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In diesem Buch erzählt Meyer eine Episode aus der italienischen Geschichte mit ein paar wenigen erfundenen Zutaten. Der Feldherr Pescara und seine Frau, die Dichterin Vittoria Colonna werden vor unseren Augen lebendig, ebenso der Ursprung, die Voraussetzung des Sacco di Roma.
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Conrad Ferdinand Meyer
Die Versuchung des Pescara
Novelle
In einem Saale des mailändischen Kastelles saß der junge Herzog Sforza über den Staatsrechnungen. Neben ihn hatte sich sein Kanzler gestellt und erklärte die Zahlen mit gleitendem Finger.
»Eine furchtbare Ziffer!« seufzte der Herzog und entsetzte sich vor der Summe, welche die mit Eile betriebenen Festungsarbeiten verschlungen hatten. »Wie viele Schweißtropfen meiner armen hungernden Lombarden!« Und um dem Anblick der verhängnisvollen Zahl zu entrinnen, ließ er die melancholischen Augen über die Wände laufen, die mit hellfarbigen Fresken bedeckt waren.
Links von der Tür hielt Bacchus ein Gelag mit seinem mythologischen Gesinde, und rechts war als Gegenstück die Speisung in der Wüste behandelt von einer flotten, aber gedankenlosen, den heiligen Gegenstand bis an die Grenzen der Ausgelassenheit verweltlichenden Hand. Oben auf der Höhe, klein und kaum sichtbar, saß der göttliche Wirt, während sich im Vordergrunde eine lustige Gesellschaft ausbreitete, die an Tracht und Miene nicht übel einer Mittag haltenden lombardischen Schnitterbande glich und zum Lachen alle Gebärden eines gesunden Appetites versinnlichte.
Der Blick des Herzogs und der demselben aufmerksam folgende seines Kanzlers fielen auf ein schäkerndes Mädchen, das, einen großen Korb am Arme, wohl um die überbleibenden Brocken zu sammeln, sich von dem neben ihr gelagerten Jüngling umfangen und einen gerösteten Fisch zwischen das blendend blanke Gebiß schieben ließ. »Die da wenigstens verhungert noch nicht«, scherzte der Kanzler mit mutwilligen Augen.
Ein trübes Lächeln bildete und verflüchtigte sich auf dem feinen Munde des Herzogs. »Warum Festungen bauen?« kam er auf den Gegenstand seiner Sorge zurück. »Das ist ein schlechtes Geschäft! Pescara, der große Belagerer, wird sie schnell wegnehmen und mir dann noch die Kriegskosten aufhalsen. Höre, Girolamo«, und er richtete seinen binsenschlanken Körper in die Höhe, »laß mich weg aus deinen geheimen Bündnissen und Artikeln, du unermüdlicher Zettler! Ich will nichts davon wissen. Du richtest mich und meine Lombarden zugrunde, du Strafe Gottes! Ich will mich nicht an dem Kaiser versündigen: er ist mein Lehensherr. Und lieber will ich mich von seinen höllischen Spaniern schinden lassen, als daß mich meine neuen Bundesgenossen voranschieben und verraten.« Wie ein sich Aufgebender ließ er sich, die spitzen Knie vorgestreckt, in seinen Sessel niedergleiten und rief voller Verzweiflung: »Ich will eine Muhme oder eine Schwester des Kaisers heiraten! Das sollst du veranstalten, wenn du der große Staatsmann bist, der zu sein du dir einbildest.«
Der Kanzler brach in ein zügelloses Gelächter aus.
»Du hast gut lachen, Girolamo. Von den steilsten Dächern herabrollend, kommst du wie eine Katze immer wieder auf die Füße zu stehen! Ich aber gehe in Stücke! Ich und mein Herzogtum verflüchtigen uns in dem Hexenkessel, der in deinem Kopfe brodelt. Miserere: eine Liga mit dem heiligen Vater, mit San Marco, mit den Lilien! O die böse Klimax! O die unheilige Dreieinigkeit! Dem Papste traut man nicht über den Weg, weder ich noch irgendeiner. Er ist ein Medici! Marcus aber, mein natürlicher Feind und Nachbar, ist der ruchloseste aller Heiligen. Und nun gar Frankreich, das mir den Vater in einem Kerkerloche verwesen ließ und den armen Bruder Max, den du verkauft hast, du Schlimmer, in Paris versorgt!« Die beweglichen Züge des fürstlichen Knaben entstellten sich, als sehe er den Genius seines Hauses die Fackel langsam senken und auslöschen. Eine Träne rann über seine magere Wange.
