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Sie will durchs Leben tanzen – kann er sie auffangen, wenn sie fällt? Der Liebesroman »Die Träumerin von Paris« von Emily Taler als eBook bei dotbooks. Bonjour Paris, bonjour l‘amour! Sie möchte unbeschwert durch die Straßen des Montmartre streifen und den Glanz der Champs Elysées genießen – doch seit dem Tod ihrer geliebten Großmutter fällt es Sophie schwer, zu dieser Leichtigkeit zurückzufinden. Wie sehr vermisst sie Poupou und deren aufregende Geschichten über ihr Leben mit den Stars und der Bohème des alten Paris … Das letzte, was Sophie sich wünscht, ist ein Mann, der so ganz anders ist als die zauberhafte Welt, in die sie sich gerne hineinträumt – aber plötzlich begegnet sie ihm: John, dem amerikanischen Banker, der nur Zahlen vertraut und allein für seinen Job zu leben scheint. Und das in Paris, der Stadt der Liebe? Sophie beschließt, John aus seinem Schneckenhaus zu locken – mit ungeahnten Folgen … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der ebenso bewegende wie hinreißende Liebesroman »Die Träumerin von Paris« von Emily Taler wir alle Fans der Bestseller von Nicolas Barreau verzaubern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 272
Veröffentlichungsjahr: 2023
Über dieses Buch:
Bonjour Paris, bonjour l‘amour! Sie möchte unbeschwert durch die Straßen des Montmartre streifen und den Glanz der Champs Elysées genießen – doch seit dem Tod ihrer geliebten Großmutter fällt es Sophie schwer, zu dieser Leichtigkeit zurückzufinden. Wie sehr vermisst sie Poupou und deren aufregende Geschichten über ihr Leben mit den Stars und der Bohème des alten Paris … Das letzte, was Sophie sich wünscht, ist ein Mann, der so ganz anders ist als die zauberhafte Welt, in die sie sich gerne hineinträumt – aber plötzlich begegnet sie ihm: John, dem amerikanischen Banker, der nur Zahlen vertraut und allein für seinen Job zu leben scheint. Und das in Paris, der Stadt der Liebe? Sophie beschließt, John aus seinem Schneckenhaus zu locken – mit ungeahnten Folgen …
Über die Autorin:
Emily Taler wurde in Wales geboren, hat lange in Paris gewohnt und lebt heute mit ihrem Kater Wagner auf einem alten Armagnac-Gut in der Gascogne, wo sie hauptberuflich alte Möbel aufarbeitet.
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Originalausgabe Mai 2023
Copyright © der Originalausgabe 2023 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)
ISBN 978-3-98690-618-4
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Emily Taler
Die Träumerin von Paris
Roman
dotbooks.
Vous pensez peu au future, n’est-ce pas? C’est le privilège de la jeunesse.
Françoise Sagan, Bonjour Tristesse
»Ja«, sagte Sophie. »Das ist viel zu wenig, aber mehr will er auf keinen Fall zahlen. Was sagst du dazu? … Viel zu wenig, natürlich!«
An einem anderen Ort hätte man die junge Frau mit den kaum über die Ohren reichenden dunklen Haaren für verrückt gehalten, so entrüstet, wie sie mit sich selbst redete. Nicht aber hier. Auf einem Friedhof. Die Toten sind die einzigen Abwesenden, mit denen man reden darf, solange man es nicht übertreibt. Der auf einem Hügel gelegene Friedhof von Montmartre in Paris war aber ohnehin menschenleer an diesem verregneten Herbstmorgen.
»Das finde ich auch, Poupou! Zwei Charles Aznavour, nur um den Strom zu bezahlen! Aber was soll ich tun? … Was? Du hast sie von Jean-Yves geschenkt bekommen? Dann kann ich sie auf keinen Fall verkaufen. Nein, Poupou, das kann ich wirklich nicht.«
Sophie blieb schweigend vor dem Grabstein stehen. Um sie herum war es still, aber in der Ferne war das Rauschen der Stadt zu hören, das Hupen der sich zu jeder Tageszeit in den engen Gassen stauenden Autos. Sie lauschte, aber ihre Großmutter sagte nichts mehr.
»Ich kann das nicht«, sagte Sophie verzweifelt und holte eine Packung Gitanes aus ihrem Mantel. Sie fummelte eine Zigarette heraus und legte sie auf den Grabstein. Dann fuhr sie mit dem Finger über die in den Stein gemeißelten Buchstaben.
Pauline d’Antan
1928-2018
»Ich habe aufgehört«, sagte Sophie. »Es ist zu teuer und macht mir ohne dich gar keinen Spaß.«
Sie wartete noch einige Minuten, dann winkte sie verhalten in Richtung des Grabsteins und ging.
