Dignity Rising 4: Tödliche Rebellion - Hedy Loewe - E-Book

Dignity Rising 4: Tödliche Rebellion E-Book

Hedy Loewe

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Beschreibung

Nach Jons Entführung führt Shay die Kampfgefährten an. Sie will Jon finden und mit der Rebellion einen Flächenbrand über alle bewohnten Planeten entfachen, um den Obersten Rat zu vernichten. Shay hat einen wichtigen Auftrag zu erfüllen, bevor sie sich Hawk anschließen kann, der inzwischen herauszufinden versucht, wo Jon gefangen gehalten wird. Doch der grausame Psychopath Arragos, der sich zum Alleinherrscher macht, zieht mithilfe seiner Boten die Schlinge um die Rebellen zu. Sorren, der Mann, der Shay für sich gewinnen will, spielt ihm dabei unbeabsichtigt in die Hände... Lesermeinung: Tolles Finale, alle 4 Bücher fand ich super spannend, wenn man den 1. Teil gelesen hat, muss man einfach weiterlesen, ich konnte kaum aufhören. Lesermeinung: Ich war begeistert von dem Finale. Es glänzt mit sehr viel Spannung und Action und man konnte die Seiten nur so inhalieren.

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Impressum

Dignity Rising – Tödliche Rebellion Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Ende?

Leseprobe Planspiel Beta-Atlantis – Die Jagd beginnt

Danke!

Titel

Dignity Rising

Band 4

Tödliche Rebellion

Science Fiction/Space Opera

HL UTOPIA EDITION

Impressum

© 2015/2021 Hedy Loewe

3. Auflage 2021

Dieses Buch ist in der ersten Auflage unter dem Untertitel „Die Rache der Botin“ erschienen.

Herausgeber: Hedy Loewe, Sabine Schöberl, Veilchenstr. 4, 90587 Veitsbronn

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung, wozu auch die Verbreitung über „Tauschbörsen“ zählt.

Covergestaltung: Ronny Altendorf, covertraeume.de Bildquelle: Shutterstock.com

Lektorat: Wortlogik.de

Kontakt: [email protected]

Dignity Rising – Tödliche Rebellion Kapitel 1

Planet Academia, Artenaya-Solis, Ratshauptquartier

Was bildet sie sich eigentlich ein? Lässt mich hier warten wie einen Dienstboten. Sorren, der Erste Bote des Rates und Anwärter auf den nächsten freien Sitz im Rat der Fünf, hätte eigentlich erleichtert sein können. Jonathan Matthews, sein langjähriger Rivale um Shay, war abtransportiert worden, er war ein für alle Mal aus dem Weg. Die letzten beiden Stunden hatte Sorren damit verbracht, Jons Spuren im Ratshauptquartier zu beseitigen. Nichts sollte daran erinnern, dass Commander Jonathan Matthews jemals hier gewesen war.

Nun war es Zeit, Nilufesh zu sehen. Er musste sich mit der Obersten Rätin, einzige Frau im Rat und eine Art Vertraute - nein, Freundin wagte er nicht einmal zu denken -, aussprechen.

Wie soll es nur weitergehen mit dem Rat? Und mit Arragos? Nun wartete Sorren schon mehr als eine Stunde vor ihren Räumen und bat immer wieder darum, eingelassen zu werden.

Als sie schließlich selbst öffnete, war er überrascht. Hat sie geweint. Nilufesh? In den ganzen Jahren habe ich sie niemals auch nur eine Träne vergießen sehen. Sorren wollte sie begrüßen, wie es sich gehörte, doch die Rätin bedeutete ihm mit einer harschen Handbewegung zu schweigen und ihr zu folgen. Sie führte ihn über ein Treppenhaus die drei Stockwerke hinauf auf das Dach des Ratshauptquartiers. Die beiden Helijet-Landeplätze waren leer. Der Wind brauste ordentlich in dieser Höhe.

»Nilufesh, es ist heute zu gefährlich hier oben. Wollen wir uns nicht woanders unterhalten?«

Ihre heftige Geste schnitt ihm das Wort ab. »Überall in diesem Gebäude ist es gefährlich. Das solltest du am besten wissen, Sorren, Befehlsempfänger des Arragos.«

Ihre silbernen Augen sprühten Funken, so zornig war sie. Ein langer, schwarzer Umhang flatterte heftig um ihre schlanke, große Gestalt. Der Wind riss an ihren Haaren und löste einige Strähnen.

»Wo ist der Leichnam von Jon Matthews?« Ihre Stimme bebte vor Zorn und Trauer.

Wie hat sie es so schnell erfahren?

»Nilufesh, es war ein Auftrag des Obersten Rates. Matthews hat deine Dienerin ermordet.«

»Er war es nicht! Kann sich dieser Größenwahnsinnige jetzt alles herausnehmen? Wir werden hier und jetzt klären, auf welcher Seite du stehst, Sorren! Ich dachte, du bist mein Vertrauter! Ich habe mich wohl, wie so oft in meinem Leben, bitter getäuscht! Es gab keinen offiziellen Ratsbeschluss und du rennst einfach hin und erschießt meinen Hauptmann der Wache? Hast du das mit dem letzten eigentlich auch so gemacht?«

Sie war noch nie so wütend und emotional wie jetzt. Und so traurig.

»Ich bin der Vollstrecker des Rates. Ich habe meine Pflicht getan. Über das Verschwinden von Commander Rado weiß ich nichts.«

»Ach, deine Pflicht, dass ich nicht lache! Du tust nur das, was dir in den Kram passt. Also, raus mit der Sprache. Warum hast du Arragos’ Anweisung diesmal so umgehend erfüllt? Warum hast du nicht erst mal mich gefragt? Erst ist Nailá tot und jetzt Jon Matthews. Und weißt du, was vorhin auch noch passiert ist? Dieser dumme Junge geht zu Arragos, um sich über dich zu beschweren. Und jetzt ist auch er tot!«

»Wer?« Sorren hatte gerade das Gefühl, dass ihn die Ereignisse überrollten.

»Jons Adjutant Rick Bolton. Ich habe ihn mit den anderen Männern der Wache über dein überaus grausames Vorgehen reden hören. Er hatte den Mut, mich nach dem Warum zu fragen. Ich habe mit ihm gesprochen und ihm gesagt, dass ich Jon Matthews für unschuldig an Nailás Tod halte. Er gibt eine Beschwerde bei Arragos ein und dann stürzt er sich, angeblich genau hier, hinter dir, vor Kummer vom Dach. Warum, Sorren? Warum sterben alle, die sich um mich kümmern?«

Schrill und laut kämpfte Nilufeshs Stimme gegen den Wind. Die immer perfekte, immer emotionslose Oberste Rätin schlug die Hände vor ihr Gesicht und weinte.

Ich muss es ihr sagen. Sorren trat auf sie zu und versuchte, ihre Hände von ihrem Gesicht zu nehmen. »Lu, Jon Matthews ist nicht tot.«

Sie sah verwundert auf.

»Der Tod von Adjutant Bolton tut mir leid, ich wusste nichts davon. Ich brauchte ihn als Zeugen, bei der Ausführung des Befehls. Arragos muss glauben, dass Jon tot ist.«

Nilufesh versuchte, sich zu fangen. Ihre Schultern zuckten noch immer. Sie stieß Sorrens Hände fort. »Was soll das heißen?«

»Es war ein Trick, um Jon hier rauszuschaffen. Er lebt.« Ich muss es nun wagen. Jetzt oder nie wird sie mir die Wahrheit über Jon sagen. Sorren erhob seine Stimme. »Ich habe Jon Matthews nicht mit so viel Mühe hierher geschafft, um ihn dann umzubringen. Das hätte ich einfacher haben können. Für dich habe ich ihn hergebracht. Auch weil ich neugierig war, warum du so einen Narren an ihm gefressen hast und dafür gesorgt hast, dass Commander Matthews den Status unantastbar erhielt. Jetzt, wo ich es herausbekommen habe, konnte ich deine überaus erfolgreiche Nachzucht doch nicht einfach umbringen.« Seine Worte troffen vor Ironie.

Nilufeshs Hand klatschte mit voller Wucht auf Sorrens Wange. »Wage es nicht noch einmal, meinen Sohn als Nachzucht zu bezeichnen!«

Nilufeshs Handabdruck brannte auf seiner Haut. Das war es mir wert, dachte Sorren, nun weiß ich wenigstens Bescheid. Reglos starrte er sie an und die Oberste Rätin wusste, sie hatte sich verplappert. Entsetzt und von ihren jahrzehntelang zurückgehaltenen Gefühlen übermannt drehte sie sich von Sorren weg und lief vor Tränen blind auf die Dachkante zu.

Mit drei schnellen Schritten hatte Sorren sie eingeholt und packte sie am Arm. »Lu, komm zu dir. Es ist noch nicht zu spät. Willst du, dass er sein Ziel erreicht? Willst du, dass er allein regiert?«

Nilufesh war stehen geblieben, gefährlich nahe am Rand des ungesicherten Daches. Der Wind blies kaminartig die Häuserfront hinauf und zerrte an ihrem weiten, schweren Umgang. »Und was willst du, Sorren? Auf welcher Seite stehst du?«

Sorren versuchte, sie von der Kante fortzuziehen. »Komm mit. Wir unterhalten uns woanders weiter. Ich kenne einen Ort, den er nicht abhört.«

Zornig riss sie sich von seiner Hand los. Da packte der Wind ihr Gewand und brachte sie aus dem Gleichgewicht. Mit einem gellenden Aufschrei stürzte Nilufesh über die Kante in die Tiefe.