Der Kanzler streichelte sie ihm väterlich. »Sei nicht unklug, Fränzchen«, tröstete er. »Ich hätte den Max verraten? Keineswegs. Es war die Logik der Dinge, daß er sich gab nach der Zermalmung der Schweizer. Ich habe seine Rente mit König Franz vereinbart und noch um ein Gutes hinaufgemarktet. Er selbst sah ein, daß ich es redlich mit ihm meine, und dankte mir. Er ist ein Philosoph, sage ich dir, der die Welt von oben herunter betrachtet, und da er zu Rosse stieg, um von hinnen zu ziehen, hat er, schon im Bügel, noch Weisheit geredet. ›Ich segne den Himmel‹, sprach er, ›daß ich in Zukunft nichts mehr zu schaffen habe mit den groben Fäusten der Schweizer, den langen Fingern des Kaisers‹ – er meinte die hochselige Majestät, Fränzchen – ›und den spanischen Meuchlerhänden.‹ Auch hatte der Max gar nicht das Zeug, einen italienischen Fürsten darzustellen, plump und unreinlich wie er ist. Da bist du denn doch eine andere Erscheinung, Fränzchen. Du hast etwas Fürstliches, wenn du dich aufrecht hältst, und dazu die Kunst der Rede, die du von deinem unvergleichlichen Vater, dem Mohren, geerbt. Ich sage dir, du wirst mit den Jahren noch der klügste und glücklichste Fürst in Italien werden.«
Der Herzog betrachtete seinen Kanzler zweifelnd. »Wenn du mich nicht vorher verkaufst und mein Leibgeding' in die Höhe marktest«, lächelte er.
Morone, der jetzt in seinem langen schwarzen Juristenrocke vor ihm stand, entgegnete zärtlich: »Mein holdseliges Fränzchen! Dir tue ich nichts zuleide. Du weißt ja, daß du mir ins Herz gewachsen bist. Du bleibst der Herzog von Mailand, so wahr ich der Morone bin. Aber du mußt dich hübsch belehren und überzeugen lassen, was zu deinem Besten dient.«
»Nicht einen einzigen guten Grund hast du mir gegeben für deine neugebackene Liga! Und ich will mich einmal nicht empören gegen meinen Lehnsherrn! Das ist sündhaft und gefährlich.«
Schnellen Geistes wählte der Kanzler unter den Truggestalten und Blendwerken, über welche seine Einbildungskraft gebot, eine hinreichend wahrscheinliche und wirksame Larve, um sie seinem beweglichen Gebieter entgegenzuhalten und ihn damit heilsam zu erschrecken.
»Fränzchen«, sagte er, »der Kaiser ist für dich eine verschlossene Pforte. Hast du ihm nicht die rührendsten Briefe geschrieben, und er hat niemals geantwortet! Es ist ein in der Ferne verschwindender Jüngling und, wie man behauptet, die geduldige Wachspuppe in den formenden Händen seiner burgundischen Höflinge. Da bist du ihm überlegen, du beurteilst die Dinge selbständig. Das Wetter aber in Madrid macht der Bourbone, der verschwenderische Konnetabel, der das Gold mit vollen Händen auswirft und dessen Treue außer allem Verdachte steht, da er seinen König Franz verraten hat und jetzt in Ewigkeit zum Dienste des Kaisers verdammt ist. Der Bourbone aber will Mailand. Dein Lehen ist ihm zugesagt. Er ist ein Gonzaga von der Mutter her und strebt nach einem italienischen Throne. Warum kann sich der Kaiser nicht entschließen, dich zu belehnen, nachdem du ihm Hunderttausende bezahlt hast? Weil er dein Mailand dem Bourbone zudenkt, darauf nehme ich Gift. Dieser ist seiner Sache gewiß. Unlängst, da du mich in das kaiserliche Lager sendetest, hat er mich mit Liebkosungen fast erdrückt und mir sogar einen Beutel zugesteckt, um mich auf die günstige Stunde vorzubereiten. Denn freilich sind wir alte Bekannte von der französischen Herrschaft her.«
Das war Lüge und Wahrheit: der Konnetabel hatte in einer tollen Weinlaune einen witzigen Einfall seines Gastes fürstlich belohnt.