Der Regen wurde immer stärker. Sie durfte sich nicht erkälten, weil sie nicht heizen und kein heißes Wasser verbrauchen wollte. Die Tüte mit den beiden Schallplatten hatte sie unter ihrer Jacke in Sicherheit gebracht, gleich unter ihrem Herzen. Ihr wurde immer noch ganz mulmig bei dem Gedanken daran, dass sie die Schallplatten um ein Haar verkauft hätte. Sie mochte den Händler nicht, sein ewiges Gefeilsche und gönnerhaftes Getue, als wolle er die Platten gar nicht kaufen. Natürlich wusste er nicht, was sie ihr wirklich bedeuteten.
Mit hochgeschlagenem Mantelkragen eilte sie vom Friedhof und bis zur Rue des Abesses, wo die Cafés einladend warm leuchteten. Wie gerne hätte sie sich jetzt an einen der Tische gesetzt und eine heiße Schokolade mit créme chantilly bestellt, aber das durfte und konnte sie sich nicht leisten. Am meisten liebte sie die allerletzten Tropfen, die sich am Boden der Tasse sammelten, die zwar nicht mehr heiß waren, dafür aber so einzigartig intensiv. Sie hatte schon oft beobachtet, dass Menschen diesen letzten Rest stehen ließen, weil sie nicht darauf warten wollten, dass die zähflüssigeren Tropfen zum Rand der Tasse flossen. Man konnte einen Löffel nehmen, dann ging es schneller, aber auch daran dachten sie nicht, so sehr waren sie in Eile. Sophie wandte sich vom Café ab und eilte weiter. Sie wollte schnell nach Hause, um sich die Platten anzuhören, die sie gerade noch hatte retten können. Warum hatte Poupou ihr nie erzählt, dass sie diese Platten von Jean-Yves geschenkt bekommen hatte? Der Dichterfreund, mit dem sie nach einer kurzen und wilden Affäre bis zu seinem Tod weiter befreundet geblieben war.
Sophie lief immer schneller die Straße hinunter, bog schließlich rechts ab, um das 10. Arrondissement zu durchqueren, auf den engen Gehwegen den entgegenkommenden Passanten und den Warentischen der Händler ausweichend, bis sie endlich die Großen Boulevards erreichte, die Prachtstraße mit ihren riesigen Gebäuden, die sich mit so zarten Balkongittern schmückten. Das Stück Weg bis zu den Ampeln an der Porte St. Martin sparte sie sich und lief zwischen den hupenden Autos hindurch zur kleinen Treppe, die in das alte Viertel um die Kirche Notre Dame de Bonne Nouvelle herumführte. Das alles war ihr immer noch fremd, seit sie alleine unterwegs war, als kenne sie die Stadt gar nicht, in der sie doch schon seit fast zwei Jahren lebte. Ohne Poupou war nichts mehr dasselbe wie mit ihr.
Fröstelnd erreichte sie die Tür des leicht schief stehenden alten Hauses, das dicht gedrängt zwischen zwei anderen Häusern stand. Es waren Gebäude, wie sie in Paris schon seit Jahrhunderten nicht mehr gebaut wurden. Schmale Häuser, gerade einmal zwei Fenster breit, und drei oder vier Stockwerke hoch, fast kleine Türme mit engen Wendeltreppen. Entsprechend schmal waren die Straßen, die teils schräg und kurvig verliefen, so wie sie sich über Jahrzehnte aus alten Wegen entwickelt hatten. Viele der mittelalterlichen Quartiers waren abgerissen worden, um Platz für die Großen Boulevards zu schaffen. Straßen, die so breit waren, dass darauf niemand Barrikaden errichten konnte, gut beleuchtet, um Gesindel zu vertreiben und den Verkehr kontrolliert fließen zu lassen. Vernünftige Straßen, die zuversichtlich in die Zukunft blickten, Straßen ohne Gefühl. Das alles war nur wenige Meter entfernt von hier, aber doch eine andere Welt, der Sophie glücklich entkommen war. Sie liebte es so, wie es hier war. Verwunschen und verschachtelt. Voller Geheimnisse. Im diesigen Licht der Straße sah sie auch einige Schneeflocken, und sie freute sich, obwohl sie wusste, dass es jetzt noch kälter würde. Sie hatte Schnee schon immer geliebt.
»Bonjour, Mademoiselle«, grüßte sie Monsieur Vasconcelos, der im Erdgeschoss wohnte und seine Wohnungstür meist offen stehen ließ. Nicht, weil er die übrigen Bewohner des Hauses hätte kontrollieren wollen, sondern um nicht ganz allein zu sein. Der ältere Herr mit seinem stolzen Schnurrbart trug immer hellen Anzug und Krawatte und duftete nach einem altertümlichen Aftershave. Er war als junger Mann aus Portugal nach Paris gekommen, hatte lange ein Restaurant geführt und nicht allzu viel Geld zurücklegen können. Aber das sei nicht schlimm, hatte er Sophie bei anderer Gelegenheit erklärt, weil man als Portugiese ohnehin immer von einem anderen Leben träume. Das habe mit Geld nichts zu tun.
