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In diesem Buch erfahren Sie, warum es Niedersachsen eigentlich gar nicht gibt beziehungsweise warum man vor einigen Jahrzehnten auf die Idee kam, Ostfriesland, Oldenburg, Schaumburg-Lippe, Hannover und Braunschweig in einem Bundesland zusammenzufassen – und was das Ganze mit der Schlacht im Teutoburger Wald und einem Massenmord in Verden zu tun hat. Axel Klingenberg besucht in Varel die kleinste Kneipe der Welt, singt das Matjeslied in Sande, erklimmt den Baumwipfelpfad in Bad Harzburg, verirrt sich in der Lüneburger Heide, begibt sich auf ein Himmelfahrtskommando in Nordenham, nimmt an einem konspirativen Treffen zwischen Fans von Hannover 96 und Eintracht Braunschweig teil und erkundet schließlich die blutigen Spuren Fritz Haarmanns. Am Ende wagt er sogar einen riskanten Selbstversuch und testet die niedersächsische Küche. "Das Wappen Niedersachsens zeigt bekanntlich das Sachsenross, das einst auch die Hoheitszeichen der Länder Braunschweig und Hannover zierte. Heutzutage findet man Pferde aber hauptsächlich auf Turnieren und – in Wurstform – auf Weihnachtsmärkten. Im Norden hat Niedersachsen schöne Strände und Inseln, im Süden viele, nicht allzu hohe Berge. Und dazwischen haufenweise Städte, in denen zahllose Menschen leben, die glücklicherweise keine gebürtigen Niedersachsen sind. Ferner verfügt dieses Bundesland über jede Menge Landschaft, in die man Atommüll verklappen kann. Das wird dann der Bevölkerung als Infrastrukturverbesserungsmaßnahme angedreht. Kein schöner Land in dieser Zeit!"
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Seitenzahl: 168
Veröffentlichungsjahr: 2016
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von Axel Klingenberg
Umschlaggestaltung: Karsten Weyershausen
Lektorat: Manja Oelze
1. Auflage 2016, identisch mit der Printausgabe
(c) Verlag Andreas Reiffer
ISBN 978-3-945715-48-2
Verlag Andreas Reiffer, Hauptstr. 16 b, D-38527 Meine
www.verlag-reiffer.de
www.facebook.com/verlagreiffer
Für Sigrid und Heinrich Klingenberg
Mein Dank gilt Frank Bröker, Manja Oelze und Andreas Reiffer
»Wir sind die Niedersachsen / trinkfest und schiefgewachsen / polizeilich bekannt«. So oder ähnlich lauten die ersten Zeilen des Niedersachsenliedes. Und damit ist schon einiges über den durchschnittlichen Bewohner dieses Bundeslandes gesagt. Wissenswert ist vielleicht auch, dass das Wappen Niedersachsens bekanntlich das Sachsenross zeigt, das einst die Wappen des Kurfürstentums, des Königreichs und der Provinz Hannover sowie des Herzogtums und des Freistaats Braunschweig zierte. Heutzutage findet man Pferde hierzulande hauptsächlich auf Turnieren und – in Wurstform – auf Weihnachtsmärkten.
Wie ich diese profunden Kenntnisse erworben habe? Nun, ich habe für meine Recherche weder Kosten noch Mühen gescheut. Ich bin sogar in der niedersächsischen Kleinstadt Uelzen geboren worden und in der Lüneburger Heide aufgewachsen, habe in Wolfsburg gearbeitet und in Braunschweig studiert. Ja, ich kann sogar sagen, dass ich immer noch hier lebe und das Land kaum verlassen habe, sieht man mal von vergleichsweise kurzen Urlaubsfahrten in das europäische Ausland (Kroatien, Holland, Schleswig-Holstein) ab.
