dor’El die Tür noch etwas weiter aufschob, zischten weitere Schockblitze die Treppe hinauf. Ragoo sah den Widerschein der Blitze an der Wand und konnte die Türöffnung daher deutlicher erkennen.
Dor’El winkte ihnen zu.
Die von ihr geöffnete Tür stand jetzt weit genug auf, um mit Gorusch hindurchzugelangen. Vorsichtig half Ragoo dem verletzten Gorusch durch die Tür und fand sich danach in einem schmalen Durchgang wieder. Dor’El hatte ein Luma gezündet und hielt es an die Decke, sodass sein Licht die nähere Umgebung erleuchtete.
„Voran!“, stöhnte Gorusch. „Die anderen werden schon nachkommen, aber sagt ihnen noch, sie sollen die Tür wieder versperren!“
Dor’El ließ Ragoo mit Gorusch vorbei und gab die Botschaft an die Nachfolgenden weiter. Dann eilte sie schnell zurück zu Ragoo und Gorusch, um ihnen den Weg zu beleuchten.
Dieser Gang ging zunächst völlig geradeaus, immer leicht nach unten und war so breit, dass Ragoo und Gorusch gut vorwärtskamen. Mehrere Male musste Gorusch kurz innehalten, etwas verschnaufen und schleppte sich dann weiter.
So ging es eine ganze Weile bis der Gang, der sich jetzt um einige Windungen gedreht hatte, wieder an einer Tür endete.
Dor’Els Luma beleuchtete eine anscheinend massive Tür, denn auf ihrer Seite gab es einen aufwendigen Schließmechanismus mit einem großen Rad in der Mitte.
Gorusch atmete stoßweise. „Rad … drehen!“, drückte er mit einem Hustenanfall heraus.
Dor’El versuchte es, doch es bewegte sich nichts.
Sie gab Ragoo das Luma und versuchte es in die andere Richtung. Sie wollte gerade aufgeben, da knirschte es und das Rad ließ sich langsam bewegen.
Im Lichtstrahl des Luma sah Ragoo, wie einige der Verstrebungen sich verschoben und einige große Bolzen aus dem Rahmen der Tür in deren Mitte gezogen wurden.
Als Dor’El jetzt mit ihrem ganzen Gewicht an dem Rad zog, spürte sie, wie sich die Tür langsam öffnete. Kalte Luft strömte ihnen entgegen. Dann schwang die Tür ganz nach innen auf.
Hinter der Tür war es dunkel.
Das Luma vermochte lediglich, den Boden zu beleuchten. Der glitzerte im Licht. Wieder wollte Gorusch etwas sagen, aber er konnte nur husten.
Ragoo half Gorusch über die Türschwelle, da diese rund war wie eine der Luken im Habitat. Die Tür war also eine von diesen Luken, über die man ein Habitat betrat und verließ? Waren sie jetzt wieder in einem Habitat? In einem dunklen Habitat? Oder waren sie es zuvor gewesen?
Gerade wollte sie sich nach Malin umschauen, da schaltete Dor’El das Luma aus.
„Ich weiß, wo wir sind.“ Malin kam durch die Tür auf Ragoo zu und griff Gorusch unter die freie Schulter. Der brummte nur kurz.
Nachdem auch die anderen Mitglieder der Truppe durch die Luke getreten waren, hieß Dor’El sie, diese wieder zu verschließen. Sie zeigte ihnen die innere Seite der Verriegelung und Ragoo hörte, wie die Bolzen wieder griffen. Dor’El kannte sich mit diesen Luken aus, dachte sie bei sich. Wie damals, als sie das erste Mal, … Sie konnte ihren Gedanken nicht beenden.
Malin zischte ihr zu: „Zum oberen Durchgang“ und zog Gorusch voran, sodass Ragoo ihr folgen musste.
„Wo sind wir hier?“, fragte Ragoo leise.
