Meuchler & Gestaltwandler - Die Abenteuer des Barden Spikero 2 - C. Gina Riot - E-Book

Meuchler & Gestaltwandler - Die Abenteuer des Barden Spikero 2 E-Book

C. Gina Riot

0,0
2,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Mittelalter-Fantasy trifft auf Krimi Ein abenteuerlustiger Barde, ein gefährlicher Auftrag und ein Gestaltwandler ... Spikero erhält den Auftrag, ein seltenes Elixier zu besorgen, das vor Gestaltwandlern schützen soll. Die Auftraggeberin erscheint verdächtig. Zudem treibt in Thal ein Meuchelmörder sein Unwesen. Als der Spielmann einen Mord beobachtet, erschüttert es seine Welt. Erschreckender wird es, als der Tote plötzlich wieder vor ihm steht ... Meuchler & Gestaltwandler ist der zweite Teil einer spannenden Krimi-Serie im Fantasysetting.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die Abenteuer des Barden Spikero

2 Meuchler & Gestaltwandler

1.Auflage

© 2024 C. Gina Riot

All rights reserved.

Lektorat: Angela Huber

Korrektorat: Josephine Awgustow

Cover Design, Karte, Satz & Layout: LAYOUTRIOT - Agentur für Werbung und Design

(www.layoutriot.at)

www.dienerdesordens.at

Inhalt

1 - Präludium: Zuber und Bier 8

2 - Fuge: Das Treffen 20

3 - Erste Strophe: Arbeit 26

4 - Zweite Strophe: Veränderung 35

5 - Dritte Strophe: Stadtwache 47

6 - Intermezzo: Beisetzung 52

7 - Ritornell: Der Abschied 58

8 - Vierte Strophe: Alte Abenteurer 64

9 - Fünfte Strophe: Betrunkene sagen immer die Wahrheit 73

10 - Sechste Strophe: Ein altes Gesicht 82

11 - Siebente Strophe: Alte Wunden 87

12 - Intermezzo: Eine Leiche 97

13 - Achte Strophe: Niemals Fort 106

14 - Neunte Strophe: Der Wandler 114

15 - Intermezzo: Zwei Gesichter 122

16 - Zehnte Strophe: Fehlend 131

17 - Elfte Strophe: Die Mordwaffe 136

18 - Zwölfte Strophe: Eine neue Spur 145

19 - Dreizehnte Strophe: Lieblos 154

20 - Vierzehnte Strophe: Die zweite Leiche 164

21 - Intermezzo: Verfolgung 167

22 - Intermezzo: Bruch 176

23 - Fünfzehnte Strophe: Das Schwein 182

24 - Resolutio: Die Wahrheit 193

25 - Resolutio: Um ein Haar 205

26 - Coda: Die Feierlichkeit 216

27 - Zugabe: Epilog 231

1 - Präludium

Zuber und Bier

Die Seemannsfrau Ber streifte sich das Hemd über den Kopf und warf es auf den Boden.

Spikero schlug die Hände vors Gesicht. »Ber! Du kannst dich doch nicht hier mitten auf der Straße ausziehen!«

Seine Holde schenkte ihm ein breites Grinsen. »Warum denn nicht?« Schon lagen ihre Finger an der Fibel, die das Leinentuch zusammenhielt, mit dem sie ihre Brüste abband. »Spikero, hilfst du mir mit dem Verschluss?«

Dem Barden stand der Mund offen. »Du kannst doch nicht ...« Als sie die Fibel eigenhändig aufschnappen ließ und sich in aller Geruhsamkeit den Leinenstoff vom Oberleib schälte, warf sich der Barde schützend vor sie. »Weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen«, rief er den Passanten zu, die seinem groß gebauten, ungestalten Weib ohnehin keine Beachtung schenkten.

Schon fiel das Leinentuch zu Boden und Bers Brüste strahlten schneeweiß und bar unter dem einfallenden Sonnenlicht. Sie wand sich aus der engen Seemannshose und stieg zu dem vollbärtigen Seemann Mank in den Zuber.

Spikero schnappte noch immer aufgebracht nach Luft. »Ein Frevel ist das, dass man uns hier draußen auf offener Straße in ein Becken setzt und dafür die vollen Kosten berechnet.«

»Jetzt sei doch nicht so prüde, Spikero, und komm endlich zu mir ins Badewasser.«

Spikero überging Bers Worte. Umständlich zog er sich die Schnabelschuhe im Stehen aus, während er den vorbeiziehenden Menschenmassen hinterherblickte. »Ein Frevel ist es, was man mir hier in Thal schon alles zugemutet hat. Die ganze Seemannsbesatzung bezieht die winzigsten Zimmer, heruntergekommen und schmucklos. Dazu noch beengend und überhaupt gar nicht hübsch eingerichtet. Kein Tischchen, kein Fenster, das sich öffnen lässt, und dann werden wir darüber hinaus noch zu fünft dort hineingezwängt. Und ein Badehaus gibt es dort auch nicht. Nein, nein, da müssen wir die Straße entlang zu diesem hier stapfen, nur um danach festzustellen, dass schon alle Zuber besetzt sind. Ja und dann«, er legte Gürtel und Taschen ab und zog sich die dottergelbe Hose bis zu den Knöcheln hinunter, um danach mit angewinkelten Beinen hinauszuschlüpfen, »dann setzt man uns die Zuber auf der Straße vor. Auf der Straße, Ber! Nicht hinter dem Haus. Mitten auf der dicht bevölkerten Straße.«

»Ist doch nichts dabei, Spikero. Wir sind hier doch überdacht.« Ber entließ ihr schadenfrohes Kichern.

»Von wegen nichts dabei. Ich zeige meinen nackten Körper doch nicht der ganzen Stadt.« Der Troubadour entledigte sich seines ärmellosen Brokatwamses. Goldfarbene Blätter waren auf schwarzen Stoff gestickt. Durch die kleinen gelben Farbsprenkel harmonierte es prächtig mit dem gelben Hemd, das er darunter trug. Anders als Ber warf er seine Kleider nicht auf den Boden, sondern legte sie fein säuberlich auf eine Bank, die an der Fassade zum Badehaus stand. Er streifte seine Ringe ab und wandte sich wieder zu dem Zuber. Zu seinem Glück reichte ihm das Hemd bis zur Mitte der Oberschenkel. So trat er nun die Holzstufen zum Zuber hinan und stieg ins dampfende Wasser.