Auch in Niedersachsen selbst reise ich viel herum, weshalb ich behaupten kann, die höchsten Berge des Landes bestiegen (Wurmberg), die flachsten Meere durchwandert (das Wattenmeer) und die schönsten Städte erkundet (Salzgitter) zu haben. Ich durchquerte das Land auf die verschiedensten Weisen: mit dem Boot, dem Fahrrad, dem Bus, der Straßenbahn, dem Zug und dem Auto. Letzteres hat dazu geführt, dass ich viele Stunden meines Lebens im Stau verbrachte, zumeist auf der A7 und der A2. Dank verwegener Umleitungen habe ich dadurch aber auch die entlegensten Winkel Niedersachsens kennengelernt. Es war herrlich! Manchmal zumindest.
Nun möchte ich auch Sie teilhaben lassen an meinem Wissen über das Land zwischen Elbe und Ems, zwischen Nordsee und Harz. Seien Sie mutig, folgen Sie mir!
Das ist der Teutoburger Wald,
Den Tacitus beschrieben,
Das ist der klassische Morast,
Wo Varus stecken geblieben.
Hier schlug ihn der Cheruskerfürst,
Der Hermann, der edle Recke;
Die deutsche Nationalität,
Die siegte in diesem Drecke.1
Heinrich Heine
Als in Ägypten die Pyramiden gebaut wurden, entstanden auch in Niedersachsen gewaltige Grabmale. (Foto: Allie_Caulfield)
Wie im Vorwort erwähnt, gibt es Niedersachsen gar nicht beziehungsweise nur in der Vorstellung. Na ja, zumindest sind die Niedersachsen ein zusammengewürfelter Haufen, der sich im Wesentlichen aus zwei Bevölkerungsgruppen zusammensetzt. Aus den Sachsen (das sagt ja schon der Name) und den Friesen – zwei germanische Volksstämme, die schon in der Antike all die nationalen Tugenden zeigten, mit denen sich auch alle anderen Germanen bei ihren Nachbarn so beliebt gemacht hatten: Streitsucht, Spielsucht, Trunksucht und Faulheit. Oder wie es in der Germania des römischen Völkerkundlers Tacitus heißt: »Die tapfersten und mutigsten unter ihnen tun gar nichts, die Sorge für Haus und Feld ist den Weibern, Greisen und den Schwächsten der Hausgenossen überlassen. Sie selbst sind untätig.«2 Doch halt, man darf die Germanen nicht unterschätzen: Denn »wenn der Staat, in dem sie geboren sind, in langem Frieden erstarrt, ziehen manche der adeligen Jünglinge aus eigenem Antrieb zu den Stämmen, welche gerade irgend einen Krieg führen.« Denn »was man mit Blut erreichen kann«, braucht man sich nicht »mit Schweiß zu erarbeiten«.3
Kein Wunder also, dass die Germanen auf ihre überlegene Kultur so stolz waren, dass sie dem römischen Imperialismus mutig entgegentraten. Sie verzichteten daher für weite Teile ihres Landes auf Straßen- und Städtebau, lehnten Aquädukte und das Alphabet sowie den meisten anderen neumodischen Kram entschieden ab und beharrten darauf, ein kümmerliches Dasein am Rande der zivilisierten Welt zu fristen. Allerdings sperrten sie sich nicht völlig dem Neuen, sondern adaptierten die Dinge, die sich mit ihrer eigenen Kultur verbinden ließen. Zum Beispiel die Kriegskunst und ... Was anderes fällt mir jetzt gerade nicht ein.
