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Auf das wenige Süßwasser der Welt stürzen sich acht Milliarden Menschen. Landwirtschaft, Industrie, Privathaushalte – alle brauchen Wasser. Das gibt Ärger: Verschmutzung, Vergeudung, Profitstreben. Die Wasserkrise hat viele Gesichter, genau wie die Mission, Wasser für alle Menschen zugänglich zu machen. Nur wenige sind darüber so gut informiert wie Carolin Stüdemann. Sie ist Geschäftsführende Vorständin des gemeinnützigen Vereins Viva con Agua. Die Hamburger NGO setzt sich global und wirksam für den Zugang zu sauberem Wasser ein. Das faszinierende Element Wasser, seine Kraft und seine Gefährdung: Dieses hochaktuelle und sorgfältig recherchierte Buch klärt auf, bringt die Leser*innen zum Staunen, lädt zum Mitreden ein. Zahlreiche Wissenschaftler*innen und engagierte Prominente kommen zu Wort. Die zentrale Botschaft dieser Liebeserklärung an ein gefährdetes Gut: Die Welt hat ein Wasserproblem. Aber Probleme lassen sich bekanntlich lösen.
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Seitenzahl: 326
Veröffentlichungsjahr: 2025
Auf das wenige Süßwasser der Welt stürzen sich acht Milliarden Menschen. Landwirtschaft, Industrie, Privathaushalte – alle brauchen Wasser. Das gibt Ärger: Verschmutzung, Vergeudung, Profitstreben. Die Wasserkrise hat viele Gesichter, genau wie die Mission, Wasser für alle Menschen zugänglich zu machen. Carolin Stüdemann engagiert sich seit Jahren für dieses Ziel und vermittelt jetzt ihre Faszination für unser wertvollstes Element.
Die Bedeutung von Wasser, seine Kraft und seine Gefährdung: Lassen Sie sich einladen und mitreißen – zum Staunen und Mitmachen. Die Welt hat ein Wasserproblem. Aber Probleme lassen sich bekanntlich lösen, am besten gemeinsam!
Mit Beiträgen von: Eckart von Hirschhausen, Bela B., Sven Plöger, Dirk Steffens, Maude Barlow, Luise Amtsberg, Esra Karakaya, Agnes und Micha Fritz, Kübra Gümüşay, Aletta Bonn, Jeannette Gusko und Katarina Huth
»Wir laden ein zu einer Reise durch die Welt des Wassers, erläutern, warum H2O ein ganz außergewöhnlicher, faszinierender Stoff ist, hinterfragen, in welchem Zustand sich Wasserressourcen weltweit befinden und welchen Einfluss die Klimakrise darauf hat.
[…] Dieses Buch will ein praktischer, mutmachender Ratgeber dafür sein, wie sich Engagement für Wasser möglichst wirkungsvoll gestalten lässt und was jeder Mensch tun kann, um mit der zunehmend wertvoller werdenden Lebensgrundlage Wasser achtsamer umzugehen.
Der Beitrag von jeder und jedem Einzelnen ist kein Tropfen auf den heißen Stein. Die Botschaft ist: Du bist der Tropfen, der mit vielen anderen zu einer kraftvollen Welle werden kann, die grundlegende Veränderungen bewirkt.
Wasser ist kostbar, besonders und elementar.
Wasser ist Leben. Wasser ist magisch. Wir sind Wasser.
Lasst uns die Wucht der gemeinsamen Welle zusammen entdecken … «
Carolin Stüdemann und Rüdiger Braun
CAROLIN STÜDEMANN
RÜDIGER BRAUN
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Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.
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Originalausgabe 3/2025
Copyright © 2025 by Ludwig Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR)
Externes Lektorat: Janina Jetten
Umschlaggestaltung: Dominic Wilhelm unter Verwendung eines Motives von: Julia Maria Sophie Knieß
Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg
ISBN 978-3-641-32148-2V001V001
www.Ludwig-Verlag.de
Es beginnt mit einem Tropfen. Ganz klar und rein und nass. Erfrischt dich, gibt Hoffnung, schenkt dir damit neue Kraft.
Der Tropfen wird zum Rinnsal. Aus dem Rinnsal wird ein Bach. Fließt zu Schulen und zu Kindern, die tanzen, wie vom Leben angelacht.
Aus dem Bach wird ein Fluss, der losströmt und Wellen schlägt. Denn Wasser lebt. Hast du gewusst, wie ein Tropfen nur die Welt bewegt?
Also setzen wir ein Wasserzeichen. Denn wir können wirklich was erreichen. Wenn wir uns nicht nur die Hände, sondern auch das Wasser reichen.
David Friedrich, Poetry-Slammer
VORWORTVONECKARTVONHIRSCHHAUSEN
KAPITEL 1 INSPIRATION: WASSERISTLEBEN
Im »Flow« mit dem Meer
Erdbeeren pflücken in Elmshorn
Den Selbstzweifel besiegen
Engagement, das Spaß macht
Erfolgreiche Weltwasserkonferenz
Die Viva-con-Agua-Story
»Eine Community, die alles ausprobiert« VONBELA B
KAPITEL 2 H2O: EINBESONDERERSTOFF
Kurioses Verhalten
Ein Abbild der Unendlichkeit
Wasser, ein Geschenk des Kosmos
Geheimnisvolles Lebenselixier
Der Mensch als Wackelpudding
»Kieselalgen, die vielleicht wichtigsten Geschöpfe, von denen du nie gehört hast« VONDIRKSTEFFENS
KAPITEL 3 WASSERSTAND: ZAHLEN, DATEN, FAKTEN
Eine bezaubernde blaue Murmel
Das Wasser der Welt
Der Weg eines Tropfens
Sündenfall »Große Seen«
Der brennende Fluss
Umweltbewegung schafft Wende
Gewässerverschmutzung, die unsichtbare Krise
Süßwasser am Limit
Wie kommen wir zurück in den sicheren Bereich?
Wasserverbrauch weltweit
Grundwasser: teils übernutzt, teils kaum genutzt
»Der Zustand unserer Flüsse ist beunruhigend« VONALETTABONN
KAPITEL 4 VERGEUDUNG: WASSERSCHWUNDINDEUTSCHLAND
Alarm aus dem Weltraum
Sag mir, wo das Wasser ist …
Streit ums Wasser
Die Wasseruhr, die rückwärts läuft
Flusswasser für Wein und Gemüse?
»Dranbleiben lohnt sich – und kritischer Journalismus wirkt« VONJEANNETTEGUSKOUNDKATARINAHUTH
KAPITEL 5 KLIMAFOLGEN: ZWISCHENBANGENUNDHANDELN
Rekordeisschwund am Aletschgletscher
Das »ewige Eis« schmilzt immer schneller
Situation der Gletscher weltweit
Zu viel Wasser im Winter, zu wenig im Sommer
Ein Leben zwischen Extremen
Wasserkonflikt in La Paz
Klimaanpassung zeigt Wirkung
Endlich handeln und besser machen!
