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Gegen Ende des Kalten Krieges wird im Herzen des kriegszerrütteten Angolas ein Teilchenbeschleuniger sabotiert. Urzeitlicher Schrecken fällt über die Savannen her und fordert bei der Bildung eines neuen Ökosystems unzählige Opfer. Zwei angolanische Kopfgeldjäger werden damit beauftragt, ein Team aus Elitesoldaten und eine Gruppe mysteriöser Paramilitärs zu dem verlassenen Teilchenbeschleuniger im südlichen Hochland zu führen. Während die Männer um ihr Überleben in dieser feindlichen, vergessenen Welt kämpfen, droht die Welt, vom Krieg für immer verändert zu werden - dem Krieg gegen die Dinosaurier. ★★★★★ »DINO WAR: Angola ist ein Juwel, ein Buch, welches nicht nur eine Hommage an Science-Fiction-Autoren wie Michael Crichton ist, sondern auch die dunklen Aspekte der menschlichen Psyche beleuchtet, und Männer, die versuchen, ihre finstersten Impulse zu überwinden.« - Amazon.com ★★★★★ »Der Detailreichtum ist einfach phänomenal. Ich konnte mich immer schon für Paläontologie begeistern, und die Art, wie dieses Buch Kindheitsträume mit unserer heutigen Welt vereint, war ein ganz besonderes Lesevergnügen.« - Amazon.com ★★★★★ »Das krasseste Dinosaurierbuch aller Zeiten! Wer Dinosaurier und knallharte Typen mit Kanonen liebt, sollte sich dieses Buch holen. Mit Abstand eine der lebendigsten Geschichten, die ich je gelesen habe, mit Actionszenen, bei denen einem die Kinnlade herunterfällt.« - Amazon.com
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Seitenzahl: 616
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In Erinnerung an
Joseph Conrad
und
Antonio Lobo Antunes
Gewidmet
Michael Crichton
und
überarbeitete Ausgabe Originaltitel: PRIMITIVE WAR ANGOLA Copyright Gesamtausgabe © 2024 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Cover: Michael Schubert Übersetzung: Philipp Seedorf Lektorat: Manfred Enderle
Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2024) lektoriert.
ISBN E-Book: 978-3-95835-690-0
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
»Was du siehst, ist der Eingang und der Ausgang und die Transformation … diejenigen, die zu Meistern der Kunst der moralischen Perfektion werden wollen, treten hier ein und werden zu Seelen, indem sie den Körper verlassen.«
– Zosimus Alchemista
Region Neu-Fatima, Angola, 20. August 1974
Die Savanne, welche die Region Neu-Fatima in Angola bedeckte, lag ruhig und friedlich unter einem üppigen Vollmond. Ein Nomadenstamm, bekannt als Onjoi, war vor Kurzem zu seiner Heimat auf dem Bié-Plateau zurückgekehrt, um außerhalb der Reichweite des höllischen angolanischen Bürgerkriegs zu bleiben. Die Eingeborenen von Angola, die Bantu und Ovimbundu, bekämpften verbissen seit über einem Jahrzehnt die portugiesischen Kolonialmächte im Unabhängigkeitskrieg. Der Onjoi-Stamm hatte überlebt, indem er sich eine primitive Existenz im angolanischen Herzen der Finsternis aufgebaut hatte, dem Land »am Ende der Welt«, wie es die Soldaten des portugiesischen Militärs nannten.
Sophos Patéras war der Sekulu Ocinibaiida der Onjoi, ihr Häuptling und Schamane. Sophos hatte fast 20 Jahre damit verbracht, sein Volk auf dem steinigen Pfad des Überlebens anzuführen. Durch Sophos’ Listigkeit waren die Onjoi den Rebellenmilizen entkommen, die im ganzen Land gegeneinander kämpften. Sophos hatte seinen ältesten Sohn, Eammon, an die UNITA-Guerillas verloren, die einen großen Teil der Bié-Provinz kontrollierten. Die Guerillakämpfer der UNITA hatten Eammon umzingelt und ihn gedrängt, zu verraten, wo sein Dorf lag, aber Eammon hatte sich geweigert. Sophos hatte seinen Sohn davor gewarnt, dass die UNITA gerne Kindersoldaten rekrutierte.
Die Guerilleros der UNITA töteten Eammon und ließen seinen enthaupteten Leichnam als Warnung für den Onjoi-Stamm zurück. Sophos hatte seinen abgeschlachteten Sohn unter einem Schleier aus violettfarbenen Drillingsblumen begraben, während die Onjoi Trauergebete an ihren Gott Suku sangen. Die Onjoi glaubten, ihr Vaterland existiere in den Träumen ihres Gottes und jedes lebende Wesen auf Erden sei eine archetypische Manifestation von Sukus Unterbewusstsein. Sophos und die Onjoi nahmen an, dass das Reich von Sukus Träumen zu einem Reich der Albträume geworden war, befeuert durch die Angst und den Blutdurst, der den angolanischen Unabhängigkeitskrieg befeuerte.
Sophos hatte den Onjoi-Stamm auf eine anscheinend endlose Odyssee entlang des Kwango-Flusses geführt; über das Bié-Plateau; über die Gipfel des Berges Chrysopoeia und hinab durch den undurchdringlichsten, lebensfeindlichsten Dschungel, den Suku je erträumt hatte. Sophos leitete die Onjoi durch Kriegsgebiete, in denen Feuer und Blei, schnell wie der Blitz, jeden Zentimeter Luft erfüllten, und mit Sukus Segen hatten sie überlebt, ohne dass ein einziges Mitglied des Stammes von einer Rebellenarmee rekrutiert worden war.
Der Onjoi-Stamm hatte sich zeitweilig in einem Teil der Savanne in der Region Neu-Fatima niedergelassen, der weit von allen Bomben und Kugeln des Krieges entfernt war. Sie hatten es geschafft, ein kleines Dorf mit Hütten aus Lehm und Stroh zu errichten, und im umliegenden Miombo-Waldland gejagt und nach Nahrung gesucht. Sophos führte die Jäger nicht mehr an, wenn sie in den Wald gingen, aber er warnte weiterhin die jungen Männer vor den Gefahren, denen sie sich in den Schatten der Nacht gegenübersahen. In den vergangenen 20 Jahren hatten die Löwen und Leoparden Geschmack am Menschenfleisch gefunden, das die primitiven Schlachtfelder von Angola bedeckte.
Sophos hatte seine eigene Frau an einen menschenfressenden Leoparden verloren, aber das war ein verrückter Unfall gewesen, bevor der Krieg begonnen hatte. Der Leopard, dessen Reißzähne abgebrochen waren, hatte nur die am leichtesten zu erlegende Beute jagen können; eine einsame Onjoi-Mutter, die auf ihr Kind aufpasste. Das Kind, Sophos zweiter Sohn, war erst zehn Jahre alt gewesen, als der Leopard seine Mutter vor seinen Augen ausgeweidet hatte. Sophos hatte versucht, seinem Sohn zu erklären, dass nichts Böses in dem lag, was der Leopard getan hatte. Der Leopard war nur ein Tier, das den Willen Sukus erfüllte.
Geduldig hatte Sophos seinem Kind erklärt, dass das einzig Böse, das in Sukus Träumen existierte, die Männer waren, die von Angst verdorben worden waren. Die Männer, die beschlossen hatten, das Leben ihrer Brüder zu nehmen. Sophos hatte seinem jüngsten Sohn versprochen, dass er die Angst verstehen würde, wenn er den Ritus des Olutano Suku Onjoi hinter sich brachte; die Prüfung der Träume Sukus. Als das Kind 16 wurde, wandte er dem Onjoi-Stamm den Rücken zu und floh in die Stadt Silva Porto, um sich dem portugiesischen Militär anzuschließen. Sophos war als Witwer ohne Kinder zurückgeblieben. Er hatte seine Aufmerksamkeit dem Onjoi-Stamm gewidmet, aber selbst Sukus größter Segen konnte kaum den brennenden Schmerz des Verlustes im Herz des alten Schamanen lindern.
Sophos bereitete eine Gruppe junger Onjois auf Olutano Suku Onjoi vor, als der Mond voll und hell am Nachthimmel aufging. Die sieben Initianden waren in Leder von Springböcken und Steinböcken gekleidet, das mit Beerensaft rot gefärbt worden war. Jeder der Onjoi-Initianden war an Handgelenken und Fußgelenken an die Ebenholzstämme gefesselt worden, die das Strohdach der Langhütte des Schamanen hielten. Sophos kniete in der Mitte des großen Holzbaus und stimmte im Singsang ein Gebet an Suku an, während er das Iboga vorbereitete.
Das wirkungsvolle Halluzinogen Iboga war der nötige Katalysator für das heilige Ritual, das aus Jungen Männer machte. Die Onjoi glaubten, indem er die beißend schmeckende Rinde des Iboga-Strauches kaute, konnte ein Onjoi-Junge seinen Körper verlassen und in das Reich des Todes eintreten, die Quelle allen Lebens, in der Suku die gesamte Realität erträumte und real werden ließ. Nur durch den Prozess, seinen Körper zu verlassen und zu erfahren, was jenseits des Lebens lag, konnte ein Onjoi-Junge zu einem echten Mann werden. Das war die Bedeutung von Olutano Suku Onjoi. Es war die Herausforderung, durch den Schleier des Todes zu blicken, um die Quelle des Lebens zu finden.
