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Während auf der von Naturkatastrophen heimgesuchten Erde des 21. Jahrhunderts Weltkonzerne und die letzten Nationalregierungen erbittert um die Macht kämpfen, breitet sich eine rätselhafte psychische Erkrankung aus, die immer mehr Menschen in den Wahnsinn treibt.
Gegen diese weltumspannende Bedrohung schließen sich die alten und neuen Mächte noch einmal zusammen und schicken einen Agenten besonderer Art auf die Spur der Psycho-Seuche. Doch Agent Gral muss entdecken, dass die Gefahr aus der Zukunft kommt - aus dem Zeitalter der TERRANAUTEN...
DIE TERRANAUTEN – konzipiert von Thomas R. P. Mielke und Rolf W. Liersch und verfasst von einem Team aus Spitzen-Autoren – erschien in den Jahren von 1979 bis 81 mit 99 Heften und von 1981 bis 87 mit 18 Taschenbüchern im Bastei Verlag.
Der Apex-Verlag veröffentlicht die legendäre Science-Fiction-Serie als durchgesehene Neuausgabe.
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Thomas Ziegler
DIE TERRANAUTEN:
Zeitfenster
Science-Fiction-Roman
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
ZEITFENSTER
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Während auf der von Naturkatastrophen heimgesuchten Erde des 21. Jahrhunderts Weltkonzerne und die letzten Nationalregierungen erbittert um die Macht kämpfen, breitet sich eine rätselhafte psychische Erkrankung aus, die immer mehr Menschen in den Wahnsinn treibt.
Gegen diese weltumspannende Bedrohung schließen sich die alten und neuen Mächte noch einmal zusammen und schicken einen Agenten besonderer Art auf die Spur der Psycho-Seuche. Doch Agent Gral muss entdecken, dass die Gefahr aus der Zukunft kommt - aus dem Zeitalter der TERRANAUTEN...
DIE TERRANAUTEN – konzipiert von Thomas R. P. Mielke und Rolf W. Liersch und verfasst von einem Team aus Spitzen-Autoren – erschien in den Jahren von 1979 bis 81 mit 99 Heften und von 1981 bis 87 mit 18 Taschenbüchern im Bastei Verlag.
Der Apex-Verlag veröffentlicht die legendäre Science-Fiction-Serie als durchgesehene Neuausgabe.
Zehn Minuten, nachdem Gral den Düsenkopter verlassen hatte und durch das dichte Schneetreiben in den Bunkereingang geeilt war, begann das Aufputschmittel zu wirken. Mit einem Schlag war er wach. Hellwach. Seine Müdigkeit war verflogen, und die leichte Depression, die ihn seit seinem Abflug von Zürich beherrscht hatte, wich einem leichtfertigen Optimismus.
Leichtfertig, ja, dachte Gral mit einem Hauch Selbstkritik, die eine disharmonische Note in den milden Glückszustand brachte, mit dem ihn das Amphetamin erfüllte. Leichtfertig ist das richtige Wort. In diesen Zeiten gibt es ganz gewiss keinen Anlass zum Optimismus. Weiß Gott nicht!
Trübes Licht erfüllte den niedrigen Betontunnel, der sich endlos dahinzog und irgendwann in die Wärme und Helligkeit von Transkom-12 münden sollte. In den alten Bunker aus den apokalyptischen Tagen des letzten Jahrhunderts, die unterirdische Burg der Mächtigen, die längst schon tot und vermodert waren und an deren Bedeutung sich heute kein Mensch mehr erinnerte. Vielleicht nisteten ihre Seelen noch in den Winkeln der Gänge und Bäume, doch wenn dies so war, so mussten ihre Seelen stumm und gelähmt sein.
Gral schauderte unwillkürlich, und zu allem Überfluss registrierte er in diesem Moment Terjungs forschenden Blick. Ein Blick aus Augen wie Glas, die mit klinischer Nüchternheit jede Gemütsregung Grals zu erfassen schienen. Ein steinernes Gesicht mit ledriger Haut und einer hohen Stirn, hinter der ein Gehirn arbeitete, dem Gefühle fremd sein mussten. Ein Computer im Gehirn eines Menschen. Ein Rechner mit organischen Schaltkreisen und Gewebeverdrahtungen. Mit Mikrochips aus Nervenzellen. Informationsübertragung durch biochemische Transmittermoleküle, statt durch elektrische Impulse.