»Wir brauchen diesen Planeten – er uns aber nicht« VONSVENPLÖGER
KAPITEL 6 PROFIT: DASGESCHÄFTMITDEMWASSER
Den Regen verpachten
Der Wasserkrieg von Cochabamba
Blaues Gold
Von der Privatisierung zur »Rekommunalisierung«
Vertreibung aus dem Paradies
Wasser für Finanzjongleure
Genialer Marketingtrick: Wasser in Flaschen
Leitungswasser contra Flaschenwasser
Volle Flaschen, trockene Brunnen
Laut, leise oder kleinlaut?
Ein öffentliches Gut
»Das Wasser gehört der Erde und den künftigen Generationen« VONMAUDEBARLOW
KAPITEL 7 GRUNDBEDÜRFNIS: WASSERALSMENSCHENRECHT
Historischer Erfolg
Nachhaltiger Umgang mit Wasser
Fortschritt im Schneckentempo
WASH macht Spaß
Würde durch Wasser
Fabelwesen spart Steuerzahlern Millionen
Gesunde Umwelt, gesunde Menschen
»Der Zugang zu Wasser ist die Grundlage für ein Leben in Würde« VONLUISEAMTSBERG
KAPITEL 8 ENGAGEMENT: DERKOSMOSVONVIVACONAGUA
Shake it, Wash it, Break it, Make it
Zwischen Regenwald und Dürrezonen
Quirliges Kampala
Holpriger Weg nach Yumbe
Pantomime öffnet Herzen
Die Legende vom Weißen Retter
»Die Lust, etwas gemeinsam zu schaffen« VONAGNESUNDMICHAELFRITZ
KAPITEL 9 CHANCEN: FORTSCHRITTEUNDIDEEN, DIEMUTMACHEN
1| Mexico Citys Regenwasser nutzen
2| Wälder wachsen lassen, ohne Bäume zu pflanzen
3| Indiens Lebensader wiederbeleben
4| Wasser aus Wolken kämmen
5| Plastikteilchen aus Klärwerken schöpfen
Innovationen nutzen
»Noch heute steht das Wohlergehen des Globalen Nordens im Mittelpunkt« VONESRAKARAKAYA
KAPITEL 10 ENTSCHEIDUNG: WEGEZUEINERZUKUNFTSFÄHIGENWASSERNUTZUNG
Duschen ohne Reue
Wettbewerb ums Wassersparen
Ist Wassersparen schädlich?
Ein gigantischer Wasserfußabdruck
Mehr Wasser durch weniger Fleisch
Keime im Kühlwasser
Bier aus recyceltem Abwasser
Wertvolles Second-Hand-Wasser
WCs als Energie- und Wasserquelle
Abwasser für Biomangos
»Utopien Wirklichkeit werden lassen« VONKÜBRAGÜMÜŞAY
AUSBLICK
Grund für Optimismus
ANHANG
DANKSAGUNG
ANMERKUNGEN
GRAFIKEN, ILLUSTRATIONEN, BILDNACHWEISE
REGISTER
Wieso heißt es eigentlich »Erde«, wenn siebzig Prozent der Oberfläche Wasser sind?
In meinem Lieblingssketch des amerikanischen Duos Penn & Teller kommt in einem schicken Restaurant ein »Wasser-Sommelier« an die Tische. Dieser hat eine umfangreiche Karte mit zu hundert Prozent wasserhaltigen Getränken, die jeweils die verschiedenen Speisen und Gänge optimal begleiten sollten. Es gibt alles: von japanischem Gletscherwasser vom Mount Fuji – zum Fisch und zum Entgiften – bis zu einer Delikatesse, dem französischen Wasser L’eau du robinet, was nichts anderes heißt als: direkt aus dem Wasserhahn. Keiner der amerikanischen Gäste kam beim Verkosten auf die Idee, dass tatsächlich alle Gläser genau dasselbe Wasser enthalten könnten: das aus dem Schlauch im Hinterhof. Keiner beschwerte sich, vielmehr fanden alle Befragten den Geschmack abwechselnd »interessant« oder »mal was anderes«. Sie konnten aber nicht Leitungswasser von Leitungswasser unterscheiden.
Warum erzähle ich das?
In dem einen Teil der Welt laufen Promis mit schicken Flaschen, schicken Namen und Wasser durch die Gegend, das um den halben Erdball transportiert wurde. In anderen Teilen der Welt kommt kein Tropfen aus dem Hahn – wenn es denn überhaupt eine Leitung gibt. Und diese Menschen finden medial kaum statt, obwohl mit der galoppierenden Klimakrise die Extremwetter immer häufiger und heftiger werden. Mal gibt es überhaupt kein Wasser, Dürre, Missernten und Flucht sind dann die Folgen. Oder wie im November 2024, am Ende des heißesten Jahres »ever«, sterben Menschen in den Fluten in Valencia, weil warme Luft mehr Wasser aufnimmt – und irgendwo wieder abregnet. Physik gilt weiter, auch wenn man es in der Schule abgewählt hat. Naturgesetze sind nicht verhandelbar. Und eins heißt: Wasser ist Leben.
Wir sind die erste Generation, die hautnah mitbekommt, was sich gerade verändert. Und die letzte, die wirklich ändern kann, wie es weitergeht.
Seit 2010 gibt es ein Menschenrecht auf Zugang zu sauberem Wasser, festgeschrieben von der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Doch während Millionen von Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, kaufen Konzerne wie Nestlé, Coca-Cola und PepsiCo allgemein zugängliche Quellen auf und machen aus einem Menschenrecht ein profitables Handelsgut. Und wir kaufen ihnen das auch noch ab! Mit dem Wunsch nach Reinheit wird ein dreckiges Geschäft gemacht, und damit meine ich nicht nur den dreckigen Transport. Die Einzigen, die auf der Welt »San Pellegrino« trinken sollten, sind Menschen, die rund um San Pellegrino Terme wohnen.
Ich werde nie vergessen, wie ich das erste Mal in meinem Leben einen Wasserhahn aufdrehte und nichts herauskam. Es war 1992 in Brasilien. Das ist lange her, aber dieser Kulturschock hat sich bei mir eingebrannt. Ich war noch Medizinstudent und erlebte mit, wie eine Stadt notdürftig mit Tankwagen aus der Ferne versorgt wurde, weil die Wasservorräte aus Grundwasser und Staubecken trockengelaufen waren. Was es noch an Wasser gab, wurde sorgfältig aufgefangen und, wo es ging, mehrfach genutzt. Theoretisch wusste ich, dass unser Körper zum größten Teil daraus besteht. Plötzlich spürte ich auch, wie existenziell Wasser Leben bedeutet.
