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Der Chef entscheidet alles, kann alles und hat immer recht – in der Führungsetage der meisten Unternehmen herrschen Strukturen aus dem Industriezeitalter. Dabei ist ein Unternehmen heute nur so gut wie das Know-how seiner Mitarbeiter. Boris Grundl fordert von der Führungsebene die innere Größe, loszulassen und Verantwortung abzugeben. Dann entsteht auch der Raum, in dem Mitarbeiter mit Engagement zeigen, was sie können. Die Ergebnisse bieten auch für erfahrene Chefs noch Überraschungen.
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Boris Grundl
Die Zeit der Macher ist vorbei
Warum wir neue Vorbilder brauchen
Econ
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Econ ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH
ISBN: 978-3-8437-0336-9
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2012Alle Rechte vorbehaltenGesetzt aus der Caslon 540Satz: Pinkuin Satz und Datentechnik, BerlinDruck und Bindearbeiten: GGP Media GmbH, PößneckPrinted in Germany
Widmung
Vorwort
Teil 1: Flaschenhälse Rot – Der Pol der Macher
Ich nehme mir …
Starke Männer in fliegenden Kisten
An sich ziehen, gewinnen, kollabieren
Die Wüste unterm stärksten Baum
Mehr, mehr, mehr!
Teil 2: Führungslose Grün – Der Gegenpol der Macher
Wir wollen nicht …
Aggressive Opfer in kenternden Booten
Blockieren, retten, unterdrücken
Entmachtete Macher
Hauptsache dagegen!
Teil 3: Inspiratoren Gelb – Die neuen Vorbilder
Du kannst …
Dienende Führer in fruchtbaren Gärten
Geben, wachsen, geschehen lassen
Neue Sicherheit
Mehr Tiefe
Nachwort
Für alle Menschen, denen die Entwicklung anderer am Herzen liegt.Ihre Zeit wird kommen.
»Und? Was machen Sie?«
»Ich? Ich verkaufe Produkte, die Menschen ein unabhängiges Leben ermöglichen.« Ich steckte mein Handy weg und nickte dem Mann zu.
Er staunte. Fast konnte ich seine Gedanken lesen. Unabhängiges Leben … überraschendes Tätigkeitsfeld für einen Rollstuhlfahrer … »Wie, Sie verkaufen … was?«
»Ok«, ich seufzte genervt. »Boris Grundl ist mein Name, ich bin Marketing- und Vertriebsdirektor eines Unternehmens, das Badewannenlifter, Pflegebetten, Rollstühle, Gehhilfen und so weiter produziert. Für Senioren oder körperlich Behinderte. Klar, oder?«
Jetzt nickte er.
»Außerdem bin ich Spieler der deutschen Nationalmannschaft im Rollstuhl-Rugby. Wir waren kürzlich in Sydney, bei den Paralympics. Haben leider die Finalrunde nicht geschafft.«
»Oh. Ich bin beeindruckt.« Der Mann hob die Augenbrauen, nickte und machte eine Bewegung, die wie eine halbe Verbeugung aussah.
Ein merkwürdiger Typ. Nach seinem Aufzug zu urteilen, musste er ein Angestellter sein. Aber er machte ja nichts, stand einfach nur im Garten der Hotelanlage rum und hatte mich freundlich angesprochen.
»Australien«, fuhr er fort in seinem undeutbaren Akzent, »wie schön, da haben Sie sich bestimmt das Land noch genauer angeschaut … Sydney, die Wüste im Landesinnern, Tauchen an diesem großen Riff … oh, ich meine, kann man denn Tauchen mit … ich meine …«
»… als Querschnittsgelähmter, meinen Sie? Ja, na klar, das geht. Aber nein«, ich schüttelte den Kopf, »ich musste gleich wieder nach Hause. Termine … einfach zu viel zu tun …«
»Mhm, das tut mir leid«, antwortete er und schaute in die Ferne.
Wieso tat ihm das leid? Ich sah ihn an. Er hatte einen asiatischen Einschlag, dunkle Haut, graues, fast weißes Haar, vielleicht ein Inder. Er lächelte unentwegt. »Und Sie?«, fragte ich, »was machen Sie?«
»Oh, ich mache gerade nichts. Im Moment genieße ich nur die Sonne.« Er lächelte mir zu und deutete mit der Hand zum Himmel, als müsste er mir zeigen, was er mit »Sonne« meinte.