Delta 5, Hochsicherheitsgefängnis

Delta 5 war unbewohnbar. Die der Sonne zugewandte Planetenseite schwelte glühend heiß. Das Gestein auf der Oberfläche köchelte bei 1.200 bis 1.500 Grad. Kein Leben war auf dieser Gluthölle denkbar. Die der Sonne abgewandte Seite dagegen war eiskalt. Die Temperaturen schwankten hier von minus sechzig bis um die null Grad Celsius. Die heiße Seite entzog der kalten Fläche den ohnehin spärlich vorhandenen Sauerstoff, ein stetiger, starker Wind wehte in Richtung der von der Sonne beschienenen Seite.

Ohne Atemgeräte und Schutzanzug konnten Menschen in dieser Welt nur kurz überleben, die Kälte tat ihr Übriges. Im Übergang zwischen der heißen und kalten Planetenoberfläche hatte sich seit Tausenden von Jahren ein Ring aus Eis gebildet. Dunst und kochendes Wasser kämpften seit Urzeiten gegen den grausamen Frost.

Grazile Zacken, steil aufragende Eisberge und Kaskaden gefrorener Wasserfälle bildeten einen grandiosen Anblick, den außer ein paar Forschern nie ein Mensch zu Gesicht bekam. Auf der Nachtseite des Planeten kam zu der Eiseskälte die Dunkelheit. In dieser unwirtlichen Einöde stand das gefürchtete Hochsicherheitsgefängnis Delta 5. Einen fantasievolleren Namen hatte dieser Hölle niemand gegeben. Wer hierher kam, war vergessen.

Auf den bewohnten Planeten rankten sich noch ein paar Gerüchte um den Hochsicherheitstrakt. Icecatraz nannten ihn ein paar Alte noch, angelehnt an das legendäre Gefängnis auf dem Alten Planeten. Manchem standen beim Gedanken an die Verbannung nach Delta 5 die Haare zu Berge und ein Frösteln kroch über die Haut. Doch mit der Zeit waren Delta 5 und das gleichnamige Gefängnis bei der Bevölkerung der lebensfreundlichen Planeten in Vergessenheit geraten. Und die letzten Insassen mit ihnen.

Viele Gefangene beherbergte Delta 5 nicht mehr. In den letzten zwanzig Jahren wurden nur mehr wenige Häftlinge von der Fähre, die alle paar Monate auch Verpflegung, Medikamente und die Wachablösung brachte, hier abgeliefert. Das Gehirn von Verbrechern wurde mittlerweile entweder durch hochrangige Boten so verändert, dass diese Individuen ohne jede Kritik ab sofort ausschließlich den Werten der Föderation folgten und nicht mehr imstande waren, Verbrechen zu begehen. Oder sie wurden zur Verbüßung ihrer Strafen als Arbeitskräfte auf die Minenplaneten geschickt, zum Beispiel nach Explorator 4. Das waren diejenigen, die einer solchen Veränderung nicht zustimmten oder die Unlesbaren und damit nicht beeinflussbaren Menschen. Lebend kam kaum einer aus den Minen. Das war auch nicht wirklich vorgesehen. Die Häftlinge waren rechtlos und wurden bis aufs Blut ausgebeutet.

Die Föderation brauchte jede Arbeitskraft, niemand wurde vergeudet. Eine bloße Aufbewahrung von Häftlingen - und mochte sie auch noch so ungemütlich sein - war mittlerweile zu ineffizient und teuer. Irgendwann würde das Gefängnis auf Delta 5 aufgegeben werden. Das hofften jedenfalls die sich abwechselnden Wachmannschaften. Der Job hier war einfach nur öde und die letzten Insassen waren weggestorben. Bis auf einen. Die Männer der Wache fragten sich oft, wofür dieser ganze Aufwand hier noch betrieben wurde. Für diesen einen Gefangenen? Konnte man den nicht auch woanders unterbringen? Doch jede ihrer Petitionen an den Obersten Rat wurde abgeschmettert. Delta 5 existierte im Geheimen weiter.

Von der Einflugschneise der Fähre aus betrachtet wirkte das Gefängnis wie eine Ansammlung von alten Gastanks. Sechs zylinderartige Gebäude waren mit Gängen in verschiedenen Etagen umbaut. Die Gebäude waren kreisförmig angeordnet und miteinander verbunden. In der Mitte stand eine Art überdimensionierter Pavillon mit einem ballonartigen Dach aus glänzender Folie. Sah man die Gebäude beim Landeanflug, so fiel einem sofort ein Fluss auf. Nur bestand dieser nicht aus Wasser, sondern aus rot glühendem, flüssigem Gestein, das über viele Kilometer vom Glutofen der anderen Planetenhälfte hierher umgeleitet wurde. Die Hitze des Gesteins wurde in Kanälen unter die Gebäude geführt und sorgte für die lebensnotwendige Wärme. Diese Zuleitung wurde viermal pro Jahr abgeflogen und gewartet. Wenn sie nicht mehr funktionierte, würde auf Delta 5 in wenigen Wochen alles erfroren sein.

Achtunddreißig Jahre, sieben Monate und fünf Tage. So lange saß der älteste noch lebende Gefangene hier ein. Der Mann namens Rhehon vom Volk der Rhe´Notun hatte viel Geduld. Diese Geduld, sowie Friedfertigkeit und Toleranz, waren die prägnantesten Wesenszüge der hoch entwickelten Zivilisation, der er entstammte. Das Leben hier war eintönig. Er kam von seiner Natur her damit einigermaßen klar. Auch die jahrelange Einzelhaft hatte seiner geistigen Gesundheit nichts anhaben können. Nur manchmal sehnte er sich nach dem tiefblauen Himmel seiner Heimat und trauerte der verlorenen Lebenszeit bei der Spezies Mensch nach. Und immer noch wurde sein Herz schwer bei dem Gedanken an sie und ihren Verrat.

Wie lange seine Gefangenschaft wohl noch dauern würde?

Rhehon war einmal in friedlicher Absicht gekommen. Als einer der herausragendsten Wissenschaftler seines Volkes, ausgezeichnet mit dem Ehrentitel Stern der Sterne, war Rhehon ausgewählt worden. Er hatte von seinem Volk den Auftrag bekommen, die Spezies Mensch zu studieren. Das hatte er auch getan. Vielleicht ein wenig zu genau. Es war leicht gewesen, in ihre Zivilisation einzudringen. Die Abwehrsysteme der Menschen waren auf die Technik der Menschheit spezialisiert, nicht auf die Technik der Rhe´Notun. Sie auszuspähen war keine echte Herausforderung gewesen. Nichts taten die Menschen nämlich lieber, als mit ihren Errungenschaften anzugeben.

Sein Äußeres unterschied Rhehon nur unwesentlich von der Spezies Homo sapiens. Er war etwas größer als die meisten von ihnen. Der Körperbau war schmaler, das Gesicht länglich. Seine Augen unterschieden sich am stärksten von denen der Menschen. Die der Männer der Rhe´Notun waren schwarz und zeigten eine Vielzahl an Lichtpunkten.

Wie das Weltall, hatte sie einst über seine Augen gesagt.

Die Menschen hatten gerade erst den Evolutionssprung gemacht, den sein Volk schon vor mehreren tausend Auuns hinter sich gebracht hatte. Die Rhe´Notun brauchten keine Sprache. Sie verständigten sich nur über Gedanken. Durch das Aufkommen der Telepathen waren die Menschen als Kooperationspartner für die Rhe´Notun interessant geworden.

Die Menschheit hatte den Sprung in den Weltraum geschafft, sich in den geistigen Fähigkeiten weiterentwickelt, war zu einer Hochkultur geworden. Das hatten die Rhe´Notun zumindest gedacht, als die hohen Berater ihres Volkes zusammengekommen waren und entschieden hatten, mit den Menschen Kontakt aufzunehmen. Wie sehr hatten sie sich doch geirrt. Die Menschen hatten noch einen langen und schwierigen Weg vor sich. Es war ein Wunder, dass diese Spezies überhaupt bis heute überlebt hatte.

Rhehon erwachte durch einen Summton aus seiner tiefen Meditation, die wie immer mehrere Tage gedauert hatte. Ein verlangsamter Stoffwechsel half ihm über diese langen Phasen der Einkehr hinweg. Er streckte und dehnte seinen hoch gewachsenen, immer noch geschmeidigen Körper. Mittlerweile war er nach Menschenjahren gerechnet 114 Jahre alt. Für einen Rhe´Notun war das noch nicht einmal die Hälfte seines Lebens. Rhehon machte täglich unermüdlich seine Übungen, um fit zu bleiben. Trotz aller geistigen Fähigkeiten, solange er in der Hand der Menschen war, musste er auch kampffähig bleiben. Soweit es ging jedenfalls, denn körperlicher Kampf zählte nicht zu den Stärken der Rhe´Notun. Er spannte alle Muskeln an und ließ sie wieder locker. So kam sein Kreislauf, in dem das Blut dickflüssig und in einer dunkleren Farbe als das der Menschen floss, nach den Kontemplationsphasen schnell wieder in Gang.

Sein Wärter hatte sich an diese Abwesenheitsphasen des Häftlings mit der Nummer 938.887 gewöhnt. Ralf war unterdessen ein alter Mann geworden, aber auch fast zu einem Freund. Er betreute Rhehon, seit dieser hierher gebracht worden war. Alle paar Wochen - oder waren es Monate? - musste Rhehon ihm erklären, warum er kaum gealtert war, der Mensch dagegen schon. Ralf war nach seinem Heimataufenthalt heute zum ersten Mal seit drei Monaten wieder bei Rhehon. Anstatt sich über das Wiedersehen zu freuen, wie es in den letzten Jahren üblich gewesen war, wirkte er still und bedrückt.

»Wie geht es dir, Ralf?«, fragte Rhehon ihn freundlich.

»Zelle Sieben ist gestorben. Du bist jetzt der letzte Insasse, Rhe. Was hast du bloß ausgefressen, dass sie dich nicht irgendwann begnadigen?«

Ralf konnte es nicht verstehen. Rhehon hatte es ihm schon oft erklärt.