Viva con Agua hat dem Thema Wasser eine ganz andere Bühne gegeben. Bei den Konzerten mit dem Sammeln der Pfandbecher, mit der Kampagne »Water is a human RIGHT« und mit vielen bekannten Gesichtern, die sich für diesen Grundstoff des Lebens öffentlich einsetzen. Danke! Ich durfte Teil der Kampagne sein und schreibe gerne das Vorwort für dieses persönliche Buch von Caro Stüdemann, die ich von verschiedenen Aktionen kenne, und Rüdiger Braun, einem der besten Wissenschaftsjournalisten des Landes.
Ich durfte vorab schon mal in die Texte reinschauen und habe vieles nicht so klar vor Augen gehabt.
Ab jetzt werde ich in meine Vorträge zu Klimakrise und Gesundheit Wasser noch stärker einbauen. Und ich bin sicher, dass auch du in dem Buch viele inspirierende neue Perspektiven finden wirst. Und behalte das bitte nicht für dich!
Wir haben eine Jahrhundertaufgabe vor der Nase und weniger als zehn Jahre Zeit. Das Wichtigste, was ein Einzelner heute machen kann ist: Bleib nicht alleine. Verbinde dich mit anderen. Und so wie es das Wasser von Viva con Agua in LEISE und LAUT gibt, so lies das Buch leise und werde dann laut! Erst sich schlaumachen, dann Mund aufmachen. Nicht alle, die sich an den aktuellen Diskursen beteiligen, halten diese Reihenfolge ein. Und gerade bei all dem Müll, dem Hass und der Desinformation, die in sozialen Medien unterwegs sind, braucht es echte Menschen, die positive Geschichten erzählen. So wie ihr sie hier findet.
Geschichten sind da, um sie weiterzuerzählen. Wir reden zu viel über den Fußabdruck, aber mit der Bambuszahnbürste rettest du die Welt nicht. Dein Handabdruck ist wichtiger: Was kannst du mit deinem Handeln an größeren Hebeln bewegen? Und auch wenn jeder von uns die Momente kennt, wo man sich angesichts der globalen Themen ohnmächtig fühlt. Jeden Tag kannst du jemanden bewegen, die oder der mehr bewegen kann als du. Und dann bewegt sich was.
Das ist die Idee von »Die Zukunft unseres Wassers«.
Es ist schwer, ehrenamtlich die Welt zu retten, solange andere sie hauptberuflich zerstören. Deshalb braucht Engagement die Kombi von Profis und Ehrenamt, von Struktur und sozialer Bewegung, von dir und mir und ganz vielen anderen.
Denn neben Fuß- und Handabdruck ist noch etwas wichtig: der Herzabdruck. Was Viva con Agua von Anfang an auszeichnet, ist ein mitreißend positiver »Spirit«. Wer mit dem Herzen dabei ist und zeigt, dass man beim Gutes-Tun auch noch gute Laune haben kann, reißt andere mit. Und seit ich mal beim Deutschen Nachhaltigkeitspreis einen Abend (es wurde später) die »crazy« Truppe von Goldeimer und das Konzept von »Aus Scheiße Gold machen« kennenlernen durfte, kommt mir auch kein anderes Klopapier mehr in die Schüssel. Und auch nicht an den Standorten meiner Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen. Gesundheit beginnt eben nicht mit einer Tablette, einer Operation oder einem MRT. Gesundheit beginnt mit der Luft, die wir atmen. Mit dem Wasser, das wir trinken. Leckeren Pflanzen zum Essen. Erträglichen Temperaturen. Und einem friedlichen Miteinander.
Nichts davon ist garantiert. Nichts davon wird von alleine besser. Und nichts davon »regelt der Markt«. Wir schaffen das gemeinsam oder gar nicht.
Und noch sind Tropfen und Malz nicht verloren! Optimismus ist Pflicht. Und heißt rückwärts: Sumsi mit Po. Keine Ahnung, was ich damit sagen will.
Ach ja, und Wasser trinke ich saisonal und regional immer aus dem Hahn. Der Wasserhahn ist ja der Unverpacktladen für Getränke. Ich steh auf Leitung und bin dankbar, in einem Land zu leben, wo das Wasser direkt trinkbar ist. Dieses Privileg können alle, die bis hierhin gelesen haben, mit diesem Buch noch mehr schätzen. Und nutzen, um sich dafür einzusetzen, dass Wasser nicht nur auf dem Papier ein Menschenrecht ist, sondern jeder Mensch Zugang dazu bekommt.
Gesunde Menschen gibt es nur auf einer gesunden Erde.
Prost!
Eckart von Hirschhausen
November 2024
Wasser verbindet uns alle.
Ohne Wasser gibt es kein Leben auf unserem Planeten.
Mittlerweile fliegen wir ins Weltall und begeben uns auf die Suche nach Wasser auf anderen Planeten – in der Hoffnung auf Spuren von Leben im Universum.
Egal wo wir leben, welche Herkunft und Biografie wir haben, wie groß unser Geldbeutel ist, wen wir lieben oder welche Sprache wir sprechen – Wasser ist unser gemeinsamer Nenner.
Wasser hat auch für mich persönlich eine enorme Bedeutung. Natürlich. Schließlich ist es als geschäftsführende Vorständin von Viva con Agua de Sankt Pauli e. V. meine Verantwortung – oder ehrlich gesagt sogar meine Berufung. Bei unserer gemeinnützigen Organisation dreht sich alles um Engagement für Wasser – wir setzen uns global für den Zugang zu sauberem Trinkwasser ein.
Mein Einsatz bedeutet für mich eine Liebeserklärung an das Wasser.
Während dieses Buchprojekts wurde mir noch einmal bewusst, wie sehr mich Wasser nicht nur seit meiner Zeit bei Viva con Agua fesselt. Es ist seit frühester Kindheit ein Thema, das sich wie ein »blauer« Faden durch mein Leben zieht.
Ich komme aus einer Familie, in der aktiver Umweltschutz großgeschrieben wurde. Meine Eltern, Jahrgang 62 und 63, haben sich, seit ich denken kann, sozial engagiert und für die Natur starkgemacht. Mein Vater organisierte Friedensdemonstrationen, engagierte sich gegen Atomkraft und für erneuerbare Energien. Meine Mutter wies schon seit Mitte der 1970er-Jahre auf Alternativen zu Plastik hin und engagierte sich in feministischen Anliegen.
