Die Zeitmaschine - Herbert George Wells - E-Book

Die Zeitmaschine E-Book

Herbert George Wells

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Beschreibung

Wells' berühmteste Geschichte Der Erfinder einer Zeitmaschine im viktorianischen England berichtet seiner erstaunten Zuhörerschaft von seinen Abenteuern in der Zukunft. In achthunderttausend Jahren wird die Erde von zwei Rassen bevölkert: den oberirdisch lebenden Eloi und den unterirdischen Morlocks. Die naiven Eloi scheinen in einem Paradis zu leben, sie sind sorgenfrei und glücklich. Die affenähnlichen Morlocks hausen in der Unterwelt, in Höhlen, und sie sind Menschenfresser. Ihre Opfer sind die phlegmatischen Eloi. Lesen Sie hier die Originalgeschichte, die Eingang in unsere Popkultur gefunden hat und zahlreich zitiert wird, sei es bei den Simpsons oder in The Big Bang Theory. Null Papier Verlag

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H. G. Wells

Die Zeitmaschine

H. G. Wells

Die Zeitmaschine

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2020Übersetzung: Felix Paul Greve 2. Auflage, ISBN 978-3-954189-28-1

null-papier.de/434

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Ein­füh­rung

Die Ma­schi­ne

Der Zeit­rei­sen­de kehrt zu­rück

Das Rei­sen in der Zeit

In der gol­de­nen Zeit

Der Son­nen­un­ter­gang der Mensch­heit

Ein plötz­li­cher Schlag

Er­klä­rung

Die Mor­locks

Als die Nacht kam

Der grü­ne Por­zel­lan­pa­last

Im Dun­kel

Die Fal­le der wei­ßen Sphinx

Die wei­te­re Vi­si­on

Die Rück­kehr des Zeit­rei­sen­den

Nach der Er­zäh­lung

Epi­log

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr

Einführung

Der Zeit­rei­sen­de (denn so wer­de ich am bes­ten von ihm re­den) setz­te uns eine ge­heim­nis­vol­le Sa­che aus­ein­an­der. Sei­ne grau­en Au­gen leuch­te­ten und zwin­ker­ten, und sein meist blas­ses Ge­sicht war ge­rötet und be­lebt. Das Feu­er brann­te hell, und die wei­chen Strah­len des Glüh­lichts in den Sil­ber­li­li­en tra­fen die Bläs­chen, die in un­se­ren Glä­sern auf­blitz­ten und ver­gin­gen. Un­se­re Stüh­le – von ihm er­fun­de­ne Pa­ten­te – um­arm­ten und lieb­kos­ten sich eher, als dass sie auf sich sit­zen lie­ßen, und es herrsch­te jene üp­pi­ge Nach-Tisch-At­mo­sphä­re, da die Ge­dan­ken an­mu­tig und frei von den Fes­seln der Prä­zi­si­on hin­lau­fen. Und er stell­te es fol­gen­der­ma­ßen dar – in­dem er ein­zel­nen Punk­ten mit ei­nem ha­ge­ren Zei­ge­fin­ger Nach­druck ver­lieh – wäh­rend wir da­sa­ßen und trä­ge sei­nen Ernst bei die­sem neu­en Pa­ra­do­xon (wo­für wir es hiel­ten) und sei­ne Frucht­bar­keit be­wun­der­ten.

»Sie müs­sen mir auf­merk­sam fol­gen. Ich wer­de die eine oder an­de­re Vor­stel­lung be­kämp­fen müs­sen, die fast all­ge­mein an­ge­nom­men ist. Die Geo­me­trie zum Bei­spiel, die man Sie auf der Schu­le ge­lehrt hat, grün­det sich auf einen Irr­tum.«

»Ist da­mit an­zu­fan­gen nicht et­was zu viel von uns er­war­tet?«, sag­te Fil­by, ein streit­lie­ben­der Mann mit ro­tem Haar.

