Die Tochter des Leuchtturmmeisters - Ann Rosman - E-Book
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Die Tochter des Leuchtturmmeisters E-Book

Ann Rosman

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Beschreibung

Ein tödliches Sommerparadies.

„Die Insel war klein und karg, und die Buchten waren gefüllt mit rundgeschliffenen Steinen“ – das Auftauchen einer eingemauerten Leiche bringt das Idyll der Insel Marstrand gehörig durcheinander. Als schließlich noch ein Taucher ermordet wird, ist die glänzende Oberfläche der Kurortgesellschaft endgültig zerstört.

Karin Adler von der Kripo Göteborg soll den Fall lösen – mit ihrem Charme und unkonventionellen Blick bringt sie so manchen Inselbewohner in Verlegenheit – doch erst das Auftauchen zweier alter Damen führt zur Klarheit in einem sich immer weiter zuspitzenden Drama …

Eine Ermittlerin, die auf dem Segelboot lebt, ein vermeintliches Inselidyll und ein mörderischer Betrug: Ann Rosman, der neue Stern am skandinavischen Krimihimmel, liefert einen tiefen Blick in die Seele Schwedens.

»Karin Adler – Ann Rosmans weiblicher Wallander – zieht den Leser in eine düstere Welt voller Leidenschaft und Magie.« Jolie.

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Seitenzahl: 481

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Ann Rosman

Die Tochter des Leuchtturmmeisters

Kriminalroman

Aus dem Schwedischen von Gisela Kosubek

Impressum

Die Originalausgabe mit dem Titel

Fyrmästarens Dotter

erschien 2009 bei Damm Förlag, Malmö.

ISBN E-Pub 978-3-8412-0434-9

ISBN PDF 978-3-8412-2434-7

ISBN Printausgabe 978-3-7466-2795-3

Aufbau Digital,

veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, Februar 2012

© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin

Die deutsche Erstausgabe erschien 2010 bei Rütten & Loening,

einer Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG

© 2009 Ann Rosman

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z.B. über das Internet.

Umschlaggestaltung capa, Anke Fesel

unter Verwendung eines Motivs

von Daniel Schoenen/Visum

Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH,

KN digital – die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart

www.aufbau-verlag.de

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Inhaltsübersicht

1.

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Quellen

Sonstiges

Leseprobe

»Das Heilmittel für alles und jedes ist Salzwasser

– Schweiß, Tränen oder das Meer.«

Karen Blixen

Die Kirchenglocken von Marstrand läuteten zu halb elf den Sonntagsgottesdienst ein, aber draußen auf Hamneskär, wo die beiden polnischen Maurer soeben wieder die Arbeit aufgenommen hatten, war nichts davon zu hören. Gerade besserten sie die Innenwand des alten Vorratskellers aus, als diese plötzlich nachgab und einstürzte. Es war, als könnte der Mörtel dem düsteren Geheimnis nicht länger standhalten, das das Bauwerk so lange gehütet hatte. Hinter der Wand befand sich ein weiterer Raum, der früher einmal der Familie des Leuchtturmmeisters gehört hatte. Dort im Dunkel lag der tote Körper eines Menschen. Sein Gesicht war den Hineinschauenden zugewandt, so als würden sie erwartet.

Die Polen schrien auf und bekreuzigten sich hastig.

Pater-Noster-Leuchtturm, Hamneskär, 2. August 1963

Sie küsste ihn auf die Stirn und strich ihm übers Haar. Dann legte sie seine Hand auf ihren Bauch und meinte, ein Lächeln auf seinen Lippen wahrzunehmen. Mit dem Finger folgte sie der schönen Kontur seines Amorbogens. Ein sanfter Knuff kam von innen, als wollte das Persönchen dort drinnen auch Abschied nehmen.

Ihr war, als würde der Schmerz sie zerreißen. Sie zog die Decke über ihn, damit er nicht fror.

Die Männer an der Tür warteten. Es war höchste Zeit zu gehen. Ein letztes Mal wandte sie sich um und winkte. Sie brachte es nicht über sich, Lebewohl zu sagen, flüsterte nur: »Wir sehen uns bald wieder, bis dahin werde ich jede einzelne Minute zählen.«

1.

