Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Im Jahr 1248: Der geplante Neubau des Kölner Doms steht unter keinem guten Stern: Ein Werkmeister der Dombauhütte und drei reiche Stifter werden in ein und derselben Nacht umgebracht. Zu dumm für Hafenknecht Paulus, dass er mit Klinge und blutdurchtränktem Hemd neben einer der Leichen entdeckt wird. Ganz Köln jagt ihn nun - und er jagt den mordenden Unbekannten, der ihn in die Falle gelockt hat. Alle Spuren führen auf ein mysteriöses Schiff, das im Kölner Hafen vor Anker gegangen ist. Doch nicht nur seinen eigenen Hals muss Paulus retten - das Schicksal der gesamten Stadt und der Neubau der Kathedrale stehen auf dem Spiel.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 580
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Dennis Vlaminck, Jahrgang 1970, studierte Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaft in Köln, arbeitete mehrere Jahre als Nachrichtenredakteur für die Kölnische Rundschau und schreibt nun unter anderem für den Kölner Stadt-Anzeiger. »Domfeuer« ist nach dem Bestseller »Reliquiem« sein zweiter Mittelalter-Krimi im Emons Verlag.
Dieses Buch ist ein Roman, und alle darin geschilderten Ereignisse sind frei erfunden. In besonderem Maße gilt das für Handlungen und Äußerungen der auftretenden oder erwähnten Personen, auch wenn einige von ihnen nicht der Phantasie des Autors entsprungen sind. Darüber hinaus sind Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen rein zufällig.
© 2012 Hermann-Josef Emons Verlag Alle Rechte vorbehalten Umschlagfoto: photocase.de/ good_grief Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch eBook-Erstellung: CPI – Clausen & Bosse, LeckISBN 978-3-86358-169-5 Originalausgabe
Unser Newsletter informiert Sie regelmäßig über Neues von emons: Kostenlos bestellen unter
PROLOG
KÖLN AM TAG DES HEILIGEN VITALIS, 28. APRIL 1248, EIN DIENSTAG
Der stolze Burkhart kroch auf allen vieren. Seine Männer nannten ihn nicht grundlos den »Maulwurf«. Auch ohne das Öllicht, das er vor sich herschob, hätte er sich hier unten geborgen gefühlt wie in seiner Mutter Schoß. So tief unter der Erde, so gewaltige Fundamente über sich, überfiel andere die nackte Angst, sie fingen an zu schwitzen und zu schreien. Er aber blühte auf, wenn er die muffige Luft roch, wenn die Balken knirschten und Erde von der Decke rieselte. Dann wusste er, sein Werk war bald vollbracht.
Er schob die Lampe weiter und rutschte zum nächsten Stützpfosten. Er hätte in dem Hohlraum durchaus stehen können, doch war seine Arbeit nur auf Knien zu verrichten. Andere Werkmeister lenkten ihren Blick nach oben und prüften die Querhölzer an der Decke, ob sie nicht unter der Last nachzugeben drohten. Burkhart aber wusste es besser. Er hatte bei Belagerungen schon viel mehr Mauern zum Einsturz gebracht als irgendjemand sonst. Waren der Feind ahnungslos und die Decke gesichert, lag die Gefahr nur noch selten über dem Stollen, sehr oft aber darunter. Niemand wusste, wie fest der Boden war, auf dem die Stempel standen. Und gerade hier, in der Nähe des Rheins, war das Grundwasser machtvoll. Es drohte die Sohle von unten aufzuweichen. Aber der Hohlraum durfte nicht zu früh einstürzen, nicht bevor alle Arbeiten beendet waren und alle Männer Höhle und Stollen verlassen hatten. Allein Burkhart bestimmte, wann das Bauwerk über ihm dem wegbrechenden Erdreich nach unten folgte.
Dieses Mal war der Bau, den er in Schutt verwandeln sollte, ein ganz besonderer. Dieses Mal sollte er Gottes Haus in Köln zerstören. Sein größtes, ehrwürdigstes und schönstes Haus.
Den Dom.
Der Auftrag bereitete ihm schiere Freude. Es gab keine Belagerung. Es gab auch keinen Feind, der ihn zu entdecken drohte. Es gab über ihm nur einen Berg von Quadersteinen, Balken und Putz, der zu Staub werden musste. Ein leichtes Spiel. Und er, der weise Werkmeister Burkhart, war auserkoren, jene Hand zu sein, die der jahrhundertealten Kirche den Boden unter den Füßen wegzog. Der Ostchor, jener Teil der Kathedrale, der dem Rhein am nächsten lag und der heiligen Jungfrau Maria geweiht war, musste dem Erdboden gleichgemacht werden. Das Längsschiff und der Westchor sollten später fallen.
Bevor er sich den nächsten Pfosten ansah, betete Burkhart ein Ave-Maria. Es war sein vertrautes Ritual. Wie einen Rosenkranz nutzte er das Balkengerippe bei der letzten Prüfung und betete sich durch den ganzen Brandraum, stets allein und am späten Abend, damit völlige Ruhe herrschte in seinem Bau und nichts seine Achtsamkeit störte. Entsprach alles seinen Wünschen, würden seine Leute morgen das restliche Reisig hinabschaffen und die Pfosten mit Pech bestreichen. Übermorgen dann machten sich die Flammen daran, Burkharts Werk zu vollenden. Und wenn die Balken zusammenfielen und die Höhle brach, würden tausende Menschen Zeugen sein. Sie würden das Getöse hören und die Staubwolke sehen, die sich wie der böse Odem eines Dämons über die Stadt erhob, würden, wenn die Wolke sich senkte, mit ungläubigem Staunen feststellen, dass ihrem stolzen Köln von diesem Dämon ein Stück des Herzens herausgerissen worden war. Sie würden erkennen, was er vollbracht hatte.
Er, Burkhart, der Meister der Zerstörung.
Mehr als sonst nach getaner Arbeit würde es der Maulwurf genießen, für einen Tag nicht in einem Erdloch zu stecken, sondern seinen Maulwurfshügel zu verlassen, in die Sonne zu blinzeln und sein Werk zu betrachten. Dann gebührte ihm bereits ein Stück des Ruhmes, in dem die Stadt sich suhlen würde, sobald der neue Dom stand. Denn um überhaupt erst die prächtigste Kathedrale zu erschaffen, die je auf Gottes Erde errichtet wurde, brauchte es einen Vernichter wie ihn. Um überhaupt erst Fialen, Säulen und Pfeiler in den Himmel und dem Herrn entgegenstreben zu lassen, musste der Maulwurf zuvor tief in der Erde wühlen.
Um den neuen Dom zu gebären, musste der alte sterben. Und Burkhart war der Henker und der Geburtshelfer.
»Sancta Maria, Mater Dei, ora pro nobis peccatoribus. Amen.«
Er beendete sein Gebet und betrachtete den Balken. Bestes Tannenholz. Stark. Eine mächtige Schulter, die große Last tragen konnte. Aber auch ein williges Opfer des Feuers, weit williger als Eiche. Ein Funke, Zunder und ein Windhauch genügten, um die Stütze schnell zu Asche zerfallen zu lassen. Burkhart betastete die Erde rund um den Stempelfuß. Sie war trocken und fest. Er nickte zufrieden. Seine Männer hatten ausgezeichnete Arbeit geleistet. Sollte der alte Dom doch zum Teufel gehen.
Ächzend erhob sich Burkhart. Er war nicht mehr der Jüngste, und mit jedem Stollen, den er unter eine Mauer oder einen Turm trieb, spürte er stärker, wie sich die Jahre in seine Knochen fraßen. Doch darunter litt nur seine Beweglichkeit, nicht aber seine Liebe zum Graben und Zerstören, auch nicht seine Gründlichkeit. Er ging zur hinteren Wand des Raums, die bereits mit Reisig aufgefüllt war. Ein Luftschacht, gerade armdick, führte von hier schräg an die Oberfläche. Das Feuer brauchte Nahrung, und dieser kleine Schacht sollte es mit Luft füttern. Burkhart stellte sein Öllicht auf den Boden. Er schob sich an das Loch und blickte hinauf. Wenn er die ersten Sterne in der Dämmerung sehen konnte, war der Schacht frei. Burkhart lächelte. Er spürte die Zugluft auf seinen Augen.
Die Sterne standen gut.
Als er sich nach seiner Lampe bücken wollte, verharrte er mitten in der Bewegung. Um ihn herrschte rabenschwarze Dunkelheit. Das Licht war erloschen.