»Ich will von Ih­nen nicht ver­lan­gen, dass Sie ir­gen­det­was ohne ver­nünf­ti­gen Grund an­neh­men, Sie wer­den bald so viel zu­ge­ben, wie ich von Ih­nen nö­tig habe. Sie wis­sen na­tür­lich, dass eine ma­the­ma­ti­sche Li­nie, eine Li­nie von ei­ner Di­cke nil, in Wirk­lich­keit nicht exis­tiert. Das hat man Sie ge­lehrt? Eben­so­we­nig eine ma­the­ma­ti­sche Flä­che. Das sind blo­ße Abstrak­tio­nen.«

»Das stimmt«, sag­te der Psy­cho­lo­ge.

»Auch ein Wür­fel kann, da er nur Län­ge, Brei­te und Tie­fe be­sitzt, in Wirk­lich­keit nicht exis­tie­ren.«

»Da er­he­be ich Ein­spruch«, sag­te Fil­by. »Na­tür­lich kann ein fes­ter Kör­per exis­tie­ren. Alle wirk­li­chen Din­ge – –«

»Das glau­ben die meis­ten Men­schen. Aber war­ten Sie einen Au­gen­blick. Kann ein mo­men­ta­ner Wür­fel exis­tie­ren?«

»Ver­ste­he Sie nicht«, sag­te Fil­by.

»Kann ein Wür­fel, der über­haupt kei­ne Zeit dau­ert, exis­tie­ren?«

Fil­by wur­de nach­denk­lich. »Of­fen­bar«, fuhr der Zeit­rei­sen­de fort, »muss je­der wirk­li­che Kör­per in vier Di­men­sio­nen Aus­deh­nung ha­ben: er muss Län­ge, Brei­te, Tie­fe und – Dau­er ha­ben. Aber in­fol­ge ei­ner na­tür­li­chen Schwach­heit des Flei­sches, die ich Ih­nen im Mo­ment er­klä­ren will, nei­gen wir dazu, die­se Tat­sa­che zu über­se­hen. Es gibt wirk­lich vier Di­men­sio­nen; wir nen­nen sie die drei Ebe­nen des Rau­mes, und eine vier­te, die Zeit. Es herrscht je­doch die Nei­gung, zwi­schen den ers­ten drei Di­men­sio­nen und der vier­ten einen un­wirk­li­chen Un­ter­schied zu ma­chen, weil sich zu­fäl­li­ger­wei­se un­ser Be­wusst­sein in­ter­mit­tie­rend vom An­fang un­se­res Le­bens bis zum Ende der vier­ten Di­men­si­on ent­lang be­wegt.«

»Das«, sag­te ein sehr jun­ger Mann, der krampf­haf­te An­stren­gun­gen mach­te, sei­ne Zi­gar­re über der Lam­pe an­zu­zün­den, »das … ist wahr­haf­tig ganz klar.«

»Nun ist es sehr merk­wür­dig, dass dies in so aus­ge­dehn­tem Maße über­se­hen wird«, fuhr der Zeit­rei­sen­de mit ei­nem leich­ten An­fall von Hei­ter­keit fort. »In Wirk­lich­keit meint man dies mit der vier­ten Di­men­si­on, ob­gleich man­che, die von der vier­ten Di­men­si­on re­den, nicht wis­sen, dass sie es mei­nen. Es ist nur eine an­de­re Art, die Zeit an­zu­se­hen. Es gibt kei­nen Un­ter­schied zwi­schen der Zeit und ei­ner der drei Di­men­sio­nen des Rau­mes, au­ßer dass sich un­ser Be­wusst­sein auf ih­rer Li­nie be­weg­t. Aber ei­ni­ge Nar­ren ha­ben die­se Idee auf der ver­kehr­ten Sei­te zu fas­sen be­kom­men. Sie ha­ben alle ge­hört, was sie über die­se vier­te Di­men­si­on zu sa­gen ha­ben?«

»Ich nicht«, sag­te der Bür­ger­meis­ter aus der Pro­vinz.

