Die wundersamen Talente der Kalendario-Geschwister - Louisa Söllner - E-Book
NEUHEIT

Die wundersamen Talente der Kalendario-Geschwister E-Book

Louisa Söllner

0,0

Beschreibung

Magische Geschwister und ein mysteriöser Kriminalfall Als selbsternannter Detektiv für Magisches und Geisterhaftes liebt Pablo sein Zuhause, denn Maubach ist ein Ort voller Geheimnisse. Eines Morgens ziehen der unheimliche Herr Kalendario und seine fünf sonderbaren Kinder in der Nachbarvilla ein. Jenes Haus stand leer, seit vor 25 Jahren die Familie Knopfloch spurlos verschwand. Zusammen mit seiner Schwester Penny und den Kalendario-Geschwistern will Pablo aufdecken, was damals geschah. Doch plötzlich fängt Pennys Pudel an zu sprechen und ein Elefant verschwindet einfach ... Steckt vielleicht noch viel mehr hinter alledem? Eine Detektivgeschichte der besonderen Art voller Freundschaft und mit einer großen Portion Komik. Hier können sich Leser*innen ab 10 Jahren auf eine gelungene Mischung aus Wohlfühlatmosphäre, liebenswerten Figuren und tiefen, ernsthaften Gefühlen freuen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 186

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über das Buch

Als selbsternannter Detektiv für Magisches und Geisterhaftes liebt Pablo sein Zuhause, denn Maubach ist ein Ort voller Geheimnisse. Eines Morgens ziehen der unheimliche Herr Kalendario und seine fünf sonderbaren Kinder in der Nachbarvilla ein. Jenes Haus stand leer, seit vor 25 Jahren die Familie Knopfloch spurlos verschwand. Zusammen mit seiner Schwester Penny und den Kalendario-Geschwistern will Pablo aufdecken, was damals geschah. Doch plötzlich fängt Pennys Pudel an zu sprechen und ein Elefant verschwindet einfach … Steckt vielleicht noch viel mehr hinter alledem?

Über mysteriöse Magie & ein Leben mit und ohne Talente

Inhalt

Über das Buch

1 Die Villa Knopfloch

2 Der Meister des Vergessens

3 Ein Elefant verschwindet

4 Etwas stinkt

5 Bunter Glibber, schwarze Katze

6 Unbegabt

7 Das merkwürdige Verhalten des Herrn Jonas

8 Der tanzende Hausmeister

9 Pablos Theorie

10 Hicks

11 Eddy Edel und das Universum

12 Das schnellste Mädchen der Welt

13 Eine, die gern fliegen möchte

14 Ermittlungen

15 Der Scherzkeks vom Maubacher Tageblatt

16 Verräter

17 Nicht mehr Penny

18 Wiedergutmachung

19 Fehlende Puzzlestücke

20 Villa Kalendario

21 Das Talent der Talente

22 Rückkehr

Über den Autor

Pablo und Penny wussten, dass das leer stehende Nachbarhaus tabu war. Trotzdem zeigte Penny an diesem Morgen auf die Villa Knopfloch und sagte: »Wenn ich heute mehr Tore schieße als du, musst du dich dafür ins Gruselhaus schleichen!«

»Und wenn ich mehr Tore schieße, schleichst du dich da rein!«, entgegnete Pablo.

Penny grinste siegessicher. »Abgemacht«, sagte sie.

Sie kamen an diesem Morgen zu spät zur Schule, weil Penny es unbedingt anders machen wollte als sonst. Normalerweise nahmen sie ihre Fahrräder, aber heute wollte Penny Roller fahren.

Pablo hatte keine Lust darauf. »Ich nehme mein Rad«, sagte er, obwohl Penny seinen quietschenden Roller bereits aus der Garage gezerrt hatte. Nachdem sie eine Weile gezankt hatten, schwang Pablo sich auf sein Mountainbike und Penny auf ihren brandneuen türkisfarbenen Roller.