»Und du nahmst, Ungeheuer?« entsetzte sich der Herzog.
»Mit dem besten Gewissen von der Welt«, erwiderte Morone leichtfertig. »Weißt du nicht, Fränzchen, was die Kasuisten lehren, daß ein Weib so viel nehmen darf, als man ihr gibt, wenn sie nur ihre Tugend behauptet? Das gilt auch für Minister und erlaubt mir, in dieser kargen Zeit unter Umständen auf mein Gehalt zu verzichten. Dafür kannst du dir zuweilen ein gutes Bild kaufen, Fränzchen. Du mußt auch deine ehrbare Ergötzung haben.«
Sforza war erbleicht. Das Schreckbild des Bourbone in seiner Burg und in seinem Reiche, welche beide dieser schon einmal – vor seinem berühmten Verrat – jahrelang als französischer Statthalter besessen hatte, brachte ihn um alle Besinnung. »Ich habe immer geglaubt, und es verfolgt mich auf Schritt und Tritt«, jammerte der Ärmste, »daß der Bourbone mein Mailand haben will. Rette mich, Girolamo! Schließe die Liga! ohne Verzug! Sonst bin ich verloren.« Er sprang auf und ergriff den Kanzler am Arm.
Dieser erwiderte gelassen: »Ja, das geht nicht so geschwind, Fränzchen. Doch wird sich vielleicht heute noch etwas dafür tun lassen. Es trifft sich. Gestern ist die Exzellenz Nasi – nicht der Horatius, sondern der schöne Lälius – bei unserm Wechsler Lolli abgestiegen, und durch einen glücklichen Zufall auch Guicciardin hier angekommen, der trotz seiner Borsten im Vatikan eine angenehme Person ist. Mit diesen zwei gescheiten Leuten ließe sich reden, und ich habe den Venezianer und den Florentiner an deine Abendtafel geladen, da ich weiß, daß du ein harmloses Geplauder und eine unterhaltende Gesellschaft liebst.«
»O verfluchte, nichtswürdige Verschwörung!« klagte der Herzog wankelmütig.
»Und auch noch ein anderer ist eingeritten, im Morgengrauen. Dieser hat sich auf die dritte Stunde nachmittags angesagt, er wolle erst ausschlafen.«
»Ein anderer? Welcher andere?« Der Herzog zitterte.
»Der Bourbone.«
»Gott verpeste den bleichen Verräter!« schrie Sforza. »Was will der hier?«
»Das wird er selbst dir sagen. Horch! es läutet Vesper im Dome.«
»Empfange du ihn, Kanzler!« flehte der Herzog und wollte durch eine Tür entwischen. Morone aber ergriff ihn am Arm und führte ihn zu seinem Sessel zurück. »Ich bitte, Hoheit! Es geht vorüber. Wenn der Konnetabel eintritt, erhebe sich die Hoheit und empfange ihn stehend. Das kürzt ab.« Er umkleidete seinen Herrn mit dem am Stuhle hängengebliebenen Mantel, und dieser nahm allmählich, seine Angst bekämpfend, eine fürstlichere Haltung an, indem er seinen hübschen Wuchs geltend machte und den natürlichen Anstand, den er besaß.
Inzwischen blickte der Kanzler durch das Fenster, das den Schloßplatz und hinter demselben den Umriß eines der neuangelegten Bollwerke des Kastelles zeigte. »Köstlich!« sagte er. »Da steht dieser treuherzige Konnetabel, zehn Schritte vor seinem Gefolge, und zeichnet unbefangen unsere neue Schanze in sein Taschenbuch. Ich will nur gehen und ihn einführen.«
Da er mit Morone eintrat, der berühmte Verräter, eine schlanke und hohe Gestalt und ein stolzes, farbloses Haupt mit feinen Zügen und auffallend dunkeln Augen, eine unheimliche, aber große Erscheinung, verbeugte er sich höflich vor Franz Sforza, der ihn scheu betrachtete.
»Hoheit«, sprach Karl Bourbon, »ich bezeuge meine schuldige Ehrerbietung und bitte um Gehör für eine Botschaft der Kaiserlichen Majestät.«
Herzog Franz antwortete mit Würde, daß er bereit sei, den Willen seines erhabenen Lehensherrn ehrfürchtig zu vernehmen, wankte dann aber und glitt in seinen Sessel zurück.