Mein Großvater Gotthard Lange war Ende der 1970er-Jahre Gründungsmitglied eines Vereins, der sich zur Aufgabe gemacht hatte, in abgelegenen Regionen Togos Brunnen zu bauen. So erfuhr ich als Zehnjährige nicht nur, wie Brunnen mit einer Handpumpe funktionieren, sondern auch, dass es Themen wie Wassermangel oder Wasserstress gibt, denen Millionen von Menschen ausgesetzt sind. Dass es nicht überall auf der Welt eine Selbstverständlichkeit ist, den Wasserhahn aufzudrehen und dann sauberes Wasser zum Trinken und Reinigen zu erhalten. Ich erinnere mich noch genau an dieses Gefühl von Dankbarkeit, an jedem Tag fließend Wasser nutzen zu können.
Das geht mir bis heute so: Ich wertschätze es zutiefst, wenn ich den Wasserhahn aufdrehe und klares Wasser heraussprudelt. Zu jeder Zeit. Gut aufbereitet und ohne Keime oder Gifte.
Für mich und meine Schwester war es also schon früh selbstverständlich, mit Ressourcen achtsam umzugehen. Bedacht zu heizen und zu lüften, regionales und biologisches Gemüse zu kaufen, auf Flohmärkten Gebrauchtes zu erstehen, mit Nachbarn Dinge zu tauschen, zu duschen, statt ein Vollbad zu nehmen, Pflanzen mit aufgefangenem Regenwasser zu bewässern.
Diese Haltung der Natur gegenüber hat mich geprägt.
Wir sind ländlich aufgewachsen, waren häufig auf Koppeln und Feldern unterwegs und spielten am liebsten entlang eines Baches. Meist kam ich dreckig, nass und überglücklich nach Hause. An jenen Tagen, inmitten von Bäumen, Pfaden, Bächen und in völliger Autonomie, befand ich mich im Einklang mit mir selbst.
Das zutiefst friedvolle Gefühl stellt sich bei mir sofort wieder ein, wenn ich im Wald spazieren gehe und der Untergrund aus Nadeln, Laub und Ästen unter meinen Füßen gedämpft knackt.
Aus der tiefen Verbundenheit zur Natur schöpfe ich einen großen Teil meiner Kraft.
Auf dem Wasser ist dieses Gefühl noch stärker.
Vor ein paar Jahren habe ich angefangen zu kitesurfen, flitze also auf einem Surfbrett, gezogen von einem Lenkdrachen, über das Wasser.
Zu Beginn bin ich unzählige Male vom Brett gefallen, habe sehr viel Nordseewasser geschluckt und oft geflucht. Doch ich habe es mit Humor genommen und gedacht, »hier lerne ich Frustrationstoleranz« – und wurde mit einem überschäumenden Freiheitsgefühl belohnt, wenn der Kiteschirm und das Board ungefähr das machten, was ich wollte.
Es gibt nichts, was mich so sehr ins Hier und Jetzt bringt wie das Kitesurfen.
Da bleibt nicht viel Zeit, groß nachzudenken, sondern ich reagiere intuitiv auf die Wellen und den Wind.
Das Beste sind die Sprünge – wenn man für ein paar Sekunden einige Meter hoch mit dem Wind fliegt. Plötzlich wird es viel stiller – die Zeit scheint stehen zu bleiben. Und eines habe ich gelernt: Nicht ich bin diejenige, die sagt, wo es langgeht, sondern das Meer. Das ringt mir Respekt ab und macht mich demütig vor dieser Urkraft.
Egal, zu welcher Jahreszeit ich kitesurfe: Das Meer fühlt sich lebendig an wie ein Organismus. Und das ist es ja auch: Ich sehe Seegras und Algen, Fische und Quallen, die Löcher der Wattwürmer im Schlamm oder Robben auf den Sandbänken. Wasser ist der Lebensraum für unzählige Tier- und Pflanzenarten – allein in den Ozeanen existieren, nach neueren Schätzungen, über 2,2 Millionen Arten[1]. Nach so einem Tag auf dem Board fühle ich mich rundum aufgetankt und voller positiver Energie.
Damit bin ich kaum allein: Wasser spielt für das Wohlgefühl von uns Menschen eine wichtige Rolle. Sich, auf dem Rücken liegend, in einem See treiben zu lassen, einen Fluss entlangzuwandern, dem Rauschen des Meeres zu lauschen, den salzigen Geruch der Gischt zu riechen und zu schmecken, mit einem Boot durchs Schilf zu gleiten – das ist für viele Entspannung pur und hat etwas Heilsames.
Meinen ersten Kontakt mit Viva con Agua hatte ich bereits mit 17 Jahren.
In meiner Schule in Elmshorn fand ein Vortrag vom Initiator des Vereins, Benjamin Adrion, statt. Ich hatte bis dahin noch nichts von der gemeinnützigen Organisation gehört.
Aber es sollte um den Zugang zu sauberem Trinkwasser als Menschenrecht gehen. Und das machte mich sofort neugierig, weil ich mich sehr für soziale und umweltrelevante Themen interessierte und selbst engagierte – sei es im Naturschutz, als Schülersprecherin für die Schulgemeinschaft, in der Jugendhilfe oder in einer Ehrenamtsgruppe zur Unterstützung von Geflüchteten. Meine Freundinnen und Freunde nannten mich deshalb sogar liebevoll »Öko-Caro« …
Der Raum, in dem die Veranstaltung stattfand, war total überfüllt – viele Schülerinnen und Schüler saßen sogar auf dem Boden. Dass es sich bei dem Redner um einen Spieler vom Hamburger Kultfußballclub FC St. Pauli handelte, mag sicher zur Fülle beigetragen haben …
In jedem Fall wurden wir nicht enttäuscht: Wir hörten Benjamin Adrion an, dass er lebt, woran er glaubt. Mitreißend erzählte er, wie er Viva con Agua mit einem Freundeskreis 2005, also zwei Jahre zuvor, ins Leben gerufen hatte. Er zeigte Bilder von Aktionen und Projekten, in denen es darum ging, für eine ausreichende Wasserversorgung in Ländern ohne ausreichende Infrastruktur zu sorgen.
Seine Begeisterung war ansteckend: In dem Moment hatte wohl jede und jeder Lust, selbst dazuzugehören und etwas beizutragen, die Welt ein Stück weit besser zu machen.
Auf die Frage, was wir tun könnten, um uns zu engagieren, antwortete er ganz einfach: »Alles, worauf du Lust hast!«
Und: »Frag dich, was dir Freude bereiten würde, und dann überleg dir, wie man das nutzen kann, um sich zu engagieren. Entwickele deine eigene Idee und bring sie ein.«
Ich fand seine Worte inspirierend – sie entsprachen meinem Grundgefühl und Verständnis von Eigenverantwortung zutiefst. Was Adrion vorstellte, war kein verzagtes Nachsinnen über die kaum zu bewältigenden Weltprobleme, sondern ein Weg, wie sich mithilfe von Kunst, Sport, Musik, zupackendem Handeln, Kreativität und Lebenslust gemeinsam viel erreichen lässt. Aus eigenem innerem Antrieb.