Nebeneinander brausten sie die Rübenstraße hinunter. Der Holunderweg, auf dem sich sonst immer andere Schulkinder tummelten, war wie leer gefegt.

»Mist, die sind schon alle in der Schule«, keuchte Penny. Pablo trat heftiger in die Pedale.

Auch auf dem Schulhof herrschte Stille. Nur Herr Jonas, der bucklige Hausmeister, war mit einer Schubkarre unterwegs. Pablo und Penny schlossen das Mountainbike und den Roller an den Fahrradständern an. Dann hetzten sie die Treppe ins Schulgebäude hinauf.

»Ihr seid zu spät!«, bemerkte Herr Winkel, ihr Mathelehrer, als sie ins Klassenzimmer stolperten.

»Wissen wir«, sagte Pablo. Direkt biss er sich auf die Zunge. Das war eine freche Antwort gewesen, oder? Zum Glück zwinkerte Herr Winkel ihm zu. Puh! Das war noch mal gut gegangen.

Pablo sank auf seinen Platz. Mathestunden waren die perfekte Gelegenheit, um ein paar Mysterien aufzuklären, fand er. Denn genau wie der Held seiner Lieblingsserie (Sebi Seltsam – Spürnase für besondere Fälle) war Pablo Detektiv für Magisches und Geisterhaftes. Bisher hatte er noch keinen richtigen Fall gehabt. Aber er übte ganz gerne in seiner Fantasie.

Heute konnte er das allerdings vergessen. Penny steckte ihm einen kleinen Zettel nach dem anderen zu. Darauf standen Botschaften wie: »Kleiner Bruder, bereite dich auf deinen Besuch im Gruselhaus vor!« und »Ich hoffe, du machst dir nicht vor Angst in die Hose, Pablo-Baby!« Pablo vergrub die zerknüllten Zettel ganz unten in seinem Federmäppchen.

Er wusste, dass Penny ihn provozieren wollte – und ärgerte sich vor allem darüber, dass es ihr mal wieder gelang. Penny spielte sich gerne als große Schwester auf, nur weil sie einen halben Kopf größer und zwei Monate älter war als er. Pablo konnte das ewige »kleiner Bruder«-Geschwätz inzwischen einfach nicht mehr hören.

Beim Fußball in der großen Pause wollte er es Penny zeigen. Er legte sich mächtig ins Zeug und schoss tatsächlich zwei Tore. Penny schoss allerdings drei. »Hey, freu dich, Pablo-Baby, heute Nachmittag darfst du eine Runde Geisterbahn spielen!«, rief sie triumphierend, als der Schul-Gong erklang. Pablo trat wütend gegen einen Mülleimer.

Seine schlechte Laune verrauchte, als er und Penny nach ihrer letzten Stunde ins Café Sommer im Maubacher Stadtzentrum düsten. Früher hatte Oma Ilse das Café allein geführt. Aber inzwischen war sie zu alt dafür. Seit einigen Wochen halfen deshalb Pablo und Pennys Mütter, Lea und Cris, aus. Die Familie war dafür extra von München nach Maubach gezogen. Pablo konnte sein Glück noch immer nicht fassen.

Schon als kleiner Junge hatte er gebannt Oma Ilses Geschichten über Maubach gelauscht. In diesen Geschichten war Maubach ein magischer Ort. Briefe teilten sich dort von selbst aus und flogen morgens durch die Straßen wie Vögel. Die Erdbeertorten, die Ilses Vater buk, schmeckten so himmlisch, dass alle, die davon kosteten, kurz abhoben. Und im Brunnen auf dem Marktplatz schwamm an manchen Tagen ein Nilpferd, das dann auf rätselhafte Weise wieder verschwand.

