Dignity Rising: Jubiläums-Sammelband - Hedy Loewe - E-Book

Dignity Rising: Jubiläums-Sammelband E-Book

Hedy Loewe

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Beschreibung

**Von Rebellen und grausamen Herrschern, neuen Welten, ungewöhnlichen Freundschaften und einer Liebe, die alles überwindet** »Wer Panem mag, wird Dignity Rising lieben.« (Leserstimme) Auf der Raumstation First-Contact-3 führt Commander Jon Matthews ein zurückgezogenes Leben. Bis seine Frau Shay schwer krank auftaucht. Sie wurde ihm vor Jahren entrissen und kann sich nicht an ihn erinnern. Jon bäumt sich gegen das ihm zugedachte Schicksal auf und beginnt, um Shay und sein verlorenes Leben zu kämpfen. Er ahnt nicht, dass er damit endlich die große Rebellion gegen die menschenverachtende Telepathenherrschaft und ihrer grausamen Botenkrieger auslöst, auf die viele so lange gewartet haben. Und plötzlich stehen auch noch die Leben seines kleinen Sohns und seiner Freunde auf dem Spiel und die Übermacht der Herrschenden scheint unüberwindbar … //Dieser Jubiläums-Sammelband enthält alle Bände der actionreichen, bittersüßen Scifi-Fantasy: -- Dignity Rising 1: Fluchtpunkt First-Contact -- Dignity Rising 2: Die Heritage-Prophezeiung -- Dignity Rising 3: Verrat auf Dignity One -- Dignity Rising 4: Tödliche Rebellion// Diese Reihe ist abgeschlossen. In den letzten 10 Jahren ihres Autorendaseins sind außer der vierbändigen Dignity-Saga, eine zweite vierbändige SciFi-Fantasy-Serie (Planspiel Beta-Atlantis), ein Gedichtband und ein umfangreiches Sachbuch entstanden, außerdem wirkte Hedy Loewe in mehreren Antologien mit. Das nächste Projekt ist in Arbeit, und wieder geht Hedy Loewe neue Wege: Ein Roadtrip verschmilzt mit anspruchsvoller High-Fantasy ...

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Impressum

Band 1 - Fluchtpunkt First-Contact

Kapitel 1.1

Kapitel 1.2

Kapitel 1.3

Kapitel 1.4

Kapitel 1.5

Kapitel 1.6

Kapitel 1.7

Band 2 – Die Heritage-Prophezeiung

Kapitel 2.1

Kapitel 2.2

Kapitel 2.3

Kapitel 2.4

Kapitel 2.5

Kapitel 2.6

Kapitel 2.7

Kapitel 2.8

Kapitel 2.9

Kapitel 2.10

Kapitel 2.11

Band 3 – Verrat auf Dignity One

Kapitel 3.1

Kapitel 3.2

Kapitel 3.3

Kapitel 3.4

Kapitel 3.5

Kapitel 3.6

Kapitel 3.7

Kapitel 3.8

Kapitel 3.9

Kapitel 3.10

Band 4 – Tödliche Rebellion

Kapitel 4.1

Kapitel 4.2

Kapitel 4.3

Kapitel 4.4

Kapitel 4.5

Kapitel 4.6

Kapitel 4.7

Kapitel 4.8

Kapitel 4.9

Kapitel 4.10

Kapitel 4.11

Glossar

Was bedeutet eigentlich „Dignity Rising“?

Dignity Rising – wie alles begann

Die Autorin

Ende?

Leseprobe Planspiel Beta-Atlantis – Die Jagd beginnt

Titel

Dignity Rising

Großer Jubiläums-Sammelband

Fluchtpunkt First-Contact

Die Heritage-Prophezeiung

Verrat auf Dignity One

Tödliche Rebellion

Science Fiction/Space Opera

HL UTOPIA EDITION

Impressum

© 2022 Hedy Loewe

Herausgeber: Hedy Loewe, Sabine Schöberl, Veilchenstr. 4, 90587 Veitsbronn

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung, wozu auch die Verbreitung über „Tauschbörsen“ zählt.

Covergestaltung: Ronny Altendorf, Covertraeume.de Bildquelle: Shutterstock.com

Lektorat: Wortlogik.de

Kontakt: [email protected]

Anmerkung: Die Kapiteleinteilung in der E-Pub-Version hat rein technische Gründe und dient der besseren Leseperformance.

Band 1 - Fluchtpunkt First-Contact

Kapitel 1.1

Raumstation First-Contact-3, vierter Quadrant

Jon

»Interessant. Es sind ein paar Neue dabei.«

Commander Jonathan Matthews nickte. Er hatte längst bemerkt, was seinem ersten Sicherheitsoffizier und Freund Hawk Windsong gerade erst aufgefallen war. Mal sehen, wen es diesmal hier angeschwemmt hat.

Auf den Monitoren in der Steuerungszentrale hatten die beiden Männer alle ankommenden Passagiere gut im Blick.

Neuankömmlinge waren immer ein Sicherheitsrisiko. Jede Ankunft eines Raumtransporters für menschliches Personal und Passagiere wurde routinemäßig vom Commander der Raumstation First-Contact-3 und seinem ersten Offizier überwacht. Die frühzeitige Überprüfung und das unauffällige Aussondern auffälliger Individuen hatten ihnen schon eine Menge Ärger erspart.

Im Ankunftsbereich wartete die Sicherheitsmannschaft auf die Reisenden. Medizinscanner markierten fiebernde Personen, Virus- und Parasitenträger, die von einem Ärzteteam umgehend in Quarantäne verbracht wurden. Spezielle Robots suchten die Menschen nach Waffen ab und registrierten den Identchip, den jeder Mensch im linken Unterarm implantiert trug und mit dem er sich ausweisen konnte. Die anderen Auffälligkeiten waren immer noch reine Bauchsache, gelernt in langen Jahren mit guten und schlechten Erfahrungen. Eher mit schlechten. Denn so weit draußen im Universum versammelten sich nicht nur Wissenschaftler und Forscher, sondern auch die Begleiterscheinungen der Hoffnung: Glücksritter und Verbrecher, die mit der Aussicht auf schnellen Reichtum oder auf ein vermeintlich leichtes Untertauchen am Rande der Gesellschaft den Absprung in eine neue Welt versuchten.

Auf den Raumstationen gab es noch Hoffnung auf einen Neuanfang oder ein Entkommen aus den Zwängen der Zivilisation. Genau aus diesem Grund hatte es auch Jon hierher verschlagen. Sein Kommandoposten, weit draußen in der vierten Galaxie, diente als Brückenkopf zur Erforschung und Besiedelung neuer Planeten und hatte den Ruf, eine der sichersten und zuverlässigsten Stationen der Föderation zu sein. Das funktionierte nicht mit Freundlichkeit. Das funktionierte mit Härte und Kalkül. Jons Körper war zu einer Maschine geworden. Sein Geist auf Höchstleistung und Konzentration trainiert. Sein Herz hatte er vor langer Zeit in eine eiserne Kiste gesperrt und den Schlüssel dazu weggeworfen. Jon erledigte seinen Job hart, kompromisslos und hochprofessionell.

Der Commander der Raumstation wollte nicht mehr wissen, ob das Leben noch etwas anderes für ihn bereithielt als diesen Dienst. Seine wenigen Freunde meinten, für Resignation wäre er mit seinen Mitte dreißig noch zu jung. Doch Jon hatte die Hoffnung auf Glück aufgegeben. Eltern, die ihm gut zureden konnten, gab es nicht. Und sein Traum von einer eigenen Familie war ausgeträumt. Seit der Föderations-Unabhängigkeitsfeier auf dem Planeten Hope im Jahr 2328.

Neuankömmlinge waren trotz des Risikos jedoch immer auch eine willkommene Abwechslung in der Eintönigkeit des Dienstes. Jon kannte die meisten Menschen, die im Nirgendwo außerhalb der bewohnbaren Planeten arbeiteten. Sie waren Mitarbeiter von Teams, die regelmäßig gewechselt wurden, Mechaniker, Händler, die von Station zu Station tourten und in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen vorbeikamen.

Eine ihm unbekannte Dreiergruppe erweckte Jons Neugier. Die Frauen gingen auf die Sicherheitsschleuse zu, die alle Neuankömmlinge nach Waffen und Schmuggelware absuchte. Keiner der Waffen suchenden Robots gab Alarm. Die Frauen schienen kein Gepäck mitzuführen und waren hochfunktionell gekleidet. Sie hatten die Kapuzen der schlichten Umhänge tief in die Gesichter gezogen.

Sie wollen nicht auffallen. Huren und Händlerinnen sehen anders aus.

Die drei Passagiere gingen an den Leseboxen der Identscanner vorbei, ohne dass sein Wachpersonal auf diese Missachtung aufmerksam wurde. Der Commander schaute genauer hin.

Sein erster Offizier hatte den Fehler des Wachpersonals ebenfalls bemerkt. »Code 2«, befahl er.

»Negativ.« Jons schnelles Kommando stoppte Hawks Befehl. »Warte noch mit der Festnahme. Ich will sehen, wie sie weiter vorgehen.«

Gespannt beobachteten die beiden Männer, was geschah, jederzeit bereit, einen Befehl für die Festnahme der Frauen zu geben. Die Größte der drei ging voran. Vor dem Gesichtsscanner streifte sie ihre Kapuze ab. Dabei wurde am Handgelenk eine Tätowierung sichtbar.

»Das könnte spannend werden!« Jons erster Offizier pfiff leise durch die Zähne. Diese Art eines Tattoos war die Kennung der Boten.

Auch die zweite Frau nahm nun die Kapuze herunter und der Commander sah ihr Gesicht.

Jons Herz setzte aus.

Shay

Achtzehn nahezu schlaflose Tage und Nächte hatten Spuren hinterlassen. Es fiel Shay immer schwerer, die Konzentration auf der notwendigen höchsten Sicherheitsstufe aufrechtzuerhalten und sich und ihre kleine Gruppe mental zu tarnen. Diese Station am Ende aller bekannten Welten war ihre letzte Hoffnung, zumindest einige Tage zur Ruhe zu kommen und vielleicht den Absprung auf einen neuen Planeten zu finden, um ihren Schützling endlich in Sicherheit zu wissen. Zehn Stunden Schlaf wären für den Moment das Ziel all ihrer Träume. Doch noch war die Situation viel zu heikel.

