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In dem Roman DIE VERLASSENE GRÄFIN gefangen in Liebe lernt Elisabeth eine junge Frau kennen, die ihre Lebensumstände mit zwei berühmten historischen Frauen vergleicht. Während Elisabeth erfährt, welch dramatische Umstände die Frauen vergangener Jahrhunderte gefangen hielten, erlebt sie die spannende Geschichte der Victoria, die sich in den Anfängen dieses Jahrhunderts ebenfalls aus den einengenden Umständen befreien möchte.
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Seitenzahl: 220
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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Gudrun Leyendecker ist seit 1995 Buchautorin. Sie wurde 1948 in Bonn geboren.
Siehe Wikipedia.
Sie veröffentlichte bisher circa 85 Bücher, unter anderem Sachbücher, Kriminalromane, Liebesromane, und Satire. Leyendecker schreibt auch als Ghostwriterin für namhafte Regisseure. Sie ist Mitglied in schriftstellerischen Verbänden und in einem italienischen Kulturverein. Erfahrungen für ihre Tätigkeit sammelte sie auch in ihrer Jahrzehntelangen Tätigkeit als Lebensberaterin.
Inhaltsangabe:
In dem Roman
DIE VERLASSENE GRÄFIN
…gefangen in Liebe
lernt Elisabeth eine junge Frau kennen, die
ihre Lebensumstände mit zwei berühmten
historischen Frauen vergleicht.
Während Elisabeth erfährt, welch dramatische Umstände die Frauen vergangener Jahrhunderte gefangen hielten, erlebt sie die spannende Geschichte der Victoria, die sich in den Anfängen dieses Jahrhunderts ebenfalls aus den einengenden Umständen befreien möchte.
Der Anblick des Gutshofs enttäuscht mich etwas, das Anwesen einer echten Gräfin habe ich mir prunkvoller vorgestellt. Zwar glänzt das Haupthaus frisch gestrichen in hauchzartem Gelb, aber die Holzteile der Nebengebäude könnten alle ein wenig Farbe und Lasur gebrauchen.
Einen Augenblick lang bleibe ich zögernd vor dem Portal stehen, bevor ich mich durch ein Läuten der großen Glocke bemerkbar mache.
Wie mag sie wohl aussehen, die Frau, der ein solches, hinter Mauern und Hecken verstecktes, altes Wasserschloss gehört?
Victoria von Blauenstein öffnet mir nicht selbst die Tür, stattdessen begrüßt mich ein junger, großer Mann in legerer Kleidung. „Sie werden schon erwartet“, teilt er mir mit und führt mich ins Innere des Gebäudes.
Hier begegnet mir alles schon etwas feudaler, antike Möbel geben der Empfangshalle eine gehobene, edle Ausstrahlung. Die modernen Gemälde, die drei der vier hohen Wände schmücken, vertragen sich erstaunlich gut mit dem alten, hölzernen Mobiliar.
„Ich bin Nicolas“, stellt sich der junge Mann vor. „Nebenberuflich bin ich Student, ein bisschen Theologie, ein bisschen Philosophie, aber in der Hauptsache fungiere ich hier als Hausmeister. Nehmen Sie bitte Platz! Die Gräfin wird gleich hier sein.“
„Da haben sie sich zu einer praktischen Mischung entschlossen“, finde ich. „Damit kann man sich zurechtfinden. Sind Sie mit der Hausherrin verwandt?“ wage ich die indiskrete Frage.
Er schüttelt leicht den Kopf. „Ich wohne hier im Seitenteil des Gebäudes und bin offiziell angestellt, um hier auf alles ein Auge zu haben. Da gibt es aber auch noch Melinda, die der Gräfin zur Hand geht und Franziska, die sorgende Seele des Hauses. Sie wohnt schon immer hier, als Kind erlebte sie es noch, dass man hier viele Pferde hielt.“
„Ein idyllischer Ort“, finde ich. „Warum gibt es hier keine Pferde mehr?“
„Als der Besitzer gestorben ist, sind die Angestellten fortgegangen sind, da gab es niemanden mehr, der sich darum kümmern konnte. Der alte Baron hatte keine Kinder und keine Erben, und so hat dann jemand für die Gräfin von Blauenstein diesen Besitz vor einem halben Jahr als Aufenthaltsort bestimmt.“
Ich staune. „Ach so, und ich dachte, dies sei ein Besitz der Familie von Blauenstein.“
„Nein, dieses Adelsgeschlecht stammt aus der Schweiz und aus dem Elsass. Aber ich dachte, das wüssten Sie.“ Er sieht mich verwundert an.