Der Mittelpunkt dieses magischen Maubach war Alfred Knopfloch, der Erfinder eines Anti-Schluckauf-Mittels und die Quelle aller Magie. In Oma Ilses Worten: »Alfred Knopfloch hat den Zauber hierhergebracht. Wenn er jemanden belohnen wollte, hat er dieser Person ein magisches Talent geschenkt. Und nach seinem Verschwinden ist die ganze Magie einfach wieder verpufft.«

Tatsächlich hatte Pablo bisher noch keine Spur von Magie in Maubach entdeckt. Es gab trotzdem keinen Ort, an dem er lieber leben wollte. Immerhin hatte der sagenumwobene Alfred Knopfloch tatsächlich existiert. Und das neue Haus von Pablos Familie befand sich direkt neben der Villa Knopfloch, der ehemaligen Residenz des Unternehmers.

Pablos großer Traum war es, herauszufinden, was genau Alfred Knopfloch und seiner Familie zugestoßen war. Vor 25 Jahren waren sie alle verschwunden: Vater, Mutter und zwei Kinder – ein Junge und ein Mädchen, die nur ein paar Jahre älter gewesen waren als Pablo und Penny.

Wenn Pablo ehrlich war, freute er sich jetzt sogar insgeheim, dass Penny ihn beim Fußball übertroffen hatte. Es war der perfekte Vorwand, um der Villa Knopfloch endlich allein einen Besuch abzustatten. Bisher hatte er immer seine Schwester im Schlepptau gehabt. Und weil Penny das leer stehende Gebäude vor allem gruselig fand, waren die gemeinsamen Expeditionen auf das Nachbargrundstück immer kurz gewesen.

Im Gegensatz zu Pablo hatte Penny etwa so freudig auf den Umzug nach Maubach reagiert wie auf einen muffigen Plüschteddy vom Flohmarkt. Sie bezeichnete sich als »Großstadtmensch« und Maubach als »miefiges Kaff«. Ihr einziger Trost war, dass Lea und Cris ihr erlaubt hatten, einen Hund aus dem Maubacher Tierheim zu holen: einen schwarzen Pudel namens Piksieben.

Nach einem schnellen Mittagessen in Oma Ilses Café begleitete Piksieben Pablo und Penny zurück in die Rübenstraße. Er sprang aufgeregt bellend neben Penny her, als ahne er, dass sie und Pablo etwas im Schilde führten.

Lea und Cris würden noch mehrere Stunden im Café beschäftigt sein. Nachdem Pablo und Penny Roller und Mountainbike in der Garage verstaut hatten, wandten die beiden sich der Villa Knopfloch zu.

Das Gebäude bestand aus Sandstein, der sich inzwischen an manchen Stellen schwarz färbte. Die efeubewachsene Fassade des Hauses wurde von mehreren in den Stein geschlagenen Gargoyle-Fratzen bevölkert. In ganz Maubach gab es kein vergleichbares Haus.

»Und traust du dich?«, fragte Penny.

Pablo nickte.

»Du musst dich ins Haus schleichen, ja? Nur in den Garten gehen zählt diesmal nicht«, sagte Penny.

Pablo verkniff sich ein breites Grinsen. Anstatt sich seine Vorfreude anmerken zu lassen, fragte er: »Und wenn das Haus abgeschlossen ist?«

»Dann trittst du ein Fenster ein«, erwiderte Penny.

Pablo lachte erstaunt auf. Er war sich sicher, dass Penny an seiner Stelle kein Fenster eintreten würde.

»Was gibt’s da zu lachen?«, fragte Penny.

»Ach nichts«, erwiderte Pablo. Dann schlüpfte er durch das Loch im Zaun, das sie auch bei ihren vorigen Erkundungstrips genutzt hatten.

Der Garten der Villa Knopfloch war alles andere als schaurig. Es sei denn, jemand hatte Angst vor hohem Gras und morschen Bäumen. Pablo kickte einen halbvermoderten Apfel vor sich her, während er sich dem Haus näherte. Ohne Penny im Nacken kamen ihm sogar die Gargoyle-Gesichter, die aus dem Stein ragten, zahm vor.