Terjung ist nicht gezeugt worden, dachte Gral mit einem Anflug von Zynismus. Er ist nicht im warmen Bauch einer Frau gewachsen, und die Schmerzen und der Schrecken der Geburt sind ihm so fremd wie der Weltraum jenseits des Pluto. Terjung ist fraglos ein Retortenmensch. Ein Geschöpf aus dem Reagenzglas, oder das Fließbandprodukt einer Roboterfabrik.
Gral schlurfte weiter.
Die muffige, warme Luft in dem Tunnel erschwerte ihm das Atmen, und er war dem Amphetamin dankbar, dass es ihm die Glieder stärkte und ihn davor bewahrte, hinter Terjung zurückzufallen.
Der Söldner war groß. Zwei Köpfe größer als Gral und breit wie ein Schrank. Gebückt schritt er vor Gral daher, und keine Sekunde löste sich seine rechte Hand von dem Gürtelhalfter mit der altmodischen automatischen Pistole.
Ho, Cowboy, dachte Gral spöttisch. High Noon in der Unterwelt. Nur wer schneller zieht, stirbt alt im Bett.
Gral hustete unterdrückt und nestelte am Kragen seines einteiligen hellbraunen Anzugs. Der Kragen war nass. Schneeflocken, die in der Wärme des Tunnels geschmolzen waren.
Über der Eifel tobten Schneestürme. Dreißig Grad minus nach einem langen, heißen Sommer, der die Talsperren ausgetrocknet und die Wiesen und Felder versengt hatte. Nach einem Sommer, der so wie alle Sommer der letzten Jahre gewesen war und Hamburg, Amsterdam, New York und zahllose andere Küstenstädte mit dem Wasser der schmelzenden polaren Eiskappen überschwemmte.
Nun, sagte sich Gral, vielleicht wird Grönland wieder grün und gewinnt die Verheißung zurück, die in dem alten Namen verborgen liegt. Grönland wie Grünland.
»Möchten Sie eine Rast einlegen?«
Terjung war unvermittelt stehengeblieben und hatte sich herumgedreht, so dass Gral fast mit ihm zusammenstieß.
»Nein«, sagte Gral mürrisch. »Gehen Sie weiter.«
Terjung sah ihn an, mit Glasaugen, mit ausdrucksloser Miene, und dann nickte er bedächtig.
»Gut. Aber Ihre Pulsfrequenz...« Er pochte auf das eiförmige Gerät, das er am linken Handgelenk trug; ein Mikrodiagnoster, der über ein Kurzstreckenfunkgerät mit den implantierten Sensoren in Grals Organismus verbunden war. »Sie ist ungewöhnlich hoch.«
Gral schnitt eine Grimasse.
»Kümmern Sie sich nicht um meine Pulsfrequenz«, schnappte er. »Gehen Sie weiter. Dieser Tunnel erzeugt bei mir Klaustrophobie. Ich bin froh, wenn ich hier raus bin.«
Terjung marschierte weiter, und Gral blieb dicht hinter ihm.
Diese Söldner, dachte Gral. Diese gottverdammten Söldner. Ist Terjungs Gegenwart ein Zeichen für die Fürsorge der Zentrale, oder hat man mir Terjung als Aufpasser zur Seite gestellt? Und wenn er ein Aufpasser ist, wem erstattet er Bericht? Zamuel, dem Direktor des Sicherheitsdienstes? Oder Ricarda Fantrinelli, der einzigen Frau im Management und Direktorin der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit? Oder Daun persönlich, dem greisen Generaldirektor, auf dessen Tod die gesamte Führungsspitze mit Ungeduld und Hass wartet? Jesus, es herrscht Krieg, und zur gleichen Zeit zerfleischt sich das Management von Eurochem in erbitterten Machtkämpfen...
