Die Treuhand - Klaus Behling - E-Book

Die Treuhand E-Book

Klaus Behling

4,9

Beschreibung

Die Treuhandanstalt gehört zu den schmerzlichen Erinnerungen an die deutsche Einheit. 25 Jahre nach ihrem Ende ist das Echo der Wut noch nicht verhallt. Klaus Behling hat seit 1990 die Anstalt beobachtet, mit Managern aus dem Westen und Arbeitslosen aus dem Osten gesprochen, Betriebe besucht und Akten gewälzt. Daraus entstand eine Bilanz, die einige Erfolge beim Neustart der früheren DDR-Wirtschaft ebenso zeigt, wie die vielen Hoffnungen, die in Enttäuschungen endeten. Behling untersucht die historischen Wurzeln der Treuhand, ihre Verwandlung in eine undurchsichtige Behörde, die die Wirtschaft eines ganzen Landes abschaffte, und fand Spuren von Kriminellen, die Millionenvermögen ergaunerten. Klar wird: Auch auf kommende Generationen wird die längst verschwundene Treuhand noch Einfluss haben. Das Folgen der Treuhand in der Langzeit-Perspektive - eine historische Spurensuche der besonderen Art. Sehr aufschlussreich!

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Klaus Behling

Die Treuhand

Wie eine Behörde ein ganzes

Land abschaffte

edition berolina

Von Klaus Behling liegen außerdem vor:

▷ Streitfall Siegerjustiz Fakten Prozesse Ergebnisse

▷ »Plötzlich und unerwartet …« Selbstmorde nach Wende und Einheit

▷ Geheimnisse eines versunkenen Landes.

Kurzweilige Anekdoten aus dem DDR-Zettelkasten

▷ Mata Haris in Ostberlin. Fälle aus MfS, Polizei und NVA

▷ Mordwaffe Makarow. Fälle aus MfS, Polizei und NVA

▷ Tod bei der Fahne. Fälle aus MfS, Polizei und NVA

(Serie Verschlussakte DDR, alle drei Titel zusammen mit Jan Eik)

eISBN 978-3-95841-517-1

1. Auflage

Alexanderstraße 1

10178 Berlin

Tel. 01805/30 99 99

FAX 01805/35 35 42

(0,14 €/Min., Mobil max. 0,42 €/Min.)

© 2015 by BEBUG mbH / edition berolina, Berlin

Umschlaggestaltung: buchgut, Berlin unter Verwendung eines

Fotos von © El Gaucho/Fotolia

www.buchredaktion.de

Ein Wort voraus:

»Helmut, nimm uns an die Hand …

… zeig uns den Weg ins Wirtschaftswunderland«.

Die blonde Mittdreißigerin, die am 19. Dezember 1989 in Dresden unter einem Transparent mit diesen Worten stand und begeistert dem extra eingeflogenen Bundeskanzler Helmut Kohl zujubelte, war sorgfältig frisiert, trug eine Wolljacke im DDR-typischen »Exquisit«-Chic und darunter eine weiche, braune Lederhose, die im Westen gerade aus der Mode gekommen war und nun per Paket gern den armen Brüdern und Schwestern geschickt wurde. Wohlgefällig strich sie einem zwölfjährigen Jungen über den Kopf, und nur als »Deutschland, Deutschland über alles« angestimmt wurde, klang ihre Melodie noch ein wenig nach »Auferstanden aus Ruinen«. Der ins Gesicht gemeißelten Erhabenheit des Augenblicks schien es keinen Abbruch zu tun. Die Dame meinte es ernst.

Nur wenig mehr als ein Jahr später hatten sich die Aufschriften auf den Transparenten gewandelt. »Treuhand – Kohls Mafia in Ostdeutschland«, »Soll die Arbeitslosigkeit in den Bürgerkrieg führen? Dann weiter so!« oder »Vielen Dank Treuhand für die aktive Sterbehilfe« stand jetzt darauf.

Was dazwischen lag, gehört zur Geschichte der mächtigsten und undurchsichtigsten Behörde, die es jemals in Deutschland gab. Sie begann ihr Werk noch zu DDR-Zeiten und wurde nach der Einheit zum Symbol der westlichen Dominanz über die beigetretene DDR. Mit rund 200 Kilometern Aktenbestand nach nur vier Jahren Tätigkeit ist die Hinterlassenschaft der Treuhand noch um einiges länger, als das Erbe der Stasi nach vierzig Jahren Überwachung des DDR-Volkes. Im Gegensatz zu deren Papieren sind die der Treuhand jedoch nicht öffentlich zugänglich. Sie verhandelte geheim, kontrollierte sich selbst unter Ausschluss der Öffentlichkeit, nutzte stets das Schwert »Datenschutz« zur Verteidigung und verströmte einen undurchdringlichen Nebel von Selbstbeweihräucherungen, statt verlässliche Bilanzen, Abrechnungen und Zahlen zu publizieren.

