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»Ein isländischer Schriftsteller kann nicht leben, ohne beständig über die alten Bücher nachzudenken.« Halldór Laxness Der Stellenwert, den die Isländersagas im kulturellen Gedächtnis der Isländer einnehmen, ist enorm. Bis heute haben die fesselnden Geschichten rund um die Besiedelung der nordischen Insel nicht an Leuchtkraft verloren: Die Prosatexte aus dem 13. und 14. Jahrhundert sind eine Sternstunde der Geistesgeschichte Europas – und können hier in einer breiten Auswahl bewundert werden. Mit der vorliegenden Neuedition öffnet sich dem Leser ein Tor in eine Welt, die beseelt ist von wütenden Außenseitern, starken Frauen und Rechtskundigen, von Rache, Totschlag und Buße, aber auch von Schadenszauber und Wiedergängern und nicht zuletzt abenteuerlichen Reisen in ferne Länder. Die Isländersagas sind Weltliteratur. Die ›Isländersagas‹ - vorgelegt von den besten literarischen Übersetzern und angereichert mit wissenschaftlichen Zusatzinformationen - räumen einer der bedeutendsten Literaturen den Platz ein, der ihr gebührt. Mit einem Vorwort der Herausgeber Mit Faksimiles der mittelalterlichen Handschriften Mit Karten der Handlungsorte der Sagas Mit einem Glossar
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Seitenzahl: 187
Die Vínlandsagas
Isländersagas
Herausgegeben von Klaus Böldl, Andreas Vollmer und Julia Zernack
Aus dem Altisländischen von Tina Flecken
Fischer e-books
Mit einer Einleitung von Tina Flecken
Mit einem Vorwort der Herausgeber
Mit Faksimiles der mittelalterlichen Handschriften
Mit einer Karte der Handlungsorte der Saga
Mit einem Glossar
Die Isländersagas (Íslendingasögur) sind umfangreiche Prosaerzählungen in altisländischer Sprache, entstanden im 13. und 14. Jahrhundert. Sie gelten als der wichtigste Beitrag Islands zur Weltliteratur und sind in viele Sprachen übersetzt worden, mehrfach auch ins Deutsche. Die vorliegende Ausgabe präsentiert eine breite Auswahl dieser Sagas in neuen deutschen Übertragungen, ergänzt durch eine Reihe thematisch und stilistisch verwandter Erzählungen (þættir) aus derselben Epoche. In ihrer novellenhaften Kürze und Pointiertheit legen sie zusammen mit den Isländersagas in eindrucksvoller Weise Zeugnis ab von der im Mittelalter einzigartigen Erzählkunst Islands.
Viele Übersetzer haben zum Entstehen der neuen Ausgabe beigetragen. Wenn die Übertragungen dadurch einen je individuellen Ton bekommen haben, dann ist dies durchaus beabsichtigt. Denn die Originaltexte haben bei allen Gemeinsamkeiten doch immer eine deutlich eigene Prägung, die auch in der Übersetzung noch durchscheint. Damit die Sagas als literarische Kunstwerke für sich wirken können, sollten sie von allen erläuternden Zusätzen möglichst frei bleiben. Für das Verständnis unverzichtbare Anmerkungen der Übersetzer sowie Karten zur geographischen Orientierung finden sich in einem Anhang. Den größeren kultur- und literaturgeschichtlichen Zusammenhang erschließt der Begleitband.
April 2011
Die Herausgeber
Aus dem Altisländischen und mit einer Einleitung von Tina Flecken
Mit einer großen O-Initiale, die nur noch wenig Platz für den Text selbst lässt, beginnt die Saga von Eirík dem Roten in dieser Handschrift, die 1820 von Einar Bjarnason (1782–1856) geschrieben wurde.