Shay blinzelte die Müdigkeit fort. Sie durfte sich jetzt nicht gehen lassen. Bisher waren alle Mitreisenden der Raumfähre ungefährlich gewesen. In der Raumstation hielten sich jedoch viele Unbekannte auf. Sofort beim Betreten der Ankunftsschleuse durchsuchte Shay die Gedanken aller spürbaren Individuen. Botin ersten Grades wurde man nur, wenn man außergewöhnliche Fähigkeiten mitbrachte. Telepathisch erreichte Shay das höchste bekannte Level.

Dabei konnte sie nicht nur Gedanken senden, sondern tief und für Ungeübte meist völlig unbemerkt in das Gedächtnis des Gegenübers eindringen, es durchforsten und die eine oder andere Veränderung vornehmen.

Damit waren die Boten ersten Grades die wirksamste Exekutive der ganzen Föderation. Verbrecher wurden innerhalb des eigenen Kopfes gefangen, gefesselt durch tief sitzende Ängste, die niemand anderes als die Boten je aufspüren konnten. Die Strafen für Verbrechen an der Föderation und deren Bürger reichten vom einfachen Schrecken bis hin zur Zerstörung des Gehirns durch Auslösen einer Gehirnblutung, was definitiv den Tod bedeutete.

Boten waren sie tatsächlich: die Überbringer der schlechten Nachrichten an flüchtige Delinquenten. Sie konnten mit absoluter Sicherheit Personen identifizieren, auch wenn diese sich noch so gut zu maskieren versuchten. Das eigene Gedächtnis verriet sie immer.

Shay konnte in den Datenströmen der Anwesenden nichts Bedrohliches aufspüren. Die Botenkriegerin Hanout, ihre rechte Hand und langjährige Partnerin, war vor ihr durch den Sicherheitscheck gegangen, ohne dass ein Alarm ausgelöst wurde. Nun war Shay an der Reihe. Sie stand vor dem Gesichtsscanner und nahm die Kapuze vom Kopf, um dem Überwachungspersonal keinen Grund für eine Überprüfung zu liefern. In diesem Augenblick traf sie eine mentale Schockwelle.

»Was ist passiert?« Hanout spürte die Erschütterung ihrer Vorgesetzten. Untereinander kommunizierten sie besonders in Krisensituationen telepathisch.

»Nichts. Geh weiter wie geplant. Wir suchen uns eine Verpflegungsstelle und ruhen uns ein bisschen aus.«

Es kostete Shay einige Überwindung, sich ihren Schreck nicht anmerken zu lassen. Fieberhaft überprüfte sie noch einmal alle Menschen, die sich in ihrem Einflussbereich aufhielten. Was habe ich übersehen? Wen habe ich übersehen? Doch sie konnte nichts finden.

Die dritte von ihnen, noch ein junges Mädchen, war ebenfalls durch die Sichtkontrolle gekommen. Keine Alarmsirenen schrillten, keine Wachroboter oder Soldaten hielten sie auf. Und das ohne die normalerweise unabdingbare Identifizierung durch den Identchip, den jeder Mensch im Universum seit seiner Geburt mit sich herumtrug. Shay hatte dafür gesorgt, dass der Wachoffizier sie einfach übersah.

»Was ist los? Du spürst doch was!« Hanout kannte ihre Vorgesetzte viel zu gut und ließ nicht locker.

»Sei wachsam. Vielleicht habe ich doch jemanden übersehen«, antwortete Shay.

»Du? Niemals. Sie haben uns reingelassen. Und wenn sie merken, dass wir Boten sind, ist das auch kein Beinbruch. Gegen uns liegt offiziell nichts vor, sie werden uns respektvoll behandeln, also beruhige dich. Ich pass schon auf.«

Fast musste Shay lächeln. Hanouts unverbrüchlicher Glaube an Shays Fähigkeiten und ihre bedingungslose Loyalität waren schon seit Langem Shays wichtigste Stütze. Doch auch Boten ersten Grades konnten nur ihre unmittelbare physische Umgebung kontrollieren. Shay spürte eine nicht zu definierende Gefahr außerhalb dieses Ankunftsbereiches. Ihre telepathischen Antennen, die schon viel zu lange auf Hochtouren liefen, waren in äußerster Alarmbereitschaft.

Hanout, die hochgewachsene Kriegerin und Bodyguard der Botin ersten Grades, führte die kleine Gruppe an, als hätte sie das schon immer getan. Durch den Rollentausch konnte sich Shay besser auf die Beobachtung der Umgebung konzentrieren.

Im Verpflegungsareal fanden sie einen abgelegenen Tisch. Nur einen Moment, nachdem sie Platz genommen hatten, kam jemand auf sie zu.

Hanout stutzte. »Humanoider Service. Das ist ungewöhnlich.«

Die dunkelhäutige Frau war nicht mehr ganz jung. Ihre Gesichtszüge spiegelten Weisheit und Lebenserfahrung wider. Sie war mittelgroß und eher füllig. Statt einer Uniform trug sie eine auffallend bunte, locker bis zu den Knöcheln fallende Tunika. Das Außergewöhnlichste: Ihre Augen strahlten und sie lächelte die Neuankömmlinge an. Das konnte kein Roboter sein.

»Seid herzlich willkommen auf der First-Contact-3, Botin und Gefährten der Botin. Ich bin Welda und werde mich um euer Wohlbefinden kümmern. Bei uns könnt ihr wählen zwischen Funktionsnahrung, menschlicher Nahrung in den verschiedensten Varianten und den Gerichten der großen Planeten – sofern diese für euren Organismus genießbar sind. Was darf ich euch bringen?«

»Wir können nur mit Credit-Chips bezahlen. Ist das möglich?«, fragte Hanout.

»Wir sind eine Einrichtung der Föderation. Boten haben hier automatisch Kredit, das ist kein Problem. Meldet euch einfach am Terminal an.«

Shays Alarmglocken hörten nicht auf zu schrillen. Diese Frau hatte sofort erkannt, wen sie vor sich hatte. Wie? Shay reagierte aus dem einfachen Grund nicht panisch, weil diese Angestellte ihnen ohne Argwohn und mit nichts als Freundlichkeit begegnete. Vorsichtig streckte sie ihre mentalen Fühler aus und suchte bei der Frau nach Anzeichen einer Bedrohung. Doch da war nichts zu finden.

Die Bedienung hielt eine Magneteinheit an die Tischkante und in der Mitte erhob sich ein Terminal. »Hier könnt ihr euch akkreditieren, ob mit den Chips oder als Boten auf Föderationskosten, entscheidet selbst. Alles andere läuft automatisch.«

Sie zögerte einen Moment, als sie von Hanout zu deren Begleiterinnen blickte. »Ich werde euch etwas zu trinken bringen, ihr seht müde aus. Bis ich zurück bin, könnt ihr im Terminal schon mal etwas zu essen aussuchen.« Sie wandte sich um, ohne eine Antwort abzuwarten, und verschwand im Service-Bereich.

»Telepathische Fähigkeiten im zweiten, Tendenz erster Grad«, informierte Shay die beiden anderen leise. Bei Hanout hätte der gesendete Gedanke ausgereicht. Bei der jungen Evya nicht, sie war keine Telepathin. Diese zuckte erschrocken zusammen.

»Mach dir keine Sorgen, diese Frau hat uns nur im Auftrag ihres Commanders überprüft. Das sind scheinbar deren Sicherheitsvorkehrungen, um hier für Ruhe zu sorgen. Ist eine außergewöhnliche Methode, aber für uns derzeit ungefährlich.«

Äußerlich war Shay die Ruhe selbst, um Evya nicht zu beunruhigen. In ihrem Inneren sah es anders aus. Sie hatte ständig das Gefühl, beobachtet zu werden.

Welda

»Zwei Botinnen, eine Begleiterin, wie schon vermutet. Die Große, die mit mir spricht, ist sicher die Kriegerin, die ihre Botin abschirmt. Die beiden können sich enorm gut tarnen. Bei dem jungen Mädchen spüre ich eine latente Angst vor Entdeckung. Die anderen beiden sind Profis, ich habe keine Chance, in ihr Gehirn zu sehen. Die kleinere der Botinnen weiß übrigens bereits über meine Fähigkeiten Bescheid.« Die Sicherheitsbeauftragte Welda sah ihren Commander im Kontrollraum intensiv in die Augen.

»Hör auf mich zu scannen, Welda. Du weißt doch, das funktioniert bei mir nicht.«

Welda ignorierte Jons genervtes Stirnrunzeln. Ungerührt setzte sie ihren Bericht fort. »Boten sind bei uns zwar selten, aber nicht so ungewöhnlich. Warum beunruhigen dich diese so, Jon? Warum beobachten wir sie?«

»Ich muss wissen, was auf meiner Raumstation vor sich geht«, wiegelte Jon ab. »Besonders, wenn Boten hier auftauchen, ohne angekündigt zu sein. Biete ihnen eine gute Unterkunft an. Wir werden sie weiter im Auge behalten. Hawk?«

»Ja?« Der breitschultrige Chief der Sicherheitseinheiten und stellvertretende Commander drehte sich zu ihm um. Seinen markanten, bronzefarbenen Gesichtszügen sah jeder sofort an, dass er ein Mann des Alten Volkes war. Die für diese Männer typische lange, schwarze Mähne hatte er zu einem Zopf gebändigt.

»Versuche rauszufinden, woher die drei gekommen sind und ob uns jemand von der Fahndungsliste durchgerutscht ist.«

»Wird erledigt. Welche Sicherheitsstufe?«

»Die höchste. Sieh zu, dass niemand deine Nachforschungen bemerkt. Wir wollen den Rat nicht hierherlocken.«

»Was du nicht sagst.« Hawk grinste, wendete sich seinen Überwachungsterminals zu und startete einige Abfragen.

