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Nicht umsonst wurde "Don Quixote" 2002 vom Osloer Nobelpreis-Institut zum "besten Buch der Welt" gekürt: Don Quixote, der Ritter von der traurigen Gestalt, ist eigentlich ein Landjunker, der zu viele Ritterromane gelesen hat und nun selber einer werden will. Zusammen mit seinem treuen Gefährten Sancho Pansa macht er sich auf den Weg, um seiner Verehrten zu imponieren. Dank seiner blühenden Phantasie erlebt er so manche Abendteuer auf seinen Fahrten.-
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Seitenzahl: 1186
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Miguel de Cervantes
Saga
Don Quixote ÜbersetztLudwig Tieck Coverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1605, 2020 Miguel de Cervantes-Saavedra und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726642919
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.
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– a part of Egmont www.egmont.com
Müßiger Leser. — Ohne Schwur magst du mir glauben, daß ich wünsche, dieses Buch, das Kind meines Gehirns, wäre das schönste, lieblichste und verständigste, das man sich nur vorstellen kann. Ich habe aber unmöglich dem Gesetz der Natur zuwider handeln können, daß jedes Wesen sein Ähnliches hervorbringt. Was konnte also mein unfruchtbarer, ungebildeter Geist anders erzeugen, als die Geschichte eines dürren und welken Sohnes, der wunderlich und voll seltsamer Gedanken ist, die vorher noch niemand beigefallen sind: wie erzeugt sichʼs auch gut in einem Gefängnisse, wo jede Unbequemlichkeit zu Hause ist, und alles traurige Geräusch seine Wohnung hat? Ruhe, ein angenehmer Aufenthalt, die Lieblichkeit der Gefilde, die Heiterkeit des Himmels, das Gemurmel der Quellen, diese Begünstigungen machen selbst die unfruchtbarsten Musen fruchtbar, und teilen der Welt Werke mit, die Bewunderung und Frucht erregen. Ein Vater hat wohl einen häßlichen, unliebenswürdigen Sohn, aber die Liebe, die er zu ihm trägt, knüpft ihm eine Binde um die Augen, so daß er seine Fehler nicht sieht, oder sie wohl für Annehmlichkeit und geistreiche Züge hält und sie allen seinen Freunden für Witz und Scharfsinn anrechnet. Ich aber, wenn ich auch der Vater scheine, bin nur der Gevatter des Don Quixote und will nicht dem Strome der gewöhnlichen Sitte folgen, dich nicht, geliebter Leser, wie wohl andere tun, mit Tränen in den Augen bitten, daß du die Fehler, die du an diesem Kinde wahrnimmst, vergeben oder übersehen mögest: denn du bist ja weder sein Verwandter noch sein Freund, du hast deine Seele für dich in deinem Körper, so uneingeschränkten Willen, daß einem das Herz im Leibe lacht, du bist in deinem Hause und darin so unumschränkter Herr, wie der König in seinen Domänen, und du weißt das Sprichwort recht gut zu schätzen, daß jeder in seinen vier Pfählen der Klügste ist. Dies zusammengenommen befreit und erlöst dich von jeder Achtung und Verpflichtung, und du kannst also von dieser Geschichte sagen, was dir gut dünkt, ohne Furcht, daß man dich für das Böse, das du sprichst, schelten, noch für das Gute, welches du von ihr redest, belohnen wird.