»Es liegt ein­fach so. Vom Raum im Sin­ne un­se­rer Ma­the­ma­ti­ker spricht man als von et­was, was drei Di­men­sio­nen hat, die man Län­ge, Brei­te, Tie­fe nen­nen kann, und was stets mit Hil­fe drei­er Ebe­nen, de­ren jede im rech­ten Win­kel zu den bei­den an­de­ren steht, de­fi­nier­bar ist. Aber ei­ni­ge phi­lo­so­phi­sche Leu­te ha­ben ge­fragt, warum ge­ra­de drei Di­men­sio­nen? – warum nicht noch eine Rich­tung, die im rech­ten Win­kel zu den drei an­de­ren steht? – und sie ha­ben so­gar ver­sucht, eine vier­di­men­sio­na­le Geo­me­trie zu kon­stru­ie­ren. Pro­fes­sor Si­mon Ne­w­comb hat das erst vor ei­nem Mo­nat oder so der New-Yor­ker Ma­the­ma­ti­schen Ge­sell­schaft aus­ein­an­der­ge­setzt. Sie wis­sen, dass man auf ei­ner Flä­che, die nur zwei Di­men­sio­nen hat, die Fi­gur ei­nes drei­di­men­sio­na­len Kör­pers dar­stel­len kann, und eben­so, mei­nen Sie, kön­ne man durch Mo­del­le von drei Di­men­sio­nen einen von vier dar­stel­len – wenn man nur der Per­spek­ti­ve der Sa­che Herr wer­den könn­te. Se­hen Sie?«

»Ich glau­be«, mur­mel­te der Bür­ger­meis­ter aus der Pro­vinz; und in­dem er die Brau­en zu­sam­men­zog, ver­sank er in sich, und sei­ne Lip­pen be­weg­ten sich wie bei ei­nem, der mys­ti­sche Wor­te wie­der­holt. »Ja, ich glau­be, jetzt sehe ich’s«, sag­te er nach ei­ni­ger Zeit und hell­te vor­über­ge­hend auf.

»Nun, ich will Ih­nen nicht vor­ent­hal­ten, dass ich seit ei­ni­ger Zeit an die­ser Geo­me­trie der vier Di­men­sio­nen ge­ar­bei­tet habe. Ei­ni­ge mei­ner Re­sul­ta­te sind son­der­bar. Hier, zum Bei­spiel, se­hen Sie das Por­trät ei­nes Man­nes im Al­ter von acht, ein zwei­tes im Al­ter von fünf­zehn, ein drit­tes im Al­ter von sieb­zehn, ein vier­tes im Al­ter von drei­und­zwan­zig Jah­ren, und so wei­ter. All das sind of­fen­bar gleich­sam Lek­tio­nen, drei­di­men­sio­na­le Dar­stel­lun­gen sei­nes vier­di­men­sio­na­len Seins, das ein fes­tes und un­ver­än­der­li­ches Ding ist.«

»Wis­sen­schaft­ler«, fuhr der Zeit­rei­sen­de nach ei­ner Pau­se fort, wie sie zur rech­ten As­si­mi­la­ti­on sei­ner Wor­te er­for­der­lich war, »wis­sen recht gut, dass die Zeit nur eine Art von Raum ist. Hier se­hen Sie eine be­lieb­te wis­sen­schaft­li­che Riss­zeich­nung, einen Wet­ter­be­richt. Die­se Li­nie, der ich mit mei­nem Fin­ger fol­ge, zeigt die Be­we­gun­gen des Baro­me­ters. Ges­tern stand es so hoch, ges­tern Abend ist es ge­fal­len, heu­te Mor­gen wie­der ge­stie­gen und dann lang­sam bis hier her­auf. Das Queck­sil­ber hat doch die­se Li­nie in kei­ner der all­ge­mein an­er­kann­ten Raum­di­men­sio­nen ge­zo­gen? Aber si­cher­lich hat es eine sol­che Li­nie ge­zo­gen, und die­se Li­nie, müs­sen wir also fol­gern, lief die Zeit­di­men­si­on ent­lang.«

»Aber«, sag­te der Arzt, in­dem er eine Koh­le im Feu­er scharf fi­xier­te, »wenn die Zeit wirk­lich nur eine vier­te Raum­di­men­si­on ist, wie kommt es, dass man sie als et­was an­de­res an­sieht und im­mer an­ge­se­hen hat? Und warum kön­nen wir uns nicht in der Zeit um­her­be­we­gen wie wir uns in den an­de­ren Di­men­sio­nen des Rau­mes be­we­gen kön­nen?«