Die Vínlandsagas, zu denen im engeren Sinn nur die Saga von den Grönländern und die Saga von Eirík dem Roten gehören, berichten von den Fahrten der Wikinger um das Jahr 1000 zu einem westlich von Grönland gelegenen »Weinland«. Es handelt sich um die ersten dokumentierten Reisen über den Atlantik und die ältesten Beschreibungen des nordamerikanischen Kontinents und seiner Bewohner. Dass die Wikinger dort tatsächlich gewesen sind, ist archäologisch erwiesen. So hat man Anfang der 1960er Jahre an der Nordspitze der kanadischen Insel Neufundland in der Nähe des heutigen L’Anse aux Meadows Siedlungsreste gefunden, die zu einer um das Jahr 1000 angelegten Wikingersiedlung gehören. Es gilt daher als sicher, dass die Vínlandsagas in literarischer Überformung Erinnerungen an die historisch verbürgten Fahrten, an reale Personen und Ereignisse bewahren. Zuverlässige historische Dokumente sind sie jedoch nicht: Sie widersprechen sich in verschiedenen Details und enthalten phantastische und übernatürliche Elemente.
Die beiden Sagas sind unabhängig voneinander im frühen 13. Jahrhundert auf Island entstanden. Wir ergänzen sie hier um die vermutlich etwas früher zu datierende Erzählung von den Grönländern. Nicht zuletzt durch ihren Schauplatz unterscheiden sich die drei Texte erheblich von anderen Isländersagas.
Den Handlungshintergrund bilden die Entdeckung und Besiedlung Grönlands sowie die Entdeckung und Erforschung der Nordostküste Nordamerikas: Helluland, Markland und Vínland. Eirík der Rote flieht mit seinem Vater aus Norwegen und lässt sich im Haukadal in Westisland nieder, wo er Þjóðhild heiratet, die später zu einer überzeugten Christin wird. Als Eirík nach einem Totschlag aus dem Haukadal verbannt wird, macht er sich auf die Suche nach einem Land im Westen, das zuvor bereits von Gunnbjörn Úlfsson gesichtet worden war. Eirík findet das Land, gibt ihm den zugkräftigen Namen Grönland, grünes Land, und kehrt später mit einer großen Anzahl siedlungswilliger Landsleute dorthin zurück. Der anonyme Sagaverfasser datiert diese Fahrt auf das Jahr 985, fünfzehn Jahre vor der Einführung des Christentums in Island. Die Isländer gründen in Grönland zwei Siedlungen: Eystribyggð, die östliche Siedlung im Süden Grönlands, und Vestribyggð, die westliche Siedlung nahe dem heutigen Nuuk. Als Entdecker Amerikas gilt Eiríks Sohn Leif, der dem Land den Namen Vínland, Weinland, gibt, weil er dort Weinreben und Weintrauben findet. Die beiden Vínlandsagas geben, wie bei zunächst mündlich überlieferten Texten nicht unüblich, zwei unterschiedliche Versionen der Entdeckungsfahrten wieder, entsprechen sich aber auch in vielen Aspekten. Die Ähnlichkeiten in den Handlungsverläufen sind letztendlich jedoch signifikanter als ihre Widersprüche.
Die Saga von den Grönländern berichtet davon, wie der Isländer Bjarni Herjólfsson auf dem Weg zu seinem Vater nach Grönland in westliche Richtung abgetrieben wird und unbekanntes Land sichtet, es aber nicht betritt. Als Leif Eiríksson davon erfährt, unternimmt er ebenfalls eine Fahrt dorthin, geht aber, im Gegensatz zu Bjarni, an Land und erforscht es. Die Saga konzentriert sich auf Leifs führende Rolle bei den Vínland-Fahrten und enthält eine bemerkenswerte Episode über seine boshafte Halbschwester Freydís.
Die Saga von Eirík dem Roten erzählt weniger von ihrer Titelfigur als von der Entdeckung Vínlands durch Leif Eiríksson sowie, wesentlich detaillierter als die Saga von den Grönländern, von der Vínland-Fahrt des Þorfinn Karlsefni und seiner Frau Guðríð Þorbjarnardóttir. Guðríð wird in Island geboren, wandert nach Grönland aus, fährt nach Vínland und lässt sich später wieder in Island nieder. Spannungen zwischen dem alten heidnischen und dem christlichen Glauben spielen eine bedeutende Rolle in der Saga. So wird etwa Leif Eiríksson von König Ólaf Tryggvason beauftragt, die heidnischen Siedler in Grönland zum Christentum zu bekehren, doch gegensätzliche Glaubensvorstellungen führen immer wieder zu Konflikten.
Die Erzählung von den Grönländern schildert die Gründung des grönländischen Bischofssitzes in Garðar 1126 und die darauffolgenden blutigen Auseinandersetzungen zwischen Norwegern und Einheimischen.