Der Tunnel war düster, und Terjungs Uniform war weiß wie der Schnee auf den Dächern und Straßen Zürichs, aber dennoch schien Terjung mit dem Tunnel zu verschmelzen. Das Halbdunkel schien ihn aufzusaugen, ihn in einen integrierten Bestandteil des Zugangs zur Transkommunikationszentrale zu verwandeln, sodass es selbst Gral schwerfiel, ihn noch wahrzunehmen.
Terjung wurde zu einem Objekt.
Zu einem Objekt wie die kleinen, runden Fluoreszenzplatten an der niedrigen Decke, wie die verstaubten, nutzlosen Sprechanlagen in den Wandnischen, wie die altersblinden Kameraobjekte, die hier und da aus dem Beton hervorschielten.
Etwas wie Neid erfüllte Gral.
Die Fähigkeit Terjungs, sich gleichsam aus der Welt zu stehlen, sich den groben Rastern der sinnlichen Wahrnehmung zu entziehen, war ein Segen in der Mikrowelt Eurochems.
Einer Mikrowelt, die, wie Gral besser als manch anderer wusste, eigene Gesetze und einen eigenen Gott besaß, ein fast metaphysisches Prinzip, das alle Stufen der Hierarchie durchdrang: Kontrolle.
In einer unkontrollierten, chaotischen Makrowelt – einer Erde, die von Klimakatastrophen, sozialen und politischen Unruhen, Wertezerfall, lokalen Kriegen, Krankheitsepidemien, Hunger und Wahnsinn heimgesucht wurde – bot allein eine Mikrowelt wie die Eurochems oder Kaiser’s Energy Companys Halt und Zuflucht.
Es ist symptomatisch für unruhige, furchterfüllte Zeiten, durchfuhr es Gral, dass die Menschen bereit sind, für ihre Sicherheit den höchsten denkbaren Preis zu zahlen – den Verlust der Freiheit.
Schweigend ging Gral weiter und bemühte sich, nicht den Anschluss an Terjung zu verlieren.
Sein blasses, faltenreiches Gesicht verriet nichts von den Gefühlen und Gedanken, die ihn beschäftigten. Sein Gesicht war das eines früh gealterten Mannes, und jedes Mal, wenn Gral in den Spiegel blickte, dachte er: Genau das bin ich. Ein früh gealterter Mann.
Sein Haar war angegraut und wies nur noch hier und da schwarze Strähnen auf. Die Augen waren schmal, fast geschlitzt, und von einem wässrigen Blau. Die Nase besaß schroffe Hakenform und vermittelte zusammen mit dem energischen Kinn eine Ahnung von der Willenskraft, die Gral in frühen Jahren angetrieben und ihn zum Vizedirektor der Abteilung Sicherheit innerhalb des Eurochem-Konzerns gemacht hatte.
Grals Gedanken schweiften wieder ab.
Die Stille und das Zwielicht des Tunnels bedrückten ihn und weckten Zweifel – Zweifel an sich selbst und Zweifel an anderen.
Warum, fragte sich Gral irritiert, hat Zamuel auf eine persönliche Zusammenkunft bestanden? Warum dieser ungewöhnliche Treffpunkt, dieses altmodische Rendezvous unter vier Augen – statt wie gewohnt über die firmeneigenen Telefaxleitungen? Kennt General Chemical den Kommunkationscode? Befürchtet Zamuel, dass die Leitungen abgehört werden und sämtliche geheimen Interna Eurochems direkt auf Jonathan Chelseas Schreibtisch landen?
Gral spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach.
Unruhe erfasste ihn. Eine Nervosität, die selbst von dem Amphetamin nicht gemildert werden konnte und die schließlich zu leiser Furcht wurde.