„Schhh!“, zischte Malin leise. „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu viel Lärm machen.“
„Wo sind wir?“, fragte Ragoo leiser, aber bestimmt.
„Das ist eine Seite von Schasch-Garan“, erklärte Malin. „Noch ein wenig weiter und du wirst mehr erkennen können. Wenn wir aber zu laut sind, dann ziehen wir möglicherweise die Aufmerksamkeit einiger Koletis auf uns und wir haben vorhin fast unsere gesamte Ammo verschossen.“
Schasch-Garan. Es war schon eine Weile her, als Ragoo auf ihrem Weg in diese dunkle Stadt gekommen war. Wie Malin es gesagt hatte, gewöhnten sich ihre Augen bald an die trübe Beleuchtung und sie erkannte sogar die Umrisse einiger Gebäude.
Sie erinnerte sich auch an ihre erste Begegnung mit Malin. Damals hatte man sie hier vor den angreifenden Koletis geschützt, aber jetzt waren sie relativ wehrlos, sollte es zu einer Begegnung kommen.
Malin schien sich in Schasch-Garan gut auszukennen und steuerte auf die ersten Gebäude zu.
„Gut gemacht“, murmelte Gorusch, der sich zwischen Ragoo und Malin kaum noch auf den Beinen halten konnte.
Sie bogen gerade in einen dunklen Weg zwischen zwei Gebäuden ein, als sie vor sich plötzlich eine Bewegung in der Dämmerung erkannten.
Malin stoppte und riss Gorusch zur Seite. Ragoo hätte ihn beinahe losgelassen. Ein lautes Kreischen dröhnte in ihren Ohren und Steine vom gegenüberliegenden Gebäude regneten auf sie herab.
„Andersherum!“, rief jemand von weiter hinten und Malin folgte der Stimme, während Ragoo sich bemühen musste, überhaupt auf den Beinen zu bleiben.
Obwohl sie jetzt schon etwas Übung hatte und ihr Schuhwerk gegenüber dem Damaligen um Längen besser geeignet war, fiel es ihr schwer, mit Malin Schritt zu halten. Wie schaffte Gorusch das nur?
Malin stürmte mit ihr und Gorusch über einen Durchgang zwischen zwei Gebäuden und eine Treppe hinunter, da sah sie auf dem Dach eines Nebengebäudes Dor’El, die mit ihrer erbeuteten Axt eine riesige Klaue abwehrte, die aus der Dunkelheit nach ihr greifen wollte.
Doch Malin drängte weiter und als der Gang, in den die Treppe einmündete, immer heller beleuchtet wurde, endete er unvermittelt in einem Gebäude, durch dessen Fenster Ragoo einen der Plätze der Siedlung erkannte.
„Mach dir keine Sorgen!“, keuchte Malin. „Die kommt gleich nach.“ Sie zog Gorusch und Ragoo aus dem Haus und über den Platz. Einige der Leute auf dem Platz sahen ihnen verwundert zu.
Ragoo war noch viel zu verwirrt, um etwas zu sagen.
Malin erkannte, dass Ragoo eine weitere Erklärung benötigte und fügte an: „Scheinbar hat Dor’El einen Teil ihrer Persönlichkeit zurückerlangt. Sich mit so einer Waffe zur Wehr zu setzen, hat sie bestimmt noch gelernt, bevor sie damals verschwand.“
Ragoo wollte gerade hoffnungsvoll zustimmen, da erkannte sie bereits das Haus der Heiler, zu dem Malin sie geführt hatte. Honscha und einige seiner Helfer kamen ihnen schon entgegen und nahmen ihnen den verletzten Gorusch ab.
Jetzt erst ließ sich Malin zu Boden sinken und zog Ragoo zu sich.
„Das reicht aber für heute!“, keuchte sie. „Jetzt warten wir, bis die anderen hier sind und dann brauche ich erst einmal einen guten Schluck.“ Sie lachte und steckte damit auch Ragoo an.