»Bonjour Monsieur«, grüßte Sophie zurück. »Ich muss schnell hoch, ich bin ganz nass.«
»Verdammt, diese Kälte ist auch nicht normal! Und jetzt sogar Schnee! Ihre Großmutter hatte immer einen Pelzmantel. Vielleicht finden Sie den.«
»Ja, vielleicht.«
»Sie war eine tolle Frau, Mademoiselle. Sie hatte ein tolles Leben, genau da, wo sie war. Solche Frauen gibt es heute nicht mehr, wenn ich das so sagen darf. Das waren andere Zeiten.«
»Das dürfen Sie natürlich«, sagte Sophie, die schon die ersten Stufen der Wendeltreppe erklommen hatte und sich noch einmal umblickte. »Aber ich muss wirklich schnell ins Warme.«
»Jaja, ich rede wie ein alter Mann. Hören Sie gar nicht hin. Sie leben heute natürlich auch Ihr Leben. Machen Sie es gut und bleiben Sie gesund!«
Sophie winkte ihm und eilte dann die siebzehn Stufen hoch, vorbei an dem alten Wasserhahn aus ganz fernen Zeiten, bis in den ersten Stock. In der letzten Stufe saß ein Stein locker, und auch heute setzte sie ihren Fuß genau darauf. Ihr gefiel das Gefühl. Es war ein bisschen so, als sitze sie auf einer Wippe, wie ein Kind. Der Name ihrer Großmutter stand noch immer an der Tür. Da ihr die Wohnung gehört hatte, störte sich niemand daran. Hastig schloss sie die Wohnungstür auf, trat ein und sperrte hinter sich mit beiden Schlössern ab. Sie machte kein Licht, aber auch bei bedecktem Himmel war es in der Wohnung hell genug, um die großen Plakate und Porträts an den Wänden zu erkennen, die Regale voller Bücher und Zeitschriften und natürlich die Schallplatten, die ganze Längsseite des Wohnzimmers entlang. Es duftete nach altem Papier, als sei die Luft erfüllt mit alten Geschichten. Sophie holte sich schnell ein Handtuch und trocknete ihr Haar, um dann Wasser auf dem Gasherd zu erhitzen, in das sie den Teebeutel vom Morgen noch einmal hineinhing. Die kalten Hände an der heißen Tasse wärmend, ging sie zurück ins Wohnzimmer und legte eine der beiden Aznavour-Platten auf. Als sie das Knistern hörte, lief es ihr kalt den Rücken herunter, und sie lächelte glücklich. Dann suchte sie eins der Bücher von Jean-Yves und sah ihn vom Buchrücken zu ihr aufblicken, unrasiert mit zerfurchten Wangen und sogar in Schwarz-Weiß beruhigend warmen Augen. Sophie fuhr mit dem Finger über sein Gesicht und erinnerte sich an all die Geschichten, die Poupou über diesen Mann erzählt hatte, und schon hörte sie ihre Stimme. Er hat mich einfach angesprochen, weil ihm meine Knie gefielen. Ich habe ihn ausgelacht, du weißt ja, wie meine Knie aussehen, das war früher nicht viel besser, und ich habe natürlich durchschaut, dass er genau wusste, wie ich meine Knie fand, das war so sein Trick, aber ich fand es doch sehr charmant, so wie er es sagte. Er meinte, dass diese Knie doch viel zu schade seien, um darauf nur herumzulaufen. Ich müsse mit ihm tanzen gehen, alles andere sei eine Schande! Also bin ich natürlich mit, er war ja ein toller Kerl, und wir hatten wirklich Spaß, o ja! Was hatten wir für einen Spaß! Nächtelang! Aber er war natürlich niemand für nur eine Frau, zu viel Mann, aber ein sehr guter Freund. Er hat nie den Tag vergessen, an dem er meine Knie entdeckt hat. Wir sind immer tanzen gegangen …
»Hattest du da schon Maman?«, fragte Sophie, aber sie hörte nur noch die Musik und schüttelte den Kopf über sich selbst. Nur weil sie Poupous Stimme hörte, hieß das nicht, dass sie mit ihr sprechen konnte. Außerdem hatte sie auf solche Fragen auch nicht geantwortet, als sie noch lebte.
Als der Tonarm zurück auf seine Ruheposition schwenkte und die Platte sich nicht weiter drehte, setzte sich Sophie an den Schreibtisch ihrer Großmutter und versuchte wie schon so oft in den letzten Wochen, die Rechnungen zu sortieren. Das strahlend weiße Papier, auf das sie gedruckt waren, duftete nach nichts. Auch die Buchstaben waren völlig steril ohne jeden Hauch von Tintenduft: Electricité de France,Gaz de France, France Télécom. Ganz ohne Strom ginge es nicht. Gas war der geringste Betrag, und das brauchte sie zum Kochen und um Wasser für ihren Tee zu erhitzen. Blieb das Telefon, das sie so gut wie nie benutzte. Wenn es klingelte, wusste sie, dass es ihre Mutter war, die sie beschimpfen würde, die egoistische Tochter, die wie ihre Großmutter nur an sich denken konnte. Sie wollte die Wohnung so schnell wie möglich verkaufen, das ganze alte Gerümpel von einem Trödler abholen lassen. Sie wollte Poupous Leben in Geld eintauschen, das hatte Sophie gleich begriffen, doch es gab Schwierigkeiten mit dem Testament. Sie konnte Sophie nicht einfach aus der Wohnung werfen, in der sie ein neues Zuhause gefunden hatte, nachdem Roland sie vor zwei Jahren verlassen hatte.