Pablo erklomm die moosbewachsenen Stufen einer Treppe, die auf eine Veranda führte. Oben angekommen bemerkte er, dass die Scheibe der Glastür bereits eingeschlagen war. Anscheinend war schon vor ihm jemand auf die Idee gekommen, der Villa Knopfloch einen illegalen Besuch abzustatten.

Pablo griff vorsichtig durch die zerbrochene Scheibe und drückte die Türklinke herunter. Der Raum hinter der Tür sah wüst aus. Die schwarz-weißen Bodenkacheln waren mit Scherben und hereingewehten Blättern bedeckt. Pablo tänzelte zwischen den Glasscherben hindurch, vorbei an zwei vertrockneten Zimmerpalmen. Dann atmete er tief ein, um den Moment zu würdigen: Er stand tatsächlich in der Villa Knopfloch. Die Ermittlungen konnten beginnen!

Die Zimmer, durch die Pablo spazierte, waren voll möbliert. Nur Staub und Spinnweben gaben Aufschluss darüber, dass die Villa bereits seit 25 Jahren unbewohnt war. Im Wohnzimmer warteten ein gewaltiges grünes Samtsofa und eine Reihe schwerer Bücherregale auf die Rückkehr der Bewohner. Im Esszimmer baumelte ein Kronleuchter an der Decke. Die Glaskristalle malten Lichtmuster auf einen langen Tisch.

Obwohl Pablo die Einrichtung gefiel, begann er sich nun doch ein wenig zu gruseln. Alles in der Villa schien ein Ausdruck von Abwesenheit zu sein. Der Sessel mit dem noch aufgeschlagenen Buch. Die leeren Kaffeetassen auf dem Küchentisch. Die offene Flasche Anti-Schluckauf-Mittel. Die Mäntel, die an der Garderobe hingen wie schlafende Gespenster.

Nachdem Pablo das Erdgeschoss gesehen hatte, stieg er eine knarzende Treppe hinauf in den ersten Stock. Der Raum gegenüber von der Treppe beherbergte ein pompöses Himmelbett, einen riesigen Kleiderschrank, einen Frisiertisch und einen Kamin, der dem übrigen Prunk eine Spur von Gemütlichkeit verlieh. Direkt daneben befand sich ein Zimmer, in dem alles ganz in Rosa gehalten war. Pablo warf nur einen kurzen Blick hinein und wandte sich dann direkt wieder ab.

Im nächsten Raum hingegen stockte ihm kurz der Atem: Hier sah es ein wenig aus wie in seinem eigenen Zimmer. Es gab eine verstaubte Spielkonsole und einen roten Sitzsack. Auf dem Boden stapelten sich alte Comichefte (sogar ein Sebi Seltsam-Comic war dabei) und in einem der Regale standen Reihen bunter Actionfigürchen: He-Man, Transformers, Ninja Turtles. Pablo hätte sich gerne genauer umgesehen, aber in Hinblick auf seinen Fall war auch dieses Zimmer nicht sehr vielversprechend.

Zuletzt betrat Pablo ein Zimmer mit einem großen Schreibtisch und mehreren Bücherregalen darin. Das musste das ehemalige Arbeitszimmer von Alfred Knopfloch sein – mit Sicherheit der beste Ort, um Hinweise darauf zu finden, was den Knopflochs vor 25 Jahren zugestoßen war.

Der Schreibtisch war mit Krimskrams übersät. Pablo griff wahllos nach einzelnen Objekten: Einem Füllfederhalter, einem Stempelkissen, einem Briefumschlag. Er wollte gerade ein schwarzes Notizbuch begutachten, da erklangen von unten plötzlich Geräusche.