Ein Mann hieß Þorvald. Er war der Sohn Ásvald Úlfssons und ein Urenkel von Öxna-Þórir. Þorvald und sein Sohn Eirík der Rote fuhren von Jæren nach Island, weil sie in Totschläge verwickelt waren. Damals war Island schon weithin besiedelt. Zunächst wohnten sie in Drangar in Hornstrandir. Dort starb Þorvald.
Eirík nahm Þjóðhild, die Tochter von Jörund Úlfsson, zur Frau. Ihre Mutter Þorbjörg Knarrarbringa war zu dem Zeitpunkt mit Þorbjörn aus dem Haukadal verheiratet. Eirík zog dann südwärts und ließ sich auf Eiríksstaðir bei Vatnshorn nieder. Ein Sohn von Eirík und Þjóðhild hieß Leif. Nachdem Eirík Eyjólf Saur und Hólmgöngu-Hrafn getötet hatte, wurde er aus dem Haukadal verbannt.
Daraufhin zog er nach Westen zum Breiðafjord und wohnte auf dem Hof Eiríksstaðir auf der Insel Öxney. Eirík lieh Þorgest von Breiðabólstad seine Bettplanken, erhielt sie aber nicht zurück, als er danach fragte. Deswegen kam es zwischen ihm und Þorgest zu Streit und Auseinandersetzungen, wovon die Saga von Eirík dem Roten erzählt.
Styr Þorgrímsson, Eyjólf von Svíney, die Söhne von Þorbrand aus dem Álftafjord und Þorbjörn Vífilsson unterstützten Eirík, während die Söhne von Þórð Gellir und Þorgeir aus dem Hítardal Þorgest beistanden. Eirík wurde auf dem Þórsnes-Thing geächtet, woraufhin er in der Bucht Eiríksvog sein Schiff seefertig machte. Als er abfahrbereit war, geleiteten ihn Styr und dessen Leute durch die Inseln. Eirík sagte ihnen, er habe vor, das Land zu suchen, das Gunnbjörn, der Sohn Úlf Krákas, gesehen hätte, als er westwärts abtrieb und die Schären Gunnbjarnarsker entdeckte. Wenn er dieses Land gefunden hätte, würde er wieder zu seinen Freunden zurückkehren.
Unterhalb des Snæfellsgletschers legte Eirík ab. Er fand das Land und kam zu einem Gletscher, den er Miðjökull nannte und der nun Bláserk heißt. Von dort segelte er südwärts und suchte nach geeignetem Land zum Siedeln.
Den ersten Winter verbrachte er auf der Insel Eiríksey, etwa in der Mitte der späteren östlichen Siedlung. Im folgenden Frühjahr fuhr er zum Eiríksfjord, wo er sich niederließ. Im Sommer bereiste er den unbewohnten Westen und gab dort vielen Plätzen Namen. Den zweiten Winter verbrachte er in Eiríkshólmar in der Nähe des Gipfels Hvarfsgnípa, und im dritten Sommer segelte er weit hinauf in den Norden bis zum Berg Snæfell und in den Hrafnsfjord. Dort meinte er, das Ende des Eiríksfjords erreicht zu haben. Er kehrte um und verbrachte den dritten Winter auf Eiríksey an der Mündung des Eiríksfjords.
Im darauffolgenden Sommer kam er wieder nach Island und fuhr mit seinem Schiff in den Breiðafjord. Das Land, das er entdeckt hatte, nannte er Grönland, grünes Land, weil er glaubte, dass es die Leute eher anziehen würde, wenn es einen schönen Namen hätte. Nachdem Eirík den Winter in Island verbracht hatte, fuhr er im Sommer wieder nach Grönland, um dort zu siedeln. Er wohnte in Brattahlíð im Eiríksfjord.
Kundige Männer berichten, dass sich im selben Sommer, als Eirík der Rote in Grönland siedelte, fünfundzwanzig Schiffe aus dem Breiðafjord und dem Borgarfjord nach Grönland aufmachten, aber nur vierzehn dort ankamen. Einige trieben zurück und einige gingen verloren. Dies war im fünfzehnten Winter, bevor das Christentum in Island angenommen wurde. Im selben Sommer fuhren Bischof Friðrek und Þorvald Koðránsson von Norwegen weg.