Welda musterte Jon noch immer mit Argusaugen. Sie spürte, er verheimlichte ihr etwas. »Ich bringe den dreien etwas zu trinken. Die scheinen nicht mehr viele Reserven zu haben. Das sieht nach sehr unruhigen letzten Tagen aus. Willst du mir nicht noch was mitgeben, Jon?«

»Nein, Welda. Lass dir nichts anmerken. Es ist normal, dass ab und zu Botenteams hier auftauchen, und genauso verhalten wir uns. Berichte mir nur, was du siehst. Und fühlst.«

Welda ging zurück in den Versorgungsbereich. Jons Verhalten machte sie nachdenklich. Seit er sie vor mehr als vier Jahren aus den Klauen eines Sklavenhändlers gerettet hatte, arbeitete sie als Sicherheitsbeauftragte für Jon. Seine Fairness, die ruhige, besonnene Art und die ständige Trauer, die er versuchte zu unterdrücken, hatten Welda so für ihn eingenommen, dass sie ihn mit ihrem Leben verteidigen würde. Welda war beunruhigt, weil er zum ersten Mal, seit sie sich kannten, nicht offen zu ihr war. Nun ja, sie würde ihn auch jetzt unterstützen, egal was passierte. Vorsicht war auf jeden Fall geboten.

Die Botinnen hatten die Credits angelegt und die Verpflegung geordert. Warum wunderte es Welda nicht, dass die drei die einfachste Nahrungsvariante gewählt hatten? Es gab viele harte Jobs im Universum – warum sich jemand den Job der Boten antat und dabei so bescheiden blieb wie diese hier, hatte Welda nie verstanden.

Sie fragte: »Wir haben verschiedene Unterkunftskategorien, habt ihr schon gewählt? Die Waben würde ich nicht empfehlen, sie sind zurzeit ziemlich voll und überwiegend mit Mechanikerpersonal belegt. Das ist manchmal ganz schön laut.«

»Wir nehmen die einfachen Quartiere, nicht die Waben«, sagte die Große zwar leise und nicht unfreundlich, doch im Befehlston. »Du tätest uns einen Gefallen, wenn es einen geschlossenen Sanitärbereich für uns geben würde.«

»Wir haben zu jedem Quartier einen eigenen Sanitärbereich. Ihr könnt auch einen sehr schönen Bade- und Erholungsbereich nutzen. Er befindet sich auf Deck 28. Dort steht euch zudem Personal für diverse Wohlfühlprogramme zur Verfügung. Über die Infocounter könnt ihr jederzeit Informationen über die Station abfragen. Den Zugangscode erhaltet ihr mit dem Quartierzugang. Ich bringe euch gleich eure Bestellung.«

»Ist es möglich, sofort auf das Quartier zu gehen und das Essen dorthin zu bekommen?« Wieder sprach nur die Große. Die kleinere Frau hatte noch keinen Satz an Welda gerichtet.

»Selbstverständlich.« Sie tippte eine Info in das Terminal und ein junger Mann in der Uniform der Raumstation tauchte auf. »Robert, bringe die Botin und ihre Begleiter ins Quartier 25/III/16. Lieben Dank!« Auch der Mitarbeiter wurde mit einem warmen Lächeln bedacht. »Ich wünsche euch einen angenehmen Aufenthalt auf der First-Contact-3.« Welda unterließ es, eine der Frauen noch einmal telepathisch zu checken, um keine Aufmerksamkeit zu erregen.

Die große Botin erhob sich zuerst, die beiden anderen folgten Robert zum Quartier.

Shay

Die Unterkunft war genau so, wie die Frau namens Welda sie beschrieben hatte, eher noch komfortabler. Ein Aufenthalts- und ein Schlafraum mit vier Schlafstellen, ein eigener Sanitärbereich und – welch ein Luxus – Wasser!

»Oh, schaut mal, eine Dusche!« Evya freute sich wie ein kleines Mädchen und klatschte in die Hände, als sie auch noch Duschlotion und angenehm weiche Handtücher entdeckte. »Ist das nicht herrlich? Shay, möchtest du beginnen? Selbstverständlich möchte ich mich nicht vordrängeln.« Evya senkte schüchtern den Kopf.

Shay lächelte. »Wir machen es so: Ihr beide habt jetzt frei und ich wache. In sechs Stunden wechseln wir. Los geht's, Evya, viel Spaß in der Dusche. Aber lass uns noch etwas Wasser übrig!«

Shay nickte Evya zu und die stürzte sich in das Badezimmer.

Hanout sah ihre Botin ernst an. »Bei allem Respekt, Shay, deine Energiereserven sind am Ende. Mir geht es etwas besser, ich trage ja nicht deine Verantwortung. Du musst dich erholen. Im Moment scheinen wir sicher zu sein. Evya ist viel zuverlässiger geworden und mit meiner Hilfe wird sie auch eine längere Wache überstehen. Wäre es nicht klüger, wenn du dich zuerst ausruhst? Wir brauchen deine Stärke!«

Shay antwortete mit einem schweren Seufzer. »Du hast recht. Einem Angriff könnte ich im Moment nicht viel entgegensetzen. Wir ändern den Plan. Ich werde zwei Stunden ruhen, während du mit Evya in die Thermen gehst. Los, schnapp sie dir und haut ab. Ich werde schlafen wie ein Baby.«

Hanout holte Evya aus dem kleinen Badezimmer. Die Aussicht auf etwas noch Besseres ließ sie fröhlich auflachen. Hanout und Evya brauchten keine zweite Aufforderung und verließen das Quartier. Befehl war Befehl, und dieser war mehr als angenehm.

Shay versuchte eine Konzentrationsübung. Sie schaffte es aber nur noch, sich auf das erste Bett zu schleppen, und schloss stöhnend die Augen.

Gefühlte zwei Minuten später summte der Kontakter an der Tür.

Hawk

»Willst du mir nicht wenigstens einen kleinen Tipp geben? Warum macht dir die Anwesenheit der Boten so zu schaffen?« Hawk war irritiert. Jon reagierte so anders als sonst.

Er ging mit keiner Gesichtsregung auf die Frage seines bestens Freundes ein. »Hast du schon rausgefunden, woher die drei kommen?«

Die Reaktion seines Commanders bestätigte Hawk nur noch mehr darin, dass in seinem Freund etwas vorging, was er als Sicherheitschef dringend wissen sollte. »Sie sind auf Spacelab 23 in die Raumfähre zugestiegen. Als letzten Aufenthaltsort haben sie Unifar angegeben, was nicht stimmen kann, sie müssen mit einem anderen Raumtransport oder einer Fähre dorthin gekommen sein. Am Tage ihres Eincheckens kamen nur Transporter von Bolder, und wenn man die Nacht vorher noch dazu zählt, von Fell 1. Die Recherche dort läuft noch. Wenn ich ihre Namen hätte, wäre es einfacher. Sie haben es dank ihrer Fähigkeiten tatsächlich unbemerkt an den Identscannern vorbei geschafft.«

»Der Name der kleineren Frau ist Shay Cameron, Botin ersten Grades«, sagte Jon leise. »Die Große ist Hanout, ihre Botenkriegerin.«

Hawk staunte nicht schlecht. »Jon, wie lange kennen wir uns? Über sieben Jahre? Woher zum Teufel kennst du sie und warum ziehen wir dieses Sonderprogramm durch?«

»Nicht jetzt. Verschaffe mir die Gelegenheit und lass mich ohne ihre Begleiter mit der Botin Shay sprechen, dann sehen wir weiter. Wie du es schaffst, sie von den anderen zu trennen, ist mir egal. Verschaffe mir nur diese Zeit!«

Schnell überprüfte Hawk die Gästedatenbank der Raumstation. »Na, das ist mal eine einfache Aufgabe. Du kannst direkt in das Quartier. Die beiden Begleiterinnen haben gerade für zwei Stunden in den Thermen eingecheckt. Du hast noch mindestens neunzig Minuten.«

Jons heftige Reaktion überraschte Hawk sehr. Jons Gesicht verlor jegliche Farbe. Noch nie hatte Hawk seinen besten Freund so aufgewühlt gesehen. Der eiserne Mann hat also doch Gefühle. Nur, was Hawk da in Jons Augen sah, war nichts als Qual.

»Schneller als erwartet«, stöhnte Jon. »Begleite mich, Welda soll auch mitkommen.«

»Jon, was soll das? Es gibt keinen offiziellen Grund für einen Besuch!«

Der Commander, der sonst die Ruhe in Person war, antwortete aufbrausend. »Ich bin der Commander dieses Außenpostens. Ich frage die Botin nach ihrem Auftrag. Das ist Legitimation genug!«

Was hat den denn geritten? Hawk schüttelte innerlich den Kopf, doch er ließ sich nichts anmerken. Über den Communicator kontaktierte er Welda. »Wir treffen uns in fünf Minuten vor dem Quartier der Boten. Auftrag: Beobachtung. Kontaktaufnahme durch Jon persönlich.« Er gab eine zweite Meldung raus. »Nachricht an die Sicherheitseinheit in den Thermen: Haltet die Botin und ihre Begleitung unauffällig mindestens dreißig Minuten auf, wenn sie die Thermen vor der angemeldeten Zeit verlassen wollen.«

Jon

Jon konnte sich blind auf Hawk verlassen. Sein Freund hatte zwar keine telepathischen oder hellsichtigen Fähigkeiten, dafür dachte er, was die Sicherheit betraf, an alles und führte Jons Befehle zuverlässig aus.

Welda traf unmittelbar nach Jon und Hawk vor dem Quartier ein. Sie sagte kein Wort, aber Jon war sicher, dass sie über ihre empathischen Antennen längst Bescheid wusste. Hawk hatte wohl mehr als ein Fragezeichen im Kopf, erfüllte aber professionell seinen Auftrag. Jon hatte sich wieder im Griff. Aber unentspannt war noch die harmloseste aller Beschreibungen für seinen Zustand.