Sophie hatte bis dahin keinen Kontakt zu ihrer Großmutter gehabt. Sie war bei ihrer Mutter in Lille aufgewachsen, die nie etwas von damals erzählt hatte. Wenn überhaupt, verfluchte sie die egoistische Schlange, die sie geboren hatte, ohne je mehr zu verraten. Sophie wusste mittlerweile, dass es tatsächlich ihre Mutter war, die nur an sich selbst dachte. Als Kind hatte Sophie nie gewusst, was sie glauben sollte, so oft änderte ihre Mutter ihre Haltung zu fast allem, da es nur um ihre Befindlichkeiten ging. Mal waren es die Steine, die ihr Schicksal bestimmten, dann Geistern ähnliche Wesen, dann wieder Gottheiten oder Gurus. Zuletzt hatte sie sich zur Wahrsagerin ausbilden lassen. Sie glaubte wirklich, in die Zukunft sehen zu können. Sophie war mit achtzehn zu Roland geflohen, einem jung verheirateten Lehrer, der sie an den Wochenenden mit auf Reisen nahm und sie bat zu verstehen, dass er seine Familie nicht verlassen könne. Sie hatte sich dennoch geborgen gefühlt, ja, sie hatte ihn geliebt und immer mit ihm sein wollen. Er wusste, was richtig und was falsch war und wie das Leben funktionierte, bis er ihr erklärt hatte, dass sie sich nicht weiter sehen würden. Da war sie gerade neunzehn geworden und hatte nichts mehr von Männern wissen wollen. Nie wieder wollte sie so verletzt werden, so hilflos alleine sein. Sie hatte die Wohnung ihrer Mutter nicht mehr verlassen, hatte einfach zu leben aufgehört und nur noch existiert, bis ihre Mutter es nicht mehr aushielt und die egoistische Schlange zum ersten Mal bei ihrem Namen nannte, Poupou, die Großmutter in Paris, die sich dann um ihr Enkelkind kümmern sollte, da sie sich um ihre Tochter schon nicht gesorgt habe. Das war Sophies größtes Glück gewesen. So war sie zum ersten Mal einem Menschen begegnet, bei dem sie wirklich zu Hause war, bis auch Poupou hatte gehen müssen.
Sophie musterte den alten schwarzen Apparat mit dem riesigen Hörer. Wenn sie das Telefon kündigte, würde sie nicht nur Geld sparen, sondern sie wäre auch für ihre Mutter nicht mehr erreichbar, die sich so schnell nicht auf den Weg nach Paris machen würde.
»Brauchst du das Telefon?«, fragte Sophie. »Unglaublich, dass es dreimal so viel kostet, wie man für zwei Aznavour-Platten bekommt. Das ist doch wirklich verrückt. Und was bekommt man dafür? Nichts! Nur dieses Geschimpfe!«
Sie schrieb auf einen Zettel, was sie sonst noch für Ausgaben hatte: Brot und ein bisschen Käse und gelegentlich eine Packung Tee. Da sie nicht wusste, wie sie sonst zu Geld kommen sollte, würde sie weiter Dinge ihrer Großmutter verkaufen müssen, aber doch nur sehr wenige. Irgendwann würde sich schon eine Lösung finden, da war sie sicher. Es durfte nur nichts Unvorhergesehenes passieren.
Nachdem sie den Teebeutel noch ein drittes Mal aufgegossen und eine Stunde in die dicke Wolldecke gewickelt auf dem Sofa verbracht hatte, war Sophie sicher, dass sie sich nicht erkältet hatte. Darauf musste sie achten. Sie blätterte ein wenig in einer Ausgabe der Cahiers de Cinéma und hatte plötzlich Lust, ins Kino zu gehen, so wie sie es mit Poupou immer gemacht hatte. Am helllichten Tag in einen der kleinen Säle, in denen die alten Filme gezeigt wurden. Oft waren sie die einzigen Besucherinnen, sodass der Vorführer den Film sogar anhielt, wenn Poupou auf die Toilette musste. Sophie wollte gerne alleine im Kino sitzen, aber dafür würde sie wieder etwas verkaufen müssen. Nein, das wollte sie nicht. Lieber zog sie den noch klammen Mantel über und machte sich auf den Weg, ein Mittagessen zu besorgen.