War es nicht noch zu früh für diese Erleichterung?
Gerade als Ragoo sich wieder aufrichten wollte, kam Fedar, einer aus der Truppe aus dem Haus, in dem der Gang aus Schasch-Garan endete und bald schon folgten ihm die anderen. Auch eine glücklich lachende Dor’El war darunter.
Als sie näherkamen und sich um Ragoo und Malin ebenfalls auf den Boden setzten, sah Ragoo, dass Dor’El einige Kratzwunden an den Beinen hatte. Ihre Hose war an einigen Stellen aufgerissen, aber sie strahlte über das ganze Gesicht.
„Nur Materialschaden, nichts Ernstes!“, johlte sie. „Ich hatte plötzlich das Gefühl, ich machte das nicht zum ersten Mal.“
Gelächter erhob sich in der Runde.
Da saßen sie nun: Eine leicht verstaubte, aber – bis auf Gorusch – vollzählige Truppe, bei der nur einige Kratzer von dem zeugten, was sie gerade hinter sich hatten. Sogar Ivvan, der von einem Pfeil getroffen worden war und vorhin seinen Schreck darüber hinausgeschrien hatte, war guter Dinge. Auch er trug Teile einer Raudrüh unter seiner Kleidung. Der Aufprall des Pfeiles hatte die Rückenplatte etwas eingedrückt, aber sie nicht durchschlagen. Der Pfeil hing noch in seinem Umhang.
Der Platz war hell erleuchtet und einige der Menschen, die den Platz überquerten, warfen ihnen zwar neugierige Blicke zu, doch niemand schien sich an ihnen zu stören.
„Ja, so ist das manchmal“, meinte Malin und kraulte Ragoo den Nacken. „Ich bin zwar schon mehrfach diesen Weg aus Schasch-Garan gekommen, aber …“ Sie lachte. „Huii – was war das denn in dieser komischen Halle?“
Während eine aus der Truppe ein Ragoo sehr wohl bekanntes Gefäß aus ihrem Gepäck zog, verteilte Dor’El bereits die dazu gehörigen Becher.
Es folgte der ihr schon bekannte Dank, gefolgt von einem „Voidukas-Ahuu!“ Wieder brannte sich diese Flüssigkeit durch ihre Kehle und sie wurde nachdenklich. Ja, zum Glück waren sie siegreich gewesen. Es hätte auch schlimmer ausgehen können. Dennoch kam es ihr heute anders vor. Irgendwie kam sie sich heute sehr wehrlos vor. Selbst wenn sie nicht aktiv an den Kampfhandlungen beteiligt gewesen wäre, der Verlust ihrer Waffen machte ihr zu schaffen. Sie bemerkte kaum, dass ihr jemand erneut den Becher füllte.
Nach dem zweiten Becher lehnte sie jedoch dankend ab. Dor’El und Malin hingegen ließen sich noch einmal nachfüllen.
„Ich denke, wir sollten uns mal säubern und dann nach Gorusch schauen“, sagte sie zu Malin und als sie aufstand, bemerkte sie die Wirkung des soeben genossenen Getränks in ihren Beinen.
Malin blickte sie schelmisch an, kippte schnell ihren Bescher hinunter und danach noch den, den Ragoo gerade abgelehnt hatte, der ihr aber dennoch gefüllt worden war. „Gute Idee!“, rief sie und rappelte sich ebenfalls auf.
Sie verabschiedeten sich von den anderen und dann fiel Ragoo noch etwas ein. „Dor’El?“, fragte sie. „Wo bist du eigentlich untergebracht?“
Dor’El stützte sich auf ihre Axt und deutete auf das Haus der Heiler. „Ann-Karlinn hat für mich ein Zimmer im Nebengebäude herrichten lassen. Da werde ich mich jetzt mal einen Moment ausruhen. Wann wollt ihr zu Gorusch?“
Malin überlegte.