Irritiert begegne ich seinem fragenden Blick. „Ich kenne die Bewohner dieses Hauses nicht, und auch die Gräfin habe ich bisher noch nicht vis-a-vis kennengelernt. Eine Angestellte dieses Hauses hatte beim Ausparken aus einer engen Parklücke mein Auto beschädigt und eine Telefonnummer hinterlassen. Bei meinem Rückruf meldete sich dann die Gräfin selbst und versprach mir für den Schaden, den ihre Angestellte verursacht hatte, in vollem Umfang aufzukommen. Das alles wurde auch schon längst von der Versicherung geregelt. Aber Frau von Blauenstein hatte den Wunsch, mich kennenzulernen und wollte mir unbedingt noch eine kleine Entschädigung zukommen lassen. Ich konnte sie nicht davon abhalten, sie wurde fast böse, als ich ihr Angebot ablehnen wollte. Dann haben wir einen Termin vereinbart, und deswegen bin ich heute hier.“
Er hebt die Augenbrauen. „Dann habe ich jetzt eine Dummheit gemacht. Ich habe Sie mit jemandem verwechselt. Die Gräfin erwartet nämlich noch unter anderem eine junge Frau, die sie von früher her kennt. Sie haben sich einmal im Urlaub kennen gelernt und sind direkt Freundinnen geworden. Die junge Frau möchte den Garten wieder auf Vordermann bringen. Teile des Parks sollen nämlich wieder in ihren ursprünglichen Zustand verwandelt werden.“
„Das hört sich gut an“, finde ich. „Aber machen Sie sich keine Sorgen! Ich werde nichts, von dem was sie mir erzählt haben, an andere weitergeben. Ich bin schon sehr gespannt auf die Gräfin. Sicher ist sie eine liebenswürdige Frau. Das nehme ich jedenfalls an, weil sie sich so großzügig gezeigt hat.“
„Wir mögen sie sehr, alle, die wir hier wohnen, und am liebsten diskutiere ich mit ihr über meine Spezialthemen.“
„Die Theologie, nehme ich an. Darüber unterhalte ich mich auch gern“, gestehe ich ihm.
„Vielleicht haben wir später noch einmal Gelegenheit dazu“, meint er. „Jetzt werde ich der Gräfin erst einmal Bescheid geben, dass Sie hier angekommen sind.“
Er nickt mir noch einmal freundlich zu, steht auf und entschwindet in dem langen Gang, der sich der Halle anschließt.
Mit Interesse betrachte ich die farbenfrohen Bilder an den Wänden. Was für eine Lebensfreude steckt doch in diesen Kreationen! Ich muss unbedingt erfahren, wer diese Gemälde angefertigt hat. Sicher handelt es sich da um einen Menschen, der die Welt aus einer heiteren Sicht betrachtet.
Während sich mein Blick in einer schwarzroten Komposition, gemalt in leuchtender Ölfarbe, gefangen hat, höre ich, dass sich Schritte nähern.
Eine junge Frau, ich schätze sie auf Anfang dreißig, erscheint in der beleuchteten Eingangshalle. Sie trägt einen eleganten, schwarzen Hausanzug und ihr dunkles, seidiges Haar fließt sanft über ihre Schultern.
