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Überschwänglich lobend bespricht Thomas Mann hier den 1920 erschienenen Roman Knut Hamsuns, der im selben Jahr den Literaturnobelpreis erhielt: »Im ganzen: die 400 Seiten sind gedrängt voll von allen Reizen, technischen Verschlagenheiten, dichterischen Intensitäten und intimen Erschütterungen«. Mit dem Sujet des stigmatisierten, weil von Impotenz betroffenen männlichen Helden stellte sich Hamsun in eine Reihe mit Namen wie Latouche und Stendhal – auch Chamissos ›Schlemihl‹ oder Wagners ›Der fliegende Holländer‹ kommen als Referenz in Betracht. Die Besprechung wurde zunächst am 29. Januar 1921 in der Prager Presse veröffentlicht, später nahm Mann sie auch in Werkausgaben auf. Von den ›Betrachtungen eines Unpolitischen‹ kommend liegt es nahe, dass für sein Interesse an Hamsun auch dessen teils antidemokratische Tendenzen förderlich waren, in erster Linie verehrte Mann jedoch das schriftstellerische Können des Norwegers: »Ich habe ihn immer geliebt, von jung auf.«
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Seitenzahl: 17
Thomas Mann
»Die Weiber am Brunnen«
Essay/s
Fischer e-books
In der Textfassung derGroßen kommentierten Frankfurter Ausgabe(GKFA)Mit Daten zu Leben und Werk
Der Roman geschlechtlicher Ohnmacht ist mehrfach geschrieben worden, am schrecklichsten von dem Norweger Hans Jäger, dessen Name erst jetzt, dank den Bemühungen eines hingebenden Übersetzers (Nils Hoyer) und eines tapferen Verlegers in Deutschland bekannt zu werden beginnt, obgleich schon Jonas Lie sein großes Bekenntnisbuch »Kranke Liebe« für eine menschliche Tat erklärt hat. Verglichen mit diesem entsetzlichen Dokument, dieser Tragödie der Impotenz in drei Bänden, wirkt Stendhals »Armance« wie ein liebenswürdiger Scherz, als das kluge, elegante und menschlich-kenntnisreiche Kunstwerk, das es ist, aber als Kunstwerk eben, neugierig-objektiv, studienmäßig psychologisch und trotz des tragischen Ausganges innerlich heiter, dazu mit einem deutlichen Einschlag von Romantik: schon durch das Versteckspielen mit dem Schlüssel zum Geheimnis des Romans, die feine Verschwiegenheit des Autors über die melancholische Beschaffenheit seines Helden, wird dieser, der obendrein schön, reich und vornehm ist, poetisiert, zu einer romantisch-elenden Figur aus der Sphäre Schlemihls, des Holländers, Hans Heilings gestempelt, kurz zu einem Angehörigen jenes Heldentypus in Schwarz, mit »düsterem Geheimnis«, welcher unter Gewissensskrupeln irgendeine süße Unschuld seinem sinistren Schicksal verbindet und von ebendieser Unschuld um seines Grames willen bis in den Tod geliebt wird … Sexuelles Unvermögen als psychologisch-gesellschaftliche Form der Schlemihl-Romantik – das scheint mir die Formel für Stendhals bewundernswertes Buch, über das André Gide kürzlich so schön geschrieben hat; und die Stoffwahl selbst, das Thema des »babylanisme« in seiner seelischen Entlegenheit, wirkt als romantischer {470}