Ein Schlüssel drehte sich im Schloss um. Dann hörte Pablo eine Männerstimme sagen: »Da wären wir also! Kommen Sie herein, Herr Kalendario. Es ist alles etwas staubig, aber prinzipiell noch gut erhalten. Darf ich Sie durch die einzelnen Räume führen?«

»Gerne«, erwiderte eine andere Stimmt. Pablo verharrte schockgefroren in seiner Position vor dem Schreibtisch. Eine Hausbesichtigung! Und das ausgerechnet heute.

Hastig sortierte Pablo seine Gedanken. Er musste irgendwie aus dem Haus kommen. Am besten unbemerkt. Den Geräuschen zufolge waren die beiden Männer im Wohnzimmer beschäftigt. Vorsichtig schlich Pablo sich aus Alfred Knopflochs Arbeitszimmer. Wenn er Glück hatte, schaffte er es ungesehen nach unten. Dann könnte er durch die Eingangstür flüchten.

Knaaaarz. So ein Mist! Schon auf der ersten Treppenstufe gab er den Plan wieder auf. Flink huschte er in das Schlafzimmer mit der pompösen Einrichtung. Nach kurzem Grübeln griff er sich eine rosa Tagesdecke und kroch damit unter das Himmelbett. Wenn Pablo sich in die Decke rollte und mucksmäuschenstill blieb, bemerkte ihn vielleicht niemand.

Kurz darauf hörte Pablo auch schon die Schritte der Männer auf der Treppe. »Hier haben wir das Schlafzimmer der Eheleute Knopfloch, Hugo Knopflochs Zimmer, Augustine Knopflochs Zimmer und das ehemalige Arbeitszimmer von Dr. Alfred Knopfloch«, sagte der eine Mann.

»Alles, wie ich es in Erinnerung habe«, erwiderte der andere Mann.

»Ach?«, fragte der erste Mann erstaunt. »Sie waren schon einmal hier?«

»Vor vielen, vielen Jahren, Herr Frey.«

»Wirklich? Ich erinnere mich gar nicht an Sie. Ich habe früher hier gearbeitet – als Assistent von Herrn Knopfloch.«

»Weiß ich.«

»Komisch, dass ich gar nicht weiß, wer Sie … Aber Sie müssen auch noch sehr jung gewesen sein. Waren Sie mit Hugo Knopfloch befreundet?«

»Das erzähle ich Ihnen vielleicht später. Lassen Sie uns erstmal mit der Besichtigung fortfahren.«

Als die Männer das Schlafzimmer betraten, in dem Pablo sich versteckt hielt, konnte er nicht anders: Er musste einfach spionieren. Von seiner Position aus sah er nur Schuhe und Hosenbeine, also robbte er ein wenig nach vorne, bis er einen Blick auf die zwei Männer werfen konnte.

Herr Frey war klein und rundlich. Er redete viel und gestikulierte dabei in Richtung des Kamins. Herr Kalendario war groß, dürr und ganz in Schwarz gekleidet. Ein wenig wirkte er wie ein großer zusammengeklappter Regenschirm. In einer Hand trug er eine altmodische Aktentasche. Als Herr Frey seinen Monolog unterbrach, sagte Herr Kalendario freundlich: »Meine Tochter Dezi wird den Kamin lieben. Sie kann sich in eine Katze verwandeln und hat viel Freude daran, sich vorm Kaminfeuer zu rekeln.«

»Was?!«, hätte Pablo beinahe gefragt. Auch Herr Frey schien diese Information zu verblüffen: »Verzeihung, ich habe wohl nicht ganz richtig gehört. Haben Sie gerade gesagt, dass …?«

Herr Kalendario lachte: »Ja! Ich habe gesagt, dass Dezi sich in ein Katze verwandeln kann. Alle meine Kinder haben magische Talente.«

Herr Frey hüstelte. Anscheinend fühlte er sich mit dieser Wendung des Gesprächs unwohl. »Wie viele Kinder haben Sie denn?«, erkundigte er sich.

»Fünf«, erwiderte Herr Kalendario.