Ihre braunen Augen sehen mich munter an. „Hallo Elisabeth! Ich habe Sie schon erwartet. Wie ich feststelle, haben Sie schon die Bilder dieses Künstlers angeschaut und ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, gefallen sie Ihnen auch.“
„Sie geben sehr viele Emotionen wieder“, teile ich ihr meine Meinung mit. „Kennen Sie ihn persönlich?“
„Ja, er reist allerdings im Moment in der Welt umher, und wenn er in dieser Gegend ist, wird er mich bestimmt besuchen. Dann lade ich ihn ein, und Sie können ihn auch kennenlernen. Im Augenblick ist er in Paris, und ich erwarte Post von ihm. Nicolas muss morgen unbedingt wieder das Postfach leeren.“
„Sie haben ein Postfach? Das kann ich mir gut vorstellen. Hierhin findet bestimmt kein Briefträger. Das Wasserschloss liegt so verborgen in der bewaldeten Gegend, da braucht man schon eine Wanderkarte.“
Sie hüstelt verlegen. „Ach so, ja, natürlich. Hierhin findet kaum jemand. Und jetzt kann ich Ihnen auch sagen, was ich mir als kleines Geschenk für Sie ausgedacht habe. Nachdem Sie mir am Telefon berichteten, dass Sie gerade Urlaub haben, aber durch die Unannehmlichkeiten der Schädigung ihres Wagens etwas knapp bei Kasse sind, wollte ich Sie einladen, ein paar Tage hier bei mir in dem Gutshof zu wohnen. Er sieht von außen zwar etwas vernachlässigt aus, aber hier drinnen werden Sie alles finden, was man für einen Wellnessurlaub benötigt.“
Ich bin überrascht. „Damit habe ich jetzt nicht gerechnet. Ich finde die Gegend wunderschön, auch der Park hat mir sehr gefallen. Und ich würde Sie wirklich nicht stören?“
Sie lächelt. „Im Gegenteil. Ich fand ihre Stimme am Telefon schon sehr sympathisch und möchte Sie doch für die Unannehmlichkeiten entschädigen. Wir haben hier ein Schwimmbad, einen Wellnessraum, einen Fitnessraum, eine Bücherei, ein Musikzimmer und eine riesengroße Küche, in der man sich austoben kann.“
„Das ist ein verlockendes Angebot“, finde ich. „Dann ist es hier schöner als im Hotel. Vielleicht könnte ich mich auch in irgendeiner Weise nützlich machen und Ihnen bei der Arbeit in dem großen Gebäude helfen.“
„Aber nein! Es gibt hier genügend Hände zum Anpacken. Melinda hat nebenbei auch Masseurin gelernt, ursprünglich war sie Physiotherapeutin, eine Behandlung könnte den Wellnessurlaub für Sie komplettieren.“
Ich spüre, dass sich meine Augenbrauen heben. „Das hört sich traumhaft an. Aber ich habe gar kein Gepäck mit. Nicht einmal eine Zahnbürste.“
„Vielleicht sind Sie jetzt etwas verwundert, aber wir haben hier sogar einen kleinen Laden im Nebengebäude, in dem einige Vorräte lagern, alles nagelneu. Dabei sind sogar Zahnbürsten und Unterwäsche.“
Ich sehe sie ungläubig an. „Entschuldigen Sie bitte, aber das habe ich noch nie gehört: Ein Gutshof, in dem nur wenige Personen wohnen, aber es gibt hier ein kleines Geschäft, wie ein Mini-Kaufhaus sortiert?“
Sie seufzt. „Ich habe zu Ihnen vertrauen, obwohl ich Sie noch gar nicht kenne. Warum, weiß ich auch nicht.“
„Es gibt ein Geheimnis? Sie müssen mir jetzt nichts erzählen, wenn es Ihnen unangenehm ist. Aber wenn Sie mir etwas sagen, können Sie ganz sicher sein, dass es bei mir gut aufgehoben ist, und niemand etwas erfährt.“