Folgende Männer begleiteten Eirík und nahmen Land in Grönland: Herjólf nahm den Herjólfsfjord in Besitz und wohnte in Herjólfsnes, Ketill nahm den Ketilsfjord, Hrafn den Hrafnsfjord, Sölvi nahm das Sölvadal, Helgi Þorbrandsson den Álftafjord, Þorbjörn Glóra den Siglufjord, Einar den Einarsfjord, Hafgrím den Hafgrímsfjord und das Gebiet Vatnahverfi, Arnlaug den Arnlaugsfjord, und einige fuhren zur späteren Westsiedlung.
Herjólf war der Sohn von Bárð. Bárðs Vater Herjólf war mit dem ersten Landnehmer Ingólf verwandt. Ingólf gab Herjólf, dem Älteren, und seinen Begleitern Land zwischen Vog und Reykjanes.
Zuerst wohnte Herjólf, der Jüngere, in Drepstokk. Seine Frau hieß Þorgerð und ihr Sohn Bjarni. Dieser war ein vielversprechender Mann. Schon in jungen Jahren drängte es ihn, nach Norwegen zu fahren. Schnell erlangte er Besitztümer und Ansehen und verbrachte die Winter abwechselnd in Norwegen und bei seinem Vater. Bald besaß er ein Schiff für seine Seereisen, und im letzten Winter, den Bjarni in Norwegen verbrachte, fuhr Herjólf mit Eirík dem Roten nach Grönland und gab seinen Hof auf. Einer der Männer auf Herjólfs Schiff stammte von den Hebriden, ein Christ, der die Drápa auf die Sturzwellen dichtete. Sie hat folgenden Refrain:
Ich bitte dich, unbescholtener Prüfer der Mönche,
mir bei meinen Fahrten beizustehen;
der Herr des hohen Saals der Erde
möge den Sitz des Jagdfalken über mich halten.
Prüfer der Mönche = Christus; hoher Saal der Erde = Himmel; Sitz des Jagdfalken = Hand
Herjólf siedelte in Herjólfsnes und war ein sehr angesehener Mann.
Eirík der Rote wohnte in Brattahlíð. Er stand in hohem Ansehen, und alle unterwarfen sich seiner Autorität. Eiríks Söhne hießen Leif, Þorvald und Þorsteinn und seine Tochter Freydís. Sie war mit einem Mann namens Þorvarð verheiratet, und sie wohnten in Garðar, dort, wo heute der Bischofssitz ist. Freydís war eine herrschsüchtige Frau, und Þorvarð ein unbedeutender Mann. Sie war ihm des Geldes wegen verheiratet worden. Zu diesem Zeitpunkt waren die Leute in Grönland noch Heiden.
In dem Sommer, als sein Vater im Frühjahr in Island losgefahren war, kam Bjarni mit seinem Schiff nach Eyrar. Er hielt die Neuigkeit, dass sein Vater Herjólf nach Grönland übergesiedelt war, für sehr bedeutsam und wollte seine Ladung nicht löschen. Da fragte ihn seine Mannschaft, was er vorhabe, und er antwortete, er wolle seine Gewohnheit beibehalten, den Winter bei seinem Vater zu verbringen, »und ich werde nach Grönland fahren, wenn ihr mich begleiten wollt«.
Alle sagten, sie würden sein Angebot annehmen.
Da sagte Bjarni: »Man wird unsere Reise als töricht ansehen, da keiner von uns bisher die Grönlandsee befahren hat.«
Dennoch stachen sie, als alles vorbereitet war, in See und segelten drei Tage lang, bis das Land hinter dem Horizont verschwunden war. Dann ließ der Fahrtwind nach, sie gerieten in eine Nordbrise und Nebelfront und wussten tagelang nicht, wohin sie fuhren.
Dann sahen sie die Sonne wieder und konnten sich orientieren. Sie hissten die Segel und fuhren für den Rest des Tages, bis Land in Sicht kam. Sie überlegten, um welches Land es sich handeln könnte, bis Bjarni meinte, das sei nicht Grönland.
Seine Leute fragen, ob er das Land anlaufen will. Bjarni antwortet: »Ich schlage vor, dass wir näher heranfahren.«
Dies taten sie und sahen bald, dass das Land nicht gebirgig, sondern nur hügelig und mit Wald bedeckt war. Sie ließen das Land backbords liegen und kehrten die Segelschot dem Ufer zu.