Ich wollte dir diese Geschichte nackt und bloß überreichen, ohne den Schmuck eines Prologs, ohne die unzählige Schar der herkömmlichen Sonette, Epigramme und Empfehlungsgedichte, die man vor den Anfang der Bücher zu setzen pflegt. Denn ich muß dir sagen, ob mir das Buch auszuarbeiten wohl einige Mühe kostete, halte ich doch die für die größte, diese Vorrede zu machen, die du jetzt liesest. Ich habe oft die Feder genommen, um zu schreiben, und sie ebensooft wieder hingeworfen, weil ich nicht wußte, was ich schreiben sollte: indem ich nun nachdenkend bin, das Papier vor mir, die Feder hinter dem Ohre, den Ellenbogen auf dem Tische und die Hand an der Wange, wohl sinnend, was ich sagen solle, tritt ein Freund von mir herein, der munter und verständig ist, und wie er mich so schwermütig sieht, fragt er nach der Ursache. Ich verhehlte sie ihm nicht, sondern sagte, wie ich auf den Prolog sinne, den ich zur Geschichte des Don Quixote machen wolle, und daß mich dies so anstrenge, daß ich ihn gar nicht machen und ebensowenig die Taten dieses edlen Ritters ans Licht stellen wolle. Soll ich denn nun nicht darüber in Sorgen sein, was der alte Gesetzgeber, der Haufen genannt, sagen wird, wenn er nun sieht, wie nach so vielen Jahren, in denen ich in Stillschweigen und Vergessenheit geschlafen habe, ich nun nach so manchem Jahre mit einer Lektüre hervortrete, trocken wie eine Binse, ohne Erfindung, mit schlechtem Stil, arm an Ideen und gänzlich ohne Gelehrsamkeit und Literatur, ohne Bemerkungen am Rande und ohne Anmerkungen am Ende des Buches, wie ich doch sehe, daß andere Bücher eingerichtet sind, auch fabelhafte und weltliche, die voller Sentenzen des Aristoteles, Plato und der ganzen Schar der Philosophen stecken, worüber sich alsdann die Leser verwundern und die Verfasser für belesene, gelehrte und beredte Männer halten! Wenn sie dann aber gar die Heilige Schrift zitieren! Dann muß man sie vollends für Sankt Thomasse oder andere Lehrer der Kirche halten, indem sie eine so treffliche Schicklichkeit beobachten, daß sie in einer Zeile einen Verliebten schildern und in der folgenden eine christliche Predigt halten, so daß es eine Lust ist, es zu hören oder zu lesen. Alles dieses mangelt meinem Buche, denn ich habe am Rande nichts bemerkt, und am Ende nichts angemerkt, noch weniger weiß ich, welchem Autor ich folge, um sie, wie es alle machen, vor dem Anfange nach dem Abc zu ordnen, indem sie beim Aristoteles anfangen und mit dem Xenophon und Zoylus oder Zeuxis endigen, wenn jener auch ein Verleumder und dieser ein Maler war. Auch wird es meinem Buche vor dem Anfange an Sonetten fehlen, wenigstens an solchen Sonetten, die Herzöge, Marquesen, Grafen, Bischöfe, Damen und weltberühmte Poeten zu Verfassern haben. Wenn ich freilich zwei oder drei meiner vertrauten Freunde bäte, so weiß ich wohl, daß ich Verse bekommen könnte, und zwar solche, daß ihnen jene nicht gleich kämen, die von den angesehensten Verfassern in unserm Spanien herrühren.
„Kurz, mein liebster Freund“, so fuhr ich fort, „ich bin entschlossen, daß der Herr Don Quixote in den Archiven von la Mancha begraben bleibe, bis der Himmel ihn mit allen diesen Dingen schmückt, die ihm jetzt mangeln, denn meine Unerfahrenheit und wenige Wissenschaft machen mich unfähig, ihm alles dies zu verschaffen, auch weil ich von Natur zu furchtsam und zu träge bin, das in Autoren aufzusuchen, die das nämliche sagen, was ich ohne sie sagen kann. Dies alles erzeugt in mir jene Angst und tiefe Schwermut, in der du mich gefunden hast: und das, was ich dir soeben erzählt habe, ist dazu mehr als hinreichende Ursache.“
Als mein Freund dies hörte, schlug er sich vor die Stirne, brach in das lauteste Gelächter aus und sagte: „Bei Gott, erst jetzt komme ich aus meinem Irrtum, in dem ich so lange gelebt habe, seit ich Euch kenne, indem ich Euch nämlich nach allen Euren Handlungen immer für einen vernünftigen und verständigen Menschen gehalten habe. Aber jetzt sehe ich, daß Ihr ebensoweit davon entfernt seid, wie es der Himmel von der Erde ist.