»Verdammt!«
Durch den Belüftungsschacht strömte offenbar mehr Luft als erhofft. Und zumindest für einen Augenblick mehr als erwünscht. Doch mit dem leichten Luftzug verflog auch schon Burkharts Ärger. Das war nichts, was er nicht schon erlebt hatte. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass Höhle und Stollen gut gebaut waren, so war er nun erbracht. Er blieb stehen. Ohne Licht konnte zwar auch der Maulwurf nichts sehen. Aber wenige Atemzüge nur, dann würden seine Augen bereits Schemen erkennen und er tastend zurück nach draußen kriechen können.
Während er dastand, wartend und hoffend, dass sich endlich ein Umriss aus der Dunkelheit schälte, wanderte sein Blick durch das schwarze Nichts. Da, da war etwas. Aber das war kein Umriss. Es war – ein Schimmer, ein Lichtschein, hinter dem Reisig. Und der Lichtschein flackerte.
Feuer!
Burkhart taumelte vor Schreck und stieß sich an einem der Balken. Hatte die Zugluft einen Funken seiner Lampe ins Reisig geblasen? Himmel, das durfte nicht geschehen, nicht jetzt, nicht jetzt schon! Er stürzte zu den Reisigbündeln und riss sie beiseite, um den Flammen das Futter zu nehmen. Wieder warf er eines hinter sich und noch eines.
Als er alles Reisig weggezogen hatte, war das Licht immer noch da, doch es war kein Feuer zu sehen. Burkhart sank auf die Knie und starrte in eine Öffnung zu einem kleinen Gang, der zuvor vom Reisig verdeckt worden war, gerade groß genug, dass ein Mann hindurchkriechen konnte. An seinem Ende tanzte das Licht einer Fackel. In Burkhart wuchs die Wut. Die künftige Dombaustelle stand unter Bewachung, also konnten nur seine eigenen Männer diesen schmalen Stollen heimlich gegraben haben, aus welchem Grund auch immer. Er würde diesen Grund erfahren. Und er würde seine Leute mit der Peitsche daran erinnern, dass funkenstiebende Fackeln hier unten nichts zu suchen hatten.
Zornbebend drängte Burkhart sich in den Gang und hastete auf Knien voran, soweit die Enge es zuließ. Am Ende des Stollens angekommen, richtete er sich staunend in einer sauber abgestützten Kammer auf.
Burkhart sah, was er nie hätte sehen sollen.
Eines wusste er sofort. Er würde nicht erleben, wie der alte Dom zur Hölle fuhr.
SUMMUS
Erster Teil
KÖLN AM TAG DES HEILIGEN VITALIS, 28.APRIL 1248
»Heiliger Cyriakus, hilf!«
Paulus rief jenen Heiligen an, von dem er sich nun noch am ehesten Unterstützung erhoffte, eine Angewohnheit, die er sich vor einiger Zeit schon zu eigen gemacht hatte, nachdem ihn ein Stoßgebet zu seinem Namenspatron, dem Apostel Paulus, von rasenden Ohrenschmerzen befreit hatte. Der heilige Cyriakus, der gemeinhin allen hart arbeitenden Menschen beistand, sollte ihm beim Stemmen der letzten Fässer unter die Arme greifen. Zumindest soweit das einem Heiligen möglich war.
»Vierhundertdrei.«
Der Schiffsschreiber murmelte die Zahl gelangweilt vor sich hin, aber in Paulus’ Ohren begann sie wie Feengesang zu klingen. Er hob ein Fässchen gepökelten Herings durch die Ladeluke hoch auf Deck. Ein anderer Hafenknecht nahm es in Empfang und rollte es fort. Der Schweiß rann Paulus’ Rücken hinab. Es war viel zu warm für die Jahreszeit.
»Vierhundertvier.«
Der Schreiber kratzte einen weiteren Strich auf seine Wachstafel, und Paulus umschlang die nächste kleine Tonne. Der Gesang gewann an Schönheit.
»Vierhundertfünf.«
Wieder ein Strich auf der Wachstafel. Paulus’ Arme fühlten sich längst schon an wie zwei schlaffe Weinschläuche, aber er griff beherzt ein weiteres Fass. Gleich war es geschafft, er weckte seine letzten Kräfte. Cyriakus hatte ihn erhört.
»Vierhundertsechs.«
Nur noch ein Fass, endlich! Seine Arme waren kurz davor, ihm den Gehorsam zu verweigern. Nur noch einmal zupacken, nur noch einmal stemmen.
