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Seit Jahren ist der König von Astraladia verschwunden und es gibt manche, die seinen Platz einnehmen wollen. Die Königstreuen um Sir Harris und seinen Pagen Ray versuchen die Ordnung im Land zu wahren. Doch der Barbarenfürst Viggo mit seiner mächtigen Armee könnte einem der Thronanwärter helfen. Als Ray Ritter wird, muss er sich gleich in Schlachten gegen sie beweisen. Er lernt viel, auch dank den anderen Vasallen. Aber wem von ihnen kann er trauen, wer ist nur auf Macht aus? Und wo ist der König überhaupt? Dass Astraladia in Unruhe ist, hat auch mit der Geschichte der Königsfamilie zu tun, die im Dunkeln liegt. Ist hier der Schlüssel für das Verschwinden des Königs zu finden? Ray macht sich auf die Suche, auch nach seiner eigenen Rolle und Zukunft.
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Seitenzahl: 292
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Das Abenteuer beginnt jetzt ...
Charaktere – PRO König
Personen der Handlung
Charaktere – KONTRA König
Personen der Handlung
Fabelwesen
Kapitel 1 – Ein unerwarteter Gast
Kapitel 2 – Der geheime Außenposten
Kapitel 3 – Edgar Blythee’s Rettung
Kapitel 4 – Heilige Reliquie
Kapitel 5 – Vergeltung!
Kapitel 6 – Der Traum eines Diebs
Kapitel 7 – Eine neue Welt
Kapitel 8 – Kräfte sammeln
Kapitel 9 – Zorn eines Kriegers
Kapitel 10 – Hisst das Banner
1. Etappe: Neue Ressourcen
2. Etappe: Gold muss in die Schatzkammer
3. Etappe: Das Abkommen
4. Etappe: Viggos Plan
Finale Etappe: Wehe dir, Viggo Blackbeard
Kapitel 11 – Aufstand unter Tage
Kapitel 12 – Viel Rauch um Nichts
Kapitel 13 – Zähneknirschen
Kapitel 14 – Der Omni Orden
Kapitel 15 – Blutvergießen
Kapitel 16 – Das Ende der Belagerung
Nachwort des Autors
Motivation und Danksagung
Der Autor – Kurzbiographie und Werke
Weitere Werke von Patrik Musollaj
Der König – Herrscher von Astraladia
Sir Harris Brys – Vasall und Stellvertreter des Königs
Ray – Page, Lehrling von Sir Harris
Krist, David, Fabian – Botschafter des Königs
Vivienne – Prinzessin, Tochter des Königs
Lady Ina Kimbale – Vasall
Bruder Erik – Oberster Mönch
Philip Rhodes – Berater (Wirtschaft)
Hunter Hopkins – Berater (Kampf)
Sir Irvine Sayer – Vasall
Aribor – Elementarmagier Luft
Watok – Elementarmagier Wasser
Eas – Elementarmagier Erde
Firlo – Elementarmagier Feuer
Viggo Blackbeard – Barbarenfürst
Chad, der Hammer – Ketzer
Pero, der Falke – Ketzer
Edgar Blythee – Ketzer
Magnus O’Connor – Ketzer
Gracio – Bandit, Fürst der Banditen
Gabriell – Bandit, Gracios Bruder
Simeon – Bandit
Hammond – Unheilsprophet
Gorg VI. [Zwerg] – König der Zwerge
Calvis [Zwerg] – König Gorgs Berater
Februar (Winter)
Es versammelten sich immer mehr Menschen zur wöchentlichen Ansprache am Theater in der Hauptstadt Jupitor. Offensichtlich war die allgemeine Stimmung deutlich gedämpft. Die lange Abwesenheit ihres Königs und die mangelnden Informationen machten vielen zu schaffen. Man befürchtete, dass der hart erkämpfte Frieden ohne den König auf dem Spiel stünde. Feindlich Gesinnte könnten diesen Moment der Schwäche ausnutzen. Deswegen hatte sich der Adel heute gemeinsam entschieden, eine innovative Veränderung bekannt zu geben. Dies sollte die Zufriedenheit des Volkes steigern und die Beliebtheit des Königs stabil halten.
Spürbar nervös wagte die Stellvertretung des Königs, Sir Harris, einen ersten Blick auf die stets größer werdende Masse. Während sich immer mehr und mehr Leute versammelten, hatte die königliche Garde alle Hände voll zu tun. Immerhin sollte es auf keinen Fall ausarten. Dies wäre in der aktuellen Situation fatal für Adel und Gesellschaft gewesen. Pünktlich zur Mittagszeit ertönten die Glocken der Kirchen in der Stadt. Das war das Zeichen für Harris, um aufzutreten. Von der einen auf die andere Sekunde änderte er seine Emotionen, er war nicht mehr angespannt, sondern erfreut und trat winkend mit einem Lächeln vor die Bevölkerung. Diese erwartete ihn mit mäßigem Applaus von allen Seiten. Sir Harris war hoch angesehen für seine im Land erbrachten Leistungen. Als die Glocken schließlich nach einer Minute langsam verstummten und es ruhiger wurde, begann er mit seiner Rede.
„Werte Brüder und Schwestern. Ich versuche mich heute besonders kurz zu fassen, damit ihr alle noch euer warmes Mahl genießen könnt. Zuallererst möchte ich mich für eure Geduld und euer Verständnis bedanken. Für keinen ist die aktuelle Situation einfach. Gerne würde ich euch bessere Nachrichten überbringen, doch auch wir tappen zurzeit, wie ihr, im Dunkeln. Es ist nicht so, dass wir euch etwas verheimlichen möchten. Nichtsdestoweniger erwarten wir, ohne es zu versprechen, demnächst etwas von unserem geliebten König zu hören.“
Die Blicke in der Masse gingen hin und her. Einige seufzten, während andere die Augen verdrehten. Schon viel zu oft hatten sie diese Worte gehört. Auch Sir Harris bemerkte die leichte Unruhe und führte seine Rede fort.