Sophos hatte von vielen unglaublichen Reisen und Visionen gehört, als er der Sekulu Ocinibaiida des Onjoi-Stammes gewesen war, aber jede Halluzination wurde von schrecklichen körperlichen Leiden eingeleitet; Erbrechen, Krämpfe, manchmal sogar Lähmung und Tod durch den giftigen Wirkstoff. Er wusste, es war das Konzept, den Tod zu umschmeicheln, das seinem jüngeren Sohn große Angst vor Olutano Suku Onjoi eingejagt hatte. Der Junge hatte einmal seinem Bruder Eammon erzählt, indem er dem portugiesischen Militär beitrat, konnte er dem Schatten des Todes entfliehen. Den Onjoi-Initianden hatte Sophos oft erzählt, dass die Angst vor dem Tod die Angst vor dem Unbekannten war. Ohne das Unbekannte zu akzeptieren, konnte man auch nicht Sukus Träume und Albträume akzeptieren.
Sophos stimmte weiter seinen Singsang an, während er die übelriechende, pulverisierte Iboga-Rinde den jungen Initianden in den Mund streute. Es dauerte nur wenige Minuten, bis das starke Halluzinogen zu wirken begann. Er sang lauter die Gebete an Suku, während die Jungen sich wanden, stöhnten und sich übergaben, während sie an die Hütte des Schamanen gefesselt waren. Er entfachte ein Feuer unter einer runden Öffnung im Strohdach, über dem der Mond seelenruhig und kristallweiß am Himmel hing. Sophos sah zu, wie der Rauch über die Krater auf dem Angesicht des Mondes hinwegzog, und lauschte geduldig, wie Erbrochenes plätschernd auf dem Boden landete.
Oft dachte er an seinen jüngsten Sohn, während er das Ritual des Iboga durchführte. Er glaubte, dass sein Junge irgendwo da draußen zum Mann geworden war, der den unterbewussten Willen von Suku erfüllte. Sophos hätte alles in Sukus Schöpfung dafür gegeben, das Gesicht seines verlorenen Sohns zu sehen. Der Junge wäre jetzt ein Mann, wenn er den Unabhängigkeitskrieg überlebt hätte und den darauffolgenden Bürgerkrieg zwischen den verschiedenen Rebellenarmeen. Er bettelte Suku verzweifelt an, sein Sohn möge zurückkehren, aber er war nicht erzürnt, dass diese Gebete nicht erhört wurden.
Als er hörte, wie jemand in die Lehmhütte huschte, wandte er seine Aufmerksamkeit wieder der Gegenwart zu. Er sah über die Schulter und erblickte eines der jungen Onjoi-Mädchen, das den Kopf zwischen dem Wasserbüffelfell hindurchgestreckt hatte, das vor der Tür hing. Das Mädchen verzog bei dem Geruch der erbrochenen Magensäfte sofort die Nase und wich erschrocken zurück.
»Mach dich davon, Toht«, sagte Sophos. »Du weißt, dass keine Frau das sehen darf …«
»Tut mir leid, Sekulu Patéras.« Toht trat aus der Hütte des Schamanen und sagte durch die dicke schwarze Bisonhaut hindurch: »Meine Schwester und ich suchten in der Nähe von Panopolis nach Maniok und uns folgten ondele durch den Wald. Meine Schwester hat die ondele zuerst gesehen und als sie darauf zeigte … als sie darauf zeigte …«
»Ondele?«, wiederholte Sophos. »Du hast Dämonen gesehen?«
Sophos sah schweigend zu, wie das Mädchen zu schluchzen und zu heulen begann. Einige wenige der Initianden übergaben sich immer noch und einer redete in einer Sprache, die nur Suku würde verstehen können. Sophos ging zu jedem der Jungen und vergewisserte sich, dass sie nicht an ihrem Erbrochenen erstickten. Als er sicher war, dass es allen gut ging, schob er das Wasserbüffelfell beiseite, das vor dem Eingang hing, und trat hinaus in die kühle Nacht.
Er blickte nach unten. Thot kniete auf der sandigen Lichtung und weinte hemmungslos, die Hände um den Kopf geschlungen. Sophos kniete sich vor sie und legte die Hände auf ihre Schultern. Seine Stimme klang warm und weise, als er das Wort ergriff; die Worte waren wie kleine Glutnester, die vor Lebensfeuer knisterten und knackten.
»Fürchte dich nicht, mein Kind«, flüsterte er und nahm Thot in den Arm. »Durchdringe deine Furcht. Du weißt, dass es keine ondele gibt, Kind. Wir sind sicher, wir leben in den Träumen von Suku. Es gibt keine ondele außerhalb des menschlichen Herzens und wir sind hier draußen weit entfernt von anderen Menschen.«
»Nein, Sekulu Patéras«, heulte Thot und vergrub das Gesicht an Sophos’ Schulter. »Wir haben den Dämon gesehen. Er ist kein Albtraum, er ist kein Traum, er ist real, Sekulu Patéras. Wir haben gesehen, wie er einen Elefanten getötet und gefressen hat, aber das hat ihm nicht gereicht und er ist uns hierher gefolgt!«
Das Kind schlang die Arme um Sophos’ Hals und weinte.
»Es tut mir leid, Sekulu Patéras – es tut mir leid – der Dämon ist hier …«
»Es gibt keine Dämonen, Kind.« Sophos schob das Kind sanft von sich. »Die Dämonen sind Lügen, die von den portugiesischen Missionaren verbreitet wurden, erinnerst du dich? Sie wollen, dass wir uns fürchten, damit wir die Erlösung von ihrem europäischen Gott erflehen. Wir verehren die europäischen Götter nicht, Kind, und wir glauben nicht an ihre ›Dämonen‹ und ›Teufel‹. Unser Schöpfer Suku träumt wohl von uns und er mag Albträume haben, aber Suku ist nicht von diesen ›Dämonen‹ besessen. Nur Europäer.«
Sophos hörte, wie einer der Jungen in der Hütte nach Hilfe rief, und drehte sich um.
»Es tut mir leid, Thot, aber du musst zu deiner Mutter zurück …«
»Er ist hier, Sekulu Patéras«, stammelte Thot und packte Sophos an den Schultern. »Macht Suku dich blind für seine eigenen Albträume? Kannst du nicht spüren, dass der ondele in der Nähe ist? Kannst du es nicht fühlen?«
Sophos versuchte, sich aus der Umarmung des Kindes zu befreien, aber er war einen Moment wie erstarrt, als er es spürte. Es war ein vertrautes Gefühl, ähnlich wie die Schritte eines Elefanten, die durch die Erde unter seinen Füßen dröhnten. Sophos spürte es durch die Fußsohlen und wie es sich durch sein Rückgrat und Glieder fortsetzte. Die Onjoi folgten oft Elefantenherden, während sie zu den Wasserlöchern zogen, und jedes Mitglied des Stammes hatte dadurch einen verblüffenden sechsten Sinn entwickelt.
Er hatte das Gefühl, sein Magen würde sich umdrehen, als hätte er gerade selbst Iboga eingenommen. Die Vibrationen unter seinen Füßen stammten nicht von einem Elefanten; sie waren zu schnell, eher wie der federnde Gang eines Löwen oder Straußes. Er trat rasch in die Hütte und kam mit einem zwei Meter langen Speer wieder heraus. Der Rest der Onjoi bereitete sich auf die Nacht vor. Sie rösteten Pavianfleisch und frischen Fisch über offenen Feuern für das morgige Frühstück. Sophos rief einigen der Männer zu, sie sollten auf die Initianden des Olutanu Suku Onjoi aufpassen, und Thots Vater, er solle sie nach Hause bringen. Das Kind war hysterisch und bat Sophos, den ondele nicht alleine aufzuspüren.
Sophos fürchtete sich nicht. Er kannte keine Angst.
Der alte Onjoi-Schamane schlich auf allen vieren durch das Meer von hüfthohem Loudetia-Gras, das sein Dorf umgab. Die trockenen Halme ritzten über seinen nackten Torso, die Arme und Beine. Er hielt den Speer in der Hand, während er kroch, und ertastete mit den Fingerspitzen der anderen Hand die Vibrationen des Bodens. Was immer der Dämon war, er umkreiste das Dorf in kleiner werdenden Kreisen. Er überquerte die älteren Tierspuren und bemerkte, dass sie aussahen wie die dreizehigen Abdrücke eines Straußes, nur, dass sie etwa viermal so groß waren; so groß wie der Abdruck eines wulstigen Elefantenfußes. Sophos packte den Speer fester. Er spürte, wie der ondele auf ihn zukam.
Angst empfand er nicht. Er vertraute auf den Schutz Sukus.
Sophos stand langsam auf, bis er in einer Kauerstellung war und über das fahle Loudetia-Gras sehen konnte. Er erblickte die kegelförmigen Strohdächer der Stammeshütten der Onjoi, die verstreut am Horizont standen und hinter einer Wand aus wogendem weißem Gras verborgen waren. Eine einzelne Akazie ragte über das Dorf auf, in der eine Familie kreischender, heulender Paviane saß. Sophos senkte den Blick und sah den Schatten des Dämons unter der Akazie, sehr zum Entsetzen der kreischenden Primaten. Er kniff die Augen zusammen, als der schwarze Umriss des Dämons in seinem Trott innehielt, die Aufmerksamkeit der Akazie zuwandte und mit den runden Kiefern nach den Pavianen auf den unteren Ästen schnappte.
Der Dämon war etwas, das Sophos noch nie gesehen hatte. Er war so groß wie ein Elefant und so lang wie die Trucks in den Konvois des portugiesischen Militärs. Der Dämon stand auf zwei kräftigen Hinterbeinen, aber die Vorderbeine waren jämmerlich. Sie sahen so kurz aus wie die Arme eines Kleinkinds. Die Haut des Dämons war mit glänzenden Platten und Schuppen bedeckt, die rot wie geschliffene Rubine im Mondlicht glitzerten. Sophos spürte, wie kalter Schweiß sich auf seinem Körper bildete, als er die teuflischen Hörner sah, die über den mit Fängen bewehrten Kiefern der Kreatur aufragten.