Draußen auf Hamneskär, der kleinen Insel nördlich vor Marstrand, herrschte fieberhafte Betriebsamkeit. Zwei Monate waren es noch bis zur Wiedereinweihung des Pater-Noster-Leuchtturms. In westlicher Richtung war das Eiland kaum wiederzuerkennen, seit man den Turm von Hamneskär fortgeschafft hatte. Das war jetzt ein paar Jahre her, und seitdem hatte der Verein der Pater-Noster-Freunde alles getan, um Geld für die Restaurierung und den Rücktransport des Turms auf die kleine Schäre zusammenzubekommen. Ein paar Bewohner von Marstrand hatten sich ebenfalls engagiert, aber im Großen und Ganzen war das Interesse der Inselbewohner eher verhalten.

Bauleiter Roland Lindström machte gerade eine kurze Pause und genoss die Strahlen der Märzsonne, als Mirko angerannt kam. Der ältere Pole, dessen Namen Roland nie behalten konnte, trottete hinter ihm her und schüttelte bekümmert den Kopf. Der Mann roch ständig stark verschwitzt, weshalb die Schweden ihn Schwitzkowski nannten. Roland verstand nicht, wie man derart schlecht riechen konnte, aber Schwitzkowski schien sich des Gestanks, der ihn umgab, überhaupt nicht bewusst zu sein. Tag für Tag trug er dasselbe grau-grün karierte Hemd. Roland fragte sich, ob der Kerl daheim in Polen eine Frau hatte. Wenn ja, sollte die sich mal darum kümmern.

»Heilige Mutter Gottes«, murmelte Mirko leise in seiner Muttersprache und bekreuzigte sich von Neuem.

»Was ist los?«, fragte Roland unwirsch, weil man ihn an seinem windgeschützten Platz hinter dem roten Leuchtturmmeisterhaus gestört hatte.

»Ein toter Mann.«

Roland runzelte die Stirn. Das Schwedisch des Arbeiters war nicht besonders gut. Er konnte etwas anderes meinen. Missmutig goss Roland den Kaffee aus dem Plastikbecher und schraubte ihn wieder auf die Thermosflasche. Dann legte er einen Priem ein und wischte die Hand am Blaumann ab, bevor er aufstand. Ich muss ihn falsch verstanden haben, dachte er.

Die früheren Wohnhäuser des Leuchtturmpersonals einschließlich der Nebengebäude wurden gerade saniert. Man plante eine Jugendherberge auf die karge Insel Hamneskär zu legen, die auch Möglichkeiten zur Durchführung von Konferenzen bot. Es war modern, derartige Anlagen an schwer zugänglichen Orten zu nutzen, wohin die Leute möglichst nur mit RIB-Booten gelangten. Die Schnellboote zischten mit gut vierzig Knoten übers Wasser, ein besonderes Erlebnis für die je zwölf Passagiere, obwohl das Ganze weder umweltfreundlich noch billig war. Für Roland, der die Ausführung des Projekts betreute, würde die fristgemäße Fertigstellung von Häusern und Nebengebäuden beinhalten, dass sein Konto einen großzügig bemessenen und äußerst willkommenen Bonus auswies.

Langsam zog Roland die Tür des Vorratskellers hinter sich zu. Weitere Verspätungen konnten sie sich wirklich nicht leisten, und eine Leiche brachte natürlich Verspätungen mit sich. Der Mann im Vorratskeller war allem Anschein nach schon lange tot. Ein Monat mehr oder weniger spielte da wohl keine Rolle. Wenn die Wand nicht eingestürzt wäre, hätten sie ihn ja überhaupt nicht gefunden. Allerdings konnte die Polizei diesen Burschen wohl ziemlich schnell abholen. Eine große Sache musste es also nicht werden. Eins aber war klar, es war schon etwas merkwürdig, dass man ihn eingemauert hatte. Roland überlegte hin und her, bevor er sich zu den Polen umdrehte und in seinem breiten Göteborger Dialekt mitteilte, zu welchem Ergebnis er gekommen war.

