Die Vorgeschichte zur Hexer-Saga - Andrzej Sapkowski - E-Book

Die Vorgeschichte zur Hexer-Saga E-Book

Andrzej Sapkowski

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Beschreibung

Das Schwert der Vorsehung: »Was soll man von dir halten - ein Hexer, der jeden zweiten Tag ein einträgliches Angebot ausschlägt? Die Hirikka tötest du nicht, weil die am Aussterben sind, den Streitling nicht, weil er unschädlich ist, die Nächtin nicht, weil sie nett ist, den Drachen nicht, weil's der Kodex verbietet ...« Der Hexer Geralt von Riva verdient seinen Lebensunterhalt recht und schlecht mit dem Beseitigen von allerlei Ungeheuern. Nicht selten begegnen ihm die Leute, die ihn anheuern, mit tiefem Argwohn. Doch damit kann er leben. Obwohl es sein Ehrenkodex eigentlich verbietet, schließt er sich einer Gruppe von Drachenjägern an - denn die Zauberin Yennefer, seine verlorengeglaubte Geliebte, ist unter ihnen. Aber die Interessen der Jäger sind zu unterschiedlich: Es beginnt ein Kampf jeder gegen jeden. Und ganz allmählich wird eine Bedrohung der festgefügten Ordnung spürbar … Der letzte Wunsch: Der Hexer Geralt von Riva verdient sein Geld mit Kämpfen gegen Ungeheuer aller Art. Über einen Mangel an Aufträgen kann er sich nicht beklagen, denn es gibt genügend Leute, die dringend Hilfe gegen Vampire, Drachen und andere dämonische Wesen brauchen. Als Geralt eines Tages einen Luftgeist befreit, schlägt ihn dieser mit der verhängnisvollen und quälenden Liebe zu der schönen Zauberin Yennefer. Und dann wird Geralts bester Freund schwer verletzt und braucht seine Hilfe... Zeit des Sturms: Das Königreich Kerack wird von Kämpfen um den Thron erschüttert. Auf der Suche nach Arbeit reist der Hexer Geralt von Riva dorthin und wird kurz nach seiner Ankunft verhaftet. Die Zauberin Koralle will ihn so zwingen, den Auftrag einer Gruppe von Zauberern anzunehmen. Er soll einen Dämon finden, der in Menschengestalt blutige Massaker verübt. Mit Unterstützung des Barden Rittersporn wieder frei, beginnt Geralt eine erotische Affaire mit Koralle und nimmt den Auftrag an. Es stellt sich heraus, dass einer der Zauberer die Dämonengeschichte erfunden und selbst die Morde begangen hat, um sich Geralts zu bemächtigen, an dessen außergewöhnlichen Augen er ein obskures Interesse hat ... "

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Über das Buch

Der letzte Wunsch

Der Hexer Geralt von Riva verdient sein Geld mit Kämpfen gegen Ungeheuer aller Art. Über einen Mangel an Aufträgen kann er sich nicht beklagen, denn es gibt genügend Leute, die dringend Hilfe gegen Vampire, Drachen und andere dämonische Wesen brauchen. Als Geralt eines Tages einen Luftgeist befreit, schlägt ihn dieser mit der verhängnisvollen und quälenden Liebe zu der schönen Zauberin Yennefer.

 

Zeit des Sturms

Das Königreich Kerack wird von Thronstreitigkeiten erschüttert. Den Hexer Geralt von Riva hat es auf der Suche nach Arbeit dorthin verschlagen. Kurz nach seiner Ankunft wird er verhaftet. Die Zauberin Koralle will ihn so zwingen, für eine Gruppe von Zauberern aktiv zu werden. Er soll einen Dämon finden, der in Menschengestalt blutige Massaker verübt. Mit Hilfe seines Freundes, des Troubadours Rittersporn, kommt Geralt wieder frei. Betört von der magischen Schönheit Koralles, nimmt er den Auftrag an und beginnt den nahezu aussichtslosen Kampf gegen das Ungeheuer.

 

Das Schwert der Vorsehung

Obwohl es sein Ehrenkodex als Hexer eigentlich verbietet, schließt sich Geralt von Riva einer Gruppe von Drachenjägern an - denn die Zauberin Yennefer, seine verlorengeglaubte Geliebte, ist unter ihnen. Doch unter den Drachenjägern beginnt ein Kampf jeder gegen jeden. Und ganz allmählich wird eine Bedrohung der festgefügten Ordnung spürbar.

Andrzej Sapkowski

Die Vorgeschichte zur Hexer-Saga(3in1-Bundle)

Der letzte WunschZeit des SturmsDas Schwert der Vorsehung

Roman

Deutsch vonErik Simon

Der letzte Wunsch

Der letzte Wunsch

RomanVorgeschichte 1 zur Hexer-Saga

DIE STIMME DER VERNUNFT 1

Es ging auf den Morgen zu, als sie zu ihm kam.

Sie trat sehr vorsichtig ins Zimmer, leise, mit lautlosen Schritten, schwebte durchs Zimmer wie ein Gespenst, wie eine Erscheinung. Und den einzigen Laut, der ihre Bewegung begleitete, erzeugte der Umhang, der sich an der nackten Haut rieb. Doch gerade dieses winzige, kaum hörbare Rascheln war es, das den Hexer weckte oder vielleicht auch nur aus dem Halbschlaf riss, in dem er sich monoton wiegte wie in einer bodenlosen Tiefe, in der Schwebe zwischen dem Grunde und der Oberfläche einer ruhigen See, inmitten sacht wogender Stränge von Tang.

Er bewegte sich nicht, zuckte nicht einmal. Das Mädchen flatterte näher heran, warf den Umhang ab und stellte langsam, zögernd das gekrümmte Knie auf den Rand des Bettes. Er betrachtete sie zwischen gesenkten Wimpern hindurch und verriet noch immer nicht, dass er nicht schlief. Das Mädchen legte sich vorsichtig auf das Lager, auf ihn, und umschlang ihn mit den Schenkeln. Auf die ausgestreckten Arme gestützt, strich sie ihm mit den nach Kamille duftenden Haaren übers Gesicht. Entschlossen und anscheinend ungeduldig beugte sie sich herab, berührte mit der Spitze einer Brust seine Lider, die Wangen, die Lippen. Er lächelte und fasste sie um die Schultern, mit einer sehr langsamen Bewegung, vorsichtig, behutsam. Sie streckte sich und wich seinen Fingern aus, strahlend, erleuchtet, von ihrem eigenen Lichtschein in der nebligen Helle der Morgendämmerung verschwommen. Er bewegte sich, doch mit dem festen Druck beider Handflächen verwehrte sie ihm, seine Stellung zu verändern, und forderte mit leichten, doch entschiedenen Bewegungen der Hüften eine Antwort.

Er antwortete. Nun wich sie nicht mehr vor seinen Händen zurück, sie warf den Kopf und die Haare nach hinten. Ihre Haut war kühl und erstaunlich glatt. Die Augen, die er sah, als sie ihr Gesicht seinem näherte, waren groß und dunkel wie die Augen einer Nixe.

Hin und her gewiegt, versank er im Meer von Kamille, das zu wogen und zu rauschen begann, ruhelos geworden.

DER HEXER

I

Später hieß es, der Mann sei aus dem Norden vom Seilertor her gekommen. Er ging zu Fuß und führte das aufgezäumte Pferd am Zügel. Es war spät am Nachmittag, und die Buden der Seiler und Riemenschneider waren schon geschlossen, die Gasse leer. Es war warm, der Mann aber hatte sich einen schwarzen Mantel über die Schultern geworfen. Er erregte Aufmerksamkeit.

Vor dem Gasthaus »Zum Alten Narakort« hielt er inne, blieb eine Weile stehen und lauschte dem Stimmengewirr. Wie um diese Zeit üblich, war das Gasthaus voller Leute.

Der Unbekannte ging nicht in den »Alten Narakort«. Er zog das Pferd weiter, die Gasse hinab. Dort befand sich eine andere, kleinere Schenke, sie hieß »Zum Fuchs«. Darin war es leer. Die Schenke hatte nicht den besten Ruf.

Der Wirt reckte den Kopf hinter einem Fass mit sauren Gurken hervor und musterte den Gast. Der Fremde, noch immer im Mantel, stand steif am Schanktisch, ohne eine Bewegung, und schwieg.

»Was soll’s sein?«

»Bier«, sagte der Unbekannte. Er hatte eine unangenehme Stimme.

Der Wirt wischte sich die Hände an der Leinenschürze ab und füllte einen abgenutzten Tonkrug.

Der Unbekannte war nicht alt, doch er hatte fast ganz weiße Haare. Unter dem Mantel trug er ein abgewetztes Lederwams, das am Hals und über den Achseln zugebunden war. Als er den Mantel auszog, bemerkten alle, dass er an einem über die Schulter laufenden Gurt ein Schwert trug. Daran war nichts Besonderes, in Wyzima ging fast jedermann bewaffnet, doch niemand trug das Schwert auf dem Rücken wie einen Bogen oder einen Köcher.

Der Unbekannte setzte sich nicht an den Tisch zu den wenigen Gästen, er blieb am Schanktisch stehen und betrachtete den Wirt durchdringend. Er griff nach dem Krug.

»Ich suche ein Nachtlager.«

»Nichts frei«, knurrte der Wirt, den Blick auf die Stiefel des Gastes gerichtet, die staubig und schmutzig waren. »Versucht’s im ›Alten Narakort‹.«

»Mir wäre es hier lieber.«

»Nichts frei.« Der Wirt hatte endlich den Akzent des Fremden erkannt. Es war ein Rivier.

»Ich bezahle«, sagte der Unbekannte leise, als sei er unsicher.

Und da begann die ganze hässliche Sache. Ein pockennarbiger, grobschlächtiger Kerl, der den Fremden seit seiner Ankunft finster gemustert hatte, stand auf und kam zum Schanktisch. Seine beiden Kumpane folgten ihm im Abstand von höchstens zwei Schritt.

»Es ist nichts frei, Halunke, du rivischer Strolch«, knurrte der Pockennarbige und trat dicht an den Unbekannten heran. »Solche wie dich brauchen wir hier in Wyzima nicht. Das ist eine anständige Stadt!«

Der Unbekannte nahm seinen Krug und wich zurück. Er schaute zum Wirt hin, doch der wich seinem Blick aus. Es fiel ihm nicht ein, den Rivier zu verteidigen. Und überhaupt, wer konnte schon einen Rivier leiden?

»Jeder Rivier ist ein Verbrecher«, redete der Pockennarbige weiter und dünstete Bier, Knoblauch und Wut aus. »Hörst du, was ich sage, du Gauner?«

»Er hört’s nicht. Hat Dreck in den Ohren«, sagte einer von den beiden anderen, und der Zweite lachte böse auf.

»Bezahl und pack dich!«, knurrte der Narbige.

Erst jetzt sah ihn der Unbekannte an.

»Ich werde erst noch mein Bier austrinken.«

»Wir helfen dir«, zischte der Grobschlächtige. Er schlug dem Rivier den Krug aus der Hand, packte ihn gleichzeitig an der Schulter und krallte die Finger um den schräg über die Brust des Fremden laufenden Gurt. Einer von den beiden hinter ihnen holte mit der Faust aus. Der Fremde wich zur Seite und brachte den Pockennarbigen aus dem Gleichgewicht. Das Schwert fuhr zischend aus der Scheide und blitzte kurz im Lichte der Öllampen auf. Einen Augenblick lang herrschte Durcheinander. Ein Schrei. Jemand von den übrigen Gästen stürzte zum Ausgang. Krachend fiel ein Stuhl um, mit dumpfem Poltern stürzte Tongeschirr zu Boden. Der Wirt – seine Lippen bebten – blickte auf das schrecklich gespaltene Gesicht des Pockennarbigen, der, die Finger in den Rand des Schanktisches gekrallt, hinabsank, aus dem Blick entschwand, als ginge er unter. Die beiden anderen lagen am Boden, der eine reglos, der Zweite wand sich und zuckte in einer rasch zunehmenden dunklen Lache. In der Luft zitterte in die Ohren schneidend der dünne, hysterische Schrei einer Frau. Der Wirt zuckte zusammen, schnappte nach Luft und begann sich zu übergeben.

Der Unbekannte zog sich zur Wand zurück. Zusammengekrümmt, angespannt, wachsam. Das Schwert hielt er mit beiden Händen und ließ die Spitze in der Luft kreisen. Niemand regte sich. Wie kalter Morast hatte sich das Grauen über die Gesichter gelegt, die Glieder gefesselt, die Kehlen verstopft.

Die Wachen stürmten mit Getöse und Geklirr in die Schenke, sie waren zu dritt. Sie mussten in der Nähe gewesen sein. Sie hielten die mit Riemen umwundenen Knüppel bereit, doch beim Anblick der Leichen griffen sie sofort zu den Schwertern. Der Rivier presste den Rücken gegen die Wand und holte mit der Linken ein Stilett aus dem Stiefelschaft.

»Weg damit!«, brüllte einer der Wächter mit vor Erregung bebender Stimme. »Weg damit, du Mörder! Du kommst mit!«

Ein anderer Wächter warf den Tisch um, der ihn daran hinderte, sich dem Rivier von der Seite zu nähern. »Hol mehr Leute, Treska!«, rief er dem Dritten zu, der sich in der Nähe der Tür hielt.

»Nicht nötig«, sagte der Unbekannte und senkte das Schwert. »Ich komme von selbst mit.«

»Du kommst mit, Hundesohn, aber mit einem Strick um den Hals!«, platzte der Aufgeregte heraus. »Lass das Schwert fallen, sonst hau ich dir den Schädel ein!«

Der Rivier richtete sich auf. Rasch klemmte er das Schwert unter die linke Achsel, mit der Rechten aber, die er den Wachen entgegenstreckte, zeichnete er schnell ein kompliziertes Zeichen in die Luft. Die Nieten blitzten auf, mit denen die bis an die Ellenbogen reichenden Ärmelaufschläge des ledernen Wamses dicht besetzt waren.

Die Wächter zogen sich augenblicklich zurück und hielten die Arme vors Gesicht. Einer von den Gästen sprang auf, ein anderer huschte wieder zur Tür. Die Frau begann erneut zu schreien, wild und furchterregend.

»Ich komme von selbst mit«, wiederholte der Unbekannte mit tönender, metallischer Stimme. »Aber ihr geht voran. Ihr führt mich zum Stadtvogt. Ich kenne den Weg nicht.«

»Ja, Herr«, murmelte ein Wächter mit gesenktem Kopf.

Er eilte zur Tür und blickte sich unsicher um. Die beiden anderen folgten ihm hastig. Der Unbekannte ging ihnen nach und steckte dabei das Schwert in die Scheide, das Stilett in den Stiefelschaft. Als sie an den Tischen vorbeikamen, verbargen die Gäste die Gesichter hinter den Tonkrügen.

II

Velerad, der Stadtvogt von Wyzima, kratzte sich am Kinn und überlegte. Er war weder hochnäsig noch furchtsam, doch ihm behagte der Gedanke nicht, mit dem Weißhaarigen allein zu bleiben. Schließlich fasste er einen Entschluss.

»Geht raus«, befahl er den Wachen. »Und du setz dich. Nein, nicht hier. Dort drüben, wenn’s recht ist.«

Der Unbekannte setzte sich. Er hatte sowohl das Schwert als auch den schwarzen Mantel abgelegt.

»Ich höre«, sagte Velerad und spielte dabei mit einem schweren Streitkolben, der auf dem Tisch lag. »Ich bin Velerad, der Stadtvogt von Wyzima. Was hast du mir zu sagen, Herr Räuber, ehe du ins Verlies wanderst? Drei Erschlagene, der Versuch, die öffentliche Ordnung zu verletzten, nicht übel, gar nicht übel. Für so was wird man bei uns in Wyzima gepfählt. Aber ich bin ein gerechter Mann, ich höre dich vorher an. Sprich.«

Der Rivier schnürte sein Wams auf und holte eine Rolle weißen Ziegenleders daraus hervor.

»Das schlagt ihr an den Kreuzwegen, in den Schenken an«, sagte er leise. »Ist es wahr, was da steht?«

»Ah«, murmelte Velerad und sah sich die aufs Leder gemalten Runen an. »So ist das also. Dass ich nicht gleich draufgekommen bin. Ja, es ist wahr, die reinste Wahrheit. Mit Unterschrift. Foltest, König, Herr über Temerien, Pontar und Mahakam. Also stimmt es. Aber Bekanntmachung hin und her, Recht bleibt Recht. Ich wache hier in Wyzima über Recht und Ordnung! Ich erlaube keinem, Menschen umzubringen! Hast du kapiert?«

Der Rivier senkte den Kopf, zum Zeichen, dass er verstanden hatte.

Velerad schnaufte wütend: »Ein Hexerzeichen hast du?«

Abermals griff der Unbekannte in sein Wams und zog ein rundes Medaillon an einer silbernen Kette hervor. Auf dem Medaillon war ein Wolfskopf mit gebleckten Fangzähnen dargestellt.

»Hast du vielleicht einen Namen? Es kann irgendeiner sein, ich frage nicht aus Neugier, sondern nur, um das Gespräch zu erleichtern.«

»Ich heiße Geralt.«

»Meinetwegen Geralt. Aus Rivien, wie ich aus der Aussprache schließe?«

»Aus Rivien.«

»So. Weißt du was, Geralt? Von dem« – Velerad schlug mit der Hand auf die offen daliegende Bekanntmachung –, »von dem lass die Finger. Das ist eine ernste Sache. Das, Bruderherz, ist was anderes, als ein paar Galgenstricke zu erledigen.«

»Ich weiß. Es ist mein Beruf, Stadtvogt. Da steht geschrieben: Dreitausend Orons Belohnung.«

»Dreitausend.« Velerad verzog den Mund. »Und die Prinzessin zur Frau, wie die Leute reden, obwohl der gnädige Herr Foltest davon nichts geschrieben hat.«

»An der Prinzessin bin ich nicht interessiert«, sagte Geralt gelassen. Er saß reglos da, die Hände auf den Knien. »Da steht dreitausend.«

»Was für Zeiten!«, seufzte der Stadtvogt. »Was für lausige Zeiten! Noch vor zwanzig Jahren, wem wäre es da auch nur im Suff eingefallen, dass es solche Berufe geben würde? Hexer! Fahrende Basiliskentöter! Von Haus zu Haus ziehende Vertilger von Drachen und Wassermännern! Geralt? Darf man in deinem Beruf Bier trinken?«

»Gewiss.«

Velerad klatschte in die Hände. »Bier!«, rief er. »Und du, Geralt, rück näher ran. Was soll ich so weit reden.«

Das Bier war kalt und schäumte.

»Lausige Zeiten sind angebrochen«, setzte Velerad seinen Monolog fort, während er nach dem Krug griff. »Alles mögliche Ungeziefer hat sich vermehrt. In Mahakam, in den Bergen, wimmelt es vor Murmelmenschen. In den Wäldern haben früher höchstens die Wölfe geheult, heute aber – Vampire, Waldteufel, auf Schritt und Tritt ein Werwolf oder sonst ein Viehzeug. In den Dörfern stehlen Nixen und Banshees die Kinder, das geht schon in die Hunderte. Krankheiten, von denen nie jemand gehört hat, die Haare sträuben sich einem. Und zu guter Letzt noch das!« Er schlug auf das Stück Leder auf der Tischplatte. »Kein Wunder, Geralt, dass eure Dienste so gefragt sind.«

»Die königliche Bekanntmachung, Stadtvogt.« Geralt hob den Kopf. »Kennt Ihr Einzelheiten?«

Velerad lehnte sich im Sessel zurück und faltete die Hände vor dem Bauch. »Einzelheiten, sagst du? Kenne ich. Nicht gerade aus erster Hand, aber aus guten Quellen.«

»Genau darum geht es mir.«

»Du hast es dir in den Kopf gesetzt. Wie du willst. Hör zu.« Velerad trank einen Schluck Bier und senkte die Stimme. »Unser gnädiger Herr Foltest hat uns schon als Prinz, zur Zeit des alten Medell, gezeigt, was er kann, und er konnte eine Menge. Wir dachten, dass sich das mit der Zeit geben würde. Stattdessen hat sich Foltest kurz nach seiner Krönung, sofort nach dem Tode des alten Königs, selbst übertroffen. Wir waren alle baff. Kurz und gut, er hat seiner eigenen Schwester Adda ein Kind gemacht. Adda war jünger als er, sie waren immer zusammen, aber niemand hatte einen Argwohn, nun ja, vielleicht die Königin … Kurzum, ehe wir’s uns versehen, hat Adda so einen Bauch, und Foltest beginnt von Heirat zu reden. Mit seiner Schwester, wohlgemerkt. Die Lage war verteufelt angespannt, denn ausgerechnet da kam Wisimir von Nowigrad auf den Gedanken, Foltest seine Dalka zur Frau zu geben. Er schickte eine Gesandtschaft, und wir mussten uns dem König an Hände und Füße hängen, damit er nicht losrannte und die Gesandten beschimpfte. Es gelang uns; nur gut, denn wenn Wisimir gekränkt worden wäre, hätte er uns die Eingeweide rausgerissen. Danach gelang es – nicht ohne die Hilfe Addas, die ihren Bruder beeinflusste –, dem jungen Burschen eine rasche Heirat auszureden. Na, und dann hat Adda entbunden, zur rechten Zeit, aber wie. Und nun hör zu, denn jetzt geht’s los. Was da geboren wurde, haben nicht viele zu Gesicht bekommen, aber eine Hebamme hat sich durchs Fenster aus dem Turm zu Tode gestürzt, und die andere ist wahnsinnig geworden und es bis heute geblieben. Ich denke daher, dass der Bankert nicht besonders hübsch war. Es war ein Mädchen. Es ist übrigens sofort gestorben, außerdem hat sich wahrscheinlich niemand beeilt, den Nabel abzubinden. Zu ihrem Glück überlebte Adda die Geburt nicht. Und dann, Bruder, hat sich Foltest abermals zum Narren gemacht. Den Bankert hätte man verbrennen oder, was weiß ich, irgendwo in der Einöde begraben müssen, statt ihn in einem Sarkophag in den Gewölben des Schlosses zu bestatten.«

»Jetzt ist es zu spät, darüber zu disputieren.« Geralt hob den Kopf. »Man hätte jedenfalls einen von den Wissenden rufen müssen.«

»Meinst du diese Bauernfänger mit den Sternen an den Hüten? Ja doch, die sind zu Dutzenden herbeigeströmt, aber erst danach, als sich herausstellte, was da im Sarkophag lag. Und was nachts draus hervorkriecht. Aber damit hat es nicht gleich begonnen, oh nein. Sieben Jahre lang nach dem Begräbnis war Ruhe. Doch dann eines Nachts, es war Vollmond, Getöse im Schloss, ein Schrei, Durcheinander! Was soll ich groß sagen, du kennst dich da aus, die Bekanntmachung hast du auch gelesen. Der Säugling war im Sarge gewachsen, und das tüchtig, und hatte auch ordentlich Zähne bekommen. Mit einem Wort, eine Striege. Schade, dass du die Leichen nicht gesehen hast. Wie ich. Dann würdest du bestimmt einen großen Bogen um Wyzima machen.«

Geralt schwieg.

»Damals«, fuhr Velerad fort, »holte Foltest, wie gesagt, einen ganzen Haufen Zauberer heran. Einer überschrie den anderen, beinahe hätten sie sich mit diesen Stäben geprügelt, die sie so bei sich haben, sicherlich, um die Hunde abzuwehren, wenn man die auf sie hetzt. Und ich denke, das kommt regelmäßig vor. Entschuldige, Geralt, wenn du eine andere Meinung von den Zauberern hast – in deinem Beruf hast du die gewiss. Aber für mich sind das Schmarotzer und Dummköpfe. Ihr Hexer findet bei den Leuten mehr Achtung. Ihr seid wenigstens, wie soll ich sagen, konkret.«

Geralt lächelte, erwiderte aber nichts.

»Also zur Sache.« Der Vogt blickte auf den Krug und schenkte sich und dem Rivier Bier nach. »Manche Ratschläge der Zauberer erwiesen sich als gar nicht so dumm. Einer schlug vor, die Striege mitsamt dem Schloss und dem Sarkophag zu verbrennen, ein anderer riet, ihr mit einem Stemmeisen die Stirn abzuhauen, die Übrigen zogen es vor, ihr Pflöcke aus Espenholz in verschiedene Körperteile zu schlagen, natürlich tagsüber, wenn die Teuflin von den nächtlichen Vergnügungen ermattet im Sarge schläft. Leider fand sich einer, ein Narr mit einem spitzen Hut auf dem kahlen Kopfe, so ein buckliger Eremit, der sich ausdachte, es handle sich um einen Zauber, der sich beheben lasse, und dass aus der Striege wieder Foltests Töchterchen werden könnte, bildhübsch. Man brauche nur eine ganze Nacht lang in der Krypta auszuharren, und das wär’s dann schon. Worauf er, stell dir vor, Geralt, was das für ein Dämlack war, nachts ins Schloss ging. Wie man sich denken kann, blieb von ihm nicht viel übrig, gerade mal Hut und Knotenstock. Aber Foltest klammerte sich an diese Idee wie ’ne Klette an den Hundeschwanz. Er verbot alle Versuche, die Striege zu töten, und holte aus allen möglichen Winkeln des Landes Scharlatane nach Wyzima, damit sie die Striege in eine Prinzessin zurückverwandelten. Das war erst eine malerische Gesellschaft! Irgendwelche verrückten Weiber, seltsame Hinkefüße, hässlich, Bruder, und verlaust, dass es einen jammerte. Und munter drauflosgezaubert, größtenteils am gedeckten Tisch. Gewiss, manche haben Foltest oder der Rat schnell entlarvt, ein paar wurden sogar gepfählt, aber zu wenig, zu wenig. Ich hätte sie allesamt aufgehängt. Dass die Striege unterdessen alle naslang jemanden auffraß, ohne sich um die Schwindler und ihre Zaubersprüche zu kümmern, brauche ich wohl nicht erst zu sagen. Auch nicht, dass Foltest nicht mehr im Schloss wohnte. Niemand wohnte mehr dort.«

Velerad hielt inne, trank einen Schluck Bier. Der Hexer schwieg.

»Und so, Geralt, geht das nun schon seit sechs Jahren, denn das Ding ist vor etwa vierzehn Jahren geboren worden. Wir hatten zu jener Zeit ein paar andere Sorgen, denn wir haben uns mit Wisimir von Nowigrad geschlagen, aber aus anständigen, verständlichen Gründen, es ging uns um eine Versetzung der Grenzpfähle, und das ist was anderes als irgendwelche Töchter oder dynastische Ehen. Foltest fängt übrigens schon an, sich um eine Heirat zu kümmern, und sieht sich die von den Nachbarhöfen geschickten Porträts an, die er früher in den Abort zu werfen pflegte. Tja, aber von Zeit zu Zeit überkommt es ihn wieder, und er schickt reitende Boten los, damit sie neue Zauberer suchen. Und eine Belohnung hat er auch ausgesetzt, dreitausend, woraufhin sich ein paar Wirrköpfe eingefunden haben, fahrende Ritter, sogar ein Hirt, ein in der ganzen Gegend bekannter Kretin, er möge in Frieden ruhen. Der Striege aber geht’s gut. Außer dass sie ab und zu jemanden auffrisst. Man kann sich dran gewöhnen. Und die Helden, die sie zu entzaubern versuchen, haben wenigstens den einen Nutzen, dass sich die Bestie an Ort und Stelle satt frisst und nicht außerhalb des Schlosses umherstreift. Was Foltest angeht, der hat ein neues Schloss, ganz hübsch.«

»Sechs Jahre lang« – Geralt hob den Kopf –, »sechs Jahre lang hat niemand die Sache erledigt?«

»Stimmt.« Velerad sah den Hexer durchdringend an. »Denn gewisse Sachen lassen sich nicht erledigen, und man muss sich damit abfinden. Ich rede von Foltest, unserem gnädigen und geliebten Herrscher, der diese Bekanntmachungen immer noch an den Kreuzwegen anschlagen lässt. Nur dass die Freiwilligen viel weniger geworden sind. Kürzlich gab es allerdings einen, aber der wollte die dreitausend unbedingt im Voraus haben. Also haben wir ihn in einen Sack gesteckt und in den See geworfen.«

»Schwindler gibt es immer.«

»In der Tat. Sogar zu viele davon«, stimmte ihm der Stadtvogt zu, ohne den Blick von dem Hexer zu wenden. »Wenn du also ins Schloss gehst, verlange kein Gold im Voraus. Wenn du überhaupt hingehst.«

»Ich gehe.«

»Gut, das ist deine Sache. Aber denk an meinen Rat. Wenn die Sprache schon auf die Belohnung kommt, da ist neuerdings auch von dem anderen Teil die Rede, wie gesagt. Die Prinzessin zur Frau. Ich weiß nicht, wer sich das ausgedacht hat, aber wenn die Striege so aussieht, wie es heißt, dann ist das ein verdammt trauriger Witz. Trotzdem haben sich Dummköpfe gefunden, die in vollem Galopp zum Schloss geprescht sind, kaum dass bekannt wurde, da sei eine Gelegenheit, in die königliche Familie einzuheiraten. Genauer gesagt, es waren zwei Schustergesellen. Warum sind Schuster derart dumm, Geralt?«

»Ich weiß nicht. Und was ist mit Hexern, Stadtvogt? Hat es einer versucht?«

»Es waren ein paar da, aber nun ja. Als sie hörten, dass die Striege nicht getötet, sondern entzaubert werden soll, haben sie meistens mit den Schultern gezuckt und sind weggeritten. Darum ist auch mein Respekt vor den Hexern wesentlich gewachsen, Geralt. Ja, und dann kam einer, der war jünger als du, an den Namen erinnere ich mich nicht, falls er ihn überhaupt genannt hat. Der hat es versucht.«

»Und?«

»Die Prinzessin mit den großen Zähnen hat seine Gedärme über eine riesige Entfernung verstreut. Einen halben Pfeilschuss weit.«

Geralt nickte. »Das waren alle?«

»Da war noch einer.«

Velerad schwieg eine Weile. Der Hexer drängte ihn nicht.

»Also«, sagte der Stadtvogt schließlich. »Da war noch einer. Zuerst, als ihm Foltest mit dem Pfahl drohte, wenn er die Striege umbringt oder zum Krüppel macht, lachte er nur und begann seine Sachen zu packen. Aber dann …«

Velerad senkte abermals die Stimme, fast bis zum Flüstern, und beugte sich über den Tisch.

»Dann hat er den Auftrag angenommen. Siehst du, Geralt, es gibt hier in Wyzima ein paar vernünftige Leute, sogar in hoher Stellung, denen diese ganze Sache zum Halse raushängt. Es geht das Gerücht, dass diese Leute den Hexer im Stillen beredet haben, dass er sich nicht mit irgendwelchem Brimborium oder Zaubereien abgibt, sondern die Striege erledigt und dem König sagt, der Zauber habe nicht gewirkt, das Töchterchen sei von der Treppe gefallen, kurzum, es sei ein Betriebsunfall passiert. Der König würde natürlich wütend werden, aber es würde darauf hinauslaufen, dass er keinen einzigen Oron Belohnung zahlt. Also meint mein Hexer, dass wir ohne Bezahlung selber gegen die Striege ziehen könnten. Nun ja, was sollten wir machen … Wir haben zusammengelegt, gehandelt … Bloß dass nichts dabei herausgekommen ist.«

Geralt hob die Brauen.

»Nichts, sag ich«, erklärte Velerad. »Der Hexer wollte nicht gleich in der ersten Nacht losgehen. Er schleicht herum, hält Ausschau, durchstreift die Gegend. Schließlich, heißt es, hat er die Striege gesehen, sicherlich in Aktion, denn sie kommt nicht aus der Krypta, bloß um sich die Füße zu vertreten. Er hat sie also gesehen und sich in derselben Nacht davongemacht. Ohne sich zu verabschieden.«

Geralt verzog leicht die Wangen – zu etwas, was wohl ein Lächeln sein sollte.

»Die vernünftigen Leute«, sagte er, »haben dieses Geld sicherlich noch? Hexer nehmen keinen Vorschuss.«

»Hm«, erwiderte Velerad, »sicherlich haben sie’s noch.«

»Weiß das Gerücht nicht, wie viel es ist?«

Velerad bleckte die Zähne. »Die einen sagen: achthundert …«

Geralt wiegte den Kopf.

»Andere«, murmelte der Stadtvogt, »reden von tausend.«

»Nicht viel, wenn man bedenkt, dass das Gerücht immer übertreibt. Immerhin gibt der König dreitausend.«

»Vergiss die Braut nicht«, spottete Velerad. »Wovon reden wir eigentlich? Es ist doch klar, dass du diese dreitausend nicht kriegst.«

»Wieso soll das klar sein?«

Velerad schlug mit der Hand auf die Tischplatte. »Geralt, verdirb mir meine Vorstellung von den Hexern nicht! Das dauert jetzt schon über sechs Jahre! Die Striege erledigt pro Jahr an die fünfzig Leute, jetzt weniger, weil sich alle vom Schloss fernhalten. Nein, Bruder, ich glaube an Zauberei, hab’s mehr als einmal gesehen, und natürlich glaube ich bis zu einem gewissen Grade an die Fähigkeiten von Magiern und Hexern. Aber das mit der Entzauberung ist Unsinn, den sich ein buckliger und rotznasiger Opa ausgedacht hat, dem das Einsiedlerleben den Verstand geraubt hat, Unsinn, an den niemand glaubt. Außer Foltest. Nein, Geralt! Adda hatte eine Striege zur Welt gebracht, weil sie mit dem eigenen Bruder schlief, das ist die Wahrheit, und da hilft kein Zauber. Die Striege frisst Menschen, wie’s eine Striege eben tut, und man muss sie schlicht und einfach töten. Hör mal, vor zwei Jahren sind die Bauern von irgendeinem gottverlassenen Nest bei Mahakam, denen ein Drache die Schafe weggefressen hat, gemeinsam losgezogen, haben ihn mit Balken erschlagen und es nicht einmal für zweckmäßig befunden, sich dessen besonders zu rühmen. Und wir hier in Wyzima warten auf ein Wunder und verriegeln bei jedem Vollmond die Türen oder binden Verbrecher vor den Schlossgebäuden an einen Pfahl, in der Hoffnung, dass sich die Bestie satt frisst und in den Sarg zurückkehrt.«

»Keine üble Methode«, sagte der Hexer lächelnd. »Ist die Zahl der Verbrechen zurückgegangen?«

»Kein bisschen.«

»Wo geht’s zum Schloss, zu dem neuen?«

»Ich begleite dich persönlich. Was wird aus dem Vorschlag der vernünftigen Leute?«

»Stadtvogt«, sagte Geralt. »Wozu die Eile? Es kann ja wirklich zu einem Arbeitsunfall kommen, unabhängig davon, ob ich es will. Dann müssen sich die vernünftigen Leute überlegen, wie sie mich vor dem Zorn des Königs bewahren, und die tausendfünfhundert Oron bereithalten, von denen gerüchteweise die Rede ist.«

»Es sollten tausend sein.«

»Nein, Herr Velerad«, sagte der Hexer entschieden. »Der, dem Ihr tausend geben wolltet, ist beim bloßen Anblick der Striege davongelaufen, er hat nicht einmal gefeilscht. Also ist das Risiko für tausend zu hoch. Ob es nicht höher als anderthalbtausend ist, wird sich zeigen. Natürlich werde ich mich vorher verabschieden.«

Velerad kratzte sich am Kopf. »Geralt? Tausendzweihundert?«

»Nein, Stadtvogt. Das ist keine leichte Arbeit. Der König gibt dreitausend, und ich muss Euch sagen, dass Entzaubern manchmal leichter als Umbringen ist. Schließlich hätte irgendeiner von meinen Vorgängern die Striege getötet, wenn es so einfach wäre. Glaubt Ihr, sie haben sich auffressen lassen, nur weil sie Angst vor dem König hatten?«

»Gut, Bruder.« Velerad nickte traurig. »Die Abrede steht. Nur vor dem König kein Sterbenswörtchen von einem möglichen Betriebsunfall. Ich rate es dir aufrichtig.«

III

Foltest war feingliedrig und hatte ein schönes, ein zu schönes Gesicht. Er war noch keine vierzig, schätzte der Hexer. Er saß auf einem aus schwarzem Holz geschnitzten Lehnsessel und streckte die Füße zum Kamin hin, an dem sich zwei Hunde wärmten. Daneben saß auf einer Bank ein älterer, solide gebauter Mann mit Bart. Hinter dem König stand ein zweiter, reich gekleideter, mit stolzem Gesichtsausdruck. Ein Magnat.

»Ein Hexer aus Rivien«, sagte der König nach einem Augenblick der Stille, die nach den einführenden Worten Velerads eingetreten war.

»Ja, Herr.« Geralt neigte den Kopf.

»Wovon hast du so ein graues Haupt? Vom Zaubern? Ich sehe, dass du nicht alt bist. Gut, schon gut. Es war ein Scherz, sag nichts. Ich nehme an, du hast eine gewisse Erfahrung?«

»Ja, Herr.«

»Ich hätte gern etwas darüber gehört.«

Geralt verneigte sich noch tiefer. »Ihr wisst doch, Herr, dass es unsere Regel verbietet, von dem zu sprechen, was wir tun.«

»Eine gute Regel, Herr Hexer, sehr gut. Aber so ohne Einzelheiten, du hattest mit Waldteufeln zu tun?«

»Ja.«

»Mit Vampiren, Waldschraten?«

»Auch.«

Foltest zögerte. »Mit Striegen?«

Geralt hob den Kopf, schaute dem König in die Augen. »Auch.«

Foltest wich seinem Blick aus. »Velerad!«

»Ich höre, gnädiger Herr.«

»Du hast ihn in die Einzelheiten eingeweiht?«

»Ja, gnädiger Herr. Er behauptet, man könne die Prinzessin entzaubern.«

»Das weiß ich schon lange. Auf welche Weise, Herr Hexer? Ach ja, die Regel. Gut. Nur eine kleine Anmerkung. Bei mir hier sind schon ein paar Hexer gewesen. Velerad, du hast es ihm gesagt? Gut. Ich weiß daher, dass eure Spezialität eher die Tötung als die Entzauberung ist. Aber das kommt nicht infrage. Wenn meiner Tochter auch nur ein Haar gekrümmt wird, ist dein Kopf fällig. So viel dazu. Ostrit und Ihr auch, Herr Segelin, bleibt hier und gebt ihm so viel Information, wie er haben will. Sie fragen immer viel, die Hexer. Gebt ihm was zu essen, und er soll im Schloss wohnen. Dass er sich nicht in den Schenken herumtreibt.«

Der König stand auf, pfiff nach den Hunden und ging zur Tür, wobei er das Stroh auseinanderschob, das den Fußboden bedeckte. An der Tür drehte er sich um.

»Ich denke, Hexer, die Belohnung gehört dir. Vielleicht leg ich noch was drauf, wenn du es gut machst. An dem Gerede von einer Heirat mit der Prinzessin ist natürlich kein wahres Wort. Du glaubst doch nicht etwa, dass ich meine Tochter dem erstbesten Dahergelaufenen gebe?«

»Nein, Herr. Das glaube ich nicht.«

»Gut. Das beweist, dass du vernünftig bist.«

Foltest ging hinaus und schloss hinter sich die Tür.

Velerad und der Magnat, die bisher gestanden hatten, setzten sich sogleich an den Tisch. Der Stadtvogt trank den halb vollen Pokal des Königs aus, warf einen Blick in den Krug und fluchte. Ostrit, der Foltests Sessel einnahm, schaute den Hexer unter gesenkten Brauen hervor an und strich dabei mit der Hand über die geschnitzte Armlehne.

Segelin, der Bärtige, nickte Geralt zu. »Setzt Euch, Herr Hexer, setzt Euch. Gleich kommt das Abendessen. Worüber möchtet Ihr Euch unterhalten? Der Stadtvogt Velerad hat Euch anscheinend schon alles gesagt. Ich kenne ihn und weiß, dass er eher zu viel als zu wenig gesagt hat.«

»Nur ein paar Fragen.«

»Stellt sie.«

»Der Stadtvogt berichtete, dass der König nach dem Auftauchen der Striege viele Wissende hat rufen lassen.«

»Ja. Aber nennt sie nicht ›die Striege‹, nennt sie ›die Prinzessin‹. Dann fällt es Euch leichter, in Anwesenheit des Königs derlei Irrtümer zu vermeiden … und das damit verbundene Ungemach.«

»Gab es unter den Wissenden jemand Bekanntes? Eine Berühmtheit?«

»Die gab es damals und auch danach. Ich erinnere mich nicht an die Namen … Und Ihr, Herr Ostrit?«

»Ich erinnere mich auch nicht«, sagte der Magnat. »Aber ich weiß, dass manche von ihnen Ruhm und Anerkennung genossen. Davon ist viel geredet worden.«

»Waren sie sich einig, dass man den Fluch lösen kann?«

»Einig waren sie sich bei weitem nicht.« Segelin lächelte. »In keiner Sache. Aber diese Behauptung ist gefallen. Es sollte einfach sein, überhaupt keine magischen Fähigkeiten erfordern, und soviel ich verstanden habe, sollte es ausreichen, wenn jemand die Nacht vom Sonnenuntergang bis zum dritten Hahnenschrei im Gewölbe verbrächte, beim Sarkophag.«

»Wirklich ganz einfach …«, prustete Velerad.

»Ich würde gern eine Beschreibung der … Prinzessin hören.«

Velerad sprang auf. »Die Prinzessin sieht aus wie eine Striege!«, platzte er heraus. »Wie die striegigste Striege, von der ich je gehört habe! Ihre königliche Hoheit, der verdammte Bankert, ist vier Fuß groß, ähnelt einem Bierfass, sie hat ein Maul von einem Ohr bis zum anderen, mit Zähnen wie Stiletten gespickt, rote Guckeln und fuchsrote Zotteln! Ich wundere mich, dass wir noch nicht angefangen haben, ihre Miniatur an die befreundeten Höfe zu verschicken! Die Prinzessin, verrecken soll sie, ist schon vierzehn Jahre alt, Zeit, dran zu denken, dass man sie irgendeinem Prinzen zur Frau gibt!«

»Zügle dich, Stadtvogt«, sagte Ostrit stirnrunzelnd und schielte zur Tür.

Segelin lächelte leise. »Die Beschreibung war zwar sehr bildhaft, aber ziemlich genau, und darum ging es Euch doch, Herr Hexer, nicht wahr? Velerad hat vergessen zu erwähnen, dass sich die Prinzessin mit unglaublicher Geschwindigkeit bewegt und viel stärker ist, als man bei ihrer Größe und Figur annehmen könnte. Aber dass sie vierzehn Jahre alt ist, stimmt. Soweit es von Bedeutung ist.«

»Ist es«, sagte der Hexer. »Kommen die Überfälle auf Menschen nur bei Vollmond vor?«

»Ja«, antwortete Segelin. »Wenn sie außerhalb des alten Schlosses angreift. Im Schloss sind die Menschen unabhängig von der Mondphase immer umgekommen. Aber sie kommt nur bei Vollmond heraus, und auch das nicht jedes Mal.«

»Hat sie wenigstens einmal bei Tage angegriffen?«

»Nein. Bei Tage nicht.«

»Sie frisst die Opfer immer auf?«

Velerad spuckte in hohem Bogen aufs Stroh. »Verdammt, Geralt, gleich gibt’s das Abendessen. Puh! Sie frisst sie auf, knabbert sie an, lässt sie liegen, ganz verschieden, sicherlich je nach Laune. Einem hat sie bloß den Kopf abgebissen, etliche hat sie ausgeweidet, und manche hat sie ganz aufgefressen, bis auf die Knochen, kann man sagen. Das Hurenkind!«

»Sieh dich vor, Velerad«, zischte Ostrit. »Über die Striege kannst du reden, was du willst, aber von Adda sollst du in meiner Gegenwart nicht schlecht sprechen, denn vorm König wagst du es auch nicht!«

»Hat es jemanden gegeben, den sie angefallen hat und der es überlebte?«, fragte der Hexer und tat so, als beachte er den Ausbruch des Magnaten nicht.

Segelin und Ostrit blickten einander an.

»Ja«, sagte der Bärtige. »Ganz zu Beginn, vor sechs Jahren, hat sie sich auf zwei Soldaten gestürzt, die bei der Krypta auf Wache standen. Einer konnte fliehen.«

»Und später«, warf Velerad ein, »der Müller, den sie vor der Stadt angefallen hat. Erinnert Ihr Euch?«

IV

Der Müller wurde am anderen Tag spätabends in die Kammer über der Wachstube gebracht, wo der Hexer einquartiert worden war. Ihn begleitete ein Soldat in einem Mantel mit Kapuze.

Die Unterredung brachte weiter keine Ergebnisse. Der Müller war bestürzt, er faselte, stotterte. Vielsagender waren für den Hexer seine Narben: Die Striege hatte ein beeindruckend breites Maul und tatsächlich scharfe Zähne, darunter sehr lange obere Eckzähne – und zwar vier, auf jeder Seite zwei. Die Krallen waren gewiss schärfer als bei einer Wildkatze, allerdings weniger gebogen. Nur darum war es dem Müller übrigens gelungen, sich loszureißen.

Nachdem er die Untersuchung beendet hatte, entließ Geralt ihn und den Soldaten mit einem Kopfnicken. Der Soldat schob den Mann zur Tür hinaus und schlug die Kapuze zurück. Es war Foltest höchstpersönlich.

»Bleib sitzen, steh nicht auf«, sagte der König. »Ich bin inoffiziell hier. Bist du mit der Befragung zufrieden? Ich hörte, dass du heute Vormittag im alten Schloss warst.«

»Ja, Herr.«

»Wann gehst du an die Arbeit?«

»In vier Tagen ist Vollmond. Nach dem Vollmond.«

»Du willst sie dir vorher selbst ansehen?«

»Das ist nicht nötig. Aber wenn die … Prinzessin … satt ist, wird sie nicht so beweglich sein.«

»Die Striege, Meister, die Striege. Wir wollen uns nicht mit Diplomatie aufhalten. Zur Prinzessin wird sie erst noch. Deswegen bin ich übrigens gekommen. Sag mir, inoffiziell, kurz und klar: Wird sie’s oder wird sie’s nicht? Aber versteck dich nicht hinter irgendwelchen Regeln.«

Geralt rieb sich die Stirn. »Ich bestätige, Herr König, dass der Zauber gelöst werden kann. Und wenn ich mich nicht irre, dann tatsächlich, indem man eine Nacht im Schloss verbringt. Der dritte Hahnenschrei löst den Bann, wenn er die Striege außerhalb des Sarkophags überrascht. So wird mit Striegen üblicherweise verfahren.«

»So einfach?«

»Es ist nicht einfach. Erstens muss man diese Nacht überleben. Es kann auch Abweichungen von der Norm geben. Zum Beispiel nicht eine Nacht, sondern drei. Hintereinander. Manche Fälle sind auch … nun ja … hoffnungslos.«

»Ja«, sagte Foltest widerwillig. »Von manchen höre ich das andauernd. Das Ungeheuer töten, denn es ist ein unheilbarer Fall. Meister, ich bin sicher, dass man schon mit dir gesprochen hat. Was? Dass du die Menschenfresserin ohne Zeremonien erledigst, gleich zu Beginn, und nachher sagst, dass es nicht anders ging. Der König zahlt nicht, wir zahlen. Eine sehr praktische Methode. Und billig. Denn der König lässt den Hexer köpfen oder aufhängen, und das Gold bleibt in der Kasse.«

»Der König wird den Hexer auf jeden Fall köpfen lassen?« Geralt verzog das Gesicht.

Foltest schaute dem Rivier lange in die Augen.

»Der König weiß es nicht«, sagte er schließlich. »Aber der Hexer muss jedenfalls mit dieser Möglichkeit rechnen.«

Nun war es Geralt, der eine Weile schwieg.

»Ich habe vor, zu tun, was ich kann« sagte er schließlich. »Aber wenn es schiefgeht, werde ich mein Leben verteidigen. Ihr, Herr, müsst auch mit dieser Möglichkeit rechnen.«

Foltest stand auf. »Du verstehst mich nicht. Darum geht es nicht. Es ist klar, dass du sie umbringst, wenn’s hart auf hart kommt, ob es mir passt oder nicht. Denn sonst bringt sie dich um, gewiss und unwiderruflich. Ich mache das nicht öffentlich, aber ich würde keinen bestrafen, der sie in Notwehr tötet. Doch ich lasse nicht zu, dass man sie ohne einen Rettungsversuch umbringt. Es ist schon versucht worden, das alte Schloss anzuzünden; sie haben mit Pfeil und Bogen auf sie geschossen, haben Fallgruben gegraben, Schlingen und Fangstricke ausgelegt, bis ich ein paar aufgehängt habe. Aber darum geht es nicht. Hör zu, Meister!«

»Ich höre.«

»Nach dem dritten Hahnenschrei wird es keine Striege mehr geben, wenn ich richtig verstanden habe. Und stattdessen?«

»Wenn alles gut geht, ein vierzehnjähriges Mädchen.«

»Mit roten Augen? Und Zähnen wie ein Krokodil?«

»Eine gewöhnliche Vierzehnjährige. Allerdings …«

»Nun?«

»Nur körperlich.«

»Na also. Da haben wir die Bescherung. Und geistig? Jeden Tag einen Eimer Blut zum Frühstück? Ein halbes Kind?«

»Nein. Geistig … Schwer zu sagen … Ich denke, auf dem Niveau, was weiß ich, eines drei-, vierjährigen Kindes. Sie wird lange Zeit sorgsame Betreuung brauchen.«

»Das ist klar. Meister?«

»Ich höre.«

»Kann das bei ihr wiederkommen? Später?«

Der Hexer schwieg.

»Aha«, sagte der König. »Also doch. Und was dann?«

»Wenn sie nach einer langen, mehrtägigen Ohnmacht sterben sollte, muss der Körper verbrannt werden. Und das schleunigst.«

Foltests Miene verdüsterte sich.

»Ich glaube aber nicht«, fuhr Geralt fort, »dass es dazu kommt. Zur Sicherheit werde ich Euch, Herr, ein paar Hinweise geben, wie man die Gefahr vermindern kann.«

»Jetzt schon? Ist es dazu nicht zu früh, Meister? Und wenn …«

»Jetzt schon«, fiel ihm der Rivier ins Wort. »Es kann alles Mögliche geschehen, Herr König. Kann sein, Ihr findet morgens in der Krypta die entzauberte Prinzessin und meine Leiche.«

»Wirklich? Trotz meiner Erlaubnis, das eigene Leben zu schützen? An der dir, wie mir scheint, nicht einmal allzu viel gelegen ist?«

»Das ist eine ernste Sache, Herr König. Das Risiko ist hoch. Darum hört: Die Prinzessin muss am Halse ständig einen Saphir tragen, am besten einen Inklus, an einem silbernen Kettchen.«

»Was ist ein Inklus?«

»Ein Saphir mit einem im Stein eingeschlossenen Luftbläschen. Außerdem müssen in dem Zimmer, wo sie schläft, von Zeit zu Zeit Wacholder-, Besenstrauch- und Haselzweige im Kamin verbrannt werden.«

Foltest überlegte. »Danke für die Ratschläge, Meister. Ich werde mich daran halten, wenn … Und jetzt hör mir gut zu. Wenn du feststellst, dass es ein hoffnungsloser Fall ist, tötest du sie. Wenn du den Zauber löst, das Mädchen aber nicht … gesund ist, wenn du auch nur den Schatten eines Zweifels hast, ob es dir vollends gelungen ist, tötest du sie auch. Hab keine Angst, dir droht nichts. Ich werde dich vor den Leuten anschreien, dich aus dem Schloss und der Stadt jagen, weiter nichts. Eine Belohnung gebe ich dir dann natürlich nicht. Vielleicht kannst du was herausschlagen, du weißt schon, bei wem.«

Sie schwiegen eine ganze Weile.

»Geralt.« Zum ersten Mal sprach Foltest den Hexer mit Namen an.

»Ich höre.«

»Was ist dran an dem Gerede, dass das Kind so und nicht anders geworden ist, weil Adda meine Schwester war?«

»Nicht viel. Einen Zauber muss jemand bewirken, kein Fluch legt sich von selbst auf jemanden. Aber ich denke, Eure Verbindung mit der Schwester war der Grund dafür, dass der Fluch ausgesprochen wurde, also auch für die Folgen.«

»Das habe ich mir gedacht. Das haben manche von den Wissenden auch gesagt, allerdings nicht alle. Geralt? Woher kommen solche Dinge? Zauberei, Magie?«

»Ich weiß es nicht, König. Die Wissenden befassen sich mit der Erforschung der Ursachen solcher Erscheinungen. Für uns Hexer genügt es, zu wissen, dass ein gebündelter Wille solche Erscheinungen bewirken kann. Und das Wissen, wie man sie bekämpft.«

»Sie tötet?«

»Oft. Dafür werden wir übrigens meistens bezahlt. Die wenigsten wollen, dass ein Zauber gelöst wird, König. In der Regel wollen sich die Leute einfach vor der Gefahr schützen. Und wenn das Ungeheuer noch Menschen auf dem Gewissen hat, kommt das Motiv der Rache hinzu.«

Der König stand auf, ging ein paar Schritte durchs Zimmer und blieb vor dem Schwert des Hexers stehen, das an der Wand hing.

»Damit?«, fragte er, ohne Geralt anzublicken.

»Nein. Das ist für Menschen.«

»Davon habe ich gehört. Weißt du was, Geralt? Ich komme mit dir in die Krypta.«

»Ausgeschlossen.«

Foltest wandte sich um, seine Augen funkelten. »Weißt du, Zauberer, dass ich sie nie gesehen habe? Weder nach der Geburt noch … später. Ich hatte Angst. Vielleicht werde ich sie niemals sehen, nicht wahr? Ich habe das Recht, wenigstens zu wissen, wie du sie ermorden wirst.«

»Ich wiederhole, es ist ausgeschlossen. Es wäre der sichere Tod. Auch für mich. Wenn ich meine Aufmerksamkeit, meinen Willen erschlaffen lasse … Nein, König.«

Foltest wandte sich ab, eilte zur Tür. Einen Augenblick lang glaubte Geralt, er würde wortlos hinausgehen, ohne Abschiedsgeste, doch der König blieb stehen, sah ihn an.

»Du erweckst Vertrauen«, sagte er. »Obwohl ich weiß, was für ein Früchtchen du bist. Man hat mir erzählt, was in der Schenke vorgefallen ist. Ich bin sicher, du hast diese Strauchdiebe nur umgebracht, um Aufmerksamkeit zu erregen, um die Leute zu beeindrucken, vor allem mich. Für mich besteht kein Zweifel, dass du sie hättest überwinden können, ohne sie zu töten. Ich fürchte, ich werde nie erfahren, ob du vorhast, meine Tochter zu retten oder auch sie umzubringen. Aber ich nehme es in Kauf. Ich muss es in Kauf nehmen. Weißt du, warum?«

Geralt antwortete nicht.

»Weil ich glaube«, sagte der König, »weil ich glaube, dass sie leidet. Nicht wahr?«

Der Hexer fixierte den König durchdringend. Er nickte nicht, senkte nicht den Kopf, machte nicht die geringste Geste, doch Foltest wusste es. Er kannte die Antwort.

V

Zum letzten Mal blickte Geralt durchs Fenster des Schlosses hinaus. Die Dämmerung brach rasch herein. Jenseits des Sees glommen unstet die Lichter von Wyzima. Rings um die Schlossgebäude lag Ödland – ein Streifen Niemandsland, mit dem sich die Stadt im Laufe von sechs Jahren von dem gefährlichen Ort abgegrenzt hatte, ohne mehr zurückzulassen als ein paar Ruinen, durchgefaultes Gebälk und den Rest einer Palisade mit Scharten, die zu zerlegen und mitzunehmen sich offensichtlich nicht gelohnt hatte. Weiter weg, nämlich an den genau gegenüberliegenden Rand der Stadt, hatte der König selbst seine Residenz verlegt – die hohe und massige Silhouette seines neuen Schlosses zeichnete sich in der Ferne schwarz gegen einen Himmel ab, der sich blutrot färbte.

Der Hexer kehrte zu dem staubigen Tisch in einem der leeren, ausgeplünderten Zimmer zurück, wo er sich ohne Eile, ruhig, sorgfältig vorbereitete. Er wusste, dass er viel Zeit hatte. Die Striege würde die Krypta nicht vor Mitternacht verlassen.

Vor sich auf dem Tisch hatte er ein in Leder geschlagenes Kästchen. Er öffnete es. Drinnen standen in mit trockenem Gras ausgefüllten Abteilungen dicht an dicht Fläschchen von dunklem Glas. Der Hexer nahm drei heraus.

Vom Boden hob er ein längliches Bündel auf, das grob in Schafsfelle gehüllt und mit einem Riemen umwickelt war. Er packte es aus und holte ein Schwert hervor, das einen verzierten Griff hatte und in einer schwarz glänzenden, mit Reihen von Runenzeichen und Symbolen bedeckten Scheide steckte. Er entblößte die Schneide, die in reinem, spiegelgleichem Glanz auffunkelte. Die Klinge war von purem Silber.

Geralt murmelte einen Spruch, trank nacheinander den Inhalt zweier Fläschchen aus und legte bei jedem Schluck die linke Hand auf die Schwertklinge. Dann hüllte er sich dicht in seinen schwarzen Mantel und setzte sich. Auf den Fußboden. Im Zimmer gab es keinen einzigen Stuhl. Wie übrigens im ganzen Schloss.

Er saß reglos da, mit geschlossenen Augen. Sein Atem, anfangs gleichmäßig, ging plötzlich schneller, krampfhaft, unruhig. Und dann hörte er ganz auf. Die Mixtur, mit deren Hilfe der Hexer alle Organe des Körpers vollständig unter Kontrolle hielt, bestand hauptsächlich aus Weißer Nieswurz, Stechapfel, Weißdorn und Wolfsmilch. Ihre übrigen Bestandteile hatten in keiner Menschensprache einen Namen. Für jemanden, der nicht wie Geralt von Kind auf daran gewöhnt war, wäre es ein tödliches Gift gewesen.

Der Hexer wandte jäh den Kopf. Sein Gehör, jetzt über jedes Maß hinaus geschärft, erfasste mit Leichtigkeit das leise Rascheln von Schritten auf dem grasüberwucherten Schlosshof. Das konnte nicht die Striege sein. Es war zu hell. Geralt warf sich das Schwert auf den Rücken, versteckte sein Bündel in der Feuerstelle des geborstenen Kamins und lief still wie eine Fledermaus über die Treppe.

Auf dem Hof war es noch hell genug, dass der Ankömmling das Gesicht des Hexers sehen konnte. Der Mann – es war Ostrit – schreckte zurück, eine unwillkürliche Grimasse von Verblüffung und Abscheu verzerrte seinen Mund. Der Hexer lächelte schief – er wusste, wie er aussah. Wenn man eine Mixtur aus Tollkirschen, Eisenhut und Augenrost trinkt, nimmt das Gesicht die Farbe von Kreide an, und die Pupillen verdrängen die ganze Iris. Doch die Mixtur erlaubt es, in tiefster Finsternis zu sehen, und darum ging es Geralt.

Ostrit hatte sich rasch wieder unter Kontrolle. »Du siehst aus, als ob du schon eine Leiche wärst, Zauberer«, sagte er. »Sicherlich vor Angst. Fürchte dich nicht. Ich bringe dir Trost.«

Der Hexer antwortete nicht.

»Hörst du nicht, was ich sage, rivischer Quacksalber? Du bist gerettet. Und reich.« Ostrit wog in der Hand ein wohlgefülltes Säckchen und warf es Geralt vor die Füße. »Tausend Orons. Nimm sie, steig aufs Pferd und verschwinde von hier!«

Der Rivier schwieg noch immer.

»Glotz mich nicht so an!« Ostrit hob die Stimme. »Und stiehl mir nicht die Zeit. Ich habe nicht vor, bis Mitternacht hier herumzustehen. Verstehst du nicht? Ich möchte nicht, dass du den Zauber löst. Nein, denk nicht, dass du es erraten hast. Ich halte es nicht mit Velerad und Segelin. Ich will nicht, dass du sie tötest. Du sollst einfach verschwinden. Alles soll bleiben, wie es ist.«

Der Hexer regte sich nicht. Er wollte nicht, dass der Magnat herausfand, wie schnell er sich jetzt bewegte und reagierte. Es wurde rasch dunkel, und das war insofern günstig, als selbst das Halbdunkel der Dämmerung für seine geweiteten Pupillen zu grell war.

»Und warum, Herr, soll alles bleiben, wie es ist?«, fragte er, bemüht, die einzelnen Wörter langsam auszusprechen.

»Das« – Ostrit hob stolz den Kopf – »hat dich verdammt wenig zu kümmern.«

»Und wenn ich es schon weiß?«

»Interessant.«

»Es wird leichter sein, Foltest zu entthronen, wenn die Striege den Leuten noch länger zur Last fällt? Wenn sowohl die Magnaten als auch das Volk den Wahnsinn des Königs ein für alle Mal satthaben? Ich bin auf dem Weg hierher durch Redanien, durch Nowigrad geritten. Dort ist viel davon die Rede, dass manche in Wyzima König Wisimir als Retter und wahren Monarchen im Auge haben. Mich aber, Herr Ostrit, gehen weder die Politik noch die Thronfolge noch Palastrevolutionen etwas an. Ich bin hier, um eine Arbeit zu erledigen. Habt Ihr noch nie von Pflichtgefühl und gewöhnlichem Anstand gehört? Von einem Berufsethos?«

»Überleg dir, mit wem du redest, du Strolch!«, schrie Ostrit wütend und legte die Hand an den Schwertgriff. »Mir reicht’s, ich bin’s nicht gewohnt, mit sonst wem zu diskutieren! Seht ihn euch an, Ethos, Regeln, Moral?! Und wer sagt das? Ein Schlagetot, der, kaum angekommen, schon Menschen umgebracht hat? Der vor Foltest gekatzbuckelt, hinter seinem Rücken aber mit Velerad wie ein Söldling gefeilscht hat? Und du wagst es, den Kopf hoch zu tragen, du Wicht? Den Wissenden zu mimen? Den Magier? Den Zauberer? Du elender Hexer! Pack dich, ehe ich dir mit der Klinge das Maul stopfe!«

Der Hexer zuckte nicht einmal, er blieb ruhig stehen.

»Ihr solltet lieber selbst hier weggehen, Herr Ostrit«, sagte er. »Es wird dunkel.«

Ostrit trat einen Schritt zurück, zog blitzschnell das Schwert. »Du hast es so gewollt, Zauberer. Ich werde dich töten. Deine Tricks helfen dir nicht. Ich habe einen Schildkrötenstein bei mir.«

Geralt lächelte. Der Glaube an die Kraft eines Schildkrötensteins war ebenso verbreitet wie falsch. Doch der Hexer dachte nicht daran, seine Kräfte auf Zaubersprüche zu verschwenden, und erst recht nicht, die Silberklinge durch eine Begegnung mit Ostrits Wanst zu beflecken. Er tauchte unter der wirbelnden Schneide hinweg und schlug dem Magnaten mit dem Unterarm, mit den silbernen Nieten der Manschette gegen die Schläfe.

VI

Ostrit kam rasch wieder zur Besinnung und ließ den Blick durch völlige Dunkelheit schweifen. Er bemerkte, dass er gefesselt war. Geralt, der neben ihm stand, sah er nicht. Doch er erfasste, wo er sich befand, und heulte auf, anhaltend und grell.

»Sei still«, sagte der Hexer. »Du ziehst sie sonst vor der Zeit an.«

»Du verfluchter Mörder! Wo bist du? Bind mich sofort los, du Mistkerl! Dafür wirst du hängen, Hundesohn!«

»Sei still.«

Ostrit atmete schwer. »Du wirfst mich ihr zum Fraß vor! Gefesselt?«, fragte er schon leiser und fügte fast flüsternd ein übles Schimpfwort hinzu.

»Nein«, sagte der Hexer. »Ich lass dich frei. Aber nicht jetzt.«

»Du Schurke«, zischte Ostrit. »Um die Striege abzulenken?«

»Ja.«

Ostrit verstummte, hörte auf, sich in den Fesseln hin und her zu werfen, und lag still.

»Hexer?«

»Ja.«

»Es ist wahr, dass ich Foltest stürzen wollte. Nicht nur ich. Aber nur ich wollte seinen Tod, ich wollte, dass er unter Qualen stirbt, dass er wahnsinnig wird, bei lebendigem Leibe verfault. Weißt du, warum?«

Geralt schwieg.

»Ich habe Adda geliebt. Die Schwester des Königs. Die Geliebte des Königs. Die Hure des Königs. Ich habe sie geliebt … Hexer, bist du hier?«

»Ja.«

»Ich weiß, was du denkst. Aber so war es nicht. Glaub mir, ich habe keinen Fluch ausgesprochen. Ich verstehe nichts von Zauberei. Nur einmal habe ich im Zorn gesagt … Nur einmal. Hexer? Hörst du?«

»Ja.«

»Es war seine Mutter, die alte Königin. Gewiss war sie es. Sie konnte nicht mit ansehen, wie er und Adda … Ich war das nicht. Ich habe nur einmal, weißt du, versucht, sie umzustimmen, aber Adda … Hexer! Es kam über mich, und ich habe gesagt … Hexer? War ich es? Ich?«

»Das spielt jetzt keine Rolle mehr.«

»Hexer? Ist Mitternacht nahe?«

»Ja.«

»Lass mich eher frei. Gib mir mehr Zeit.«

»Nein.«

Ostrit hörte nicht das Schurren, mit dem der Deckel des Sarkophags weggeschoben wurde, wohl aber der Hexer. Er beugte sich herab und schnitt mit dem Stilett die Fesseln des Magnaten durch. Ostrit wartete keine Worte ab, er fuhr hoch, schwankte mit starr gewordenen Gliedern, lief los. Seine Sicht hatte sich schon so weit der Dunkelheit angepasst, dass er den Weg sah, der aus dem großen Saal nach draußen führte.

Krachend sprang die Platte aus ihrem Lager, die den Eingang zur Krypta versperrte. Geralt, sorgsam hinter dem Treppengeländer verborgen, erblickte die Missgestalt der Striege, die behände, schnell und zielsicher dem sich entfernenden Tappen von Ostrits Stiefeln nachjagte. Die Striege machte nicht das geringste Geräusch.

Ein ungeheuerlicher, durchdringender, wahnsinniger Schrei zerriss die Nacht, ließ die Mauern erzittern und dauerte an, höher und tiefer vibrierend. Der Hexer konnte die Entfernung nicht genau abschätzen – sein verfeinertes Gehör täuschte ihn –, doch er wusste, dass die Striege Ostrit schnell erwischt hatte. Zu schnell.

Er ging in die Mitte des Saales und blieb am Eingang zur Krypta stehen. Er warf den Mantel ab. Er bewegte die Schultern, um den Sitz des Schwertes zu korrigieren. Er zog die Handschuhe hoch. Er hatte noch einen Augenblick Zeit. Er wusste, dass die Striege, obwohl sie vom letzten Vollmond her noch satt war, Ostrits Leiche nicht so bald verlassen würde. Herz und Eingeweide waren für sie ein wertvoller Nahrungsvorrat für die lange Zeit, die sie in Starre zubrachte.

Der Hexer wartete. Bis zum Morgengrauen blieben, wie er ausrechnete, noch etwa drei Stunden. Das Krähen eines Hahnes konnte ihn nur täuschen. In der Umgegend dürfte es übrigens keine Hähne geben.