Sophos hatte niemals tatsächlich einen Dämon gesehen; und auch keinen Dinosaurier.
Der Carnotaurus erblickte Sophos und stürmte auf ihn zu. Der Onjoi-Schamane sprang auf die Beine und rannte davon, schwang den Speer, während seine Füße über den beißenden, sandigen Boden federten. Sophos sprintete weiter auf das Dorf zu, während das prähistorische Biest hinter ihm heulte. Zum ersten Mal seit dem Tod seines ältesten Sohns schrie er. Zum zweiten Mal, seitdem er die ausgeweideten Überreste seiner Frau gefunden hatte. Er hegte die leise Hoffnung, dass die Onjoi-Krieger seine Hilfeschreie hören und ihm zur Seite springen würden.
Sophos heulte, als kräftige Kiefer seinen rechten Arm zerquetschten und ihn in die Luft rissen. Sophos kreischte und strampelte, während der Carnotaurus das Fleisch des Bizeps und dann den Knochen durchbiss. Seine Stimme brach, als sie eine unmöglich scheinende Lautstärke erreicht hatte. Der Carnotaurus schüttelte den Kopf wild hin und her und Sophos’ rechter Unterarm riss in seinen Kiefern ab. Er traf auf den Boden, rollte darüber und blieb am Stamm der Akazie liegen. Die Paviane kreischten dem sterbenden Schamanen zu, der sich um den blutigen Stumpf seines Arms zu einem Ball zusammenrollte. Sophos spürte, wie er auf den Ort ewiger Ruhe zutrieb, an dem Sukus herrschte, während er dem dämonischen Carnotaurus hinterherblickte, der langsam auf das Onjoi-Dorf zuschritt.
Sophos erinnerte sich an seine Angst; er glaubte an ondele.
»Der erste Archetyp der Entwicklung des Animus ist der Machtmensch. Der Machtmensch ist der primitive Grundzustand des Menschen; das Lasttier, das die Werkzeuge hält und die Kraft hat, die Erde von Hand umzuformen.« – Dr. Bruno Moreno
»Er gehört auf der einen Seite zur urtümlichen Natur des Menschen, die so lange bestehen wird, wie der Mensch einen tierischen Körper hat. Auf der anderen Seite besteht eine Verbindung zu den höchsten Formen des Geistes. Aber er gedeiht nur, wenn Geist und Instinkt in der rechten Harmonie sind.« – Carl G. Jung
»Ich glaube nicht an den Menschen, Gott oder Teufel. Ich hasse die ganze verfluchte menschliche Rasse, inklusive meiner selbst. Ich habe mich an den Schwachen bereichert, den Harmlosen und Nichtsahnenden. Diese Lektion lernte ich von anderen: Das Recht ist mit den Starken.« – Carl Panzram
»Minuten bis Mitternacht … nur drei sind noch übrig.« – Captain Bruno Moreno
Outapi, Region Omusati in Nairobi, zwei Wochen später
Die ehemals in Südwestafrika gelegene Wüstenstadt Outapi war nach der Unabhängigkeit Nairobis von Großbritannien zu einer beliebten Stadt für Kneipenbesuche für die marxistische SWAPO geworden. Die South West Africa People’s Organization hatte den Weg geebnet für die neue Souveränität, unterstützt durch finanzielle Hilfe aus Kuba, Russland und anderen kommunistischen Regimen. Im Austausch gegen diese Hilfe schickte die SWAPO-Guerilla weitere Kräfte nach Angola, um der MPLA zu helfen, ihre gemeinsamen Nachbarn zu bekämpfen, das Südafrika zur Zeit der Apartheid. Outapi, das in der Einöde direkt an Angolas südlicher Grenze lag, schwärmte vor Waffenschmugglern und Söldnern, die gerade eine Pause zwischen verschiedenen Aufträgen einlegten.
Es war der perfekte Ort für das Meeting, das Nguyen Con Giáp einberufen hatte.
Nguyen hatte zugestimmt, seinen Kontakt beim Ombalantu-Affenbrotbaum zu treffen, auch bekannt als der »Baum des Lebens«. Der Ombalantu-Affenbrotbaum stand innerhalb der Mauern der früheren südafrikanischen Militärbasis, die zu einem Umschlagplatz für Waffen zwischen der SWAPO aus Nairobi und der angolanischen MPLA-Rebellenarmee geworden war. Der Baum ragte fast 30 Meter hoch und hatte einen Stammumfang von nahezu 10 Metern. Das hohle Innere des Ombalantu-Affenbrotbaums war einst als Gefängnis genutzt worden. Heute diente es als Bar, in der Waffenschmuggler und Glücksritter im Schatten die brennenden Wüstentage mit Trinken verbringen konnten.
Nguyen Con Giáp saß in einer Nische, die in die Innenwand des riesigen Baums des Lebens geschnitzt war. Er war ein schlanker und muskulöser vietnamesischer Mann Mitte zwanzig mit pechschwarzem Haar, das er zu einem Dutt gebunden hatte. Seine schwarze Militärkleidung trug weder Insignien noch Abzeichen. Die paramilitärische Gruppe, die er kommandierte, Quad Equitum, existierte nur, um außerhalb der legalen Grenzen des Krieges zu operieren. Die anderen drei Söldner von Quad Equitum warteten auf Pardus in einem gepanzerten Bravia-Chaimite-Transportfahrzeug, das etwas außerhalb der Stadt geparkt war.
Nach der Zerstörung seines Dorfes auf dem Höhepunkt der Tet-Offensive, hatte sich Nguyen bei der Armee der vietnamesischen Republik als Anti-Guerilla-Spezialist verpflichtet. Mithilfe einiger nicht ganz sauberer Absprachen in Hinterzimmern wurde Nguyen Teil der ›Hyänen‹, einer Black-Ops-Söldnertruppe, die vom berüchtigten US-Army-General Amadeus Jericho befehligt wurde. General Jericho hatte Nguyen unter die Fittiche genommen und ihn über ein halbes Jahrzehnt darauf gedrillt, zu einem der bestausgebildeten Elitesöldner zu werden, der außerhalb der Grenzen Amerikas im Einsatz war. Die Söldnertruppe war nicht mehr General Jericho privat unterstellt, sondern handelte mittlerweile auf Befehl von Solomon Aquinoa, dem CEO der Axis Mundi Corporation, aber diese Neuigkeit war noch nicht zum amerikanischen Militär durchgedrungen.
Nguyens neues Leben hatte mit dem Kollaps seines Heimatlands begonnen.
Die Bar im Ombalantu-Baobab brodelte vor aufgestauter Energie und Gerüchten. Einige der handfesteren Stammgäste, die Guerillakämpfer und Rebellen, die gerade von Angolas Schlachtfeldern eingetroffen waren, unterhielten sich flüsternd über Dinosaurier, die man in der Region Neu-Fatima in den vergangenen Wochen gesehen hatte. Andere redeten über Panopolis, eine verlassene Eisenmine inmitten der Wildnis von Neu-Fatima, und das legendäre Gold, das in dieser überfluteten Oase zu finden sein sollte. Keiner der Männer hatte sich getraut, in dieses gefährliche Ödland zu reisen, aber einige der MPLA-Rebellen besprachen ihre eigenen Pläne, wie man ins Herz von Neu-Fatima vordringen konnte. Nguyen versuchte, ein wenig von jeder Unterhaltung aufzuschnappen, während er gleichzeitig seinem Kontaktmann, Marlow Kurtz, zuhörte, der ohne Punkt und Komma vom Stuhl gegenüber aus auf ihn einredete.
»Ich habe alles gemacht, worum Sie mich gebeten haben«, flüsterte Marlow. »Ich hatte null Probleme, die Sabotage durchzuführen, genau wie Sie gesagt haben. Also, bitte, können wir diesen Kontinent verlassen? Irgendjemand hat auf dem Schwarzmarkt auf mich ein Kopfgeld ausgesetzt und jede dieser verkommenen Subjekte könnte hier sein, um es einzusacken.«
Nguyen nippte an seinem Amarula-Cocktail und sah Marlow über den Rand des Glases hinweg an. Einige der suahelischen und rhodesischen Söldner, die untätig an der Bar herumstanden, hatten das Wort ›Kopfgeld‹ gehört und einen Blick über die Schulter geworfen, aber Pardus hatte mit einem Nicken in Richtung der M16 neben seiner Sitznische dafür gesorgt, dass sie sich schnell wieder umgedreht hatten.