»Wir ziehen die Wand wieder hoch. Keiner redet darüber. Ist das klar? Okay, Jungs?«

Es war zwar als Frage formuliert, doch ließ sich nicht überhören, dass es ein Befehl war. Roland schaute die beiden Männer an, während er in seiner Tasche nach dem Mobiltelefon suchte. Er gab bereits die Nummer ein, als Mirko sich räusperte. Als gläubiger Katholik sah er sich zu einem Protest einfach gezwungen. Jeder Mensch hat das Recht auf ein würdiges Begräbnis, und zwar in geweihter Erde. Der Mann im Keller hatte nichts von alledem bekommen. Außerdem musste er verheiratet gewesen sein, jemand vermisste ihn. Mirko zeigte zur Verdeutlichung auf seinen eigenen Ehering. Roland blinzelte in die Märzsonne. Dann bot er jedem der beiden zwei Monatslöhne an und sagte, sie könnten auf der Stelle heimfahren, wenn sie dafür schwiegen. Mirko erklärte, es ginge hier nicht um Geld, aber als das Angebot bei sechs Monatslöhnen lag, einschließlich der Möglichkeit, umgehend nach Hause zu fahren, nickte er nur wortlos. Sechs Monatslöhne, das war viel Geld. Er dachte an seine Frau und ihre gemeinsame kleine Tochter. Nachdem er Schwitzkowski die Sache übersetzt hatte, packten sie sofort ihre wenigen Habseligkeiten. Ohne die anderen Arbeiter zu informieren, fuhr Roland die Polen mit dem Aluminiumboot an Land. Eine Stunde war vergangen von der Entdeckung der Leiche bis zu dem Augenblick, als die Männer den Parkplatz von Koön verließen. Mirko konnte sich nicht erinnern, schon einmal derart viel in einer einzigen Stunde erlebt zu haben.

Schweigend fuhren sie in Mirkos blauem Skoda durch die schwedische Frühlingslandschaft. Der Verkehr auf der nach Süden führenden Autobahn lief flüssig. In Schonen war der Frühling bereits weiter vorangeschritten. Die offenen Felder, das sprießende Grün und ihr neu erworbener Reichtum hätten sie eigentlich in gute Stimmung versetzen müssen. Die Fähre, die die beiden von Ystad nach Swinouj§cie bringen sollte, würde erst in einer Stunde auslaufen, also legten sie eine Pause auf einem Rastplatz neben einer alten Kirche ein. Auf den Holzbänken des Platzes saß ein Rentnerehepaar und aß Butterbrote. Die Frau hatte sich auf ihre Serviette gesetzt, um die helle Jacke nicht zu beschmutzen, und als Schwitzkowski vorbeiging, rümpfte sie die Nase. Mirko sah aus dem Augenwinkel, wie sie sich zu ihrem Mann vorbeugte und ihm etwas zuflüsterte. Der Mann zog die Wagenschlüssel aus der Tasche, hielt sie in Richtung Auto und verschloss es durch einen Knopfdruck.

Mirko zündete zwei Zigaretten an und reichte eine davon an seinen Kollegen weiter. Schwitzkowski versuchte zu verbergen, dass ihm die Hände zitterten, als er den Glimmstengel entgegennahm. Die Erlebnisse des Morgens hatten beiden stark zugesetzt. Um sich die Beine zu vertreten, gingen sie nun langsam um die weißgekalkte Kirche herum. Die Schwalben kurvten in kühnen Manövern um den Glockenturm. Der sauber geharkte Kies knirschte unter den Füßen der Männer in den ausgetretenen Arbeitsschuhen. Mirko holte tief Luft, so als wollte er etwas sagen, ließ es dann aber. Nachdem er noch eine Weile überlegt hatte, strich er sich über die Bartstoppeln, trat seine Zigarette aus und sah Schwitzkowski an.

»Weiß Roland, wo du wohnst? Kann er dich irgendwie erreichen?«

Schwitzkowski schüttelte den Kopf.

»Na also. Dann bringen wir die Geschichte jetzt in Ordnung.«

Mit flinkem Finger wählte Mirko die Nummer des schwedischen Notrufs. Als sie zehn Minuten später das letzte Wegstück zur Fähre zurücklegten, schienen der Himmel heller und die Farben irgendwie klarer geworden zu sein.

Marstrand, August 1962

Der Sommerabend war lau, und das Gesellschaftshaus wirkte geradezu magisch, fast als stamme es aus einer Märchenwelt, in der alle Geschichten glücklich ausgehen.

Die elegante Holztreppe lud die Vorübergehenden zum Eintreten ein, aber die weißen Tischtücher und die gestrenge Miene des sorgfältig gekämmten Oberkellners besagten zugleich, dass nicht jeder Gast willkommen war.

Schon die Treppe verlangte allen, die sie betraten, Haltung und entsprechendes Benehmen ab. Mehr als einmal hatten die Serviererinnen erfahren, dass sie ein eigenes Leben führte und ihren Schritt ins Wanken bringen konnte, wenn sie mit beladenem Tablett ankamen.

Es hieß, dass einmal ein junger Mann, der von der Insel Marstrand stammte, im großen Saal auf die Knie gefallen war, um ein Mädchen, dessen er eigentlich nicht würdig war, zu bitten, seine Frau zu werden. Zur Bestürzung der Eltern und der anderen Kurgäste hatte das Mädchen ja gesagt. Hand in Hand hatten die jungen Leute das Gesellschaftshaus verlassen, doch an der Treppe angekommen, stolperten sie und stürzten so unglücklich, dass sich beide das Genick brachen. Die älteren Kellnerinnen glaubten, es sei das junge Paar, das hier noch immer spuke und die Stufen der Treppe wanken lasse.

Auf der Veranda lehnte sich Arvid in einem der Korbstühle zurück und nippte an seinem Champagner. In der leichten Brise bewegten sich die Wimpel nur schlaff, es roch nach Salz und Tang. Die Sonne war unterwegs zum Horizont, und ihre Strahlen bildeten eine goldene Straße auf der nördlichen Einfahrt zum Hafen Marstrands. Es war gegen Ende August, aber der Sommer lud noch immer mit warmen Abenden ein.

Ein Klinkerboot mit Gaffelrigg glitt in das flüssige Gold und erregte seine Aufmerksamkeit. Die Segel wurden mit ruhigen Bewegungen gerefft, und je geringer die Segelfläche wurde, desto mehr verlor das Boot an Fahrt. Nun glitt es in gut austarierter Geschwindigkeit zur Landungsbrücke des Gesellschaftshauses, wo es sanft anlegte. Arvid hob die Hand, um die Augen zu beschatten und im Gegenlicht besser zu sehen. Es war nur eine Person an Bord, eine Frau, die jetzt an Land sprang. Das Boot reagierte mit leichtem Schaukeln, als ihre Füße vom Deck abhoben. Die Frau bewegte sich graziös, und der Rock umtanzte ihre Beine, als sie mit einem Korb in der Hand näher kam.

»Ist alles zu Ihrer Zufriedenheit?« Die Serviererin, die sein Glas nachfüllte, störte ihn in seinen Gedanken. Sie beugte sich extra weit vor und zeigte ihren reichlich bemessenen Busen.

»Was wünschen Sie … zum Essen?« Sie lächelte einladend und bemühte sich, verführerisch zu wirken.

»Vielen Dank, Fräulein, aber wir sind zu mehreren, ich warte mit der Bestellung, bis die anderen kommen.« Arvid versuchte seine Abneigung zu verbergen.

»Dann darf ich Ihnen ein angenehmes Abendessen wünschen, denn ich habe jetzt Feierabend.« Sie warf den Kopf in den Nacken und richtete ihre Schritte zur Küche. Arvid drehte sich wieder der goldenen Sonnenstraße zu. Das Boot lag noch immer an seinem Platz, aber die Frau, die es so elegant in den Hafen gesegelt hatte, war verschwunden.