„Weiter haben wir entschieden, dass ab sofort jeder Sonntag ein freier Tag werden soll. So kann sich jeder von euch mindestens einmal in der Woche ausklinken und ausruhen. Unser Ziel ist es, dass ihr mehr Zeit mit euren Liebsten verbringen, öfter die Kirche besuchen und euch persönlich weiterentwickeln könnt. Diese Regelung ist beschlossen und gilt ausschließlich in Friedenszeiten, wie wir sie aktuell erleben. Wer trotzdem gerne arbeiten möchte, sollte dies weiterhin tun dürfen!“
Sir Harris beendete seine Rede und verbeugte sich aus Respekt leicht in alle Richtungen der Zuhörer. Die Rede war kurz und bündig. Es sollte keine Zeit verschwendet werden. Seine Absicht hatte er wie geplant verwirklichen können.
Schnell verbreitete sich ein warmes Gefühl unter den Leuten. Diese Entscheidung kam äußerst überraschend und vor allem den hart Arbeitenden sehr gelegen. Noch vor Ort planten einige den nächsten freien Sonntag, welcher schon in zwei Tagen erreicht sein würde. Auch Sir Harris bemerkte die Zustimmung schnell und verabschiedete sich wieder mit einem Winken hinter die Bühne, wo sein Page Ray, leicht ironisch applaudierend, auf ihn wartete.
„Super Rede, Sire!“, lobte ihn sein Schützling aufmunternd.
„Ich hoffe, du hast aufgepasst, Ray. Das nächste Mal wirst du vor dem Volk stehen!“, antwortete ihm Harris scherzend, nahm ihn an der Schulter und ging gemeinsam mit ihm zurück zum Bergfried, wo ein duftendes Mahl auf sie wartete.
Weit weg von Jupitor neigte sich der Proviant langsam dem Ende zu. Erschöpft von ihrer Reise drosselten Krist, David und Fabian ihr Tempo auf ein Minimum. Auch die Pferde mussten für den Rest des Weges geschont werden. Die drei königlichen Botschafter befanden sich auf dem finalen Abschnitt ihrer Rückkehr. Nur noch eine Ortschaft trennte sie von ihrem Ziel, doch die lange Reise hinterließ deutliche Spuren. Ermüdungserscheinungen zeichneten sich allmählich ab.
„Ich kann es kaum erwarten, unsere Freunde endlich wieder zu sehen“, sagte der Jüngste, Fabian, zu seinen Kumpanen und riss im Vorbeigehen ein paar Beeren von einem Busch ab.
Auf seine Aussage gab es allerdings keine Reaktion. Er warf sich eine Handvoll der lecker aussehenden Beeren in den Mund, ohne zu fragen, ob noch jemand ein paar davon haben möchte. Diese saftigen Früchte hinterließen allerdings einen leicht bitteren Geschmack in seinem Mund. Seine Hand, in der er die Beeren hielt, verfärbte sich zudem bläulich. Fabians Gesichtsausdruck glich dem eines Pantomimen, welcher gerade sein Gesicht vor den Zuschauern auf alle verschiedenen Arten verzieht.
„Ich glaube, ich habe ein Problem“, meinte er leicht angeekelt.
David wusste genau, dass die Beeren nicht giftig, aber dafür umso unappetitlicher waren. Als gelehrter Heiler des Trios hätte er ihm auch vorher schon sagen können, dass er die Beeren nicht anfassen sollte. Doch für einen kleinen Lacher war er diese Entscheidung unbesorgt eingegangen.
„Ich habe dir doch mehrmals gesagt, dass alles, was in Wäldern und an Büschen schön aussieht, nicht für unseren Gaumen gemacht ist. Die Natur stellt dir damit eine Falle, um den Kreislauf des Lebens zu schließen“, belehrte David seinen Freund, als es bereits viel zu spät war.
Fabian fand dies gar nicht zum Lachen. Er versuchte sich den Geschmack mit den Fingern von der Zunge zu kratzen. Aus Mitleid hielt David an und stieg von seinem Pferd herunter, pflückte am selben Busch Blätter und reichte sie Fabian.
„Hier. Versuch das“, sagte David dem angewiderten Fabian.
„Was soll ich denn damit?“, erwiderte er ratlos.
„Die Blätter haben den einen Effekt, der dem der Beeren entgegengesetzt ist. Sie werden deine Mundhöhle sofort beruhigen und dir ein heilendes Gefühl bescheren.“
Ohne zu zögern griff sich der junge Fabian einige Blätter und kaute darauf herum. Im ersten Augenblick schien sich das unangenehme Gefühl abzuschwächen, doch dann ging es erst richtig los. Jetzt fing sein Mund auch noch an zu brennen. Schadenfroh kicherte David und stieg schnell wieder auf sein Pferd auf. Fabian tat es ihm gleich. Krist war währenddessen kommentarlos weitergeritten und die beiden Zurückgebliebenen versuchten ihn im Galopp einzuholen. Auf dem Weg kollidierten ihre Pferde beinahe. Fabian war gereizt und versuchte David auf dem Pferd von der Seite eins mitzugeben. Dieser wiederum achtete mehr darauf, nicht von einem dicken Ast erwischt zu werden. David erlebte diese Situation intensiv. Es erinnerte ihn an die frühere Zeit, als sie noch junge Männer in der Ausbildung waren und die Welt für sie nicht allzu ernst erschien. Krist schien das Verhalten seiner Mitstreiter gar nicht zu interessieren. Sein Blick war auf etwas in der Ferne fokussiert. Er hob seine Hand halb hoch und bat kurz um Ruhe.