Mit ernstem Blick sieht sie mir in die Augen. „Ja, das spürte ich sofort. Ich bin für eine Weile gezwungen, mich hier auf diesem Gutshof und in dem umliegenden Park aufzuhalten. Daher bin ich auch auf eine eigene Versorgung angewiesen. Ich kann also nicht mal schnell in eine Stadt fahren, um mir ein T-Shirt oder eine Strumpfhose zu kaufen. Das alles habe ich hier in dem kleinen Laden vorrätig.“
Meine Neugier ist geweckt. „Sie sind nicht freiwillig hier? Kann ich Ihnen da irgendwie helfen?“
Sie stöhnt leicht. „Bevor ich Ihnen jetzt alle Geheimnisse anvertraue, möchte ich Ihnen aber das Du anbieten. Dann bist du meine Vertraute, und mir fällt es leichter, alles zu erzählen.“
„Natürlich, gern. Dass ich Elisabeth heiße, weißt du ja schon, und durch den schriftlichen Verkehr wegen der Versicherungsangelegenheit weiß ich, dass du Victoria heißt.“
„Ja, Victoria von Blauenstein ist mein Name von Geburt an. Zuletzt habe ich aber unter einem anderen Namen leben müssen, weil ich mich, ohne es zu wissen, in eine geheime Sache verwickelt habe.“
Ich sehe sie fragend an. „Das hört sich wirklich sehr mysteriös an. Ist es eine kriminelle Geschichte.“
„Ich habe nichts Unrechtes getan. Mein einziger Fehler war es, mich in einen Agenten zu verlieben, bevor ich wusste, welchen Beruf er ausübte. Doch kaum hatten sich meine Gefühle an ihn gebunden, verschaffte er mir einen anderen Namen und die dazugehörigen Papiere.“
„Oh weh! Das klingt für mich ganz unglaublich, wie aus einem Roman. So ein Agent lebt doch gefährlich, und du hast dich doch dann auch mit in Gefahr begeben.“
„Ja, aber wenn man so richtig verliebt ist, dann ist leider der Verstand ausgeschaltet, und ich habe die Gefahr nicht ernst genommen.“
„Aber was ist dann passiert?“ frage ich ungeduldig. „Warum lebst du dann hier jetzt wieder unter deinem eigenen Namen? Warum musst du dich jetzt verstecken?“
„Bryan ist ein sehr vorsichtiger Mensch, vermutlich ist ihm bisher auch deswegen noch nichts passiert. Wir haben zwei Jahre miteinander gelebt, meist in den Hauptstädten Europas. Zuletzt waren wir ein paar Monate in Dresden. Dort habe ich mich dann mit der Geschichte dieser wundervollen Stadt vertraut gemacht. Besonders interessiert hat mich dieser berühmte Kurfürst August der Starke, der dieser Stadt so viel schöne Kultur hinterlassen hat, aber eine sehr schillernde Persönlichkeit besaß. Neben seinen vielen Liebschaften erzählt man sich auch, dass er etwa 350 uneheliche Kinder zeugte. Selbstverständlich ranken sich um das Leben dieses Menschen auch einige Mythen, aber es ist tatsächlich geschichtlich belegt, die er seine Frau Christiane Eberhardine ebenso verließ wie seine sehr bekannte Mätresse Anna Constantia von Cosel, die fast 49 Jahre in Verbannung leben musste.“
Ich sehe sie verwundert an. „Aber was haben diese beiden historischen Frauen mit dir und deinem Leben zu tun?“
„Ich sehe sie als Schwestern mit einem ähnlichen Schicksal und versuche ihr Leben und gleichzeitig meines besser zu verstehen. Denn während ich mich im herrlichen Elbflorenz mit der Geschichte dieser beiden Frauen beschäftigte, distanzierte sich Bryan von Tag zu Tag mehr von mir. Als ich ihn dann eines Tages darauf ansprach, redete er von Trennung.“
„Das hat dich bestimmt sehr verletzt“, vermute ich.