Jon nickte den beiden zu. »Ihr sagt kein Wort und beobachtet. Konzentriert euch nur auf die Gegenwart und denkt möglichst an nichts anderes als die Situation, die ihr gerade seht. Wird zwar nicht viel nützen, wenn sie es drauf anlegt, euch zu scannen, aber vielleicht haben wir einen Vorteil durch die Überraschung. Und wenn ich in ihre Nähe komme, bleibt bitte deutlich hinter mir zurück. Nach dem Gespräch sehen wir weiter.« Entschlossen betätigte er den Kontakter zum Quartier.

Shay

Ein Summton kündigte Besucher an. Shay versuchte mühsam sich aus der Tiefenentspannung hervorzukämpfen. Es gelang ihr für einige Momente nicht zu lokalisieren, wo sie war und was das Summen zu bedeuten hatte. Endlich fand sie den Communicator. »Wer ist da?«

»Mein Name ist Jon Matthews, Commander der Raumstation. Meine Offiziere und ich möchten Sie willkommen heißen und ich bitte Sie um ein kurzes Gespräch.«

Shay konzentrierte sich und nahm durch die geschlossene Tür drei Personen wahr. Eine bekannte, zwei unbekannte. Einer davon bewaffnet. Höchste Gefahrenstufe. In einem früheren Leben hätte Shay vielleicht gereizt geantwortet, ob der Besuch nicht etwas Zeit hätte. Aber das war lange her. Die Botin in ihr war immer im Einsatz und sie konnte sich Stress mit dem Personal der Raumstation in ihrer gefährlichen Situation nicht erlauben.

»Treten Sie ein, Commander«, lautete deshalb ihre knappe Antwort, während sie sich mühsam aufrappelte.

Dem Commander der Raumstation seine Bitte zu verweigern hatte keinen Sinn und würde nur verdächtig wirken. Sie schickte einen telepathischen Hilferuf an Hanout, öffnete die Tür und hoffte, dass niemand ihre Schwäche bemerkte.

Ein gut aussehender, großer Mann mit den Rangabzeichen eines Commanders betrat mit zwei Offizieren den Raum. Einer davon war die dunkelhäutige Frau, die sie auf der Versorgungsstation begrüßt hatte.

Als Shays Blick den des Commanders traf, empfand sie die gleiche Schockwelle wie bei der Ankunft. Was ist das nur? Wer ist er? Ihr war, als schwankte der Boden unter ihren Füßen, doch ihre Schutzschilde hielten. Shay verbarg ihre Unsicherheit hinter einer professionellen Maske, es war ihr keinerlei Reaktion anzumerken.

Der ernste Mann mit den ungewöhnlichen silberfarbenen Augen zeigte jedoch eine – wenn auch kurze und stark unterdrückte – körperliche Reaktion. Seine Augen wurden eine Spur dunkler, die rechte Hand zitterte unmerklich, als wollte er den Arm heben und nach ihr greifen. Sie stützen. Doch das war einen Wimpernschlag später wieder vorbei.

Eigenartig. Kennt er mich? Bin ich ihm schon einmal irgendwo begegnet? Das hätte ich mir doch gemerkt. Shay fand keine Erinnerung an ihn. Weder der Name noch die groß gewachsene, muskulöse Gestalt mit den kurzen dunklen Haaren, die nach Art der Raumcommander an der linken Schläfe ausrasiert waren, weckten irgendeine Erinnerung. Seine silberfarbenen Augen in dem markant geschnittenen Gesicht fixierten sie.

»Botin, die Crew der Raumstation First-Contact-3 heißt Sie und Ihre Begleiterinnen willkommen. Ich bin Jonathan Matthews. Hawk Windsong, mein erster Offizier«, der Mann grüßte sie, »und Welda Dawn, Sicherheitsbeauftragte.«

Die Frau zeigte Shay ein warmherziges Lächeln. Shay konzentrierte sich auf die Worte des Commanders.

»Bitte verzeihen Sie den kurzfristigen und unangemeldeten Besuch. Unser Dienst beginnt in wenigen Minuten im Kontrollraum der Abflugarea. Falls Sie uns wissen lassen, wen Sie suchen, können wir Sie unterstützen und abreisende Personen überprüfen.«

Jon

Mit Mühe hatte Jon diese Sätze herausgebracht und von ihr Abstand gehalten. Dann geschah etwas, das ihm die Knie weich werden ließ. Shay lächelte ihn an.

»Commander, Security«, sie sah jedem kurz in die Augen, »Ihr Sicherheitskonzept ist tatsächlich außergewöhnlich, das hatte man mir bereits berichtet. Eine Telepathin auf Neuankömmlinge anzusetzen ist ein ausgezeichneter Einfall.« Sie musterte Welda und nickte ihr zu. »Ihre Fähigkeit ist auch Empathie, nicht nur Telepathie, nicht wahr? Sie haben einen guten Einsatzort gefunden.«

Sie wendete sich an Jon. »Ich danke Ihnen für Ihr Angebot, Commander. Es ist jedoch keine Gefahr in Verzug. Wir sind nicht auf der Suche nach einer bestimmten Zielperson. Wenn uns jemand aus der Fahndungsliste über den Weg läuft, werden wir unsere Pflicht tun. Doch wir sind derzeit in einer anderen Mission unterwegs.« Shay wandte sich ab, als überlegte sie, wie viel sie dem Commander anvertrauen konnte. Abrupt drehte sie sich wieder um und sah ihn an.

Ihre wunderschönen Augen! Endlich.

Jon hörte sie wie durch einen Nebel weiterreden. »Ja, Sie könnten uns tatsächlich behilflich sein.« Sie fasste sich mit der Hand an die Schläfe. »Aber vielleicht könnten wir Zeit und Ort noch einmal verschieben? Verzeihen Sie mir, aber auch Boten brauchen ab und zu eine Pause. Es wäre sehr freundlich, wenn Sie vielleicht morgen eine Stunde für mich übrig hätten.«

Jon dachte bei sich: Du könntest den Rest meines Lebens haben. Er sagte jedoch nur: »Verzeihen Sie noch einmal den Überfall. Bitte melden Sie sich auf der Brücke, wann immer wir Sie unterstützen können. Ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen Aufenthalt auf unserer Raumstation.«

Mit einem respektvollen militärischen Gruß, der einer Botin der Föderation zustand, verabschiedeten sie sich und verließen den Raum.

Welda

Im Gang stürmte ihnen die Botenkriegerin Hanout, nur ein Badetuch um die schöne, große Gestalt geschlungen und mit verstrubbelten, nassen Haaren, entgegen. Sie checkte die Gruppe mit einem kurzen, ausdruckslosen Blick und ging grußlos am Commander und seinen Begleitern vorbei. Hawk konnte einen anerkennenden Pfiff nicht unterdrücken, was ihm einen drohenden Seitenblick von Jon und ein Grinsen von Welda einbrachte. Ohne ein Wort zu sagen, verschwand die hübsche Frau im Quartier.

Und dann passierte es. Jons Knie gaben nach, er schwankte und musste sich an der Wand abstützen.

Bei Welda schrillten alle Alarmglocken. »Jon, was macht sie mit dir? Greift sie dich an? Rede mit uns!«

Hawk fasste den Commander an den Schultern und schob ihn in den Etagentransporter. »Medicalcenter, Emergency!«

Aber Jon hatte sich schon wieder in der Gewalt. »Lasst den Unsinn. Niemand greift mich an. Es ist gleich vorbei.«

Hawk verzog wütend das Gesicht. »Jon, es reicht jetzt. Wir bringen dich zum medizinischen Sicherheitscheck. Und ich denke, dann bist du uns eine Erklärung schuldig.«

Welda hingegen spürte, dass Jon die Wahrheit sagte. Er war topfit und im Vollbesitz seiner Kräfte. Warum reagierte er nur so stark auf diese Botin? Weldas und Hawks Blicke trafen sich: Jon brauchte Hilfe.

Jon

Im Medicalcenter bestätigte sich Weldas Eindruck. Jons Gehirnfunktionen arbeiteten etwas über normal, Herzfrequenz und Blutdruck wichen jedoch nur unwesentlich von Jons üblichen Werten ab.

»Seid ihr nun zufrieden? Es ist alles okay. Ich gehe jetzt in mein Quartier«, meinte Jon unwirsch.

»Jon, was ist mit dir?« Weldas Stimme klang verletzt.

Doch Jon schwieg.

Hawk setzte nach. »Sag uns endlich, was los ist. Verdammt, wir sind deine Freunde! Wenn nicht wir, wer soll dir denn sonst helfen?«

Hawk hatte ja recht. Wenn Jon nicht zumindest einen Teil der Geschichte erzählte und mit den anderen teilte, würde ihn die Qual gnadenlos zerreißen. Er starrte einen Augenblick ins Leere und wägte ab, wie stark er seine Freunde gefährden wollte. Dann fasste er einen Entschluss.

»Lasst mir noch ein bisschen Zeit. Ich werde morgen mit der Botin über ihren Auftrag sprechen. Dann wird sich alles klären und ich gebe euch die Informationen, die ihr braucht.«

»Du bist der Boss«, stellte Hawk sichtlich verärgert über Jons Sturheit fest. Und mit einem »Wir sehen uns auf der Brücke« drehte er sich um und ging.

»Bist du wirklich in Ordnung, Jon?«, hakte Welda nach. »So aufgewühlt habe ich dich noch nie gesehen.«

»Lass es für heute gut sein, meine Freundin. Gönn mir ein bisschen Ruhe. Morgen wird sich alles klären.«

Jon versuchte ein kleines Lächeln, das Welda wohl kaum beruhigen konnte. Doch sie ließ ihn endlich allein.

Er ging in sein Quartier. Über seinen Communicator kontaktierte er die Brücke. »Commander meldet sich für eine Stunde ab.« Das sicherte ihm eine Pause zu, in der er nur gestört werden würde, wenn Hawk das für notwendig hielt. Und der würde schon aufpassen.

Jon sank auf das bequeme Sitzelement und schlug die Hände vor das Gesicht. Er konnte sich kaum mehr beherrschen. Um ein Haar hätte ich sie in meine Arme gezogen. Der härteste Hund im Universum küsst eine Föderationsbotin – was für eine komische Schlagzeile.

Doch die Situation war mehr als tragisch. Jon hatte Shay in seiner Erinnerung größer, gesünder im Kopf. Jetzt sah sie müde und krank aus. Die Haut spannte sich über das schöne Gesicht, die Wangen schienen hohl und eingefallen. Die großen dunkelblauen Augen, die damals so tief in seine Seele blicken konnten, trugen dunkle Ringe. Sie schien nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen. Was kann ich nur für sie tun?

Auch mit ihren Schutzschilden schien etwas nicht in Ordnung zu sein. Sie hat nicht einmal den Versuch gemacht, meine Gedanken zu überprüfen. Das hatte sie zwar noch nie gekonnt, da er einen natürlichen Abwehrmechanismus besaß, bei dem Telepathen auf Granit bissen. Aber Jon erinnerte sich an ein sanftes Toktoktok, wenn sie von Zeit zu Zeit versucht hatte ihn spielerisch zu überrumpeln oder ihn um Hilfe rief.

Wie er sich danach sehnte, dass er wieder für sie da sein konnte! Jon war nicht auf ein Wiedersehen vorbereitet gewesen, hatte jede Möglichkeit einfach verdrängt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Shays Dienst sie auf diese Raumstation brachte, ging gegen null. Und von jetzt auf gleich hatte ihn der unsägliche Schmerz wieder im Griff. Was sollte nun bloß werden?

Hanout

Hanout stürmte in das Quartier. »Geht es dir gut?«

»Was, oder besser, wer hat dich aufgehalten?«, fragte Shay mit einem Schmunzeln, trotz ihrer unendlichen Müdigkeit.

Hanout war aufgebracht. »Ich finde das nicht komisch. Irgendetwas stimmt hier nicht. Meine Kleider waren angeblich verschwunden. Und jetzt dieser spontane Besuch des Commanders. Ich spürte deinen Alarm und nun tust du das ab? Shay – sag mir endlich, was los ist!«

»Hanout, ich bin übermüdet und am Ende meiner Kräfte. Ich geb's zu, aber ich kann dir nicht sagen, was hier vorgeht. Ich spürte eine Energiewelle beim Zusammentreffen mit dem Commander. Ich weiß nicht, was das war. Diese Situation trifft mich zum ungünstigsten Zeitpunkt und ich habe nicht die geringste Ahnung, was mit mir los ist. Ich kann mir meine Reaktion auf den Commander nicht erklären, und doch glaube ich nicht, dass uns von ihm Gefahr droht. Hanout, ich brauche dich mehr als jemals zuvor, bitte glaub mir das.«

Hanout spürte Shays zunehmende Verzweiflung schon seit einiger Zeit. Sie wusste auch, dass der Schutzlevel, den Shay in der letzten Zeit aufrechterhalten hatte, tief an die Substanz ging. Shay schützte sie beide, vielmehr alle drei, und riskierte dabei ihr Leben. Der Körper zollte den telepathischen Fähigkeiten Tribut.

Hanout umarmte Shay sanft, denn ihr war die zunehmende Zerbrechlichkeit der zierlichen Botin nicht neu und sie machte ihr Angst. »Shay, du bist unsere Zukunft. Ich muss auf dich achten, damit wir weiterleben dürfen. Verlass mich nicht!«, sagte sie mit Tränen in den Augen. Für einen Moment hielten sich die beiden nur fest.

»Lass mich nur ein wenig ausruhen, dann geht es mir besser.« Shay lehnte sich tatsächlich einmal an und ließ es zu, dass Hanout sie festhielt. Doch der Moment der Schwäche war schnell vorbei. Shay machte sich los und sah Hanout fest in die Augen. »Dieser Überfall des Commanders war zwar ungewöhnlich, aber nicht unverständlich. Wir haben diese Raumstation ja genau deshalb aufgesucht, weil wir von hier aus weiterkommen wollen. Das nächste Mal werde ich den Commander vorsichtig scannen, aber ich bin mir sicher, wir haben von diesem Mann nichts zu befürchten. Ich glaube sogar, er kann unser Ausweg sein. Nun geh und hole Evya. Nicht, dass ihr einer der hübschen jungen Burschen hier schöne Augen macht.« Shay lächelte Hanout aufmunternd zu. »Und dann ändern wir den Plan noch einmal. Ihr beide habt zwölf Stunden Wache und ich schlafe. Das ist ein Befehl.«

Hanout war erleichtert und grinste frech. »Na, endlich ein vernünftiges Wort.«

Hawk

Jon, sein bester Freund seit mehr als sieben Jahren, bereitete ihm Sorgen. Sie hatten sich auf einem Raumbahnhof auf Alpha Centauri kennengelernt, in einer üblen Absteige. Hawk hatte mal wieder sein gesamtes Geld verzockt gehabt und die Schuldeneintreiber waren hinter ihm her gewesen. Als es ihm in einer Kneipe fast ans Leder gegangen war, hatte ihm ein sturzbetrunkener Elitesoldat geholfen, der trotz Drogen- und Alkoholpegel erstaunlich treffsicher schießen konnte. Nur mit Mühe hatten sie sich da wieder herausmanövriert und ihre Identität verschleiert, sodass niemand hinter ihnen her sein konnte. Jon hatte Hawk dann geholfen, mit ihm zusammen einen Job auf dem nächsten Raumtransporter zu bekommen.

Seitdem hatten sie jeden Job gemeinsam gemacht. Nach den Drogen und dem Alkohol war Jon der reine Workaholic geworden. Jon und er waren die Karriereleitern hochgeklettert. Das war zwar nie Hawks Ziel gewesen, aber die Anerkennung durch die guten Jobs und die manchmal erstaunliche Bezahlung, die Jon für sie ausgehandelt hatte, waren auch für ihn Ansporn, das ewige Lotterleben aufzugeben und sich richtigen Aufgaben zu widmen. Jon hatte damals nicht erzählt, warum er so auf dem Zerstörungstrip war, und er – Hawk – hatte ihn nicht danach gefragt. Liebeskummer – und danach sah es schwer aus - hatte doch jeder mal, oder? Die letzten Jahre waren sie immer gemeinsam unterwegs gewesen. Wenn da ein Drama vorgefallen wäre, hätte er es doch bemerkt. Oder war er ein so schlechter Kumpel, dass er Jons Sorgen einfach übersehen hatte?

Hawk kramte in seinem Gedächtnis. Sie waren beide zwei blendend aussehende Kerle, zumindest in den Augen der weiblichen Humanoiden. An Gesellschaft hatte es ihnen selten gemangelt, aber etwas Ernstes war für sie beide nie dabei gewesen. Wobei Hawk eindeutig aktiver war und auch heute noch nichts anbrennen ließ. Wohingegen, wo er jetzt so darüber nachdachte, Jon sich, als sie sich kennenlernten, in die verrücktesten Sexabenteuer stürzte und eigentlich immer tiefer in eine depressive Phase rutschte.

Wenn Hawk es sich recht überlegte, hatte ihr Erfolg erst begonnen, als Jon sich schließlich nur noch auf die Jobs konzentrierte hatte und es für ihn keine Weibergeschichten mehr gab. Mittlerweile hatte sich Jon - was weibliche Gesellschaft betraf – weitgehend zurückgezogen und ließ Hawk so gut wie immer den Vortritt.

Eigentlich habe ich schon eine ganze Weile überhaupt nichts mehr in dieser Richtung mitgekriegt. Und er machte sich gleich den Vorwurf, dass er von seinem besten Freund wohl doch nicht alles wusste. Aber es war doch eigentlich alles in Ordnung! Hawk hatte nun einmal ein gesundes Selbstvertrauen und auch genug Selbstverliebtheit, um sein Leben als einziges Abenteuer zu sehen.

Bis heute Morgen. Jons seelischer Zustand hatte ihn schwer getroffen. Hawk war sehr gespannt, wie sich die Geschichte weiterentwickeln würde. Seine Recherche über den Reiseweg der Botin und ihrer Gefährten war schwierig. Scheinbar hatten sie gute Gründe, die Route zu verschleiern. Und sie hatten das auch sehr geschickt angestellt. Doch ein Typ wie Hawk hatte überall Freunde, die sich gerne für ihn umhörten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er etwas herausbekam. Nur, wie konnte er Jon vor einer Botin ersten Grades schützen? Die noch dazu ziemlich starke Fähigkeiten haben musste, wenn man der Intuition Weldas glaubte – und die hatte noch nie falsch gelegen.

Nur ein einziges Mal hatte Hawk gehört, dass Jon im Vollrausch über seine Vergangenheit sprach – damals war das eher ein Traum im Delirium - und Hawk war zur Abwechslung einmal nüchtern gewesen.

»Ich habe versprochen, sie zu beschützen. Ich habe das Versprechen nicht gehalten.« Und dann einen Schrei: »Nein! Ihr dürft ihr das nicht antun! Das ist Verrat!« Der Rest ging unter in einem furchtbaren Schluchzen. Hawk hatte versucht, Jon aus diesem Albtraum herauszuholen. Er war kaum wach zu bekommen und zitterte von den Nachwirkungen des Traumes und der Drogen am ganzen Leib. Aber er sagte Hawk nichts über den Inhalt des Traums. Auch über die brutalen Folternarben, die sich von der Innenseite des linken Oberarmes bis in den Lendenbereich zogen, oder das seltsame Tattoo auf der Brust verlor Jon nie ein Wort.

Am nächsten Tag hörte er auf zu trinken und ihr neues Leben fing an. Jon stürzte sich in eine Ausbildung nach der anderen, ein Training jagte das nächste, und Hawk machte mit Begeisterung mit. Sie machten gute Jobs und fiese Jobs. Sie lernten zu töten und zu überleben.