„Wir machen uns erst einmal frisch und …“ Sie blickte zu den Lichtluken hinauf. „Sagen wir … kurz nach Mittag?“
Dor’El nickte. „Wenn es den Imbiss vor dem Schneider noch gibt, findest du mich da. Ich muss ja auch noch meine Sachen tauschen.“
„An den erinnerst du dich noch? Na, du wirst dich wundern“, lachte Malin. „Da gibt es nicht nur den, sondern auch Goli, unser Bäcker hat dort in der Nähe einen Stand, aber …“ Sie grinste Dor’El an. „Hast du denn Geld?“
Dor’El zuckte mit den Schultern. „Wie denn? Ich war wohl doch einige Jahre weg und nicht mehr die, die damals verschleppt wurde. Ich kann ja schlecht zu meinen damaligen Eltern gehen und sagen: ‚Ich bin wieder da. Gebt mir, was ich euch damals gebracht habe.‘“
Malin nickte.
„Verstehe ich. Da werden wir wohl eine andere Regelung finden müssen.“
Und als sie sah, wie traurig Dor’El mit einem Mal schaute, fügte sie schnell hinzu: „Hey, keine Sorge. Ich habe genug. Das reicht für uns alle. Wirklich.“
Dor’El sah sie dankbar und immer noch ein wenig traurig an, hob den Arm und winkte ihnen zum Abschied zu.
„Wie funktioniert das eigentlich mit eurem Geld?“, fragte Ragoo.
Malin lachte. „Ja, das ist für dich bestimmt nicht so einfach zu verstehen“, gab sie zu. „Es gibt Dinge, für die brauchen wir kein Geld. Wir zum Beispiel. Wir von der Wache. Wir dienen der Gemeinschaft durch unsere … Aufgabe.“ Es fiel ihr schwer, das exakt auszudrücken, aber sie war ja auch so aufgewachsen. „Das sind lebensnotwendige Dienste für die Gemeinschaft.“
„Wie Wäsche waschen?“, fragte Ragoo.
„Waschen, genau“, zählte Malin auf: „Brot backen auch.“ Sie hob einen Finger hoch. „Aber süße Kuchen nicht.“ Sie zählte einige Dinge auf: „Olu in den Zwei Krügen auch nicht, Wasser schon. Gesammelte Früchte auch, geröstete Samen nicht.“
Ragoo winkte ab. Sie verstand. Diese Gesellschaft setzte auf ein Grundverständnis, was die gegenseitigen Dienste und die Versorgung angingen. Dennoch waren ihnen gewisse Dinge, für die man einen Mehrwert aufbringen musste, nicht verschlossen.
Malin schnappte nach Ragoos Hand und gemeinsam gingen sie in Richtung des kleinen Turmes, in dem Ragoo untergebracht war.
Wie allgemein üblich, teilten sich mehrere Unterkünfte ein großes Bad. Es war früher Vormittag und sie waren allein.
Während Ragoo bereits hinaufstieg, schnappte sich Malin noch einen Korb, welcher neben dem Eingang stand und folgte ihr.
Als sie oben angekommen war, lagen Ragoos Sachen schon auf dem Boden und sie hörte, wie Ragoo im Bad bereits das warme Wasser genoss.
Sich aus ihrer Kleidung zu schälen, brauchte auch nicht lange, aber sie war kaum damit fertig, als Ragoo schon wieder zurückkehrte. Sie hatte sich in ein langes Handtuch gewickelt und rubbelte sich trocken.
Schnell schlüpfte Malin an ihr vorbei und beeilte sich, sich ebenfalls vom Staub und den Resten der Kämpfe zu befreien.
Als sie dann ebenfalls in ein Handtuch eingewickelt wieder zu Ragoo kam, saß diese vor dem Fenster und schaute dem Treiben unten auf dem Platz zu. Malin setzte sich neben sie und legte ihren Kopf auf Ragoos Schulter.