»Ich wurde nicht verurteilt, Ralf. Ich bin eine Geisel. Euer Oberster Rat schützt die Menschheit vor Wesen wie uns.«

»Wir kennen uns jetzt schon so lange. Du bist mir nie wie ein Aggressor vorgekommen. Was ist an euch gefährlich?«

Rhehon lächelte. »Das ist die falsche Frage. Die einzige Frage von euch Menschen ist, worin wir vielleicht besser wären als ihr. Denn wenn wir das wären, hättet ihr Angst, wir würden euch unterdrücken.«

»Und, würdet ihr das nicht tun?«

»Ist im Universum nicht Platz genug für uns alle?«

»Ich versteh nichts von Politik. Wenn ich die News sehe, scheint überall alles in Ordnung zu sein. Doch jedes Mal, wenn ich nach Hause komme, geht es meinen Leuten schlechter.«

»Erzähl mir von deinem Heimatplaneten! Wie geht es der Familie?«, forderte Rhehon seinen Wärter auf. »Komm, lass uns ein Stück gehen. Ein Spaziergang würde mir gut tun.«

Ralf schloss die Zellentür hinter sich nicht ab. Er war nicht einmal bewaffnet. Wohin sollte Rhehon auch fliehen? Außerhalb der Gebäude konnte niemand länger als ein bis zwei Stunden ohne Sauerstoffmaske überleben. Und Kälteschutzanzüge brauchte man außerdem. Die beiden machten täglich zwar eintönige, aber dennoch lange Spaziergänge durch Rhehons Zylinder und in das Innere des Sonnenkollektors. Hier gab es eine kleine Anlage für die Produktion von pflanzlicher Nahrung, der einzige Farbfleck in dieser Einöde. Wenn man den Glutstrom nicht mitrechnete.

Ralfs Heimatplanet war Treasure mit seiner Hauptstadt Rubinia. Glaubte Rhehon seinen Erzählungen, waren die Lebensbedingungen auf diesem Planeten alles andere als gut.

Ralf seufzte. »In der Stadt grassiert gerade eine Epidemie. Das Trinkwasser ist verseucht. Die Menschen sterben an Durchfall und Erbrechen. Also nicht direkt daran.«

Rhehon nickte. Sie sterben an Schwäche und Austrocknung.

Stockend berichtete Ralf weiter. »In den letzten zwei Wochen sind mein Bruder und zwei seiner Kinder gestorben.« »Das tut mir leid, Ralf. Was ist denn mit der medizinischen Versorgung?«

»Die sind völlig überfordert. Es gibt viel zu wenig Medikamente, und wenn, dann sind sie so teuer, dass man sie sich ohnehin nicht leisten kann. Die Stadtverwaltung funktioniert hinten und vorne nicht. Die Abfallentsorgung fällt andauernd aus. Viele Stadtteile starren vor Dreck. Kein Wunder, dass man da krank wird.«

Die Männer gingen eine Weile schweigend. Dann fragte Rhehon: »Woran liegt es, dass die Situation immer schlimmer wird?«

Wütend trat Ralf gegen einen Türöffner. »Schau dir mal die News an! Da meint man gerade, auf Treasure ist alles aus dem Gold, das sie da aus der Erde holen! Alles nur Fassade!« Er fluchte.

Rhehon spürte, es steckte mehr hinter Ralfs Wut. Sanft bohrte er weiter. »Wie könnte man helfen?«

»Das korrupte Botenpack müsste verschwinden! Die bringen ihre Schäfchen ins Trockene und uns kleine Leute um ein menschenwürdiges Leben! Und sie schieben die miese Situation den Rebellen in die Schuhe!«

Rhehon wurde hellhörig. Es drangen nicht viele wirklich wertvolle Nachrichten bis zu ihm. Es war schon ein riesiges Zugeständnis, dass er ab und zu den offiziellen Newskanal beobachten durfte. Dort gab es nur wenige Hinweise auf Unruhen. Neulich hatten sie eine grausame Hinrichtung übertragen. Der Mann soll ein abtrünniger Bote gewesen sein. Diese öffentliche Hinrichtung war dermaßen zynisch und blutig inszeniert gewesen - sie sollte abschreckenden Charakter haben. Wenn dies die Spitze des Eisberges war, musste die Rebellenbewegung nicht unbeträchtlich sein. Gab es doch noch Hoffnung für diese Spezies? Sollten sie sich in eine gute Richtung entwickeln?

»Du glaubst, die Telepathen sind verantwortlich für die Situation?«

»Das kann ich nicht sagen. Aber auf jeden Fall spielen sie kräftig mit. Besonders dieser Rat mit seinen Boten. Früher fand ich das eine tolle Einrichtung. Die hatten einen Ehrenkodex. Waren was ganz Besonderes. Heute werden sie nur noch gefürchtet. Wer nicht in ihrem Sinn funktioniert, dem schmelzen sie das Gehirn.«

Ralf schluckte. »Ich dürfte so was gar nicht sagen. Schließlich arbeite ich mein Leben lang für die Föderation. Heutzutage ist es gefährlich seine Meinung zu sagen. Sie können mir nichts tun, ich bin ja unlesbar und ohnehin zu alt, um was zu bewirken. Aber sie könnten meiner Familie etwas antun. Ich weiß, dass sie das machen. Ich habe schon oft von Erpressungen gehört. Die Verbrecherboten sollten hier auf Delta 5 weggesperrt werden. Nicht Menschen wie du!«

Ralf blickte in Rhehons schwarze Augen und bekam eine Gänsehaut, als er ihn lächelnd sagen hörte: »Ich bin aber kein Mensch.«

Planet Treasure, Hauptstadt Rubinia, Rebellenlager

»Shay, geht es dir gut?«

Shay lag apathisch auf ihrem Lager in einer der aufgegebenen Erzminen auf dem Planeten Treasure. Sie war noch so aufgewühlt von den Ereignissen der letzten Stunden. All das hat mich viel Kraft gekostet. Tom steckt das Ganze viel besser weg als ich. Er kümmert sich rührend um mich. Sie versuchte ein Lächeln.

»Alles okay. Lass mich noch ein bisschen schlafen. Wir reden später.«

»Ruf mich«, hörte Shay ihn noch sagen, dann schloss Tom leise die Tür.

Aber an Schlaf war nicht zu denken. Shay fühlte sich zwar körperlich wie zerschlagen, doch ihre Gedanken kreisten unaufhörlich um die Ereignisse des vergangenen Tages. Tun wir das Richtige? Wir wenden Gewalt an. Wir töten. Wir sind damit genauso schlecht wie sie.

Shay ging im Geiste die letzten Tage noch einmal durch und versuchte herauszufinden, an welcher Stelle die Sache aus dem Ruder gelaufen war. Oder war sie das nicht? War das der harte Preis der Rebellion, dass man die eigene Unschuld opfern musste? Nun, als unschuldig konnte sich Shay nicht bezeichnen. In ihrem Job als Botin der Föderation hatte sie zwar die meisten der durch sie und ihre Botenkriegerin Hanout aufgespürten Flüchtigen an Gerichte überantwortet, einige Hinrichtungen hatte sie jedoch selbst durchgeführt. Shay konnte sich nicht damit entschuldigen, dass sie zum Dienst als Botin gezwungen worden war. Ich habe den Job erledigt. Bei denen, die ich hingerichtet habe, habe ich sogar gedacht, es wäre richtig. War es das? Darf ein Mensch einen anderen Menschen töten? Für welches Vergehen? Und doch schon gar nicht im Zorn, wenn jegliche Vernunft durch Emotionen davongespült wird. Doch genau das habe ich heute getan.

Jon fehlte ihr so sehr. Seine Sicht der Dinge war klug. Umsichtig. Er war immer kompromissbereit, konnte aber auch harte Entscheidungen treffen. Er entscheidet nicht im Zorn.

Shay fühlte sich schlecht. Ich kann mir nicht einreden, dass das heute eine Ausnahme war. Wenn ich Ungerechtigkeit sehe, werde ich wütend. Und reagiere entsprechend. Ist es das, was unserer Rebellion weiterhilft?

Michael Glass, der Rebellenführer des Planeten Treasure, und die anderen waren dieser Meinung. Sie feiern den heutigen Tag wie einen Sieg. Nun sind wir also auf dem Weg. Es gibt kein zurück.

Schwermütig dachte Shay an die Ereignisse der letzten Wochen zurück …

Ihr persönlicher Feldzug hatte mit der Rettung der Flüchtlinge auf dem Eismond begonnen. Michael Glass war mit dem letzten verbliebenen Raumgleiter seiner Rebellengruppe wirklich im allerletzten Moment auf dem Eismond des Hereus aufgetaucht und hatte sie und die anderen Rebellen in Sicherheit gebracht. Die spärlichen Nahrungsvorräte hätten keine drei Tage mehr ausgereicht.

Shay dachte mit Grauen an die Tage in den unterirdischen, kalten und feuchten Höhlen auf dem Eismond zurück. Die Situation der verbliebenen Rebellen war mehr als kritisch geworden, als Hanout nicht nach den vereinbarten drei Tagen mit Lebensmitteln zurückgekehrt war. Obwohl es um ihr eigenes Leben ging, hatte sich Shay mittlerweile riesige Sorgen um Hanout gemacht. Sie wusste, ohne wichtigen Grund würde ihre ehemalige Botenkriegerin sie nicht hängen lassen. Es musste Hanout, ihrer besten Freundin, etwas zugestoßen sein.

Die Tage auf dem Eismond waren endlos langsam vergangen, weitere Menschen starben an Hunger und Entkräftung, doch Hanout tauchte nicht mehr auf. Tom war in dieser kritischen Situation relativ gelassen geblieben. Kein einziges Mal hatte er sich über das Fernbleiben von Hanout aufgeregt. Er unterstützte Shay in allem, was sie tat, ohne zu klagen.