Ber hob sein Hemd an und kicherte. »Ich kann dir unters Röckchen schauen.«

»Ber!« Sein Kreischen erklang so laut und hell, dass sich alle Anwesenden nach ihm umdrehten.

»Bei meiner Seemannsehre!«, grummelte der Kapitän in Spikeros Rücken. Kein anderer der Seemänner war dem Barden feindseliger gesinnt als der Kapitän. »Den Tag möchte ich noch erleben, an dem dein kleiner Liebhaber sich nicht über irgendeine Lappalie beschwert.« Das Augenrollen war so aufdringlich, dass es der Barde fast hören konnte.

Doch er beschied, den Kapitän zu ignorieren. Sobald er tief genug im Zuber stand, streifte er sich das Hemd ab und setzte sich. Das heiße Wasser trieb ihm sofort den Schweiß aus den Poren. »Dass du dich der ganzen Erdenwelt ohne Skrupel völlig nackt präsentieren kannst, ist mir noch immer fremd.«

»Ach, sei doch nicht so verklemmt. Wenn man sich als Frau immerzu unter Männern aufhält, wird es einem über kurz oder lang egal. Was ist denn schon dabei? Hinfassen traut sich sowieso keiner. Ich besitze mehr Muskeln als die ganze Besatzung.«

»Das ist nicht der Grund, warum dich keiner anfassen will, Ber.« Mank entließ ein dreckiges Lachen. »Bevor ich mich zu dir lege, werde ich lieber ein Priester der Auronen.«

Ber stimmte in sein dreckiges Lachen ein.

»Oder ein Eunuch«, setzte er nach, bevor ihr Gelächter noch weiter anschwoll.

Spikeros treuer Begleiter flatterte durch die Szene.

»Verflucht!«, schimpfte der Kapitän. »Dieses verdammte Federvieh macht mich fertig.«

Spikeros kleine, magische Eule quittierte seine Aufregung mit einem frechen »Uhuuuhu!« und ließ sich nahebei auf einem Dach nieder.

»Dein kleiner Ħūwwilō verhöhnt unseren Kapitän, hörst du?« Ber kicherte.

»Er rächt mich.«

Ber beugte sich über den Beckenrand und griff nach der Seife, um ihren Körper damit einzureiben. »Und, Spikero, weißt du schon, welches Lied du heute Abend singen wirst?«

»Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht.« Der Barde fasste sich ans Kinn und überlegte. »Das heute ist mein zweiter Auftritt hier in Thal und gerne möchte ich etwas ganz Besonderes anstimmen, doch ich kann mich einfach nicht entscheiden. All meine Stücke sind herausragend, wie du weißt, meine Holde. Aber vermutlich ist das Publikum ganz erpicht darauf, abermals Der Traum von Thal zu hören.« Er seufzte theatralisch. »Dieses Lied hat mir schon bei meinem ersten Auftritt tosenden Applaus eingebracht. Und nun wollen sie es wahrscheinlich immer und immer wieder hören, bis sie es selbst auf den Gassen singen. So wird es sich ereignen. Doch was, wenn ich sie heute enttäusche, indem ich ein anderes Stück zum Besten gebe, Ber?«

»Niemand ist erpicht darauf, dass Ihr irgendein Lied singt, Spikero«, maulte der Kapitän, der hinter ihm in den Zuber gestiegen war. »Wer im Hémm auftritt, bekommt immer Beifall. Selbst der unmusikalischste Hornochse wird mit Applaus von der Bühne verabschiedet.«

Spikero biss die Zähne zusammen und knurrte leise. Dem Kapitän durfte er keine Widerworte geben. Aber innerlich durfte er ihn mit Schmähungen versehen. Nur im Geiste.

»Hast du denn deine neueste Komposition schon fertiggestellt?«, fragte Ber, während sie ihm die Seife hinstreckte.

»Noch nicht. Ich überlege noch, wie ich den Schluss schreiben soll. Und mit der Melodie im Mittelteil bin ich auch noch nicht recht zufrieden.«

»Was du mir vorgespielt hast, hat mir sehr gefallen.«

»Ja, mein holdes Weib, das liegt auch in deiner Natur. Du betest mich an und jedes Wort, das gesungen über meine Lippen kommt. Jeder Ton, den ich auf meiner Laute anschlage, klingt wie das süßeste Rauschmittel, das du jema–«

Das verhöhnende Lachen des Kapitäns in seinem Rücken schnitt ihm das Wort ab.

Spikeros Stirn legte sich in grimmige Falten.

»Ignorier ihn«, flüsterte Ber. Sie schenkte ihm ein verschwörerisches Augenzwinkern und rückte näher an ihn heran. »Wo trittst du heute auf? Wieder im Hémm?«

»Ja, diese Taverne hat sich als Treffpunkt der Barden herausgestellt. Fast wie die Barden-Akademie, die ich in Flusswall stets besuchte.«

»Ah, die Barden-Akademie.« Bers Lippen umspielte ein nostalgisches Lächeln. »Eine der schönsten Tavernen in ganz Flusswall. Dorthin führt uns Seemänner immer der erste Weg nach unserer Heimreise. Ich freue mich schon auf einen Becher Drunenwein und ein paar Tage Rast.«

»Ber, wie kannst du denn jetzt schon an die Heimreise denken, wenn ich hier in Thal doch noch gar keinen Ruhm erlangte?«

»Denken werde ich doch wohl noch dürfen«, entgegnete Ber. »Bis wir die Arbeit am Westhafen abgeschlossen haben, vergeht ohnehin noch Zeit. Dein Abenteuer wird schon nicht so rasch vorüber sein, kleiner Liebling.«

Der Barde schmiegte sich an ihre starke Schulter und ließ ein gedehntes Seufzen vernehmen. »Hast du etwa Heimweh, meine Holde?«

»Heimweh? Ich? Dass ich nicht lache. Was wäre ich denn für eine Seemannsfrau, wenn ich Heimweh verspürte?«