Der Zeit­rei­sen­de lä­chel­te. »Sind Sie so si­cher, dass wir uns im Raum frei be­we­gen kön­nen? Rechts und links und vor­wärts und rück­wärts kön­nen wir uns frei ge­nug be­we­gen, und das ha­ben die Men­schen auch im­mer ge­tan. Ich gebe zu, wir be­we­gen uns in zwei Di­men­sio­nen frei. Aber auf und ab? Da be­schränkt uns die Schwer­kraft.«

»Nicht ganz«, sag­te der Arzt. »Es gibt Bal­lons.«

»Aber vor den Bal­lons hat­te der Mensch – von krampf­haf­ten Sprün­gen und den Une­ben­hei­ten der Erde ab­ge­se­hen – kei­ne Frei­heit ver­ti­ka­ler Be­we­gung.«

»Im­mer konn­ten sie sich ein we­nig auf und ab be­we­gen.«

»Leich­ter, weit leich­ter ab als auf.«

»Und in der Zeit kön­nen Sie sich gar nicht be­we­gen; vom ge­gen­wär­ti­gen Mo­ment kön­nen Sie nicht fort.«

»Mein lie­ber Herr, ge­ra­de da sind Sie im Irr­tum. Gera­de da ist die gan­ze Welt im Irr­tum. Wir kom­men be­stän­dig vom ge­gen­wär­ti­gen Mo­ment fort. Un­se­re geis­ti­ge Exis­tenz, die im­ma­te­ri­ell ist und kei­ne Di­men­sio­nen hat, läuft von der Wie­ge bis zum Gra­be mit geist­för­mi­ger Ge­schwin­dig­keit die Zeit­di­men­si­on ent­lang. Genau, wie wir ab­wärts wan­dern wür­den, wenn wir un­ser Da­sein fünf­zig Mei­len über der Erd­ober­flä­che be­gän­nen.«

»Aber die große Schwie­rig­keit ist die«, un­ter­brach der Psy­cho­lo­ge, »Sie kön­nen sich im Raum in al­len Rich­tun­gen be­we­gen, aber Sie kön­nen sich nicht in der Zeit hin und her be­we­gen.«

»Das ist der Kern mei­ner großen Ent­de­ckung. Aber Sie ha­ben Un­recht, wenn Sie sa­gen, wir kön­nen uns in der Zeit nicht hin und her be­we­gen. Wenn ich mich zum Bei­spiel ei­nes Er­eig­nis­ses sehr leb­haft er­in­ne­re, gehe ich zum Mo­ment sei­nes Ge­sche­hens zu­rück: ich wer­de geis­tes­ab­we­send, wie Sie sa­gen. Ich sprin­ge auf einen Mo­ment zu­rück. Na­tür­lich ha­ben wir kein Mit­tel, ir­gend­wie län­ge­re Zeit da­hin­ter­zu­blei­ben, so we­nig ein Wil­der oder ein Tier Mit­tel hat, sechs Fuß über dem Bo­den zu blei­ben. Aber ein zi­vi­li­sier­ter Mensch ist in die­ser Hin­sicht bes­ser dran als der Wil­de. Er kann im Bal­lon ge­gen die Schwer­kraft stei­gen, und warum soll­te er nicht hof­fen, dass er ein­mal wer­de im­stan­de sein, sei­ne Fahrt die Zeit­di­men­si­on ent­lang zu un­ter­bre­chen oder zu be­schleu­ni­gen oder so­gar um­zu­keh­ren und in ent­ge­gen­ge­setz­ter Rich­tung zu wan­dern?«

»O, das«, be­gann Fil­by, »ist al­les – –«

»Wa­rum nicht?«, frag­te der Zeit­rei­sen­de.

»Es ist ge­gen die Ver­nunft«, sag­te Fil­by.

»Ge­gen wel­che Ver­nunft?«, frag­te der Zeit­rei­sen­de.

»Sie kön­nen be­wei­sen, dass weiß schwarz ist«, sag­te Fil­by, »aber Sie wer­den mich nie über­zeu­gen.«

»Vi­el­leicht nicht«, sag­te der Zeit­rei­sen­de. »Aber Sie be­gin­nen jetzt, das Ziel mei­ner Un­ter­su­chun­gen in der Geo­me­trie der vier Di­men­sio­nen zu se­hen. Schon vor lan­ger Zeit ahn­te ich et­was von ei­ner Ma­schi­ne – –«

»Um durch die Zeit zu rei­sen?«, rief der sehr jun­ge Mann.