Der stete Tropfen, die vielen Tropfen weichen Wassers, die zusammen den harten Stein höhlen und sichtbar etwas verändern, dieses mutmachende Bild hat sich bei mir eingeprägt.
Durch seinen Appell angeregt, entschloss sich meine Klasse, im großen Stil Erdbeeren zu sammeln, zu verkaufen und den Erlös zu spenden. Wir bekamen 3000 Euro zusammen und spendeten sie an ein Wasser-Projekt von Viva con Agua in Nicaragua.
Danach begegnete mir der Verein immer wieder auf Konzerten oder Open-Air-Festivals. Seit 2007 sammeln Menschen, die Viva con Agua unterstützen, auf Festivals, Konzerten oder auch in Sportstadien Pfandbecher für sauberes Trinkwasser. Die ursprüngliche Idee stammt von Moritz Meier, einem ehemaligen Marketingleiter von Viva con Agua.Da bei manchen Festivals eine Ticketspende nicht mehr gestattet war, suchte Moritz eine neue Möglichkeit, Geld für Projekte zu sammeln. Eine umfunktionierte Mülltonne und ein kleiner Basketballkorb – und das Konzept der Pfandbecherspende war geboren. Seitdem stehen die bunten Pfandtonnen auf vielen Festivals und Konzerten. Die Menschen verbinden damit die Vision von Viva con Agua und lernen sie dadurch kennen.
Während meiner Zeit in Hildesheim, wo ich Sozial- und Organisationspädagogik studierte, trat Viva con Agua erst einmal in den Hintergrund. Die Frage, die mich in meinem Nebenfach Betriebswirtschaftslehre besonders beschäftigte, war: Wie können profitorientierte Unternehmen konsequenter nach ethischen, ökologischen und sozialen Prinzipien handeln und das unternehmerische Handeln an dem Gemeinwohl orientieren? Und wie können umgekehrt soziale Organisationen ihre Werte beibehalten und gleichzeitig wirtschaftliche Hebel und unternehmerische Werkzeuge nutzen?
Ich erinnere meine kritische Auseinandersetzung mit multinationalen Konzernen: die Ölverschmutzungen in Nigeria, die massenhafte Wasserabfüllung in Indien oder unsachgemäße Abfallentsorgung im Amazonas.
Der Fokus auf Profit ignoriert die Konsequenzen für Mensch und Natur – das hat mich wütend gemacht. Da wusste ich: Ich will etwas verändern.
Ich zitiere gern den Neurologen Viktor Frankl, der mal gesagt hat: »Es kommt nie und nimmer darauf an, was wir vom Leben zu erwarten haben, vielmehr lediglich darauf, was das Leben von uns erwartet.« Diese Worte sprechen mir aus dem Herzen. Denn um strukturelle Probleme lösen zu können, braucht es ganzheitliche Lösungen und die Übernahme von Verantwortung.
Nach meinem Studium leitete ich eine Jugendhilfeeinrichtung in Heide. Ich war damals erst 24 und verantwortlich für die Personalführung eines zwanzigköpfigen Teams sowie für Konzept und Budget. Ich besaß zwar viel theoretisches Wissen, aber wenig Praxis und Führungserfahrung und musste auf einmal Menschen leiten, die zum Teil schon seit 25 Jahren dort arbeiteten.
Drei Jahre habe ich alles gegeben, bin oft über meine Grenzen gegangen und hatte gehörige Selbstzweifel. Aber ich habe mit meinem Team zusammen viel getan, um den Kindern und Jugendlichen eine Perspektive zu schaffen, die mit Traumata durch Gewalt zu uns kamen.
Und dann, als ich 2018 als Consultant in einer Unternehmensberatung gerade Fahrt aufnehmen wollte, sah ich die Stellenanzeige: Der Viva con Agua de Sankt Pauli e. V. suchte einen neuen geschäftsführenden Vorstand für die Nachfolge von Benjamin Adrion.
Die übervolle Schulaula tauchte wieder vor mir auf, seine mitreißenden Worte, mein innerer Antrieb, in meiner Arbeit einem tieferen Sinn nachgehen zu wollen – kurz, ich bewarb mich umgehend.
Nach mehreren Bewerbungsgesprächsterminen, einem Assessmentcenter mit drei Aufgaben, die meine betriebswirtschaftlichen Fähigkeiten und Führungskenntnisse forderten, erhielt ich die Zusage – und war überglücklich.
Das Eintauchen in den bunten, vielfältigen Kosmos von Viva con Agua war für mich am Anfang als Geschäftsführerin wild und turbulent. Es war ein Sprung ins kalte Wasser, der sich aber ganz und gar nicht eisig und einsam anfühlte, weil mir viele hilfreiche Hände gereicht wurden – nicht nur von meinem Co-Geschäftsführer Tobias Rau, sondern auch von vielen ehrenamtlichen Freiwilligen.
Jeden Tag gab es Neues zu entdecken: das Team, das unsere Unterstützerinnen und Unterstützer betreut, die Rückmeldungen und Anfragen aus unseren Projektgebieten in Ostafrika und Asien, Vorschläge für Musik-, Sport- oder Kunstaktionen, Kennenlern-Gespräche mit den Verantwortlichen unseres Mineralwasser-Abfüllers oder den Entwickler der Goldeimer-Trockentoiletten. Und ich habe mit den Jahren unfassbar viele Persönlichkeiten kennengelernt, die mit Hingabe ihre ganz eigenen Stärken einbrachten: Da ist die Unterstützergruppe aus Hamburg, die bei jedem Fußball-Heimspiel Pfandbechersammelaktionen inklusive Infostand umsetzt. Andere Engagierte halten Vorträge und führen Spendenläufe an Schulen durch, um so Kinder und Jugendliche rund um das Thema Wasser zu sensibilisieren und zu aktivieren. Wieder andere organisieren Kochevents – oder Partys, denn Engagement soll Spaß machen. Und das Grandiose dabei ist, die Einnahmen fließen immer in die Projektarbeit. So unterschiedlich das Engagement auch sein mag, das, was gemeinschaftlich umgesetzt wird, ist meist wirkungsvoller und dauerhafter als das, was durch Einzelinitiativen erreicht werden kann.
Entscheidend dabei ist, die kontinuierliche Professionalisierung und Weiterentwicklung als spendensammelnde Organisation zu fördern, während der kreative, abenteuerliche und innovative Spirit bestehen bleibt.
Die Integration der Stärken der Teams und die Förderung von innerer Arbeit – die Essenz von »New Work« – ist die Basis. Fähigkeiten wie Selbstreflexion, Empathie und der entspannte Umgang mit Unsicherheiten sind bei jeder und jedem Einzelnen von grundlegender Bedeutung, um sich in komplexen Zusammenhängen zurechtzufinden. Gemeinsam als Team können wir soziale Veränderungen in der Gesellschaft bewirken, besonders wenn dies mit Zuversicht und Offenheit geschieht.