Er hörte etwas. Sie kam langsam näher, schlurfte übers Parkett. Und dann sah er sie.

Die Beschreibung war exakt gewesen. Der unangemessen große Kopf, der auf einem kurzen Halse saß, war von einer wirren, wehenden Wolke rötlicher Haare umgeben. Die Augen glühten im Finstern wie zwei Karfunkel. Die Striege stand reglos, den Blick auf Geralt geheftet. Plötzlich riss sie den Rachen auf – als wolle sie sich der Reihen weißer, spitzer Zähne rühmen; dann klappte sie die Kiefer zu, mit einem Geräusch, das an das Zuschlagen einer Truhe erinnerte. Und sofort sprang sie, aus dem Stand, ohne Anlauf, und streckte dem Hexer die blutigen Krallen entgegen.

Geralt sprang zur Seite, wirbelte in einer blitzschnellen Pirouette herum, die Striege prallte von ihm ab, wirbelte ebenfalls herum und zerriss die Luft mit den Krallen. Sie kam nicht aus dem Gleichgewicht, griff erneut an, sofort, aus der Bewegung, und diesmal schlugen ihre Zähne schon vor Geralts Brust aufeinander. Der Rivier sprang zur anderen Seite, wechselte in einer schwirrenden Pirouette dreimal die Richtung, um die Striege zu verwirren. Im Wegspringen schlug er ihr mit den silbernen Ringen, mit denen die Oberseite der Handschuhe über den Knöcheln besetzt war, kräftig, wenngleich ohne auszuholen, gegen die Seite des Kopfes.

Die Striege heulte fürchterlich auf und erfüllte das Schloss mit einem rollenden Echo, fiel zu Boden, erstarrte und begann zu heulen, dumpf, bösartig und wütend.

Der Hexer lächelte boshaft. Der erste Versuch war wie erwartet geglückt. Auf die Striege wie auf die meisten durch Zauberei zum Leben erweckten Ungeheuer wirkte Silber tödlich. Er hatte also eine Chance: Das Untier war wie die anderen, und das konnte eine erfolgreiche Entzauberung gewährleisten, während ihm das silberne Schwert als letztes Mittel das Leben sichern mochte.

Die Striege beeilte sich nicht mit dem nächsten Angriff. Diesmal kam sie langsam näher, mit gebleckten Hauern und widerwärtig triefendem Speichel. Geralt wich zurück, beschrieb einen Halbkreis, verlangsamte und beschleunigte seine Bewegungen, um die Striege aus dem Konzept zu bringen, ihr die Anspannung zum Sprung zu erschweren. Im Gehen wickelte der Hexer eine lange, dünne, kräftige Kette mit einem Gewicht am Ende ab. Die Kette war aus Silber.

In dem Augenblick, als die Striege sich spannte und lossprang, pfiff die Kette durch die Luft und schlang sich augenblicklich um Schultern, Hals und Kopf der Striege. Die Striege stürzte im Sprung zu Boden und stieß ein ohrenbetäubendes Kreischen aus. Sie wälzte sich am Boden und heulte grauenhaft, sei es vor Wut oder wegen des brennenden Schmerzes, den ihr das verhasste Metall verursachte. Geralt war zufrieden – hätte er die Striege töten wollen, so wäre das in diesem Moment nicht besonders schwer gewesen. Doch der Hexer zog das Schwert nicht. Bisher hatte nichts im Verhalten der Striege Grund zu der Annahme gegeben, dies könnte ein unheilbarer Fall sein. Geralt zog sich auf eine passende Entfernung zurück und atmete, ohne den Blick von der am Boden zuckenden Gestalt zu wenden, tief durch und sammelte sich.

Die Kette riss, ein Regen silberner Glieder sprühte nach allen Seiten und klirrte auf dem Stein. Die vor Wut geblendete Striege stürzte heulend zum Angriff vor. Geralt wartete ruhig und zeichnete mit der erhobenen Rechten vor sich das Zeichen Aard.

Die Striege wurde wie von einem Hammer getroffen ein paar Schritte zurückgeschleudert, hielt sich aber auf den Beinen, streckte die Klauen aus und entblößte die Fangzähne. Ihre Haare sträubten sich und wogten, als ob sie gegen einen starken Wind ginge. Mit Mühe, schleppend, Schritt für Schritt, kam sie langsam näher. Doch sie kam näher.

Geralt wurde unruhig. Er hatte nicht erwartet, dass ein derart einfaches Zeichen die Striege vollends lähmen würde, aber auch nicht, dass die Bestie den Widerstand so leicht überwinden könnte. Er konnte das Zeichen nicht allzu lange aufrechterhalten, denn das kostete zu viel Kraft, und die Striege hatte nur noch zehn Schritte zurückzulegen. Ruckartig löste er das Zeichen auf und sprang beiseite. Wie erwartet, schnellte die überraschte Striege vor, verlor das Gleichgewicht, überschlug sich, glitt auf dem Parkett aus und stürzte die Stufen hinab, durch den im Fußboden gähnenden Eingang zur Krypta. Von unten her erklang ihr wahnsinniges Geheul.

Um Zeit zu gewinnen, sprang Geralt auf die Treppe, die zur Galerie hinaufführte. Er hatte noch nicht einmal den halben Weg zurückgelegt, als die Striege aus der Krypta hervorstürzte und wie eine riesige schwarze Spinne voranstürmte. Der Hexer wartete, bis sie ihm auf die Treppe nachgerannt war, dann schwang er sich übers Geländer und sprang hinab. Die Striege machte auf der Treppe kehrt, stieß sich ab und stürzte sich mit einem unglaublichen, über zehn Meter weiten Sprung auf ihn. Von seinen Pirouetten ließ sie sich nicht mehr so leicht verwirren – zweimal erreichten ihre Krallen das Lederwams des Riviers. Doch ein erneuter, verzweifelt kräftiger Hieb mit den silbernen Ringen warf die Striege zurück, ließ sie wanken. Geralt, der fühlte, wie sich in ihm die Wut ansammelte, nahm Schwung, bog den Rumpf nach hinten und stieß die Bestie mit einem kräftigen Tritt in die Seite zu Boden.

Das Brüllen, das sie ausstieß, war lauter als je zuvor. Sogar der Putz rieselte von der Decke.

Die Striege stürzte los, vor unbändiger Wut und Mordlust zitternd. Geralt wartete. Er hatte schon das Schwert gezogen, beschrieb damit Kreise in der Luft, ging um die Striege herum und achtete darauf, dass die Bewegungen des Schwertes nicht mit Rhythmus und Tempo seiner Schritte übereinstimmten. Die Striege sprang nicht, sie näherte sich langsam, den Blick an die hellen Streifen der Klinge geheftet.

Geralt blieb unvermittelt stehen, erstarrte mit erhobenem Schwert. Aus dem Konzept gebracht, stand auch die Striege still. Der Hexer beschrieb mit der Schwertspitze langsame Halbkreise, tat einen Schritt auf die Striege zu. Dann noch einen. Und dann sprang er und ließ dabei das Schwert überm Kopf wirbeln.

Die Striege bleckte die Zähne und wich im Zickzack zurück. Geralt kam wieder in ihre Nähe, die Klinge huschte in seiner Hand hin und her. In die Augen des Hexers war ein boshaftes Funkeln getreten, zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen drang ein heiseres Gebrüll hervor. Wieder wich die Striege zurück vor der Macht des konzentrierten Hasses, vor der Wut und Übermacht des Menschen, die in Wellen auf sie einschlugen, ihr in Hirn und Innereien drangen. Bis zum Schmerz von der ihr bisher unbekannten Empfindung getroffen, stieß sie einen schütteren, dünnen Schrei aus, machte auf der Stelle kehrt und begann eine wahnsinnige Flucht durchs finstere Gewirr der Schlosskorridore.

Geralt, von einem Schauder überkommen, blieb inmitten des Saales stehen. Allein. Es hatte lange gedauert, dachte er, bis dieser Tanz am Rande des Abgrunds, dieses irrsinnige, makabre Kampfballett zum erwarteten Ergebnis geführt hatte, ihm erlaubte, die seelische Einheit mit dem Gegner zu erlangen, zu den Vorräten gebündelten Willens vorzudringen, von dem die Striege erfüllt war. Eines bösen, krankhaften Willens, durch dessen Macht die Striege entstanden war. Der Hexer erbebte bei der Erinnerung an den Augenblick, als er diese Ladung Bosheit in sich aufgenommen hatte, um sie wie ein Spiegel auf das Ungeheuer zurückzuwerfen. Noch nie war ihm solch ein Zusammenspiel von Hass und Blutrausch begegnet, nicht einmal bei den Basilisken, die in dieser Hinsicht den übelsten Ruf hatten.

Umso besser, dachte er, während er auf den Eingang zur Krypta zuging, der schwarz wie eine riesige Pfütze auf dem Fußboden lag. Umso besser, umso stärker der Schlag, den die Striege selbst erhalten hat. Das würde ihm etwas mehr Zeit für das weitere Vorgehen verschaffen, ehe die Bestie sich von dem Schock erholte. Der Hexer zweifelte, dass er zu einer weiteren solchen Anstrengung imstande wäre. Die Wirkung der Elixiere ließ nach, aber das Morgengrauen war noch fern. Die Striege durfte es vor dem Morgen nicht zurück in die Krypta schaffen, sonst war die ganze bisherige Arbeit vergebens.

Er ging die Treppe hinab. Die Krypta war nicht groß, sie enthielt drei steinerne Sarkophage. Bei dem am nächsten zum Eingang gelegenen war der Deckel halb beiseitegeschoben. Geralt holte das dritte Fläschchen aus dem Wams, trank seinen Inhalt rasch aus, stieg in den Sarg und verschwand darin. Wie erwartet, war es ein Doppelgrab – für Mutter und Tochter.