Als der Konnetabel den Herzog sich setzen sah, blickte auch er sich nach einem Stuhl oder wenigstens nach einem Schemel um. Nichts dergleichen war vorhanden und auch kein Page gegenwärtig. Da warf er seinen kostbaren Mantel dem Herzog gegenüber an den Marmorboden und lagerte sich geschmeidig, den linken Arm aufgestützt, den rechten in die Hüfte setzend. »Hoheit erlaube«, sagte er.
Karl Bourbon lebte seit seinem Verrate in einer sengenden und verzehrenden Atmosphäre des Selbsthasses. Niemand, sogar der Vornehmste nicht, hätte es gewagt, den stolzen Mann auch nur mit einer Miene an seine Tat zu erinnern und ihn das Urteil erraten zu lassen, welches die öffentliche Meinung seines Jahrhunderts einstimmig und mit ungewöhnlicher Härte über ihn gefällt hatte, aber er kannte dieses strenge Urteil, und sein Gewissen bestätigte es. Die gründlichste Menschenverachtung brachte er, bei sich selbst anfangend, der ganzen Welt entgegen, doch beherrschte er sich vollkommen, und niemand benahm sich tadelfreier und redete farbloser, jeden Hohn, jede Ironie, selbst die leiseste Anspielung sich und damit auch den andern untersagend. Nur selten verriet, wie eine plötzlich aus dem Boden zuckende Flamme, ein höllischer Witz oder ein zynischer Spaß den Zustand seiner Seele.
Nachdem der Konnetabel eine Weile gesonnen, begann er mit angenehmer Stimme und einer leichten Wendung des Kopfes: »Ich bitte Hoheit, mich nicht entgelten zu lassen, was meine Sendung Unwillkommenes für Sie haben könnte. Meine Person völlig zurückstellend, übermittle ich der Hoheit einen Beschluß der Kaiserlichen Majestät, welchen dieselbe in ihrem Ministerrate gefaßt hat, allerdings nach Vernehmung ihrer drei italienischen Feldherrn, Pescara, Leyva und meiner Untertänigkeit.«
»Wie befindet sich Pescara?« fragte der Kanzler, der in gleicher Entfernung von den zwei Hoheiten stand, frech dazwischen. »Ist er geheilt von seiner Speerwunde bei Pavia?«
»Freundchen«, versetzte der Konnetabel geringschätzig, »ich bitte Euch, nicht zu reden, wo Ihr nicht gefragt werdet.«
Da nahm der Herzog die Frage auf. »Herr Konnetabel«, sagte er, »wie befindet sich der Sieger von Pavia?«
Bourbon verneigte sich verbindlich. »ich danke der Hoheit für die huldvolle Nachfrage. Mein erlauchter und geliebter Kollege Ferdinand Avalos Marchese von Pescara ist völlig hergestellt. Er reitet ohne Beschwerde seine zehn Stunden.« Dann fuhr er fort: »Lasset mich jetzt zur Sache kommen, Hoheit. Bittere Arznei will schnell gereicht sein. Die Kaiserliche Majestät wünscht sehr, daß die Hoheit zurücktrete aus der neuen Liga, die Sie mit der Heiligkeit, den Kronen von Frankreich und England und der Republik Venedig abgeschlossen hat oder abzuschließen im Begriffe ist.«
Jetzt fand der Herr von Mailand den Fluß der Rede und beteuerte mit gut gespieltem Erstaunen und herzlicher Entrüstung, daß ihm von einer solchen Liga nichts bekannt sei und er selbst sicherlich der erste wäre, nach seiner Lehenspflicht den Kaiser ungesäumt zu unterrichten, wenn seines Wissens in Oberitalien derlei gegen die Majestät gesponnen würde. Und er legte die Hand auf das feige Herz.