Es hatte aufgehört zu schneien, und die Tauben zogen große Runden um den Triumphbogen der Porte Saint-Martin, während sich unten die Autos stauten. In der Rue du Faubourg Saint-Denis priesen die Gemüsehändler lautstark ihre Ware an. Sie kannten alle ihre Großmutter und hatten auch Sophie oft genug an ihrer Seite gesehen, um ihr jetzt, da sie alleine kam, mal angestoßenes oder nicht mehr ganz frisches Obst und Gemüse, mal aber auch frische Ware zu schenken.
»Nehmen Sie, Mademoiselle!«, rief ihr gleich der erste Händler zu und reichte ihr eine Ananas. »Damit Sie sich nicht erkälten. Ihre Großmutter hat Ananas geliebt! Diese Vitamine sind unbezahlbar!«
»Danke«, sagte Sophie. »Das ist wirklich sehr nett.«
»Ich bitte Sie! Was würde man für eine Frau wie Sie nicht sonst noch alles tun! Was wäre unsere Straße ohne Sie?«
Sophie lächelte unsicher. Poupou hätte gleich etwas zu entgegnen gewusst. Mann würde gerne, wenn man dürfte!, hörte sie ihre Stimme, aber so etwas konnte sie nicht sagen. Auch nach den beiden Jahren mit Poupou brachte sie vor fremden Menschen kaum einen Laut über die Lippen, und vor Männern schon gar nicht. Schnell steckte sie die Ananas in die Tüte, in der sie vorhin noch die beiden Schallplatten transportiert hatte. Dann lief sie weiter und kehrte eine halbe Stunde später mit einigen Tomaten, einer Gurke, einem ganzen Netz Zucchini und der Ananas zurück nach Hause.
»Sie haben Post«, begrüßte sie Monsieur Vasconcelos. »Der Postbote war gerade erst da.«
»Ja?«, fragte sie und schloss den Briefkasten auf. Tatsächlich stand darin ein Brief, den sie in die Tüte fallen ließ, ohne weitere Worte zu verlieren. Sie hatte Hunger. Sie hatte Lust auf Ananas. Es war, als habe das Schicksal sie dafür belohnt, dass sie die Schallplatten behalten hatte. Hätte sie Geld gehabt, hätte sie es ausgegeben und wäre doch nicht glücklicher. Im Gegenteil.
Sie aß gleich mehrere Scheiben der herrlichen Frucht, deren süßer Saft ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Obwohl die Frucht kalt war, hatte sie das Gefühl, ein Stück Sonne zu essen, und sie schwärmte Poupou vor, wie gut es ihr schmeckte.
»Das würde dir gefallen«, sagte sie. »Und nur, weil ich die Platten von Jean-Yves behalten habe!«
Erst als sie das Gemüse in eine Schale räumte, fiel ihr der Brief wieder in die Hände. Den hatte sie ganz vergessen. Der Absender war eine société de gestion immobilière, der Adressat ihre Großmutter. Sophie schnitt den Umschlag sauber mit einem Messer auf und faltete das mehrseitige Schreiben auseinander. Hätte sie Buchhaltung studiert, wie es ihre Mutter gewollt hatte, hätte sie vielleicht verstanden, was da stand. So aber las sie nur Zahlen unter Zahlen neben Posten wie Abwasser, Grundsteuer und Instandhaltung. Ganz unten auf der zweiten Seite stand ein Geldbetrag, den ihre Großmutter umgehend zahlen sollte, um weiterreichende Maßnahmen zu verhindern. Der Geldbetrag überstieg das, was sie in einem Jahr nicht für das Telefon bezahlen würde, um ein Vielfaches. Sie wollten Hunderte von Aznavour-Platten, wobei selbst das kaum reichen würde. Froh, dass das Telefon noch nicht abgestellt war, wollte Sophie in ihrer Verzweiflung ihre Mutter anrufen, weil das nicht sein konnte. Nur würde ihre Mutter ihr nicht helfen, sondern sie auffordern, die Wohnung endlich zu verlassen. Nein, so würde sie das Leben ihrer Großmutter nicht retten, aber das durfte einfach nicht sein.
Sophie warf den Brief zu all den anderen Briefen auf den Schreibtisch, griff dann zielsicher nach einer ihrer Lieblingsplatten von Barbara und legte die Nadel genau an den Anfang von Dis, quand reviendras-tu?. Dann setzte sie sich auf den Teppichboden und betrachtete das Konzertplakat von Jacques Brel, der so freundlich und traurig zugleich zu ihr herunterblickte. Er war meine große Liebe, hörte Sophie ihre Großmutter. Wir haben uns so geliebt, so sehr, damals, aber er hatte seine Familie in Brüssel, verstehst du? Barbara hat dieses Lied für mich geschrieben. Wir kannten uns aus den Bars, und sie wusste, wie sehr ich litt. Aber, Sophie, ich bereue nichts. Es war alles einfach wunderbar, auch der Schmerz. Das gehört doch dazu! Wer hat heute noch solche Gefühle! Und dann lachte sie ihr Lachen, in dem sie alles noch einmal zu erleben schien und ihr dabei zu verstehen gab, dass sie das leider nicht begreifen könne, weil sie nicht dabei gewesen war. Sophie weinte trotzdem, so sehr litt sie mit ihrer unglücklich verliebten Großmutter, so sehr bewegten sie diese Gefühle. Ja, es tat im Herzen weh, aber es war wirklich ein schöner Schmerz.