»Bitte, Nguyen«, bettelte Marlow. »Meine Tage hier sind gezählt …«
»Entspannen Sie sich, Mr. Kurtz«, sagte Nguyen und hob eine Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. »Der Rest von Quad Equitum ist unterwegs, um Sie sicher nach Kuito zu bringen. Von dort aus wird der private Charterflug nach Isla Olympus nur einen halben Tag brauchen, vielleicht weniger. Kein Grund zur Panik.«
»Panik?«, wiederholte Marlow und gestikulierte heftig. »Sie haben mich direkt in die Höhle des Löwen gebracht! Jede Minute könnte ein Agent des Pentagons oder von Interpol auftauchen, um mich den Rest des Lebens ins Gefängnis zu stecken, wenn ich nicht vorher hier umgebracht werde! Was würde mein Vater sagen, wenn er wüsste, dass Sie das tun? Weiß er, dass Sie mich über den Kiefern des Todes einfach baumeln lassen?«
Nguyen kicherte und senkte das Glas. »Mr. Kurtz, bei allem gebotenen Respekt. Ihr Vater weiß über alles Bescheid, was ich tue, noch bevor selbst Jericho es erfährt. Mr. Aquino bezahlt für dieses Privileg. Sie haben Ihre Schuld gegenüber Ihrem Vater abgearbeitet und sich um diesen netten kleinen Deal für Axis Mundi gekümmert und nun werde ich Sie zu einem Privatflieger bringen, der Sie über den Atlantik fliegt, bevor das Äon des Ouroboros beginnt. Also, ehe ich es vergesse – haben Sie den Speicher mit dem Zugang drauf?«
»Ja«, knurrte Marlow und griff in die Tasche seines Polohemds. Er holte ein kleines Metallmedaillon heraus, auf dessen Vorderseite ein Ouroboros eingraviert war – eine Schlange, die ihren eigenen Schwanz frisst. Ein Knopf in Form eines Schädels war in der Mitte des Ouroboros eingearbeitet. Marlow drückte auf den Schädel und das Medaillon öffnete sich – darin war ein Computerchip. Er ließ es wieder zuschnappen und schob es über den Holztisch zu Nguyen.
»Es hat genau so funktioniert, wie es mein Sohn ursprünglich demonstriert hat«, sagte Marlow. Er sah zu, wie Nguyen das Medaillon an einer Kette befestigte und diese um den Griff des Ka-Bar-Messers in der Messerhülle wickelte. Marlow räusperte sich und sagte: »Sie haben mir versprochen, Sie würden mir einen Beweis geben, wo mein Sohn steckt, Nguyen. Das ist der einzige Grund, wieso ich zugestimmt habe, weiter für Sie und meinen Vater zu arbeiten.«
»Nur eine Minute«, sagte Nguyen. Er hob das Glas und nahm einen großen Schluck. »Der letzte bekannte Aufenthaltsort Ihres Sohns war Zaire, aber ich sollte mich in Kürze mit ihm in Kuito treffen. In der Zwischenzeit bestellen Sie sich doch noch einen Schnaps. Unser Ticket nach Isla Olympus dürfte jede Sekunde hier sein.«
»So Gott will«, grummelte Marlow. »Oder Gott steh Ihnen bei.«
Nguyen kicherte. »In der Tat. Gott stehe uns allen bei.«
»Siehst du ihn?«
»Ich glaube, ja.«
Zosimus Kaikara stand an der Bar und beobachtete Nguyen und Marlow von der anderen Seite des Raums. Zosimus stammte aus Angola, ein schwarzer Mann der Ovimbundu, aus der Wildnis der Provinz Bié. Neben dem Kopfgeldjäger der Ovimbundu stand sein Partner Josef Gustavo. Josef war die dritte Generation einer langen Ahnenreihe von portugiesisch-angolanischen Alkoholikern und Kleinbauern. Sie trugen Alltagskleidung: Kakihosen und schwarze Hemden, die dafür sorgten, dass sie sich nahtlos in die zwielichtige Menge einfügten, die im ausgehöhlten Baum des Lebens herumstand.
»Er sitzt dem Asiaten gegenüber.« Josef gab Zosimus einen kleinen Stoß in die Rippen. »Wenn du vielleicht aufhören würdest, jedes Mal, wenn wir in der Nähe der nairobischen Grenze sind, das Cocaina rauszuholen, hättest du ein besseres Auge fürs Detail, was?«
Zosimus schnaubte und rieb sich die Nase, während er den kleinen Beutel mit etwa drei Gramm Kokain darin wieder in die Brusttasche steckte. »Das macht mich wach, irmão, ich verspreche, ich kann den Asiaten und unser Ziel in einer Sekunde ausschalten. Du musst mir nur die Touristen vom Hals halten.«
Josef schnaubte verächtlich und zündete sich eine Zigarette an. »Du hast nur Angst, nach Hause zurückzukehren.«
Zosimus winkte dem Bartender zu, um ein weiteres Glas ›Springbokkie‹ zu bestellen, schluckte ihn herunter und hustete. Er sagte zu Josef: »Ich habe vor nichts Angst, irmão, ich bin nur begeistert, der Heimat so nahe zu sein. Es heißt, dass die MPLA bald all die übrigen Portugiesen ausgeschaltet haben wird.«
»Welche Portugiesen sind denn noch übrig?«, schnauzte Josef ihn an. »Selbstmörderische Loyalisten, oder?«
»Egal.« Zosimus wischte sich über den Mund. »Vergiss Angola.«
Josef holte einen gefalteten Brief heraus und warf einen kurzen Blick darauf, bevor er ihn wieder in die hintere Hosentasche steckte. »Laut dem Tipp, den unser Klient ›Pardus‹ uns gegeben hat, ist unser Ziel ›Marlow Kurtz‹, der Sohn des früheren Naziwissenschaftlers. Während der Schlacht um Berlin wurde Marlow mit seinem Vater zusammen von den Amerikanern gefangen genommen. Marlows Sohn, der damals noch ein Teenager war, wurde angeblich von der UdSSR gefangen genommen. Marlow und sein Vater erhielten neue Namen. Ihre Identitäten wurden verschleiert. Heute arbeitet Marlow für irgendein Subunternehmen des Militärs namens ›Axis Mundi Corporation‹.«
»Das bedeutet mehr Geld«, sagte Zosimus. »Für mehr prostitutas.«
Josef rollte mit den Augen, als er an der Zigarette zog. »Denkst du an nichts anderes, irmão? Wie viel Kopfgeld müssen wir denn einsammeln, bevor wir aus diesem Dreckloch von Kontinent verschwinden können? Der Plan war, in einem Jahr in Europa zu sein, nachdem wir die Caçadores Especiais hinter uns gelassen haben. Ich habe nicht ein Jahrzehnt in den Special Forces gedient, nur um mein Leben in Slums und Bordellen zu verschwenden.«
Zosimus schnaufte. »Hnn. Soll das Ziel überleben oder sterben?«
Josef seufzte resigniert. »Sterben, irmão. Willst du die Aufgabe übernehmen?«
Zosimus streckte den Finger hoch und gab dem Bartender ein Zeichen, um eine Flasche Amarula zu bestellen. Josef schüttelte ungläubig den Kopf, als er zusah, wie sein Partner die gesamte Flasche Cremelikör leerte. Zwei Söldner, ein weißer Rhodesier und ein schwarzer Suaheli, beobachteten Zosimus und Josef vom anderen Ende der Bar. Das Paar ging zu Zosimus und Josef, wobei man deutlich ihre geholsterten Pistolen und die über die Schulter geschlungenen Sturmgewehre sehen konnte.
»Mwenza wangu kennt dich, mzungu.« Der suahelische Söldner legte eine Hand auf Josefs Schulter. »Du bist einer der berüchtigten ›Schakale von Angola‹, oder nicht? Einer der besten portugiesischen Scharfschützen, die man jemals auf dem Schlachtfeld gesehen hat.«
»Ich glaube, du verwechselst mich, mein hässlicher Freund.« Josef schlug die Hand des suahelischen Söldners von der Schulter. »Ich bin nur ein armes UNICEF-Mitglied, das sich verfahren hat, als es ein paar magere amerikanische Pennys einem Warlord in Zaire bringen wollte. Vielleicht kann meu irmão eine kleine Spende entgegennehmen.«
»Meu irmão?«, echote der Rhodesier. »Was bist du, sein Vorgesetzter?«
Zosimus wirbelte herum und schlug dem Rhodesier die leere Amarula-Flasche über den Schädel und seine Kopfhaut platzte auf. Der Rhodesier heulte und fiel zu Boden, während der suahelische Söldner auf Zosimus lossprang. Josef ging dazwischen, packte den Suaheli an den Armen und zog ihn nach hinten, während Zosimus den abgebrochenen Flaschenhals dem Mann mehrmals in den Bauch rammte. Josef warf den Söldner zu Boden und trat ihm ins Genick, brach ihm dabei die Halswirbel.
Der Rhodesier sprang plötzlich auf und schubste Josef über die Bar, der über den Tresen flog und einen Überschlag hinlegte. Zosimus zog seine rostige Kukri-Machete und führt eine Finte in Richtung des rhodesischen Söldners aus, wobei er achtgab, nicht auf dem Blut auszurutschen, das aus dem toten Suaheli geflossen war. Die anderen Gäste der Bar beobachteten stumm, wie der weiße Söldner den Kopfgeldjäger vom Stamm der Ovimbundu umkreiste. Nguyen sah von der anderen Seite des Raums zu, wo er an der Innenwand des Baums des Lebens lehnte.
»Kommen Sie schon«, flüsterte Marlow Nguyen zu. »Wir müssen gehen.«
»Wir müssen noch etwas warten«, flüsterte Nguyen zurück. »Hier – Ihr Sohn.«
Nguyen schob Marlow ein Polaroidfoto über den Tresen. Tränen flossen aus Marlows Augenwinkeln, als er auf das Bild in seinen zitternden Fingern starrte. Er sah zu Nguyen auf. »Er … er ist am Leben, Nguyen? Und in Zaire? Wo war er? Bei wem ist er? Geht es ihm gut? Bitte, bitte, sagen Sie mir, dass er in Sicherheit ist.«
Nguyen beobachtete Zosimus, während der Kopfgeldjäger den rhodesischen Söldner auf dem Boden blutig schlug. Einige andere Gäste der Bar versuchten einzuschreiten, aber Josef hielt sie zurück. Nguyen sah wieder zu Marlow und nahm noch einen Drink.