Wie ist es möglich, daß so geringfügige Dinge, die so leicht zu machen sind, stark genug sein sollen, einen so reifen Geist, wie der Eurige ist, zu binden und zu verwirren, dem es ein leichtes ist, durch weit größere Schwierigkeiten zu brechen? Wahrlich, dies ist nicht Mangel an Geschicklichkeit, sondern nur überflüssige Trägheit. Soll ich Euch den Beweis darüber führen? Nun so hört mir aufmerksam zu, und Ihr werdet sehen, wie ich, indem man eine Hand umwendet, alle Eure Schwierigkeit hebe, allen Mangel, von dem Ihr sprecht, ersetze, der Euch so verwirrt und beängstigt, weshalb Ihr sogar der Welt nicht Euren berühmten Don Quixote schenken wollt, das Licht und den Spiegel der ganzen fahrenden Ritterschaft.“
„Nun, so sagt doch“, erwiderte ich, „wie wollt Ihr die Leere meiner Furcht ausfüllen, und das Chaos meiner Verwirrung in lichte Ordnung bringen?“
Worauf er antwortete: „Zuerst, was die Sonetten, Epigramme und Lobgedichte betrifft, die vor Eurem Buche fehlen, und die von würdigen, angesehenen Leuten sein müssen, so macht sich dies bald, denn Ihr dürft Euch nur selbst einige Mühe geben, sie zu schreiben und sie nachher taufen, und Namen vorsetzen, welche Ihr nur immer wollt, Ihr könnt ja gar den Priester Johann von Indien oder den Kaiser von Trapezunt adoptieren, von denen ich weiß, daß sie berühmte Poeten sind. Sind sie es nicht gewesen und es kommt irgendein Pedant oder Bakkalaureus, die Euch deshalb necken und die Wahrheit bezweifeln wollen, so sollt Ihr das nur verachten, denn wenn sie Euch selbst der Lüge überführen können, so dürfen sie Euch doch die Hand nicht abhauen, womit Ihr es geschrieben habt.
In Ansehung der Bücher und Autoren, die Ihr auf dem Rande zitieren wollt, und aus denen Ihr Sentenzen und Phrasen in Euer Buch aufgenommen habt, dürft Ihr nur einige Sentenzen und lateinische Brocken, die Ihr auswendig wißt, durcheinander werfen, oder die Euch wenigstens nicht viele Mühe machen, sie aufzusuchen, wie zum Beispiel, wenn Ihr von Freiheit oder Sklaverei sprecht:
Non bene pro toto libertas venditur auro.
Gleich nennt Ihr auf dem Rande den Horatius, oder wer es sonst gesagt hat. Sprecht Ihr von der Macht des Todes, so besinnt Euch nur geschwinde auf das:
Pallida mors aequo pulsat pede
Pauperum tabernas, regumque turres.
Sprecht Ihr von der Freundschaft und Liebe, die Gott auch gegen den Feind befiehlt, so dürft Ihr nur gleich in die Heilige Schrift einbrechen, ja Ihr könnt so keck sein und die göttlichen Worte selbst aufführen:
Ego autem dico vobis diligite inimicos vestros.
Handelt Ihr von schlechten Gedanken, so dürft Ihr nur das Evangelium anführen:
De corde exeunt cogitationes malae.
Kommt Ihr auf die Unzuverlässigkeit der Freunde, so ist gleich Cato da, der Euch sein Distichon anbietet:
Donec eris felix, multos numerabis amicos,
Tempora si fuerint nubila solus eris.