»Nein, ich meine, was Sie hier machen, hier im Hotel. Ich muss am Abend einen Vortrag halten, deswegen bin ich hier. Und Sie?«
»Gefällt Ihnen der Garten?«
Jetzt war ich es, der verwirrt war. Ich war es gewohnt, auf eine klare Frage eine klare Antwort zu bekommen. Wäre dieser Mann mein Mitarbeiter, hätte ich jetzt nachgehakt. Aber er war ja ohnehin ein wenig komisch. »Der Garten? Ja, der ist tatsächlich sehr schön. Jetzt, wo Sie’s sagen …«
»Ja? Schön? Wunderbar! Nun, ich sorge für die Pflanzen. Das ist meine Aufgabe. Und ich freue mich über jeden Gast, der sich über den Garten freut. So wie Sie. Sie sitzen hier im Garten und kommen zur Ruhe.«
Also der Gärtner. Ich schaute auf die Uhr. Ich hatte noch Zeit. Die Fahrt vom Flughafen hierher war furchtbar gewesen, aber es war immerhin schnell gegangen. Vor lauter Zeitdruck hatte ich die Leute vom Hotel nicht genau informiert, wie sie mich abholen sollten. Also hatten sie gleich einen ganzen Reisebus geschickt, nur für mich. Klar. Rollstuhl gleich großes Auto. Sie hatten wohl keine Ahnung, wie sie mich in einen PKW verfrachten sollten. Dass mein Rollstuhl leicht verstaubar ist, wussten sie nicht. Na ja, woher auch. Dann hatten sie mich zu zweit in den Bus gehievt. Ich war mir vorgekommen wie ein Stier in einem Viehtransporter auf dem Weg zur Kampfarena. Nicht schön.
Danach war es schnell gegangen. Nun war ich also hier, und mein Vortrag war erst am frühen Abend. Ich überlegte kurz, ob ich noch zu Hause anrufen sollte. Ob mit der Baustelle alles lief und so. Aber das musste jetzt eben auch mal ohne mich funktionieren.
»Darf ich fragen: Was werden Sie sein?«, fragte der Gärtner.
»Wie meinen Sie das?« Das wurde ja immer schräger. Was war denn das für eine Frage?
»Bitte entschuldigen Sie. Ich will Sie nicht stören. Sie wollen sich bestimmt ausruhen vor Ihrem Vortrag. Bitte entschuldigen Sie.« Er trat einen halben Schritt zurück.
»Nein, nein, kommen Sie, ist schon ok.« Ich hob eine Hand und schaute ihn freundlich an. Irgendwie war diese Begegnung ja auch interessant. »Fragen Sie nur. Ich habe einfach nur nicht verstanden, was Sie meinen – was ich sein werde … Meinen Sie, was ich machen will? Wann? In der Zukunft?«
Er deutete wieder eine Verbeugung an und lächelte mir zu. »Nein, nicht was Sie machen wollen. Was Sie sein werden. Also, Sie halten hier einen Vortrag. Ich habe gehört, es kommen sehr viele Menschen heute Abend, um Ihnen zuzuhören. Aber Sie sind Direktor in einem Unternehmen, und Sie sind Sportler.«
»Ja, und ich bin auch Präsident des deutschen Rollstuhl-Rugby-Verbands. Und ich überlege gerade, noch eine Tochterfirma mit ins Unternehmen zu integrieren.«
»Sehen Sie. Sie machen sehr viel in Ihrem Leben. Sie sind viel beschäftigt. Ich sehe Sie wie eine Gießkanne, die einen großen Garten mit Wasser versorgt. Aber was von all dem, was Sie machen, ist das Richtige?« Er spreizte die Unterarme vom Körper, hielt die Handflächen nach oben und imitierte eine Waage, die schwankte, welche Hand schwerer wog.
Ich schaute ihn durchdringend an. »Sie meinen, ich sollte eine Sache machen, die richtige, weil die anderen falsch sind? Was soll denn daran falsch sein?« Ich war beleidigt. »Wissen Sie … nein, das können Sie ja nicht wissen … ich war nach meinem Unfall Sozialhilfeempfänger. Ich hatte kein eigenes Einkommen, war ein Nichts. Ich habe mir das alles selbst aufgebaut. Ich habe es von ganz unten bis hier oben geschafft, verstehen Sie?«
Sein Lächeln wurde breiter. »Was ich meine, ist: Ich diene den Menschen durch die Pflege des Gartens. Ich sorge für die Pflanzen. Das ist das Beste, was ich den Menschen geben kann. Aber Sie sind ein starker Mann. Viel stärker als ich. Wodurch werden Sie den Menschen dienen? Was können Sie tun, um der Beste zu sein, der Sie sein können? Worin werden Sie zum Brennglas?«
Jetzt starrte ich ihn einfach nur an und war sprachlos.