»Ihr Vater, Mr. Aquino, hat nach Ihrem Sohn gesucht, seitdem er in Vietnam verschwunden ist«, sagte Nguyen. »Wenn Mr. Aquino nicht General Jericho für meine Freiheit bezahlt hätte, hätte er niemals erfahren, wo Ihr Sohn ist. General Jericho und die Ratten im Pentagon hätten lieber Ihren Sohn als ihren persönlichen Sklaven behalten. Ich schulde es Mr. Aquino, der seinen Enkel lebend nach Hause gebracht – und ein paar offene Enden beseitigt hat.«
»Offene Enden?«, wiederholte Marlow. »Welche offenen Enden?«
»Sie«, sagte Nguyen. Er nickte. »Danke, dass Sie das Äon des Ouroboros angestoßen haben. Die erste ›Sabotage‹ hat perfekt geklappt und nun kümmern sich die übrigen Agenten des Ouroboros-Ordens um die restlichen Beschleuniger auf der ganzen Welt. Alles dank Ihnen sowie der ursprünglichen Arbeit Ihres Sohns in Vietnam. Nun, wenn Sie mich entschuldigen wollen, ich glaube, Ihre Mitfahrgelegenheit nach Isla Olympus ist angekommen.«
»Was …« Marlow drehte sich um und sah, wie Zosimus sich den Weg durch die restlichen Gäste prügelte und schlitzte, die am Getümmel beteiligt waren. Zosimus deutete mit der blutigen Kukri-Machete auf Marlow und brüllte seinen Namen. Marlow sah Nguyen an, aber der Söldner zuckte nur mit den Achseln und lächelte. Marlow wirbelte herum und erhaschte nur das Blitzen der Machete, die nach seiner Kehle schwang.
»Gut gemacht.« Nguyen wich der Blutfontäne aus, die aus Marlows Halsschlagader spritzte, leerte seinen Cocktail und erhob sich mit der M16 in der Hand aus der Sitznische. Zosimus hob die Machete, um zuzuschlagen, aber Nguyen griff einfach in die Innentasche seiner Jacke und streckte dem Kopfgeldjäger einen braunen Umschlag hin. Die übrigen Gäste verließen die Bar in Sekundenschnelle, während Josef zu seinem Partner hastete.
»Wer bist du?«, fragte Zosimus. »Woher kennst du diesen Mann?«
»Sie können mich Pardus nennen, Mr. Kaikara«, sagte Nguyen. »Ich habe einen Job für Sie und Mr. Gustavo. Mein Team und ich brauchen einen Führer durch die Region Neu-Fatima. General Cavalera vom portugiesischen Militär empfahl Sie, die ›Schakale von Angola‹, vor allen anderen.«
»Sehr erfreut, Sie kennenzulernen.« Josef machte eine knappe Verbeugung, dann wandte er sich an Zosimus. »Was war das denn, irmão? Hast du den Verstand verloren? Benutze beim nächsten Mal einfach deine Pistole, um Himmels willen. Man muss sich ja nicht so brutal aufführen vor einem neuen Klienten.«
Zosimus öffnete den braunen Umschlag und sein Kiefer klappte herunter. Er war vollgestopft mit fast 50.000 Dollar in kleinen Scheinen, beinahe das Doppelte des ursprünglichen Kopfgelds auf Marlow Kurtz. Er gab den Umschlag an Josef weiter und sagte: »Entschuldigen Sie vielmals, Mr. Pardus, aber ich werde nicht in Angola arbeiten. Nur persönliche Abneigung. Ich hoffe, Sie verstehen das.«
»Das Bündel mit den 50.000 war nur ein Zeichen der Anerkennung«, sagte Nguyen. »Wenn Sie zustimmen, als Führer für Quad Equitum auf dem Weg nach Neu-Fatima zu fungieren, wird der Preis 250.000 Dollar sein.«
»Für jeden«, meinte Josef, »oder?«
»Für jeden von Ihnen pro Tag.« Nguyen lächelte. »Fair?«
»Sim«, rief Josef aus und schüttelte Nguyens Hand. Er ignorierte Zosimus’ Blicke in seinem Genick. »Wann fangen wir an, Pardus? Wohin geht es zuerst?«
»Unsere Mitfahrgelegenheit nach Kuito wartet vor der Tür«, sagte Pardus. »Tun Sie mir nur einen Gefallen und brennen Sie diesen Laden nieder beim Rausgehen. Wir können niemanden brauchen, der Beweise für Ihr letztes Kopfgeld sucht. Mr. Kurtz war meinem Arbeitgeber ein Dorn im Auge, seitdem er aufgehört hatte, für die Axis Mundi Corporation zu arbeiten.«
Josef und Zosimus holten jeder mehrere Granaten mit weißem Phosphor heraus, während Pardus zur Vordertür ging. Die Kopfgeldjäger warfen die Brandgranaten über die Schulter, während sie Pardus hinaus auf die sandige Straße folgten, wo der gepanzerte Bravia-Chaimite-Truppentransporter von Quad Equitum unter dem Schein des Vollmonds auf sie wartete. Der Ombalantu-Baobab detonierte in einem weißen Feuerball hinter ihnen, als sie einstiegen, und rauchende Trümmer uralter Rinde regneten auf das gepanzerte Dach des Fahrzeugs.
Das Foto von Andrei Wynn war für immer verloren im brennenden Baum des Lebens.
Virunga-Berg, Zaire
Ein einsamer Huey-Iroquois-Helikopter ging durch die grauen Wolken über dem Virunga-Bergmassiv nieder. Er hatte ungezählte Meilen über üppigem Regenwald hinter sich gebracht, wie eine mechanische Heuschrecke. Kleine Dörfer, die sich scharf von dem mehrstöckigen Dschungel abhoben, erschienen wie braun-schwarze Pockennarben unter dem dröhnenden Helikopter. Die wunderbare Landschaft, die Virunga umgab, verbarg die zahllosen Rebellenmilizen, die sich als Opposition zu Mobutu Sese Seko gebildet hatten, dem Despoten, den die westliche Welt in dem Land installiert hatte, das einst als ›Kongo‹ bekannt gewesen war.
Der amerikanische Helikopter kam direkt von den Schlachtfeldern des Vietnamkrieges, aber die Crew an Bord suchte nicht nach Rebellenmilizionären. Die Männer im Hubschrauber waren Mitglieder einer Eliteeinheit der Special Forces, die unter dem Namen ›Stalker Force‹ bekannt war. Stalker Force war unter dem direkten Kommando des berüchtigten Generals Amadeus Jericho gegründet worden, auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges. Die Männer der Stalker Force interagierten selten mit den militärischen Kräften des Landes, in dem sie gerade operierten. Selbst im amerikanischen Militär hatten die Worte ›Stalker Force‹ einen mythischen Klang.
Mitglieder der Stalker Force waren keine Soldaten, sie waren Jäger.
Der Captain der Stalker Force, Xavier Wise, blickte durch eines der Bullaugen des Helikopters auf das Virunga-Bergmassiv und dachte über die tödlichen neuen Tiere nach, die nun unter dem Jademantel des Dschungeldaches gediehen. Xavier war ein alternder Krieger; ein stolzer Nachkömmling des Abenaki-Stammes und hatte die Dreißig um ein halbes Jahrzehnt überschritten. Sein ernstes Gesicht wirkte wie aus Stein gemeißelt, verziert von mehreren Narben, die von den Zähnen und Klauen der gefräßigen Fleischfresser stammten.
Obwohl er der kommandierende Offizier der Stalker Force war, sah Xavier von allen Männern im Team am ungepflegtesten aus. Er hatte seine struppige schwarze Mähne bis auf die Schultern wachsen lassen und sein Bart war ein 30 Zentimeter langes Gestrüpp aus ungekämmtem Obsidian, der seine vernarbte Kehle vor den scharfgezackten Fängen der Tiere verbarg, die von der Stalker Force gejagt wurden. Xavier berührte instinktiv den Kragen aus Bissspuren, der seinen Hals umgab, während er sich geistig darauf vorbereitete, sich den Raubtieren zu stellen, die Zaire heimsuchten.
Laut einigen verängstigten kongolesischen Dorfbewohnern war eine invasive Spezies vor Kurzem in die sanften grünen Hügel eingedrungen, die das Virunga-Bergmassiv umgaben. Die Regierung von Zaire hatte das amerikanische Militär um Hilfe gebeten und man hatte die Stalker Force geschickt, um der Sache auf den Grund zu gehen. Die Stalker Force war darauf spezialisiert, gefährliche Tiere aufzuspüren und zu töten, die von Vietnam aus bis in die fernsten Winkel der Alten Welt vorgedrungen waren. Xavier hätte nie damit gerechnet, dass es diese urzeitlichen Tiere bis in die Subsahara in Afrika schaffen würden, aber die Listigkeit und Intelligenz der Beute, die von der Stalker Force gejagt wurde, erstaunte den Captain immer wieder aufs Neue.
Xavier kratzte nervös an den Bissspuren, die seinen Hals umgaben, als der Helikopter von einer Turbulenz angehoben wurde. Beute zu jagen, war eine aufregende Herausforderung und zum Glück eine, die die Männer der Stalker Force weit von den brutalen menschlichen Konflikten fernhielt. Xavier hatte einst mit dem Vulture Squad im Vietnamkrieg gedient, einem Such- und Rettungsteam, das darauf spezialisiert gewesen war, anderen Einheiten der Special Forces zu helfen. Die Männer des Vulture Squads waren die ersten Amerikaner gewesen, die die prähistorischen Tiere in einem isolierten Dschungeltal weit nördlich der entmilitarisierten Zone in Vietnam entdeckt hatten.