„Ich bin aus dem siebten Himmel unendlich tief hinuntergestürzt. Bryan hat eine ganz plausible Erklärung für seinen Entschluss gefunden. Er berichtete von einem neuen, sehr gefährlichen Auftrag in Amerika. Dafür habe man ihm schon einen neuen Namen und nagelneue Papiere besorgt. Diese Aufgabe verlange auch seine ganze Aufmerksamkeit, so müsse er sich schon mental auf diese Arbeit vorbereiten.“
„Nun ja, das klingt doch erst einmal ziemlich verständlich. Dann war er sicher sehr beschäftigt.“
„Ja, das dachte ich auch zuerst, aber dann erklärte er mir, dass er sich wegen dieses neuen Falles auch ganz von mir trennen wolle. Zum einen sei es viel zu gefährlich für mich, weiter in seiner Nähe zu sein. Zum anderen könne er nicht mehr Gefühle zu mir aufbringen, da er nur noch für seine Aufgaben lebe, die ihn voll und ganz ausfüllen würden. Seine mangelnden Gefühle schob er also auf die Wichtigkeit seiner neuen Arbeit, und die räumliche Trennung schob er auf die möglichen Gefahren, die mir sonst drohten.“
„Aber du glaubst nicht, dass es die wahren Gründe sind? Du denkst, er hat das alles nur vorgeschoben?“
„Genau! Dieses Gefühl habe ich, weil ich in all seinen Worten kein Bedauern spürte. Er gab mir seine Erklärungen in nüchternen Worten und ohne Emotionen.“
„Da wäre ich auch misstrauisch geworden. Was ist dann weiter passiert?“
„Bryan hat mir Anweisungen gegeben. Alles, was mich an das Leben mit ihm erinnerte, wurde vernichtet, natürlich auch sämtliche Papiere. Eine Kontaktperson hat dann dieses Wasserschloss gekauft und mir zur Verfügung gestellt. Und hier soll ich nun unter meinem richtigen Namen wohnen und versteckt warten, bis ich neue Informationen erhalte. Ich darf nicht einmal in die nächste Stadt fahren, um zum Friseur zu gehen, angeblich aus Sicherheitsgründen.“
„Die klingt wirklich sehr merkwürdig, aber vermutlich hält man dich hier so lange fest, bis Bryan den gefährlichen Auftrag erledigt hat. Hast du denn momentan mit ihm Kontakt?“
„Nein, gar nicht. Im Gegenteil, er hat mir noch einmal versichert, dass wir uns niemals wiedersehen werden. Die Epoche mit uns sei einfach vorbei, und das aus den gegebenen Umständen.“
„Liebst du ihn denn noch?“
„Wenn ich das so genau wüsste! Sein Beenden unserer Liebesgeschichte hat mich sehr getroffen. Ich war schwankenden Gefühlen ausgesetzt. Manchmal habe ich ihm geglaubt und gehofft, dass er sich tatsächlich nur aus beruflichen Gründen von mir getrennt hat. Aber dann gab es auch Zeiten, in denen ich vermutet habe, dass er unsere Beziehung einfach als ausgelaufen betrachtet. Natürlich hat mir meine Fantasie dann auch einige Szenarien aufgebaut. Ich sah ihn als Herzensbrecher, der den Beruf als Agent nur vortäuscht und die Geliebten wechselt, wann es ihm gerade passt. Dann habe ich alles angezweifelt, was er mir erzählt hat.“
„Das wäre ungeheuerlich“, finde ich, „aber natürlich nicht unmöglich. Du warst doch einige Zeit mit ihm zusammen. Konntest du ihn dabei nicht näher kennenlernen? Hast du da nicht das eine oder andere Indiz für eine bestimmte Richtung bekommen?“
„Wir waren nicht täglich zusammen, sondern haben uns nur an ganz bestimmten Tagen getroffen oder auch schon einmal an den Wochenenden. Darüber habe ich auch hinterher nachgedacht. Für einen Agenten gibt es doch sicher keinen bestimmten Arbeitsrhythmus. Aber das muss noch nichts heißen. Er war immer sehr nett und sehr freundlich zu mir, niemals grob und meist wie ein Kavalier, ein Gentleman, der Manieren hat. Ich habe aus seinem Mund kein schlechtes Wort gehört.“
Ich überlege. „Das spricht für einen Agenten. Sie müssen auch vorher alles überlegen, nachdenken, bevor sie sprechen und nachdenken, bevor sie etwas tun. Er hat sich keinen Ausrutscher erlaubt. Das spricht für einen disziplinierten Menschen.“
Victoria nickt. „Du hast mich gefragt, ob ich ihn noch liebe. Natürlich habe ich noch einige Gefühle für ihn. Das ist auch ganz natürlich, aber es sind auch viele verletzte Gefühle. Wenn man verlassen wird, fühlt man sich oft etwas gedemütigt. Ab und zu kommt ein bisschen Wut dazu wegen der Hilflosigkeit. Enttäuschung ist auch dabei, und dann frage ich mich wieder, ob überhaupt noch etwas von den schönen Gefühlen übriggeblieben ist. Ich kann auch tatsächlich zu keinem Ergebnis kommen, weil ich nicht nachprüfen kann, ob er die Wahrheit gesagt hat oder lügt.“
Ich seufze leicht. „Ja diese gemischten Gefühle kennen wohl viele Menschen. Aber wie geht es jetzt weiter für dich? Wie lange sollst du jetzt hierbleiben in diesem smarten Gefängnis?“
„Das steht noch in den Sternen. Ein Kontaktmann, der sich Harry nennt, will mir Bescheid geben, wenn ich mich wieder ganz frei bewegen kann. Insofern habe ich es besser als meine beiden Leidensgenossinnen Christiane Eberhardine und Anna Constantia. Sie waren lebenslang abgeschoben.“
„Ah ja, die beiden wichtigen Frauen im Leben Augusts, des Starken, da weiß ich Bescheid. Über welchen Zeitraum spricht man denn bei dir?“ frage ich nach.