Im Stillen verlief das trotzdem alles nicht. Biedere Bürger legten sich mit der Polizei an und manche droschen schon mal mit einem Knüppel auf ein Treuhand-Schild ein. Zum Beispiel Klaus-Dieter Schäfer am 17. Mai 1993, Kali-Kumpel aus Bischofferode und damals 48 Jahre alt. Inzwischen sind die Wunden auf der Seele vernarbt, aber nicht geheilt. »Ein bisschen knurrt es einen immer noch«, sagt Schäfer fast 25 Jahre später. Ähnlich ist es auch von anderen im Land zu hören. Die schicksalhaften Gemeinsamkeiten beim wirtschaftlichen Umbau Ostdeutschlands haben sich längst wieder in individuelle Lebenswege aufgelöst. Für Klaus-Dieter Schäfer kam 1993 nach 26 Jahren im Kali-Werk das Aus. Es folgten noch zwei Jahre Abrissarbeiten, dann eine kurze Zeit in einer Auffangfirma, Arbeitslosigkeit und schließlich der Herzinfarkt. »Seitdem habe ich Rente gekriegt. Da kann man sagen: Arbeitslos macht krank«, sagt Schäfer.

Nicht für alle endete es so dramatisch, für viele aber ähnlich. Die neunziger Jahre prägte die Generation jener, die in der DDR aufgewachsen waren und dort ihr Leben eingerichtet hatten. Das wollten sie 1989 verändern. Wie tiefgreifend diese Veränderungen werden würden, ahnte damals jedoch kaum jemand. Die Reaktionen waren weitgefächert. Manche besetzten ihre Betriebe, um sie vielleicht doch noch zu retten, etliche resignierten und erstickten den Frust im Alkohol, einige rappelten sich trotz alledem auf.

Und immer wieder gab es wütende Ausbrüche. Am 14. August 1990 kippten Bauern ihre Produkte vor die Volkskammer. Als Staatssekretär Günther Krause (CDU) einen Tag später mehr als 60.000 aufgebrachte LPG-Abgesandte auf dem Ostberliner Alex beruhigen wollte, wurde er damit beworfen. Seine Sekretäre zählten achtzehn Einschläge von Eiern und zwölf von Tomaten auf dem schicken Anzug. Krause: »Das konnte man so an den Beulen im Gesicht ausmachen und an den Kleidungsstücken.« Der Staatssekretär war so sauer, dass er am liebsten zurückgetreten wäre.

Eine verlässliche Bilanz des damaligen Geschehens macht das alles aber auch noch nach 25 Jahren schwer. Die Zeitzeugen schweigen oder schimpfen, die Profiteure verweigern die Auskunft über ihren damaligen Geldsegen oder sind ganz von der Bildfläche verschwunden, und die ehrlichen Makler haben es satt, sich ständig rechtfertigen zu müssen. Der Augenschein auf Indus­triebrachen und Ruinen einstiger DDR-Betriebe verstellt den Blick für die Realität des tatsächlich Erreichten. Der oft überschäumende Jubel darüber lässt manchmal vergessen, dass Geschichte eher einen langen Atem braucht. In Büchern und Filmen werden die Schlachten von gestern noch einmal geschlagen. Wer dann letztlich gewonnen hat, hängt vom Blickwinkel auf das anvisierte Publikum ab. Die Darstellung der Treuhand ist der letzte Schützengraben im Kalten Krieg.

Vor diesem Hintergrund kann es nur eine Spurensuche im Labyrinth geben. Sie offenbart das ganze Spektrum von Hilfe, Versagen und Erfolg über die politische Dominanz und die Macht des Geldes bis hin zum kriminellen Ausnehmen der »Brüder und Schwestern«.

Die Geschichte der Treuhand ist die Folge des gescheiterten Gesellschaftsmodells des Sozialismus. Als das 1949 in der DDR begann, hatte Friedrich Dürrenmatt ein halbes Jahr zuvor am Stadttheater Basel seine Komödie Romulus der Große aufführen lassen. Dort sagt einer der Protagonisten: »Wir müssen zwischen einem katastrophalen Kapitalismus und einer kapitalen Katastrophe wählen.« Die Treuhand hat beides zugleich geschafft. Gut vierzig Jahre später erzählte Günter Grass seine Geschichte der deutschen Einheit. Er wollte sein Buch Die Treuhand nennen. Doch dann erinnerte er sich an Theodor Fontane und machte Ein weites Feld daraus. Für seine Bewertung der gerade verblichenen DDR als »kommode Diktatur« waren ihm manche böse. Vielleicht wäre das beim ursprünglich ins Auge gefassten Titel nicht der Fall gewesen, denn auch die Treuhand diktierte vielen, wie sie den Rest ihres Lebens zu verbringen hätten. Sie polarisierte die Meinungen und beansprucht bis heute gemeinsam mit der damaligen Bundesregierung die Deutungshoheit über die verschlungenen Wege in die wirtschaftliche Einheit. Vielleicht liegt hier ein Kern für den Zorn auf Günter Grass. Dennoch passte sein Titel letztlich viel besser zu den vielen verschiedenen persönlichen Erfahrungen von Betroffenen und Beobachtern. Sie eint die Erfahrung, dass alles Einweites Feld war.

Heute, ein Vierteljahrhundert nach dem Beginn des Weges in die Marktwirtschaft, bestimmt die Erinnerung den Blick darauf. Sie vergoldet und dramatisiert, manchmal täuscht sie, manche Perspektiven verschieben sich.

Danach soll hier gefragt werden. Welche Zwänge der Politik wirkten, als alles begann? Was ist aus den Schlagzeilen von damals geworden, die viele bewegten, dann aber schnell vergessen waren? Was steckte hinter manchen Entwicklungen, die erst Leute auf die Straße brachten und bald darauf stillschweigend im Sande verliefen? Wo blieben die Steuermillionen, wem gehört heute eigentlich was?

Solange es Menschen gibt, die das erlebt haben, wird es auch verschiedene Meinungen darüber geben. Sie sollen hier dargestellt werden – um die »einzig wahre Geschichte der Treuhand« geht es dabei nicht.

1. Der schöne Traum vom großen Geld

Ein paar Tage nach dem Mauerfall rollte ein großer Daimler durch die Potsdamer Seestraße. Aufmerksam musterte der Mann am Steuer die Villen am Heiligen See. In einer residierte die französische Militärmission, in einer anderen die britische. Der Rest der Häuser ließ alte Pracht nur noch erahnen. In einem Garten goss eine Frau ihre Radieschen. Der Mann hielt und stieg aus. Nach einem kurzen Gespräch über den Zaun bat sie ihn zum Kaffee auf die Terrasse. Noch herrschte die Euphorie über den Mauerfall. Vom Haus aus konnte man die weiße Wand sehen, die den Neuen Garten verschandelte. Der Wachturm an der Uferbiegung war noch besetzt. »Schön haben Sie’s hier«, sagte der Mann und die Frau bestätigte es: »Wenn die Mauer erst verschwunden ist, können wir vielleicht sogar die Pfaueninsel sehen.« Der Mann beugte sich vor: »Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, wohin Sie dann ziehen?« Die Frau lachte: »Ich zieh hier doch nicht weg – ist doch alles Volkseigentum!«

Schon wenige Wochen später machten sich die ersten so ihre Gedanken, ob und wie dieses »Volkseigentum« tatsächlich Eigentum des Volkes werden könnte. Für die Menschen war es bis dahin immer nur ein sehr abstrakter Begriff. Darüber verfügen, wie über »richtiges« Eigentum, konnten sie nicht. Tat es doch jemand, führte es die einen hinter Gitter, die anderen auf den nächsthöheren Sessel im Staats- oder Parteiapparat. Unter anderem der Wunsch nach Abschaffung dieser Ungerechtigkeit hatte die Leute auf die Straße getrieben. Ihre ersten Vorwürfe gegen ihre Regierenden richteten sich nicht gegen die Todesschüsse an der Grenze oder die Gummiparagraphen im Recht, sondern betrafen deren »Amtsmissbrauch und Korruption«. Eine Neuregelung des Eigentums würde mehr Gerechtigkeit schaffen – das war die unterschwellige Hoffnung. In ähnliche Richtung, nur unter umgekehrten Vorzeichen, hatte 150 Jahre zuvor ja auch schon Karl Marx gedacht, und wer sich heute »links« fühlt, pflegt immer noch die fragwürdige Annahme, dass Gleichheit automatisch die ersehnte Gerechtigkeit schaffe.