An der Kampfwut der Friesen sind die Römer allerdings tatsächlich nicht ganz unschuldig, versuchten sie doch aus diesen so viel herauszupressen, wie es nur ging. Und sogar ein bisschen mehr. Behauptet zumindest in einem Anflug von Selbstkritik der römische Gewährsmann Tacitus: »Im selben Jahr brachen die Friesen, ein Volk jenseits des Rheins, den Frieden, mehr infolge unserer Habsucht als aus Trotz gegen unsere Herrschaft. Drusus hatte ihnen in Rücksicht auf ihre dürftigen Verhältnisse einen mäßigen Tribut auferlegt: Sie sollten für Heerzwecke Rinderhäute liefern. Die Bedingung, die auch andere Völker nur schwer hätten erfüllen können, war um so drückender für die Friesen; denn wenn auch ihre Wälder reich an mächtigen Ungetümen sind, sind ihre zahmen Rinder jedoch klein. So lieferten die Friesen am Anfang ihre Rinder; dann mussten sie auch ihre Frauen und Kinder oder beides an Tribut leisten. (…) Die römischen Soldaten, die zur Erhebung des Tributes nach Friesland kamen, wurden daher von denFriesen angegriffen und ans Kreuz geschlagen.« Und zwar in der Nähe eines heiligen Hains, der der germanischen Kriegsgöttin Bahuhenna geweiht war. 900 Legionäre wurden in einen Hinterhalt gelockt und getötet, 400 weitere nahmen sich selbst das Leben, nachdem ihnen bewusst wurde, dass es keinen Pfifferling mehr wert war. Nochmal Tacitus: »Seither hat der Name der Friesen bei den Germanen einen hellen Klang.« Juchei!
Das war allerdings nur der Vorgeschmack auf eine weit größere römische Niederlage: die Schlacht am Teutoburger Wald, in der die germanischen Verbände von dem cheruskischen Fürstensohn Hermann (wenn er denn so hieß – in die deutschen Sagen hat er als Siegfried Einzug gehalten) befehligt wurden. Unter dem Namen Arminius hatte er sich vor Ort, als Anführer germanischer Hilfstruppen, mit dem römischen Militärwesen bekannt gemacht. Nachdem er sich genügend Know-how angeeignet hatte, gründete er sein eigenes Unternehmen und stellte eine Armee aus ungewaschenen und langhaarigen Chaoten zusammen. Diese vereinigte germanische Streitmacht besiegte im Jahr 9 n. Chr. den römischen Feldherren Varus und die von ihm befehligten Legionen. Allerdings fand diese gar nicht am oben namensgebenden Orte statt, sondern im Raum Bramsche-Kalkriese, in der Nähe des heutigen Osnabrücks. Aber das konnten die Germanen ja nicht wissen – sie hatten ja keine Landkarten. Wie auch, ohne Alphabet (siehe oben)? Hätten sie doch wenigstens römische Kartografen ins Land gelassen!
Arminius’ größte Leistung bestand also darin, die Römer aus großen Teilen Germaniens fernzuhalten. Die Urbarmachung dieses »wüsten Land mit rauem Himmel, abschreckend für den Anbau und den Anblick« (Tacitus) wurde damit nachhaltig und für Jahrhunderte verhindert. Wer jemals an einem Volksfest in einem 1.000 Seelen-Dorf in der norddeutschen Tiefebene teilgenommen hat, weiß, was es bedeutet, dass Fortschritt und Vernunft hier niemals Fuß gefasst haben. Geschah ihm also ganz Recht, dem Hermann, dass er nach einigen Jahren von missliebigen Verwandten ermordet wurde, die endlich mit den Römern geregelte diplomatische Beziehungen unterhalten wollten. Doch es war schon zu spät. Die Römer hatten die Lust daran verloren, sich ständig in Germanien verprügeln zu lassen (das konnten sie auch in diesem kleinen gallischen Dorf in Aremorica) und bauten eine Mauer4 – Limes genannt – zwischen dem Römischen Reich und Germanien, um sich die Hooligans aus dem Norden vom Halse zu halten.
Erst dem Franken Karl Martell gelang es 734, den westlichen Teil Frieslands zu erobern, wobei der letzte friesische Gesamtherzog Poppo ums Leben kam. Damit war der Traum von einem unabhängigen Großfriesland eigentlich ausgeträumt, zudem Karl der Große 785 auch den Rest Frieslands einnahm (von Nordfriesland mal abgesehen) und dem Fränkischen Reich einverleibte.