„Wenn ich auf mein Konto schaue, das Harry gut gefüllt hat, könnten es Jahre sein. An Geld mangelt es wahrhaftig nicht, nur, dass ich es nicht so ausgeben kann, wie ich es will. Aber jetzt möchte ich dir erst einmal einen Imbiss bieten, damit du dich erfrischen kannst. Was musst du nur von mir halten? Ich benehme mich nicht wie eine Gastgeberin, sondern lasse dich hier so sitzen und rede ohne Pause von meinem seltsamen Leben.“
„Was ich denke? Kein Wunder, dass du mir dein Herz ausgeschüttet hast. Schließlich hast du hier nicht allzu viel Abwechslung und vermutlich auch nicht sehr viele Kommunikationspartner. Möglicherweise hast du auch schon am Telefon gemerkt, dass ich eine Person bin, die gut zuhören kann. Wahrscheinlich hat uns das Schicksal hier zusammengeführt.“
„Damit wirst du bei Nicolas gut ankommen. Wie du weißt, studiert er Theologie. Aber was er dir vermutlich noch verschwiegen hat, ist, dass er sich auch mit der Astrologie befasst.“
Ich sehe sie ungläubig an. „Das ist jetzt ein Witz, oder? Was haben denn diese beiden Richtungen miteinander zu tun?“
Victoria lächelt und zeigt ihre schönen weißen Zähne. „Das habe ich auch zuerst nicht gewusst, aber Nicolas ist gut informiert. Er hat mir schon viele Schriften aus dem frühen Mittelalter gezeigt, als sich die Geistlichen wie manche Ärzte und andere Wissenschaftler manchmal auch, mit Astrologie beschäftigt haben. Dann kam die Zeit, als Vieles verboten wurde, was vorher für natürlich galt. Frauen, die sich mit Kräutern gut auskannten, wurden als Hexen verbrannt und Männer, die sich mit Astrologie beschäftigten als Ketzer beschrieben. Einige Kirchenoberhäupter dieser Zeit haben leider, wie es so oft in solchen Positionen vorkommt, ihre Macht missbraucht. Da ist es manchem nicht nur um die Religion gegangen, leider.“
„Ja, da gibt es viele Beispiele, auch in der Politik, leider. Welches Argument hat nun Nicolas, dass er beides miteinander gelten lässt, Gott und die Astrologie?“
Sie lächelt wieder. „Ganz einfach: Gott hat den Sternenhimmel erschaffen und daraus einen wunderbaren Kosmos mit berechenbaren Bahnen geschaffen. Da hat alles seine Ordnung, und die Erde hat so ihren Rhythmus mit Tag und Nacht, mit den Jahreszeiten und den Gezeiten gefunden. Nicolas sagt: Kein Mensch hätte das so genial erfinden können.“
„Das klingt einfach, aber ob es so einfach ist? Vermutlich muss ich doch einmal mit deinem interessanten Mitbewohner ein Gespräch führen, um Weiteres zu erfahren.“
„Das kannst du gern. Er freut sich immer, wenn er Menschen trifft, mit denen er sich gedanklich austauschen kann. Schließlich ist er auch die meiste Zeit hier im Schloss und hat nur sparsame Konversationsmöglichkeit.“
„Das verspricht ein interessanter Urlaub zu werden“, teilte ich ihr meine Vermutung mit. „Ich hoffe, ich kann dir auch in irgendeiner Weise behilflich sein.“
Sie lacht. „Das warst du schon. Siehst du nicht, wie mir die Gedanken in der Seele brannten?! Ich musste nur meinen Mund auftun, und alles sprudelte aus mir heraus. Aber jetzt komm mit mir, jetzt darfst du dir zur Belohnung ein Festmenü wünschen. Wir können uns gern gemeinsam darangeben. Ich hoffe, du hast ein bisschen Spaß beim Kochen?“
„Ja, ich experimentiere gern. Vermutlich ist Küche und Keller bei dir auch gut sortiert.“
Sie nickt. „Oh ja! Küche und Keller sind gut eingedeckt, und selbst in dem kleinen Laden gibt es noch einige Vorräte, die von Nicolas und Franziska stets gewissenhaft nachgefüllt werden. Komm! Du musst mir einfach nur folgen!“
In der Küche treffen wir Nicolas und Melinda, die sich gerade, eine Tasse Kaffee trinkend, angeregt unterhalten.