So saßen sie eine ganze Weile da und beobachteten das bunte Treiben. Die Schatten der Menschen auf dem Platz verkürzten sich und Malin drückte ihre Nase in den Hals von Ragoo.
„Wir müssen bald los“, flüsterte sie.
Ragoo nickte. „Was ist in dem Korb?“, fragte sie.
Malin seufzte, rappelte sich langsam auf, ging zu dem Korb und nahm den Deckel hoch.
Ragoo trat neben sie und blickte in den Korb. Sie konnte jedoch nicht genau erkennen, was dort eingewickelt lag.
Doch Malin hatte schon hineingegriffen und warf ein Bündel auf das Bett. „Das ist für mich und …“ Sie zog ein weiteres Bündel heraus. „Das sind deine Sachen.“
Ragoo sah sie verwundert an.
„Na, du glaubst doch nicht, dass du ewig in den gleichen Sachen herumlaufen kannst“, schüttelte Malin den Kopf, dass ihre noch feuchten Haare umherflogen. „Bei uns ist alles gut organisiert. Nachdem du dir deine Sachen bei Jockusch ausgesucht hattest, hat er natürlich nach weiteren Sachen suchen lassen, die denen ähneln. Er wird eine ganze Kiste davon haben. Sachen, die es nur einmal gibt, würden unser ganzes System durcheinanderbringen.“
Sie lachte, zog an dem Band und öffnete das Bündel, welches Ragoo noch in den Händen hielt. Tatsächlich befanden sich darin eine kurze Hose mit dem Fleckenmuster und ein kurzes Oberteil in einem dunklen Rotton, sowie noch weitere Stücke.
„Wir packen nachher unsere getragenen Sachen wieder in den Korb“, erklärte Malin weiter. Den stellen wir dann vor das Haus. Wer auch immer sich gerade um die Wäsche kümmert, wird sie mitnehmen und reinigen. So funktioniert das bei uns.“
Sie ging zu ihrem Bündel und fuhr fort. „Du weißt doch: Wir Wächter kümmern uns um die Sicherheit der Gemeinschaft, die Sammler und Pfleger für den Nahrungsanbau und natürlich wieder andere für die Sauberkeit. Das funktioniert gut. Das war schon immer so.“
Ragoo war wirklich angenehm überrascht. Diese Gesellschaft war so einfach organisiert und doch so gut aufeinander abgestimmt.
Während sie relativ schnell in ihre kurzen Sachen geschlüpft war, brauchte Malin etwas länger, bis sie sich in die verschiedenen Lagen ihrer Kleidung gewickelt hatte. Ragoo sah ihr fasziniert zu und Malin lächelte sie immer wieder kurz an, während sie ein Messer oder etwas anderes in verborgenen Taschen verschwinden ließ.
Dann stopften sie die verschmutzte Kleidung in den Korb, stellten diesen an die Tür des Turmes und machten sich auf den Weg zum Haus der Heiler, um Gorusch zu besuchen.
Dor’El erwartete sie bereits. Auch sie hatte wohl ihre Sachen getauscht, denn weder die Hose noch ihre Jacke wiesen Risse oder Löcher auf.
Honscha war gerade bei Gorusch und sie hörten die beiden schon laut diskutieren, als sie den Vorhang zu seinem Zimmer beiseiteschoben. Die beiden stellten zwar sofort ihre Diskussion ein, aber Ragoo war klar, dass Gorusch mit Honscha über seinen Zustand gestritten hatte.
„Kommt rein!“, begrüßte Honscha sie barsch. „Es war gut, dass ihr den Pfeil in ihm drin gelassen habt, denn die Spitze war so verdreht, dass ich froh war, dass wir gutes Licht hatten.“ Honscha nahm seine Sehhilfe von der Nase und putzte sie mit einem Tuch.
„Argh!“, knurrte Gorusch.