Mit vorgebogenem Haupte höflich lauschend, ließ der Konnetabel den jungen Heuchler seine Lüge in immer neuen Wendungen wiederholen. Dann erwiderte er in kühlem Tone, mit einer unmerklichen Färbung verächtlichen Mitleids: »Die Worte der Hoheit unangetastet, muß ich glauben, daß dieselbe von der Sachlage nicht genau unterrichtet ist. Wir denken es besser zu sein. Der Friede zwischen Frankreich und England mit einer bösen Absicht gegen den Kaiser ist eine Tatsache, die uns mit Sicherheit aus den Niederlanden gemeldet wurde. Ebenso gewiß sind wir, daß in Oberitalien gegen uns gerüstet wird. Und soweit sich der Heilige Vater beurteilen läßt, scheint auch er, den wir verwöhnt haben, sich verdeckt gegen uns zu wenden. Zu unterscheiden, was getan und was im Werden ist, kann nicht unsere Aufgabe sein: wir bauen vor. Ehe die Liga«, fügte er mit leiserer Stimme bedeutsam hinzu, »einen Feldherrn gefunden hat.«
Dann stellte er seine Forderung: »Hoheit gibt uns Sicherheit, in Monatsfrist, daß Sie Neutralität hält. Das ist die inständige Bitte Kaiserlicher Majestät. Unter Sicherheit aber versteht sie: Verabschiedung der Schweizer, Beurlaubung der lombardischen Waffen auf die Hälfte, Einstellung aller und jeder Festungsbauten und Überlassung dieses erfindungsreichen Mannes« – er wies mit dem Haupte seitwärts – »an Kaiserliche Majestät. Wo nicht« – und er erhob sich ungestüm, als wollte er zu Pferde springen – »wo nicht, blasen wir zum Aufbruch, den letzten September, um Mitternacht, keine Stunde früher, keine später, und besetzen in wenigen Märschen das Herzogtum. Hoheit überlege.« Er verbeugte sich und schied.
Da ihm Morone das Geleite geben wollte, verfiel Bourbon in eine seiner tollen Launen und wies den Kanzler mit einer possenhaften Gebärde ab. »Adieu, Pantalon mon ami!« rief er über die Schulter zurück.
Morone geriet in Wut über diese Benennung, welche seiner Person allen Ernst und Wert abzusprechen schien, und entrüstet auf und nieder schreitend, verwickelte er sich mit den Füßen in den liegengebliebenen Mantel des Konnetabel; der junge Herzog aber hielt den Kanzler fest, hing sich ihm an den Arm und weinte: »Girolamo, ich habe ihn beobachtet! Er glaubt sich hier schon in dem Seinigen. Schließe ab! Heute noch! Sonst entthront mich dieser Teufel!«
Noch lag der hilflose Knabe in den Armen seines Kanzlers, als ein greiser Kämmerer den Rücken vor ihm bog und feierlich das Wort sprach: »Die Tafel der Hoheit ist gedeckt.« Die beiden folgten ihm, der mit wichtiger Miene durch eine Reihe von Zimmern voranschritt. Eines derselben, ein Kabinett, das keinen eigenen Ausgang hatte, schien mit seiner Tapete von moosgrünem Sammet und seinen vier gleichfarbigen Schemeln ein für trauliche Mitteilungen bestimmter Schlupfwinkel zu sein. In seiner Mitte blieb der Herzog verwundert stehen, denn die Hinterwand des sonst leeren Raumes füllte jetzt ein Bild, das er nicht als sein Eigentum kannte. Es war heimlich in den Palast gekommen, eine ihm bereitete Überraschung, das Geschenk des Markgrafen von Mantua, wie auf dem Rahmen zu lesen stand. Der Herzog ergriff seinen Kanzler an der Hand, und beide Italiener näherten sich mit leisen Tritten und einer stillen, andächtigen Freude dem machtvollen Gemälde: auf einem weißen Marmortischchen spielten Schach ein Mann und ein Weib in Lebensgröße. Dieses, ein helles und warmes Geschöpf in fürstlichen Gewändern, berührte mit zögerndem Finger die Königin und forschte zugleich verstohlenen Blickes in der Miene des Mitspielers, der, ein Krieger von ernsten und durchgearbeiteten Zügen, in dem streng gesenkten Mundwinkel ein Lächeln, versteckte.
Beide, Herzog und Kanzler, erkannten ihn sogleich. Es war Pescara. Die Frau errieten sie mit Leichtigkeit. Wer war es, wenn nicht Victoria Colonna, das Weib des Pescara und die Perle Italiens? Sie konnten sich nicht von dem Bilde trennen. Sie fühlten, daß sein größter Reiz die hohe und zärtliche Liebe sei, welche die weichen Züge der Dichterin und die harten des Feldherrn in ein warmes Leben verschmolz, und nicht minder die Jugend der beiden, denn auch der benarbte und gebräunte Pescara erschien als ein heldenhafter Jüngling.
In der Tat, achtzehnjährig beide, waren sie miteinander an den Altar getreten, und sie hatten sich mit Leib und Seele Treue gehalten, oft und lang getrennt, sie bei der keuschen Ampel in Italiens große Dichter vertieft, er vor einem glimmenden Lagerfeuer über der Karte brütend, dann endlich wieder auf Ischia, dem Besitztum des Marchese, wie auf einer seligen Insel sich vereinigend. Solches wußte das sittenlose Italien und zweifelte nicht, sondern bewunderte mit einem Lächeln.
Auch die zwei vor dem Bilde Stehenden empfanden die Schönheit dieses Bundes der weiblichen Begeisterung mit der männlichen Selbstbeherrschung. Sie empfanden sie nicht mit der Seele, aber mit den feinen Fingerspitzen des Kunstgefühls. So wären sie noch lange gestanden, wenn nicht der Kammerherr untertänig gemahnt hätte, daß zwei Geladene im Vorzimmer des Eßsaales warteten. Durch ein paar Türen wurde jenes erreicht und, nach einer kurzen Vorstellung der Gäste, dieser betreten.
Jetzt saßen die viere an der nicht überladenen, aber ausgesuchten Tafel. Während des ersten leichten Gespräches besah sich der Herzog insgeheim seine Gäste. Keine Gesichter konnten unähnlicher sein als diese dreie. Den häßlichen Kopf und die grotesken Züge seines Kanzlers freilich wußte er auswendig, aber es fiel ihm auf, wie ruhelos dieser heute die feurigen Augen rollte und wie über der dreisten Stirn das pechschwarze Kraushaar sich zu sträuben schien. Daneben hob sich das Haupt Guicciardins durch männlichen Bau und einen republikanisch stolzen Ausdruck sehr edel ab. Der Venezianer endlich war eines schönen Mannes Bild mit einem vollen weichen Haar, leise spottenden Augen und einem liebenswürdigen verräterischen Lächeln. Auch in der Farbe unterschieden sich die drei Angesichter. Die des Kanzlers war olivenbraun, der Venezianer besaß die durchsichtige Blässe der Lagunenbewohner, und Guicciardin sah so gelb und gallig aus, daß der Herzog sich bewogen fühlte, ihn nach seiner Gesundheit zu fragen.
»Hoheit, ich litt an der Gelbsucht«, versetzte der Florentiner kurz. »Die Galle ist mir ausgetreten, und das ist nicht zum Verwundern, wenn man weiß, daß mich die Heiligkeit in ihre Legationen versendet hat, um dieselben zu einem ordentlichen Staate einzurichten. Da schaffe einer Ordnung, wo die Pfaffen Meister sind! Nichts mehr davon, sonst packt mich das Fieber, trotz der gesunden Luft von Mailand und den guten deutschen Nachrichten.« Er wies eine süße Schüssel zurück und bereitete sich mit mehr Essig als Öl einen Gurkensalat.
»Nachrichten aus Deutschland?« fragte der Kanzler.
»Nun ja, Morone. Ich habe Briefe von kundiger Hand. Die Mordbauern sind zu Paaren getrieben und – das Schönste – Fra Martino selbst ist mit Schrift und Wort gewaltig gegen sie aufgetreten. Das freut mich und läßt mich an seine Sendung glauben. Denn, Herrschaften, ein weltbewegender Mensch hat zwei Ämter: er vollzieht, was die Zeit fordert, dann aber – und das ist sein schwereres Amt – steht er wie ein Gigant gegen den aufspritzenden Gischt des Jahrhunderts und schleudert hinter sich die aufgeregten Narren und bösen Buben, die mittun wollen, das gerechte Werk übertreibend und schändend.«
Der Herzog war ein wenig enttäuscht, denn er liebte Krieg und Aufruhr, wenn sie jenseits der Berge wüteten und seine Einbildungskraft beschäftigten, während er selbst außer Gefahr stand. Der Kanzler aber tat einen Seufzer und sagte mit einem wahren menschlichen Gefühle: »In Germanien mag nun viel Grausames geschehen.«
»Tut mir leid«, versetzte der Florentiner, »doch ich behalte das Ganze im Auge. Jetzt, nach Bändigung der trotzigen Ritter und der rebellischen Bauern, führen die Fürsten. Die Reformation, oder wie ihr es nennen wollet, ist gerettet.«