Die junge Frau mit den blonden, hochgesteckten Haaren springt auf und eilt auf mich zu.
„Das ist schön, dass Sie uns besuchen. Ich hoffe, Sie haben das Angebot von Victoria angenommen und wollen hier ein paar Tage Urlaub verbringen. Das ist nämlich ganz in meinem Sinn.“ Sie reicht mir die Hand.
Ich sehe sie erstaunt an. „Ich hoffe, ich erinnere Sie nicht an diesen dummen Kratzer am Auto. Dann würde Sie mein Aufenthalt hier nur stören.“
Sie lächelt. „Genau deswegen bin ich froh, dass Sie hierbleiben. Ich hatte die ganze Zeit noch ein schlechtes Gewissen, weil ich Ihr schönes Auto so hässlich demoliert habe. Auch wenn es kein riesiger Schaden war, finde ich es doch immer ärgerlich, wenn ein relativ neues Auto einen derartigen Makel bekommt. Wenn Sie aber hierbleiben, kann ich Sie ein bisschen verwöhnen, und den Schaden auch auf meine Art und Weise wiedergutmachen. Ich weiß gute Rezepte beim Backen und beim Kochen, außerdem kann ich Sie mit einer erholsamen Massage beschenken.“
Ich sehe die junge Frau mit großen Augen an. „Das sind natürlich alles schöne Aussichten für mich, und ich freue mich auch darüber, aber Sie müssen kein schlechtes Gewissen haben. So einen kleinen Blechschaden kann jeder einmal verursachen. Ich habe das Auto durch einen Verwandten günstig bekommen, und so neu ist es auch nicht mehr. Und jetzt sieht es tatsächlich wieder wie neu aus. Es ist alles in bester Ordnung.“
Victoria mischt sich ein. „Melinda ist ein ganz besonders sensibler Mensch, deshalb kann sie auch so gut massieren. Aber manchmal wird sie von ihrem Gewissen zu arg geplagt. Sie kann sich nicht einmal die kleinsten Fehler verzeihen. Das liegt daran, dass der frühere Verwalter dieses Guts immer sehr streng zu ihr war und dauernd mit ihr geschimpft und herumgemeckert hat. Jetzt ist diese Ära vorbei, denn ich habe schon nach wenigen Tagen gesehen, wie gewissenhaft sie ihre Arbeiten erledigt. Sie ist immer erstaunt, wenn ich sie lobe. Aber ich sage dir, liebe Elisabeth, sie hat es wirklich verdient.“
Nicolas stimmt ihr zu. „Das ist richtig, alle Bewohner dieses Anwesens werden von Melinda verwöhnt. So kommt es einem hier eher wie ein Urlaubshotel vor und nicht wie ein Ort der Verbannung.“
Ich überlege. „So würde ich es auch nicht nennen. Dieser historische Ort im Verborgenen soll ja Victoria zum Schutz dienen.“
Die Gräfin hebt die Augenbrauen. „Darüber diskutieren wir schon die ganze Zeit. Ist es ein Gefängnis oder ein Ort des Schutzes. Es kommt eben auf die Sichtweise an. Und schon sind wir wieder bei meinen Leidensgenossinnen, der Frau des Kurfürsten August des Starken, der ruhigen Christiane und der lebenslustigen, kontaktfreudigen Anna, seiner Mätresse. Was waren sie doch für unterschiedliche Personen! Und so haben sie sich an den späteren Rückzugsorten recht unterschiedlich verhalten.“
„Sie waren total verschiedene Typen“, behauptet Nicolas. „Unterschiedlicher kann man nicht sein. Sie hatten auch völlig unterschiedliche Horoskope.“
Melinda stöhnt gespielt. „Oh nein! Nicht schon wieder das! Damit kann man wahrhaftig nicht alles erklären, falls man überhaupt daran glaubt.“