***
Über der Wohnung von Sophies Großmutter lag gleich unter dem Dach noch ein weiteres Apartment. Die beiden kleinen Zimmer mit schrägen Wänden bewohnte John Willbee, ein vierundzwanzigjähriger Amerikaner, der seit einigen Monaten für einen internationalen Rentenfonds arbeitete. John und Sophie waren sich noch nie begegnet, obwohl sie nur eine Decke aus Holzbalken, Putz und Stroh trennte. Normalerweise arbeitete John von frühmorgens bis spätabends, jetzt aber hatte ihn eine schwere Grippe erwischt. Er hatte mit seiner Mutter telefoniert, die ihm zunächst vorgeworfen hatte, dass er nicht vorsichtig genug gewesen sei. Sie war gegen seinen Auslandsaufenthalt gewesen, der aber unausweichlich war, wenn er in der Firma aufsteigen wollte. Nur deshalb hatte sie eingewilligt und ihn eindringlich vor den Gefahren des Lebens fern der Heimat gewarnt. Frankreich war für sie ein Entwicklungsland voller Gefahren. Unhygienisch und voller verantwortungsloser Menschen. Das hatte sie alles noch einmal wiederholt und ihn dann ins Bett geschickt. Sein Kopf schmerzte so sehr, dass er sich nicht konzentrieren konnte. Er wollte sich die Medizin kaufen, die seine Mutter ihm genannt hatte, fand aber noch nicht die Kraft. Wenn er hätte arbeiten können oder von der Arbeit erschöpft gewesen wäre, hätte er nichts gehört. So aber war es so still in seiner Wohnung und er so unbeschäftigt, dass er die Musik von unten hörte und dann auch das Schluchzen. Er machte sich darüber keine weiteren Gedanken. Es konnte die unterschiedlichsten Ursachen dafür geben, dass jemand Musik hörte und schluchzte. John interessierten selbst in seinem fiebrigen Zustand nur die Folgen von bestimmten Ereignissen, und er sah nicht, zu was so ein Schluchzen hätte führen sollen. Hätte jemand um Hilfe gerufen, hätte er handeln müssen, so wie er hätte eingreifen müssen, wenn er hören würde, dass jemand ernsthaft bedroht oder wie ein Verbrechen geplant wurde. Kurz meinte er Männerstimmen auf Arabisch murmeln zu hören, aber das bildete er sich ein. Seine Gedanken gingen durcheinander. Er schloss die Augen und versuchte, an nichts zu denken. Er musste schnell gesund werden. Er durfte sich nicht zu viele Krankentage leisten. Er musste beweisen, dass er sein Leben im Griff hatte. Wie sonst sollte er Verantwortung für die Zukunft so vieler anderer Menschen übernehmen können? Bald übermannte ihn die Müdigkeit. Aus der Wohnung unten war nichts mehr zu hören. Erschöpft vom Fieber, schlief er ein.
»Gehen Sie denn gar nicht mehr vor die Tür?«, fragte Monsieur Vasconcelos, als Sophie die Treppe herunterkam. »Waren Sie all die Tage nicht bei ihr auf dem Friedhof? Sind Sie doch krank geworden? Den Amerikaner von ganz oben hat es schlimm erwischt. Mister Willbee, kennen Sie ihn?«
»Nein«, sagte Sophie und schüttelte heftig den Kopf. »Nein, und mir geht’s wirklich gut. Ich muss jetzt los, auf den Friedhof.«
»Mich wird keiner besuchen, wenn es so weit ist, aber was soll’s? Grüßen Sie Ihre Großmutter. Madame d’Antan war eine tolle Frau.«
»Mademoiselle«, sagte Sophie. »Sie hat nie geheiratet.«
»Das weiß ich doch«, sagte er. »Aber eine Mademoiselle mit Enkelin, nein, das passt wirklich nicht. Da bin ich konservativ.«
»Wie Sie wollen«, sagte Sophie und zog die Haustür auf.
Immerhin regnete es nicht. Kalt war es aber trotzdem, sogar noch kälter als bei ihrem letzten Besuch auf dem Friedhof.
Sie hatte die Tage in der Wohnung genossen. Ein Buch nach dem anderen gelesen, Musik gehört und Zeitschriften durchgeblättert. Sie hatte alles über Romy Schneider und Alain Delon gelesen, was sie finden konnte. Welch große Liebe, die nicht von Dauer hatte sein können! So wie Poupou auch nie lange mit einem Mann hatte zusammenbleiben können, weil sie verliebt war in die Liebe, wie sie ihr immer wieder gesagt hatte. Anders als auf dem Friedhof, sagte Poupou in der Wohnung nichts davon, dass Sophie die Erinnerungen verkaufen sollte. Hier war sie ganz die Alte und erzählte Sophie von damals, den ganzen Abenteuern und Verrücktheiten, dem Leben im Hier und Jetzt, wie es damals gewesen war.