Das Intercom des Helikopterpiloten summte. »Geschätzte Ankunftszeit: zwei Minuten.«
»Roger«, erwiderte Xavier. »Setz uns in dem Dorf ab. Ich bezweifle, dass die Utahraptoren lange geblieben sind.«
»Aber du hast auch schon mal falschgelegen«, entgegnete Andrei Wynn.
Andrei Wynn, der wissenschaftliche Berater der Stalker Force saß Xavier im schaukelnden Inneren des Huey Iroquois gegenüber. Der ehemalige russische Wissenschaftler trug einen kakifarbenen Kampfanzug, der aussah wie die Uniform eines Safari-Führers, mit einem ledernen Buschhut, der schlaff über seine dünnen blonden Haare gezogen hing. Andrei war zu einem weltweit angesehenen Wissenschaftler in seinem Forschungsgebiet geworden, aber nur die Staatsführer der Länder, in denen die Stalker Force operiert hatte, wussten von seiner Expertise. Nachdem ihn die Sowjets zurückgelassen hatten, weil sie ihn für tot hielten, hatte der russische Wissenschaftler in den folgenden Jahren für die Stalker Force und das US-amerikanische Militär gearbeitet.
Andrei war der Erste gewesen, der die Anomalie ›entdeckt‹ hatte, die diese Urzeittiere darstellten, sowie der Mann, der dafür verantwortlich war, dass die Kreaturen in die moderne Welt gebracht worden waren. Andrei hatte ein Jahr mit ihnen verbracht; oder besser gesagt, sich ein Jahr vor ihnen panisch versteckt. Nachdem Xavier und das Vulture Squad ihn aus diesem verfluchten Tal in Vietnam gerettet hatten, war Andrei von General Jericho rekrutiert worden, um der Stalker Force bei der Jagd nach den prähistorischen Tieren auf der ganzen Welt zu helfen. Andrei war durch seine neue Lebensaufgabe aufgeblüht und mit Xaviers Hilfe hatte er seine zerstörerische Heroinsucht überwunden.
»Hast du das Dossier?«, rief Xavier Andrei zu.
»Dah, habe ich«, rief Andrei zurück. Er holte einen braunen Umschlag aus seinem Rucksack und blätterte durch den Stapel Unterlagen darin. Es waren mehrere Skizzen der Tiere, die sie gejagt hatten, sowie topografische Karten von Virunga und die übersetzten Aussagen der Dorfbewohner, die von Angehörigen des zairischen Militärs verhört worden waren. Andrei überreichte Xavier die Dokumente. »Hört sich nach dem typischen Verhalten der Utahraptoren an, Kamerad.«
»Hört mal her, Stalker Force«, rief Xavier. »Ich erkläre euch mal, was die Aufklärung ergeben hat.«
Die anderen Mitglieder der Stalker Force lehnten sich in den Sitzen nach vorne, um zuzuhören. Es war eine kleine, zusammengeschweißte Gruppe. Sie bestand aus: Syd Kinane, Xaviers zweitem Kommandanten; Lalo Florez, dem Sanitäter; Willard Bennington, dem neuesten Rekruten, und James Molnar, dem Nahkampfspezialisten. Stalker Force hatte drei Männer bei der letzten Mission am Nil verloren und Xavier hatte nicht vor, der Liste mit Gefallenen noch weitere Namen hinzuzufügen.
Xaviers Stimme wurde heiser, weil er schreien musste, um über den Rotorlärm des Helikopters hinweg gehört zu werden. »Vor einer Woche wurden Raptoren am Rand eines Dorfes südlich des Virunga-Bergmassivs gesichtet. Die Dorfbewohner schafften es, sie durch Schreie und ein paar Schüssen mit einigen AK-47 zu vertreiben, aber die Raptoren sind zurückgekommen. Mehrere Dorfbewohner wurden in der Nacht getötet, aber die Stammesältesten glauben nicht, dass die Tiere dafür verantwortlich waren.«
»Wieso das?«, fragte James Molnar. Er war klein, stämmig und muskulös, mit einem kurz geschnittenen Irokesenschopf und einem schelmischen Blick, der stets etwas schmierig wirkte. Seine Nase war spitz wie der Schnabel eines Vogels und ragte über das Grinsen hinaus, das von einem Ohr zum anderen reichte und anscheinend ewig sein Gesicht zierte. »Passiert denen das normalerweise, dass Leute nachts verschwinden? Müssen die sich immer noch Sorgen wegen Mokele-Mbembe machen?«
»Bisschen ernsthafter, Molnar«, sagte Xavier. »Leben stehen auf dem Spiel.«
»Die Dörfer hier in der Gegend sind an den Bürgerkrieg gewöhnt«, sagte Andrei. »Kleine Stammesgruppen und Milizen bekriegen sich in diesen Bergen oft wegen natürlicher Ressourcen. Die Dorfbewohnerin, die man schickte, um Hilfe zu holen, behauptete, sie glaube nicht, dass es ein Angriff von Milizen oder einem verfeindeten Stamm war, da es nicht nach dem üblichen Modus Operandi solcher Angriffe aussah.«
»Nicht der übliche Modus Operandi?«, wiederholte Willard Bennington. Willard war 22 und dürr, gerade mit dem College fertig. Er war glatt rasiert und hatte scharfe, kantige Gesichtszüge. Kalte blaue Flammen waren auf seine Handgelenke tätowiert und erstreckten sich wie Hemdsärmel bis zu den Ellbogen. Willard war der jüngste Rekrut, der je neu zur Stalker Force gestoßen war und das einzige Mitglied, das keine Erfahrung in den Special Forces hatte. Willard war von seinem Onkel, General Jericho, in die Stalker Force gebracht worden, weil er Dinosaurier mochte und ein Faible für Umweltwissenschaft hatte. Xavier und Syd hatten dafür gesorgt, dass der Neuling ihre eigene harte Ausbildung durchlaufen hatte, bevor er bei der Stalker Force dienen durfte.
Willard sagte: »Welchen M. O. kriegen die Dorfbewohner denn hier so normalerweise zu sehen?«
»Die Dorfbewohner kriegen normalerweise vor allem menschengemachte Gräueltaten zu Gesicht, Kamerad«, sagte Andrei. »Leute, die von Macheten abgeschlachtet wurden; Schusswunden; sogar Giftpfeile und Speere werden hier draußen verwendet. Stell dir irgendeine Methode vor, wie man jemanden umbringen kann, und hier in Zaire hat es vermutlich schon jemand ausprobiert.«
»Da ist er wieder.« Molnar schnippte mit den Fingern. »Der Schatten.«
»Dah«, sagte Andrei. »Aber das war eine andere Situation. Das war nicht der übliche böse Schatten der Menschheit, der sein Antlitz zeigte. Offenbar sind die Leute, die verschwunden sind, ohne jede Spur verschwunden. Keiner wusste, was passiert ist. Einige dieser Milizen kidnappen gerne Kinder und fügen sie ihren Rängen als Kindersoldaten hinzu, aber die Leute, die verschleppt wurden, waren erwachsene Männer. Krieger und Jäger. Wenn es eine Miliz gewesen wäre, hätte sie es nicht heimlich in der Nacht getan. Sie wären in das Dorf gegangen und hätten einfach jeden umgelegt.«
»Herr im Himmel.« Willard schluckte trocken. »Was für ein Albtraum.«
Xavier blätterte durch das Dossier und rief: »Die Regierung von Zaire hat noch keine Untersuchungen angestrengt, da sie zu viel damit zu tun haben, die Überreste ihres Landes wiederaufzubauen, die nach der Entkolonialisierung des Kongos durch Belgien übrig geblieben sind. Gräueltaten zwischen Milizen und Stämmen, die sich bekämpfen, passieren hier regelmäßig, also neigt die Regierung dazu, nur langsam auf solche Ereignisse zu reagieren. Da das Verschwinden der Leute aus dem Dorf der Jagdtaktik unserer Raptoren entspricht, werden wir selbst einen Blick darauf werfen. Mal sehen, was wir von den Dorfbewohnern in Erfahrung bringen können.«
»Hast du dein Kikongo aufpoliert?« Molnar lachte.
»Nein, aber der Häuptling spricht Englisch, also wenden wir uns direkt an ihn.« Andrei drehte sich um und sah durch das Bullauge der Kabine. Die breiten Blätter der 40 Meter hohen Limba-Bäume versperrten ihm die Sicht, als der Helikopter über dem Dorf in den Sinkflug ging. Der Waldrand des umgebenden Dschungels war wie eine undurchdringliche Mauer, die verhinderte, dass man dahinter irgendwelche Entfernungen oder Leerräume abschätzen oder sehen konnte. Das perfekte Habitat für die Utahraptoren, hinter denen die Stalker Force her war.
Die Rotorblätter gaben nur noch ein träges ›Wusch-Wusch‹ von sich, bevor sie völlig verstummten. Andrei und Xavier betrachteten das Dorf durchs Fenster und tauschten einen verhaltenen Blick aus. Wenn die Stalker Force in ein abgelegenes Dorf kam, wurde sie normalerweise von begeisterten Dorfbewohnern begrüßt oder ängstlich beäugt. Selten wurden sie von völliger Stille empfangen; abgesehen von den schlimmsten Situationen. Xavier hätte es vorgezogen, von einem Feuergefecht empfangen zu werden statt von der Stille, die oft den Utahraptoren vorausging.
Xavier stand auf und winkte alle zur Tür hinaus. Die Männer sammelten ihre Gewehre und Rucksäcke ein und verließen nacheinander den Helikopter. Als alle draußen waren, streckte Xavier den Kopf ins Cockpit und sagte zum Piloten: »Lass die Turbine laufen, falls wir hier eine Notfallevakuierung vornehmen müssen. Wir wissen nicht, was wir hier finden werden.«
»Alles klar, Boss«, erwiderte der Pilot.
Xavier gab dem Piloten einen Klaps auf die Schulter und trat aus dem Helikopter auf die Lichtung. Die Waldwiese, auf der sie gelandet waren, war wie ein Teppich mit üppigem grünem Gras bedeckt, das ihnen bis über die Gürtel reichte. Xavier hielt die M16 im Anschlag und ging voran, während er nach Schlangen auf dem Waldboden Ausschau hielt. In seiner Anfangszeit als Captain der Stalker Force hatte Xavier einen Rekruten durch den giftigen Biss einer chinesischen Mokassinschlange verloren. Er war nicht scharf darauf, das gleiche Schicksal wie dieser junge Mann zu erleiden.
Die Männer der Stalker Force näherten sich lautlos dem Dorf. Es bestand aus mehreren Lehmhütten mit Strohdächern, die in der Mitte der regenfeuchten Lichtung standen. Xavier lauschte angestrengt auf die Geräusche des umgebenden Waldes, während die Gruppe sich der primitiven Siedlung näherte. Er hörte den vielstimmigen Gesang zahlloser exotischer Vögel, die Schwärme von zirpenden Insekten und das Heulen verschiedener Affenarten in den Baumwipfeln. Xavier sah die natürlichen Geräusche der Umgebung als ein gutes Zeichen; die Utahraptoren bewegten sich normalerweise in der Deckung der verängstigten Stille des modernen Tierlebens um sie herum.
Je näher die Stalker Force an das Dorf herankam, desto nervöser wurde Xavier, da keine Spuren menschlicher Bewohner zu entdecken waren. Getötete Affen und Fische, die sie im Fluss gefangen hatten, verrotteten an den Holzgestellen, an denen sie um die Hütten verteilt hingen. Der Regenfall der vergangenen Woche hatte die Kochstellen in schmierige, brackige Pfützen verwandelt.
Xavier hob die Faust, um die schweigende Prozession der Soldaten zum Stehen zu bringen. Er deutete mit dem Finger auf Molnar und Willard und wies sie an, nach Osten zu gehen, dann schickte er Lalo und Syd Richtung Westen. Die Gruppe teilte sich auf, um den umgebenden Wald zu inspizieren, während Xavier Andrei ins Innere des Dorfes führte. Eine kühle Brise wirbelte in Wellen die feucht-stickige Luft auf und brachte kurze Momente der Erleichterung für Xavier, dessen Haut in dem schwülen Klima schweißbedeckt war. Xavier atmete tief ein und hielt die Luft an.
Der Geschmack menschlicher Verwesung machte sich auf Xaviers Zunge breit.
Er atmete langsam aus und bedeckte dabei den Mund mit der Hand. Andrei blieb stehen und fragte ihn, ob etwas nicht stimme, aber er reagierte selbst sofort, als er den Geruch des Windes wahrnahm. Andrei würgte und drehte sich weg, bedeckte das Gesicht. Egal, wie oft der russische Wissenschaftler schon diesen vertrauten sauren Gestank wahrgenommen hatte, er hatte es nie geschafft, so gut damit fertigzuwerden wie die Soldaten der Stalker Force.
Xavier setzte seinen Weg ins Dorf etwas langsamer fort. Er betrachtete den Boden und sah vor einer Hütte einen Blutfleck. Xavier beugte sich hinab und fuhr mit dem Finger durch den roten Fleck. Das Blut war schon lange trocken; es zerbröselte wie Farbe unter seinem Daumennagel. Xavier seufzte durch zusammengebissene Zähne und schnippte die verbliebenen Flöckchen von seinen Fingerspitzen. Andrei hatte sich gesammelt und trat zu ihm. Er wischte sich mit dem Ärmel seiner Kakijacke Magensaft von den Lippen. Xavier trat in die Hütte, während Andrei vor der Tür wartete und nervös seinen Buschhut mit beiden Händen knetete.
»Wir sind auf einem Friedhof«, sagte Andrei. »Das gefällt mir gar nicht, Kamerad.«
»Dann komm lieber nicht hier rein«, knurrte Xavier. »Das wird dir nicht gefallen.«
In der Hütte hatte Xavier das gefunden, was wie die Überreste einer Frau und eines Kindes aussah. Die Leichen waren in der feuchten Behausung schnell verwest, aber er konnte noch das Geschlecht der größeren, nackten Leiche feststellen. Er kniete sich neben die toten Körper und betrachtete sie genauer, inspizierte die aufgeblähte Masse, um Anzeichen für physisches Trauma zu finden. Alles, was vom Bauch der toten Frau übrig war, war eine ausgeweidete Höhle, in der die Maden krochen, wo normalerweise die Eingeweide gewesen wären.
Xavier riss den Blick von den Würmern los, die in der Wunde wimmelten, welche die Leiche fast in zwei Hälften teilte, und drehte sich zu der Kinderleiche um. Es musste weniger als vier Jahre alt sein; ein Kleinkind. Xavier war überrascht, dass ein Großteil des Fleisches der Kinderleiche von den Knochen gerissen worden war. Die Glieder waren aus den Gelenken gerissen und nirgends zu sehen. Xavier schüttelte den Kopf und trat durch den niedrigen Eingang aus der Hütte. Andrei stand draußen, die Hände auf den Mund gepresst.
»Was hast du gefunden?«, fragte er durch die Finger hindurch.
»Zwei Leichen. Eine Frau, ein Kind«, antwortete Xavier. »Die Frau scheint von einem Raptor getötet worden zu sein, aber ich habe keine Ahnung, wieso das Tier sie nicht mitgenommen hat. Es sieht aus, als hätte der Raptor die Eingeweide der Mutter gefressen und so viel von dem Kind, wie er konnte.«
»Absolut ekelerregend«, murmelte Andrei. Er griff in seinen Rucksack und holte ein Tagebuch heraus. »Ich notiere das unter meinen Notizen für das Bestiarium. Geht schon mal ohne mich weiter.«
»Aber klar«, sagte Xavier. »Halte deine Pistole griffbereit.«
»Dah.« Andrei tätschelte den Revolver im Holster. »Immer.«
Xavier hielt die M16 in beiden Händen und ging weiter in das Dorf hinein. Im Laufen sah er weitere Anzeichen, was hier passiert war, seitdem die einzige Dorfbewohnerin entkommen war, um die örtlichen Behörden Zaires zu verständigen. Leere Patronenhülsen und Stiefelabdrücke waren auf den matschigen Fußpfaden verteilt. Blutspritzer und klaffende Schusslöcher waren über die Wände der Lehmhütten verteilt. Xavier fragte sich langsam, ob er die Lage falsch eingeschätzt hatte. Vielleicht hatte es doch einen Kampf zwischen den Dorfbewohnern und einem anderen Stamm gegeben. Es bestand immer die Möglichkeit, dass eine Rebellenmiliz angegriffen hatte …
Xavier näherte sich der größten Behausung in der Mitte der Lichtung – das Langhaus des Häuptlings. Eine Reihe von langen, klaffenden Klauenspuren bedeckte die Seiten der Lehmhütte wie Narben. Xavier ließ die Hand über den beschädigten Lehm wandern und fand eine Feder, die darin feststeckte. Er zog sie aus dem ockerfarbenen Ton und hielt sie gegen das Sonnenlicht. Die Feder glänzte in einem Kaleidoskop verschiedener Farben, von kaki über schwarz, bis erdfarben. Als Xavier sie fallen ließ, schien sie im Loudetia-Gras zu verschwinden. Es war die perfekte Tarnung für ein Raubtier, das aus dem Hinterhalt zuschlug.
»Das waren Raptoren«, rief Xavier über die Schulter.
Andre schnaubte verächtlich: »Überrascht mich wenig, Kamerad.«
Willard rief: »Wir haben hier definitiv Raptoren, Captain Wise!«
Xavier und Andrei drehten sich um und rannten quer durch das Dorf in die Richtung, aus der Willards Ruf erklungen war. Sie stießen auf Molnar und den jungen, neuen Rekruten, die am Rand des Waldes, der die Lichtung umgab, auf dem Boden kauerten. Molnar zerrte an etwas, das aussah wie ein langer, spitz zulaufender Baumstamm, der mit dürrem, gelbem Gras überwachsen war. Xavier ließ sich vom Anblick nicht täuschen. Er erkannte sofort, dass es die Schwanzspitze eines Utahraptoren war.
Xavier legte Willard eine Hand auf die Schulter. »Gute Arbeit, Benny.«
»Ich wünschte, Sie würden mich nicht so nennen, Sir«, sagte Willard. Er hatte sich vornübergebeugt, die Hände auf die Knie gestützt, und betrachtete das Tier. »Der Raptor ist nicht groß; es könnte ein junges Männchen sein.«
»Dah.«Andrei lächelte und zwinkerte Willard zu. »Gut erkannt.«
»Danke, Sir.« Willard salutierte mit einem Grinsen.