Wenn GC tatsächlich über den Code verfügt, setzte er in diesen Minuten, die sein subjektives Zeitempfinden zu langen Stunden dehnte, seinen Gedankengang fort, wenn GC das Unmögliche geschafft und die streng gesicherten Dateien Eurochems angezapft hat, dann ist die Lage mehr als ernst. Dann ist sie verzweifelt. Das würde Zamuels mysteriöse Aufforderung und dieses konspirative Treffen erklären. Und dann gibt es nichts, was wir unternehmen könnten, um diesen Krieg doch noch zu gewinnen.
Diesen Krieg, der nicht zu vergleichen ist mit den Kriegen der Vergangenheit und der doch stündlich weitere Opfer fordert.
Die Kälte, die plötzlich in Gral nistete, ließ ihn erneut schaudern und an den Schnee denken, der in dichten Flockenwirbeln über der Eifel tanzte und sie in eine Zuckerbäckerlandschaft verwandelte.
Gral biss die Zähne zusammen.
»Spekulationen«, sagte er laut. »Nichts als Spekulationen.«
Terjung sagte nichts.
In der Tiefe, in den fahlen Schatten des Tunnels, gewann sein Schweigen an Gewicht. Es besaß eine andere Qualität als im verglasten, himmelhohen Verwaltungsturm der Züricher Konzernzentrale oder im funktionellen Innern des Düsenkopters. Das Schweigen wirkte auf Gral drohend, unheilverkündend, schicksalhaft.
Ich werde tatsächlich alt, dachte der Vizedirektor belustigt. Ich werde alt und senil und ergötze mich an Schimären. Eine Form des Masochismus. Ich leide unter Schrecknissen, die nur in meiner Einbildung existieren. Wie würde Ricarda darauf reagieren, wenn sie davon wüsste? Oder Zamuel? Oder Gottlieb, der arrogante, ehrgeizige Vertriebsdirektor, der bereits auf einem Berg Leichen steht und hinter dem Rücken das gewetzte Messer versteckt hält, für den Fall, dass Daun heute oder morgen stirbt und der Sessel des Generaldirektors frei wird... Und Gottlieb ist nicht der einzige, der diesen Moment herbeisehnt. Allein Dauns starke Persönlichkeit, seine Macht und der heimliche, mörderische Krieg mit GC verhindern den offenen Ausbruch der Kämpfe. Aber die Intrigen, die Eifersüchteleien und die Sabotageakte, von denen man nicht weiß, ob sie dem Konkurrenten oder den rivalisierenden Fraktionen innerhalb Eurochems zuzuschreiben sind, sie wirken bereits lähmend. Kein Wunder, dass General Chemical auf der iberischen Halbinsel Fuß fassen konnte und inzwischen fast ungehindert im südeuropäischen Raum agiert.
Gral schüttelte den Kopf.
Sein anfänglicher Optimismus war nun vollends verflogen. Zürich lag weit hinter ihm, aber trotz der räumlichen Entfernung und des massiven Granits, der über dem Tunnel lastete, spürte er förmlich die Spannung, den Hass und das Misstrauen in der Konzernzentrale.
Gral war froh, nur peripher von den Auseinandersetzungen betroffen zu sein.
Wenn Daun starb und Zamuel im Kampf um die Macht unterlag, so würde man ihn, den Vizedirektor der Abteilung Sicherheit, lediglich seines Postens entheben und ihn auf eine unwichtige Funktion abschieben. Zamuel jedoch... Nun, dachte Gral ohne Bedauern, wer hoch spielt, muss immer mit einer Niederlage rechnen.
»Noch zwanzig Meter«, sagte Terjung in die Stille hinein, »dann beginnt die Kontrollzone.«
Der große, breitschultrige Söldner verlangsamte seinen Schritt, und Gral schob sich an ihm vorbei. Er nestelte in seiner Tasche und holte den Kodegeber hervor. Ein unscheinbares Gerät, klein und dünn wie ein Kugelschreiber, dessen Mikrowellenimpulse die verborgenen Verteidigungssysteme blockieren würden.
Wie alle Transkommunikationszentralen Eurochems war auch Transkom-12 gegen das Eindringen Unbefugter gesichert. Wer nicht autorisiert war, wer den Kode nicht kannte, der würde nie die Sperren überwinden und die eigentliche Zentrale betreten können. Noch im Tunnel würde er sein Leben aushauchen und sein Grab in der modrigen Dämmerung der Tiefe finden.