Und ich glaube, dass wir das gut hinbekommen: Unsere Organisation zeichnet sich durch ihren unerschütterlichen Optimismus aus. Wir sehen Chancen und Potenziale, wo andere in erster Linie Herausforderungen und Schwierigkeiten sehen. Dieser positive Ansatz ermöglicht uns, innovative Lösungen zu entwickeln und die Kraft gemeinschaftlichen Handelns zu mobilisieren.
Über sechs Jahre sind es nun schon, in der ich meine Leidenschaft für Engagement mit der aus meiner Sicht wichtigsten Mission verknüpfen kann: Wasser für alle – alle für Wasser.
Ich empfinde beim Engagement ein tiefes Gefühl von Selbstwirksamkeit und Erfüllung. Besonders stark ist dieses Gefühl durch die Verbundenheit und die Gemeinschaft.
Meine Besuche in Projektgebieten in Mosambik und Uganda schärften meinen Blick dafür, was im Einzelnen getan werden muss, um die Trinkwasserversorgung und die Hygieneverhältnisse dort und in anderen Regionen zu verbessern. Oder auch die dreitägige Weltwasserkonferenz der Vereinten Nationen Ende März 2023 in New York. Sie war ein weiterer Augenöffner für mich.
Viva con Agua war mit vier langjährigen Mitarbeitenden unter den rund 10 000 Teilnehmenden aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Presse und NGOs. Meine Kollegen berichteten von dort, präsentierten auf Informationsveranstaltungen unsere Arbeit und warben für das UN-Nachhaltigkeitsziel, bis 2030 die Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und eine Sanitärversorgung für alle zu gewährleisten.
Wir hatten sogar auf dem Times Square einen Auftritt: Auf der riesigen zentralen Reklamesäule im Herzen von New York lief unser Video, in dem Prominente aus aller Welt ein Pappschild mit der Aufschrift »Water is a human RIGHT« in die Kamera halten.
Die Konferenz endete zwar mutmachend: Ein Aktionsplan[2] wurde verabschiedet, der 660 Selbstverpflichtungen vieler Staaten im Wert von rund 750 Milliarden Dollar beinhaltet – mit Plänen zum Trinkwassermanagement in Afrika bis zu lokalem und internationalem Biotopschutz.[3] Aber ich konnte kaum glauben, dass die letzte große Tagung zu diesem enorm wichtigen Thema schon ganze 47 Jahre zurücklag.
Außerdem merkte ich bei unserer Vorbereitung auf dieses Ereignis, wie wenig fundierte und allgemeinverständliche Informationen es über den globalen Zustand unseres Wassers und dessen Verfügbarkeit gibt und wie wenig »Wasser« in der öffentlichen Wahrnehmung als zentrales Thema angekommen ist.
Da entstand die Idee zu diesem Buch.
Teilnehmer der Kampagne „Water is a human RIGHT« (von links nach rechts und oben nach unten: Dave Grohl, Alice Merton, WuTang Clan, Zoe Wees, Fettes Brot, Felix Kroos, Ed Sheeran, Aminata Belli, Sting, Moritz Neumeier, Noel Robinson, Billie Eilish, Tabea Kemme)
Um sie lebendig werden zu lassen, habe ich mir Rüdiger Braun an meine Seite geholt.
Er ist Wissenschaftsjournalist und Biologe – und uns verbindet die Begeisterung für das Element Wasser sowie ein zugleich optimistischer als auch kritischer Blick auf die Welt und die Überzeugung, dass nur ein nachhaltiger Umgang mit den Ressourcen zukunftsfähig ist.
Aus dieser Haltung heraus laden wir ein zu einer Reise durch die Welt des Wassers, erläutern, warum H2O ein ganz außergewöhnlicher, faszinierender Stoff ist, hinterfragen, in welchem Zustand sich Wasserressourcen weltweit befinden und welchen Einfluss die Klimakrise darauf hat.
Wir berichten, wie das unentbehrlichste aller Lebensmittel, zu dem alle Menschen einen uneingeschränkten Zugang haben sollten, zunehmend für profitable Geschäfte missbraucht wird. Wie der Verkauf von Wassernutzungsrechten und Grundwasser in Flaschen als »hochwertiges Mineralwasser« eine lukrative Einnahmequelle ist, jedoch oft auf Kosten von Kommunen und Verbraucherinnen und Verbrauchern. Da sind außerdem die Landwirtschaft und Unternehmen, die enorme Wassermengen für die Herstellung ihrer Produkte einsetzen, ohne kaum etwas dafür zu bezahlen. Und dann sind da noch multinationale Konzerne, die auf internationaler Ebene versuchen, immer mehr Wasserreservoirs unter ihre Kontrolle zu bringen.
Dieses Buch will ein praktischer, mutmachender Ratgeber dafür sein, wie sich Engagement für Wasser möglichst wirkungsvoll gestalten lässt und was jeder Mensch tun kann, um mit der zunehmend wertvoller werdenden Lebensgrundlage Wasser achtsamer umzugehen.
Der Beitrag von jeder und jedem Einzelnen ist kein Tropfen auf den heißen Stein. Die Botschaft ist: Du bist der Tropfen, der mit vielen anderen zu einer kraftvollen Welle werden kann, die grundlegende Veränderungen bewirkt.
Wasser ist kostbar, besonders und elementar.
Wasser ist Leben. Wasser ist magisch. Wir sind Wasser.
Lasst uns die Wucht der gemeinsamen Welle zusammen entdecken …
Schon als Kind hatte Benjamin Adrion Erfolg als Fußballspieler. Mit zwölf spielte er im Jugendkader des VfB Stuttgart, mit fünfzehn war er Juniorennationalspieler. Einer Profikarriere stand also nichts im Wege. Doch ihm kamen schon damals Zweifel: »Ich habe mich gefragt: Ist Fußball alles? Will ich das wirklich machen?« Zunächst macht der Stuttgarter seinen Weg als Profifußballer, spielt in der ersten Mannschaft des VfB, wechselt zu Eintracht Braunschweig und landet schließlich als Mittelfeldspieler 2004 beim FC St. Pauli. Ein Jahr später reist er mit der Mannschaft nach Kuba. In einem Trainingslager zur Saisonvorbereitung sollte dort Aufbruchstimmung entstehen für den Wiederaufstieg in die Zweite Liga. Ein Ausflug, der sein Leben umkrempeln wird.
Kurz vor dem Flug ins Trainingslager macht Benjamin Urlaub auf Jamaika. Auf dem Weg zurück nach Hamburg, um den Mannschaftsflieger zu erreichen, muss er zwei Tage lang einen Zwischenstopp in Miami einlegen. Der zur Schau getragene Reichtum dort steht im krassen Gegensatz zu den Verhältnissen auf Jamaika – ihn irritieren die gigantischen Shopping-Malls, die künstliche Plastikwelt, der verlogene Körperkult. Das soll nun das Ziel aller Entwicklung sein, fragt er sich und erkennt diese Scheinwelt als in sich hohl.
Auf Kuba sieht er sich wieder mit Armut konfrontiert. Der Kontrast könnte kaum größer sein. »Woran liegt es, dass sich Regionen so unterschiedlich entwickeln, die einen arm bleiben, die anderen immer reicher werden? Unanständig reich. Wie könnte man einen Ausgleich schaffen? Wie die Situation verändern?« Das sind die Gedanken, die Benjamin umtreiben.
Trotz einer 1:3-Niederlage gegen die kubanische Nationalmannschaft bringt der Karibikausflug tatsächlich neuen Schwung in den Verein. Nach der Rückkehr werden für eine Kuba-Kampagne, genannt »Viva St. Pauli«, Ideen gesucht. Und in Benjamin beginnt ein Gedanke zu reifen: Wie wäre es, nicht nur T-Shirts mit Che Guevara zu bedrucken und Revolutionsromantik zu bedienen, sondern mithilfe der Marketing-Maschine FC St. Pauli sowie dessen engagierten Spielern und Fans ein konkretes Sozialprojekt auf Kuba umzusetzen? Er recherchiert und erfährt, dass die Welthungerhilfe zusammen mit der Stadt Hamburg auf Kuba bereits 120 Kindergärten mit Trinkwasser ausgestattet hat. Spontan entsteht im Mai 2005 der Plan: Dann machen wir die nächsten 120 zusammen mit dem FC St. Pauli. Etwa 50 000 Euro müssen dafür eingesammelt werden.
Benjamin findet rasch Mitstreiter. Einer der ersten ist sein ehemaliger WG-Genosse Michael Fritz, ein kreativer Kopf, der tief in der Hamburger Szene verwurzelt ist. Rasch steht das Motto für das Projekt: »Wasser für alle, alle für Wasser«. Und ein Name: Viva con Agua, kurz VcA. Zusammen planen und organisieren sie Benefizaktionen. Mitte Dezember 2005 steigt das erste Konzert mit Mellow Mark und PYRO im Hamburger Kiez-Club Knust. Über 300 Menschen kommen, das Eintrittsgeld wird gespendet. Noch denkt keiner daran, eine Organisation zu gründen. Es geht nur um das Projekt. Aber genauso fangen viele gute Geschichten an …
Es sind vor allem die Fans und Freunde des FC St. Pauli, die pfiffige Spendenaktionen starten. Ältere Damen stricken Mützen für den guten Zweck. Hebammen spenden einen Teil ihrer Einnahmen bei Wassergeburten. Autoren veranstalten Lesungen zugunsten des Projekts. Unvergessen: die legendäre Lesung von Tim Mälzer und Heinz Strunk über »Penisverletzungen durch Masturbation mit dem Staubsauger«. Die Rapper von Fettes Brot, passionierte St.-Pauli-Unterstützer, legen im alten Vereinsheim auf und spenden ihre Einnahmen. Micha Fritz läuft bei einem Marathon mit und sammelt rund 2500 Euro ein. Und Bela B, Sänger, Schauspieler, Autor und Schlagzeuger der Punkrock-Band Die Ärzte, gibt sein allererstes Solo-Konzert zugunsten von Viva con Agua. Es gibt weitere Konzerte mit unterschiedlichen Musikern und Musikerinnen. Auch getanzt wird mehrfach für die gute Sache.[4]
Es dauert bis in den Sommer 2006 hinein, bis ausreichend Geld zusammen ist. Am Ende ist es sogar so viel, dass 153 Kindergärten in Kuba unterstützt werden können. Das macht Mut und Lust auf mehr. Denn schon bahnt sich das nächste Projekt mit der Welthungerhilfe an, die Förderung des Baus von Tiefbohrbrunnen in der zentraläthiopischen Region Oromiyaa. Nach einem Besuch vor Ort fällt die Entscheidung, weiterzumachen und einen Verein zu gründen. Und auch der Draht nach Kuba reißt nicht ab. Am 28. September 2006 wird Viva con Agua de Sankt Pauli e. V. offiziell als gemeinnütziger Verein anerkannt mit Benjamin im Vorstand. Der Fußball tritt für ihn zunehmend in den Hintergrund, und 2007 hängt er seine Karriere als Profifußballer an den Nagel, um sich stärker auf den Verein konzentrieren zu können. Volles Risiko! Das Geld für ihn ist knapp. Immerhin sollen ja mindestens achtzig Prozent der Spenden in die Projekte fließen.
Finanzielle Anschubhilfe bekommt Benjamin zunächst von seinem Vater, dem ehemaligen Trainer Rainer Adrion, der 1997 an der Seite von Jogi LoewDFB Pokalsieger wurde und bis Herbst 2024 im Präsidium des VfB Stuttgart saß.
Der Verein nimmt 2007 richtig Fahrt auf. Immer mehr ehrenamtliche Unterstützerinnen und Unterstützer stoßen hinzu, die mit neuen Spendenaktionen für Schwung sorgen. Weitere Engagements in Wasserprojekten zeichnen sich ab. Die Medien werden zunehmend aufmerksam. Und es gibt einen ersten Preis. Angela Merkel ehrt den jungen Verein für sein soziales Engagement als startsocial-Bundessieger. Als Preis gibt es eine kostenlose Unternehmensberatung. Aber noch wichtiger für die Fortentwicklung von VcA ist die Idee der Pfandbecherspende. Aus einer spontanen Aktion wird eine Bewegung mit Unterstützerinnen und Unterstützern im ganzen Land und zuerst tröpfelnden, dann sprudelnden Einnahmen.
Noch so eine Idee: Ende April 2008 bricht ein siebenköpfiges Team in Hamburg auf, um zum Eröffnungsspiel der Fußball-Europameisterschaft nach Basel zu laufen. Der Weg geht unter anderem über Hannover, Hildesheim, Kassel, Frankfurt, Stuttgart, Freiburg. Über tausend Kilometer sind es am Ende, nach sechs Wochen Fußmarsch. Unterwegs werden Partys gefeiert, Konzerte und Vorträge organisiert. Es entstehen neue Unterstützergruppen. Unterwegs schließen sich immer mehr Menschen an. Insgesamt laufen auf den einzelnen Etappen rund tausend Leute mit. Völlig erschöpft schaffen es die sieben, rechtzeitig anzukommen. Auf der Fanmeile in Basel bejubeln etwa 15 000 Menschen das Viva con Agua-Team. Mehr als 40 000 Euro sind auf der Wanderung zusammengekommen und werden in Brunnen in Nicaragua investiert. Ein Jahr später entsteht der erste VcA-Ableger in der Schweiz.
Der Verein wird immer größer und erfolgreicher. Der Musiker und Medienunternehmer Frank Otto, ein Sohn des Otto-Versand-Gründers Werner Otto, unterstützt dabei. Durch seine Förderung schafft der Verein den nächsten Schritt von der ehrenamtlichen Initiative zum Arbeitgeber. Mit 3000 Euro pro Monat über zwei Jahre unterstützt er die Professionalisierung von Viva con Agua.
Das Konzept, mit Kunst, Kultur und Sport, mit Engagement und Spaß Gutes zu bewirken, funktioniert. Doch das Kernteam um Benjamin Adrion hat weitere Ideen. Nach langen Diskussionen beschließen sie 2010, ein soziales Unternehmen zu gründen, dessen Gewinne zum großen Teil in Wasserprojekte fließen sollen. Sie rufen die Wasser GmbH ins Leben, wollen Mineralwasser in den Abfüllungen »laut«, »leise« und »kleinlaut« als Lizenzprodukt vertreiben und sind überzeugt, dass die Etiketten auf den Wasserflaschen wie Flyer für Viva con Agua funktionieren, flüssige Flyer sozusagen. Auf diese Weise soll die Botschaft des Vereins noch viel mehr Menschen erreichen können.
Rasch ist mit der Husumer Mineralbrunnen GmbH ein regionaler Abfüller gefunden. Obwohl es anfänglich von dort Widerstand gibt. Denn Viva con Agua wirbt offen dafür, dass Leitungswasser die nachhaltigere Alternative zum Mineralwasser ist. »Das ist natürlich paradox«, sagt Benjamin, »aber es sorgt für Gesprächsstoff, schafft Bewusstsein und unterstützt die Gemeinnützigkeit.« Es lenkt Einnahmen aus dem Mineralwassergeschäft in soziale Projekte um, die Menschen in anderen Teilen der Welt einen Zugang zu Wasser ermöglichen.
Es wird ein schwieriges Jahr für den Verein, nicht nur finanziell. Manche Mitglieder können diese Idee nicht nachvollziehen oder finden das Vorhaben zu riskant. Einige treten demonstrativ aus dem Verein aus. Doch mehr als zwei Drittel der Mitglieder stehen dazu. Die Nachfrage nach dem Mineralwasser ist besser als erwartet. Gleich im ersten Jahr werden rund 550 000 Flaschen verkauft.
Das Geschäftsmodell der neu gegründeten Wasser GmbH ist mehrheitlich gemeinnützig. Die Viva con Agua Stiftung, die unter anderem die Markenrechte und die Philosophie des Vereins schützen soll, übernimmt vierzig Prozent der Geschäftsanteile. Gründer der Stiftung sind unter anderem Bela B und der Gitarrist der Band Wir sind Helden, Mark Tavassol. Zwanzig Prozent der Anteile liegen beim VcA-Verein und vierzig Prozent bei einer Beteiligungs-GmbH & Co. KG, der unter anderem der FC St. Pauli angehören. Die Gesellschafter-Anteile und damit auch die Entscheidungshoheit liegen somit mehrheitlich bei Viva con Agua. Das stellt sicher, dass die unternehmerischen Tätigkeiten stets auf die gemeinnützige Vision »Wasser für alle« einzahlen. Heute verkauft die Wasser GmbH über vierzig Millionen Flaschen pro Jahr und alle bisherigen Gewinnausschüttungen haben zu hundert Prozent gemeinnützige Arbeit unterstützt.
2011 folgt eine weitere Premiere: die erste Millerntor Gallery. Das Stadion des FC St. Pauli beherbergt am 22. September 2011 die erste soziale Kunstgalerie – mit dem Ziel, jungen Künstlerinnen und Künstlern eine öffentliche Plattform zu bieten und einen Teil der Einnahmen für Trinkwasserprojekte zu verwenden. Natürlich begleitet von Konzerten, Vorträgen und Diskussionsforen. Von den Erlösen aus dem Verkauf der Kunstwerke gehen dreißig Prozent an die Kunstschaffenden und siebzig Prozent an Viva con Agua. Auf Anhieb kommen über 2000 Gäste und die Millerntor Gallery wird zu einem regelmäßigen, einmal im Jahr stattfindenden Highlight des Vereins. 2023 mit über 181 Kunstschaffenden aus sechzehn Ländern, 133 Musikerinnen und Musikern sowie rund 18 300 Besucherinnen und Besuchern.
Das VcA-Netzwerk, die Spendenerlöse und die Anzahl der Projekte wachsen beständig. Nächste große Meilensteine sind die Entstehung eines Viva con Agua-Ablegers in Österreich 2013 und 2014 die Gründung eines zweiten sozialen Unternehmens: die Goldeimer gGmbH – eine Idee von Malte Schremmer, einem langjährigen Viva con Agua-Supporter aus Kiel. Zusammen mit Freunden entwickelte er Komposttoiletten, die mit einer geruchsmindernden Einstreu – ohne Wasser und Chemikalien – funktionieren und mit denen sich, so Malte, »Scheiße in Gold, ähem… Kompost verwandeln lässt«. Sie sind für Hütten und Häuser ohne Wasseranschluss ebenso geeignet wie für Campinganhänger oder Wohnmobile. Auch umweltfreundliches Klopapier aus recyceltem Karton hat Goldeimer mittlerweile im Sortiment.
Das Thema Social Business wird stetig weiter ausgebaut. Die aktuellste Entwicklung sind die Villa-Viva-Gasthäuser, eines in Hamburg, ein weiteres in Kapstadt. In Hamburg lässt sich das nur realisieren, weil die Hansestadt den günstigen Erwerb eines Grundstücks, nahe des Hauptbahnhofs, möglich gemacht hatte. Sozial-Investorinnen und -Investoren stellen das notwendige Eigenkapital für das Projekt zur Verfügung und verzichten zugunsten von Viva con Agua auf Anteile und einen Teil zukünftiger Renditen. Im November 2023 eröffnet die Villa Viva nach mehrjähriger Bauzeit in Hamburg, parallel zu deren Bauphase entsteht noch eine weitere Villa Viva in Kapstadt. Zwei soziale Gasthäuser, die in ihren Geschäftsanteilen mehrheitlich gemeinnützig sind. Das Erfreuliche daran: Für die Realisierung werden null Euro Spenden verwendet.
Die beiden Villa-Viva-Gasthäuser sind Begegnungsorte, die Menschen zusammenbringen und langfristig durch Gewinnausschüttung die Wasserprojektarbeit unterstützen sollen.
Inzwischen ist der Viva con Agua de Sankt Pauli e. V.