„Schnell, mir nach!“, befahl er und ritt ihnen erneut davon. Nach einem kurzen Austausch von verständnislosen Blicken und mit einem Schulterzucken folgten ihm David und Fabian bis zu einem Wegweiser, an dem Krist dann anhielt und von seinem Pferd herabstieg.
„Hier machen wir eine Pause. Nicht unweit von diesem Wegweiser ist eine Brücke, die über den Fluss Lumia führt. Dieser bringt uns dann nach Hause“, meinte Krist erleichtert.
David hingegen war sehr skeptisch angesichts des Vorschlags, an dieser Stelle zu pausieren. Er erinnerte den Ältesten daran, dass Wegweiser oftmals von Banditen heimgesucht werden. Es gäbe keine bessere Stelle, um Händler, Abenteurer oder Wanderer zu überraschen. An solch einem Ort kommt jeder irgendwann einmal vorbei und hält inne. Krist wiederum beruhigte David und antwortete selbstsicher, dass sie nun bereits auf königlichem Gebiet seien und über Jahre hinweg keine Überfälle mehr stattgefunden hätten. Bis hierhin wird auch von der Garde des Königs in Jupitor patrouilliert.
„Kein Grund zur Sorge“, fügte Krist abschließend hinzu.
Nun etwas entspannter stieg David ebenfalls von seinem Pferd, gab Fabian ein Heilmittel gegen das unangenehme Gefühl der Pflanzen und versorgte die Tiere mit dem übrig gebliebenen Proviant. Alle drei machten auf ihre eigene Art und Weise Pause. Krist suchte sich eine ebene Stelle mit einem Baumstumpf, um seine Künste mit dem Schwert zu perfektionieren. David las die Karte und versuchte sich einen Überblick über ihre aktuelle Lage zu verschaffen. Fabian hingegen richtete seinen Bogen wahllos auf verschieden schwer zu treffende Ziele, um seine Atmung auch im erschöpften Zustand zu verbessern.
In der Hauptstadt sorgte der Unheilsprophet wieder einmal für Aufsehen. Auf einer Bank neben dem Kornspeicher verbreitete er, wie sein Spitzname schon sagt, gruselige und meist frei erfundene Geschichten. Seine Gefolgschaft war klein, doch hin und wieder schaffte er es, die Aufmerksamkeit des Volkes mit skurrilen Machenschaften auf sich zu ziehen. So benutzte er oftmals Kinder als Köder, welche seine wirren Prophezeiungen zu ernst nahmen und dann in ihr Elternhaus mitschleppten. Je verstörender die Geschichten, umso mehr Zuhörer fand er. So auch an diesem schönen Freitagnachmittag, kurz nach der Ansprache von Sir Harris am Theater.
„Unser geliebter König ist tot!“, rief er provokativ und hielt seinen Stab gegen den Himmel.
Einige vom vorbeigehenden Volk spitzten ihre Ohren, doch die Mehrheit bekam das Ganze im Getümmel gar nicht erst mit. Er wiederholte sich mehrmals, bis sich immer mehr Leute ansammelten. Die Botschaft über den König war die übertriebenste, die er jemals aus seinem Maul geplaudert hatte. Da der König bereits seit fast zwei Jahren auf einer Mission war, schienen sie ihm zu glauben. Seit seinem Abgang wurde kaum mehr etwas über ihn kommuniziert. Gerüchte verbreiteten sich ständig und überall in der Gegend.
„Es ist ein Komplott! Der König ist tot und Sir Harris, der Schurke, ist darin verwickelt!“, brüllte der Unheilsprophet mit immer lauter werdender Stimme.
Je länger er weitererzählte, umso wahnsinniger erschien er einigen.
„Der Teufel, ja … Der Teufel höchstpersönlich wird diesen Sonntag noch vor unserer Haustür stehen, deswegen sollt ihr alle zu Hause sein“, fügte er hinzu.
Unter den Versammelten sorgten die immer radikaleren Aussprüche für Aufruhr. Es bildeten sich langsam zwei Parteien. Auf der einen Seite waren die, welche in den Gerüchten die Wahrheit zu erkennen meinten, und auf der anderen diejenigen, welche auf dem Podest nur einen alten, desorientierten Mann sahen. Die Menschenansammlung blieb nicht lange unbemerkt, denn urplötzlich schlängelten sich zwei unbewaffnete Wachen durch die Menge. Das fiel ihnen erkennbar schwer. Beide wurden von den Menschen hin und her geschubst und von Schultern und Ellenbogen im Gesicht getroffen. Sehr schmerzhaft. In der Mitte des Geschehens angekommen, fokussierten sich die Wachen auf den befremdeten Unheilspropheten. Weiter stand er auf seinem Podest und wurde vom einen zum anderen Augenblick immer aggressiver, als wäre er besessen. In seiner ganz eigenen Welt.
„Im Namen des Königs werdet ihr jetzt zum Schweigen verurteilt. Euch wird Landesverrat und Hetze gegen unseren König vorgeworfen!“, sagte eine der Wachen.
„Welchen König?“, antwortete der Unheilsprophet provozierend. „Der König ist schon längst nicht mehr unter uns. Unsere Krone wird von einer langsam anwachsenden Tyrannei von der Öffentlichkeit unbemerkt getragen und missbraucht!“, rief er weiter aus.
Die Wachen reagierten genervt und versuchten ihn umgehend festzunehmen. Doch der alte Mann, welcher früher auch in der königlichen Garde gedient hatte, wusste sich zu verteidigen. Die Festnahme endete in einer wilden Schlägerei. Fäuste wurden geschwungen und schmerzhafte Kopfnüsse wurden ausgeteilt. Keine Partei ließ locker. Die Bevölkerung war ganz heiß darauf. Solche aufregenden Ereignisse gab es in der Hauptstadt mittlerweile sehr selten. Von weiter außen näherte sich noch eine Wache, dieses Mal allerdings bewaffnet mit einem Kampfstock. Auch sie musste sich durch die tobende Menge kämpfen. Als ihr dies schlussendlich gelang, nahm sie, ohne zu zögern, Schwung und schlug dem Unheilspropheten den stumpfen Stock mit voller Wucht in die Magengrube. Es wurde umgehend still. Der vorher noch so laute Mann erstarrte. Schmerzerfüllt fiel er auf die Knie und dann schließlich zu Boden. Dort wurde er von den erschöpften Wachen festgenommen und mühselig hochgehievt.
„Macht jetzt augenblicklich Platz!“, befahl der verärgerte Gruppenführer den Bewohnern.
Die Menschenmenge war fassungslos. Solch eine Gewalt gegen das eigene Volk hatte man seit den Kriegszeiten nicht mehr gesehen.
„Macht Platz oder euch erwartet dasselbe Schicksal!“, fügte er hinzu, als er bemerkte, dass nur wenige auf seinen ersten Befehl reagierten. Ehrfürchtig gingen die Menschen mit gemischten Gefühlen schließlich zur Seite. Ein Weg öffnete sich in Richtung des Kerkers und die Ansammlung löste sich allmählich auf. Mit betäubten Sinnen bekam der Unheilsprophet von dem Abgang nur wenig mit. Er hörte lediglich das Pulsieren seines Blutes in den eigenen Ohren. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Gerüchte die Runde machten. Ziemlich benebelt bekam er davon beim Vorbeigehen nur wenig mit. Von überall erreichten ihn dumpfe Stimmen.
„Was für ein Idiot …“
„Er ist doch nur ein alter, verwirrter Mann …“
„Wahrscheinlich hat er wieder zu viel von seinen Kräutern geraucht …“
„Papa …?!“
Die letzten Worte, die er noch hörte, waren die seiner einzigen Tochter. Bis ihm schließlich die Augen zufielen und er sich hilflos seinem Schicksal ergab.
Weit weg von dem Tohuwabohu draußen spielte sich ein ähnliches innerhalb der Burgmauern ab, als Vivienne von ihren Leibwächtern zurück in ihr Gemach gebracht wurde.
„Lasst mich sofort los, ihr tut mir weh“, sagte die Königstochter den Tränen nahe.
Nicht gerade zimperlich wurde sie daraufhin fortgeführt. Ihr Aufschrei sorgte für viel Aufmerksamkeit rund um den Bergfried. Auch Sir Harris fiel die ungewöhnliche Situation auf. Er lief zu den Leibwächtern hin und bat um eine Erklärung.
„Sie hat sich wieder heimlich mit diesem Simeon getroffen, mein Herr“, erklärte ihm eine Leibwache, während er seinen Helm richtete.
„Simeon? Meinen wir den gleichen Simeon?“, fragte Harris neugierig und dachte dabei an den Jungen aus dieser geheimnisumwitterten Familie, in einer dunklen Ecke der Stadt.
„Exakt dieser Junge, Sire!“, bestätigte ihm die Wache seine Vermutung.
„Verstehe. Lass sie vorübergehend in ihrem Gemach. Ich werde mich zu einem späteren Zeitpunkt um sie kümmern müssen, wenn die Zeit reif ist“, antwortete ihm Harris und schloss das Gespräch mit den Leibwächtern überraschend schnell ab.
Innerlich erhoffte er sich, dass Lady Ina demnächst vorbeischauen würde. Harris fehlte die Erfahrung, um einer jungen Prinzessin zu erklären, warum diese Liebe in ihren Kreisen absolut nicht möglich war.
Der Tag neigte sich langsam dem Ende zu. Die Botschafter waren dem Fluss am Wegweiser gefolgt und erblickten in der Ferne ihr letztes Zwischenziel: die Arbeiterstadt Kore. Als würde sie nur darauf warten, Besuch zu bekommen, schienen die letzten Sonnenstrahlen genau auf die Stadt hinab. Diese Gegend war mit einem Überschuss an Ressourcen gesegnet. Holz, Stein und Lehm gab es hier in Unmengen. Der Fluss Lumia, welcher in der Nähe entsprang, brachte auch fließendes Wasser in die Stadt. Durch den Vulkan im Westen war der Boden nährstoffreich. Weizen und Bäume gediehen, Tiere lebten ein gesundes Leben. Das Trio stand nun vor den menschenleeren Toren von Kore. Normalerweise ging es hier lebhaft zu. Händler spazierten herein und heraus, Arbeiter gingen ihrem Alltag nach und Kinder spielten auf den grünen Wiesen und vertrieben sich so ihre Zeit. Auch der Älteste, Krist, fragte sich, wo hier bloß alle hin waren.
„Seltsam, so ruhig war es hier seit dem Krieg nicht mehr“, sagte Krist und stieg von seinem Pferd ab. „Wo sind denn alle?“
David und Fabian taten es ihm gleich, stiegen ab und banden ihre Tiere an die Henkel neben dem Torhaus. Beim Eintreten zogen die drei Kumpanen ihre Kopfbedeckung von ihrer Robe ab. Da sie auf einer Mission waren, durfte man sie nicht als königliche Anhänger erkennen, weshalb sie für die Reise ganz schlicht angezogen waren. Nicht jeder, der ihnen über den Weg lief, war friedlich gesinnt. Ihre Blicke gingen von links nach rechts und von oben nach unten. Nichts. Kein Mensch war in der Stadt. Wie in einer Geisterstadt. Krist griff mit seiner rechten Hand an seinen Dolch und lief skeptisch den Weg weiter Richtung Zentrum. Er hatte ein schlechtes Gefühl bei der Sache. Fabian hatte derweilen seine Augen überall. Der Meisterschütze würde auch eine Maus in einem Gebäude erkennen, wenn sich diese bewegen sollte. Nur David versuchte positiv zu denken und die Stimmung etwas aufzuheitern.
„Die sind bestimmt alle auf dem Weg nach Jupitor, um den 18. Geburtstag der Prinzessin am Sonntag zu feiern“, meinte er aufmunternd.
„Und unsere Rückkehr“, fügte Fabian, nun sogleich begeistert, hinzu.
„Denkst du, die haben so weit gedacht und damit gerechnet, dass der König genau zum Geburtstag seiner Tochter wieder zurückkommen wollte? Denkst du das wirklich?“, fragt ihn Krist skeptisch und widerlegte Davids Theorie. „Nur seine eigene Streitmacht kannte das Datum der offiziellen Rückkehr und absolut kein anderer.“
Angespannt liefen sie die leeren Straßen weiter.
„Halt!“, befahl Fabian überraschend und spannte seinen Bogen blitzartig in Richtung einer verlassenen Taverne.
Die beiden ohnehin schon verwirrten anderen Männer wussten jetzt gar nicht mehr, was los war. Von Fabians Stirn fiel ein Schweißtropfen auf den Boden. Für einige Sekunden wurde es still. Je länger er den Bogen spannte, umso zittriger wurden seine Arme. Urplötzlich öffnete sich die Tür der Taverne und eine Person in Frauenkleidern und einem roten Schleier kam beunruhigend langsam heraus.
Fabian hielt den Bogen auf sie gerichtet, als David scherzend einfiel: „Entspann dich, Bruder. Das ist nur eine hilflose Maid. So bekommst du nie eine Frau, wenn du ständig mit einer Waffe auf sie zielst.“
Nichtsdestoweniger behielt Fabian sein Ziel im Auge. Er konzentrierte sich auf das verschwommene Gesicht hinter dem Schleier. Als hielte er nach etwas Bestimmtem Ausschau. Im selben Moment hörten die Botschafter Pferde aus dem östlichen Eingang der Stadt auf sie zureiten. Das Hufgetrappel kam immer näher und näher. Als die Reiter in Sichtweite angekommen waren, erfasste Krist schnell, dass es sich dabei um eine Patrouille aus Jupitor handeln musste. Das Banner erkannte er augenblicklich. Die Wachen blieben vor den drei Botschaftern stehen und präsentierten sich stolz auf ihren Pferden.
„Noch protziger ging es wohl nicht“, flüsterte David Krist zu.
Auch die Lady aus der Taverne blieb stehen und Fabian senkte somit ebenfalls seinen Bogen.
„Krist?“, fragt eine der Wachen aufgelöst. „Wie lange haben wir uns jetzt nicht mehr gesehen?“
„Viel zu lange, mein Freund“, erwiderte Krist mit einem freundlichen Lächeln. Die beiden Vertrauten, welche im Krieg nebeneinander gekämpft hatten und sich bereits ewig kannten, konnten ihre Freude gar nicht in Worte fassen.
„Wie geht es euch? Wo habt ihr euch so lange aufgehalten? Ihr müsst uns unbedingt alles erzählen“, fragte ihn die Wache weiter. „Habt ihr eure Mission endlich erfüllt und wo sind denn die anderen?“
„Alles zu seiner Zeit, Kumpel“, antwortete ihm Krist. „Erzähl uns doch lieber mal, warum hier keine Menschenseele ist.“
Verblüfft schauten sich auch die Wachen aus Jupitor nun um. Sie hatten bei ihrem Ritt gar nicht bemerkt, dass die Stadt verlassen war. Sie waren während einer Patrouille schon lange nicht mehr auf dieser Route.
„Vielleicht habt ihr sie ja mit eurem merkwürdigen Anzug vertrieben“, kasperte eine der Wachen und stieg von ihrem Pferd ab.
Sie ging hochmütig direkt zu der mysteriösen Lady, welche dort immer noch wie angewurzelt stand. „Reizende Dame. Könnten Sie uns erklären, wo alle hin sind? Gibt es eine Feier, von der wir nichts wissen, von der wir vielleicht aber Kenntnis haben sollten?“
Endlich reagierte die Person. Sie steckte ihre Hand langsam unter ihr Oberteil. Fabian schärfte prompt wieder seine Sinne, als unerwartet eine kompakte Wurf-Axt in ihrer Hand ersichtlich wurde. Die verkleidete Person zog sich den Schleier vom Kopf und ein bärtiger Mann tauchte darunter auf.
„Nimm das du ekliger Bastard!“, sagte er mit einer tiefen Männerstimme und rammte die Wurf-Axt in den Kopf der Wache.
Fabian reagierte sofort und feuerte blitzschnell einen Pfeil in die Brust der falschen Braut. Er hatte vorher schon einen Hinterhalt vermutet. Im selben Moment gingen rundherum alle Türen und Fenster auf. Viele ähnlich behaarte und breit gebaute Männer erschienen vor ihren Augen. Die schutzlosen Anhänger des Königs begaben sich in eine abwehrende Haltung. Doch bevor sie reagieren konnten, regnete es nach einem lauten Aufschrei Äxte vom Himmel. Diese trafen vor allem die Patrouille an Brust, Schulter und Kopf. Sie sackten zu Grunde. Geistesgegenwärtig griff sich David einen Beutel aus seinem Sack und schmiss ihn mit voller Wucht zu Boden, bis sich blitzartig ein starker Rauch entwickelte. Im Schutz des Nebels rannten die Botschafter schockiert zurück zum Torhaus, wo ihre Pferde auf sie warteten. Direkt hinter ihnen waren die wie vom Teufel besessenen Barbaren.
„Was sollen wir tun, Krist?“, fragte Fabian außer Atem.
Sich einem Kampf zu stellen, wäre der Untergang. Zu dritt hätten sie nicht den Hauch einer Chance. Krist beschloss, zuallererst Distanz zu den Feinden aufzubauen. David fragte auf der Flucht, ob sie zurück zum König reiten sollten, um ihn zu warnen, oder ob es intelligenter wäre, weiter Richtung Jupitor zu reiten, um dort Sir Harris und das Volk zu alarmieren. Auf diese Frage fand Krist in dieser Situation so schnell keine Antwort. Es fiel im schwer, sich zu entscheiden.
Stunden vergingen. Nichts ahnend von der kommenden Gefahr, versuchte Sir Harris noch einmal mit der Prinzessin zu reden. Vor ihrem Gemach klopfte er an die Tür und wartete geduldig auf eine Antwort. Es kam keine Reaktion ihrerseits. Erneut klopfte er und wartete gelassen ab.
„Ich weiß, ihr seid verärgert über mich. Aber hört mir trotzdem zu, wenn ich sage, dass bei all dem, was aktuell passiert, ich nicht viel mitentscheiden kann“, sagte Harris leise durch die Tür. „Bitte verzeiht mir, ich werde es euch sobald wie möglich erklären“, fügte er weiter hinzu und wartete immer noch auf eine Antwort.
Hoffnungslos. Die Prinzessin hatte sich weinend eingeschlossen. Sie verstand das ganze Getue um ihre Person nicht. Warum ausgerechnet sie so viele seltsame Gesetze befolgen musste und alle anderen in ihrem Bekanntenkreis nicht.
Nach einer kurzen Pause hörte Harris Schritte aus dem Raum. „Verschwindet!“, rief die Prinzessin außer sich und warf einen Gegenstand gegen die Tür.
„Na ja, dann schlaft gut. Kommt doch morgen früh bei mir vorbei, dann reden wir“, meinte Harris abschließend und ging seine Wege, um die Nachtruhe in der Burg einzuleiten.
Er hatte mit einer anderen Reaktion gerechnet, doch irgendwie konnte er ihr Verhalten auch verstehen. In diesem Alter durchlebt man vieles, was man nicht versteht. Es war wie ein Spiel mit den Gefühlen. In einem Moment dachte sie wohl, sie wisse alles, und im nächsten Moment wollte sie von jemandem geführt werden. Wie Tag und Nacht.
Die Nacht verlief in Jupitor dann bis auf Weiteres für die meisten eher ruhig. Nur Bruder Erik hatte die ganze Zeit über seltsame Träume über einen bestimmten Auserwählten, der nach der Legende in den alten Schriften bald erscheinen sollte. Eine menschlich aussehende Gestalt, ausschließlich sichtbar als Schatten, begleitete ihn im Schlaf. Als er am nächsten Morgen schweißgebadet erwachte, spürte er eine ausgesprochen starke Aura aus dem Keller seines Klosters. Das sagenumwobene Götterschwert, welches nun seit mehreren Generationen in ihrem Besitz war, strahlte einen Zauber aus, der jeden in der Nähe erstarren ließ. Es machte sogar den Eindruck, als würde es sich hin und wieder für einen kurzen Augenblick selbstständig bewegen und die ganze Erde dabei leicht erschüttern. Man wollte sich nicht ausmalen, was geschehen würde, wenn das Schwert in die falschen Hände geraten würde. In den Überbleibseln der alten Schriften konnte man entziffern, dass sich die Waffe im Besitz von General Dagda befand, welcher für die Göttin Danu im tausendjährigen Götterkrieg gekämpft hatte.
Als Erik seinen Brüdern von seiner unruhigen Nacht und seiner Vision erzählte, staunten diese mit weit geöffneten Augen. Ihrer Erkenntnis nach sollte das Götterschwert alle 10 000 Jahre wieder zum Leben erweckt werden. Gemeinsam mit der Macht, die es in sich trug. Nach der Berechnung würde dies allerdings erst in 101 Jahren der Fall sein, also wäre es nun viel zu früh. Nichtsdestoweniger setzten sich die Gelehrten noch einmal zusammen und versuchten jeden möglichen Denkfehler auszuschließen oder zu korrigieren. Nervenaufreibend für die Mönche.
Samstags wurde jede Woche in Jupitor die Wachübergabe für die kommende Woche vollzogen. So trafen sich alle Posten gemeinsam in der Wachstube, wo Vergangenes und Zukünftiges kurz zusammengefasst und besprochen wurde. Auch dieses Ereignis wurde von Sir Harris persönlich geleitet. Immer noch auf die Prinzessin wartend, bereitete er sich in seinen eigenen vier Wänden auf die Besprechung vor. Vivienne musste diese Aktion gestern so stark mitgenommen haben, dass sie auch einen Tag später noch verärgert war. In Gedanken vertieft klopfte es an Sir Harris‘ Tür. Kurz darauf wurde sie von jemandem geöffnet. Für einen Augenblick war die Hoffnung auf die Prinzessin da, doch es war nur sein Page Ray, welcher ihn noch einmal daran erinnerte sich zu beeilen.
„Ich komme ja schon“, sagte Harris und richtete sein Gewand.
Gemeinsam gingen die beiden durch die Stadt, bis sie schließlich in der Wachstube ankamen, wo die Wachen bereits auf sie warteten.
„Heute seid ihr aber früh“, scherzte Harris.
„Ist doch klar. Heute gibt es Freibier!“, erwiderte eine Wache unbekümmert.
Sir Harris und Ray reagierten überrascht und sagten zeitgleich: „Freibier?!“
Weder Harris noch sein Schützling wussten etwas von Freibier in der Wachstube.
„Ja, die Prinzessin hat uns heute früh bereits über diese erfreuliche Nachricht informiert. Da konnten wir doch nicht Nein sagen.“
Harris war erleichtert und lächelte kurz auf. Dies war die typische Art der Prinzessin, sich zu versöhnen. Erleichtert bat er die Wachen Platz zu nehmen. Ray hängte währenddessen die wichtigsten Dokumente an die hölzerne Wand. Dort waren alle Pläne für die kommende Woche bereits aufgelistet und für jeden im Nachhinein auffindbar.
„Gab es diese Woche etwas Besonderes in unserer Stadt oder war es wie immer ruhig?“, fragte Harris in die Runde.
Einer der Gruppenführer stand auf.
„Ja?“, fragte Harris neugierig, mit der Feder in der Hand bereit, sich Notizen zu machen.
„Der Unheilsprophet Hammond hat letztens wieder Unruhe gestiftet. Wir haben uns erlaubt, ihn festzunehmen“, erklärte der Gruppenführer.
„Der Unheilsprophet also wieder …“, meinte Sir Harris aufgebracht.
„Ja, Sire, wir mussten dieses Mal Gewalt anwenden. Er hatte einen ganzen Mob versammelt. Wir mussten schnell reagieren, bevor es eskalieren würde.“
Harris runzelte die Stirn. Die Wachen waren stellvertretend für das Volk. Diese Reaktion war äußerst unangebracht. Die Bewohner würden so ihr Vertrauen in die Garde verlieren.
„Habe ich notiert. Ich werde mich zu einem späteren Zeitpunkt selbst darum kümmern“, antwortete Harris. „Gab es sonst noch etwas Erwähnenswertes?“
Es blieb ruhig. Einige schüttelten den Kopf, andere waren starr und regungslos.
„Gut, dann kann ich ja weitermachen“, fügte Sir Harris hinzu und ging seinem Plan entsprechend vor.
Als Nächstes thematisierte er die Geburtstagsfeier der Prinzessin und den ersten freien Sonntag, welcher am folgenden Tag stattfinden sollte.
„Ich weiß, es bleibt uns nicht viel Zeit, aber ich hätte für morgen gerne eine Tjost auf die Beine gestellt. Eine Tjost und viel Bier, um die Bewohner zu unterhalten. Es ist nicht irgendein Geburtstag, es ist ihr Achtzehnter, etwas ganz Besonderes für sie. Glen, du kümmerst dich darum“, meinte Harris. „Und weil morgen alle normalen Bürger zum ersten Mal wieder frei haben und es eventuell mit dem Alkohol eskalieren könnte, würde ich gerne einige Wachposten zurückziehen und alle möglichen Wachen in der Stadt haben“, fügte Harris hinzu und wies auf die Dokumente an der hölzernen Wand. „Bitte lest euch genau durch, wo ihr morgen ausnahmsweise stehen werdet. Bei Fragen fragt ungeniert.“
Auf der Liste stand Folgendes:
Die südliche Patrouille wird aufgelöst und übernimmt den Posten an der Tjost.
Die östliche Patrouille wird aufgelöst und übernimmt die Posten an den Tavernen.
Die Wache an der östlichen Brücke zum Fluss Lumia löst sich auf und übernimmt den Posten rund um die Zivilgebäude in der Burg.
Die nördliche Patrouille bleibt standardmäßig aktiv.
Die Nachtschicht von Samstag auf Sonntag fällt, abgesehen vom Torhaus, komplett aus. Vom Sonntagmorgen bis zum Abend sollen alle Wachen gleichzeitig aktiv sein.
Die Gruppenführer standen vor der Tafel und begriffen schnell, was ihre Aufgabe sein würde. Nur Manfred hatte noch eine Anmerkung zu dem Ganzen.
„Sire, die Patrouille von Kore hätte heute früh wieder eintreffen sollen, sie sind es aber nicht. Sollen wir einen Suchtrupp losschicken?“, meinte er besorgt über seine Kollegen.
„Sie haben sich bestimmt in den Augen der Fräulein in Kore verlaufen“, scherzte Harris und steckte mit seinem Lachen einige der Wachen an. „Spaß bei Seite. Sollten sie bis zum Mittag nicht zurückkommen, schickt ihr selbstständig einen Suchtrupp los“, befahl Harris schließlich und schloss die Besprechung mit einem Schlag auf den Tisch offiziell ab.
Es wurde schnell Mittag und die Patrouille aus Kore war immer noch nicht zurückgekehrt. Die Gruppenführer gingen dem Befehl nach und sendeten selbstständig einen Suchtrupp aus vier Mann los. Gemeinsam diskutierten sie noch die Entscheide von heute Morgen.
„Schon etwas merkwürdig, so viele Wachposten abzubauen, obwohl eines unserer Teams momentan noch vermisst wird, oder etwa nicht?“, hinterfragte eine der Wachen die Entscheidungen. „Es hat ihn auch wirklich nicht interessiert, dass die Gruppe noch nicht zurückgekommen ist.“
„Der wird sich bestimmt etwas dabei gedacht haben. Mach dir keinen Kopf“, antwortete ihm ein Kollege.
„Nicht dass an dem Geplapper vom Unheilspropheten doch etwas Wahres dran ist und Harris wirklich hinter einem Komplott steckt.“
Der Gruppenführer ermahnte seinen Kollegen schleunigst. Er solle solch eine Entscheidung von Sir Harris nie mehr infrage stellen. Falls ihn jemand hören sollte, wie er über die Führung lästerte, würde er seinen Beruf in Nullkommanichts verlieren und schlimmstenfalls im Kerker bei all den anderen Rebellen landen.