Heute wunderte sich Hawk manchmal über sich selbst. Wie war aus dem verantwortungslosen Streuner der ultimative Sicherheitsexperte geworden? Ein Mensch, der alle Verbindungen zu seiner Familie gekappt hatte, weil sie ihn mehr oder weniger ausschlossen, da er durch seine Selbstsucht und Unzuverlässigkeit die Gemeinschaft gefährdete, hatte an ganz anderer Stelle bewiesen, dass man sich im Ernstfall, und nicht nur da, tausendprozentig auf ihn verlassen konnte. Dieses neue Selbstwertgefühl hatte er Jon zu verdanken. Eines Tages würde er vielleicht zu seiner Familie zurückkehren und wieder aufgenommen werden. Bis dahin war Jon seine Familie und ihm galt seine ganze Loyalität.

Hawk beschloss, das Ganze mal von der anderen Seite anzugehen und fing an zu recherchieren. Und zwar in dem Jahr, als er Jon getroffen hatte und mit den wenigen Daten, die er über Jon kannte. Wenn Jon ihm nichts sagen wollte, dann musste es eben so funktionieren. Untätigkeit war noch nie sein Ding. Und neugierig war er schließlich auch.

Jon

Die üblichen Themen der Tagesbesprechung mit Hawk und Welda am nächsten Morgen waren schnell durch: Verpflegungs-, Energie- und Wasserreserven lagen etwas über dem geplanten Level. Zwei Raumtransporter sollten heute anlegen, einer legte nach der routinemäßigen Generalüberholung wieder ab. Der zweite ging ins Mechanik-Dock und wurde repariert. Das brachte der Raumstation ein schönes Zusatzeinkommen. Keine Erkrankungen und keine besonderen Vorkommnisse beim Personal. Damit waren die normalen Fragen geklärt.

Jon tat, als wäre gestern nichts geschehen.

Hawk ließ ihm das allerdings nicht durchgehen. »Jon, wir müssen über die Botin reden.«

Welda bohrte nach: »Wir müssen dringend die nächsten Schritte planen.«

Gequält antwortete Jon: »Ihr gebt ja doch keine Ruhe. Dann fangt mal an und berichtet, was ihr herausgefunden habt.«

»Gut.« Hawk ließ seinen Freund nicht aus den Augen, als er mit seinen Ergebnissen begann. »Die drei haben ihre Spuren gut verwischt, aber eine habe ich dennoch gefunden. Wenn man die Protokolle der ungewöhnlichen Vorfälle auf Hepnos 2 durchgeht, gibt es zwei Strafen für Wachpersonal wegen Dienstverletzung. Ich habe mir das näher angesehen. Das könnten Zu- oder Abgänge von kleineren Raumgleitern gewesen sein. Deren Reichweite ist nicht so groß. Von den dort gemeldeten Gleitern hatte keiner eine Hyperraumfunktion. Zieht man einen Radius um die Station mit der größtmöglichen Gleiterweite, kommen die Planeten Delta 5 und Hereus infrage sowie zwei Eismonde. Delta 5 ist ein Hochsicherheitstrakt mit Strafkolonie und so gut wie unbewohnbar. Jede Landung dort ist ein Sicherheitsrisiko. Eine Botin könnte dort einen Auftrag haben, wird aber niemals mit Begleitung eingelassen. Ich denke, Delta 5 scheidet aus. Hereus ist zwar bewohnt, aber ausschließlich nichtmenschlich und für Menschen nur mit Spezialausrüstung begehbar. Der scheidet meiner Meinung nach ebenfalls aus. Bleiben noch die Eismonde. Und jetzt kommt's: Gerüchten zufolge ist einer davon ein Rebellenstützpunkt.«

»Eine Botin mit Begleitung, die lebend einen Rebellenstützpunkt verlässt. Saubere Arbeit, Hawk. Rechnest du mit weiteren Informationen?« Jon sah durch eines der Frontfenster der Raumstation in den Weltraum.

Hawk legte Jon die Hand auf die Schulter und zwang ihn, sich umzudrehen. »Ja, Jon, und zwar von dir. Ich habe noch eine Information. Und die betrifft dich. Dann wirst du vielleicht nicht mehr so unbeteiligt aus dem Fenster schauen und uns links liegen lassen.«

Jon fühlte sich ertappt. Er schluckte. »Nun rück schon damit raus, was hast du gefunden?«

»Eine Frau mit dem Namen Shay Cameron war zur gleichen Zeit wie du auf der Ausbildungsstation der Föderationsflotte auf Academia.«

Jon wurde blass. Es dauerte eine Weile, bis er sagen konnte: »Ja, du hast recht. Ich bin ihr schon einmal begegnet.« Jons Worte klangen hölzern und kurz angebunden. Er wusste selbst, dass er seinen Freunden mehr Informationen schuldig war. Doch sein Herz krampfte sich zusammen, wenn er an das dachte, was sie wissen sollten. Voller dunkler Ahnung blickte er zu Welda. »Was hast du recherchiert?«

Welda bedachte Jon mit einem ihrer weisen Blicke und seufzte tief. »Und ich dachte schon, meine Intuition lässt mich im Stich. Bereits gestern hätte ich darauf gewettet, dass du sie kennst. Andererseits erkennt sie dich nicht. Ich versuche mal meine Eindrücke so sachlich wie möglich wiederzugeben. Diese Botin ersten Grades ist sehr mächtig. Ich glaube, sie gehört der Alten Garde an. Ihr zurückhaltendes Auftreten und ihre ruhige Art passen nicht zu den brutalen und korrupten Boten, die uns sonst so begegnen. Ihr körperlicher Zustand ist desolat. Sie kann ihre Schutzschilde kaum mehr aufrechterhalten, der körperliche Verfall hat bereits begonnen. So wie es aussieht, wird sie bald sterben.«

Jon sprang auf, unterdrückte einen Schrei und schlug mit der Faust an die Wand. Weldas klare Worte schockierten ihn.

»Jon«, sagte Welda sanft, »du hast sie gesehen. Du kennst diesen Zustand sicher aus der Telepathenwelt. Wenn die Telepathen und, noch mehr, die Boten zu viel mitmachen und kein Biofeedback bekommen, greift der Stress die Körpersubstanz an. Bei den menschlichen Abgründen, in die sie durch diesen Job blicken müssen, ist das auch kein Wunder. Manche werden irre oder gar selbst zu Psychopathen. Das kann ich mir bei Shay Cameron nicht vorstellen, denn sie macht einen klaren und orientierten Eindruck. Aber diese Botin bewegt sich schon seit Längerem am Rande ihrer Belastungsgrenze. Es ist fraglich, ob der Verfallsvorgang noch umkehrbar ist.«

Jon stand da wie versteinert. Fast tonlos sagte er: »Mach weiter, Welda!«

»Die zweite Botin, diese Hanout, hat höchstens einen dritten Grad und ist ihrer Herrin völlig ergeben. Sie hat den Ablenkungsversuch der Besatzung in den Thermen sofort durchschaut und rannte lieber nackt durch die Raumstation, als zu spät bei ihrer Botin zu sein. Hanout handelt als Botenkriegerin hochgradig effizient, darauf sind die gedrillt. Diese große Anhänglichkeit, die ich bei ihr spüre, ist unter Boten nicht unbedingt typisch, obwohl sie mit einem Eid lebenslänglich an Shay gebunden ist. Die beiden sind echte Partner und Freunde, die füreinander sterben würden.«

Trotz seiner Anspannung bemerkte Jon, wie aufmerksam Hawk lauschte, als es um die Botenkriegerin ging.

Welda ließ sich jedoch nicht beirren und berichtete weiter. »Die dritte Frau, die jüngste, heißt Evya. Ich hatte noch keine Gelegenheit, mich mit ihr auseinanderzusetzen. Dazu wird sie viel zu gut von den beiden anderen abgeschirmt. Und genau das ist interessant. Wäre sie eine Elevin, stünde sie auch unter Schutz, hätte aber feste Aufgaben und müsste sich offensichtlicher unterordnen. Außerdem hat sie keine telepathische Anlagen, die hätte ich bemerkt. Dieses Mädchen wird bewacht. Und zwar mit dem Leben der beiden Botinnen.«

»Dann handelt es sich bei dieser Evya wahrscheinlich um eine Kostbarkeit aus dem Umfeld der Rebellen«, warf Hawk ein. »Nur auf welcher Seite stehen dann die Botinnen? Haben sie das Mädchen für die Föderation entführt und verhaftet oder sind sie aus einem anderen Grund ihre Bodyguards?«

»Gegen eine Entführung spricht, dass sie mit ihr hierhergekommen sind. Mit einer gefangenen Rebellin würden sie sich so schnell wie möglich in die Obhut des Rates auf Academia begeben. Die Botinnen haben aber nicht nur die entgegengesetzte Richtung gewählt, sondern auch noch sorgfältig darauf geachtet, ihre Spuren zu verwischen.«

Jon rieb sich mit der flachen Hand über das Gesicht. »Eine Botin, die dem Rat zuwiderhandelt, landet auf der Delinquentenliste ganz oben. Sie werden alles tun, um Shay aufzuspüren und zu verhaften. Hawk, ich brauche dringend eine Auskunft. Bring die Botin zu einem Sprengstoffscanner. Oder bringe einen Scanner zu ihr. Und führe einen vollständigen Medical-Check auf Fremdkörper mit Giften und so weiter durch. Ich muss wissen, ob sie eine tickende Bombe ist oder nicht.«

Die anderen beiden holten hörbar Luft. »Wie kommst du auf die Idee?« Jon konnte Welda ihr Entsetzen nicht verdenken.

Und Hawk antwortete wütend: »Verdammt, Jon, wie soll ich das denn anstellen? Soll ich hingehen und sagen: ›Bitte folgen Sie mir mal zum Sprengstofftest‹? Glaubst du, sie ist eine Selbstmordattentäterin?«

»Nein«, meinte Jon. Und mit einem nie gekannten Hass in der Stimme zischte er: »Das ist die Fußfessel des Rates. Verhält sie sich falsch, oder verhält sich jemand anderes falsch, wird die Botin biomechanisch eliminiert.«

»Damit meinst du dich selbst, nicht wahr?« Weldas große braune Augen weiteten sich. Jon spürte, dass Welda ihn beruhigen wollte. Da sie ihre Fähigkeit bei ihm nicht einsetzen konnte, ging sie auf ihn zu, berührte mit ihrer Handfläche sein Gesicht und sagte sanft: »Sag uns einfach, was du weißt! Nur dann können wir dir helfen.«

»Gut«, stimmte Jon heiser zu, »wir treffen uns heute Mittag in meinem Quartier. Da fühle ich mich wohler als hier. Und ich werde euch ein paar Informationen über meine Frau und mich geben.«

Jon verließ den Kontrollraum, ohne sich ordnungsgemäß abzumelden. Das war das beste Zeichen, dass er ganz schön neben der Spur lief.