Sophie lief schnell, um warm zu bleiben, und erreichte bald schon die Place Pigalle mit ihren Leuchtreklamen und den Touristengruppen, denen ihre Führer von vergangenen Zeiten erzählten. Wenn Poupou sie durch die Bars geführt und Geschichten erzählt hatte, war es eine ganz andere Stadt gewesen. Die Menschen, die ihr jetzt so fremd und belanglos erschienen, waren alle geheimnisvoll gewesen, als wären auch sie aus einer anderen Zeit. Das schäbige Licht der Etablissements hatte alles zum Leuchten und Glitzern gebracht, die Stadt regelrecht verzaubert. Jetzt war um sie ein lustloses Grau, Verkehrslärm und schimpfende Menschen. Die Vergangenheit strahlte bunter als die Gegenwart, sodass sie froh war, als sie endlich den Friedhof erreichte.
Am Grab ihrer Großmutter holte sie aus ihrer Tüte eine Flasche Whiskey, Bourbon, den Poupou immer getrunken hatte. Die Flasche war fast leer. Sophie selbst verzichtete und schenkte nur ihrer Großmutter ein Glas voll, das sie dann auf den Grabstein stellte.
»Nein, Poupou«, sagte sie. »Ich werde ab jetzt nichts mehr verkaufen. Die Hausverwaltung droht sowieso mit weiteren Schritten, kannst du dir das vorstellen? Sie werden mich früher oder später rauswerfen. Maman wird endlich verkaufen und dich verschwinden lassen. Was? Ich soll von deinem …«
Sophie sah sich um, zuckte dann mit den Schultern und trank einen kleinen Schluck aus dem Glas. Der Whisky duftete nach altem Leder und wärmte sofort ihren Bauch. Es war wie früher mit Poupou.
»Du hast recht«, sagte sie. »Wie eine Sonne unterm Herzen, das hat Jean-Yves doch immer gesagt. Lange hat sie ihn gewärmt, bis sie ihn innerlich verbrannt hat. Na ja, jedenfalls müssen wir die Zeit, die uns noch bleibt, genießen. Ich werde irgendwo Geld auftreiben, Poupou. Aber ich werde dich nicht verkaufen, deine Dinge, das bist doch alles du!«
Sophie stand schweigend da, griff dann nach dem Glas und trank es aus. Sie schenkte auch den Rest der Flasche ein, prostete dem Grabstein zu und kippte es in einem Zug hinunter.
»Ich will jede Minute mit dir genießen«, sagte sie. »Es wäre so schön, noch einmal mit dir durch Paris zu gehen.«
Sie wischte sich die Augen und kicherte dann. Sie hatte den ganzen Whisky geleert und seit Poupous Tod vor fast drei Monaten nichts mehr getrunken.
»Oh, das tut mir leid«, sagte sie. »Aber ich werde dir neuen besorgen, irgendwie. Ganz bestimmt! Au revoir!«
Sie zögerte kurz, dann ging sie noch einmal zum Grabstein und küsste ihn, strich mit der Hand über die Ecken, als wären es die Schultern ihrer Großmutter. Dann wandte sie sich schnell ab und lief zum Ausgang.
Es fielen feuchte Schneeflocken, die gleich schmolzen, wenn sie auf der Straße landeten. Auf manchen Autos blieben sie etwas länger liegen, ehe sie zerflossen und sich zu Pfützen sammelten. Was gerade noch so schön gewesen war, war plötzlich verschwunden, als habe es nie existiert. Sophie sang leise vor sich hin, On n’oublie rien, rien, on n’oublie rien de rien de rien … und weder die Nässe noch die Kälte störten sie. Du solltest wirklich meinen Pelzmantel tragen, hörte sie da plötzlich ihre Großmutter und sah sich erschrocken um, als erwarte sie, sie wirklich zu sehen. Dann musste Sophie lachen.
»Du kommst wirklich mit!«, sagte sie. »Wollen wir endlich wieder einmal ins Café d’Ailleurs? … Mit einem Taxi?«
Sophie zögerte, weil sie sich natürlich keine Taxifahrt leisten konnte. Ihr letztes Geld müsste sie dafür hergeben, aber es fühlte sich so richtig an. Es war genau das, was sie jetzt tun wollte. Deshalb winkte sie auch schon, und gleich darauf hielt ein Wagen, und sie nannte dem Fahrer die Adresse.
»Du hast recht, man lebt nur einmal«, sagte sie leise.
Der Taxifahrer musterte sie skeptisch im Rückspiegel.
»Haben Sie Geld dabei?«, fragte er dann.
Würden Sie eine Frau wie mich im Regen stehen lassen?, sagte Poupou, aber Sophie biss sich nur auf die Lippen und nickte. Dann bat sie den Fahrer, erst einmal ins Quartier Latin zu fahren, einmal quer durch die Stadt.