Dann segeln sie zwei volle Tage, bis sie wieder Land sichten. Die Männer fragen Bjarni, ob er dies für Grönland halte. Er antwortet, dass er dieses Land ebenso wenig für Grönland halte wie das vorherige, »denn in Grönland soll es sehr große Gletscher geben«.
Sie näherten sich rasch dem Ufer und sahen, dass es flach und bewaldet war. Dann ließ der Fahrtwind nach, und die Mannschaft hielt es für ratsam, an Land zu gehen, aber Bjarni war dagegen. Die Leute meinten, sie bräuchten Holz und Wasser.
»Ihr habt genug Vorräte«, sagte Bjarni, obwohl seine Mannschaft protestierte. Er forderte sie auf, die Segel zu hissen, und dies wurde gemacht. Sie wenden den Vordersteven vom Land ab und halten hinaus aufs Meer. Drei Tage lang segelten sie mit Südwestwind, bis sie das dritte Land sichteten. Dieses Land hatte hohe Berge und war mit Gletschern bedeckt. Da fragen die Männer Bjarni, ob er dort anlanden wolle, aber er antwortet, das wolle er nicht, »denn dieses Land scheint mir unvorteilhaft«.
Diesmal holten sie die Segel nicht ein, sondern fuhren an der Küste entlang, bis sie sahen, dass es eine Insel war. Wieder wandten sie den Steven vom Land ab und hielten mit derselben Brise hinaus aufs Meer. Doch der Wind wurde stärker, und Bjarni befahl, die Segel zu reffen und nicht schneller zu fahren, als ihr Schiff und die Takelage es aushielten. Jetzt fuhren sie vier volle Tage, bis sie das vierte Land sahen und Bjarni fragten, ob er dies für Grönland halte. Bjarni antwortet: »Dieses Land gleicht dem, was mir von Grönland berichtet wurde, und hier werden wir anlanden.«
Das tun sie und gehen am Abend an einem Kap an Land, wo sie ein Boot finden. Auf dieser Landspitze wohnte Herjólf, Bjarnis Vater. Sie wurde nach ihm benannt und heißt seitdem Herjólfsnes. Nun ging Bjarni zu seinem Vater und beendete seine Handelsfahrten. Er blieb bei seinem Vater, solange dieser lebte, und übernahm nach dessen Tod den Hof.
Als Nächstes fuhr Bjarni Herjólfsson von Grönland nach Norwegen zu Jarl Eirík, der ihn freundlich empfing. Bjarni erzählte von seinen Fahrten, bei denen er verschiedene Länder gesehen hätte. Die Leute hielten ihn nicht für sehr wissbegierig und machten ihm Vorwürfe, dass er nichts über diese Länder zu berichten wusste. Bjarni wurde ein Gefolgsmann des Jarls und fuhr im nächsten Sommer wieder nach Grönland. Nun wurde viel darüber gesprochen, neue Länder zu suchen.
Leif, der Sohn Eiríks des Roten aus Brattahlíð, besuchte Bjarni Herjólfsson, kaufte ein Schiff von ihm und heuerte eine Mannschaft an, insgesamt fünfunddreißig Mann. Er bat seinen Vater Eirík, die Fahrt wieder anzuführen. Doch Eirík wollte nichts davon wissen und sagte, er sei zu alt und könne solche Strapazen nicht mehr so gut aushalten. Leif erwidert, Eirík sei in der ganzen Familie immer noch derjenige, der am meisten Glück hätte. Da gab Eirík Leifs Drängen nach und reitet, sobald sie reisefertig sind, von zu Hause los. Es ist nicht mehr weit zum Schiff, als Eiríks Pferd strauchelt. Er fiel herunter und verletzte sich am Fuß. Da sagte Eirík: »Es ist mir nicht vergönnt, weitere Länder zu entdecken als das, in dem wir jetzt leben. Wir werden nicht mehr gemeinsam reisen.«
Eirík kehrte zurück nach Brattahlíð, und Leif bestieg mit seinen Kameraden, insgesamt fünfunddreißig Mann, das Schiff. In der Mannschaft war ein Mann aus dem Süden, ein Deutscher, der Tyrkir hieß.