Die Transkoms waren zu wichtig für Eurochem, um irgendwelche Risiken einzugehen.
Fünfzehn dieser Geheimzentralen waren über ganz Mitteleuropa verstreut, und nur Daun und der jeweilige Direktor des SD kannten die Lage aller Transkoms. Gral war über drei dieser Fluchtblasen informiert.
Jedes Transkom war großzügig mit Lebensmitteln und allen anderen Gegenständen des täglichen Bedarfs, mit genug Vorräten ausgerüstet, um der Führungsspitze des Konzerns und den engsten Mitarbeitern des Direktoriums für zwei Jahre das Überleben zu sichern. Und jedes Transkom verfügte über komplexe Telekommunikationssysteme, mit denen man das weltweite Netzwerk des multinationalen Wirtschaftsimperiums auch nach der Zerstörung der Züricher Hauptverwaltung steuern konnte.
Gral betätigte den Kodegeber.
Er starrte in das Zwielicht des vor ihm liegenden Tunnelstücks hinein, aber es veränderte sich nichts. Die Verteidigungseinrichtungen waren gut getarnt. So gut, dass man sie selbst mit den modernsten technischen Geräten nicht aufspüren konnte.
Gral warf einen kurzen Blick auf die Kontrolldioden seines elektronischen Schlüssels. Grünlicht. Keine Gefahr. Der Weg war frei.
»Kommen Sie«, befahl er Terjung, ohne sich umzusehen.
Er stapfte weiter, froh, endlich der Enge und der muffigen Luft des Tunnels zu entkommen, und kaum hatte er wenige Meter zurückgelegt, da veränderte sich mit gespenstischer Plötzlichkeit der unterirdische Gang.
Der Tunnel war unvermittelt doppelt so breit und doppelt so hoch wie bisher. Der verwitterte Beton der Wände und der Decke hatte der makellosen Glätte des neuartigen Protoplasmastoffes Protop Platz gemacht, und indirektes Licht spendete angenehme Helligkeit.
Die Stahltür, die das Ende des Tunnels bildete, trug das Zeichen Eurochems; ein Kreuz, das von einem Kreis umschlossen wurde.
»Ein holographisches Feld«, erläuterte Gral fast gegen seinen Willen. »Es simuliert eine weitere Fortsetzung des Tunnels.«
Terjung wirkte unbeeindruckt.
Gral ignorierte das klobige Metallrad, mit dem man die Tür bei Stromausfall auf manuellem Wege öffnen konnte, und betätigte erneut den Kodegeber.
Leises Brummen ertönte. Die Tür schwang auf. Gral erkannte, dass sie eine Dicke von etwa fünfzig Zentimetern besaß.
Hinter der Tür lag eine kleine Schleusenkammer.
»Für den Fall, dass Giftgas oder radioaktive Strahlung den Tunnel verseucht hat«, murmelte der Vizedirektor. »Transkom-12 war früher ein Atombombenbunker der bundesdeutschen Regierung.« Er schnitt eine Grimasse. »Als Deutschland noch existierte.«
Terjung runzelte die Stirn.
Die erste Gemütsregung, die Gral bei dem Söldner feststellte, und diese Erkenntnis erfüllte ihn seltsamerweise mit Befriedigung.
»Aber«, wandte Terjung ein und folgte Gral in die Kammer, »Deutschland existiert noch. Der Bundeskanzler...«
»Der Bundeskanzler ist ein Clown«, unterbrach Gral unwirsch. Die Stahltür schloss sich wieder. Ein saugendes Geräusch wurde hörbar, als die hermetische Verriegelung einrastete. »Der Kanzler ist nichts weiter als ein Gespenst. Ein Gespenst, das über ein Gespensterland regiert. Möglicherweise hat er es selbst noch nicht gemerkt, aber es ist so. Alle Nationalstaaten zerfallen. Im Westen wie im Osten.«
Missmutig kniff Gral die Lippen zusammen.