»Die in je­der Rich­tung des Rau­mes und der Zeit fährt, wie es ihr Füh­rer will.«

Fil­by be­gnüg­te sich mit La­chen.

»Aber ich habe ex­pe­ri­men­tel­len Be­weis«, sag­te der Zeit­rei­sen­de.

»Das wäre für den His­to­ri­ker au­ßer­or­dent­lich be­quem«, mein­te der Psy­cho­lo­ge. »Man könn­te zu­rück­rei­sen und zum Bei­spiel den an­er­kann­ten Be­richt der Schlacht bei Has­tings prü­fen!«

»Mei­nen Sie nicht, Sie wür­den Auf­merk­sam­keit er­re­gen?«, sag­te der Arzt. »Un­se­re Vor­fah­ren wa­ren nicht sehr duld­sam ge­gen Anachro­nis­men.«

»Man könn­te sein Grie­chisch von Ho­mers und Pla­tos Lip­pen ler­nen«, mein­te der sehr jun­ge Mann.

»In dem Fall wür­den Sie im Ex­amen si­cher durch­fal­len. Die deut­schen Ge­lehr­ten ha­ben das Grie­chi­sche so sehr ver­bes­sert.«

»Und dann die Zu­kunft«, sag­te der sehr jun­ge Mann, »Den­ken Sie nur! Man könn­te all sein Geld an­le­gen, es mit Zin­sen an­ste­hen las­sen und vor­ausei­len!«

»Um eine Ge­sell­schaft zu fin­den«, sag­te ich, »die auf streng kom­mu­nis­ti­scher Ba­sis er­rich­tet ist.«

»Von al­len wil­den, aus­schwei­fen­den Theo­ri­en!«, be­gann der Psy­cho­lo­ge.

»Ja, so schi­en es mir; und des­halb habe ich nie da­von ge­spro­chen, bis –«

»Ex­pe­ri­men­tel­ler Be­weis!«, rief ich. »Sie wol­len das be­wei­sen?«

»Das Ex­pe­ri­ment!«, rief Fil­by, der ge­hirn­mü­de wur­de.

»Las­sen Sie uns Ihr Ex­pe­ri­ment im­mer­hin se­hen«, sag­te der Psy­cho­lo­ge, »ob­gleich das al­les Un­fug ist, wis­sen Sie.«

Der Zeit­rei­sen­de sah sich lä­chelnd im Krei­se um. Dann ging er, im­mer noch leicht lä­chelnd, die Hän­de tief in den Ho­sen­ta­schen, zum Zim­mer hin­aus, und wir hör­ten sei­ne Schu­he den lan­gen Gang bis zu sei­nem La­bo­ra­to­ri­um hin­un­ter.

Der Psy­cho­lo­ge blick­te uns an. »Ich möch­te wis­sen, was er ge­fun­den hat?«

»Ir­gend­ein Ta­schen­spie­ler­stück«, sag­te der Arzt, und Fil­by ver­such­te, uns von ei­nem Be­schwö­rer zu er­zäh­len, den er zu Burs­lem ge­se­hen hat­te, aber ehe er noch mit sei­ner Vor­re­de fer­tig war, kam der Zeit­rei­sen­de zu­rück, und Fil­bys An­ek­do­te brach zu­sam­men.