Fünf Kinder mit magischen Talenten! Pablos Herz machte einen kleinen Sprung. Woher hatten Herrn Kalendarios Kinder ihre Talente? In Oma Ilses Maubach-Erzählungen war es Alfred Knopflochs einmalige Gabe gewesen, magische Fähigkeiten zu verteilen …

»Also, Herr Kalendario, diese Sache mit den magischen Talenten war ein Witz, oder?«, unterbrach Herr Frey Pablos Gedankengang.

»Keinesfalls«, erwiderte Herr Kalendario todernst.

»Nun, dann …«, hüstelte Herr Frey. »Herr Kalendario, ich glaube inzwischen, wie soll ich es sagen, dass Sie vielleicht doch nicht der richtige Käufer für dieses Haus sind.«

»Oh«, erwiderte Herr Kalendario kühl. »Herr Frey, dann lassen Sie mich den schlechten Eindruck, den ich gemacht habe, bitte schnell korrigieren. Sie haben sich vorhin darüber gewundert, dass Sie sich nicht an mich erinnern. Das hat einen guten Grund. Denn auch ich habe ein kleines magisches Talent. Ich bin der Meister des Vergessens. Vor 25 Jahren habe ich alle Menschen in Maubach vergessen lassen, dass es mich gibt.«

Pablo in seinem Versteck war richtig mulmig zumute. Herr Kalendario schien tatsächlich in das Verschwinden der Knopflochs verwickelt zu sein. Warum sonst hätte er sich vor genau 25 Jahren aus dem Gedächtnis aller Maubacher radieren sollen? Er musste damals etwas Furchtbares getan haben.

Im Gespräch zwischen Herrn Frey und dem Meister des Vergessens gab es eine merkwürdige Pause. Dann sagte Herr Kalendario: »Und jetzt, Herr Frey, möchte ich, dass Sie alles vergessen, was gerade geschehen ist und was ich in den letzten zehn Minuten gesagt habe!«

Herrn Freys Stimme klang seltsam leiernd, als er sagte: »Hier haben wir das Schlafzimmer der Eheleute Knopfloch, Hugo Knopflochs Zimmer, Augustine Knopflochs Zimmer und das ehemalige Arbeitszimmer von Dr. Alfred Knopfloch.«

In Pablos Ohren rauschte es. Genau das hatte Herr Frey bereits vor zehn Minuten gesagt. Hatte Herr Kalendario wirklich Herrn Freys Erinnerung gestohlen? Es sah ganz danach aus. Der seltsame Kerl besaß tatsächlich magische Fähigkeiten. Mühsam zwang Pablo sich, über das Pochen seines Herzens hinweg dem weiteren Gespräch zuzuhören.

»Sehr charmant. Wissen Sie was? Ich habe genug gesehen«, sagte Herr Kalendario. »Ich kaufe das Haus! Stört es Sie, wenn ich in bar bezahle? Ich habe hier eine Aktentasche mit Geld, die Sie gleich mitnehmen können.«

»Das ist … äh … ungewöhnlich! Aber es handelt sich ja auch um ein ungewöhnliches Haus. Hehe. Ungewöhnlich schwer zu verkaufen ist es obendrein … also in Ordnung! Sie müssen nur noch diesen Vertrag hier unterschreiben.«

Pablo schüttelte den Kopf. Langsam fühlte er sich, als wäre er in eine Sebi Seltsam-Folge hineingestolpert. Die Aktentasche mit Bargeld war ein weiteres Indiz dafür, dass Herr Kalendario kriminell war. Denn nur Kriminelle bezahlten mit Taschen voller Bargeld. Außerdem hatte Pablo aus seinem Versteck ein Detail entdeckt, das Herrn Frey bestimmt entgangen war: Die Aktentasche war in einer Ecke mit den Initialen A. K. bestickt. Begann Herrn Kalendarios Vorname ebenfalls mit A oder hatte diese Tasche früher einmal Alfred Knopfloch gehört?