Dann, nach über einer Woche mit den Begleitern Hunger und Tod, war endlich das lang ersehnte Funksignal gekommen. Michaels Gleiter. Es war ein Schock für den altgedienten Soldaten und seit nunmehr fast zwei Jahren Anführer der Rebellen auf dem Planeten Treasure gewesen, dass seine Frau Isabella schon vor vier Wochen in der Einöde des Eismondes gestorben war. Ein wenig konnte Shay ihn damit trösten, dass seine Tochter Evya mittlerweile auf dem grünen Planeten Balance in Sicherheit lebte.

Für Trauer war keine Zeit geblieben. Michael fing sich und sorgte dafür, die verbliebenen Flüchtlinge so schnell wie möglich auf den Planeten Treasure zu evakuieren.

»Was ist auf Treasure passiert? Warum bist du so lange nicht gekommen?«, hatte Michaels bester Freund Frank ihn nach seiner Ankunft gefragt.

»Wir müssen einen Saboteur in unseren Reihen auf Treasure gehabt haben. Der zweite Gleiter ist unbrauchbar. Auch dieser hatte einen Schaden. Wir kamen nicht an Ersatzteile heran.«

Shay hatte sehr genau registriert, wie Michael seinen Schmerz über den Verlust seiner Frau hinter der harten Maske des Soldaten verbarg, als er weiter berichtete.

»Ich musste einiges umstrukturieren. Wir haben in einer verlassenen Erzmine einen neuen Unterschlupf bezogen und arbeiten daran, eine Verbindung zur Stadt herzustellen. Außerdem hat es ein paar Überfälle auf unsere Leute gegeben. Wir mussten in Deckung bleiben.«

Eine für Shay deutlich wahrnehmbare Welle von Emotionen war über Michael hinweggeschwappt. Er sprang auf und verließ den Raum.

Shay ging ihm nach. Sie fand Michael in einem der dunklen Nebengänge. Er schlug mit der bloßen Faust auf das Eis.

»Ich hätte früher kommen müssen. Sie starb, weil ich mich versteckt habe!«

Shay hüllte ihn mit ihrem blauen Licht ein. Schwer fühlte sie Michaels Schuldgefühle und versuchte, sie ihm zu erleichtern. »Du hast getan, was du konntest, Michael. Quäle dich nicht.«

Michael beruhigte sich. Das Licht verfehlte seine Wirkung nicht.

»Was ist das?«

Shay lächelte. »Ich entwickle mich zur Wunderwaffe der Rebellen. Man nennt mich mittlerweile die Leuchtende Botin. Bring mich nach Rubinia, Michael, lass uns dort einen Schlachtplan machen, wie wir uns für das rächen, was der Rat uns allen angetan hat. Wir werden unsere Welt zum Guten verändern. Ich möchte die Alte Garde reaktivieren. Arragos hat die Garde unterwandert und viele von ihnen manipuliert. Ich kann das rückgängig machen. Wir brauchen die Alte Garde, wenn wir das System stürzen wollen.«

Michael verstand sofort. Er schleuste Shay und Tom über zahlreiche Umwege sicher in das Rebellenteam in der Hauptstadt Rubinia. Die Gruppe um Michael war zu einer kleinen Armee angewachsen, die sich als Hauptquartier eine alte Erzmine gewählt hatte. Die tiefen Stollen boten Unterschlupf für mehrere hundert Personen.

Alle waren von Shays Ankunft begeistert. Auch Tom, den viele der Männer als Space-Gladiator Painted Rage erkannten, wurde euphorisch begrüßt.

Unsere Ankunft bedeutet ihnen viel. Wir geben ihnen Mut.

Shay fühlte sich nicht wohl dabei, die Führungsrolle übernehmen zu müssen. Sie sprach mit Tom darüber.

»Ich brauche Jon an meiner Seite. Er kann sie führen. Für ihn ist es eine Kleinigkeit. Er ist der geborene Anführer.«

»Aber er ist nicht hier«, antwortete ihr Tom und klang ärgerlich. »Du kannst sie genauso gut führen. Sie werden dich lieben. Du wirst sehen.«

»Aber ich bin -«

»Schwester«, unterbrach Tom ihre Bedenken und sah sie eindringlich an, »du tust, was richtig ist. Sie werden dir folgen und du wirst in die Rolle hineinwachsen. Du kannst das.«

Toms unerschütterliches Vertrauen gab Shay Selbstvertrauen.

Ein paar Tage brauchte Shay, um sich zu erholen. Michael war begeistert, auf welche Weise Shay die Rebellen auf Treasure über die geheimen Funkkanäle nun mit Heritage, Balance und Hawks Raumgleiter Hunting Eagle vernetzen konnte.

Shay setzte endlich eine Nachricht an die beiden Raumgleiter der Rebellen ab und hoffte, dass Hanout nichts passiert war und sie holen kam. Die zweite Station nach Treasure sollte der alte Planet werden.

»Es ist grandios, dass du als 1-A-Telepathin bei uns im Team bist. Das hat uns dringend gefehlt. Wir sind leider so angreifbar durch die Hazardscanner, die sich unseren lesbaren Mitgliedern ohne Vorwarnung nähern können. Du als Telepathin kannst uns jetzt viel besser schützen!« Michael war ganz beseelt von den neuen Möglichkeiten, die sich durch Shays telepathischen Fähigkeiten nun für seine Rebellengruppe auftaten.

Wir werden sehen, ob uns das viel weiter bringt, dachte sie zaudernd.

Dann war der Tag des Gerichts gekommen und hatte alles verändert. Diese Großveranstaltung, eine perfide Show in Rubinia, der Hauptstadt des Planeten Treasure, war eine Zurschaustellung der Macht der Gerichtsbarkeit über die Bevölkerung. Die Rebellen wollten sie nutzen, damit Shay von einer breiten Öffentlichkeit gesehen wurde. Wie jeden Monat sollten Menschen öffentlich in Scheinprozessen verurteilt und auch hingerichtet werden, inszeniert als Spektakel für die Massen. Seit vielen Jahren dienten diese Veranstaltungen der Einschüchterung und Unterdrückung der Menschen.

»Shay, fühlst du dich fit genug?« Die besorgte Frage ihres Bruders ließ sie lächeln. Sie nickte. »Ja, die Krämpfe vom Hunger haben längst aufgehört. Es geht mir schon viel besser.«

Toms intensive blaue Augen musterten seine Schwester ernst. »Ja. Aber bist du schon stark genug, um durchzuhalten, was wir uns vorgenommen haben?«

»Mir geht es gut und du spürst das. Heute haben wir unsere Chance. Wir müssen sie nutzen. Der nächste Gerichtstag ist erst in einem Monat. Mit deiner Hilfe werde ich schon durchhalten.«

Bis zum Aufbruch hatten sie noch eine halbe Stunde Zeit. Durch Shays telepathische Fähigkeiten und Toms bedingungslose Bereitschaft, auf sie einzugehen, konnten sich die Geschwister mittlerweile über einige Entfernung verständigen. Shays Fähigkeit, ihrem Bruder ihre Gedanken zu senden und die seinen zu lesen, schweißten die beiden zu einem fantastischen Team zusammen.

Noch immer weigerte sich Shay, eine Waffe zu tragen. »Ich kann die meisten Menschen durch einen telepathischen Gehirnschlag töten. Das ist doch Waffe genug«, warf sie ein, als Michael ihr einen E-Shocker geben wollte.

»Es ist sinnlos«, knurrte Tom Michael an. »Sie will keine Waffe. Ich habe sie bisher auch nicht davon überzeugen können.«

»Nimm sie wenigstens zu deiner Verteidigung mit! Du triffst doch auch auf Unlesbare« Michael wollte darauf bestehen, aber Shay blieb stur. Sie legte nur den Tarnumhang aus der wertvollen, hauchdünnen Metallfolie um, ein letztes Geschenk ihres Vaters. Der Umhang nahm Farben und Formen der Umgebung auf und reflektierte sie so, dass seine Trägerin nahezu unsichtbar wirkte.

»Tom ist meine Waffe. Das reicht«, meinte Shay und straffte die Schultern. »Sollten wir jetzt nicht aufbrechen?«

Michael sorgte dafür, dass Shay und Tom, der das Schwert des letzten Kriegers unter einem weiten Servantumhang trug und sein auffällig vernarbtes und mit Tattoos überzogenes Gesicht hinter einer grauen Servantmaske verbarg, von einigen Männern der Rebellenarmee durch die unterirdischen Zugänge in die Katakomben der großen Arena in der Hauptstadt geschmuggelt wurden.

Und dann kam alles anders als geplant. Shay hatte vor, nur kurz in Erscheinung zu treten und die Richter zu beeinflussen, damit Michaels Männer die 29 gefangenen Rebellen befreien konnten. Die Aktion sollte unter den Richtern und Wachen Verwirrung stiften, dann wollte Shay sich zurückziehen. Immerhin bestand ein großes Risiko, dass Shay und Tom in der Arena, in der es von Föderationssoldaten nur so wimmelte, geschnappt wurde. Die Tarnung für sich und Tom würde Shay ohne Probleme aufrechterhalten können, sogar inmitten der Menschenmassen. Eine große Gefahr stellten die unlesbaren Soldaten der Föderation dar. Wenn diese sie in der Menge aufspürten, sollten sich Shay und Tom, von Michaels Männern gesichert, sofort zurückziehen.

Ohne Schwierigkeiten hatten es Tom und Shay geschafft, durch die Menge der Menschen, die sich in einer aufgeheizten Stimmung befanden, bis in die unmittelbare Nähe der Bühne zu kommen. Womit niemand gerechnet hatte, war die vollständige Umstellung des normalen Verlaufs der Gerichtsverhandlung. Was sonst mit einem schier endlosen Zeremoniell zur Vorstellung der Richter begann, in einem Schauprozess mündete und mit der Verurteilung und sofortigen Hinrichtung der Gefangenen endete, begann heute mit einem Paukenschlag.

Der übliche Trommelwirbel kündigte den Beginn der Veranstaltung an. Eine riesenhafte 3D-Animation über die Allmacht des Obersten Rates stimmte die Zuschauer auf das Geschehen ein, die Menge wurde still.

Einer der bekannten Richter betrat die Bühne, flankiert von vier Soldaten, die einen Gefangenen in ihrer Mitte führten. Der Mann war abgemagert, bis auf eine leichte Anstaltshose nackt. Offene Wunden bedeckten seinen Oberkörper, die Arme waren von Brandwunden übersät. Die Soldaten führten ihn an die Bühnenkante und zwangen den Mann, sich umzudrehen.

»Was soll das? Sie ändern den üblichen Ablauf«, hörte Shay Tom flüstern. Ihre Nerven waren gespannt. Sie hatte sich gerade die gleiche Frage gestellt.

Die Menge wisperte unruhig. Der nackte Rücken des Gefangenen zeigte ein grauenhaftes Muster. Man hatte ihm mehrere schmale Streifen seiner Haut abgezogen. Dort, wo sie fehlte, sah man die blutigen Muskeln schimmern.

Sie tun es also noch immer. Auch Jon war mit einem solchen Narbennetz gezeichnet. Shay spürte einen unbändigen Zorn in sich aufsteigen. Tom merkte sofort, was mit ihr los war, und wollte sie beruhigen.

»Sie haben ihn betäubt. Er spürt die Schmerzen nicht, sonst könnte er nicht dort oben stehen.«

Fast unmerklich nickte sie. »Was haben sie vor?«

Der Richter trat neben den Gefangenen, die Soldaten stießen den Mann brutal auf die Knie. Er fiel, stützte sich mit den Armen ab und richtete sich mühevoll auf.

»Unlesbar und betäubt. Ich kann ihm kaum helfen«, flüsterte Shay. Und doch hob der Gefangene den Kopf und sah in Shays Richtung.

Der Richter hatte eine Ansprache begonnen. Shay konzentrierte sich mehr auf den Gefangenen als auf den Inhalt. Er schwadronierte über Recht und Gerechtigkeit, die Allmacht der Föderation und die Weisheit des Obersten Rates. Dann verkündete er etwas, was der Menge den Atem stocken ließ.

»Kraft des heutigen Tages ist jeder Richter der Föderation dazu ermächtigt, zur Absicherung der Bevölkerung ohne Unterstützung von Beisitzern und Geschworenen und über die Empfehlung der Föderationsanwälte hinweg nach eigenem Ermessen ein Urteil zu sprechen. Und …«, der Mann trat an einen der seitlich stehenden Wachsoldaten heran, die als Ausrüstung ihrer Paradeuniform eine skalpellscharfe Pike an der Seite trugen, ließ sich die Waffe reichen und präsentierte sie den Zuschauern. »… mit der Änderung der Gesetze über die Vollstreckung von Urteilen ist dem Richter gestattet, überführte Verbrecher sofort zu richten.«

Mit einem kühnen Schwung schleuderte der Richter die Pike auf den knienden Gefangenen. Die Waffe traf den Mann am Hals und trennte den Kopf fast ab. Eine Fontäne von Blut pulsierte aus der grässlichen Wunde und bespritzte die vorderen Zuschauer. Und Shay.

»Rauf auf die Bühne!«, befahl sie Tom. Etwas Unkontrollierbares geschah mit ihr. Ihre Wut über die Selbstherrlichkeit des Richters ließ ihr blaues Licht aufblitzen. Sofort machten die Menschen um sie herum Platz. Tom half ihr auf die Bühne und sprang hinterher. Den Umhang hatte er abgeworfen, das Schwert gezogen. Die Menge raunte auf. Shay reckte ihre linke Hand mit dem Tattoo vor und ließ das blaue Leuchten auf den Richter und die Soldaten springen, sie waren sofort gelähmt.

Die Zuschauer gerieten in Aufruhr über die Lichterscheinung mit dem Krieger, in dem viele den Space-Gladiator Painted Rage erkannten. Nun legte Shay den Tarnumhang ab. Auf ein Handzeichen von ihr beruhigte sich die Menge.

»Im Namen der Alten Garde protestiere ich gegen diese Gesetzesänderung und erkläre sie unter Berufung auf das Veto der Garde für ungültig. Dieser Mann«, ihr Arm deutete auf den Richter, der sie fassungslos anstarrte, »hat seine Kompetenzen überschritten und ohne Beachtung der Gesetze einen Gefangenen getötet. Ich, die Leuchtende Botin, wache ab heute und in Zukunft über das Gesetz der Garde und fordere Gerechtigkeit. Ihr alle seid Zeugen, wie dieser Mann - so wie alle, die Gesetze mit Füßen treten - bestraft wird.«

In der Menschenmenge begann es zu brodeln. Beifall brandete auf, hasserfüllte Rufe wurden laut.

»Sie machen mit uns, was sie wollen.«

»Wir haben dieses Richterpack satt!«

»Töte ihn!«

Tom hatte Shays Kommando empfangen. Er trat mit drei schnellen Schritten hervor, schwang dabei das Schwert des letzten Kriegers elegant über seinem Kopf und trennte das Haupt des Richters mit einem einzigen, sirrenden Satz von dessen Rumpf. Wie ein Ball kullerte der Kopf vor Shays Füße.

Ein zunächst entsetzter kollektiver Aufschrei brandete aus der Menge zur Bühne hoch und verwandelte sich binnen Sekunden in ausgelassenen Jubel.

Shay konzentrierte sich mit ganzer Kraft auf das Licht. Es sprang in Kaskaden von einem Menschen zum anderen, baute innerhalb der Arena ein Netz aus Lichtfäden und brachte die Botschaft der Rebellen in die Köpfe der Einwohner der Hauptstadt: »Freiheit der Gedanken! Nieder mit dem Rat!«

»Wir müssen uns zurückziehen«, signalisierte ihr Tom. »Die Soldaten beginnen sich zu wehren.«

Zwei der unlesbaren Soldaten bewegten sich auf Tom zu. Er kämpfte sie elegant nieder, bewegte sich wie ein Tänzer zwischen angreifenden Büffeln und tötete sie. Michaels Männer stürmten auf die Bühne und rangen mit den anderen Wachsoldaten, die aus ihrer Schreckstarre erwachten und sich auf Shay und Tom stürzen wollten.

Meine Kraft lässt nach. Tom hat recht, wir müssen hier raus. Shay rief der Menge noch zu: »Die Alte Garde lebt. Achtet die alten Gesetze. Nieder mit dem Rat!«

Dann brach in der Arena die Hölle aus. Michael und seine Männer bildeten einen Schutzring um Shay, verwickelten die Soldaten in Kämpfe und brachten Tom und Shay in Sicherheit …

Nun lag sie hier auf dem kargen Lager in der Erzmine. Ich habe Tom gezwungen zu töten. Ich sollte es wenigstens selbst tun. Was würde Jon sagen? Sie erinnerte sich an seine Worte, noch vor wenigen Wochen. »Wir werden nicht gewinnen, wenn wir uns nicht an ihrem Blut die Hände schmutzig machen. Ihr Tod ist der Preis für unsere Freiheit.«

Das Töten hatte begonnen.

Planet Academia, Artenaya-Solis, Rebellennetz

Hawk hängte sich mit seinem Raumgleiter beim Anflug auf den Planeten Academia so geschickt an eine der großen Fähren, dass der Atmosphäreneintritt des schnellen Raumschiffs mit vier Personen an Bord bei keiner offiziellen Luft- und Raumaufsichtsbehörde registriert wurde. Die Annäherung an den Außenbezirk von Artenaya-Solis, den Elrion als idealen Landeplatz für die Kontaktaufnahme beschrieben hatte, dauerte allerdings mehrere Stunden.

Elrion fragte alle paar Minuten, wann sie jetzt endlich da wären. Schließlich platzte Hawk der Kragen.

»Es reicht jetzt, Mädchen. Wir werden noch drei Stunden fliegen, schneller geht es nicht. Oder willst du, dass sie uns erwischen? Sie werden uns sofort haben, wenn wir uns nicht vorsichtig und unterhalb ihrer Radarerfassungen nähern.«

Außer Elrion, der Tochter des hingerichteten Boten Carrion, waren noch Wally, einer der abtrünnigen Soldaten, und die Ärztin Mik an Bord der Hunting Eagle. Mik bemerkte, wie hart Hawks harsche Worte das Mädchen trafen, und zog Elrion zu sich in eine Sitznische. Mik konnte ja verstehen, warum Elrion sich so sehr freute und es gar nicht erwarten konnte, nach Hause zu kommen. Auch wenn ihr Vater nicht mehr da war.

»Komm her, setz dich zu mir. Du wirst sehen, die letzten Stunden vergehen auch noch. Erzähl mir was von eurer Truppe. Wen werden wir kennenlernen?«, versuchte sie Elrion abzulenken.

Es folgte das Gleiche wie jedes Mal, wenn Elrion anfing, von Academia zu erzählen. Nach einigen kurzen Sätzen landete sie in schwärmerischen Tönen beim Thema Asmael. Hawk hatte auf dem ganzen Herflug wirklich Geduld bewiesen, das stand für Mik fest. Durch geschicktes Fragen hatte er die Informationen aus Elrion herausgekitzelt, die für den Anfang ihrer Mission so enorm wichtig waren: die Landung in unmittelbarer Nähe der Hauptstadt und die Annäherung an das Netzwerk der Rebellen. Doch immer wieder war durchgeklungen, wie sehr das junge Mädchen sich auf den ehemaligen Botenkrieger ihres Vaters freute. Für Mik lag es glasklar auf der Hand: Elrion war verliebt.

Sie gönnte es dem hübschen Mädchen, das gerade dabei war, zur Frau zu erblühen. Mit dieser Freude, den Krieger Asmael wiederzusehen, kompensierte sie das Leid um den Tod ihres Vaters Carrion und den Verlust ihres Freundes Judd.

Elrion plapperte wieder munter vor sich hin, während Mik ihr die langen, braunen Haare zu einer komplizierten Frisur flocht. Das Mädchen hatte Hawks Rüffel schon wieder vergessen.

Hawk hatte mit Wallys Hilfe auf den elektronischen Karten einen Landeplatz neben einer riesigen Mülldeponie ausgespäht, die Elrion ihnen als Zielort angegeben hatte. Der Raumgleiter würde hier - noch dazu im Tarnmodus - hoffentlich lange Zeit unentdeckt bleiben. Allerdings machte er sich einige Sorgen, wie sie von dort in die Stadt und bei Bedarf wieder zum Raumschiff gelangen konnten.

»Elrion«, rief er das Mädchen, das noch immer mit Mik plauderte, »wir sind gleich da. Kennst du dich in der Gegend gut aus? Wie kommen wir an ein Fahrzeug oder einen Bodengleiter?«

Sie kam zu der elektronischen Karte und Hawk zeigte ihr den Landeplatz. »Das ist gut! Wir werden kein Fahrzeug brauchen. Wir müssen nur ein Stück laufen.«

Die Ausstiegsluke öffnete sich und sofort schlug ihnen der faulige Geruch eines gigantischen Abfallberges entgegen. Nur Elrion schien das nichts auszumachen, Hauptsache, sie war wieder zu Hause. Die anderen verzogen alle vor Ekel das Gesicht.

Wenigstens ist der Boden halbwegs fest. Hawk sprang als Erster nach draußen. Der Abraum an dieser Stelle bestand überwiegend aus Bauschutt und Plastikschrott, stellte er fest. Einigermaßen sicher als Unterlage für die Hunting Eagle.

Die Schwärze der Nacht wurde durch einige schwelende Feuer spärlich erleuchtet. Auf dem Umgebungsscanner hatten sich die Mitglieder der kleinen Crew noch im Raumschiff die Koordinaten des Landeplatzes eingeprägt und versucht, sich die Umgebung zu erschließen. Das Gelände war weitläufig und ungesichert, es schien, als würde die Deponie ihre Arme wie gierige Tentakeln wild in das Umland ausbreiten.

Nur wenige Straßen durchzogen das Gelände, fächerförmig breiteten sie sich aus, an ihren Enden rechts und links der Fahrbahnen wuchsen die Abfallberge. An den wenigen Knotenpunkten der Fahrwege machte Hawk einige Gebäude aus, die sich in der Struktur alle ähnlich sahen. Es handelte sich um flache, L-förmige Baracken.

Hawk hatte den Raumgleiter direkt auf einem relativ ebenen Müllfeld abgestellt, das ein ganzes Stück von der nächsten Zufahrtsstraße entfernt lag. Der Gleiter verschwand im Tarnmodus.

»Hoffen wir nur, dass sie dich nicht mit Müll zuschütten.« Liebevoll klopfte Hawk noch einmal an die Außenhülle seines Raumgleiters, dann machte sich der kleine Trupp auf den Weg.

»In welcher Richtung liegt die Innenstadt?«, hatte Elrion Hawk nur gefragt, nachdem sie ausgestiegen waren. Hawk befragte den Umgebungsscanner seines Communicators und deutete in die Richtung. Elrion drehte sich mit dem Gesicht dorthin.

»Ist die Innenstadt eine Orientierungshilfe?«, hakte Hawk nach. »Elrion, du musst uns sagen, was du weißt. Es könnte sein, dass wir getrennt werden. Wir müssen uns auch ohne dich zurechtfinden.«

Elrion nickte. »Von der Innenstadt aus hat sich die Mülldeponie ausgedehnt. Wir müssen näher zur Einfahrt, und die liegt nun mal in Richtung der Innenstadt. Und dann müssen wir eine bestimmte Kreuzungsbaracke finden. Kannst du mit deinem Communicator einen Radius von einer Meile um das erste Eingangstor der Deponie ziehen? Auf dieser Höhe liegt einer der Zugänge zu unserem Netz.«

Hawk bestimmte den von Elrion gewünschten Abstand. Sie blickte auf die Skizze auf Hawks Communicator. »Hierhin. Wir müssen zu der Stelle, wo sich der Radius mit einer der Baracken kreuzt.«

Als sie erst einmal von dem stinkenden Müllfeld herunter und auf einer der Straßen angekommen waren, kamen sie schneller voran. Hawks Nachtsichtbrillen, von denen er jedem Crewmitglied eine gegeben hatte, halfen ihnen, den Weg zu finden.

Mik quiekte einmal entsetzt auf, als sie mit dem Fuß im Müll einsank und eine ganze Rattenhorde aus dem Loch quoll. Grinsend zog Wally sie wieder heraus und half ihr auf.

Die Crew näherte sich der ersten Baracke. Hawk flüsterte Elrion zu: »Wir müssen vorsichtig sein. Lass mich erst nachsehen, ob jemand drin ist.«

Elrion blieb stehen. »Kannst du das von hier aus feststellen? Es sollte um diese Uhrzeit niemand da sein. Die haben hier noch nie nachts gearbeitet.«

Hawk hielt seinen Communicator in Richtung der Baracke. Das ausgefeilte Gerät, das eine Vielzahl von Funktionen mehr draufhatte als jeder andere Communicator, den er kannte, zeigte keine Wärmefelder an, die von Menschen stammten. »Leer«, sagte er zu Elrion.

Sie nickte. »Aber es ist noch nicht die richtige.«

Der kleine Trupp marschierte noch eine gute halbe Stunde, dann waren sie nach Elrions Meinung bei der richtigen Baracke angekommen. Auch hier waren keine Menschen aufzuspüren. Wally schlich auf Hawks Zeichen einmal um die Baracke herum und versuchte hineinzuspähen.

»Die Luft ist rein. «

Elrion kannte den Mechanismus, der eine Seitentüre öffnete, und schlüpfte ohne zu zögern hindurch. Hawk sicherte zunächst den Innenraum, dann folgten die anderen. Es war stockfinster, sogar die Nachtsichtbrillen zeigten nur noch wenige Umrisse.

Elrion drehte sich zu Hawk um. »Es ist zu dunkel. Ich brauche ein bisschen Licht.«

Hawk gab ihr eine Stableuchte. »So wenig Licht wie möglich«, schärfte er ihr noch ein.

Ungeduldig nickte sie und hatte im Lichtkegel schnell gefunden, was sie suchte. Ein unauffälliger, fast verwischter Pfeil zeigte auf den Boden. »Wally, hilfst du mir mal?« Elrion hatte eine Kette gepackt, die an dieser Stelle von der Decke hing. Wally zog daran. Direkt neben ihnen öffnete sich eine schmale Luke zu einem Kellergang.

»Wohin führt der Gang?« Hawk leuchtete hinein. Treppen führten in die Tiefe. Der Schacht schien sicher und ausgebaut.

»Er führt zu einem unterirdischen Zufluchtsraum. Wir müssen nur dorthin und warten, dann wird uns jemand finden, der uns weiterhilft.«

Mik fand den ganzen Ausflug bisher sehr spannend. Na ja, das Rattenloch hätte sie nicht unbedingt gebraucht. Nun dachte sie aber für einen Moment: Hoffentlich finden uns die Richtigen. Doch Elrion schien sich absolut sicher zu sein.

Im Tunnel blieb die Stableuchte an. Elrion verschloss die Einstiegsluke mit Wallys Hilfe, dann ging sie forsch voran, als würde sie sich in ihrem Zuhause bewegen.

Der Gang war hoch genug, nicht einmal die großen Männer brauchten den Kopf einzuziehen. Die Wände waren teilweise gemauert, teilweise betoniert und sogar an den Stellen, wo sich der Gang durch Erdreich oder Gestein zog, immer professionell abgestützt, sodass nicht mit einem Einsturz zu rechnen war.

Nach etwa einer halben Stunde öffnete sich der Gang in eine Art Schutzraum. Elrion suchte die Wände ab. In einer kleinen Nische fand sie einen Communicator und gab eine Nachricht ein. »So, nun brauchen wir nur noch zu warten.«

Hawk überprüfte nervös die beiden Ausgänge. Erleichtert fand er einige Lüftungsschächte. »Wir sollten uns ausruhen. Wer weiß, wie lange wir warten müssen. Warum können wir nicht weitergehen, Elrion?«

»Wer nicht warten kann, ist ein Feind«, erklärte sie ihm geduldig. »Es ist eine der Verhaltensregeln bei uns. Wir schützen uns gegenseitig. Einer unserer Leute wird jetzt abkommandiert, um uns auf das Signal hin zu holen. Nur einer. Wenn er uns überprüft hat und feststellt, wir sind in Ordnung, können wir weiter.«

»Und wenn nicht?«, fragte Mik.

»Dann löst er einen Mechanismus aus und sprengt den Tunnel und diesen Raum in die Luft.«

»Aber dann geht er ja mit uns drauf!«, kam Miks erstaunte Feststellung.

Elrion nickte. »Wir müssen bereit sein zu sterben, damit die Bewegung überlebt. Damit die anderen überleben«, sagte sie ernst.

»Dann sitzen wir also zunächst mal schön in der Falle.«

Alle außer Elrion stimmten Wallys gemurmeltem Satz im Geiste zu.

Es dauerte über eine Stunde, da hörten sie aus dem zweiten Gang näherkommende Schritte schwerer Stiefel. Hawk leuchtete in den Gang. Auf Sichtweite machte dieser einen Knick. Hier verstummten die Schritte. Eine Stimme war zu hören.

»Die Würde des Menschen …«

»… verteidige ich mit meinem Blut!« Aufgeregt hatte Elrion den Satz vervollständigt und stürzte sich nun mit einem Freudenschrei in den Tunnel. »Asmael!«

Ein großer Mann kam um die Ecke und fing das lachende Mädchen auf, das in seine offenen Arme flog.

»Elrion!« Er schwenkte sie herum und setzte sie dann vorsichtig ab. Ernst waren seine Augen, als er sie ansah. »Warum bist du zurückgekommen? Du weißt, was geschehen ist?«

Elrion nickte. »Ich habe Vaters Hinrichtung auf Heritage gesehen. Ich habe Freunde mitgebracht. Sie wollen uns helfen.«

Hawk war herangekommen und stellte sich, Mik und Wally vor. Er musterte den großen, blonden Mann mit den sanften braunen Augen. Das war also Carrions Krieger. Er trug die unauffällige Kleidung der Servants. »Wir suchen den Kontakt zu Rebellennetzen der Planeten. Wir haben eine Möglichkeit gefunden, uns zu koordinieren. Und wir brauchen hier in Artenaya-Solis eure Hilfe.«

Asmael hielt Hawks Blick stand. Schließlich lächelte er und reichte ihm die Hand. »Wenn Elrion euch mitgebracht hat, müsst ihr in Ordnung sein. Willkommen im Underground von Artenaya-Solis.«

Wie beseelt sprang Elrion neben Asmael her, der die kleine Gruppe durch die Gänge und über mehrere Abzweigungen führte. Wir finden hier nie mehr zurück, dachte Mik. So lange unter der Erde zu bleiben war ihr unheimlich.

»Keine Sorge. Wenn wir uns ein bisschen besser kennen, weise ich euch ein. Unsere Flucht- und Rettungswege haben ein paar Besonderheiten.«

Asmael hatte unvermittelt gesprochen. Hawk und Wally blieben irritiert stehen.

»Oh, sorry. Ich bin ein Telepath. Im mittleren Bereich des zweiten Grades. Mik hat gerade laut gedacht.« Asmael grinste die kleine Truppe an. »Ihr habt doch Erfahrung mit Telepathen?«

Hawk lächelte ebenfalls. »Mehr als genug. Mik war scheinbar einen kleinen Moment unaufmerksam.«

Asmael lachte und schlug Hawk anerkennend auf die Schulter, als er bemerkte, wie gut Hawk es verhindern konnte, dass er sich in dessen Kopf umsah.

Raumgleiter Starflyer

Was ist nur mit ihr los? Devenja geht es richtig elend. Seit Hanout die Starflyer bei ihrem Abflug von Beaver Creek hochgezogen und durch den Tornado gesteuert hatte, hing Devenja in der kleinen Sanitärzelle und benutzte einen Spuckbehälter nach dem anderen. Sie stöhnte laut und schrie manchmal unwillkürlich auf, wenn die Starflyer einen Ruck machte - ihre Verletzungen von der stundenlangen Folter machten ihr schwer zu schaffen.

Die Starflyer hatte wie geplant die Atmosphäre des Planeten Heritage unbemerkt verlassen und war auf einem neuen Kurs. Das Ziel der beiden Ex-Botenkriegerinnen war der Planet Academia. Hanout wollte dort auf ihren Gefährten Hawk und die Rebellen treffen, um sich ihnen anzuschließen und die weiteren Schritte zu planen.

Kurz vor dem Eintritt in die Lichtsprungkette überprüfte Hanout noch einmal die Programmreihe für die Lichtsprünge nach Academia, als ihr eine Nachricht auffiel, die in Bodennähe auf Heritage noch nicht empfangen werden konnte. So schnell wie möglich machte sie sich an die Entschlüsselung.

»Dev, geht es schon besser? Unser Ziel ändert sich gerade«, rief sie nach hinten in Richtung Devenja. »Wir werden zuerst nach Treasure fliegen und Shay abholen. Dev, hast du gehört? Sie hat eine Nachricht geschickt.«

Aus der engen Sanitärzelle hörte Hanout nur ein erneutes Würgen.

Ich kann nicht mehr warten. Je länger sie mit dem Raumgleiter auf dieser Position in der Nähe von Heritage blieb, desto schneller konnten sie entdeckt werden. Hanout änderte die Programmierung nach den Angaben des Funkspruchs. Ein ungutes Kribbeln hatte sich in ihrem Magen ausgebreitet. Was, wenn ich bei der Reparatur der Starflyer doch etwas übersehen habe? Dann sind wir in fünf Sekunden Sternenstaub. Devenja, sorry, falls ich uns jetzt gleich umbringe.

»Dev, halt dich fest, es geht los!«, rief Hanout. Sie holte noch einmal tief Luft und startete mit einem Tippen ihrer Fingerkuppe auf den Steuerungsmonitor die Lichtsprungkette. Ein paar Sekunden später atmete sie erleichtert auf. Die Starflyer war intakt. Devenja würgte weiter.

Sie war grün im Gesicht, als sie endlich das Sanitärpanel verließ. Müde und mit tiefen, dunklen Ringen unter den Augen legte sie sich auf die Bank einer Sitznische im Cockpit der Starflyer. Jeder ihrer Bewegungen sah man die Schmerzen an.

Hanout fragte sie besorgt: »Seit wann verträgst du das Fliegen nicht mehr?«

Flugtauglichkeit und die Resistenz gegen Flugkrankheit waren Grundbedingungen für den Dienst in der Raumflotte, zu denen die Boten und ihre Botenkrieger gehörten, die sich ja ständig im Weltraum bewegten.

Devenja zuckte erschöpft mit den Schultern. »Keine Ahnung. So beschissen ist es mir noch nie gegangen.«

»Hast du das vorhin mitgekriegt? Wir sind auf dem Weg nach Treasure. Wir holen Shay und Tom da ab.«

Devenja nickte mühsam. »Wie wär’s, wenn du mir mal ein bisschen was zu eurer Truppe erzählst? Was muss ich wissen, wenn ich mit euch kämpfen soll? Wer ist Tom?«

So wie du aussiehst, wird das nichts mit dem Kämpfen, dachte Hanout. Aber sie hat recht. Sie weiß nichts von uns.

Der Flug von Heritage nach Treasure dauerte fast drei Tage. Hanout hatte also jede Menge Zeit, Devenja von Shay und ihrem Team zu erzählen. Hanout berichtete ihr schließlich auch, wie Trystan gestorben war.

Nachdenklich meinte Devenja dazu nur: »Er hat es wohl nicht anders verdient.«

Am zweiten Flugtag ging es Devenja etwas besser. Sie schlief viel, behielt zumindest die Flüssigkeit im Magen, die Hanout ihr immer wieder hinstellte. Die im Wasser aufgelösten Energieriegel sowie Nitas Medikamente sorgten dafür, dass sich Devenja nach und nach erholte. Alle paar Stunden half Hanout Devenja, die Verbände zu wechseln und die verbliebenen Wunden zu versorgen.

Devenja hatte sich zuerst geziert. »Kann ich alleine«, hatte sie Hanout angeschnauzt, als die ihr helfen wollte. Doch das war nicht an allen verletzten Stellen möglich.

»Stell dich bloß nicht so an. Wenn du mich nicht helfen lässt«, dabei hatte Hanout gemein gegrinst, »erzähle ich dir was von Debbies großartigen Eintöpfen …«

Devenja sprang auf und übergab sich erneut. Von da an war sie mit Hanouts Pflegehilfe einverstanden.

Hanout dachte sich ihren Teil. Von ihrem Botenjob her kannte sie Devenja schon lange. Sie waren nie Freunde gewesen, dazu war ihre Auffassung vom Job zu unterschiedlich. Hanout und ihre Botin Shay waren Abtrünnige geworden, Devenja und ihr Bote Trystan zählten zu den grausamsten und systemloyalsten Botenteams des Multiversums. Es war schon ein Hohn, dass ausgerechnet Devenja nun mit Duldung des Rates so gefoltert worden war. Hanout kannte den Mann, der sie so zugerichtet hatte. Sie muss verdammt gelitten haben. Sie tut es noch immer. Hoffentlich reißen ihm die Männer zu Hause in Beaver Creek den Arsch auf.

»Dev, willst du darüber reden?«, fragte Hanout Devenja einmal und erntete ein bitterböses »Worüber denn?«.

»Ach, übers schöne Wetter auf Heritage, dumme Kuh«, schnauzte Hanout zurück. Sie war tief betroffen, als Devenja daraufhin zu weinen anfing. Hanout ging zu ihr und umarmte sie. »Hey. Entschuldigung. Ich will dir nicht wehtun. Ich will dir nur helfen.«

»Niemand kann mir helfen!«, schluchzte Devenja an Hanouts Schulter. »Ich will zurück.«

»Zu Dice?«, fragte Hanout erstaunt.

»Dem ziehe ich die Haut in millimeterbreiten Streifen vom Schwanz, wenn ich den noch einmal sehe«, stieß sie zornig hervor. »Ich will zu meinem Bären.«

Oh, sie hat sich verliebt. Sie meint sicher Yellow Bear.

»Die Kleine braucht Milch. Sie frisst noch nichts Festes. Wer kümmert sich jetzt um sie, wenn Bear …«, und an dieser Stelle heulte sie so richtig los. Als sie sich etwas beruhigt hatte, erzählte sie Hanout ein wenig über die beiden Bären, den kleinen und den großen.

Hanout tätschelte ihr sanft den Rücken. Wenigstens hier hatte sie keine Wunden. Mit ihren Worten wollte sie Devenja trösten: »Wenn wir unseren Job gut gemacht haben, kehren wir zurück. Ich will mit Hawk in Beaver Creek leben. Wir werden eine Horde Kinder in die Welt setzen und dafür sorgen, dass sie es gut haben. Du kommst mit …«

»Ich kann nicht!« Devenja schluchzte zum Herzzerreißen. »Ich kann niemals mehr zurück. Nicht, nachdem was geschehen ist! Nicht, nachdem ich euch verraten habe. Er wird mich hassen!«

Das sitzt wirklich tief. Hanout wusste nichts mehr zu sagen. Sie hielt Devenjas Tränen einfach aus. Vielleicht wird es besser, wenn ein bisschen Zeit vergangen ist.

Hanout machte sich gewaltige Sorgen, was am Ende der Lichtsprungkette wohl auf sie warten würde. Die Flugtage waren ohne Zwischenfälle vergangen, nur wenige Stunden trennten sie noch von ihrem Ziel. Wenn die Raumflotte der Föderation schon die eher unbedeutenden Planeten Balance und Heritage rund um die Uhr überwacht, dann muss die Überwachung von Treasure doch besonders genau sein.

Immerhin wusste die Föderation, dass hier die größte Rebellenaktivität zu verzeichnen war. Wieder und wieder rechnete Hanout die Programmierung nach Angabe der Koordinaten aus dem Funkspruch durch. Schließlich bat sie Devenja um eine Überprüfung. Nach einer Weile sah Devenja von dem Monitor auf, an dem sie Hanouts Algorithmen nachrechnete.

»Ich denke, das stimmt alles. Ich hoffe nur, dieses Teil hier«, sie klopfte auf das Schaltpult der Starflyer, »hat eine funktionierende Schubkraftumkehr und einen Bremsschirmverstärker. Sonst werden wir mit dieser Eintrittsgeschwindigkeit irgendwo wie eine Megabombe einschlagen.«

Hanout fiel es wie Schuppen von den Augen. Sie schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. »Na klar, das meinte der Funkspruch mit Achtung, hohe Eintrittsgeschwindigkeit! Die Koordinaten enden nicht in einer Umlaufbahn, sondern direkt innerhalb der Atmosphäre! Wir werden für die Suchsysteme der Föderation zu schnell sein! Kein normaler Navigator lässt den Lichtsprung innerhalb der Atmosphäre enden!« Hektisch begann sie mit einigen Überprüfungen der Systeme. »Du hast recht, wir müssen darauf gefasst sein alle verfügbaren Bremssysteme zu aktivieren, und zwar in dem Moment, in dem wir am Ende der Lichtsprungkette ankommen! Hilf mir.«

Systematisch machten Devenja und Hanout die Starflyer für den Eintritt in die Planetenatmosphäre auf Treasure klar. Devenja war wie Hanout als Botenkriegerin an allen neuen Flug- und Raumfluggeräten ausgebildet und staunte dennoch über die Starflyer und ihre ungewöhnliche Ausstattung.

Hanout lächelte stolz. »Ja, ohne die Starflyer und die Hunting Eagle gäbe es für uns keine Rebellion.« Sie streichelte gedankenverloren über das Schaltpult. »Und jetzt werden wir sehen, ob die Maschine auch diese Herausforderung annimmt. Falls nicht, dann leben wir noch genau«, sie checkte den Timer eines Monitors, »drei Minuten und 23 Sekunden. Auf mein Kommando!«

Die beiden Frauen versanken in Konzentration. Hanout überwachte den Höhenmesser und würde die Geschwindigkeit manuell korrigieren, Devenja musste im richtigen Moment die Rückschubtriebwerke zünden und die beiden Bremsschirme der Starflyer aktivieren.

»Der Countdown läuft! Fünf, vier, drei, zwei, eins: ZÜNDUNG!«

Planet Academia, Artenaya-Solis, Ratshauptquartier

Mit einem Satz sprang Sorren bäuchlings an die Dachkante und bekam den Umhang der Rätin im letzten Moment zu fassen. Nilufeshs Schrei gellte in seinen Ohren. Sie zappelte und klammerte sich an den Stoff.

»Halt still«, keuchte er. »Halte dich gut am Kragen fest, sonst erwürgt er dich. Ich zieh dich wieder rauf.«

Sorren stemmte sich Halt suchend in den Boden und zog den schweren Stoff Stück für Stück zurück auf das Dach, bis Nilufeshs Hände sichtbar wurden. Er kam nicht weiter, ihr Umhang hatte sich irgendwo verhakt. Nilufesh krallte sich verzweifelt an einem kleinen Vorsprung über der Dachkante fest. Ihr Gewand zerrte an ihr und wollte sie von der rettenden Kante fortziehen.

»Festhalten, Lu! Halt noch einen Moment aus! Dein Umhang hat sich verfangen. Ich löse den Verschluss. Halt dich gut an der Kante fest!«, stieß Sorren mit vor Anstrengung gepresster Stimme hervor. Es gelang ihm endlich, mit einer Hand an das Band zu kommen, das den Umhang an ihrem Hals festhielt. Nilufesh schrie auf, als das Gewicht des schweren Stoffes noch einmal an ihr zerrte, dann füllte sich der befreite Umhang wie ein Ballon mit Luft und schwebte in die schier unendliche Tiefe. Endlich konnte Sorren sie unter den Armen packen und über die Dachkante ziehen. Beide lagen schwer atmend da und starrten in den blauen Himmel.

Nach einigen Minuten setzte Nilufesh sich auf und kroch vorsichtig zum Dachrand, um dem Umhang hinterher zu spähen. »Nun hast du tatsächlich etwas gut bei mir, Sorren«, murmelte sie.

»Komm jetzt endlich da weg. Wir müssen reden. Es wird Zeit.«

Sorren führte Nilufesh durch die unterirdischen Gänge des Ratshauptquartiers in Richtung des Spaceports. Niemand hielt sie auf, niemand nahm die Oberste Rätin und den Ersten Boten wahr. Gemeinsam konnten sie eine Illusion aufbauen, die sogar Unlesbare verwirrte.

In einem kleinen Wartebereich unterhalb des Spaceports hielt Sorren an. Er wies auf eine Tür, die in eine Art Aufenthaltsraum führte. Nilufesh ging hinein und sah sich um. Auf dem Weg hierher hatten beide geschwiegen. Sorren hatte diese Zeit dringend gebraucht, um sich zu überlegen, was er Nilufesh anvertrauen wollte. Noch war er sich nicht darüber im Klaren.

Sorren schaltete die Verglasung des Wartebereichs auf Verdunkelung, sodass niemand von außen hereinsehen konnte. Dann folgte er Nilufesh in den kleinen Raum und zog die Tür hinter sich zu. Er tippte etwas in seinen Communicator. »Alles in Ordnung. Dieser Raum ist sauber. Hier sind wir weit genug weg von seiner Überwachungsmaschinerie.«

Nilufesh nickte müde. Sie hatte sich an einem einfachen Tisch niedergelassen, Sorren blieb an der Tür stehen.

Die Rätin hatte sich wieder gefangen. Mit ihren strengen Augen sah sie ihn an. »Nun? Du bist mir eine Antwort schuldig. Immerhin hättest du mich gerade sterben lassen können. Warum hast du die Chance nicht genutzt?«

Das Gespräch wird nicht einfach werden, war Sorren klar. Er wischte sich mit der Hand über das Gesicht. »Gerade du solltest wissen, dass ich nie auf der Seite von Arragos stand.«

»Dann sag mir, was mit Jon Matthews passiert ist.«

»Er ist in Sicherheit. Er lebt. Ich habe ihn betäubt und mithilfe seines Adjutanten fortgeschafft. Ich musste Rick glauben lassen, die Situation sei echt. Einer musste die Ausführung von Arragos’ Befehl bezeugen. Es tut mir leid, dass es den Jungen deshalb erwischt hat.«

Nilufesh neigte leicht den Kopf.

Sie fängt endlich an, mir zu glauben.

»Wohin hast du Jon gebracht?«

»Lu, bevor ich dir das sage, muss ich dich an etwas erinnern.«

Fragend sah sie ihn an.

»Für den Fall, dass ich dir Jon Matthews hierher schaffe, hast du mir einen Gefallen versprochen.«

»Du hast Jon in deiner Gewalt und willst mich jetzt erpressen?«

Sie war aufgesprungen. Wieder funkelten ihre Augen.

Doch Jons Glitzern ist weitaus stärker, fiel Sorren auf. »So würde ich das nicht sehen. Ohne Arragos’ Befehl wäre er jetzt dein Hauptmann und würde auf deine Räume aufpassen. Für den Tötungsbefehl konnte ich nichts. Ich habe ihn dir also gerettet. Deinen Sohn, wie ich nun weiß. Wäre das nicht Grund genug, dein Versprechen einzulösen?«

Die Rätin zögerte. »Was erwartest du von mir?«

»Eine Amnestie. Für eine einzige Person. Weiter nichts.«

Nilufesh lachte hysterisch. »Und warum gehst du damit nicht zu deinem Freund Arragos?«

»Sei nicht albern, Lu. Er war nie mein Freund. Du warst lange Jahre seine engste Verbündete.«

»Aber er ist der Chef des Rates. Ohne seine Zustimmung ist eine Amnestie wertlos.«

»Nicht wenn der Rat sich neu konstituiert. Oder wenn er unvollständig ist. Was theoretisch im Moment durch die Krankheit von Senson und den unzurechnungsfähigen Lagoras der Fall ist.«

»Du weißt von Lagoras?«

»Das Hauptquartier ist voller Spitzel, vergiss das nicht. Der alte Mann ist nicht mehr bei Trost. Der Rat der Fünf ist handlungsunfähig. Und damit ist nach dem Gesetz seine Handlungsvollmacht aufgehoben.«

Nilufesh nickte. Auf der einen Seite war das eine gefährliche Situation, auf der anderen Seite erkannte sie nun, dass ihr diese Sicht der Dinge auch eine Menge Handlungsspielraum lieferte. »Für wen willst du die Amnestie?«

»Die Exbotin Shay Cameron.«