Die Maschine

Was der Zeit­rei­sen­de in der Hand hielt, war ein glit­zern­des Rah­men­werk aus Me­tall, kaum grö­ßer als eine klei­ne Uhr, und sehr fein ge­ar­bei­tet. Es war El­fen­bein dar­an und eine durch­sich­ti­ge, kris­tal­li­ni­sche Sub­stanz. Und jetzt muss ich aus­führ­lich wer­den, denn was folgt, ist – wenn man nicht sei­ne Er­klä­rung an­nimmt, et­was ab­so­lut Un­er­klär­li­ches. Er nahm einen der klei­nen acht­e­cki­gen Ti­sche, die im Zim­mer um­her­stan­den, und stell­te ihn vors Feu­er, mit zwei Fü­ßen auf den Ka­min­tep­pich. Auf die­sen Tisch stell­te er den Mecha­nis­mus. Dann zog er einen Stuhl her­an und setz­te sich. Der ein­zi­ge an­de­re Ge­gen­stand auf dem Ti­sche war eine klei­ne Lam­pe mit Lam­pen­schirm, de­ren hel­les Licht voll auf das Mo­dell fiel. Au­ßer­dem stan­den viel­leicht ein Dut­zend Ker­zen um­her, zwei da­von in Mes­sing­leuch­tern auf dem Ka­min­sims, und meh­re­re in Wand­leuch­tern, so­dass das Zim­mer glän­zend er­leuch­tet war. Ich saß in ei­nem nied­ri­gen Ses­sel, dem Feu­er am nächs­ten, und zog ihn so­weit vor, dass ich fast zwi­schen dem Zeit­rei­sen­den und dem Ka­min zu sit­zen kam. Fil­by saß hin­ter ihm und sah ihm über die Schul­ter. Der Arzt und der Bür­ger­meis­ter aus der Pro­vinz be­ob­ach­te­ten ihn im Pro­fil von rechts, der Psy­cho­lo­ge von links. Der sehr jun­ge Mann stand hin­ter dem Psy­cho­lo­gen. Wir wa­ren alle auf dem Qui­vi­ve. Es scheint mir un­glaub­lich, dass uns un­ter die­sen Be­din­gun­gen ein noch so fein er­son­ne­ner und noch so ge­schickt aus­ge­führ­ter Streich ge­spielt wer­den konn­te.

Der Zeit­rei­sen­de sah erst uns an und dann den Mecha­nis­mus. »Nun?«, sag­te der Psy­cho­lo­ge.

»Die­ses klei­ne Ding«, sag­te der Zeit­rei­sen­de, in­dem er die El­len­bo­gen auf den Tisch stütz­te und über dem Ap­pa­rat die Hän­de zu­sam­mendrück­te, »ist nur ein Mo­dell. Es ist mein Ent­wurf zu ei­ner Ma­schi­ne, um durch die Zeit zu rei­sen. Sie wer­den be­mer­ken, dass es selt­sam ver­quer aus­sieht und die­se Wel­le dort son­der­bar fun­kelt, gleich­sam als wäre sie ir­gend­wie un­re­al.« Er zeig­te den Teil mit dem Fin­ger. »Auch ist hier ein klei­ner wei­ßer He­bel und dort noch ei­ner.«

Der Arzt stand aus sei­nem Stuh­le auf und sah sich das Ding an. »Es ist wun­der­voll ge­ar­bei­tet«, sag­te er.

»Die Ar­beit dar­an hat zwei Jah­re ge­dau­ert«, er­wi­der­te der Zeit­rei­sen­de. Dann, als wir alle dem Bei­spiel des Arz­tes ge­folgt wa­ren, sag­te er: »Jetzt möch­te ich, dass Sie mich klar da­hin ver­ste­hen: wenn ich die­sen He­bel hin­über­drücke, so glei­tet die Ma­schi­ne in die Zu­kunft fort, und die­ser He­bel kehrt die Be­we­gung um. Die­ser Sat­tel ist der Sitz ei­nes Zeit­rei­sen­den. Ich wer­de den He­bel gleich drücken, und die Ma­schi­ne wird los­ge­hen, Ich wer­de ver­schwin­den, in die Zu­kunft ge­hen und fort sein. Se­hen Sie das Ding gut an. Se­hen Sie auch den Tisch an und über­zeu­gen sich, dass kein Be­trug ge­schieht. Ich will nicht die­ses Mo­dell ver­lie­ren und mir nach­her nach­sa­gen las­sen, ich sei ein Quack­sal­ber.«