Lärmend und lachend stürmten seine Begleiter auf die Veranda.

»Arvid, Liebling. Hast du lange gewartet?« Siri blies den Rauch aus und küsste ihn auf die Wange, bevor sie sich neben ihn setzte. Ihre Zigarette steckte in einer eleganten Elfenbeinspitze, die sie jetzt direkt auf das weiße Tischtuch legte. Arvid nahm sie schnell auf und strich über den glatten Stoff, um sich zu vergewissern, dass kein Fleck zurückblieb.

»Weißt du, Gustav hat uns einen unheimlich lustigen Witz erzählt.« Sie nahm Arvid die Zigarettenspitze aus der Hand, fuchtelte damit in Richtung des Genannten und forderte ihn auf, den Witz zu wiederholen.

Die Kellnerin näherte sich dem Tisch. Sie warf einen Blick auf die Hafeneinfahrt und das kleine Boot unten am Anleger, bevor sie auf die fröhliche Gesellschaft zuging. Sie wandte sich an Arvid: »Anscheinend sind die Erdbeeren zum Champagner vergessen worden?«

Die Stimme der Frau hatte einen warmen Klang und passte vorzüglich zu ihrem Aussehen. Das blonde Haar war hochgesteckt, bis auf eine Locke, die sich hervorgestohlen hatte und den braungebrannten Hals umspielte. In den schmalen und ebenso braunen Händen hielt die Frau eine Glasschale mit Erdbeeren. Es war sie – die Seglerin. Höflich und freundlich nahm sie die Bestellungen der Gäste entgegen, bewegte sich jedoch mit einem Stolz, wie er ihn nur selten gesehen hatte. Siri störte ihn in seinen Gedanken, indem sie ihn kokett in die Seite stieß.

»Hast du mich vermisst, Arvid?«

Er hatte den Geruch ihres viel zu schweren Parfüms in der Nase.

Die Serviererin stellte die Schale vor ihn hin. Sie entfernte sich leichten Schrittes, und plötzlich kam Arvid irgendetwas an ihr bekannt vor. Er fragte sich, wie es wohl sein mochte, ihr beim Walzer die Hand um die Taille zu legen.

Siri zeigte deutlich ihre Unzufriedenheit, indem sie seine Hand nahm und sagte: »Arvid, Lieber. Wenn du schon nach anderen Frauen schauen musst, so kannst du das wohl tun, wenn ich nicht dabei bin.«

Arvid verstand, dass sie die Kellnerin meinte. Er tätschelte ihr väterlich die Hand, bevor er sich ihr freundlich, aber bestimmt entzog.

Als die Kellnerin gegangen war, saß Arvid wie verzaubert da. Sie hatte so einfach und natürlich gewirkt. Er dachte an die Eleganz, mit der sie ihr Boot in den Hafen gesegelt hatte. Die letzten Strahlen der Sonne liebkosten die Wasserfläche, und in seiner Brust breitete sich ein wärmendes Gefühl aus.

2.

Karin war total verschwitzt und wütend, als sie den Wäschekorb vom Fahrstuhl in den Korridor schleppte. Der Jackenkragen klebte ihr im Nacken, und sie strich sich eine Strähne aus der nassen Stirn. Eine Dusche käme ihr jetzt gelegen oder, noch besser, ein Bad. Sie zog die Jacke aus und öffnete den Flurschrank, um sie hineinzuhängen. Irgendwie klemmte die Tür, und sie packte fester zu. Der Waschmittelkarton hatte sich quergestellt. Jetzt fiel er um, und auf dem Teppich breitete sich ein weißer Pulversee aus. Sie fluchte vor sich hin.

»Hallo, du.« Göran saß auf dem Sofa, eine Broschüre in der Hand.

»Wir hatten heute einen Termin im Waschhaus«, entgegnete sie kurz. »Jetzt liegt hier ein Berg nasser Klamotten, und alles Übrige ist immer noch dreckig. Außerdem ist die Svedberg stinksauer. Sie hatte den Termin danach.«

Karin fühlte, wie ihr Ärger weiter wuchs. Wieso musste sie zu Hause immer alles allein machen?