Als ihr Schiff bereit war, stachen sie in See und fanden zuerst das Land, das Bjarni und seine Leute zuletzt gesehen hatten. Sie segelten zur Küste, ankerten, brachten ein Boot zu Wasser und fuhren an Land. Nirgends sahen sie dort Gras. Große Gletscher bedeckten den höher gelegenen Teil des Landes. Vom Meer bis zu den Gletschern war das Land wie ein einziger flacher Stein und erschien ihnen unfruchtbar.
Da sagte Leif: »Man kann uns nicht nachsagen, dass wir, so wie Bjarni, dieses Land nicht betreten hätten. Ich werde ihm nun einen Namen geben und nenne es Helluland, Flachsteinland.«
Dann kehrten sie zurück zum Schiff, stachen in See und fanden ein zweites Land. Wieder segeln sie zur Küste, werfen Anker, bringen ein Boot zu Wasser und gehen an Land. Dieses Land war flach und bewaldet, hatte viele weiße Strände und fiel sanft zum Meer ab.
Da sagte Leif: »Auch dieses Land soll einen angemessenen Namen bekommen und Markland, Waldland, heißen.« Daraufhin kehrten sie so schnell wie möglich zum Schiff zurück.
Nun stachen sie wieder in See und waren zwei Tage und Nächte bei Nordostwind unterwegs, bis sie Land sahen. Sie segelten zur Küste und kamen zu einer Insel nördlich des Festlands. Dort gingen sie an Land, sahen sich bei gutem Wetter um und merkten, dass Tau das Gras benetzte. Es ergab sich, dass sie ihre Hände damit befeuchteten, sie in den Mund nahmen und meinten, noch nie etwas so Süßes gekostet zu haben.
Anschließend gingen sie zu ihrem Schiff und segelten in die Meerenge zwischen der Insel und der Landzunge, die sich vom Land aus nach Norden erstreckte. Sie steuerten westlich an der Landzunge entlang. Dort waren bei Ebbe große Untiefen, und ihr Schiff strandete. Von Bord des Schiffes aus gesehen, war das Meer weit entfernt.
Sie waren jedoch so begierig darauf, an Land zu kommen, dass sie nicht auf die Flut warten wollten, und gingen an Land, wo ein Fluss aus einem See floss. Sobald die Flut ihr Schiff wieder anhob, nahmen sie das Boot, ruderten zum Schiff zurück und brachten es stromaufwärts in den See, wo sie ankerten. Sie trugen ihre Schlafsäcke an Land und errichteten Hütten. Später beschlossen sie, den Winter dort zu verbringen, und bauten ein großes Haus.
Weder im Fluss noch im See mangelte es an Lachs, und diese Lachse waren größer als alle, die sie je gesehen hatten.
Das Land erschien ihnen so gut, dass sie meinten, kein Viehfutter für den Winter zu brauchen. Es gab im Winter keinen Frost, und das Gras welkte kaum. Die Tage und Nächte waren nicht so unterschiedlich lang wie in Grönland oder Island. Im tiefsten Winter ging die Sonne zur Mitte des Morgens auf und war zur Mitte des Nachmittags noch zu sehen.
Als sie mit dem Hausbau fertig waren, sagte Leif zu seinen Begleitern: »Ich will unsere Mannschaft jetzt in zwei Gruppen aufteilen, um das Land zu erkunden. Die eine Hälfte soll beim Haus bleiben, während sich die andere Hälfte im Land umsieht. Die Leute sollen aber nur so weit gehen, dass sie abends noch nach Hause zurückkommen können, und sich nicht voneinander trennen.«
So machten sie es eine Zeitlang. Entweder begleitete Leif die Gruppe oder blieb beim Haus. Leif war groß und stark und sah von allen Männern am besten aus. Er war klug und in jeder Hinsicht sehr besonnen.
Eines Abends stellte sich heraus, dass einer aus der Mannschaft fehlte. Es war Tyrkir, der Deutsche. Leif war darüber sehr beunruhigt, denn Tyrkir hatte lange Jahre bei ihm und seinem Vater gelebt und ihn als Kind sehr geliebt. Leif machte seinen Begleitern heftige Vorwürfe und brach mit zwölf Männern auf, um Tyrkir zu suchen.