Er fuhr fort: »Wenn Sie einen Vortrag halten und so viele Menschen kommen, dann können Sie wohl gut reden. Warum sagen Sie dann: ›Ich verkaufe Produkte‹ und: ›Ich bin Direktor‹? Warum sagen Sie nicht: ›Ich bin Redner, ich berühre Menschen mit meiner Sprache‹?«
»Weil …« Er hatte mich wirklich aus der Fassung gebracht. »Na, weil …« Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. So etwas hatte ich mich noch nie gefragt. »Ich denke … also ich habe da schon meine Vorstellung. Ich will Redner sein, ja, aber wenn ich Führungskräften wirklich etwas zu sagen haben will, muss ich zunächst mal Vorstandsvorsitzender eines großen Konzerns sein. Sonst habe ich doch gar keine Berechtigung, wichtige Reden zu halten.«
»Ach so.« Er schaute zu Boden und schwieg eine Weile.
Ich wollte gerade noch etwas hinzufügen, da sagte er: »Darf ich Ihnen eine kleine Geschichte erzählen? Gut? Also. Als ich noch jünger war, da wollte ich einmal auf einen hohen Berg im Himalaja-Gebirge steigen. Bis ganz nach oben. Ich übte ein wenig auf kleineren Bergtouren, lieh mir eine Ausrüstung und begann, mich im Tal nach einer geführten Bergsteigergruppe umzuschauen. Ich kam zu einem neu erbauten Haus, das war voller moderner Ausrüstung, Klettergurte, Steigeisen, Eispickel und so weiter. Dort traf ich einen diplomierten Schweizer Bergführer, der alle Ausbildungsstufen durchlaufen hatte, er zeigte mir stolz seine Zertifikate: Bergführer mit eidgenössischem Fachausweis, Mitglied im Schweizer Bergführerverband 4000 plus. Ich wusste, die Schweizer Bergführer waren die besten der Welt. Er hatte schon große Gruppen in den Alpen geführt und Bücher über das Bergsteigen geschrieben. Jetzt hatte er eine neue Trekking-Agentur am Fuße des Himalaja aufgemacht, bildete Bergsteiger aus, drehte Filme über das Bergsteigen und wollte der beste Bergführer weit und breit werden. Er hatte einen festen Plan für einen Aufstieg in den nächsten Tagen, ich könne mich gern der Gruppe anschließen.
Ich hatte schon fast eingeschlagen, da besann ich mich auf die Regel, niemals ohne Alternativen eine Wahl zu treffen. Darum nahm ich mir vor, mindestens eine weitere Bergführerstation anzuschauen. Ich kam zu einer kleinen, unscheinbaren Hütte. Innen hingen Seile zum Trocknen von der Decke. Ein kleiner Mann, ungefähr 50 Jahre alt, offenbar ein Nepalese, begrüßte mich höflich und bot mir Tee an. Wir kamen ins Gespräch, und er eröffnete mir, dass er zwar Sirdar sei, also Bergführer, aber keinerlei Diplome und Zertifikate besitze. Er habe noch nie eine Schule besucht oder an irgendeinem Kurs teilgenommen. Ab und zu führe er eine Gruppe von Bergsteigern auf die Berge der Umgebung. Aber nie größere Gruppen. Derzeit habe er keine Tour geplant, aber wenn ich wollte, würde er mich gerne führen. Dann würde er Träger zusammenstellen und die Tour vorbereiten.
Ich stand auf, dankte für den Tee und wollte gehen, um zum Schweizer Bergführer zurückzukehren und mich dessen Gruppe anzuschließen, da bemerkte ich im Nebenraum einen von Kerzen erleuchteten Schrein. Auf dem Boden davor lagen Hunderte von runden gravierten und bemalten Steinen. Als ich verwundert stehen blieb, forderte mich der Mann freundlich auf, den Raum zu betreten und mich genauer umzuschauen. Auf den Steinen waren Muster und Schriftzeichen herausgearbeitet und bunt bemalt worden. Ich sah ihn fragend an.