Da das Konzept von Nächsten- oder gar Feindesliebe den Germanen naturgemäß eher widerstrebt, brauchte auch das Christentum etwas länger, bis es hier Fuß fassen konnte. Zudem man zur Begrüßung traditionell den Missionaren einen Kriegshammer auf den Kopf schlug. Zerbrach der Schädel, war dies der Beweis für die Unterlegenheit des christlichen Gottes. Und überhaupt: Warum hatten die Christen nur einen Gott? Wer so wenig Verwandte hat (und damit Verbündete) muss hier gar keinen Lauten machen, sondern kann gleich wieder abzischen. Besonders diplomatisch gingen die Mönche – allen voran der Engländer Bonifatius – allerdings nicht vor. Insbesondere das Fällen von heiligen Bäumen5 machte sie anfangs schwer unbeliebt.
Bonifatius verdiente sich bei den Friesen allerdings dadurch besonderen Respekt, dass er sich klaglos von ihnen erschlagen ließ. Er hatte nämlich den kühnen Plan gefasst, nach seinem Märtyrertod heiliggesprochen zu werden, um als Patron seine Klöster und Bistümer besser schützen zu können. Und das gelang sogar! Noch heute sind große Teile Deutschlands christlich (bis auf die östlichen Grenzgebiete). Wenige hundert Jahre später erkannte man seine Leistungen auch in der Katholischen Kirche an, in dem sie ihn zum Apostel der Deutschen erhob. So gesehen ist die größte theologische Leistung der Friesen der Mord an einen Priester! Das nenne ich mal einen dialektischen Prozess.
Leider wurde Bonifatius jedoch 754 nicht auf dem Gebiet des heutigen Niedersachsens erschlagen, sondern am Fluss Boorne bei Dokkum, das in der niederländischen Provinz Friesland liegt. Was wieder einmal zeigt, dass die perfiden Holländer vor nichts zurückschrecken und den Deutschen noch nicht einmal ihren Nationalheiligen gönnen. Sollen sie sich doch ihre eigenen Märtyrer schaffen!
Wenn auch Friesland mehr oder weniger christianisiert wurde, so blieb doch ein Großteil des heutigen Sachsens noch lange Zeit strikt heidnisch. Wahrscheinlich wollte man nicht auf die in breiten Volkskreisen beliebten Menschenopfer verzichten.
Kein Wunder also, dass zweihundert Jahre später der weise fränkische Herrscher Karl der Große (er war so klug, dass er sogar lesen konnte, ohne die Lippen zu bewegen) auf die Idee kam, das bewährte Konzept des Fällens heiliger Bäume wieder aufzugreifen. Als erstes ließ er 772 das altsächsische Heiligtum Irminsul (eine große Holzsäule) einreißen, die aller Wahrscheinlichkeit nach bei der Eresburg im Hochsauerlandkreis im heutigen Nordrhein-Westfalen stand – also leider auch nicht in Niedersachsen. Die von Karl dem Großen gegründeten Klöster fanden viel Zuspruch unter den zwangschristianisierten Sachsen. Dementsprechend wurden auch die Massentaufen zu populären Familienfeiern.
Im Blutgericht von Verden an der Aller bewies Karl der Große wieder einmal viel diplomatisches Geschick und ließ 782 nur 4.500 Sachsen hinrichten – bei weitem also nicht alle Adeligen dieses Volkes. Eine wohldurchdachte und nachvollziehbare Rechtsreform (mit dem Tode wurden künftig nur wirklich schlimme Vergehen, also Feuerbestattungen, die Verunglimpfung von Geistlichen und das Essen von Fleisch an Fastentagen bestraft) sorgte dafür, dass die fränkische Regierung und Verwaltung viel Beifall und Zuspruch fand. Es mussten daher auch nur sehr wenige Dörfer umgesiedelt werden. Liebevoll nannte ihn die Bevölkerung deshalb den »Sachsenschlächter«. Auch der sächsische Herzog Widukind ließ sich fast freiwillig taufen. Sein Taufpate: Karl der Große.
Immerhin gelang es den Friesen, die von den Frankenkönigen eingesetzten Grafen wieder zu vertreiben und sich fürderhin selbst zu verwalten. Diese »Friesische Freiheit« bedeutete, dass sich in Friesland von der Zuidersse bis zur Weser zahlreiche Gemeinden gründeten, die freiheitlich und genossenschaftlich organisiert waren und eigene Ratsverfassungen besaßen. Die Friesen waren auch von der Heeresfolge, dem Militärdienst befreit, da sie ja mit der Abwehr der Wikinger und dem Deichbau genug zu tun hatten. Und erst Jahrhunderte später bildete sich in Friesland mit den Familien der Häuptlinge eine Art Adel heraus. Die friesischen Gemeinden, die »Sieben Seelande«, blieben jedoch direkt dem Kaiser untertan. Erst Friedrich dem Großen gelang es, Ostfriesland ganz zu unterwerfen und für Preußen in Besitz zu nehmen.
Das größte staatliche Gebilde jedoch, dass es auf dem Territorium des heutigen Niedersachsens gab, war das Herzogtum Sachsen. Es umfasste neben dem heutigen Niedersachsen und Bremen auch Westfalen und Lippe im jetzigen Nordrhein-Westfalen sowie den westlichen Teil Sachsen-Anhalts und Mecklenburgs. Nur mit dem heutigen Freistaat Sachsen hatte dieses Herzogtum nichts zu tun. Und vermutlich haben die einzelnen Stammesverbände ganz gut alleine vor sich hingewurschtelt, weshalb es wohl auch anfangs keinen Herzog von, sondern nur einen Herzog in Sachsen gab.
Tipp: Im Museum und Park Kalkriese in Bramsche kann man hautnah sehen, wie die Römer bei der Varusschlacht eines auf die Metallmütze bekommen haben.
Auch wenn es richtig ist, dass die Sachsen und Friesen die wichtigsten niedersächsischen Stämme sind, darf man sich hier nicht zwei homogene Gruppen vorstellen. Die Friesen bildeten wie gesagt über Jahrhunderte wechselnde Bündnisse verschiedener Gemeinden und Stammesverbände und auch die Sachsen setzten sich aus diversen Untergruppen zusammen: den Westfalen, Ostfalen und Engern. Neben weiteren germanischen Grüppchen lebten auch noch Slawen im Osten des heutigen Niedersachsens, zum Beispiel die Wenden.
Bedenkt man, dass sich vor allem in den größeren Städten auch noch viele Juden ansiedelten, dass Flamen und Holländer im Hochmittelalter neue Dörfer bauten, dass es Hugenotten, Salzburger und Pfälzer hierher verschlug und dass obersächsische Bergarbeiter in den Harz und im 19. Jahrhundert osteuropäische Spargelstecher aufs platte Land zogen, wird deutlich, dass es die Niedersachsen niemals gegeben hat.
Heute gilt das mehr denn je. Nach dem Zweiten Weltkrieg verschlug es Millionen Heimatvertriebene und Flüchtlinge nach Niedersachsen. Bis heute hat das Bundesland eine Patenschaft für die Landsmannschaft Schlesien. Zu Beginn der 60er-Jahre stammte jeder dritte Niedersachse aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten. Der Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten bekam bei Landtagswahlen daher auch bis zu 15 Prozent der Stimmen. Erst 1963 schied die Regierungspartei aus dem Landtag aus. Das Wirtschaftswunder und eine gezielte Politik zur Integration der Übersiedler hatte die Partei überflüssig gemacht.
Doch auch nach dieser gigantischen Bevölkerungsumschichtung zog es Menschen aus anderen Regionen und Ländern nach Niedersachsen. Neben Übersiedlern aus der DDR waren dies vor allem Gastarbeiter aus Südeuropa und der Türkei. Heute stammt etwa ein Fünftel der Personen ohne deutschen Pass in Niedersachsen aus der Türkei und jeder zehnte aus Polen. Hinzu kommen Niederländer (6,6 Prozent), Italiener (5 Prozent), Russen (4 Prozent) und Griechen (3 Prozent) sowie Ukrainer, Briten, Iraker und Vietnamesen (mit jeweils circa 2 Prozent).
Derzeit leben ungefähr 425.000 Ausländer in Niedersachsen (Stand 2011), was einem Anteil von 5,5 Prozent entspricht (der Bundesdurchschnitt liegt bei 7,7 Prozent). Den höchsten Ausländeranteil hat die Stadt Hannover (13 Prozent), gefolgt von der Grafschaft Bad Bentheim (11 Prozent), Wolfsburg (9,5), der Region Hannover und Göttingen (je 9). In den Landkreisen Friesland, Wittmund und Aurich im unwirtlichen Nordwesten des Landes ist er mit 2 bis 2,5 Prozent am niedrigsten.
Insgesamt leben fast 8 Millionen Menschen in Niedersachsen (womit es von der Einwohnerzahl an vierter Stelle steht) und zwar auf einer Fläche von 47.600 Quadratkilometern (womit es hinter Bayern das zweitgrößte Bundesland ist). Die Bevölkerungsdichte liegt bei 70 Prozent des Bundesdurchschnitts. Innerhalb des Landes variiert sie jedoch sehr stark. Insbesondere der Norden ist eher dünn besiedelt, wenn man vom Hamburger und Bremer Speckgürtel sowie den größeren Hafenstädten absieht. Am wenigsten bewohnt ist ein Streifen, der sich vom Wendland über die Lüneburger Heide und das Elbe-Weser-Dreieck bis nach Nordfriesland zieht sowie die Geest- und Moorgebiete im mittleren und westlichen Niedersachsen. Jeder fünfte Niedersachse wohnt übrigens in einer Großstadt mit über 100.000 Einwohnern. Zum Vergleich: In Bremen und Hamburg sind es 100 Prozent.
Tipp: Der Wurmberg ist mit seinen stolzen 971,2 Metern nicht nur der zweithöchste Berg im Harz (der höchste ist der Brocken, der im sachsen-anhaltinischen Teil des Gebirges liegt), sondern auch der höchste Niedersachsens. Von hier aus könnte man sich einen schönen Überblick über das ganze (Bundes-)Land verschaffen, wenn der Berg nicht am südöstlichen Rande desselben liegen würde. Dafür kann man hier Skifahren, Rodeln und Wandern. Jetzt müsste nur noch Schnee fallen! Was immer seltener der Fall ist.
Werfen wir einen Blick auf die Landkarte von 1946. Das Bundesland Niedersachsen wurde damals aus vier Landesteilen zusammengesetzt: Braunschweig, Oldenburg, Schaumburg-Lippe und Hannover. Letzteres machte den größten Teil des Landes aus. Hannover war einst ein eigenständiges Königreich gewesen, bis es im Jahre 1866 von Preußen annektiert und zu einer Provinz degradiert worden war. Man hatte im Deutschen Krieg zwischen Preußen und Österreich eben auf das falsche Pferd gesetzt. Die Strafe folgte auf dem Hufe.
Warum ich das erzähle? Weil sowohl das nach dem Wiener Kongress entstandene Herzogtum Braunschweig als auch das Königreich Hannover von der Adelsfamilie der Welfen regiert wurden. Allerdings von verschiedenen Zweigen, die miteinander zerstritten waren. Diese Konkurrenz wirkt bis heute fort – Braunschweig und Hannover sind sich immer noch nicht grün. Obwohl oder vielleicht gerade weil sich die beiden Städte doch im Grunde recht ähnlich sind. Nur dass Hannover eben in allem etwas größer ist. Weshalb sich die Braunschweiger immer benachteiligt fühlen und die Hannoveraner Angst vor einem Aufstieg der Nachbarstadt haben.
Aber wie gesagt: Die Niedersachsen waren niemals ein Volk oder auch nur ein Stamm, aber der größte Teil des Landes wurde lange Zeit von einer großen Adelsfamilie regiert. Das endete endgültig 1918, als auch die Braunschweiger Welfen entmachtet wurden.
Tipp: Eines der teuersten Bücher der Welt: das Evangeliar Heinrich des Löwen. Es befindet sich in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel, wird aber aus konservatorischen Gründen nur alle zwei Jahre für kurze Zeit ausgestellt.
Menschen, Tiere, Katastrophen
Waidmanns Unheil!