Und mit diesen und ähnlichen lateinischen Brocken halten sie Euch schon für einen Grammatiker, welches in unseren Tagen etwas Ansehnliches und Treffliches ist. Was aber die Anmerkungen am Ende des Buches betrifft, so dürft Ihr es nur ganz dreiste so machen. (Nennt Ihr irgendeinen Riesen in Eurem Buche, so fallt nur auf den Riesen Goliath, und bloß mit diesem, der Euch doch so gut wie gar keine Unkosten macht, könnt Ihr schon eine große Anmerkung ausfüllen, denn Ihr dürft nur schreiben: Dieser Riese Goliath oder Goliat war ein Philister, den der Schäfer David mit einem Steinwurf im Tale Terebintus tötete, wie es im Buche der Könige erzählt wird, in demselben Kapitel, welches davon handelt.).
Damit Ihr Euch aber auch als einen Mann zeigen könnt, der in den weltlichen. Dingen und der Kosmographie bewandert ist, so dürft Ihr es nur so einrichten, daß Ihr in Eurem Buche einmal den Tagofluß erwähnt, augenblicks könnt Ihr wieder eine herrliche Anmerkung niederschreiben: Dieser Fluß Tago führt seinen Namen von einem Könige von Spanien, er entspringt da und da und ergießt sich in den Ozean, indem er vorher die Mauern der berühmten Stadt Lissabon küßt, auch meint man, daß er Goldsand mit sich führe usw. Sprecht Ihr von Räubern, so will ich Euch gleich die Geschichte des Cacus schenken, die ich auswendig weiß. Wenn liederliche Weiber vorkommen, so habt Ihr ja den Bischof von Mondoñedo, der Euch die Lamia, Lais und Floria liefert, deren Anführung Euch in ziemliches Ansehen setzen wird. Nennt Ihr Grausame, so bietet Euch Ovidius die Medea an. Nennt Ihr Zauberinnen, so hat Homerus die Calypso und Virgilius die Circe. Sollen es tapfere Feldherren sein, so gibt Julius Cäsar Euch selbst in seinen Kommentarien, und Plutarch gibt Euch gleich tausend Alexander. Wollt Ihr von Liebe etwas abhandeln, so trefft Ihr, wenn Ihr nur ein Quentchen Italienisch wißt, auf den Leo Hebräus, der Euch ein ganzes Maß vollzapfen wird. Mögt Ihr Euch aber nicht nach fremden Gegenden bemühen, so habt Ihr ja den Fonseca von der Liebe Gottes zu Hause, wo Ihr und der Scharfsinnigste so viel über diese Materie finden werdet, als sein Herz nur wünscht. Kurz, Ihr braucht nichts weiter zu tun, als diese Namen zu nennen, oder diese Geschichten, die ich soeben genannt habe, in die Eurigen aufzunehrnen, und dann laßt mich nur für die Bemerkungen und Anmerkungen sorgen, denn ich schwöre Euch, daß ich den ganzen Rand vollschreiben und wohl vier Bogen am Ende des Buches verderben will.