Der Tag verging und es war größtenteils ruhig. Gegen Abend braute sich in Jupitor allerdings ein Sturm zusammen. Märkte schlossen frühzeitig und die Bauern brachten ihr Vieh in Sicherheit. Unter anderem wegen des allerersten freien Sonntages, aber auch aufgrund des Sturms. Einige gingen so weit, dass sie ihr Hab und Gut aus Angst vor Schäden sogar mit Brettern verbarrikadierten. Die Wellen an der Küste stiegen auf eine angsteinflößende Höhe an und prallten mit einer Wucht, wie sie nur die Natur zu bieten hat, gegen die Klippen der Stadt. Das Geräusch, welches dabei entstand, glich dem von einem Henker, der gerade an den Verurteilten mit einer Peitsche die Strafe vollzieht. Der Wind pfiff durch die Ritzen der undichten Gebäude und ließ manch einen kein Auge zu machen.
Auch am Torhaus war die Aufregung groß. Der dortige Wachposten hatte nur minimalen Schutz gegen den Sturm zu bieten. Ein kleines Dach verhinderte, dass die Wachen nass wurden, doch gegen den Wind konnten sie nichts ausrichten. Unruhig warteten sie immer noch auf die Rückkehr des Suchtrupps.
Gerade als eine der Wachen von ihrem Apfel abbeißen wollte, rutschte ihm dieser aus seiner zittrigen Hand und fiel genau außerhalb vor das Torhaus auf den Boden. Genervt schaute er dem Apfel hinterher, als er aus der Distanz bemerkte, wie jemand holprig angelaufen kam.
Der Rüstung nach sah es so aus als wäre es ein Kollege von ihm. Ganz genau konnte er es allerdings nicht erkennen. Als die Person immer näher und näher kam und sie dann schlussendlich als einer des Suchtrupps identifiziert wurde, öffneten seine Kameraden mühsam das riesige Tor.
Wenige Meter davor brach dieser schließlich aus Erschöpfung zusammen. Seine Kollegen erkannten schnell grobe Verletzungen an seinem Nacken und an seinem linken Arm. Tiefe Schnittwunden gingen durch seine Haut.
„Los, holt ihn rein!“, befahl der Gruppenführer. In der Hektik vergaßen die geschockten Wachen das Tor wieder zu schließen, als ihnen aus der Dunkelheit zuerst eine, dann weitere Wurf-Äxte entgegenkamen.
Die Wachen fielen umgehend wie Sandsäcke zu Boden. Die Barbaren hatten mit der Hilfe der Dunkelheit die Stadtmauern erreicht. Den einen Überlebenden nutzten sie, um durch die riesigen Tore zu gelangen.
In Massen stürmten die Erzürnten innerhalb von Sekunden in die Stadt. Sie zündeten mit Fackeln zunächst die leichten Gebäude an und ließen die schlafende Bevölkerung einen qualvollen Flammentod sterben. Das Geschrei von verbrennenden Frauen und Kindern alarmierte schnell die ganze Stadt.
Einige verließen unwissend ihre Gebäude und rannten den Barbaren direkt in die Hände. Wer dem Feuer entkam, wurde daraufhin brutal aufgeschlitzt.
Auch Ray, welcher glücklicherweise noch nicht eingeschlafen war, wurde auf das furchtbare Geschrei und das Inferno aufmerksam und reagierte geistesgegenwärtig. Schnellstmöglich rannte er zum Bergfried, um seinen Meister zu warnen. In der Eile zog er sich nicht einmal um.
Durch die Abwesenheit der meisten Wachen konnten die Barbaren mühelos durch die Straßen rennen. In Unmengen kamen sie weiterhin durch das offene Tor und verteilten sich auf den Burgmauern, um so überall hinzukommen.
Die einzige Hoffnung des Volkes war in diesem Moment die Gilde der Veteranen, welche einen lautstarken Alarm auslöste. Als einziges ziviles Gebäude durfte diese Waffen beherbergen. Alle, die der Gilde angehörten, waren ehemalige Mitglieder der Streitkraft des Königs. Leicht ausgerüstet traten diese aus dem Gebäude und nutzten eine alte Strategie, um die Gegner in Notsituationen zu bezwingen.
„Schnell, Formation!“, befahl der Älteste.
Sofort formten sie einen Kreis. Die vorderste Front bildete sich aus Viereckschilden, die hintere Reihe stach dann mit Schwertern an ihnen vorbei, um die Feinde einzeln aufzuspießen. So verhinderten sie es, unerwartet von hinten angegriffen zu werden. Diese Taktik funktionierte wie gewohnt gut. Ihr Ziel war es, Zeit zu gewinnen, bis Verstärkung anrückte.
Als Ray bei Sir Harris ankam, war dieser schon wach und zog sich seine Rüstung an. Neben ihm waren noch einige Wachen, welche auch auf den Alarm reagiert hatten.
„Hier, zieh das an, Ray“, sagte Harris eilig zu seinem Schützling und zeigte in seine Rüstungskammer.
Nervös schnappte er sich ein Stück, doch wusste er nicht, wie und wo er es benutzen sollte. Er war es zwar gewohnt, seinem Meister mit der Ausrüstung zu helfen, aber sich selbst diese anzuziehen, war eine komplett andere Aufgabe. Vor allem passte ihm die Rüstung nicht, da diese immer für jede Person als Unikat hergestellt wurde. Harris bemerkte die Nervosität von Ray und machte ihm die Sache leichter.
„Hier, nimm den Dolch und das Schwert, du solltest mittlerweile alt genug sein, um damit umzugehen, ich vertraue dir.“