»Nun, du brauchst es ja nicht vor all den anderen zuzugeben«, sagte der Spielmann und stupste sie dabei mit dem Ellenbogen an. »Aber solltest du Sehnsucht verspüren, heitere ich dich gern mit einem kleinen Liedchen auf. Dann stelle ich mich heute Abend auf die Bühne und spiele nur für dich. Vielleicht ein Stück, das Flusswall behandelt? Welches ist denn dein liebstes?«

»Spikero, das ist wirklich lieb gemeint, aber ich kann heute Abend nicht zu deinem Auftritt kommen. Ich muss schließlich a–«

»Arbeiten, ich weiß. Wie immer«, vervollständigte er ihren Satz. Grimmig rückte er ein Stück von ihr ab. »Das ist wirklich ein Jammer. Ich spiele doch im Hémm und ich dachte, das ließe sich zeitlich vereinbaren. Hast du nicht die Schicht getauscht, damit du abends wieder freibekommst?«

»Ab morgen erst. Heute beginne ich noch vor der Dämmerung. Danach beginnt die Schicht am Morgen.«

»Und kannst du nicht schon einen Tag früher die Schicht tauschen?«

»Wie stellst du dir das denn vor, Spikero? Es ist doch bereits Mittag.«

Beleidigt verschränkte er die Arme vor der Brust. »Also spiele ich heute vor Fremden? Ganz allein?«

»Ich werde dich begleiten, Spikero«, sagte Mank. »Einen Bewunderer deiner Lieder hast du dann zumindest dabei.«

Spikero ließ dennoch seine Mundwinkel hängen.

»Ach, schmoll doch nicht, süßer Liebling.« Ber rollte ungeniert mit den Augen. »Es wird noch viele weitere Auftritte geben und auf der Überfahrt von Thal zurück nach Flusswall wirst du uns ohnehin wieder mit deinen Kompositionen unterhalten.«

»Jetzt sprich doch nicht immerzu von Flusswall, Ber. Ich muss doch noch Abenteuer bestreiten und Erfolge hier in Thal feiern. Ich gehe erst, wenn ganz Thal meine Lieder kennt und sich die Augen ausweint, wenn ich es wieder verlasse. Ja doch, Ber, bei unserer Abreise werden uns die Menschen bis zum Steg begleiten, all die Bewunderer, und so lange verharren, bis wir außer Sichtweite sind. Und sie werden singen. Noch weit draußen auf dem Meer dringen ihre Stimmen an uns heran. Eines meiner Lieder werden sie singen. O ja, ein Meer von Menschen begleitet uns und ...«

»Du wieder mit deinen Tagträumereien.«

»Lach nicht über mich, Ber!«

»Überleg dir lieber, was du heute Abend zum Besten geben willst.«

»Hm«, machte der Barde. »Wie wäre es mit Streifzug durch Streifenfeld? Zu trist? Oder lieber Was der Waldschrat fordert?«

»Spiel doch das Lied über das Ritterlein und das Mägdelein«, forderte Mank.

»Aber das habe ich doch gar nicht geschrieben.«

»Ich höre es dennoch am liebsten.«

»Genau, Spikero, spiel ein Lied, das jeder kennt. Das bringt dir Sympathie bei deinen Zuhörern ein«, sagte Ber.

»Und bei mir.« Manks Bart bewegte sich seltsam, als er zu einem breiten Grinsen ansetzte.

»Kommt nicht in Frage, meine lieben Seemannsleut’. Ich werde eine Eigenkomposition vortragen. Schließlich soll ganz Thal meine Lieder auf den Lippen tragen und nicht die eines anderen.«

»Dann spielst du eben das vom Waldschrat.«

»Abgemacht.« Spikero nickte Ber zu und wagte sich wieder in ihre Arme.

Doch sobald er seinen Kopf gegen ihre Schulter gelehnt hatte, fuhr sie hoch. »Wenn ich noch länger hier drin verweile, verschrumple ich noch.«

»Aber wo willst du denn hin, Ber?«

»Meinen nackten Körper wieder der ganzen Stadt präsentieren, das will ich.« Mit einem frechen Krächzen erhob sie sich und stieg aus dem Zuber.

Als sie abends die Taverne betraten, wirkte sie überraschend leer. Augenblicklich senkte sich des Barden Laune wieder.

»Es betrübt mich, dass Ber heute arbeiten muss.«

Mank legte ihm mit Schwung die Hand auf die Schulter und knetete sie wortlos anstelle einer Entgegnung.

»Arbeit, Arbeit, Arbeit. Ich wünschte, es gäbe noch etwas anderes, das Ber interessiert.«

»Du hast dir eben ein tüchtiges Weib ausgesucht, Spikero.«

»Sie hat mich ausgesucht.«

»Und jetzt such du dir einen Platz aus.« Manks Hand wanderte zu Spikeros Rücken, wo sie Druck ausübte. »Ich bin am Verdursten.«

»Aussuchen! Ist doch ohnehin alles unbesetzt. Hier, setzen wir uns ganz nah an die Bühne. Dann ist mein Weg nicht so weit.« Der Barde lehnte seine Laute gegen das Tischbein. »Was möchtest du trinken, Mank? Ich gehe gleich zur Theke, um mich anzumelden.«

»Bier.«

Spikero schritt erhobenen Hauptes auf den Schankburschen zu. »Ihr da! Ich möchte mich zum Spielen anmelden. Ihr könnt Euch gewiss an meine liebliche Stimme erinnern. Vor einigen Wochen stand ich bereits auf dieser Bühne hier und habe die Kundschaft in Verzückung gebracht.«

Ohne vom Polieren der Kelche aufzusehen, brummte der Schankbursche: »Ihr seid zu früh. Die Liste führt jemand anderes. Kommt später.«

»Zu früh also. Das erklärt, warum hier so wenig los ist.«

»Wir haben gerade erst aufgesperrt.« Noch immer blickte der schlanke Aufwärter nicht hoch.

»Aber zu trinken wird uns doch hoffentlich schon kredenzt«, sagte der Barde in seiner leicht eingeschnappten Art.

»Was darf es denn sein, Spielmann?« Gelangweilt und überheblich zu gleichen Teilen hob der Schankbursche sowohl das Haupt als auch die rechte Braue.

»Bier für meinen Begleiter dort und ich hätte gern ein Kelchchen Drunenwein, wenn’s genehm ist.«

»Drunenwein ist keiner mehr da. Lieferengpässe.«

»Wie kann das sein?« Empört schnappte Spikero nach Luft.

»Unser König, Eduard Vitt, greift Wintergaard an. Und das scheint den Herrschern anderer Länder wohl ein Dorn im Auge zu sein. Handelsembargos sind die Folge. Und da in Thal kein Ackerbau, keine Viehzucht und kein Weinbau betrieben werden, gehen die Ressourcen allmählich zur Neige. Daher gibt es keinen Wein, Spielmann.« Der Schankbursche warf sich den Lappen über die Schulter und lehnte den Arm lässig auf die Theke. »Darf es auch ein Becher Bier sein?« Seine Stimme klang noch immer entnervt.

»Etwas Fruchtiges wäre mir lieber.«

»Dann eben Kirschbier.«

»Meinetwegen.«

»Der ist aber richtig grimmig«, sagte der Barde zu Mank, als er zu ihm an den Tisch zurückkehrte. Die Krüge stellte er ab und nahm auf der Sitzbank Platz. »Hast du von den Handelsembargos gehört?«

»Gerüchte, ja. Aber Flusswall betrifft es nicht. Keine Sorge. Unsere Arbeit ist uns sicher. Flusswall mischt sich doch nie in die Kriege anderer Länder ein. Unser König ergreift keine Partei.«

»Aber die Ressourcen werden knapp, sagt er. Keinen Drunenwein hat er mehr übrig.«

»Das ist die Schuld des Königs Eduard Vitt. In seiner Regentschaft ließ er das gesamte Land zum Stadtgebiet ausbauen. Wo einst noch Ackerbau betrieben wurde, ist nun Pflasterstein. Nahrungsgüter bezieht Thal nur durch Import. Vollkommen absurd, wenn du mich fragst.«

»Wirklich absurd.«

»Aber mich wundert hier doch überhaupt nichts mehr. Thal greift Wintergaard an und was macht der König? Der König Thals, meine ich. Hast du gehört, dass er das Land verlassen hat, um in den Süden zu reisen?«

Spikero schüttelte den Kopf und führte seinen Krug an die Lippen. Politik interessierte ihn doch überhaupt nicht.

»Nach Andoulous, um Geschäfte zu machen. Närrisch, nicht wahr? In Zeiten des Krieges.«

Der Barde zuckte mit den Schultern und wich Manks Blick desinteressiert aus. »Langsam kommen ja die Leute.«

»Dann wirst du dich heute doch noch eines Publikums erfreuen können.« Mank lächelte. »Ich glaube, das ist das erste Mal, dass du und ich nur zu zweit unterwegs sind.«

»Mag sein.«

»Ähm ...« Mank beugte sich vor und schob den Krug zur Seite. Er verschränkte beide Arme vor sich auf dem Tisch. »Was ich dich schon lange mal fragen wollte, Spikero, machst du eigentlich auch irgendetwas anderes?«

Spikeros Stirn runzelte sich. »Was genau meinst du?«

»Neben deinem Troubadourdasein. Ich meine, besonders erfolgreich bist du schließlich nicht. Aber als wir dich abholten, bevor wir nach Thal aufbrachen, habe ich dein kleines Häuschen in der Hauptstadt Flusswalls gesehen. Schick eingerichtet. Und deine gesamte Garderobe ist so viel wert wie ein ganzes Schiff. Da frage ich mich, woher du dir so etwas leisten kannst als erfolgloser Barde.«

»Erfolglos? Das verbitte ich mir. Ein erdenweltberühmter Spielmann ist dieser junge Spikero hier. Gan–«

»Spikero, wir sind unter uns.« Mank lächelte entwaffnend.

Doch auch das freundliche Gesicht seines Gegenübers vermochte den Barden nicht zu besänftigen. Schmollend kreuzte er die Arme vor der Brust.

»Ich will dich doch bloß ein wenig besser kennenlernen. Und jeder von uns weiß es. Uns machst du nichts vor. Also Ber und Sigmund und den anderen. Wir sind nur zu höflich, um etwas zu sagen. Und wir haben dich gern. Aber dass du schwindelst, war uns von Anfang an klar.« Mank versenkte die Finger in seinem dichten, dunklen Bart und lächelte abermals, sodass die Augen funkelten. »Ich verspreche dir, deine Geheimnisse sind bei mir sicher. Ich nehme sie mit ins Grab, wenn es dir ein Anliegen ist.«

»Ach, na gut.« Seufzend sackte er in sich zusammen. »Ich bin wirklich nur ein Barde, aber viel Gold verdiene ich damit wahrlich nicht.«

»Und wovon lebst du? Reiche Eltern?«

Spikero presste die Lippen zusammen und nickte. »Sozusagen. Das Häuschen in der Hauptstadt, in dem ich wohne, habe ich geerbt. Mein Vermögen – auch ein Erbe – verwaltet meine Mutter. Von ihr beziehe ich ein gutes Taschengeld. Und von meinem Onkel bekomme ich immer etwas, wenn ich alles verprasst habe. Denn ich bin sein Lieblingsneffe. Aber seit ich von Flusswall fort bin, gibt es keine Taler mehr. Meine Mutter nahm mir die Entscheidung übel. Flusswallen sind keine Abenteurer, heißt es. Sie sagte, wenn ich sie verlasse, verlasse ich auch meine Habe. Aber das Abenteuer lockt einen Abenteurer hinaus in die Erdenwelt. Und so bin ich gegangen.«

»Dann kann ich endlich nachvollziehen, warum du solch ein verwöhnter Bengel bist, Spielmann.« Als Mank den Kopf in den Nacken warf, um zu lachen, wippte sein dichter Vollbart bei jeder Bewegung.

»He!«, echauffierte sich Spikero. »Ich bin gar nicht verwöhnt.«

»Sehr wohl. Deine Habe lässt du dir hinterhertragen, dann maulst du tagein, tagaus über die schmucklose Bleibe, die wir bezogen haben, und Arbeit kannst du auch keine verrichten, da du dir sonst die teure Seide verdirbst.«

»Ich bin ja schließlich auch kein Bauer.«

»Nein, aber ohne deine reichen Eltern bist du ein Habenichts.«

»Woher nimmst du eigentlich deine Hochnäsigkeit?«

Mank grinste. »Das macht das Alter.«

»So alt bist du doch gar nicht. Nicht älter als Ber.«

»Ber ist älter als ich. In der Tat. Ich bin erst fünfundvierzig. Sag mir, Spikero, wie lange wurdest du gestillt?«

»Was soll denn das für eine Frage sein?«

»Reagier doch nicht immer gleich so eingeschnappt.« Wieder entließ Mank sein kehliges Lachen. »Bestimmt länger als die meisten.«

»Wie kommst du denn auf so einen … jetzt lach doch nicht so garstig!«

»Nur eine Vermutung. Du hast bestimmt ein gutes Verhältnis zu deiner Mutter, nicht wahr?«

»Hm. Na ja, ja. Ich bin schließlich ihr kleiner Liebling. Warum fragst du mich denn das schon wieder?«

»Na ja, du und Ber, ihr seid schon recht seltsam anzusehen.«

»Weshalb denn?«

»Sie wird schon grau an den Schläfen und du bist gerade erst Anfang zwanzig. Musst du dich denn überhaupt schon rasieren? Darüber hinaus ist sie ungefähr dreimal so breit und doppelt so hoch wie du, muskulös, grobschlächtig und mit einem Gesicht gestraft, das einem den Appetit verdirbt. Und du hingegen mit deiner feinen Gewandung und dem übertrieben geschminkten Gesicht. Das Hütchen passt zu den Stiefeln und dann dein Haarschnitt und dein weicher Körper. Keine Schwielen an den Händen und ... du weißt doch, was ich meine. Ihr zwei seid wie Tag und Nacht. Aber sie ist deine erste Freundin, nicht wahr?«

»Doch wahr«, räumte der Barde ein.

»Und ihr seid erst zusammen, seit du deine Mutter verlassen hast.«

»Jetzt weiß ich, worauf du hinauswillst. Garstig! Ber ist ganz und gar überhaupt nicht wie meine Mutter. Meine Mutter ist liebevoll und aufopferungsbereit, sanft und zart. Bestärkt mich in meinem Vorhaben und Ber ist wie ein Felsen. Ernst und stoisch, mit nicht einer romantischen Ader.«

»Du hältst sie für ernst?«

»Ich weiß nicht.« Spikero schlug die Augen nieder. »Ich will jetzt nicht mehr über mich reden.«

»Tun wir doch gar nicht mehr. Ach, ich kenne Ber schon fast mein ganzes Leben lang. Aber ernst fand ich sie niemals. Stur vielleicht und arbeitsam, engstirnig manchmal und mit stoisch wirst du wohl recht behalten. Romantisch ist sie wahrlich nicht. War sie noch nie. Bei keinem ihrer Ehemänner und davon hatte sie zuhauf.«

»So lange kennt ihr einander schon? Wie seid ihr euch begegnet?«

»Auf hoher See. Mein Großvater war Seemann, mein Vater war Seemann und das wurde auch ich. Bei Ber verhielt es sich ähnlich. Als ich sie kennenlernte, war sie bereits sechzehn. Eine Schönheit war sie auch damals nicht, aber bei Weitem nicht so angsteinflößend muskulös. Bis sie mit dem Ankerwerfen begonnen hat.« Wieder lachte der Seemann.

»So lange schon bereist du die Erdenwelt? Oder war es immer nur Thal?«

»Viele Länder habe ich schon bereist. Und an jedem Hafen hatte ich eine andere Frau.« Ein nostalgisches Lächeln verformte den dichten Bart.

»Heiratetest du auch so oft wie Ber?«

»Vor den Häfen ankern bloß die Schiffe. Den Hafen der Ehe überlasse ich schön anderen. Gut, das war ein blöder Scherz. Du könntest zumindest so höflich sein zu lachen, Spikero.« Mank pausierte, um seine Stimme mit einem Schluck Bier zu ölen.

Spikero lachte dennoch nicht.

»Einmal«, gestand der Seemann, »habe ich eine Frau geehelicht. Aber es hielt nicht lange vor. Sie hat jetzt einen anderen. Wohnt hier in Thal. Ausgerechnet nahe dem Westhafen. Am Brunnenplatz, wenn sie noch immer dort zuhause ist.«

»Und wirst du sie besuchen, solange wir hier sind?«

»Ganz bestimmt nicht. Renjata ist keine angenehme Zeitgenossin.« Er setzte den Krug an die Lippen und trank gierig, bis ihm das Bier von beiden Mundwinkeln in den Bart floss. »Ich glaube, sie nimmt mir noch immer übel, dass ich sie damals verlassen habe. Und dass ich bei der Geburt meiner Tochter wieder abgereist bin. Und dass ich ihr damals verschwiegen hatte, dass ich noch drei weitere Kinder in die Welt setzte. Mit zwei anderen Frauen. In anderen Ländern.« Mank setzte ein gekünsteltes Grinsen auf und zuckte mit den Schultern. »Ups.«

Spikero wusste gar nicht, was er sagen sollte, also enthielt er sich einer Erwiderung.

»Willst du noch so eines? Ich hole eine weitere Runde.« Mank erhob sich und fasste nach dem Krug.

»Eigentlich hätte ich viel lieber Drunenwein oder Stachelbeerwein, aber Wein gibt es ja nicht.«

»Dann bekommst du noch ein Kirschbier.«

Während Mank vom Tisch ging, erkannte Spikero eine Frau, die gerade die Taverne betrat. Er kniff die Augen zusammen. War sie das nicht? Die Frau, die ihn vor einigen Wochen nach seinem Auftritt auf der Straße angeschrien hatte? Sein Herzschlag beschleunigte sich, als er sich dieser Begegnung entsann.

2 - Fuge

Das Treffen

Mit beiden Händen trommelte die Fremde gegen den verschlossenen Laden des Heilers. Aufgelöst schreiend, mit Tränen in den Augen und einer Mimik aus Wut und Verzweiflung, die ihr sämtliche Schönheit raubte. Als sie Spikero gewahrte, riss sie den Kopf herum und stapfte mit langen Schritten auf ihn zu. »Ihr!« Mit dem ausgestreckten Zeigefinger deutete sie auf ihn. »Ihr seid der Barde Spikero, nicht wahr?«

Spikeros Herz machte einen Satz. Langsam setzte er einen Fuß hinter den anderen, um Abstand zwischen sich und die Fremde zu bringen. »Der bin ich. Der erdenweltbekannte Troubadour aus Flusswa–«

»Schweigt!« Mit langen Schritten kam sie ihm hinterher. »Ihr habt dafür gesorgt, dass der Heiler an den Galgen geführt wird.« Sie schrie voller Wut und mit Tränen in den Augen. Ihre Schritte beschleunigten sich.

Der Barde wich immer rascher zurück. »Ja, er war ein Gauner und ein Giftmisch–«

»Schweigt!«, kreischte sie abermals.

»Habt Ihr eine Ahnung, was Ihr getan habt?« Schlagartig blieb sie stehen. Das helle Haar fiel ihr ins Gesicht, als sie den Kopf gen Brust senkte. Die Schatten verschluckten ihre Augen, ihre Wangen, nur noch die kantige Nase wurde von dem spärlichen Licht der Monde erhellt. »Ihr werdet das wieder in Ordnung bringen.«

»Wovon sprecht Ihr?«

Der Brustkorb der Fremden hob und senkte sich. Ihr Keuchen durchwirkte die Stille der Nacht.

»Wer seid Ihr?«

Die Fremde schwieg.

Ein Blitz durchzuckte das Firmament.

»Was wollt Ihr von mir?«

»Ihr habt dafür gesorgt, dass die Heilerey geschlossen wird. Damit habt Ihr alles kaputtgemacht.« Ihr grauenerregendes Kreischen schrillte in den Ohren nach.

Instinktiv wich der Barde einen Schritt zurück. Der Mund wurde ihm trocken. Erste Regentropfen fielen hinab auf die Pflastersteine.

»Ich brauche diese Tinktur. Ich brauche sie.« Ihr Mund verzerrte sich, Speichel glänzte zwischen den geöffneten Lippen, die sich nach unten bogen. Ihr Schluchzen ließ den Brustkorb beben.

»Ich habe nichts mit der Sache zu tun.«

»Ich weiß genau, dass Ihr dafür verantwortlich seid. Ihr seid Spikero, der dafür sorgte, dass die Heilerey schließen musste.«

Donnergrollen belebte die gefährliche Szenerie.

»Woher kennt Ihr meinen Namen?« Wenngleich ihm das Herz bis zum Hals schlug, gelang es ihm, ruhig zu bleiben.

»Ich habe Euch vorhin im Hémm spielen gesehen. Und hörte mit an, wie Ihr davon berichtetet, was Euch widerfuhr. Das mit dem Heiler. Aber damit habt Ihr mich zerstört. Versteht Ihr nicht?«

»Ich verstehe überhaupt nichts.«

»Wisst Ihr, wie lange ich danach suchte? Nach der Tinktur? Und nur dieser eine Heiler konnte sie mir beschaffen. Nun bin ich hoffnungslos verloren.«

»Was ist das für eine Tinktur?«

Die Frau riss den Kopf hin und her, verschwörerisch und verängstigt, als würde sie verfolgt. »Nicht hier.«

Aus den paar Regentropfen wurde binnen Augenblicken ein Regenguss. Ein kühler Wind zog ein.

Fröstelnd rieb sich der Barde mit den Handflächen über die Oberarme. Allmählich wurde er ungeduldig. »Meine Freundin wartet auf mich.«

»Bleibt, wo Ihr seid!«, keifte sie.

»Dann sagt mir endlich, was Ihr von mir wollt!«

»Ich brauche diese Tinktur und Ihr sollt sie mir beschaffen.«

»Woher sollte ich sie nehmen, wenn auch Ihr nicht wisst, wie man sie bekommen kann?« Allmählich war der Barde verärgert.

»Ich habe schließlich nicht dafür gesorgt, dass diese Heilerey geschlossen wird.«

Der Barde blies aus den Backen und rollte mit den Augen. »Als hätte ich das getan, um Euch zu schaden.«

»Wlitam.«

»Was?«

»Das ist der Name der Tinktur. Wlitam-Tinktur.«

»Und wozu wird diese verwendet?«

Sie wandte den Kopf stürmisch ab und biss die Zähne zusammen. Das blonde Haar hing ihr in nassen Strähnen übers Gesicht. Wasser tropfte davon ab, sammelte sich am Kinn und durchfeuchtete ihr Seidenkleid, bis es ihr am schlanken Körper klebte.

»Ich kann Euch nicht helfen. Tut mir leid«, schloss der Barde und wandte sich von ihr ab.

»Wartet!«

Spikero schnaubte.

»Ich bezahle Euch auch.«

Ohne sich umzudrehen, blieb er stehen.

»Hundert Taler, wenn Ihr mir die Tinktur besorgt.«

Er machte einen Schritt fort von ihr.

»Zweihundert.«

»Vergesst es! Ihr habt mit angehört, was mir widerfuhr. Und dann treffe ich auf eine Verrückte, die mich hier mitten in der Nacht wie unter Folter ankreischt.«

»Bleibt stehen!« Ihre Schritte echoten auf dem Pflaster, als sie ihm hinterhereilte. Sie packte ihn am Arm und drehte ihn herum. »Ich werde selbst danach suchen. Aber wenn es mir nicht gelingt, werde ich Euch aufsuchen. Und Ihr werdet mir helfen. Gegen Bezahlung.«

Der Barde erkannte Aristokratie, wenn er sie vor sich wusste. Den Wortlaut, den Befehlston, die Arroganz. Ihre Kleider sprachen von Vermögen. Wenn sie das Gesicht nicht auf solch hässliche Weise verzerrte, wirkte es gar ansehnlich. Große, tränenfeuchte Augen glänzten ihm entgegen. »Ich bin verzweifelt«, gestand sie. Dem Hauchen war das Kreischen gewichen. »Helft mir!«

»Warum ich?«

Die Fremde zuckte mit einer Schulter, bevor sie sich die Nässe aus Tränen und Regen aus dem Gesicht wischte. »Warum nicht Ihr?«

Der Barde schwieg, denn er wusste nicht, was er erwidern sollte. Die Fremde war ihm suspekt.

»Wo werde ich Euch finden, wenn ich nicht selbst fündig werde? Im Hémm?« Nun besaß sie fast etwas Mädchenhaftes, als sie versuchte, ihn mit sanftem Augenaufschlag zu bezirzen. »Ihr seid doch ein Spielmann. Tretet Ihr öfter dort auf?«

Der Barde nickte stumm.

Sie schniefte. »Mein Name ist Romannja Kashina.«

Mank kam mit zwei gefüllten Krügen zum Tisch zurück. »Ich habe dich gerade angemeldet.«

Spikero sah sich im Raum um. Allmählich trafen die Spielleute ein. Er erblickte einen Harfenisten und ein paar Menschen in bunten Roben, die lange Flöten in den Händen trugen, dabei nervös mit den Beinen zuckten und sich die feuchten Hände an den Hosen abstreiften.

»Habe ich dir das richtige Getränk hingestellt?«

Die sonderbaren Blicke, die Romannja Kashina ihm quer durch den Raum zuwarf, raubten ihm fast die ganze Aufmerksamkeit. Sie einzuschätzen, fiel ihm schwer. Einer Explosion gleich hatte sie sich entladen, nur um im nächsten Augenblick sanft wie der Flügelschlag eines Schmetterlings mit den Wimpern zu klimpern.

»Spikero?«

Manks Stimme drang an ihn heran. Er schüttelte den Kopf und wandte sich wieder seinem Seemannsfreund zu.

»Was ist los, Spikero?«

»Die Frau dort drüben.«

»Die schlanke Schönheit in dem roten Seidenkleid?«

»Ja. Das ist sie. Das ist die Verrückte, die mich wegen der Tinktur beauftragen wollte. Sie ist gekommen.«

»Und dieses Rehlein war dazu imstande, dir solchen Schrecken einzujagen, Spikero?«

»Wenn sie mich nicht wie eine Besessene ankreischt, macht sie mir auch keine Angst.«

Mank musste sich fast den Hals verrenken, um sie anzusehen. »Wie alt mag sie sein? Vierzig? Sie besitzt diese winzigen Fältchen um die schmalen Lippen, die mir so gut gefallen, und doch solch junge Haut.«

»Weiß ich nicht«, sagte Spikero. »Was kümmert es mich?«

Mank wandte sich wieder zu ihm um. »Eine anmutige Frau. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sie wie eine Besessene herumschreit.«

»Tat sie aber.«

»Unwichtig«, entgegnete Mank. »Du wirst als einer der Ersten die Bühne betreten. Weißt du, was das heißt?«

»Was denn?« Der Barde führte sein Kirschbier zum Mund und nippte daran.

»Dass wir uns schneller besaufen können, ohne dass deine Stimme daran Schaden nähme.«

»Mank, als hätte ich jemals einen schiefen Ton gesungen. Selbst betrunken entfaltet sich die Stimme dieses jungen Spielmanns hier noch auf lieblichste Weise.«

»Wenn du meinst. Wohl bekomms!«

Die Krüge klirrten.

»Spikero, du bist dran.« Mank deutete auf die Bühne, die gerade eröffnet wurde.

»Als Erster? Aber ...«

»Ganz genau. Und danach lassen wir uns volllaufen.«

Der Spielmann griff sich die Laute und betrat die Bühne. Ohne lange auf sich warten zu lassen, zupfte er an den Saiten. Was der Waldschrat fordert beschrieb eines seiner größten Abenteuer, jenes, das er einst in Haygenhast bestritten hatte. Die Komposition erforderte eine schnelle Spielweise mit dramatischer Tonabfolge und rhythmischem Klopfen seines Stiefelabsatzes gegen den Boden. Ihm gehörten alle Ohren. Die Anwesenden wippten mit den Köpfen im Takt, klatschten und manche erhoben sich sogar, um zu tanzen. Zufrieden lächelte er, als er die letzten Strophen über seine Lippen kommen ließ. Die Melodie war einzigartig, ungewöhnlich und doch besaß sie eine eingängige Tonabfolge. Als die letzte Note verklungen und das letzte Wort gesungen war, schwoll Applaus im Raum an. Spikero breitete die Arme zur Seite aus und ließ eine tiefe Verbeugung folgen.

»Jubel!«, riefen die Anwesenden ihm entgegen.

Übers ganze Gesicht strahlte der Troubadour, wollte die Bühne noch gar nicht verlassen, doch wie es diese Nächte an sich hatten, hatte jeder Spielmann bloß Zeit für ein Stück und so schritt er mit erhobenem Haupt wieder zurück zu seinem Tisch.

»Spielmann!«

Der Barde zuckte zusammen, als ihn jemand am Arm zurückzog. Er wirbelte schlagartig herum. »Romannja Kashina?«

»Ich erhöhe auf fünfhundert.«

Spikero schwieg und blickte sie unverwandt an. Erkannte das Begehrliche, wie auch das Entmutigte in ihren großen Augen. Betrachtete das Zucken der dünnen Lippen und des schlanken Kiefers. Roséfarbenes Rouge färbte die Wangen. Das Haar umrahmte lieblich das schmale Gesicht.

»Siebenhundert, wenn Ihr mir helft.«

»Das Gold kann ich gut gebrauchen«, räumte er ein. »Aber warum ich?«

»Weil Ihr mir vielleicht auch auf andere Weise helfen könnt.«

»Und auf welche?« Er spürte Manks Blick, der das Gespräch akribisch beobachtete.

»Kommt morgen bei Tagesanbruch zu mir in die Villa. Dann werde ich Euch alles berichten.« Ihr friedlicher Augenaufschlag strafte sie Lügen. Der Mund blieb ernst. »Ich wohne neben der Greifenhalle am Brunnenplatz. Die Villa mit der grünen Tür und dem Erker über dem Torbogen ist die meine.«

Spikero nickte verunsichert.

»Und verspätet Euch nicht«, warf sie ihm noch vor die Füße, indessen sie sich bereits von ihm abwandte.