Jetzt bleibt uns nur noch die Zitation der Autoren übrig, die man in anderen Büchern findet und die in den Eurigen fehlen. Diesem abzuhelfen gibt es ein sehr bequemes Mittel, denn Ihr braucht nur eins von den Büchern zu nehmen, in denen sie alle, wie Ihr sagt, von A bis Z zitiert sind. Das nämliche Abc könnt Ihr nun auch Eurem Buche anheften: sieht man auch die Lüge ganz deutlich, so tut Euch das nichts, da Ihr alle diese Autoren nicht braucht, und vielleicht ist doch einer oder der andere so einfältig, daß er glaubt, Ihr hättet sie wirklich alle bei Eurer einfachen schlichten Erzählung gebraucht. Überdies wird es niemand untersuchen, ob Ihr ihnen gefolgt seid, oder nicht, denn keiner kümmert sich darum, Ihr habt aber gar, wenn Ihr die Sache genau nehmt, alle der Sachen nicht nötig, die, wie Ihr sagt, Eurem Buche mangeln, denn das ganze Buch ist gegen die Ritterbücher gerichtet, die Aristoteles nicht kannte, die der heilige Basilius nicht erwähnt und Cicero niemals anführt; auch gehört in die Erzählung erdichteter Narrheiten keine pünktliche Wahrheit, oder Beobachtungen aus der Astrologie; auch die geometrischen Maße sind hier unnütz, sowie die Widerlegung der Argumente, deren sich die Rhetorik bediente; auch soll keinem eine Predigt gehalten werden, indem das Weltliche mit dem Göttlichen vermischt wird, eine Art Mischung, die kein christlicher Verstand billigen sollte. Euer Hauptzweck ist das darzustellen, was Ihr schreiben wollt, und je mehr Ihr das erreicht, je vorzüglicher wird Euer Buch sein, da Ihr Euch auch in Eurem Buche nichts weiter vorsetzt, als das Ansehen zu stürzen, indem bei der Welt und dem Haufen die Ritterbücher stehn, so gehen Euch auch die Sentenzen der Philosophen, die Ermahnungen der Heiligen Schrift, die Fabeln der Poeten, die Figuren der Redner, die Wunder der Heiligen gar nichts an, sondern Euer Augenmerk ist, Eure Erzählung in einem einfachen, ausdrucksvollen, edlen und geziemenden Stil zu verfassen, daß Eure Perioden sich wohlklingend und anständig fortbewegen und daß Ihr nach Eurer Absicht alles deutlich darstellt, ohne Eure Ideen durch Spitzfindigkeit oder Dunkelheit zu verwirren. Bewirkt, daß beim Lesen Eures Buches der Melancholische zum Lachen bewegt, der Lacher noch aufgeräumter werde, daß der Einfältige sich ergötze und der Verständige die Erfindung bewundere, daß der Ernste sie nicht verwerfe und der Klügere sie nicht verachten Kurz, richtet es ins Werk, daß Ihr das schlecht gegründete Ansehen dieser Ritterbücher zerstört, die von so vielen gehaßt und von noch mehreren verehrt werden; gelingt Euch dies, so ist Euch nichts Kleines gelungen.“
Mit andächtigem Stillschweigen hörte ich dem Rat meines Freundes zu und seine Gedanken waren mir so einleuchtend, daß ich sie alle, ohne mit ihm zu disputieren, billigte, ja mir selbst vornahm, aus ihnen diesen Prolog zu bilden, in welchem du nun, freundlicher Leser, seinen Verstand findest, sowie mein Glück, daß ich ihn zu einer Zeit antraf, da mir guter Rat so nötig war, zugleich aber auch eine Freude für dich entdeckst, indem dir nun die aufrichtige und unverstellte Historie des berühmten Don Quixote von la Mancha geschenkt wird, der, wie alle Einwohner auf dem Gefilde Montiel behaupten, der keuscheste Verliebte sowie der tapferste Ritter gewesen ist, den man wohl seit vielen Jahren dort herum bemerkt hat. Ich will dir den Dienst nicht sehr hoch anrechnen, den ich dir damit erweise, daß ich dich mit einem so merkwürdigen und ehrenvollen Ritter bekannt mache; aber das verlange ich von dir, daß du mir für die Bekanntschaft seines Stallmeisters Sancho Pansa danken sollst, in welchem ich alle stallmeisterliche Lieblichkeit, die in den Scharen der unnützen Ritterbücher zerstreut ist, habe vereinigen wollen. Und hiemit beschütze dich Gott und vergiß mich nicht.
Lebe wohl.