Nicolas lächelt. „Ich habe mir tatsächlich zuerst die Horoskope der beiden Frauen angesehen, bevor ich ihre Biografie las, und die Erkenntnisse stimmen tatsächlich überein.“
Victoria schüttelt leicht den Kopf. „Sie stammten aus unterschiedlichen Elternhäusern, wurden anders erzogen und auch ihre Lebenswege gingen völlig auseinander. Die einzige Gemeinsamkeit der beiden war der schillernde August, der beide verließ.“
Nicolas lächelt erneut, dieses Mal etwas geheimnisvoll. „Christiane, die Frau des Kurfürsten war Steinbock von Sternzeichen, die sind in der Regel bekannt als zuverlässige, ruhige Menschen, die sich auch disziplinieren können, wenn sie wollen. Manchmal sind sie stur und halten viele Jahre lang an ihrer Meinung fest, auch wenn sie nicht richtig ist.“
Victoria sieht ihn missmutig an. „Meinst du etwa damit, dass sie bei ihrem evangelischen Glauben geblieben ist und auch unbedingt wollte, dass ihr Sohn weiter dem evangelischen Glauben treu bleiben sollte? Falls du das meinst, dann stehe ich auf Christianes Seite. Es ist gut, wenn man mit Überzeugung seinem Glauben treu bleibt. Schließlich ist ihr Mann der wankelmütige August ohne Bedenken katholisch geworden, nur aus politischen Zwecken, nur, weil er dadurch König von Polen werden konnte. Was hat das denn noch mit dem Glauben zu tun, wenn man ihn einfach aus politischen Gründen verrät?!“
„Ich sehe das etwas anders“, widerspricht Nicolas. „Wenn man eine hohe politische Position hat, verpflichtet das. Es ist ein hohes Amt gewesen, König von Polen zu sein, auch wenn es ihm seine Leute auf eine recht fragwürdige Weise zugeschanzt haben. Aber Amt ist Amt, und damit hat man eine Verantwortung. Er hat es sich zugetraut und wollte die Verantwortung tragen. Ein Religionswechsel ist doch da nicht tragisch. Die evangelischen Gläubigen und die Katholiken beten doch zu ein und demselben Gott. Das bisschen Firlefanz drumherum ist doch da nicht so wichtig.“
„Das finde ich schon“, entgegnet ihm Victoria. „Wenn man nicht seinem Glauben treu bleibt, wem oder was dann?! Es sei denn, man ändert den Glauben aus Überzeugung, da liegt der Fall dann wieder anders. Aber seine Konfession einfach so zu verraten, um sich eine Krone aufsetzen zu können, das finde ich ein wenig charakterlos. Aber es passt zu dem übrigen Bild, dass ich von ihm habe. Wer so vielen Frauen das Herz bricht und in der Liebe so unzuverlässig ist, der nimmt es auch sonst nicht so genau.“
„So kann man das nicht sagen“, findet Nicolas. „Große Köpfe haben oft eine andere Moral, manchmal ihre eigene, so wie auch manchmal die Genies. Ihr Denken und Schaffen lebt in ganz anderen Regionen und Dimensionen, da wird im Alltag und im Kleinen manches unwichtig und belanglos. Natürlich war August ein Verschwender und früher nannte man seine Art auch die „Großmannssucht“. Wer lässt schon von sich selbst ein goldenes Reiterstandbild anfertigen?! Aber er hat für die Kultur sehr viel getan, das muss man ihm lassen. Ohne seine Prunksucht gäbe es jetzt nicht das Dresden, was wir kennen.“
„Das ist doch deine Entschuldigung für sein unmoralisches Leben“, findet nun auch Melinda. „Wie schlecht hat er die Frauen behandelt!“
Nicolas hebt die Augenbrauen. „Glaubst du etwa, er hat sie schlecht behandelt?! Für seine Rangordnung war das damals