»Ich habe einen DVD-Player gekauft. Komm, schau ihn dir an.« Er hielt die Fernbedienung hoch.

»Hast du gehört, was ich gesagt habe?« Sie spürte, wie ihr Puls schneller schlug und ihr Gesicht zu glühen begann.

»Werd doch nicht gleich sauer. Man kann ja wohl einen neuen Termin bekommen.«

Ohne zu antworten, ging sie in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Ein Stückchen Käse, eine plattgedrückte Kaviartube und ein Teller mit Essensresten, die man vorige Woche hätte verbrauchen müssen. Sie nahm den Teller und kratzte ihn in den Mülleimer leer. Das Messer knirschte auf dem Porzellan, sie wusste, wie sehr Göran dieses Geräusch hasste. Dann stellte sie den Teller auf das angetrocknete Frühstücksgeschirr in die Spüle. Ihr Magen knurrte, und sie versuchte sich zu beherrschen, als sie ins Wohnzimmer hinüberrief: »Ich dachte, du wolltest einkaufen gehen.«

Er kam in die Küche und umarmte sie von hinten.

»Ich mach das morgen.«

Sie befreite sich aus seinem Griff und fühlte, wie enttäuscht sie war.

»Und was sollen wir heute Abend essen? Sag ja nicht, Pizza. Und morgen zum Frühstück?«

»Warum bist du so sauer?« Er schien ehrlich erstaunt.

»Weil du nie einkaufen gehst, nie die Wäsche übernimmst, nie kochst oder dir Gedanken über irgendwas machst. Mann, du hast sechs Wochen frei, da könntest du ja wenigstens etwas mithelfen.«

»Ich arbeite schließlich knallhart, wenn ich auf See bin. Gönnst du mir hier zu Hause nicht mal ein bisschen Ruhe?«, gab Göran in der Überzeugung zurück, dass Angriff die beste Verteidigung ist.

»Klar, ruh du dich nur aus. Diese Diskussion ist mir jetzt einfach zu viel. Ich gehe einkaufen.« Sie riss die Jacke vom Haken und knallte die Tür so heftig zu, dass es im ganzen Treppenhaus widerhallte.

Göran war Kapitän auf einem Handelsschiff. Sechs Wochen verbrachte er an Bord, danach hatte er sechs Wochen frei. Fünf Jahre ging das schon so. Karin erinnerte sich noch gut daran, wie er zu Beginn versprochen hatte, dass er sich einen Job an Land suchen würde, wenn ihre Beziehung durch seine Arbeit zu sehr belastet würde. Aus irgendeinem Grund fand er aber nie etwas, das eine Bewerbung überhaupt wert war. Karin, die oft an Bord mitgefahren war, wusste, der jetzige Job war genau das Richtige für ihn. Die Matrosen und die übrige Besatzung respektierten den jungen Kapitän. Nicht nur aus dem Grund, weil seine Familie zugleich Eigner des Schiffes war, sondern weil er ein ausgeprägtes Gespür für die See besaß und sich nicht zu schade war, mit den Matrosen Rost abzuklopfen oder dem Koch in der Kombüse zu helfen. Göran manövrierte den großen Pott mit viel Geschick und liebte es, am Morgen auf der Schiffsbrücke zu stehen und die Sonne aufgehen zu sehen. Karin war sich im Klaren darüber, wie ungerecht es von ihr war zu erwarten, dass er etwas anderes tun sollte. Aber es war schwierig, eine Beziehung aufrechtzuerhalten, die jedes Mal, wenn er heimkam, angeknipst, und wenn er wegfuhr, wieder ausgeschaltet werden musste. Ihr war, als ginge bei jedem Ausschalten ein wenig Kraft verloren, wie bei einer alten Lampe, in die man Petroleum nachfüllte, ohne zu sehen, dass etwas davon in die Halterung suppte, und ohne zu merken, dass sie immer schlechter brannte, weil niemand den Docht stutzte.

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