Sie standen im Stau, und zum ersten Mal sah Sophie die Bauarbeiten an Notre Dame. Sie hatte von dem Brand der Kathedrale gehört, war seitdem aber noch nicht wieder hier gewesen. Unvorstellbar, dass etwas so Altes wie diese Kirche einfach für immer hätte verschwinden können. Nein, das durfte nicht sein, und das passierte ja auch nicht. Allerdings wurde der Verkehr umgeleitet. Geradeaus ging es nicht weiter. Deshalb sah Sophie noch einmal nach, wie viel Geld sie dabeihatte. Die Taxiuhr hatte den Betrag schon fast erreicht, aber sie wollte unbedingt noch diese Tour machen, einmal noch wie früher.
»Pardon Monsieur«, sagte sie leise.
»Ich wusste es«, sagte der seufzend und fuhr rechts an den Gehweg. »Raus!«
»Monsieur, bitte. Ich gebe Ihnen alles, was ich habe, wenn Sie mich nur vielleicht etwas weiter fahren könnten. Noch ein kleines bisschen weiter. Es bedeutet mir viel.«
»Und warum sollte ich das?«, fragte er und drehte sich zu ihr um. Er war unrasiert, seine Haare fettig und die Wangen zerfurcht. Wie Jean-Yves nur hatten seine Augen nichts Warmes.
»Bitte, es ist für meine Großmutter.«
»Und wo ist die?«
»Sie ist gestorben. Ich war immer mit ihr unterwegs.«
Plötzlich schaute er doch etwas freundlicher und schüttelte ungläubig seinen Kopf.
»Ich soll für eine tote Großmutter tun, was ich für eine lebendige Schönheit nicht mache?«
»Ja«, sagte sie lächelnd. »Bitte.«
Er hob die Augenbrauen, schüttelte dann noch einmal den Kopf und fragte, wohin er sie und ihre Großmutter denn fahren solle. Sophie nannte ihm die Adresse.
»Früher war weniger Verkehr«, sagte sie entschuldigend.
»Ja, früher war auch die Zukunft besser«, sagte der Taxifahrer. »Und man durfte im Taxi rauchen.«
Sophie suchte die Packung mit den Gitanes in ihrem Mantel und hielt sie dem Fahrer dann hin.
»Mich stört es nicht«, sagte sie.
»Rauchen Sie mit?«, fragte er.
Na klar!, sagte Poupou.
»Okay«, sagte Sophie. »Gerne.«
Jetzt grinste er sie breit an, und plötzlich dachte Sophie, dass wirklich Jean-Yves am Steuer saß, wie sie ihn von den Fotos kannte, und zum ersten Mal verstand sie, wie ihre Großmutter als junge Frau so einen wilden alten Kerl hatte lieben können. Er gab ihr Feuer und meinte, dass sie schon nicht verhaftet würden, nur weil sie sich hier ein bisschen amüsierten. Mit leicht geöffneten Fenstern fuhr er dann immer mutiger, sprang in jede freie Lücke und fluchte gut gelaunt über alles und jeden. Wenig später hielt er in der Rue de la Huchette vor Le Chat Qui Pêche.
»Sie sehen gar nicht aus wie eine Touristin«, sagte er.
»Ich wohne seit zwei Jahren in Paris«, sagte sie. »Bei meiner Großmutter. Sie hat hier früher wild gefeiert, müssen Sie wissen.«
»Dieses Früher ist aber wirklich lange her«, sagte er.
So alt bin ich nun auch wieder nicht, beschwerte sich Poupou. So etwas hätte Jean-Yves nie gesagt! Komm, lass uns schauen, ob er bei Shakespeare & Company ist. Dort trifft er immer die verrückten Amerikaner.
»Jetzt zu Shakespeare & Company, bitte«, sagte Sophie. »In der Rue de la Bucherie.«
»Sie sind doch eine Touristin«, sagte der Taxifahrer. »Und Sie müssen mir sicher nicht sagen, wo dieser Buchladen ist.«
Dann fuhr er los und hielt wenig später vor der Buchhandlung mit ihren grün gestrichenen Fensterrahmen und den mit Büchern vollgestellten Fenstern.
»Warten Sie bitte«, sagte Sophie und stieg aus, um einen Blick durch die Tür zu werfen. Die Bücher standen an den Wänden bis unter die Decke und lagen hoch gestapelt auf den Tischen. Sie trat ein und grüßte leise und atmete gierig diesen Duft, den sie so liebte, Geschichten, die man atmen konnte, um von ihnen zu leben. Sophie, das waren vielleicht irre Kerle, diese Beatnicks aus Amerika! Kerouac, Borroughs, Ferlenghetti! Nächtelang haben wir hier gesoffen und Gedichte gelesen, das kannst du dir gar nicht vorstellen! Sophie zwinkerte, als sie plötzlich meinte, Jean-Yves zur Tür hereinkommen zu sehen.
»Da ist er«, stammelte sie. »Poupou, da ist Jean-Yves!«