Es trat eine Pau­se von viel­leicht ei­ner Mi­nu­te ein. Der Psy­cho­lo­ge schi­en mich an­re­den zu wol­len, aber er gab sei­ne Ab­sicht auf. Dann streck­te der Zeit­rei­sen­de den Fin­ger ge­gen den He­bel aus. »Nein«, sag­te er plötz­lich, »las­sen Sie mir Ihre Hand.« Und er wand­te sich dem Psy­cho­lo­gen zu und nahm des­sen Hand in sei­ne und sag­te ihm, er sol­le den Zei­ge­fin­ger aus­stre­cken. So schick­te der Psy­cho­lo­ge sel­ber das Mo­dell der Zeit­ma­schi­ne auf sei­ne end­lo­se Rei­se. Wir alle sa­hen den He­bel sich dre­hen. Ich bin ab­so­lut si­cher, dass kein Be­trug vor­lag. Es ent­stand ein Wind­hauch, und die Lam­pe fla­cker­te auf. Eine der Ker­zen auf dem Ka­min­sims wur­de aus­ge­bla­sen, und die klei­ne Ma­schi­ne dreh­te sich plötz­lich, wur­de un­deut­lich, war viel­leicht eine Se­kun­de lang wie ein Geist zu se­hen, wie ein Wir­bel schwach glit­zern­den Mes­sings und El­fen­beins; und sie war fort – ver­schwun­den. Ab­ge­se­hen von der Lam­pe, war der Tisch leer.

Alle schwie­gen eine Mi­nu­te lang. Dann sag­te Fil­by, er lie­ße sich hän­gen.

Der Psy­cho­lo­ge er­hol­te sich aus sei­ner Er­star­rung und blick­te plötz­lich un­ter den Tisch. Da lach­te der Zeit­rei­sen­de hei­ter. »Nun?«, sag­te er mit ei­ner Re­mi­nis­zenz an den Psy­cho­lo­gen. Dann stand er auf, ging zum Ta­bak­krug auf dem Ka­min­sims und be­gann sich, uns den Rücken zu­ge­kehrt, sei­ne Pfei­fe zu stop­fen.

Wir starr­ten ein­an­der an. »Hö­ren Sie«, sag­te der Arzt, »ist das Ihr Ernst? Mei­nen Sie im Ernst, dass die­se Ma­schi­ne in die Zeit ge­reist ist?«

»Si­cher­lich«, sag­te der Zeit­rei­sen­de und bück­te Sich, um einen Fi­di­bus am Feu­er an­zu­zün­den. Dann wand­te er sich um, wäh­rend er die Pfei­fe an­zün­de­te, und sah dem Psy­cho­lo­gen ins Ge­sicht. (Der Psy­cho­lo­ge woll­te zei­gen, dass er nicht aus den An­geln ge­ho­ben war, nahm sich eine Zi­gar­re und ver­such­te, sie un­be­schnit­ten an­zu­zün­den.) »Noch mehr – ich habe da hin­ten« – er zeig­te nach dem La­bo­ra­to­ri­um – »eine große Ma­schi­ne fast fer­tig, und wenn sie zu­sam­men­ge­setzt ist, den­ke ich sel­ber eine Rei­se zu ma­chen.«

»Sie wol­len sa­gen, die Ma­schi­ne sei in die Zu­kunft ge­wan­dert?«, sag­te Fil­by.

»In die Zu­kunft oder die Ver­gan­gen­heit – wo­hin, weiß ich nicht si­cher.«

Nach ei­ner Pau­se hat­te der Psy­cho­lo­ge eine In­spi­ra­ti­on. »Sie muss in die Ver­gan­gen­heit ge­wan­dert sein, wenn sie ir­gend­wo­hin ge­wan­dert ist«, sag­te er.

»Wa­rum?«, sag­te der Zeit­rei­sen­de.

»Weil ich an­neh­me, dass sie sich im Raum nicht be­wegt hat, und wenn sie in die Zu­kunft ge­wan­dert wäre, wür­de sie noch im­mer hier sein, weil sie die­se Zeit hät­te durch­wan­dern müs­sen.«

»Aber«, sag­te ich, »wenn sie in die Ver­gan­gen­heit ge­wan­dert wäre, hät­te sie zu se­hen sein müs­sen, als wir in die­ses Zim­mer ka­men, und letz­ten Don­ners­tag, als wir hier wa­ren, und den Don­ners­tag da­vor und so fort.«

»Erns­te Ein­wän­de«, be­merk­te der Bür­ger­meis­ter aus der Pro­vinz mit ei­ner Mie­ne der Un­par­tei­lich­keit, in­dem er sich zum Zeit­rei­sen­den wand­te.