Hawk

Welda und Hawk starrten sich an und standen da, wie vom Donner gerührt. Ein atomarer Angriff auf die Raumstation hätte bei den beiden nicht mehr Betroffenheit auslösen können als Jons letzter Satz.

»Verdammter Mist!«, fluchte Hawk. »Hast du gewusst, dass er verheiratet ist? Noch dazu mit einer Botin? Ich dachte, so was ist gar nicht erlaubt?«

Welda zuckte nach Hawks Ausbruch nur hilflos mit den Schultern. »Ich hatte keinen blassen Schimmer. Wo hat er sich da nur reinmanövriert? Ihr kennt euch doch schon so lange. Warum hast du nichts gewusst?«

Hawk schlug wütend mit der Faust auf das Schaltpanel vor sich. »Klar war Jon mies drauf, als wir uns kennenlernten. Aber da hatte ich meine eigenen Probleme. Ich dachte, er hat Liebeskummer. Und das geht irgendwann vorbei. War ja auch so. Wir waren viel zu beschäftigt mit den Jobs, die wir zusammen erledigt haben. Ehrlich gesagt: Ich hab mir keine Gedanken um seine Vergangenheit gemacht. Er wollte nie darüber reden – und ich über meine auch nicht. Irgendwie hat uns das zusammengeschweißt.«

Welda nickte bekümmert. »Ich bin sehr gespannt, was er uns später sagt. Lass uns jetzt unseren Dienst erledigen. Wir halten ihm heute Vormittag den Rücken frei und treffen ihn später.«

Hawk war sich klar darüber, wie brisant die Informationen waren, die in ihrem Gespräch steckten. Er checkte alle vorhandenen Kommunikationsgeräte, ob nicht zufällig irgendwelche Aufnahme- oder Übertragungsmedien ihrem Gespräch gefolgt waren. Nein. Alles war in Ordnung.

Hätte er zwei Sekunden früher nachgesehen, wäre ihm eine offene Übertragungsleitung in den Maschinentrakt aufgefallen. Jetzt waren alle Leitungen sauber.

***

Knappe zwei Stunden später hatten sie sich in Jons abhörsicherem Quartier versammelt. Jon tigerte unruhig hin und her. Seine Freunde hatten kaum Platz genommen, da sprudelten seine Erinnerungen auch schon aus ihm heraus.

»Es passierte in meinem letzten Semester an der Akademie. Ich hatte noch eine Einheit Kriminalistik zu absolvieren. Gerade lag ein Streit mit einem unserer Ausbilder hinter mir.

›Wenn Sie sich einbilden, das Ganze hier wäre nur Kinderkram, dann irren Sie sich, Kadett Matthews. Auch Sie müssen lernen sich unterzuordnen. Was Sie als Zeitverschwendung ansehen, werte ich als wichtigen Teil Ihrer Ausbildung.‹

›Aber Sir, ich könnte schon jetzt auf einem Raumschiff der Föderation anheuern! Ich verliere mindestens ein halbes Jahr, wenn Sie mich in diesen Kurs stecken!‹, antwortete ich.

›Seien Sie kein Idiot, Kadett Matthews. Sie brauchen den kompletten Ausbildungsgang. Sonst können Sie eine Karriere bei der Flotte in die Tonne treten. Bestenfalls werden Sie Commander des Reinigungsteams. Wollen Sie das?‹

Zähneknirschend musste ich meinem Ausbilder recht geben.

Ich war stocksauer. In dieser Laune stieß ich auf dem Weg zur ersten Seminarsitzung auf dem Flur mit ihr zusammen. ›Pass doch auf!‹, fuhr ich sie an und wollte sie schon beiseiteschieben. Da traf mich zum ersten Mal der Blick aus ihren großen Augen und ich spürte, wie jemand versuchte mich zu scannen. Es war ein vorsichtiges Anklopfen in meinem Kopf.

›Oh‹, sagte sie, ›ein exorbitanter und von sich selbst eingenommener, arroganter Dickschädel. Dir kommt es gar nicht in den Sinn, dass wir in die gleiche Klasse unterwegs sind, oder?‹

›Kann gar nicht sein‹, flachste ich, ›Kriminalistik ist schließlich nur was für große Jungs und nicht für kleine Mädchen.‹

›Na super, dann frage ich mich, warum die mich zugelassen haben. Wahrscheinlich zum Kaffeekochen.‹ Sprach's und verschwand vor mir in der Klasse.

Das war nicht der beste Anfang. Die Instruktoren hatten die ersten paar Tage einen Telepathen an der Seite, der die Teilnehmer beobachtete, um herauszufinden, wer mit wem auskam und wer nicht. Unsere Spannung hatten die sofort bemerkt und es war ein Teil des Trainingskonzepts, die von der Persönlichkeit unterschiedlichsten Personen in die gleichen Arbeitsteams zu setzen. Anstatt zu arbeiten, lieferten wir uns die schönsten Wortgefechte. Beinahe hätten wir sogar unser Kursergebnis gefährdet. Ich glaube, ich war schon am ersten Tag hoffnungslos in Shay verknallt. Aber das zuzugeben, so als angehender Leitungsoffizier? Ging gar nicht.

Shay war eine außergewöhnlich begabte Telepathin. Ihr ganzes Fähigkeitsspektrum war noch nicht bekannt. Sie fand es nur lustig, dass sie ausgerechnet mein Gehirn nicht scannen konnte, und zog mich damit auf. Später hat sie mir dann gestanden, wie verunsichert sie war, weil sie ja nicht wissen konnte, ob ich das, was ich sagte, auch ehrlich meinte.

Nach ein paar Wochen gab es einen Vorfall. Ein Schüler einer Parallelklasse wurde tot im Park aufgefunden. Und zwar von uns beiden. Niemand rechnet in einer Kriminalistik-Klasse mit dem Ernstfall, aber so war es. Die Obduktion ergab Mord durch einen telepathischen Schlag ins Gehirn. Die darauf folgende Gehirnblutung tötete unmittelbar.

Shay geriet automatisch mit allen anderen Telepathen in Verdacht. Alle Indizien zeigten seltsamerweise auf sie. Ich war hundertprozentig sicher, dass sie nichts mit dem Tod des Jungen zu tun haben konnte, weil sie zur Tatzeit mit mir zusammen gewesen war. Heute weiß ich, dass das die erste Falle war, die sie stellten, um Shay in ihre Gewalt zu bekommen.

Sie stammte aus einer intakten Familie mit Wurzeln in der alten Welt. Ihre Eltern waren vermögend. Und Shay vergötterte ihren kleinen Bruder Tom, dem sie alles durchgehen ließ. Nach einer kleinen Weile vergötterte ich sie.

Ich war damals ein ziemlich arrogantes Arschloch. Bis ich in Shay mein Gegenstück gefunden habe. Sie konnte mich mühelos in meine Schranken weisen. Sie war liebevoll und freundlich. Bildschön obendrein. Bei ihr lernte ich zu lachen. Und ich strengte mich mächtig an, um ihr zu gefallen. Nach zwei Monaten waren wir ein Paar.

Die Vereinigung mit ihr hat meine Welt völlig auf den Kopf gestellt. Wir konnten uns die Zukunft nur noch gemeinsam vorstellen und haben wahrscheinlich alle restlos mit unserer Verliebtheit genervt. Der Schock des Mordverdachts holte uns auf den Boden der Tatsachen zurück und wir fingen an, auf eigene Faust zu recherchieren.

Da sich Shay niemals etwas hatte zuschulden kommen lassen und wir in der Schule quasi eingeschlossen waren, wurde sie nicht in Sicherheitsverwahrung genommen, sondern durfte sich frei bewegen. Wir hatten Glück und konnten dank einer winzigen genetischen Spur den wahren Täter überführen. Bevor dieser jedoch eine Aussage machen konnte, kam ein Bote und nahm ihn mit. Wir haben nichts mehr über den Fall gehört.

Das Seminar dauerte noch sechs Monate. Gleichzeitig machte Shay die telepathische Fortbildung und enorme Fortschritte mit ihrer Fähigkeit. Es stellte sich heraus, dass sie den höchstmöglichen Level der Telepathenskala erreichte. Und sie lernte unheimlich schnell damit umzugehen. Sie nannten uns ›die Hoffnungsbotin und ihr Krieger‹. Es war die glücklichste und unbeschwerteste Zeit in meinem Leben.«

Jon unterbrach für einen Augenblick und vergrub das Gesicht in seinen Händen. Es fiel ihm schwer, sich wieder zu fangen. Seine Freunde schwiegen und ließen ihm Zeit. Schließlich raffte er sich auf und erzählte weiter.

»Wir überlegten, was wir mit unserer Zukunft anfangen wollten. Da kam das erste Mal ein Abgesandter des Rates und bot ihr die Ausbildung zur Botin an. Shay glaubte im Gegensatz zu mir noch an die Leitsätze der Föderation. Aus ihrem Elternhaus hatte sie Liebe und Achtung vor den Lebewesen und den Glauben an die Korrektheit des Systems mitbekommen. Aber eine Botin wollte sie nie werden. Und nicht nur, weil es für Boten selten Lebensgefährten gibt. Familien sind schon gar nicht möglich. Sie wollte mit ihren Gaben etwas Gutes anfangen. Forschen, Lehren, Dinge und Gesellschaften weiterentwickeln. Nach einer Bedenkzeit erhielt der Bote die Absage.

Als das Semester zu Ende war, bin ich für ein halbes Jahr zu meinem ersten Raumflottenkommando gegangen. Shay blieb auf dem Ausbildungsplaneten, es gab für sie noch eine Menge zu lernen. Mir zuliebe belegte sie Kampfsportkurse. Wir blieben, soweit es ging, in Kontakt. Die sechs Monate gingen trotzdem viel zu langsam vorbei.