Sie waren noch nicht weit vom Haus entfernt, als ihnen Tyrkir entgegenkam, worüber sie sehr froh waren. Leif merkte schnell, dass sein Ziehvater angeheitert war. Er hatte eine steile Stirn, flackernde Augen und ein gewöhnliches Gesicht, war von kleiner Statur und unscheinbar, aber höchst geübt in Kunstfertigkeiten aller Art.
Da fragte ihn Leif: »Warum kommst du so spät und hast dich von deinen Gefährten getrennt, Ziehvater?«
Zunächst sprach Tyrkir eine ganze Weile nur Deutsch, verdrehte die Augen und verzog das Gesicht, aber sie verstanden nicht, was er sagte. Nach einer Weile sagte er in nordischer Sprache: »Ich bin nur ein kleines Stück weiter gegangen als ihr und habe Neuigkeiten: Ich habe Weinreben und Weintrauben gefunden.«
»Ist das wahr, Ziehvater?«, fragte Leif.
»Natürlich ist das wahr«, entgegnete er, »denn dort, wo ich geboren bin, gibt es reichlich Weinreben und Weintrauben.«
Nun gingen sie schlafen, und am nächsten Morgen sagte Leif zu seiner Mannschaft: »Wir haben zwei Arbeiten zu verrichten. Es sollen abwechselnd jeweils einen Tag lang Trauben gepflückt oder Weinreben abgehackt und einen Tag lang Bäume gefällt werden, als Fracht für mein Schiff.« Dies wurde beschlossen, und es heißt, dass ihr Beiboot mit Weintrauben gefüllt war. Dann wurde die Fracht für das Schiff zurechtgehauen.
Als der Frühling kam, machten sie ihr Schiff bereit und segelten los. Leif gab dem Land einen Namen nach seiner Beschaffenheit und nannte es Vínland, Weinland. Sie fuhren aufs Meer hinaus und hatten guten Fahrtwind, bis Grönland und die Berge unterhalb der Gletscher in Sicht kamen. Da ergriff ein Mann das Wort und fragte Leif: »Warum steuerst du das Schiff so stark gegen den Wind?«
Leif antwortet: »Ich achte nicht nur auf meinen Kurs, sondern auch auf andere Dinge. Seht ihr denn nichts?«
Die Männer sagten, sie sähen nichts Bemerkenswertes.
»Ich bin mir nicht sicher«, sagt Leif, »ob ich ein Schiff oder eine Schäre sehe.«
Da bemerken sie es auch und meinen, es sei eine Schäre. Doch Leif sah besser als sie und erkannte, dass Menschen auf der Schäre waren.
»Jetzt will ich, dass wir gegen den Wind kreuzen«, sagt Leif, »damit wir sie erreichen. Falls diese Männer in Not sind, müssen wir versuchen, ihnen zu helfen. Wenn sie uns jedoch feindlich gesinnt sind, haben wir alle Vorteile auf unserer Seite, was sie von sich nicht sagen können.«
Sie fuhren an die Schäre heran, holten das Segel ein, warfen Anker und ließen ein weiteres kleines Boot, das sie bei sich hatten, zu Wasser.
Dann fragte Tyrkir, wer der Anführer der Gruppe sei.
Ein Mann antwortete, er heiße Þórir und stamme aus Norwegen: »Und wie ist dein Name?«
Leif nennt seinen Namen.
»Bist du der Sohn Eiríks des Roten aus Brattahlíð?«, fragt er.
Leif bejahte. »Nun will ich«, sagt er, »dass ihr alle auf mein Schiff kommt und eure Habe mitbringt, so weit das Schiff sie aufnehmen kann.«
Die Leute nahmen das Angebot an, und sie fuhren mit der gesamten Fracht zum Eiríksfjord nach Brattahlíð, wo sie das Schiff entluden. Dann bot Leif Þórir, dessen Frau Guðríð und drei weiteren Männern an, bei ihm zu bleiben. Den anderen Männern aus seiner und Þórirs Mannschaft verschaffte er anderswo Quartier. Leif hatte fünfzehn Mann von der Schäre gerettet. Fortan wurde er Leif der Glückliche genannt. Leif war nun sehr wohlhabend und genoss großen Respekt.
In diesem Winter brach unter Þórirs Leuten eine schwere Krankheit aus, und Þórir und ein Großteil seiner Mannschaft starben. Im selben Winter starb auch Eirík der Rote.