»Kei­ne Spur«, sag­te der Zeit­rei­sen­de; und zum Psy­cho­lo­gen: »Sie den­ken. Sie kön­nen das er­klä­ren. Es ist eine Wahr­neh­mung un­ter der Schwel­le, wis­sen Sie, ver­flüch­tig­te Wahr­neh­mung.«

»Na­tür­lich«, sag­te der Psy­cho­lo­ge und be­ru­hig­te uns. »Das ist et­was ganz Ge­wöhn­li­ches in der Psy­cho­lo­gie. Da­ran hät­te ich den­ken sol­len. Das ist ein­fach ge­nug und hilft dem Pa­ra­do­xen wun­der­voll. Wir kön­nen die­se Ma­schi­ne so we­nig se­hen und wahr­neh­men, wie wir die Spei­che ei­nes wir­beln­den Ra­des oder ei­ner Ku­gel, die durch die Luft fliegt, se­hen kön­nen. Wenn sie fünf­zig oder hun­dert­mal so schnell durch die Zeit wan­dert wie wir, wenn sie eine Mi­nu­te durch­läuft, wäh­rend wir eine Se­kun­de durch­lau­fen, so wird der Ein­druck, den sie macht, na­tür­lich auch nur ein Fünf­zigs­tel oder ein Hun­derts­tel von dem sein, den sie ma­chen wür­de, wenn sie nicht durch die Zeit wan­der­te. Das ist ganz klar.« Er fuhr mit der Hand durch den Raum, wo die Ma­schi­ne ge­stan­den hat­te. »Sie se­hen?«, sag­te er la­chend.

Wir sa­ßen eine Mi­nu­te oder so und starr­ten den lee­ren Tisch an. Dann frag­te uns der Zeit­rei­sen­de, was wir von dem al­len hiel­ten.

»Heut abend klingt al­les plau­si­bel ge­nug«, sag­te der Arzt, »aber war­ten Sie bis mor­gen. War­ten Sie auf den ge­sun­den Men­schen­ver­stand des Mor­gens.«

»Möch­ten Sie die Zeit­ma­schi­ne sel­ber se­hen?«, frag­te der Zeit­rei­sen­de. Und zu­gleich nahm er die Lam­pe und führ­te uns den lan­gen Gang zu sei­nem La­bo­ra­to­ri­um hin­un­ter. Ich er­in­ne­re mich leb­haft des fla­ckern­den Lichts, sei­nes wun­der­li­chen, brei­ten Kop­fes in der Sil­hou­et­te, des Schat­ten­tan­zes, als wir ihm alle folg­ten, ver­wirrt, aber un­gläu­big, und wie wir dort im La­bo­ra­to­ri­um eine grö­ße­re Aus­ga­be des klei­nen Mecha­nis­mus er­blick­ten, den wir vor un­se­ren Au­gen hat­ten ver­schwin­den se­hen. Tei­le wa­ren aus Ni­ckel, Tei­le aus El­fen­bein und an­de­re wa­ren ohne Fra­ge aus Fels­kris­tall ge­schlif­fen und ge­schnit­ten. Die Ma­schi­ne war ziem­lich fer­tig, nur die ge­wun­de­nen Kris­tall­wel­len la­gen noch un­voll­en­det auf der Bank ne­ben ei­ni­gen Zeich­nun­gen, und ich nahm eine in die Hand, um sie bes­ser zu be­trach­ten. Es schi­en Quarz zu sein.

»Hö­ren Sie«, sag­te der Arzt, »ist es Ih­nen wirk­lich Ernst? Oder ist es ein Trick – wie der Geist, den Sie uns ver­gan­ge­ne Weih­nach­ten zeig­ten?«

»Auf der Ma­schi­ne«, sag­te der Zeit­rei­sen­de und hielt die Lam­pe hoch, »will ich die Zeit er­for­schen. Ist das klar? Es ist mir in mei­nem gan­zen Le­ben nie mehr Ernst ge­we­sen.«

Kei­ner von uns wuss­te recht, wie er es neh­men soll­te.

Ich be­geg­ne­te über der Schul­ter des Arz­tes Fil­bys Auge, und er blin­zel­te mir fei­er­lich zu.

Der Zeitreisende kehrt zurück