Am Tag unseres Wiedersehens bat ich sie mich zu heiraten. Auch wenn ich diese Lebensform immer als veraltet verteufelt hatte, ich konnte mir ein Leben ohne Shay nicht mehr denken.

Wir reisten zum Alten Planeten, um ihre Familie zu sehen. Sie haben mich sehr herzlich aufgenommen. Bis auf ihr Bruder. Erst dachte ich, er wäre nur eifersüchtig und sauer, dass seine Schwester noch jemand anderen lieben konnte außer ihn. Ein paar Tage später wurde ich dann Zeuge einer unschönen Unterhaltung.

Shay und ihr Bruder stritten miteinander. Ich wollte nicht lauschen, aber ich konnte mich auch nicht ohne Entdeckung zurückziehen, also verhielt ich mich ruhig und hörte zu.

›Shay, du wirfst wegen diesem Kerl dein Leben und deine Karriere weg. Denk doch mal nach!‹

›Gerade du nimmst das Wort nachdenken in den Mund?‹

›Sei nicht so bissig. Du weißt genau, was es für unsere Familie bedeuten würde, wenn du für den Rat als hochrangige Botin arbeitest. Du bist verdammt egoistisch, wenn du das nicht in Betracht ziehst.‹

›Ich soll also mein Leben in einer Zwangsjacke verbringen, damit du dich im Ruhm der Ratsumgebung sonnen kannst? Tom, du weißt genau, dass ich fast alles für dich tun würde. Aber findest du nicht auch, das ist zu viel verlangt? Ich will mein eigenes Leben. Und zwar gemeinsam mit Jon! Er ist mein Herz. So eine Begegnung ist ein noch größeres Geschenk als ein Job auf Lebenszeit.‹

›Ach, komm schon, erzähl mir doch nichts von der ganz großen Liebe! Du kannst dir doch Männer nehmen, so viele du willst. Warum muss es so ein dahergelaufener Soldat sein, der nicht mal seine Abstammung kennt?‹

›Seit wann bist du so ein faschistischer Idiot? Ich dachte, die Grundprinzipien der Föderation wie Freiheit und Gleichberechtigung bedeuten dir etwas?‹

›Ach, sei doch nicht so naiv. Die Föderation ist zu groß geworden, da ist kein Platz mehr für die Freiheit des Einzelnen. Wenn du zu den Oberen gehörst, bist du sicher und hast ausgesorgt für dich und deine Familie. Du kannst das nicht wegwerfen für eine romantische Seifenblase. Du hast die großen Fähigkeiten, nicht ich, also mach was draus! Dieser dahergelaufene Soldat hindert dich daran!‹

›Ich habe nicht um meine Fähigkeiten gebeten. Wenn du Karriere machen willst, dann schwing deinen eigenen Hintern in die Akademien und leiste selbst etwas. Das tun eine Menge anderer Leute auch, die keine besonderen telepathischen Fähigkeiten haben. Aber dazu gehören Fleiß und Durchhaltevermögen. Beweise deiner Familie doch mal zur Abwechslung, dass mehr in dir steckt als ein verwöhntes Muttersöhnchen. Immer, wenn es schwierig wird, bist du bisher abgehauen oder hast abgebrochen. Und ich soll jetzt für dich mein Leben wegschmeißen? Ich habe keine Lust mehr, weiter mit dir darüber zu reden. Werde endlich erwachsen!‹

Ich hörte eine Tür zuschlagen, Tom war noch im Raum, denn er sagte: ›Das wirst du noch bereuen, Schwesterchen. Du wirst schon noch merken, dass du mich ernst nehmen musst.‹

Shays Vater Walter war ein ruhiger, feiner Mensch. Er hatte ein außergewöhnliches Gedächtnis und war ein Genie als Physiker. Mit ihm hatte ich einige gute Gespräche. Er klopfte mich zwar auf Herz und Nieren ab, aber gab mir eine Chance, als er sah, wie glücklich Shay war. Ihre Mutter Tess war eine warmherzige Empathin. So hätte ich mir meine Kindheit gewünscht. Meine Eltern kenne ich nicht. Ich wurde in einer Pflegefamilie großgezogen. Mein Pflegevater war von der Sorte hart, aber gerecht. Meine Pflegemutter hatte ein Herz für Kinder, das hat mich wahrscheinlich gerettet. Leider starb sie früh. Ich habe oft an ihrem Krankenlager gesessen.

Wir waren zu arm, um die richtige Behandlung für sie zu bezahlen. Ihr zuliebe hab ich mich um die Stipendien beworben.

Immer wieder bläute sie mir ein: ›Lass dich bloß nicht runterziehen. Glaub es nie, wenn sie dir sagen, du bist nichts wert. Du bist etwas Besonderes, Jon, und wertvoll für sie. Pass gut auf dich auf! Mehr darf ich dir nicht sagen.‹ Kurz darauf ist sie gestorben.

Ich hatte dann versucht etwas über meine Abstammung herauszufinden, aber da war nichts zu machen. Keinerlei Informationen, Datenverlust durch Unfall auf den Datenträgern.

Shays Eltern bekamen nichts mit von Toms Ablehnung mir gegenüber und von dem Geschwisterstreit. Als ich wieder mit Shay allein war, wollte ich mit ihr über Tom reden.

›Ach, Tom ist eigentlich gar nicht so. Ich weiß nicht, was in ihn gefahren ist. Er wird sich schon wieder beruhigen‹, tat sie den Vorfall ab. Ich merkte, dass sie sich Sorgen machte. Und Tom beruhigte sich leider nicht.«

»Wie ging es weiter?«, fragte Hawk gespannt. »Shay hat sich ja offensichtlich doch für die Botenkarriere entschieden. Hat sie dich sitzen lassen?«

Jon quittierte Hawks Frage mit einem finsteren Blick. »So ein Quatsch. Heute denke ich, Shays Bruder hat sich direkt mit dem Ratsrecruiting in Verbindung gesetzt und denen von Shays Bereitschaft erzählt, in die Boten-Ausbildung einzusteigen. Jeder weiß, ein Botenanwärter muss sich persönlich bewerben und es gibt dann so gut wie kein Zurück. Diesen ersten Schritt musst du dir schon sehr genau überlegen.

Auf jeden Fall standen eine Woche später die Headhunter vor der Tür und wollten zu Shay. Wir versuchten den Irrtum zu erklären. Aber Tom hatte den genetischen Fingerabdruck, mit dem der Kontrakt unterschrieben war, mit Shays Genmaterial gefälscht. Auf die Fälschung eines Ratsdokuments standen fünf Jahre Minenarbeit.

Shay und ich sind geflohen. Auch ihr Bruder tauchte unter. So haben die Eltern auf einen Schlag beide Kinder verloren. Wir beide waren von heute auf morgen Flüchtlinge. Ihr Vater hatte glücklicherweise gute Freunde und versorgte uns mit Credits und Identchips, sonst hätten sie uns schon am ersten Raumbahnhof geschnappt.

Eine Weile konnten wir uns so durchschlagen. Mit Shays telepathischen Fähigkeiten konnten wir uns immer wieder tarnen und uns Vorteile verschaffen. Wir waren auf dem Planeten Hope, als die Katastrophe begann.«

Jon wurde durch einen Commander-Notruf unterbrochen. »Kontrollraum an Commander Matthews, Notruf, bitte melden Sie sich.«

»Commander an Kontrollraum, was gibt es, Frank?«

»Sir, vor mir steht die Botin Hanout und will Sie sprechen. Sie bedroht Co-Commander Derek, weil wir sie nicht umgehend zu Ihnen gelassen haben, Sir. Sollen wir nach Statut C vorgehen?«

Statut C war die dritte Eskalationsstufe bei bedrohlichen Situationen auf der Raumstation. Es bedeutete den Tod des Angreifers unter Inkaufnahme eigener Opfer.

»Nein! Botin Hanout, sprechen Sie!«

»Botin Shay braucht Hilfe. Schnell. Wir haben nicht mehr viel Zeit. Kommen Sie zu unserem Quartier! Sofort!«

Hanouts Verhalten ließ Jon keine Sekunde zögern. »Wir treffen uns dort. Frank, lassen Sie die Botin gehen.«

Jon, Welda und Hawk stürmten los. Das Quartier war nur vier Stockwerke vom derzeitigen Standort entfernt.

Von unterwegs bellte Jon seine Befehle. »Medicalcenter, Doc Michelson!«

Doktor Philip Michelson meldete sich umgehend.

»Bereiten Sie sich auf einen Notfall vor. Eintreffen in drei Minuten. Patient ist weiblich. Blutgruppe 0 negativ. Wir brauchen Giftscanner und Gegengifte. Hawk, besorg den Biosprengstoff-Scanner und komm nach.«

Hawk bog sofort ab. Hanout traf gleichzeitig mit ihnen vor dem Quartier ein, von zwei Wachen verfolgt. »Commanderbefehl: Verriegelung öffnen!« Jons Befehl konnte alle Türen der Raumstation sperren und entriegeln. Der Anblick, der sich ihnen bot, war dramatisch. Shay lag mit wachsbleichem und schweißbedecktem Gesicht auf dem Boden, Blut sickerte aus Ohren und Nase. Evya hielt Shays Oberkörper in ihrem Schoß und schluchzte herzzerreißend.

Jon handelte sofort. »Raus hier, alle! Evya, weg von ihr!«

Welda packte das Mädchen und zog Evya von Shay fort.

Die nackte Angst um Shays Leben schnürte Jon die Kehle zu. Behutsam zog er sie in seine Arme. Sein Herz raste. Wenn du jetzt stirbst, dann sterben wir gemeinsam.

Er verharrte einen Augenblick, doch nichts geschah. Vielleicht doch kein Sprengstoff.

Er drückte sie an seine Brust, der süße Schmerz, sie endlich wieder zu halten, brachte ihn fast um. Jetzt zählt jede Sekunde.