Da sitzt ein Häschen
auf der Lichtung.
Dort lauert der Jäger,
er hat gute Sichtung.
Dann fällt ein Schuss
– mit einem ist Schluss.
Der Waidmann hat getroffen!
Der Hase fällt um – betroffen!
Wir trauen unseren Augen kaum:
Tot liegt der Jäger unterm Baum.
Er setzte seinem Leben ein Ende
– für ihn eine bedeutende Wende.
Den Hasen interessiert es kaum,
drum hoppelt er weg behände.
Zierliche Rehe bevölkern die ausgedehnten Wälder Niedersachsens. (Foto: Paul)
Niedersachsen ist zu einem Fünftel von Wald und zu fast zwei Drittel von Landwirtschaftsflächen bedeckt. Wen wundert es da, dass in Niedersachsen mehr Tiere leben als Menschen – ein Missverhältnis, das der Niedersachse durch exzessiven Fleischverzehr auszugleichen sucht. Dabei müsste er doch nur noch mehr Flächen mit noch mehr Einfamilienhäusern bebauen – und den Rest einfach zubetonieren. Schon hätte sich das mit den Tieren, der Natur und diesem ganzen Quatsch schnell erledigt. Die zur Lebenserhaltung nötigen Nutztiere, allen voran Kühe und Schweine, kann man ja auch pflegeleicht und antibiotikaunterstützt in formschönen Großställen halten. Neben Kühen und Schweine gibt es auch viele Pferde, Schafe und plattgefahrene Frösche in Niedersachsen.
Auf die Wälder will der Niedersachse übrigens keineswegs verzichten, denn er braucht diese als Jagdgebiet, auch wenn er sie, dem Druck des Zeitgeistes nachgebend, als Landschaftsschutzgebiete, Naturschutzgebiete, Naturparks und Nationalparks deklariert. Wenn dereinst der Ökoterror besiegt ist, wird der Niedersachse aber bald wieder seiner eigentlichen Bestimmung nachgehen – dem Totmachen von beliebigen Lebewesen mit Hilfe von Feuerwaffen.
Renaturierte Kanäle mäandern durch die nordeutsche Tiefebene. (Foto: funky1opti)
Tipp: Einer der schönsten Tierparks Niedersachsens ist das Otterzentrum in Hankelsbüttel in der Südheide. Wer hierher kommt, braucht kein schlechtes Gewissen wegen der Tiere zu haben, sondern darf sich sogar lobend auf die Schultern klopfen.
Es ist Kaiserwetter wie jedes Jahr,
weil es doch immer schon so war.
Schießbuden, Karussells und Zuckerwatte,
gebrannte Mandeln, eine Schaumstoffratte.
Die Männer haben die Säbel gezückt.
Die Gewehre sind mit Blumen geschmückt.
Schützenliesel tralala
Schützenkönig humptata
Betrunkene Frauen marschieren auch mit,
die armen Pferde halten kaum Schritt.
Kinder laufen vor, neben- und hinterher,
mitzusingen fällt ihnen nicht schwer.
Die Liebe zur Heimat wird beschworen
und lieb Vaterland die Treue geschworen.
Schützenliesel tralala
Schützenkönig humptata
Gegen Hunger hilft die Bratwurst,
Freibier trinkt man gegen Durst.
Die Blaskapelle ruft laut zum Ball,
Orden und Dekolletés blitzen überall.
Erst sehen wir Fahnenweihe und Mummenschanz,
dann folgen Jägermarsch und Ententanz.
Schützenliesel tralala
Schützenkönig humptata
Der alte König nimmt die Parade ab,
alle gehen zu Fuß, nur die Pferdchen im Trab.
Sein Nachfolger schwankt (und steht doch fest),
denn er hat Geld, im Gegensatz zum Rest.
Seit 200 Jahren geht es immer so weiter
– mit Freibier trinkt man das Fest sich heiter.
Zu jedem Schützenfest gehört auch ein fröhlicher Umzug. (Foto: Dick Aalders)
Niedersachsen