Molnar lachte. »Streber.«
»Halt die Klappe, Hippie«, blaffte Willard zurück. »Knall dir doch was rein.«
»Verhaltet euch mal eurem Alter entsprechend«, meinte Xavier. »Wir haben gerade ein paar Leichen gefunden.«
»Wir auch«, entgegnete Molnar. »Und wir haben den Grund gefunden, wieso die tot sind.«
Xavier drängte Molnar zur Seite und kniete sich hin, um das tote Tier genauer zu betrachten. Er betastete das dicke Federkleid mit den Händen und erzitterte, als das Adrenalin ihn durchströmte, weil er diesem Apex-Raubtier so nahe war. Er hatte schon so oft fast sein Leben an eine dieser Kreaturen verloren, dass er nicht mehr mitgezählt hatte. Xavier hatte einige seiner engsten Freunde sowie die meisten seiner Teamkameraden aus dem Vulture Squad in Vietnam an die Utahraptoren verloren.
Der Kadaver war etwa viereinhalb Meter lang, die Hälfte der Länge entfiel auf den Schwanz, der gerade nach hinten gestreckt das Gewicht des Tieres ausbalancierte, wenn es rannte. Die Hinterbeine waren kräftig und hatten eine tödliche, 20 Zentimeter lange Kralle jeweils an der zweiten Zehe der Füße. Die gefiederten Arme des toten Utahraptors sahen aus wie die Schwingen eines Condors, endeten jedoch in klauenbewehrten Händen, mit denen er greifen konnte. Der Hals des Kadavers war in Todeskrämpfen nach hinten gekrümmt und man sah die gelbbraune Mähne, die ihn umgab.
Der Kopf des Utahraptors war fast 45 Zentimeter lang, mit einem Maul voller gezackter Fänge. Der Kiefer war kantig und massiv, dafür gedacht, Fleisch zu zerreißen und Knochen zu brechen. Xavier näherte sich langsam dem Kopf des Tieres und zog eines der Augenlider auf, enthüllte die goldene Iris, die ihn in seinen Träumen heimsuchte. Xavier ließ das Augenlid wieder los und wich unwillkürlich ein Stück zurück. Er atmete leise keuchend aus.
»Der ist fast so groß wie das Vieh, das Malcolm und Grant getötet hat«, sagte Molnar. Seine Lippen waren zu einem schmierigen Grinsen zurückgezogen, aber seine Augen finster und müde. Er wirkte älter, als er war. Willard drehte sich auf dem Absatz um, als ihre toten Squad-Kameraden erwähnt wurden, brachte die Waffe in Anschlag und ließ sie über das Dorf schwenken. Xavier knuffte Molnar mit dem Ellbogen in die Seite, als sie zusahen, wie der Neuling Richtung Dorf ging.
»Was?« Molnar sah Xavier an. »Was hab ich gesagt?«
»Zu früh«, meinte Xavier. »Das war viel zu früh.«
»Wenn ich jedes Mal, wenn ich das höre, einen Cent kriegen würde.« Molnar schüttelte den Kopf und sah zu Xavier hoch. »Komm schon, Boss, das war vor Ewigkeiten. Die sind jetzt an einem besseren Ort als wir.«
»Das bedeutet nicht, dass Benny damit klarkommt, Molnar«, erwiderte Xavier. »Er ist noch ein Junge. Der muss sich erst an den Tod gewöhnen.«
»Hey, was ist das Leben schon anderes als stetes Sterben?«, sagte Molnar. »Sie haben ihre Hüllen aus Fleisch hinter sich gelassen, na und? Die sind jetzt im Äther«, er ließ die Finger durch die Luft streifen, und machte dabei sarkastisch ein erstauntes Gesicht und riss die Augen weit auf. »Die sind überall um uns herum, so ungreifbar wie die Welt zwischen meinen Ohren.«
»Du bist durchgeknallt, Molnar.« Xavier stand auf, wischte sich mit den Händen über die Brust und wandte den Blick von dem toten Utahraptor ab. Das goldfarbene Auge zu betrachten, hatte einen unerbittlichen Strom an Erinnerungen an Vietnam ausgelöst, an seine gefallenen Kameraden des Vulture Squads und die Gelegenheiten, bei denen er selbst dem Tod von der Schippe gesprungen war. Xavier räusperte sich nervös und sah Andrei an. »Sieht aus wie ein Tier aus dem Rudel von Xipetotec, ein Citrinitas-Utahraptor.«
»Scheint so«, murmelte Andrei. Die Stalker Force hatte es vor allem auf ein Alphamännchen der Utahraptoren abgesehen, dem sie den Spitznamen Xipetotec gegeben hatten, nach der aztekischen Gottheit Xipe Totec. Xipetotec war der Erste der Utahraptoren, der aus dem Tal in Vietnam geflohen war und eine ganze Kolonie mit in die Annamitische Kordillere in Laos genommen hatte. Bei der aktiven Jagd nach Xipetotec und seiner Kolonie hatte die Stalker Force die vier verschiedenen Utahraptoren-Unterarten entdeckt.
Die Nigredo-Utahraptoren hatten grün-schwarze Federn und jagten aus dem Hinterhalt. Das war die ursprüngliche Art, die Vietnam heimgesucht und sich über den Großteil von Südostasien ausgebreitet hatte. Neben den Nigredo-Utahraptoren gab es die Albedo-Utahraptoren, Fleischfresser mit weißen und schwarzen Federn, die in kälteren Klimazonen als Einzelgänger lebten. Die dritte Unterart waren die Rubedo-Utahraptoren mit schwarz-roten Federn, die in den Bergzügen des Mittleren Ostens lebten und gediehen. Die gelb-schwarze Unterart, die Citrinitas-Utahraptoren, waren die jüngste Unterart, die man gesehen hatte, als sie Xipetotec den Nil entlang gefolgt waren. Trotz der zahllosen Kolonien von Utahraptoren, die die ungezähmte Wildnis der Welt zu ihrem Reich erkoren hatten, blieb Xipetotec das wichtigste Ziel der Stalker Force.
Als Xavier und Andrei die Ökologie des Tals in Vietnam studiert hatten, hatten sie herausgefunden, dass einige Utahraptoren bis zu neun verschiedene Varianten eines uralten Plasmodium-Virus in sich trugen. Dieses bisher unbekannte Pathogen aus der Urzeit wurde als das Dromaeosaurid-Mutagen bekannt und als DM-1 bis DM-9 bezeichnet. Die zehnte Variante des Dromaeosaurid-Mutagens, DM-10, war die einzige Mutante des Virus, die von Utahraptoren auf den Menschen übertragbar war. Andrei hatte die Theorie aufgestellt, dass DM-10 sich in Xipetotec entwickelt hatte, nachdem der Utahraptor mit den verschiedenen Viruskrankheiten in Berührung gekommen war, die auf dem Ho-Chi-Minh-Pfad verbreitet waren.
Syd rief von der anderen Seite des Dorfes: »Ich brauche mal das Funkgerät, Chef.«
»Bin in einer Minute da«, rief Xavier zurück. Er hielt das Gewehr in der Hand und joggte durchs Dorf. Andrei blieb zurück und inspizierte weiter den toten Utahraptor. Als Xavier am anderen Ende der Lichtung angelangt war, fand er weitere menschliche Leichen, die um die Lehmhütten verstreut lagen. Einigen fehlten Körperteile; andere waren ausgeweidet oder in Stücke gerissen. Xavier versuchte, die dunklen Höhlen, in denen ihre Augen gewesen waren, nicht anzusehen.
Xavier traf auf Lalo Flores und Syd Kinane, die nebeneinander am Rand der Lichtung standen. Zwischen ihnen kniete Willard im Gras. Der junge Rekrut hatte die Hände über den Mund geschlagen und starrte einen Abhang hinab in eine Grube, die Xavier nicht sehen konnte. Er wollte Willard gerade fragen, was los war, aber als er einen Blick an den drei Männern vorbei warf, war ihm die unaussprechliche Antwort klar.
In einer flachen Grube am Rand des Waldes lagen Dutzende menschlicher Leichname, die man in dieses schlammige Grab geworfen hatte. Das Massaker war Menschenwerk. Xavier erkannte die klaffenden Wunden von Machetenhieben. Die meisten der Leichen waren schwer verstümmelt oder enthauptet. Willard stöhnte durch seine Finger hindurch und versuchte, seinen Mageninhalt daran zu hindern, sich einen Weg ins Freie zu bahnen. Xavier drehte ihn an den Schultern weg, damit er die Grube mit den verrottenden Leichen nicht mehr sah, und schob ihn zurück Richtung Dorf.
»Benny, hol Andrei«, sagte Xavier. »Sofort.«
»Es – es tut mir leid, Sir«, sagte Willard mit erstickter Stimme und ging auf zittrigen Beinen davon. Xavier sah dem Neuling nach, bis dieser nicht mehr zu sehen war. Er drehte sich um und blickte seinen zweiten Kommandanten Syd Kinane und den Sanitäter der Stalker Force, Lalo Flores, an.
Lalo Flores schüttelte den Kopf und pfiff leise. Er war Hispano-Amerikaner. Lalo war ein kubanischer Soldat, der nach der gescheiterten Invasion in der Schweinebucht aus Fidel Castros Special Forces Eí Leóns desertiert war und der CIA geheime Informationen über die Sowjets verkaufte, um die amerikanische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Lalo kratzte sich an den »5-Uhr-Stoppeln«, die seine Wange bedeckten, und meinte zu Xavier: »Ich habe schon schlimme Sachen gesehen, Jefe, aber nichts wie das hier … noch nie so etwas wie das hier.«
Xavier brummte: »Wer hat entschieden, dass Benny hier herumhockt und in ein Massengrab starrt? Der ist noch ein Junger, verdammt. General Jericho beißt mir den Kopf ab, wenn sein Neffe mit posttraumatischem Stresssyndrom nach Hause kommt.«