Pablo kniff die Augen zusammen. Er musste jetzt aufmerksam sein. Herr Frey und Herr Kalendario waren mit der Vertragsunterzeichnung fertig. Sie würden den Raum gleich wieder verlassen. Da spürte Pablo ein beunruhigendes Kitzeln in der Nase. Nein, nein! Bitte nicht jetzt!

Dingdong. »Hatschi!«

»Was war das?«, fragte Herr Kalendario.

»Die Türklingel«, erwiderte Herr Frey. »Gehen wir runter und schauen, wer das ist.« Als das Knarzen der Treppe erklang, atmete Pablo auf. Wer auch immer geläutet hatte, hatte Pablos Leben gerettet – oder zumindest seine kostbare Erinnerung an die letzten paar Minuten. Pablo würde dieser Person dankbar sein bis in alle Ewigkeit und darüber hinaus!

Unten erklang Pennys Stimme. Sofort vergaß Pablo seine Vorsätze zum Thema Dankbarkeit wieder. Immerhin musste er zugeben, dass seine Schwester sich Mühe gab: »Es tut mir so leid, mein Hund ist in den Garten gelaufen. Und jetzt traue ich mich nicht, ihn zurückzuholen. Das Haus sieht so gruselig aus. Würden Sie mich kurz begleiten? Alle beide? Bitte? Bitte?«

»Klar, ich komme kurz mit, kein Problem!«, erwiderte Herr Frey gutmütig. »Herr Kalendario, das ist eine Gelegenheit, um noch den Garten zu besichtigen. Was meinen Sie?«

»Tut mir leid, ich bin kein großer Fan von Hunden. Aber begleiten Sie die junge Dame doch, Herr Frey, und ich schaue mich derweil noch ein wenig im Haus um. Wissen Sie was? Sie müssen gar nicht mehr reinkommen, wir haben ja bereits alles miteinander geklärt, nicht wahr?«

Kurz darauf schepperte die Haustür und dann erklang erneut das Knarzen der Treppe. Pennys Rettungsaktion war gründlich danebengegangen. Nun war Pablo mit dem Meister des Vergessens allein im Haus. Und Herrn Kalendarios Schritte näherten sich. Ob er Pablos Niesen vorhin doch gehört hatte?

Mit angehaltenem Atem lauschte Pablo. Zu seiner Erleichterung kehrte Herr Kalendario aber nicht ins Schlafzimmer zurück. Stattdessen hörte Pablo ihn im Nachbarzimmer – dem Raum mit der rosafarbenen Einrichtung, den Pablo bei seiner eigenen Erkundungstour ganz außer Acht gelassen hatte.

Nach einem kurzen Rascheln war es still im Haus. Pablo lauschte angestrengt, aber von nebenan war kein einziger Mucks mehr zu hören. Was der Meister des Vergessens nur in diesem rosa Mädchenzimmer trieb? Auf jeden Fall war er noch dort – Pablo hätte es gehört, wenn er den Raum verlassen hätte.

Die Stille war beunruhigender als jedes Geräusch und sie zog sich wie eine Busfahrt ohne gültiges Ticket. Pablo kam unter seiner Decke ins Schwitzen. Endlich, endlich ertönten wieder Geräusche im Nebenzimmer. Herrn Kalendarios Schritte entfernten sich, die Treppe knarzte und die Haustür schepperte.

Pablo wartete noch zehn Minuten, bis er sich unter dem Bett hervortraute. Dann schlich er sich vorsichtig durchs Haus, die Treppe hinunter, durch die Diele ins Wohnzimmer, dann in den Wintergarten und schließlich hinaus aus der Villa Knopfloch.

Als er sich kurz darauf durch das Loch im Zaun zurück in den Garten der Sommers schob, jubelte er innerlich. Die Situation war brenzlig gewesen, aber er war entwischt! Aufgedreht taumelte er Penny entgegen, die ihn bereits erwartete. »Puh, bin ich froh, dass du wieder da bist!«, sagte sie. Pablo sah ihr an, dass sie sich Sorgen um ihn gemacht hatte. Und in diesem Moment war er bereit, allen Zank zu vergessen.