»Vierhundertsieben. Ladung gelöscht.«
Das Zauberwort!
Vierhundertsieben Fässer mit Heringen waren durch seine Hände gegangen. Rechnete er den Lastkahn vom Vormittag hinzu, bei dem er Plankendienst hatte und die Fässer nur zu rollen brauchte, waren es wohl an die tausend Fässer.
Es hatte viel zu lange gedauert. Ein Blick durch die Ladeluke verriet Paulus, wie spät es schon war. Die Sonne warf bereits einen roten Kranz an den Himmel, der sich allmählich in ein dunkles Blau verfärbte. Am liebsten hätte er sich auf eine Taurolle gehockt und die tauben Glieder baumeln lassen, bis wieder Gefühl in sie zurückkehrte. Aber dafür blieb keine Zeit. Er schwang sich aus dem stinkenden Bauch des alten Lastkahns an Deck, hüpfte über die wippende Planke auf die Kaimauer und taumelte mehr, als dass er lief, zu Jobst, dem Zahlmeister.
Doch bevor Paulus seinen Tageslohn fordern konnte, winkte Jobst schon ab. Hinter dem Brett, das er mit Hilfe zweier Kisten zur Schreibunterlage umgewidmet hatte, sah Jobst mit seinem langen grauen Bart beinahe aus wie der Weltenrichter, und fast so gebärdete er sich auch.
»Paulus, Paulus, es ist jeden Tag dasselbe mit dir.« Jobsts Stimme klang wie ein Grollen am Gewitterhimmel. Er wedelte mit einem Federkiel. »Die anderen sind noch nicht fertig, und du willst dich schon wieder dünnemachen.«
Wie zur Bestätigung sahen zwei andere Hafenknechte, die mühsam die letzten Fässer auf eine Karre hoben, zu ihm herüber.
Paulus stöhnte. Er mochte den guten alten Jobst, aber er hasste diese Gespräche. »Nur weil die anderen noch nicht fertig sind, muss ich doch hier nicht meine Zeit vertrödeln. Meine Arbeit ist getan, und ich will mein Geld.«
»Zu den anderen, die noch nicht fertig sind, gehöre verdammt noch mal auch ich. Du lässt mir noch nicht mal Zeit, meine Listen fertigzustellen. Wenn du weiter so quengelst, verzichte ich in Zukunft auf deine Dienste.«
Paulus stöhnte wieder. Es war eine leere Drohung, Jobst wusste, was er an ihm hatte. Kaum ein anderer entlud einen Nieder- oder Oberländer so schnell wie er. Er sandte ein paar stumm flehende Worte zur heiligen Corona, die man anrief, wenn man Sorgen in Gelddingen hatte. »Jobst, wenn ich noch weiter betteln muss, ist der Vitalistag vorbei.«
»Billige Ausrede. Ich kenne niemanden, der am Vitalistag feiert.«
»Jobst, bitte, ich muss weg.«
»Du quengelst…«
»Ich muss weg.«
»Du quengelst…«
»Bitte!«
Das Wasser gluckste gegen die muschelbedeckte Bordwand des Schiffes. Paulus kam es vor, als kicherte der Rhein über dieses Gespräch, das sich allabendlich wiederholte. Jobst ließ ihn jedes Mal zappeln. Aber nie lange, auch an diesem Tag nicht. Der Zahlmeister schüttelte den Kopf, zog einen Beutel hervor und kramte kurz darin herum. Zwei Münzen wechselten den Besitzer.
»Jetzt geh schon«, brummelte Jobst. »Aber trink nicht zu viel Gruitbier, damit du vor Sonnenaufgang wieder hier und noch halbwegs bei klarem Verstand bist.«
Mit einem Grinsen ließ Paulus die Silbermünzen in seinem Brustbeutel verschwinden. »Keine Sorge, Jobst«, sagte er. Schon verfiel er in einen schnellen Schritt. »Worauf es bei meiner und bei deiner Arbeit am wenigsten ankommt, ist der Verstand.«
Auch wenn er ihn nicht sah, wusste Paulus doch genau, dass Jobst zwar schluckte, aber bereits an einer passenden Antwort bastelte. Bevor er außer Hörweite war, jagte der Zahlmeister sie ihm hinterher. Sie war begleitet vom Gelächter der anderen Schiffs- und Hafenknechte.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!