Warum erzähle ich ihm das?, fragte er sich irritiert. Warum diskutiere ich mit einem verdammten Söldner, der vielleicht ein Spion der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit oder des Generaldirektors persönlich ist?
»Sie haben zu lange in der Schweiz gelebt«, fuhr Gral dennoch fort. »Die Schweizer hängen noch zu sehr dem alten Mythos von der Alpenfestung nach. Sie glauben nicht, was sie sehen und hören, und wenn sie es glauben, dann schlagen sie einander auf die Schulter und versichern sich treuherzig, dass Helvetia so etwas Schreckliches niemals zustoßen kann. Doch sie irren sich. Kaum jemand will es wahrhaben, aber wir leben in einer Zeit des Wandels.«
Das Innenschott glitt zur Seite.
Ein breiter Korridor, zu beiden Seiten von zahllosen Türen gesäumt, mündete nach fünfzig oder achtzig Metern in eine Verteilerhalle. Teppichfliesen bedeckten den Boden. Sie waren von einem dunklen, warmen Braun und dämpften die Schritte der beiden Männer.
»Irgendetwas stimmt nicht«, sagte Terjung plötzlich.
»Tatsächlich?« Gral bemühte sich nicht, seinen Spott zu verbergen.
»Es riecht nach Gefahr.« Terjung öffnete das Waffenhalfter und zog die automatische Pistole ein wenig heraus.
»Nach Gefahr?« Gral schnüffelte. »Nein«, schüttelte er den Kopf. »Es riecht nicht nach Gefahr, sondern nach Desinfektionsmitteln. Sie müssen sich irren, Terjung.«
Die Ironie konnte dem Söldner nicht entgehen, und fast wünschte Gral, dass Terjung auf die Provokation reagieren und seine verdammte unterkühlte Ruhe verlieren würde.
Aber Terjung blieb so wie immer – beherrscht, kühl, nüchtern wie ein Computer.
»Ich spüre es, wenn etwas nicht stimmt«, erklärte der große Mann. »Ich habe die Akademie besucht. Nur wenige Söldner können die Akademie besuchen. Dort lernt man derartige Dinge. Eine bestimmte Begabung ist dafür erforderlich. Eine Empfindsamkeit, die nur einer von tausend Menschen besitzt.«
»Der siebte Sinn, eh?«, knurrte Gral.
Er nahm Terjungs Befürchtungen noch immer nicht ernst. Sein Kodegeber gab Grünlicht, und der Kodegeber stand mit dem Sicherheitscomputer Transkoms in Verbindung. Der Computer würde sofort Alarm geben, wenn sich etwas Ungewöhnliches ereignet hatte.
Dieser Söldner ist verrückt, dachte Gral und steuerte rasch auf die Verteilerhalle zu. In der Akademie hat man ihm den Kopf verdreht. Er ist nicht der erste, und er wird nicht der letzte sein.
Nur zu deutlich erinnerte sich der Vizedirektor an das Schicksal der jungen Frau, die im SD für das Dezernat Gegenspionage gearbeitet hatte. Terza. Sylke Terza. Ein blondes, vollbusiges, attraktives Geschöpf, eines von den jungen Dingern, die im SD-Jargon Bettwärmer genannt wurden. Lebende Tonbänder, die das Schlafzimmergeflüster der gegnerischen Konzernführer aufzeichneten und an die Computer Eurochems weiterleiteten.
Gral hatte sie gemocht. Er hatte die Offenherzigkeit zu schätzen gewusst, mit der sie auch für die Leitung des SD die Beine breit gemacht hatte, und noch heute verfluchte er den Tag, an dem bei ihr die routinemäßigen Psycho-Tests durchgeführt worden waren.
ESW-Verdacht hatte es geheißen.
Möglicherweise eine Begabung zur extra-sensorischen Wahrnehmung.
Ein gefundenes Fressen für Zamuel, der auf alles, was mit PSI, Okkultismus, Präkognitation und ähnlich metaphysischen Unsinn zu tun hatte, mit leuchtenden Kinderaugen reagierte. Ein Spleen des SD-Direktors – und für Gral ein Beweis dafür, dass Zamuel im Grunde seiner Seele ganz und gar wahnsinnig war.
Sylke Terza war von Zamuel an die Akademie empfohlen worden. An das geheimnisumwitterte Institut, das vor über vierzig Jahren von der NATO gegründet worden war, um die übersinnlichen Fähigkeiten des Menschen zu erforschen.
Gral schnaubte.
Übersinnliche Fähigkeiten, pah!, dachte er. Man hat Terza den Verstand geraubt. Man hat sie mit Drogen vollgestopft, ihr Gehirn elektronisch gereizt und ihre Schädeldecke geöffnet, um das nicht-existente PSI-Zentrum zu suchen. Und danach – danach kannte Terza nicht einmal mehr ihren Namen, und nun fristete sie in irgendeinem Pflegeheim Eurochems ein Leben, das sich nur noch mit dem selbstgenügsamen Dasein einer Pflanze vergleichen lässt. All das, weil Zamuel dem Wahn anhängt, dass Telepathie oder Präkognitation wirklich existieren...
Er erreichte die Verteilerhalle.
Sie unterschied sich in Nichts von ähnlichen Einrichtungen in anderen Transkoms.
Ein runder Saal, sternförmig gesäumt von den Torbögen anderer Gänge, in der Mitte ein Liftschacht, um den sich eine Spiraltreppe wand. Intercom-Anschlüsse an den Wänden. An der Decke ein Mosaik aus hellstrahlenden Fluoreszenzplatten.
Alles war still, alles war leer.
Nichts deutete auf Eindringlinge, auf ungewöhnliche Vorfälle, auf Gefahr hin.
Und der Kodegeber zeigte Grünlicht.
»Die negativen Vibrationen verdichten sich«, sagte Terjung.
Besorgnis schwang in seiner sonst beherrschten, monotonen Stimme mit.
Das ist das Kreuz mit diesen Söldnern, durchfuhr es Gral. Der ständige Umgang mit Bedrohungen, Kampf und Tod lässt sie paranoid werden. Im Schweigen hören sie verschwörerisches Gemurmel, und in der Finsternis sehen sie Schatten mit gezückten Waffen.
Gral erreichte den Liftschacht und presste den Daumen auf den Rufknopf. Ein mildes Jaulen wurde hörbar. Die halbtransparente Plexiglasröhre begann zu zittern. Oben wurde der Schatten der Liftkabine sichtbar.
Terjung zog seine Pistole.
»Was soll das?«, fragte Gral verblüfft. »Ich befürchte, Sie dramatisieren...«
»Der Lift«, unterbrach Terjung. Jetzt wirkte er wieder kalt und unnahbar; mehr eine Maschine, als ein Mensch. »Die Kabine war oben.«
»Und?« Gral zuckte die Achseln. »Zamuel ist vor uns eingetroffen und hinauf in die Zentrale gefahren.«
Die Kabine stoppte. Die Tür öffnete sich, und Gral und Terjung stiegen ein. Ein Klicken. Der Söldner hatte die automatische Pistole entsichert.
Gral warf ihm einen undefinierbaren Blick zu.
Seine Nervosität kehrte zurück, und er fragte sich, ob Terjung mit seinen Befürchtungen vielleicht doch recht hatte. Schließlich – es war ungewöhnlich, dass Zamuel seinen Zeitplan nicht einhielt. Der SD-Direktor hatte erst in einer knappen halben Stunde in Transkom-12 eintreffen wollen.
Und Zamuel war ein Pedant, was seine Terminplanung anbelangte.
Unsinn!, rief sich Gral zur Ordnung. Dieser verfluchte Söldner hat mich mit seinem Verfolgungswahn schon angesteckt. Kein Feind kann unbemerkt in Transkom-12 eindringen. Wer es versucht, der stirbt. Die Computer sind perfekt und die automatischen Waffensysteme tödlich.
Sanft glitt die Liftkabine in die Höhe.