Doch bevor darüber vielleicht geredet würde, musste erst einmal festgestellt werden, was und wie viel überhaupt da war. Niemand kannte die Zahlen und auf die Statistik der DDR war wenig Verlass. Inzwischen hatte Hans Modrow von der zur SED-PDS umbenannten und bereits entmachteten einstigen Staatspartei das Amt des Ministerpräsidenten übernommen. Von ihm und seinen Leuten wurde erwartet, den »Wert des Volkseigentums« zu beziffern. Das war schwierig, denn in der DDR fehlte der Markt mit seinen Preissignalen. Wer seinen Produktionsplan erfüllte, schuf für die Abrechnung »Wert«, ganz egal, ob Ladenhüter oder Verkaufsschlager herausgekommen waren. Diese Art des Rechnens würde sich in jedem Fall ändern, in welche Richtung schien noch offen. Dennoch versuchten die Ökonomen schon mal, den »Substanzwert« festzustellen. Das blieb eine Rechnung mit vielen Unbekannten. Trotzdem verkündete Hans Modrow am 13. Februar 1990, das »Nettoanlagevermögen« der DDR würde rund 1,4 Billionen Mark betragen. Das war wohl zu optimistisch.

Deshalb ließ seine Wirtschaftsministerin, Christa Luft, ebenfalls SED-PDS, nachrechnen. Eigentlich hatte die Professorin für Außenhandel und internationale Wirtschaftsbeziehungen und Rektorin an der Berliner Hochschule für Ökonomie keine großen Ambitionen auf politische Ämter. Aber ihre Partei rief sie, und die Praxis lockte wohl auch. Das Ergebnis ihrer Rechnung zum Vermögen des in schwerem Sturm schwankenden Staates ließ die Propagandablase von der DDR als eine der weltgrößten Industrienationen platzen. Das Land war längst zum Billiglohn-Zulieferer für den Westen geworden. Durch die hoffnungslos veraltete Technik wurden viele Produkte im Osten fünf- bis zehnmal teurer als dort hergestellt.

Zu ignorieren, dass die DDR immer ärmer wurde, je mehr sie produzierte und verkaufte, gehörte zu den Lebenslügen der SED-Führung. Noch nach seinem Sturz schwärmte Erich Honecker vom »Zuwachs beim Nationaleinkommen« und in der industriellen Warenproduktion und rechnete sich das als Verdienst an: »Dieser Zuwachs wurde in der Hauptsache erreicht durch Investitionen. Rund 50 Prozent der Grundfonds der DDR waren nicht älter als fünf Jahre …« Offenbar wagte es zuvor lange niemand, ihm zu sagen, wie es tatsächlich hinter den extra gemalerten Fassaden aussah, wenn er mal »die Republik« besuchte.

Christa Luft wusste das aus ihren Forschungen besser: »1989 betrug das Durchschnittsalter aller Indus­trieausrüstungen in der DDR etwa 18 Jahre. Die vergleichbare Größe für das produzierende Gewerbe der Bundesrepublik lautete acht Jahre. Nur gut 20 Prozent der Ausrüstungen waren in der DDR jünger als fünf Jahre, 45 Prozent jünger als zehn und etwa 25 Prozent waren länger als 20 Jahre in Betrieb, einige stammten noch aus der Zeit vor dem Kriege.«

Aus jener Zeit kamen auch die für die Volkswirtschaft wesentlichen Teile der Infrastruktur – insbesondere Verkehrs- und Kommunikationswege –, die zudem vierzig Jahre lang physischem und moralischem Verschleiß unterlagen. Neu entstanden war hingegen eine erhebliche Umweltbelastung. Bis heute nahezu unbekannt ist, dass Ende 1989 in der 598 Betriebe wegen Verletzung der Umweltstandards nur mit vom Gesundheitsministerium erteilten Ausnahmegenehmigungen arbeiteten. In den Vertrag über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion wurde auf Initiative der West- die Verpflichtung aufgenommen, in der -Wirtschaft die westdeutschen Umweltstandards einzuführen. Der gelang es, sie auf fünf Jahre zu strecken, andernfalls hätten diese Betriebe bereits zum 1. Juli 1990 geschlossen werden müssen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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