Alle Steine habe er selbst gestaltet – je einen Stein als Dank für eine erfolgreiche Bergbesteigung und die gesunde Rückkehr der ihm anvertrauten Bergsteiger, sagte er. Ich wunderte mich über die schiere Zahl von Steinen. Dann fragte ich ihn, ob er die Steine jeweils auf den Bergen sammle und mit herunterbringe. Da schaute er mich entsetzt an: Unter keinen Umständen habe er das jemals getan, das würde er nie wagen! Was auf dem Berg liege, gehöre dem Berg und müsse dort bleiben.
Ich dankte ihm, gab ihm die Hand und bat ihn, eine Bergtour für mich zu organisieren.«
Der Gärtner schwieg. Ich erwiderte nichts. Dann schaute er mich lächelnd an und verbeugte sich, drehte sich um und ging.
Er ließ mich reichlich durcheinander zurück. Die Sonne schien mir warm ins Gesicht, und ich dachte nach. Ich umrundete eine Blumenrabatte und stellte mich im Schatten einer hohen Hecke unter einen Baum. Mit einem Mal wurde ich sehr müde. Ich lehnte mich nach hinten an den Stamm, stützte den Kopf gegen die glatte Rinde und schaute in die leuchtend grüne Krone.
Als ich die Augen wieder öffnete, war der Schatten weitergewandert, und die nun tiefer stehende Sonne blinzelte mir ins Gesicht. Ich warf einen Blick auf die Uhr. Es war höchste Zeit!
Ich wählte einen Seiteneingang, der mich direkt zu den Konferenzsälen bringen würde. Der Zugang war offensichtlich nur für das Personal geöffnet, jedenfalls versuchte mich ein Hotelangestellter aufzuhalten: »Hallo, wer sind denn Sie?«
Während ich mit Schwung an ihm vorbei steuerte, lächelte ich ihm über die Schulter zu: »Wer ich bin? Bislang war ich eine Gießkanne. Jetzt werde ich zu einem Brennglas.«
Ich konnte fast im Rücken spüren, wie er mir verdutzt hinterherblickte.
Des sin unsere Leut. Für die müsse mer sorge!
An diesem frühlingshaften Dienstag ist der Reiterhof fürs Publikum geschlossen. Ich lenke meinen Sportwagen an den Stallungen vorbei und fahre durch das alte Tor auf den kopfsteingepflasterten Hof des wunderschönen ausgedehnten Guts, das direkt am Rhein gelegen ist. Ich sehe keinen einzigen Menschen, bis auf einen: Ein älterer Mann mit abgeschabter brauner Hose, kariertem Hemd und brauner Jacke steht mitten auf dem Hof und schaut mir entgegen. Ist er das? Ein hochgewachsener alter Mann, schlank und aufrecht. Nicht nur seine Kleidung, auch seine Haut ist braun. Man kann sehen, dass er viel an der frischen Luft ist.
Ich parke neben dem alten Gutshaus und steige aus. Bei mir ist das eine längere Prozedur – bis der Rollstuhl aufgebaut ist, ich mich umgesetzt habe und richtig sitze. Der Mann steht ganz ruhig in einiger Entfernung und schaut. Und wartet. Bis ich fertig bin. Dann kommt er auf mich zu und gibt mir unaufgeregt die Hand.
Manche Menschen erinnern mich unwillkürlich an bestimmte Tiere. Das hilft mir bei einem ersten Erfassen und Einordnen. Bei ihm denke ich sofort: ein Pferdemensch. Die stolze Ruhe, die er ausstrahlt, die ehrwürdige Selbstsicherheit, der aufmerksame Blick, die trotz seines Alters kraftvollen und gleichzeitig lässigen Bewegungen. Ein eindrucksvoller Herr, dem man trotz seiner Arbeitskleidung sofort ansieht, dass er hier das Sagen hat.
Wir haben uns verabredet zu einem Gespräch über seine berühmten Vorfahren, die den gleichen Namen trugen wie er. Er führt mich über den rechteckigen historischen Hof. Unter einer prächtigen Kastanie erblicke ich einen alten, völlig verstaubten Holztisch und verstaubte Holzbänke. Und weil auch das Café des Reiterhofs geschlossen hat, steht auf dem Tisch einfach das, was der Hausherr selbst trinkt: Mineralwasser.
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