„Du bist ein sturer Bock, Gorusch!“, quittierte Honscha den Widerspruch. „Wenn Malin dich nicht so schnell zu mir gebracht hätte, müssten wir uns jetzt nach einem neuen Anführer umsehen.“
„So-so.“ Malin trat zu Gorusch.
Der nahm ihre Hand. „Ich danke dir, mein Mädchen“, sagte Gorusch leise. „Hast gut gelernt. Bist eine gute Anführerin.“
„Das kannst du vergessen!“ Malin schüttelte seine Hand ab. „Ich bin noch zu jung, um ein fester Teil deiner Wächter zu werden. Es war eine Gemeinschaftsarbeit der gesamten Gruppe, dich da herauszuholen.“
Sie wies auf Ragoo und Dor’El.
„Ach ja.“ Honscha setzte seine Sehhilfe wieder auf und nahm Dor’El in Augenschein. „Wie geht es dir jetzt?“, fragte er langsam und betont, da er befürchtete, sie würde ihn sonst nicht verstehen.
„Bestens.“ Dor’El trat zu ihm und legte ihre Hände auf seine Schultern. „Ich danke dir, Meister Honscha. Im Habitat konnte das Ausreifen des Implantats vollendet werden.“
Honscha schaute sie mit großen Augen an.
„Du sprichst ja wieder unsere Sprache!“, staunte er.
Das stimmte. Es war Ragoo gar nicht so aufgefallen, aber Dor’El sprach wirklich die Sprache der Überlebenden. Seit wann war das so? Sie konnte es nicht genau sagen. Im Tempel schon? Nein – oder? Aber jetzt tat sie es.
Auch Dor’El schaute etwas verwundert. Ihr war es auch jetzt erst aufgefallen. Sie probierte einige Sätze in der Sprache des Habitats und in der Sprache der Überlebenden. Es funktionierte einwandfrei. Sie sprach beide Sprachen fließend.
Gorusch hustete im Hintergrund. „Was habt ihr mit ihr angestellt? Das Ding sollte doch raus.“
Ragoo drehte sich zu ihm um. „Vermutlich ist das eine Folge unseres Besuchs im Habitat“, berichtete sie. „Wie Dor’El schon sagte, musste das Implantat erst noch richtig eingestellt werden. Das scheint jetzt wohl der Fall zu sein und daher soll es bleiben, wo es ist.“
„Nur gut, dass Vana jetzt nicht hier ist“, murmelte Gorusch. „Sie würde erneut die Schwestern auf sie hetzen. Technik im Kopf zu haben, ist ein ernstes Vergehen gegen den Kodex und die Schriften der Schwesternschaft.“
„Im Grunde schon“, pflichtete ihm Dor’El bei. „Ich wurde jedoch von den Schwestern zum Tragen des Implantats gezwungen. Jetzt werden wir es zu unserem Vorteil nutzen und da sie ja auch schon vor Ragoos Existenz Angst haben …“
„Sie haben was?“, fragte Honscha erstaunt.
„Ich kann mich an weitere Details meiner Vergangenheit erinnern“, erklärte Ragoo. „Und ich spreche sogar ihre geheime Sprache. Das hat sie wohl zutiefst erschüttert.“
„Du gehörst zu ihnen?“, fragte Honscha und trat einen Schritt zurück.
„Nein, sie ist keine Schwester, falls du das meinst“, warf Malin ein. „Aber als sie ihnen ihren Namen sagte, ihren vollständigen Namen, da hättest du mal sehen sollen, wie sie auf einmal gezittert haben und anscheinend verwenden sie Ragoos Heimatsprache als Geheimsprache. Alles sehr kompliziert.“
„Nun gut.“ Honscha schüttelte den Kopf. „Ihr klärt das mit den Schwestern. Ich bringe euren Gorusch wieder auf die Beine. Der Rest hat Zeit.“
„Sicher“, brummte Gorusch und wollte gerade ein Bein auf den Boden setzen, als ein Helfer Honscha zur Hand ging, Gorusch wieder hinzulegen.
„Du wartest bitte noch ein paar Tage“, bat Honscha, während der Helfer einen kleinen Tisch mit Essen neben Gorusch aufbaute. „Du hast viel Blut verloren und du wirst erst wieder rumlaufen, wenn ich es sage!“
Als Gorusch erneut protestieren wollte, trat Honscha zu ihm und hob einen Zeigefinger hoch. Gorusch verstummte und ließ sich mit einem großen Seufzer in die Kissen sinken.
„Kümmert euch um eure Ausrüstung“, brummte Gorusch. „In ein paar Tagen bin ich wieder so weit. Dann führe ich euch erneut zu der Stelle und dann zeige ich euch das Relikt. Dann bestimmt.“
„In ein paar Tagen“, wiederholte Honscha und nickte ihm zu. „Jetzt aber raus mit euch. Er braucht wirklich etwas Ruhe.“ Mit fegenden Handbewegungen scheuchte er Ragoo, Malin und Dor’El aus dem Raum.
„Also haben wir einen Auftrag“, stellte Malin fest. „Wir gehen mal zum Arsenal und schauen, was wir machen können, um unsere Ausrüstung wieder zu ersetzen.“
Sie schaute zu Dor’El. „Du hast anscheinend etwas gefunden, mit dem du dich gut fühlst.“
„Klar.“ Dor’El lachte. „Ihr hättet mal sehen sollen, wie ich dem Viech die Klauen beschnitten habe.“
„Na, wenn ich an deine Hose denke, ging das nicht ohne Verluste ab“, lachte Ragoo ebenfalls.
Doch Dor’El war nicht einzuschüchtern. „Das macht nichts. Keine Ahnung, ob das nicht sogar zwei von denen waren, jedenfalls hätte ich dir gern ein paar von den Klauen mitgebracht, aber in Schasch-Garan war es gerade dunkel.“
Jetzt lachte auch Malin. „In Schasch-Garan ist es immer dunkel, aber ja – ich denke, du kannst gut damit umgehen.“
„Ich komme dennoch mit“, beschloss Dor’El. „Mal sehen, was die da noch so haben.“
Also machten sie sich auf, zum Arsenal. Zuvor jedoch führte Malin sie zu dem versprochenen Imbiss, denn sie alle hatten ja längere Zeit nichts gegessen und jetzt Hunger.
3 – Wiedersehen
Wieder sind einige Umläufe vergangen.
Neben den Studien der Schriften lehren uns die Schwestern auch ihre Art der persönlichen Meditation, bei der es insbesondere um die Beherrschung des Geistes geht.
Keine der anderen Mitschülerinnen stellt sich mehr freiwillig gegen mich als Übungspartnerin zur Verfügung. Deshalb rief mich die Mutter Oberin vor zwei Tagen zu sich. Sie begann, mich über meine Kenntnisse abzufragen und war mehr als einmal beeindruckt, als sie meine Antworten hörte.
Mutter Rabena Korallia, unsere Schriftbewahrerin, hatte mich stets ermutigt, auch augenscheinlich nebensächliche Informationen mit in mein Pensum aufzunehmen und somit mein Wissen breiter aufzufächern. Das war sehr wertvoll.
Schon nach kurzer Zeit hatte ich das Muster in den Abfragen der Mutter Oberin erkannt und bald war ich es, die die Wege unseres Gespräches bestimmte.
Doch ich erhielt kein abschließendes Urteil von ihr. Sie entließ mich und erst als die Zeit der Kälte über die Berge kam und in die Zitadelle einbrach, wurde ich wieder vor sie gerufen.
Sie war sehr zurückhaltend und dankte mir kurz für meine Bereitschaft, die Künste der Schwesternschaft angenommen zu haben. Dann erklärte sie mir, dass man mich zur weiteren Ausbildung nach Borarlius V(a) schicken wollte. Morgen schaue ich nach, was das für ein Ort ist.