»Rate mal, was ich herausgefunden habe!«, sagte er.

»Das ist nicht dein Ernst, oder?«, fragte Penny bereits zum vierten Mal.

»Doch, mein voller Ernst«, sagte Pablo. »Im Gruselhaus zieht bald eine Familie mit fünf Kindern ein.« Er hatte Penny nichts von den magischen Talenten der Kalendarios erzählt. Ihre Reaktion auf eine solche Geschichte, konnte er sich bestens vorstellen: »Lea, Cris, kommt schnell! Pablos letzter Krümel Verstand wurde vom Wahnsinn verschluckt!« Nein, das brauchte er wirklich nicht!

Nachdem Penny Pablos Erzählungen gelauscht hatte, begann sie von ihrer Rettungsaktion zu berichten: »Als ich gesehen habe, dass die Männer zu dir ins Haus gegangen sind, wusste ich, dass ich etwas tun musste!« Aus Pennys Mund klang es so, als hätte sie Pablo mit einzigartigem Einfallsreichtum und unvergleichlichem Mut aus den Fängen einer ganzen Schurkenbande befreit. Pablo wies sie nicht darauf hin, dass ihr Plan nicht aufgegangen war.

Er badete noch im Glanz seines kleinen Abenteuers. Erinnerungen an die staubigen Räume der Villa Knopfloch und den Meister des Vergessens blinkten chaotisch in seinem Kopf durcheinander. Und die Vorahnung, dass er bald seinen ersten Fall lösen würde, prickelte in seiner Brust.

Während Pablo mit seiner Familie beim Abendessen saß und in der übrig gebliebenen Quiche aus Oma Ilses Café stocherte, dachte er fieberhaft darüber nach, wie er seine Ermittlungen gegen Herrn Kalendario am besten vorantreiben konnte. Ihm fiel nur ein Plan ein – doch der war wirklich riskant. Pablo überlegte hin und her, aber es half nichts: Er würde sich mit Herrn Kalendarios magisch begabten Kindern anfreunden müssen, um mehr über den Hauptverdächtigen im Fall Knopfloch herauszufinden.

Pablo schlief in dieser Nacht unruhig und erwachte am nächsten Morgen voller Tatendrang. Als Erstes stürzte er zum Fenster, um zu schauen, ob vor dem Nachbarhaus schon ein Umzugswagen stand. Leider sah die Straße aus wie immer. Dort parkte nur der alte VW-Bus von Lea und Cris. Auch die nächsten Tage blieb es ruhig um die Villa Knopfloch, sodass Pablos Ermittlungen nicht in Fahrt kamen.

Am Donnerstag nach der Schule saß Pablo am Tresen in Oma Ilses Café. Er nippte an einem Glas Eistee und blätterte in einer Zeitung. Denn er hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, das Maubacher Tageblatt regelmäßig nach merkwürdigen Geschehnissen zu durchsuchen. Wenn ihm etwas auffiel, schrieb er es auf die letzte Seite seines Biologiehefts. Bisher häuften sich dort Meldungen über vermisste Katzen – sehr viel mehr hatte Maubach leider nicht an aktuellen Mysterien zu bieten. Die heutigen Überschriften lauteten:

Auf Rädern durch die Region: Treffen des Fahrrad-Clubs – Frühstück und Fundstücke: Großer Hinterhofflohmarkt am Samstagmorgen – Gut geknipst: Fotoausstellung im Gemeindehaus – Maubach hat den Swing: 65. Tanzwettbewerb startet im Mai – Maubacher Zeugin berichtet: Elefant löst sich in Luft auf

Pablo verschluckte sich beinahe an seinem Eistee. Ein in-Luftaufgelöster Elefant war eindeutig eine andere Nummer als eine verschwundene Katze. Schnell überflog Pablo den Artikel: