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Mittelalter-Fantasy trifft auf Krimi Ein abenteuerlustiger Barde, ein Diebesfall und ein Fluch ... Nachdem der Barde Spikero die größte Stadt der Erdenwelt betritt, beginnt für ihn ein turbulentes Abenteuer. Er nimmt sich eines Diebesfalles an. Dabei gerät er in die Fänge von einflussreichen Verbrechern. Als ihm überdies noch seine Laute gestohlen wird, nimmt er es persönlich. Er beschließt, den Fall zu lösen, und riskiert dabei, seine Sinne zu verlieren. Diebesgut & Hexenmal ist der erste Teil einer spannenden Krimi-Serie im Fantasysetting für jedes Alter. *** Die Abenteuer des Barden Spikero spielt direkt nach Bestien von Haygenhast. Jeder Titel kann unabhängig voneinander gelesen werden.
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Die Abenteuer des Barden Spikero
1 Diebesgut & Hexenmal
1.Auflage
© 2023 C. Gina Riot
All rights reserved.
Lektorat: Angela Huber
Korrektorat: Josephine Awgustow
Cover Design, Karte, Satz & Layout: LAYOUTRIOT - Agentur für Werbung und Design
(www.layoutriot.at)
www.dienerdesordens.at
Inhalt
1 - Präludium: Land in Sicht 8
2 - Fuge: Langeweile 24
3 - Erste Strophe: Arbeit 29
4 - Zweite Strophe: Das Collier 39
5 - Dritte Strophe: Wahrsager 51
6 - Intermezzo: Observieren 66
7 - Ritornell: Verhör 76
8 - Vierte Strophe: Spielmannslos 88
9 - Fünfte Strophe: Lösungswege 99
10 - Sechste Strophe: Die Würfelnacht 102
11 - Siebente Strophe: Geschunden 112
12 - Achte Strophe: Relikt 121
13 - Neunte Strophe: Blaue Augen 128
14 - Zehnte Strophe: Das Collier 136
15 - Intermezzo: Die Stadtwache 144
16 - Elfte Strophe: Gehabt 155
17 - Zwölfte Strophe: Reue 163
18 - Dreizehnte Strophe: Zwielicht 175
19 - Vierzehnte Strophe: Mit einem Schlag 185
20 - Fünfzehnte Strophe: Der Wetteinsatz 194
21 - Intermezzo: Eingeschnappt 205
22 - Intermezzo: In der Falle 211
23 - Sechzehnte Strophe: Des Heilers Gift 222
24 - Resolutio: Nur ein Schnitt 232
25 - Resolutio: Der Fluch 237
26 - Resolutio: Gescholten 244
27 - Coda: Ein Wiedersehen 252
28 - Zugabe: Epilog 259
Über die Autorin 263
Bisherige Veröffentlichungen 263
Auszeichnungen 263
Impressum 263
Leseprobe: Bestien von Haygenhast 264
1 - Präludium
Komm mich der Pett holen!« Mit großen Augen durchmaß der Barde Spikero das Deck. Er beugte sich über die Reling, sodass ihm das Geländer in die Magengrube presste. Vor ihm erhob sich Thal, die größte Stadt der Erdenwelt, aus dem Nebel des Morgengrauens, der auf der Wasseroberfläche waberte. Spikeros Herz schien sich vor Aufregung fast zu überschlagen. Ein breites Grinsen legte sich auf das fleischige Gesicht. Seit Jahren hatte der Barde von nichts anderem mehr gesprochen als davon, eines Tages über das Meer zu setzen und Thal zu bereisen. Einer wie wir, ein Flusswalle, geht nicht auf Abenteuerreisen. Flusswallen bleiben hier in Flusswall. Dort, wo sie hingehören, hatte man ihm stets gesagt. Doch Spikero war kein einfacher Flusswalle wie all die anderen. Spikero war ein Abenteurer.
Die Sonne stach an diesem Morgen bereits vom Himmel, hinterließ die Luft stickig und schwer. Wochenlang hatte der Spielmann nichts als Fischgeruch in der Nase gehabt und das Salz verkrustete seine Haut. Auch war jemand aus Flusswall – einem Land, das zu großen Teilen aus Schatten spendenden Wäldern bestand – nicht an die brütende Sonneneinstrahlung gewöhnt. Wangen, Nase und Stirn hatten einen ungesunden roten Farbton angenommen, der mit seiner grünen Garderobe gar unschön kontrastierte. Mit etwas hellem Puder wusste der Barde allerdings die Flecken zu überschminken. Ein Hauch Rouge auf Lippen und Wangen, ein zarter Kohlestrich unter die Augen und der Troubadour sah wieder aus wie ein frischer Pfirsich.
»Land in Sicht!« Die Rufe, die jenes Ereignis betrafen, dessen Spikero gerade eben gewahr geworden war, schallten nun über das Deck. »Land in Sicht! Thal voraus!«
In Spikero wuchs die Vorfreude zu unermesslicher Euphorie an. So intensiv packte sie ihn, dass er gar nicht wusste, wie er diese Energie wieder ausschütten sollte. Daher wagte er einen Luftsprung. Dann konnte er nicht anders und holte die Laute von seinem Rücken nach vorne und begann, ein kleines Liedchen anzustimmen. Der Traum von Thal, eine Eigenkomposition. Auf der Fahrt über den Ozean hatte er es bestimmt schon hundertmal gespielt, doch nun, da Thal wahrlich vor seinen Augen zu immer größeren Ausmaßen anwuchs, kam er nicht umhin, dieses Lied noch ein letztes Mal über die Lippen zu bringen, bevor er den ersten Fuß an Land setzen würde. Sobald Spikero begann, die Saiten der Laute zu zupfen, flatterte seine magische Eule, sein treuer Begleiter, heran, setzte sich auf die Reling und wippte wohlgemut mit dem Kopf im Takt. Die Möwenschreie fügten sich harmonisch in die Ballade des jungen Spielmanns ein. Zudem entließ sein kleiner Ħūwwilō sein frohgemutes Fiepen.
»Land in Sicht!«, erschallte es erneut.
Spikero kam aus dem Rhythmus, doch das störte ihn gerade nicht. Er setzte die Laute wieder ab und blickte erstaunt auf die Stadtmauern, die immer näher kamen.
Die Schreie des Kapitäns riefen einige der Seemänner auf den Plan, die sich zuvor noch in ihren Kajüten befunden hatten. Und nur einen Moment später wimmelte es an Deck von Seeleuten. Es wurden Segel eingeholt und allerhand andere Tätigkeiten vollbracht, von denen Spikero nicht die geringste Ahnung hatte. Wenngleich sein Vater Schiffbauer gewesen war, verstand er selbst nicht viel von der Schifffahrt. Doch dieses Wissen benötigte Spikero ohnehin nicht. Schließlich war er für seine Dienste als Spielmann angeheuert worden. Während der Überfahrt hatte er die Händler und Seemänner mit Lautenklängen und Gesang unterhalten. Mal war es eine eigens kreierte Ballade, dann wiederum ein Gassenhauer, bei dem die ganze Belegschaft in falschem Ton mitgrölen konnte. Darüber hinaus hatte er auf der langen Reise einige neue Kompositionen ausgearbeitet. Jede davon erzählte die Geschichte eines anderen Abenteuers, das er in den vergangenen Wochen der Reise erlebt hatte.
Piraten vor Andoulous behandelte das Ereignis, das sich bei ihrer Übersetzung des Briganischen Meeres zugetragen hatte. Wie der Barde vernommen hatte, wimmelte es vor den Küsten nur so von Piraten. Zeuge war Spikero davon zwar nicht geworden, doch ein kreativer Geist war dazu im Stande, Geschehnisse auszuschmücken und Wahrheiten ein wenig umzudichten. Der Titel gefiel ihm noch nicht, doch daran würde er später feilen, beschied er.
Als sie ganz Morsior durchquert hatten, entstanden gleich zwei Stücke. Streifzug durch Streifenfeld und Mortheon ruft zu den Fahnen hatte er sie betitelt. Armut, Krieg und Verderben hatte er mitangesehen. Zu keiner Zeit durften sie zu lange Halt machen, denn der Feldzug aus dem Nachbarland Mortheon hatte in der Zwischenzeit auch seinen Verbündeten Morsior erreicht. Geschlafen wurde auf den Karren, die sich fast unentwegt in Bewegung befanden. Zerfall und Trostlosigkeit hatten ihre Zeichen in den verdorrten Boden Morsiors gebrannt. Banditen und Bettler waren ihren Karawanen begegnet. Soldaten aus dem Kaiserreich der Uszmiten und Verteidigungskämpfer aus Mortheon kreuzten ihre Wege. Ihnen selbst war kein Leid geschehen, denn Flusswall hielt sich aus sämtlichen Kriegen heraus und genoss aufgrund seiner guten Handelsbeziehungen Durchreiserecht. In Spikeros Heimatland gab es Gold und Silber im Überfluss. Mit diesen Gütern nebst anderen Waren wurde Handel mit verschiedenen Ländern getrieben. Und so war es dem jungen Spielmann gelungen, von ein paar Seemännern angeheuert zu werden, um sie auf der Überfahrt mit Bardenklängen zu unterhalten. Auf diese Weise war es einem einfachen Flusswallen aus Waseray überdies geglückt, endlich auf Abenteuerfahrt zu gehen und das Land seiner Träume zu bereisen.
Am westlichen Hafen legten sie an. Mit klopfendem Herzen und tellergroßen Augen betrachtete der Barde die hohe Stadtmauer mit den stilisierten Löwenköpfen.
»Nun siehst du sie, Spikero, die größte Stadt der Erdenwelt.« Die Seemannsfrau Ber war an ihn herangetreten. Sie lehnte sich mit den muskulösen Unterarmen an die Reling und blickte mit ihm gemeinsam über das letzte Stück, das sie noch von ihrem Zielort trennte. Auch ihr Gesicht glühte rot und Schweißperlen glänzten auf der ledrigen Stirn. Das walnussbraune Haar war bereits völlig durchnässt. Wie immer trug sie es in einem kleinen, strengen Knoten auf dem Hinterkopf. Einzelne graue Strähnen reflektierten das Sonnenlicht, sodass sie völlig weiß erschienen.
»Wie abenteuerlich«, jauchzte der Barde.
Ber, die Seemannsfrau – die sich selbst als solche bezeichnete –, war es gewesen, die den Barden Spikero in einer Taverne der Hauptstadt Flusswalls entdeckt und angeheuert hatte. Und da sie sich auf der Überfahrt nähergekommen waren, würde der Barde das Land seiner Träume nun mit der ersten Frau betreten, die sich je zu ihm gelegt hatte.
Ber war ein Berg von einer Frau. Sie überragte ihn um mehr als eine Haupteslänge. Die baumstammbreiten Arme, behauptete sie, kamen vom Ankerwerfen. In dieser Disziplin sei sie unter ihrer Besatzung ungeschlagen. Von einer Freundin wie Ber ließ es sich gut beschützen, dachte der Barde. Und keine Umarmung hatte ihm jemals so viel Sicherheit geboten wie die einer Frau, die mit einem Rumpf aufwarten konnte, der einem Weinfass gleichkam. Spikero selbst nannte sie sein kleines Mädchen.
Die Handelsgaleere ankerte und gleich würde der Moment kommen, da Spikero den ersten Fuß an Land setzte. Der Anlegesteg reichte weit in den Ozean hinein. Geschäftige Arbeiter tummelten sich bereits. Auch an Deck des Schiffes, auf dem sich der aufgeregte Troubadour befand, wurde emsig hantiert. Schiffsladungen mussten von ihren Haltetauen befreit und von Bord geschafft werden. Ringsum wurden Befehle erteilt, Getrampel ließ die Bretter an Deck erbeben und unentwegt streiften Seeleute, die gerade im Begriff waren, schwere Kisten von einem Ort zum anderen zu tragen, Spikeros Arme. Doch all das ging den Barden überhaupt nichts an. Er stand bereit zum Ausstieg mit seiner Laute auf dem Rücken, einem Seesack und einem kleinen Köfferchen und wartete darauf, dass sich die Planke mit dem Steg verband.
Ber wuchtete eine Kiste auf die rechte, eine auf die linke Schulter. Zudem hatte sie einen weiteren von Spikeros Seesäcken um die Mitte gespannt und verließ nun dicht gefolgt von ihrem kleinen Troubadour die Galeere.
Spikero ruderte mit den Armen, während er über die Planke balancierte. Mit jedem Schritt wurde er schneller, sodass er Ber beinahe überholte. Und dann war er endlich angekommen. Der dunkelbraune Steg wurde vom Meerwasser umspült. Nass und rutschig war der Boden, doch für ihn fühlte er sich nach einer solch langen Reise wie der festeste Grund an, den er je zu spüren bekommen hatte. Zwischen seinem Mädchen Ber und dem beleibten Seemann Mank schritt der Barde den Steg entlang. Immer auf das Westtor Thals zu. Mit jeder Elle, die er zurücklegte, wuchs der klein geratene Barde ein Stück höher an. Bei jedem dritten Schritt vollführte er einen kleinen Hüpfer, doch als er irgendwann über den glatten Grund rutschte und beinahe gestürzt wäre, unterließ er diese Freudensprünge. Dennoch lobte er sich heute selbst im Geiste, denn für diesen Tag hatte er sich Schuhwerk angelegt, das nicht nur schick, sondern auch praktisch war. Die Sohle nicht zu rutschig und die Form nicht zu wuchtig. Wadenhohe Stiefel aus dunkelgrün gefärbtem Leder trug er an den Füßen. Mit kleinen Absätzen und schmalen Goldkordeln als Schnürung. Seine Beine steckten in weiten Pluderhosen aus schimmernder Seide. Den Oberkörper hatte er in ein grasgrünes Hemd aus luftigem Gewebe gekleidet. Mit Glöckchen anstelle von Manschettenknöpfen und außergewöhnlicher Aufstickung auf der Brust. Ein ärmelloses Jäckchen komplettierte seine Garderobe. Selbstredend musste auch dieses in Grün gehalten sein, denn es war des Barden Eigenart, dass er sich stets von dem Schuhwerk bis zum Mützchen in dieselben Farbtöne tauchte.
»Wie aufregend, meine Freunde, wie aufregend das Leben eines jungen Barden doch ist.« Jauchzend schwadronierte der Spielmann darauf los. »An einem Tag spielt er in einer Taverne in Flusswalls Hauptstadt, am nächsten auf hoher See, dann auf einem Karren, der durch Morsior rollt. Und an wieder einem anderen Tage durchschreitet der junge Spielmann Spikero das Tor und findet sich in Thal wieder. So ergeht es einem Spielmann. Einem Abenteurer. O ja.«
Die beiden Seeleute waren an Spikeros ausufernde Prahlerei längst gewöhnt, doch störten sie sich nicht daran. Denn sowohl Mank als auch die Seemannsfrau Ber hielten große Stücke auf die Lieder, mit denen sie der Barde zu unterhalten wusste. Dass Spikero nicht jener große Ruf vorauseilte, mit dem er stets angab, war ihnen allen längst bewusst. Doch sie verschwiegen ihm, dass seine kleinen Lügen aufgeflogen waren. Sollte er sich eben größer hervortun, als er war. Was bekümmerte sie es? Für einen solch geringen Lohn hätten sie keinen anderen Troubadour gefunden und zu ihrer Freude besaß Spikero durchaus Unterhaltungswert.
»Was ist dort vorne los? Warum geht es nicht weiter?« Aus den bunten Schemen, die der Barde vorerst nicht zuordnen hatte können, wurden ganze Menschenscharen, die vor einem bewachten Tor standen. Und plötzlich fand er sich in einer Schlange wieder, die sich bis vor zur Mauer staute.
»Ich weiß es nicht.« Ber legte die Stirn in Falten und warf Mank einen fragenden Blick zu. »Solche Menschenaufläufe sind hier nicht gewöhnlich, was, Mank?«
»Hat König Eduard Vitt wieder an den Gesetzen geschraubt?«
»Eduard Vitt. Schandkönig wird er auch vielerorts genannt.«
»Ruf doch so etwas nicht so laut heraus, Spikero!«, ermahnte Ber ihn. »Für Kost und Logis kommen wir auf, aber nicht für eine Kerkerstrafe.«
Der Barde verhüllte die Lippen mit einer Hand. »Verzeihung«, sagte er, ehe er im Flüsterton fortfuhr: »Die Ballade des Schandkönigs Vitt ist eine der bedeutendsten Stücke des dreizehnten Jahrhunderts. Man sagt, der Barde Folay, der dieses Werk schrieb, habe ein ganzes Volk befreit. Mit nur dieser einen Ballade.«
»Wissen wir, Spikero.«
»Und dies hier ist sein Heimatland. Hier soll mein Erfolg nun neue Früchte tragen. Und ich sage euch, meine lieben Freunde, ich sage euch, ich sage euch, eines Tages wird dieser junge Spielmann hier genauso berühmt sein wie der Barde Folay Hansen«, quasselte der Barde aufgeregt. »Und dann werdet ihr sagen: ›Ja, wir kannten Spikero, den erdenweltberühmten Musikanten.‹ So wird es sich zutragen, meine Freunde. Hört auf meine Worte!«
Ber und Mank wechselten einen amüsierten Blick und ließen den Spielmann plaudern. Sie stellten die schweren Kisten auf den Boden und verschränkten die Arme vor der Brust.
»Warum geht‘s hier nicht weiter?«, protestierte ein Seemann hinter ihnen.
»Wissen wir nicht, Sigmund«, entgegnete Mank.
Spikero besah sich die Menschen vor ihnen. Unterschiedlich sahen sie aus. Aus verschiedenen Ländern mussten sie stammen. Arme wie auch reiche Leute, Männer, Frauen und Kinder standen sich die Beine in den Bauch und warteten mit ungeduldigen Gesichtern. Einige trugen Kisten mit sich herum, wie es jene taten, die Spikero umringten. Andere hatten nicht viel mehr als ein paar Taschen dabei.
»He, ihr da!« Bers lautes Organ ließ die letzten zehn Reihen vor ihnen herumdrehen. »Was ist dort vorne los? Warum geht es hier nicht weiter?«
»Die Grenzwache lässt keinen durch.«
»Wie ist das zu verstehen?«
»Kein Einlass aus dem Ausland. Einreiserechte werden verwehrt.«
»Und was machen wir jetzt?« Dem Barden versetzte es einen Schlag um die Herzgegend. Dieser Traum von Thal durfte nicht zerplatzen. »Nach einer solch langen Reise soll man uns nun wieder fortschicken?«
»Wie kommt‘s?«, brüllte der Seemann Sigmund hinter Spikero nach vorne. Auch er besaß breite Schultern und einen stämmigen Rumpf, überragte sogar Ber noch um die Höhe eines Hauptes und trug einen dichten weißblonden Schnurrbart und ebensolch helles Haar, das ihm glatt in den Nacken fiel.
»In Thal ist der Krieg ausgebrochen«, rief jemand aus der Schlange vor ihnen nach hinten. »Gegen Wintergaard. Und jetzt herrschen strenge Grenzkontrollen. Die dort vorne wurden schon abgewiesen. Wissen nun nicht wohin.« Die Frau in schäbiger Kleidung, die ihnen Auskunft erteilte, deutete auf eine Schar Menschen mit zermürbten Gesichtern und hängenden Köpfen, die gerade einige Boote bestiegen.
Spikero gewahrte, wie viele Schiffe anlegten und Menschen wieder hinaus auf den Ozean brachten. Wohin ihre Reise nun ging, wusste der Spielmann nicht. Doch er selbst sah sich schon wieder auf dem Rückweg. Das Herz wurde ihm schwer, wenn er nur daran dachte, dass er die größte Stadt der Erdenwelt nun niemals betreten würde.
»Es geht vorwärts!« Irgendwoher erschallten Rufe, dann setzte sich die Menschenschar in Bewegung.
Doch sehr weit gelangten sie nicht, ehe sie wieder zum Stillstand kamen.
Spikero hievte sich auf die Zehenspitzen, um über die Menschenschar hinwegspähen zu können, doch was sich ganz vorne zutrug, konnte der Barde nicht erkennen. Der Steg umfasste eine schier endlose Länge und sie waren gerade erst bei der Hälfte angelangt. »Was tut sich dort vorne? He? He? Was ist dort vorne los? Ist das Tor versperrt? Lassen sie jemanden hinein?« Der Barde sprang, doch auch das vermochte ihm nicht die gewünschte Sicht verleihen. Leider besaß der Troubadour nicht die beste Sehkraft. Was sich in seinem nahen Umfeld abspielte, konnte er ohne Weiteres erfassen, doch in der Ferne erkannte er nur verschwommene Schemen. Zum Ausgleich war er mit einem überragenden Gehörsinn ausgestattet. »Ach, wenn ich doch irgendetwas erkennen könnte.« Nun drängte sich etwas Störrisches in seine Stimme.
»Verlier nur nicht den Mut, mein lieber Spikero.« Ber legte ihm die grobschlächtige Hand auf die Schulter. »Nein, versperrt ist das Tor nicht. Hineingelassen haben sie allerdings auch noch keinen, wenn mich nicht alles täuscht. Die letzten paar haben sie fortgeschickt. Aber viel lässt sich von hier hinten nicht erkennen. Wir werden abwarten müssen, was passiert.«
»Hm«, murmelte der Barde unzufrieden. Doch er fügte sich. So schnell wollte er sich die Laune ja doch nicht trüben lassen. »Soll ich uns ein kleines Liedchen trällern?«
»Ja, spiel uns ein Lied.« Sigmund lockerte die Schultern und dehnte den Rücken. Dann fuhr er sich durch den dichten Schnurrbart, den er sich auf der Überfahrt hatte stehen lassen. Eine Angewohnheit, der er frönte, seit er Seemann geworden war. Bei jeder Reise ließ er sich eine andere Bartfrisur wachsen und am Zielort angelangt, rasierte er alles wieder ab. Spikero verstand diese Marotte zwar nicht, aber es konnte ihm auch egal sein. Solange er selbst keinen Bart zur Schau stellen musste, sondern sein glattgeschorenes Gesicht tragen durfte, war es ihm recht.
»Was wollt ihr denn hören? Der Traum von Thal, Was der Waldschrat fordert oder etwas Volkstümliches aus Thal?«
»Solange du uns nicht die Ballade des Barden Folay spielst«, wisperte Ber.
»Die Ballade des Schandkönigs Vitt? Nein, nein, die werde ich nicht zum Besten geben. Hältst du mich denn für so närrisch, meine Holde?«
»Und gewarnt sollst du ebenfalls sein: Der Barde Folay Hansen gilt in Thal als Hochverräter. Er wird gesucht und soll gerichtet werden. Tu dir daher selbst einen Gefallen und behalte deine Begeisterung für seinen Ruhm für dich, sonst wird dir bald ein schmerzhaftes Schicksal blühen.«
»Ist ja gut. Ich habe verstanden«, ließ der Barde sich vernehmen. »Was soll ich nun zum Besten geben? He? Was wollt ihr hören? Vielleicht doch lieber de– Ach! Es geht weiter!« Schnell ließ Spikero die Laute wieder auf den Rücken wandern, langte nach dem Seesack und seinem Köfferchen und schloss zu der sich langsam fortbewegenden Schlange auf. »Und konntest du erkennen, ob sie schon jemanden reingelassen haben?«
Ber stellte sich auf die Zehenspitzen, doch dann schüttelte sie den Kopf. »Noch nicht.«
»Das gefällt mir aber ganz und gar nicht.«
»Sorg dich nicht, Spikero, wir werden das schon regeln.«
»Genau, Spikero.« Mank ließ die schwere Kiste wieder zu Boden poltern und versenkte beide Hände in seinem dichten, dunklen Vollbart, um sich das Kinn ausgiebig zu kratzen. »Wir kümmern uns um die Auslieferung und den Zutritt zur Stadt und du kümmerst dich um deine Sorgen. Dein Rouge zum Beispiel.«
Dass ihn der beleibte Seemann necken wollte, fiel dem Barden nicht im Traum ein. Nein, er schreckte sogleich hoch und kramte in seinem Seesack. »Wo habe ich denn meinen Spiegel?« In diesem Beutel fand er ihn nicht. »Hat jemand meinen gestreiften Sack gesehen?«
»Den hier?«, fragte Ber.
»Nein, ich besitze einen mit blauen und weißen Streifen.«
»Den trage ich für dich, Prinzessin«, raunte ein Seemann von hinten.
»Ach, da ist er ja«, rief der Barde vergnügt. Auf die Hoheits-Bemerkung ging er nicht ein. Von dem Seemann ließ er sich den Beutel aufhalten, auf dass er darin kramen konnte. »Ach, da ist ja das gute Stück. Hier haben wir ihn ja.« Dann kicherte er und förderte den Spiegel zutage. Ohne ein Wort des Dankes an den Seemann zu richten, wandte er sich um und stellte sich wieder zu seiner Holden. Ber hatte ihm diesen Handspiegel geschenkt. Einem fahrenden Händler aus Morsior hatte sie ihn abgekauft. Die florale Einfassung war aus Kupfer, ein richtiges Schmuckstück, wie Spikero befand. Ganz im Gegensatz zu seinem Haar, wie Spikero beim Blick in den Spiegel voll Schreck feststellen musste. »Wo ist mein Kamm? So kann ich doch nicht die größte Stadt der Erdenwelt betreten. Und die Hitze verdirbt mir ja die ganze Schminke.« Er tupfte etwas Puder auf Stirn und Wangen, sodass er nicht mehr glänzte, und drehte sich dann im Kreis herum. »Wer von euch hat meinen Hornkamm?«
Ringsum wurden Spikeros Koffer, See- und Rucksäcke auf den Boden gestellt, auf dass ihre Träger nach dem Kamm des Barden zu kramen begannen. Dass ein paar der Seemänner mit den Augen rollten, weil sie dem Troubadour sämtliche Habe hinterhertragen mussten, bemerkte Spikero nicht. Freudig nahm er seinen Hornkamm von einem der Männer entgegen und kämmte sich den Spitz, zu dem er sich das haselnussbraune Stirnhaar hatte schneiden lassen. »Ach, es geht wieder weiter!«
Nach ein paar Schritten standen sie abermals. Die Sonne wanderte schneller als die Wartenden vor dem Tor. Irgendwann war es Mittag und sie waren lediglich ein paar Fuß weitergekommen.
»Verläuft diese Mauer eigentlich um das ganze Land?«, wollte der Barde irgendwann wissen.
»Nahezu«, entgegnete Ber. »Im Norden trennen Gebirgspässe das Land von Wintergaard. Dort schließt die Mauer nur stückweise an. An der Grenze zu Al Kundor im Osten befindet sich ein Tor sowie der Osthafen.«
»Und dann gibt es noch den Südhafen«, fügte Mank hinzu.
Die Menge vor ihnen bewegte sich wieder ein paar Schritte. Weit vorne brach ein Streit aus. Ein paar Leute rangelten miteinander. Nicht lange darauf kam ein Soldat in schwarzer Rüstung den Steg entlang und beendete das Handgemenge. Sonst trug sich nichts Abenteuerliches zu. Dem Barden war langweilig. Und die Hitze staute sich unter der Kleidung. Er schwitzte und stöhnte und maulte.
»Es wurde gerade jemandem Einlass gewährt.« Diese Kunde, die Ber am frühen Nachmittag von sich gab, weckte in Spikero gerade noch rechtzeitig die Hoffnung. Nun hielt er sich mit seinen Beschwerden über Hitze und geplatzte Träume, wunde Füße und zerlaufene Schminke für einige Wimpernschläge zurück.
»Mank, ist dir das auch schon aufgefallen?« Sigmund trat zu ihnen nach vorne. »Der Weg vom Steg hinüber zu den Lagerhäusern ist gesperrt.«
»Das klingt mir nach reichlich Komplikation«, maulte Mank.
»Nur die Ruhe, Männer«, versetzte Ber.
»Was hat das zu bedeuten?« Der Barde wagte einen kleinen Sprung, um zwischen den hochgewachsenen Seeleuten auf sich aufmerksam zu machen.
»Das ist eine gute Frage, Spikero.« Sigmund trat wieder hinter ihn und behielt die Schlange vor sich im Auge. »Die Lagerhäuser dort vorne kannst du erkennen?«
»Gar nichts kann ich erkennen.« Etwas Gekränktes schwang in des Barden Stimme mit.
»Sie befinden sich vor der Mauer. Dort werden die Güter zwischengelagert, gezählt und für den weiteren Transport vorbereitet. In mir keimt allmählich die Sorge auf, dass kein Handel mit Thal mehr stattfindet.«
»Das wäre schlecht.«
»Ja, Mank, das wäre sehr schlecht.«
»Darüber hätte man uns gewiss informiert.« Ber besaß die Gabe der Gelassenheit, während ihre Gefährten nach und nach die Hoffnung verloren.
Plötzlich ging es rascher voran. Ber tat jedes Mal kund, wenn sie bemerkte, dass jemandem Einlass gewährt wurde, und der Barde jauchzte und unterbrach seine Klagerufe für flüchtige Augenblicke. Und das Tor kam immer näher. Bald schon standen nur noch wenige Menschen vor ihnen und dem Troubadour gelang es sogar, ins Innere der Stadt zu spähen. Doch bevor er dort hineinkonnte, musste er an der Grenzkontrolle vorbei. Mehr als zwei Dutzend Grenzsoldaten in schwarzer Rüstung bewachten das Tor. Mit Speeren und Schwertern waren sie ausgestattet.
Als die Gruppe von Handelsfrauen, die vor ihnen an die Reihe kam, ihre Dokumente vorzeigte, konnte der Barde ihre Gespräche belauschen.
Einer der Wachmänner besah sich die Papiere. Dann hob er das Haupt. Tiefe Stirnfalten verunstalteten das knochige Gesicht. »Was habt Ihr geladen?«
»Roggen.«
»Kein Einlass zum Land über dieses Tor«, verkündete er. »Der Hafen wird in naher Zukunft geschlossen. Beschluss Seiner Majestät.«
»Aber ...«
Mit finsterer Miene wandte sich der Grenzwächter an einen anderen Soldaten und ließ sich ein Pergamentblatt aushändigen. »Getreide wird ab jetzt am Südtor entladen.« Mit diesen Worten überreichte er der Händlerin den Pergamentbogen und ihre Dokumente und ließ sie mit einer unfreundlichen Geste wissen, dass sie nun den Weg freizumachen hatte.
»Warum werden hier unsere Güter nicht mehr entgegengenommen?« Anstatt sich abzuwenden, begann die Händlerin in aufgebrachter Haltung zu diskutieren. »Seit Jahren verladen wir Roggen und liefern es am Westtor ab. Und nun schickt man uns fort? Wisst Ihr, wie lange wir hier gewartet haben?«
Der Wachmann überging ihre Worte. »Der Nächste!«
Ber drängte sich zwischen den Händlerinnen hindurch. Ohne ein Wort an den Grenzwächter zu richten, händigte sie die Papiere aus, die sie zuvor von der gesamten Besatzung eingesammelt hatte.
»Was habt Ihr geladen?«
»Erze. Gold und Silber.«
Der Grenzwächter nickte, reichte ihr nach einer groben Durchsicht die Dokumente und gab den Weg frei. »Fracht in die Lagerhäuser und daraufhin betretet Ihr die Stadt. Hier ist Euer Passierschein.«
Der Barde konnte sein Glück kaum fassen. Ungeduldig beobachtete er die Seeleute beim Verladen der Waren, ehe sie endlich das Tor passierten. Den Passierschein betrachtete er mit leuchtenden Augen. »Den werde ich einrahmen und an die Wand hängen. Ach, seht nur! Das Wappen Thals ist eingestanzt. Ist das nicht herrlich?«
Seine Gefährten ignorierten sein Jauchzen. Die lange Wartezeit hatte sie allesamt müde und hungrig werden lassen. Die Sonne stand bereits tief und endlich trieb sie ihnen nicht mehr den Schweiß aus den Poren. Dennoch trugen die Seeleute ihre hellblauen Hemden noch immer bis zum Brustbein aufgeknöpft. Nebst ihrer eigenen Habe mussten sie zudem noch Spikeros Koffer und Beutel mit sich herumschleppen. Doch keiner ließ sich eine Beschwerde vernehmen.
Der eitle Barde hatte seine gesamte Garderobe eingepackt. Schließlich benötigte er eine große Auswahl an Kombinationsmöglichkeiten.
»Ach, wie herrlich es hier aussieht. Das also ist die größte Stadt der Erdenwelt. Zugleich Land, zugleich Stadt. Während der gesamten Regentschaft hat der Herrscher Eduard Vitt dieses Land zum Stadtgebiet ausbauen lassen.« Der Barde schwafelte von Gegebenheiten, die jedem bewusst waren. Dennoch hielt er sich nicht zurück. Fasziniert betrachtete er die Bauweise der Häuser. Sie kamen an weiteren Lagerstätten vorbei, an Wachtürmen, hohen Gebäuden mit Holztreppen, die an der Außenmauer verliefen und zu vereinzelten Türen führten.
»Und wo werden wir untergebracht?« Spikero musste ein paar Schritte laufen, um wieder zu Ber aufzuschließen.
»In einem Wohnhaus direkt auf der Marktstraße.«
»Wie aufregend!« Frohlockend und hopsend hielt er mit ihr Schritt.
Bald kamen sie auf der Marktstraße an. Spikero wusste gar nicht, wohin er zuerst sehen sollte. Gleich der erste Stand wartete mit wehenden Röcken, Blusen, Kleidern und Hemden aus lockeren, blickdurchlässigen Stoffen auf. Zudem befanden sich Drucke darauf. So etwas Einzigartiges hatte der Barde noch nicht gesehen. Er konnte nicht anders, als auf den Marktstand zuzustiefeln und sich nach den Waren zu erkundigen.
»Ich biete edelste Stoffe aus Pargatmä feil. Ich hätte hier ein Wams in schimmerndem Brokat, das Euch gewiss gefallen wird.« Die Händlerin mit dem goldfarbenen Hautton und dem wallenden Haar, so schwarz wie Pech, wirbelte herum und kam nach wenigen Augenblicken mit dem angepriesenen Stück zurück.
»Wahrlich ein Jäckchen, das nach diesen Schultern schreit«, verkündete der Barde.
Sämtliche Grüntöne vereinte dieses Brokatwams. Wenn er es hin und her drehte, schimmerten ihm stilisierte Blätter entgegen und veränderten ihren Farbton. »Ein Kunstwerk, kann ich nur sagen.« Sogleich zückte Spikero seine Goldkatze. Dreißig Fjorin hatte ihm der Auftrag eingebracht. Kost und Logis waren ebenfalls für die Reise vereinbart. In Morsior hatte er die Metalltaler gegen Goldmünzen zum gleichen Wechselkurs eingetauscht. Er ließ den Riegel an seinem runden Goldbeutel aufschnappen und blickte die Händlerin erwartungsvoll an.
»Einhundertsiebzig Goldtaler.«
Dem Barden erstarb das Lächeln. »Das ist aber ganz schön teuer«, bemerkte er verdrießlich. Er händigte der Pargatmäe das Jäckchen wieder aus und verließ ihren Stand.
Drei seiner Gefährten warteten geduldig mit verschränkten Armen auf seine Rückkehr.
Lange hielt Spikeros Verdruss nicht vor, denn schon bald kamen sie an einem Stand vorbei, der wundervolle Musikinstrumente ausstellte.
»Meine lieben Freunde, würdet ihr mir einen weiteren Zwischenstopp gewähren?« Er entließ ein kurzes Gekicher, ehe er sich, ohne ihre Antwort abzuwarten, von ihnen entfernte, um sich die Laute anzusehen, die auf einem Steher prangte.
Wundervoll war sie gefertigt. Er ließ sich sämtliche Einzelheiten von dem Händler erklären, durfte sie kurz anspielen und wurde schlussendlich enttäuscht.
»Sie kostet zweihundertzehn Goldstücke.«
Sie trotteten weiter. »Hier ist es aber ganz schön teuer. Nichts kann ich mir leisten.«
»Das ist der Westen Thals. Noch dazu befinden wir uns nahe dem Hafen. Wer weiß, wenn das Westtor schließt, sinken die Preise womöglich, weil Besucher ausbleiben, die bereit sind, alles zu bezahlen.«
Der Spielmann akzeptierte die Antwort Manks und ließ sich weiterführen. Nach einer Weile gelangten sie an jenen Teil der Straße, an dem Viktualien feilgeboten wurden. Es duftete von allen Seiten nach Fischgerichten, Süßspeisen, Kohl, Kraut und angeschwitzten Zwiebeln. Hier brauchte der Barde seine Goldkatze endlich nicht zu lüpfen, denn für das leibliche Wohl kamen seine Gefährten auf. Zu den dreißig Goldtalern, die er in seiner Tasche trug, gehörte auch die Verpflegung zur Entlohnung für seine Unterhaltungsdienste.
Sie aßen während des Gehens, was Spikero als überaus umständlich empfand. Doch Sitzmöglichkeiten standen ihnen keine zur Verfügung. Es gab lediglich die lange gepflasterte Straße, an der zu beiden Seiten ein Marktstand an den nächsten anschloss. Dazwischen schoben sich Menschen verschiedensten Aussehens hindurch. Adelige mit feinen Roben wie auch ärmlich aussehende Menschen, die herumschlichen, als warteten sie nur darauf, dass ein Marktstand für einen Moment unbeaufsichtigt blieb. Während sich der Barde neugierig umsah, tat er sich an seinem gewaltigen Weizenfladen gütlich. Ber hatte ihm diese Speise empfohlen und er verschlang sie mit Genuss. Dick und flaumig war der Teig und darin eingeschlagen befanden sich knusprige Linsenbällchen auf Linsenmus, garniert mit Rotkraut, Zwiebeln und glasierten Nüssen.
Bis der Barde aufgegessen hatte, hüllte er sich in Schweigen. Doch das Geplapper setzte gleich wieder ein, sobald er den letzten Bissen verschlungen hatte. »Wie weit ist es denn noch?« Auf die Unterkunft freute sich der Barde bereits. Durch den Handel mit Gold und Silber verdienten sich die Seeleute ein kleines Goldnäschen, wie Spikero erfahren hatte. Daher war er sich sicher, seine Zeit in Thal in einer außergewöhnlichen Villa verbringen zu dürfen.
»Ein kleines Stück ist es noch. Aber nun freue auch ich mich schon auf die Rast.« Ber kreiste eine Schulter und rieb sich mit der freien Hand den verkrampften Nacken.
Nachdem sie den Viktualienmarkt hinter sich gelassen hatten, wurden die Stände kleiner. Sonderlich viel Spannendes wurde dem Barden hier nicht mehr geboten. Werkzeuge, Waffen, Rüstungen und allerhand Gerätschaften, mit denen er ganz und gar nichts anzufangen wusste. Zudem gewahrte er, dass sich hier finstere Gestalten herumtrieben. Verhüllte Männer in schwarzen Roben und Kapuzen. Alte Frauen mit ungekämmten Haaren und krummen Rücken machte er aus. Die Stände wurden spärlicher. Einige Seitengassen, die sich im Schatten der untergehenden Sonne verloren, zweigten von der Marktstraße ab. Neugierig blickte der Barde hinein und erspähte jene geheimnisvollen Kreaturen, die ihm zuvor schon aufgefallen waren. In einer der finsteren Gassen sah er jemanden handeln. Kleine Phiolen wurden gegen Goldmünzen getauscht.
»Was machen die da?«
»Spikero, komm weiter!« Ber packte den Barden am Handgelenk und zog ihn vorwärts.
Bald verzweigte sich die Marktstraße. In einer unbeleuchteten Seitengasse prangten große Zelte mit bunten Planen. Spikero erkannte einen Gaukler, der sich das Gesicht auf schaurige Weise bemalt hatte. Drei Betrunkene lagen auf den Pflastersteinen und schliefen ihren Rausch aus. Dahinter sah er abermals verhüllte Gestalten umherhuschen. Die Neugier hatte den Spielmann gepackt. Unmerklich war er stehengeblieben und starrte in die Gasse hinein. Der Mund öffnete sich leicht. Etwas Mystik lag in der Luft, wie er befand.
»Spikero, komm jetzt!« Bers Blick besaß etwas Besorgniserregendes.
»Was passiert dort in den Zelten?«
»Weiß ich nicht, Spikero. Das möchte ich auch gar nicht erfahren. Bestimmt nichts Gutes, soviel steht fest. Dass du dich dort ja nicht hineinwagst, hörst du?«
Der Barde hörte es und beschied, dass er sich noch nicht entschlossen hatte, ob er auf Bers Warnung eingehen wollte oder nicht. Irgendetwas dort drin flüsterte von einem Abenteuer. Einem schaurig spannenden Abenteuer.
2 - Fuge
Die zweite Enttäuschung dieses Tages erfuhr der Barde Spikero, als sie ihre Unterkunft bezogen. Von der großen Villa, die er sich erhofft hatte, war keine Rede. Untergebracht wurden die Reisenden aus Flusswall in einer beengenden Behausung mit kleinen Zimmern, die nicht mehr Ausstattung als übereinandergestapelte Betten boten.
»Wie? Und hier sollen wir wohnen?« Verdrießlich blickte sich der Barde in dem engen Raum um.
Seine Gefährten machten keine Anstalten, auf seine Aufregung einzugehen. Mank warf den Seesack in hohem Bogen auf den Boden und knöpfte sich sein hellblaues Seemannshemd auf.
Sigmund tat es ihm gleich. Die Habseligkeiten des Troubadours stellten sie zusammen in einem staubigen Winkel ab. Koffer und Säcke türmten sich und machten es dem Barden schwer, den Raum zu durchqueren.
»Spikero, wir schlafen auf diesem Bett«, verkündete Ber.
Der Troubadour besah sich das kleine Gestell. Ber hatte das einzige Bett gewählt, das frei stand. Auf der anderen Seite gab es nur noch Stockbetten. Eng sah es aus. Bers gewaltiger Körper würde es vollends ausfüllen.
Indessen die Seemannsfrau die Kleider ablegte und in ihr Nachthemd schlüpfte, blieb der Barde noch immer voll bekleidet im Raum stehen und blickte enttäuscht um sich. Zu fünft mussten sie in diesem winzigen Zimmer schlafen. So hatte es sich der Barde wirklich nicht vorgestellt. Er dachte, mit seiner Holden zumindest ein Zimmer für sich beziehen zu können. Doch die ganze Besatzung musste untergebracht werden und aufgrund der Vielzahl von Reisenden war das gesamte Haus bis aufs letzte Bett belegt.
»Spikero, was stehst du hier noch herum? Komm und leg dich zu mir!« Das Bett knarzte, als Ber ihren stattlichen Körper hineinfallen ließ. Auf dem Rücken liegend streckte sie die Beine aus und stöhnte entspannt.
»Das habe ich mir aber ganz anders vorgestellt.« Spikero ließ die Schultern hängen. »Hier gefällt es mir ganz und gar nicht, meine lieben Freunde. Dabei glaubte ich, durch euren Handel verdientet ihr gutes Gold. Und nun stehe ich hier in einer Behausung, die so gar nichts Prunkvolles aufweist. Seht nur! Es gibt nicht einmal ein großes Fenster, von dem aus ich hinunter auf den Markt blicken kann. Und ein kleines Tischchen, an dem ich meine Kompositionen niederschreiben kann, finde ich in diesem Zimmerchen auch nicht vor. Wie soll ein Barde wie ich denn in so einem kleinen Rattenloch leben und gedeihen?«
»Ein kleines Fenster gibt es doch, Spikero«, versetzte Sigmund. Nach kurzer Überprüfung stellte er jedoch fest: »Aber leider lässt es sich nicht öffnen.«
»Ach, der Gram bemächtigt sich meines Gemüts.« Tief seufzend ließ sich der Barde auf sein Köfferchen nieder und klemmte das Gesicht zwischen den Händen ein.
»Ach, Spikero«, sagte nun Mank, »die ganze Überfahrt lang schwärmtest du von deinem Traum, Thal endlich zu bereisen. Nun sind wir hier, bist du immer noch nicht froh. Irgendwer hat dich aber ganz schön verwöhnt.«
»Gar nicht!« Echauffiert schnaubte der Barde.
Bevor Spikero noch weitere Beschwerden nachsetzen konnte, fing Ber mit ihrer tiefen, unmelodischen Stimme zu singen an: »Geboren bin ich weit vom Schuss, zwischen Gras, Gebirg‘ und plätschernd Fluss. Die Nachtluft schmeckt mir kühl und fahl, was gäb‘ ich bloß, lebt‘ ich in Thal.«
»Du wagst es, mein eigenes Liedchen gegen mich zu verwenden?« Spikero riss die Augen auf. »Was für eine bodenlose Frechheit!«
»Komm schon zu mir ins Bett, Spikero!«
»Aber ich will doch noch gar nicht schlafen. Heute habe ich noch gar kein Abenteuer erlebt.«
»Schlüpf zu mir ins Bett, Spikero, dann lass ich dich dein kleines Abenteuer erleben.«
Als die Männer grässlich zu lachen begannen, schoss ihm das Blut in die Wangen. Nun, da er verstand, was Ber damit ausdrücken wollte. Er japste, dann riss er die Augen auf. »Hier, inmitten der ganzen Besatzung?«
»Den Einlass zur Stadt fandest du nicht aufregend?«, fragte nun Mank.
»Die lange Wartezeit? Blasen habe ich nun an den Fersen und der Rücken tut mir weh. Die Sonne hat mir mein Gesicht ganz schrecklich verbrannt und d–«
»Und was ist mit der Marktstraße, mein süßer Liebling? Die hat dir doch gefallen, nicht wahr?«
»Freilich, meine Holde, freilich, freilich. Doch leisten kann ich mir gar nichts.« Endlich erhob er sich, um sich die Kleider abzustreifen. Nach einigem Kramen fand er auch sein Nachthemd, das er sich sehr ungeschickt überstreifte, um darunter seine Unterbekleidung auszuziehen. Denn Mank und Sigmund sollten ihn doch nicht nackt sehen. Dann schlüpfte er zu seiner Holden ins Bett und schmiegte den Kopf an ihre Brust. Halbseitig musste er sich auf sie legen, sonst wäre er wieder aus dem Bett gefallen.
Ber schlang die Arme um ihren kleinen Freund und drückte ihn an sich. »Morgen ist ein neuer Tag und eine neue Chance auf ein Abenteuer wird dich erwarten.«
»O ja!«, frohlockte der Barde. »Was werden wir denn morgen Schönes unternehmen, meine Holde? Ein gemeinsames Abenteuer? Der Barde und die Seemannsfrau. Klingt das nicht lieblich? Gemeinsam bestreiten wir ein Abenteuer in der größten Stadt der Erdenwelt.«
»Spikero, mein kleiner Schatz, ich bin nicht des Abenteuers wegen nach Thal gereist. Ich für meinen Teil muss Arbeit verrichten. Morgen steht die Zählung der Waren ins Haus, dann wird gefeilscht und diskutiert. Umgeladen und herumgetragen.«
»Und ich soll ganz allein bleiben?« Mit traurigen Augen reckte Spikero den Kopf.
»Du kannst dir doch die Zeit am Markt vertreiben.«
»Wie? Ganz ohne Goldtaler? Wirst du mir etwas leihen?«
»Das kommt nicht in Frage«, entgegnete Ber streng. »Wenn ich eines aus meiner zweiten Ehe gelernt habe, dann, dass die Goldkatzen stets getrennt bleiben.«
»Ach, dieser Traum von Thal hat sich aber flink ausgeträumt«, ließ sich der Barde traurig vernehmen.
»Spikero, wenn der Kapitän gleich den Raum betritt, solltest du dich mit deinen Beschwerden zurückhalten«, ermahnte Mank ihn. »Der hat für deine Nörgeleien nämlich nicht so viel Geduld wie wir drei hier.«
Spikero maulte unverständlich und schmiegte sich wieder an Ber.
»Du kannst uns gern morgen im Lagerhaus helfen, wenn du möchtest.«
»Und mir die edle Seide verderben? Aber ganz bestimmt nicht. Dieser junge Spielmann hier hat zu zarte Hände und einen zu guten Ruf, als dass er einfache Arbeiten verrichtete.«
Ber kränkten seine Worte nicht im Geringsten. »Als ich in deinem Alter war, mein Freund, musste ich schon Schwerstarbeit verrichten. Als Wäscherin habe ich gedient. An dem kochenden Wasser habe ich mir die Arme verbrannt. Hier, kannst du mal sehen.« Sie krempelte sich die Ärmel hoch und zeigte ihm die Narben. »Heute habe ich einen angesehenen Beruf und kann die Erdenwelt bereisen. Aber ohne Fleiß hätte ich es nicht bis hierhin geschafft. Wenn du so alt bist wie ich, wirst du auch ganz anders darüber denken.«
»So alt muss der Knirps erst werden. Ber, du bist doppelt so alt und schon weise. Der kleine Naseweis hier hat nicht die geringste Ahnung von harter Arbeit. Gerade zwanzig Jahre jung und schon so verwöhnt.«
»Gar nicht. Ein paar Jahre älter ist dieser Barde hier schon. Und einer wie ich braucht keine harte Arbeit zu verrichten. Ich bin immerhin ein anerkannter Barde und Dichter. Die Erdenwelt hat nur auf einen wie mich gewartet und nun, da ich in der größten Stadt der Erdenwelt angekommen bin, werde ich jenen Ruhm ernten, der mir gebührt.«
Polternd ging die Zimmertür auf und der Kapitän trat herein.
Spikero verstummte augenblicklich. Der Seemann hatte recht. Der Kapitän hatte für Spikeros Eigenart keinerlei Verständnis.
»Der Ħūwwilō fliegt raus!« So lautete der erste Befehl des Kapitäns, bevor er sich noch einer Begrüßung bedient hatte.
»Meine kleine magische Eule soll mich doch beschützen«, echauffierte sich der Barde.
»Nichts da. Der Vogel schläft draußen. Hast du schon einmal gesehen, wie viel Schmutz dieses Tier macht? Das brauche ich nicht hier drinnen.«
Leise murrend schwang Spikero die Beine wieder über das Bettgestell und ließ seinen gefiederten Gefährten auf seinen Arm steigen. Dann brachte er ihn nach draußen, auf dass er hoch oben auf dem Dach seinen Schlaf finden konnte. Er beneidete seinen magischen Begleiter. Von dort oben hatte er einen viel besseren Ausblick auf Thal. Spikero selbst musste eingepfercht wie ein Tier in dieser winzigen Schlafkammer nächtigen.
Kurz ließ der Barde den Blick auf den Marktplatz schweifen. Die letzten Händler spannten gerade ihre Planen über die Karren und verließen ihren Standplatz. Ganz in der Nähe gewahrte Spikero kleine Feuerstellen in jenen finsteren Seitengassen, vor denen Ber ihn gewarnt hatte. Ob ihn dort wohl ein Abenteuer erwartete? Gelächter, laute Rufe und der Klang von zerberstendem Ton, als hätte jemand eine Flasche auf den Boden geschlagen, drangen an seine Ohren. Vielleicht war es doch zu gefährlich, dort hineinzugehen, dachte der Barde bei sich und öffnete abermals die Tür zu seiner Unterkunft.
Als er in den Raum zurückkehrte, schlug ihm bereits die Kakofonie eines dröhnenden Schnarchkonzerts entgegen. Der Barde kroch in die Arme seines Mädchens und schmiegte das Gesicht an seine Brust. Dann schloss er die Augen und erträumte sich noch im Wachzustand, welche Anerkennung ihm in seiner neuen Umgebung bald zuteilwerden wollte.
3 - Erste Strophe
Als Spikero am nächsten Morgen erwachte, fand er sich allein in der Schlafkammer wieder. Seine Gefährten waren schon vor der Dämmerung aufgebrochen, um ihrer Arbeit nachzugehen. Doch der Barde hatte neuen Mut geschöpft. Gestern Abend war er, wie er sich selbst eingestehen musste, aufgrund der langen Reise und der Wartezeit, der Müdigkeit und Erschöpfung ganz schön quengelig geworden. Heute, so sagte er sich, war der erste Tag seines Thal-Abenteuers gekommen. Er würde eine aufregende Zeit in der größten Stadt der Erdenwelt verbringen und eine neue Ballade komponieren, die ihn zu großem Ruhm führen sollte. Mit diesen Gedanken und einem kleinen Liedchen auf den Lippen schwang sich der Troubadour aus dem Bett und stellte seine Garderobe zusammen. Heute gedachte er, sich in auffallende Gelbtöne zu kleiden. Eine Pluderhose aus zwei verschiedenen Stoffen, Goldknöpfen am Latz, mit schrägem Schnitt wählte er für diesen Tag aus. Darüber ein dottergelbes Hemd aus luftiger Seide, gänzlich ohne Firlefanz. Trotz der hohen Temperaturen entschied er sich für einen Klappenrock mit Zierborte und ein Barett in derselben Farbe. Dazu Schnabelschuhe mit Glöckchen an den Spitzen. Sein Gesicht benötigte noch ein wenig Puder, Rouge und einen feinen Kohlestrich um die Augen und schon sah er aus wie der blühende Morgen. Dann schwang er sich die Laute auf den Rücken, packte die wichtigsten Utensilien in einen kleinen Beutel, den er an seinem Gürtel festmachte, und fühlte sich bereit für sein neues Abenteuer.
So trat er nun hinaus in die Stadt. Dass hier Krieg herrschen sollte, konnte der Barde gar nicht recht glauben. Zumal er so etwas zum einen noch nie erlebt und zum anderen ganz andere Vorstellungen davon hatte. Was sich im Zentrum Thals, das sich weit von seinem Standort entfernt befand, zutrug, bekam der Barde hier im Westen nicht mit. Und das war gut so, denn das hätte ihn wahrlich das Fürchten gelehrt.
Sein kleiner Ħūwwilō begrüßte ihn mit einem Uhuuhu-Ruf, umkreiste ihn einmal, ehe er hinabstürzte und sich auf seiner Schulter niederließ.
Spikero gewahrte die überraschten Blicke der umstehenden Menschen, als sie das magische Vogeltier erblickten. Ħūwwilōs sahen fast aus wie gewöhnliche Eulen, doch besaßen sie einige Eigenheiten, die sie von ihren Verwandten unterschieden. Zum einen schliefen sie bei Nacht und reisten am Tage. Zum anderen waren sie der menschlichen Gesellschaft nicht abgeneigt. Und darüber hinaus besaßen sie magische Fähigkeiten. Schutzkreise konnten sie ziehen, die finsteren Wesen und Geistern das Eindringen vereitelten und Flüche unschädlich machten. Außerdem, so sagte man sich, konnten die Ħūwwilō Wünsche erfüllen. Doch dieses Ritual im Ħūwwilō-Mond kannte der Barde nicht. Für ihn war der Ħūwwilō ein freundlich gesinnter Begleiter, mit dem er Abenteuer erleben konnte. Und sollte er einen Wald betreten, in dem es vor Flüchen wimmelte, so würde ihm sein kleiner gefiederter Freund Schutz bieten.
Nun schlenderte der Barde also wieder über die Marktstraße. Gelassen besah er sich die Stände, spähte in die Gassen hinein, die er nicht betreten durfte, und stellte fest, dass noch immer Betrunkene herumtorkelten und verhüllte Gestalten umherschlichen. Selbst als der Tag noch jung und frisch war, machten die Seitengassen einen düsteren Eindruck. Abenteuerlich und faszinierend in ihrer Mystik, wie der Barde befand. Doch er war artig und so setzte er keinen Fuß hinein. Stattdessen führte ihn sein leerer Magen an den Viktualienständen vorbei. Die Marktschreier brüllten sich die Seelen aus den Leibern. Frische Äpfel, Birnen, Kirschen und Pfirsiche wurden feilgeboten. Dem Barden lief das Wasser im Mund zusammen. Doch da er heute allein unterwegs war, musste er selbst für die Verpflegung aufkommen und dafür war er zu geizig.
Nachdem er erneut an jenem Laden für Musikinstrumente vorbeigekommen war, einige wundervolle Stoffe und Roben in einem anderen Marktzelt erspäht hatte und ihm der Magen nach einer Weile gehörig knurrte, musste er sich eingestehen, dass er hier in Thal mit seinen dreißig Goldmünzen nicht viel anfangen konnte, und so fühlte er sich gezwungen, doch nach einer Arbeit Ausschau zu halten. Während er die Straße so entlangging, kam er ins Grübeln. Was sollte er denn schon groß hier anstellen? Etwas Abenteuerliches musste her. Gern hätte er sich jetzt mit seinem Mädchen Ber beratschlagt, doch diese musste schließlich in den Lagerhäusern arbeiten. Außerdem hätte sie ihm sowieso nur wieder einen Vortrag darüber gehalten, wie schwer sie geschuftet hatte, als sie noch in seinem Alter gewesen war. Darauf hatte der Barde wahrlich keine Lust.
»Uhuuuhu!«
Spikero riss den Kopf herum und seine Miene klarte auf. »Aber ja doch! Mein kleiner Ħūwwilō, wie recht du doch hast. Wozu sollte ich mir auch einen neuen Beruf suchen, wenn ich doch längst einen habe?«
Er holte die Laute von seinem Rücken nach vorne, wobei sein gefiederter Freund erschrocken abhob, die Straße einmal hinauf und hinabflog, bevor er sich wieder auf der Schulter Spikeros niederließ.
»Hier finde ich ein großes Publikum vor. Sieh nur, wie sie sich tummeln.«
Er drängte sich an den Strömen von Menschen vorbei, die seinen Weg kreuzten, mäanderte sich hindurch, bis er eine Stelle fand, an der er genügend Platz hatte, um seine Laute zu spielen. Das schicke Barettmützchen legte er auf den Boden, wenngleich er sich schon jetzt mit der Bürste den Staub und Schmutz abschrubben sah.
»Welches Stück wollen wir denn zuerst zum Besten geben?«, fragte er an seinen Ħūwwilō gewandt. »Ach, mir fällt gerade ein Stück ein, das ich seit meiner Abreise nicht mehr gespielt habe.« Der Barde drehte an den Wirbeln, stimmte die Laute und zupfte im Anschluss zart an den Saiten.
Der Lärm, der ihn umgab, nahm ihm beinahe das Gehör für das eigene Spiel. Er begann mit seinem melodiösen Präludium. Eine liebliche Ballade, die er vor längerem komponiert hatte, sollte nun das erste Stück sein, das er in Thal vortragen würde. Hellauf begeistert blickte er den Passanten in die Gesichter, erwartungsvoll, wie hoch ihre Entlohnung für seine hohe künstlerische Darbietung ausfallen würde. Doch keiner blieb stehen, um sich die Lautenklänge anzuhören, die Spikero ihnen bot.
Nun folgte die erste Strophe:
»In den Tiefen der SmaragdeAugen funkelnde Schönheit,erstrahlt mir die Vahlagdeim glänzend‘ Abendkleid.
Menschen zogen vorbei, ohne ihn anzuhören. Doch der Troubadour verlor noch nicht den Mut. Er ließ die eigene Stimme anschwellen und sang mit voller Kehle.
Als er die zweite Strophe zum Besten gab, bemerkte er, dass er an Publikum gewann. Ein alter Mann mit krummem Rücken, aschefarbenem Haar und ein kleines Mädchen mit buntem Kleid, das er an der Hand führte, waren stehengeblieben und lauschten.
Bis er das Intermezzo erklingen ließ, lauschten sie ihm und bevor sie ihren Weg fortsetzten, wanderte schon der erste Taler in Spikeros Barett. Doch dabei blieb es vorerst. Bis der Barde das Stück zu Ende gespielt hatte, gab es nicht einen Weiteren, der seinen Marsch unterbrochen hatte, um zuzuhören. Das Stück war vorüber und der Barde senkte die Laute. Er trat auf das Mützchen zu und inspizierte den einzelnen Goldtaler, der sich darin befand.
Noch ließ sich der Barde nicht entmutigen und so stimmte er den Traum von Thal an. Währenddessen sah er Menschen in Strömen vorbeiziehen, gewahrte den Lärm, der ihn einhüllte und die lieblichen Klänge seiner Laute verschluckte.
»Es hat keinen Zweck«, sagte er sodann und senkte die Laute. Ein wenig Kummer stieg in ihm auf, doch so schnell wollte er sich noch nicht geschlagen geben. »Komm, mein kleiner Ħūwwilō. Wenn man uns hier kein Gehör schenkt, so wollen wir weiterziehen und uns einen stilleren Ort suchen.«
Und so wanderte der Barde weiter. Die Marktstraße kam ihm endlos vor, doch nach langem Drängen gelangte er schlussendlich zu einer Stelle, die ihm gelegener erschien. Einen runden Platz mit Springbrunnen, kleinen Steinbänken und angelegten Rosenbeeten fand er vor sich. Mit Blick auf einen hohen Torbogen, durch den die Pferdekarren rollten. Dieser Platz gefiel ihm und das Stimmengewirr erklang bloß noch in der Ferne von der Marktstraße heran. Als er dieses Mal die Laute anzupfte, entfaltete sich der Klang in seiner Vollkommenheit. Der Barde schloss die Augen und ließ die Laute singen.
Die Melodie schwang wie von selbst durch die Luft. Wagenräder holperten über die Pflastersteine. Ein Vöglein zwitscherte. Der Brunnen in seinem Rücken plätscherte und seine Eule fiepte. Spikero genoss es, die Klänge seines Umfeldes in sein Lautenspiel zu integrieren, auf dass eine vollkommen eigenständige Komposition entstand. Was er gerade spielte, wusste er nicht zu sagen, doch es klang harmonisch und fühlte sich sanft an.