3 - Erste Strophe

Arbeit

Als das Morgenrot das Firmament küsste, die lichten Strahlen, die durch den Torbogen und über die Dächer fielen, seine Augen blendeten, erreichte Spikero den Brunnenplatz. Die Zinnen schimmerten kupfern und die Luft roch noch frisch und unverbraucht. In der Gegend der reicheren Bewohner werden die Nachttöpfe wohl erst später geleert, dachte der Barde, während er den Platz durchmaß. Der Torbogen verband sich mit jener Villa mit der grünen Tür, die der Barde gerade in Begriff war, aufzusuchen. Der Erker prangte direkt darüber, mit großen Fenstern an allen Seiten, die durch Vorhänge vor Blicken schützten.

In dem Moment, als er den Türklopfer losließ, wurde bereits von innen entriegelt. Eine pausbäckige Bedienstete mit dunkelbraunem, hochgestecktem Haar bat ihn hinein. Ihre Livree überragte die Kleider gewöhnlicher Stadtbewohner an Kostbarkeit. »Spikero, der Barde?«

»Ja, der bin ich.«

»Die Herrin erwartet Euch bereits.« Zart lächelnd knickste sie vor ihm, ehe sie den Spielmann die Stufen hinangeleitete.

Romannja Kashina stand am Fenster, zog den Vorhang zurück und sah mit gerümpfter Nase nach draußen. »Ihr kommt spät.« Vorwurfsvoll muteten ihre ersten Worte an, ehe sie sich vom Fenster abwandte und ihn anblickte.

»Ihr sagtet Morgengrauen und zu diesem erschien ich.«

»Der Morgen graut schon eine Weile.« Die Dielen unter ihren flachen Sohlen knarzten, als sie mit elegantem Gang auf ihn zuschritt. »Tee?«

Spikero nickte verschreckt. Von außen sah die Villa geräumiger aus als von innen, doch klein war sie gewiss nicht. Auch nicht schmucklos, wenngleich sich die Einrichtung in Protzigem zurückhielt. Die hohen Vasen, die an der holzvertäfelten Wand standen, mochten bestimmt kostbar sein. Licht flutete das dunkel eingerichtete Zimmer mit dem Walnussholzboden und den grünen Zierkissen. Hohe Fenster drängten sich über die ganze Länge aneinander.

»Setzt Euch!« Graziös ließ sich Romannja Kashina auf ein Polstermöbelstück nieder und wies dem Barden jenes vis-à-vis zu.

Spikero tat, wie ihm geheißen. Die andauernde Stille behagte ihm nicht, daher beschied er, diese mit Worten zu füllen: »Die letzte Adelige, deren Wohnung ich betrat, konnte nicht mit solch einem schönen Interieur aufwarten.«

»Warum denkt Ihr, dass ich von Adel sei?« Ein fast unmerkliches Lächeln umspielte ihre pfirsichfarbenen Lippen. Sie glänzten frisch balsamiert und die unteren Lider hatte sie mit Kohle zart betont.

»Wegen der Villa, dachte ich. Und der Erker, von dem Ihr spracht, kommt einem Turm gleich.«

Sie lachte kurz und trocken. »Ich bin nicht von Adel. Bloß reich.«

Die Bedienstete betrat den Raum mit einem Tablett, auf dem Teetassen und eine Kanne bei jedem Schritt klirrend zitterten.

»Der Erker«, sagte Romannja Kashina mit Blick auf die Tür zu ihrer Linken, »ist das Lesezimmer meines Schwiegervaters.«

Nun kehrte abermals Schweigen ein, das dem Barden nicht behagte. »Erzählt Ihr mir nun von dem Auftrag?«

»Ich habe versucht, die Tinktur aufzutreiben, doch ich fand keinen, der mir helfen wollte. Daher kam ich gestern wieder in die Taverne und hoffte, auf Euch zu treffen.«

Der Barde runzelte die Stirn. »Aber warum denn? Warum wollte Euch niemand helfen?«

»Vermutlich, weil sie meines Mannes Bekannte sind. Oder weil ich in den falschen Kreisen agiere. Jene Trankhändler, die Tinkturen wie diese verkaufen, nach der ich suche, befinden sich an abgeschiedeneren Orten. Ich weiß es doch nicht. Aber ich brauche dringend Eure Hilfe.«

»Warum ausgerechnet die meine?«

Romannja Kashina hob ihre Teetasse mit gespreizten Fingern vor das Gesicht und blies zart hinein. »Weil Ihr diesen Fall löstet. Jenen, der meinen Untergang bedeutete. Doch Ihr habt damit Geschick bewiesen.«

»Und Ihr wollt mir siebenhundert Goldstücke dafür bezahlen, dass ich diese Tinktur auftreibe?«

»Plus die Kosten für die Tinktur. Exakt.«

»Und was ist das genau, wonach Ihr sucht? Rauschgift? Oder nur Gift?«

»Weder noch.« Die Teetasse wanderte zügig auf den Tisch zurück. »Eher eine Art Gegengift, wenn Ihr so wollt.«

Als die Dienerin einen Vorhang zur Seite zog, begannen filigrane Staubkörner im einfallenden Licht zu tanzen.

Romannja Kashina wandte sich herum. »Seht zu, dass Ihr fertig werdet!«, rief sie ihr im Befehlston zu. »Ich werde nicht mehr lange bleiben.« Sie wandte sich wieder Spikero zu. »Mir behagt es nicht, wenn jemand in der Villa ist, während ich nicht zugegen bin. Heutzutage kann man niemandem mehr vertrauen. Besonders nicht in dieser Gegend.«

Der Barde antwortete nicht darauf.

»Vor ein paar Jahren war das Westgebiet noch eines der nobelsten hier in Thal. Doch heute tummeln sich hier nur noch Gauner, Diebe, Spieler und Trinker.«

»Welches Gegengift?«, fragte er, um sie wieder zum Kernthema ihres Treffens zurückzuführen.

Sie schlug ein Bein elegant über das andere und zupfte den Seidenstoff ihres Kleides über dem Knie zurecht. »Mein Gatte gehört zu ...« Sie ließ den Satz unvollendet und führte die beringten Finger an die Lippen. Ihr Blick glitt durch Spikero hindurch. Ein tiefer Atemzug folgte, ehe sie erneut zu sprechen ansetzte. »Es handelt sich um ein seltenes Phänomen. Mein Mann ist in der Lage, seine Gestalt zu verändern.«

»Seine Gestalt?

---ENDE DER LESEPROBE---