In einem Dorfe von la Mancha, auf dessen Namen ich mich nicht entsinnen kann, lebte unlängst ein Edler, der eine Lanze und einen alten Schild besaß, einen dürren Klepper und einen Jagdhund. Eine Olla, mehr von Rind- als Hammelfleisch, des Abends gewöhnlich kalte Küche, des Sonnabends arme Ritter und Freitags Linsen, Sonntags aber einige gebratene Tauben zur Zugabe verzehrten drei Vierteile seiner Einnahme. Das übrige ging drauf für ein schönes Kleid, sammetne Schuhʼ und Pantoffeln derselben Art, desgleichen für ein sehr feines Tuch, mit dem er sich in den Wochentagen schmückte. Bei ihm lebte eine Haushälterin, die die Vierzig verlassen, und eine Nichte, die die Zwanzig noch nicht erreicht hatte, zugleich ein Bursche, in Feld- und Hausarbeit gewandt, der sowohl den Klepper sattelte als auch die Axt zu führen wußte. Die Zeit hatte unsern Edeln mit fünfzig Jahren beschenkt. Er war von starker Konstitution, mager, von dürrem Gesichte, ein großer Frühaufsteher und Freund der Jagd. Es gibt einige, die sagen, daß er den Zunamen Quixada oder Quesada führte; aber es läßt sich aus wahrscheinlichen Vermutungen schließen, daß er sich Quixana nannte. Dies aber tut unserer Geschichtserzählung wenig Eintrag, insofern wir nur in keinem Punkte derselben von der Wahrheit abweichen.
Es ist zu wissen, daß obengenannter Edler die Zeit, die ihm zur Muße blieb (und dies betrug den größten Teil des Jahres), dazu anwandte, Bücher von Rittersachen mit solcher Liebe und Hingebung zu lesen, daß er darüber sowohl die Ausübung der Jagd, als auch die Verwaltung seines Vermögens vergaß; ja seine Begier und Vertiefung in denselben ging so weit, daß er unterschiedliche von seinen Saatfeldern verkaufte, um Bücher von Rittertaten anzuschaffen, in denen er lesen möchte; auch brachte er so viele in sein Haus, als er deren habhaft werden konnte.
Sein Lesen also verwickelte ihn so, daß er die Nächte damit zubrachte weiter und weiter, und die Tage, sich tiefer und tiefer hineinzulesen; und so kam es vom wenigen Schlafen und vielen Lesen, daß sein Gehirn ausgetrocknet wurde, wodurch er den Verstand verlor. Er erfüllte nun seine Phantasie mit solchen Dingen, wie er sie in seinen Büchern fand, als Bezauberungen und Wortwechsel, Schlachten, Ausforderungen, Wunden, Artigkeiten, Liebe, Qualen und anderen Unsinn. Er bildete sich dabei fest ein, daß alle diese erträumten Hirngespinste, die er las, wahr wären, daß es für ihn auf der Welt keine zuverlässigere Geschichte gab. Er behauptete, Cid Ruy Diaz sei zwar ein ganz guter Ritter gewesen, er sei aber durchaus nicht mit dem Ritter vom brennenden Schwerte zu vergleichen, der mit einem einzigen Hiebe zwei stolze und unhöfliche Riesen mitten durchgehauen habe. Mehr hielt er vom Bernardo del Carpio, weil er bei Roncesvalles den bezauberten Roland umgebracht, indem er die Erfindung des Herkules nachgeahmt, der den Anteus, den Sohn der Erde, in seinen Armen erwürgte. Viel Gutes sagte er vom Riesen Morgante, der, ob er gleich vom Geschlechte der Riesen abstammte, die alle stolz und unumgänglich sind, sich allein leutselig und artig betrug. Über alle aber ging ihm Reinald von Montalban, besonders wenn er ihn sah aus seinem Kastell ausfallen, rauben was er konnte, wenn er dann sogar das Bild des Mahommet entführte, welches ganz golden war, wie es die Geschichte besagt. Er sagte, um dem Verräter Galalon einige Tritte geben zu können, wolle er gern seine Haushälterin und als Zugabe auch seine Nichte fortschenken.
Als er nun mit seinem Verstande zum Beschluß gekommen, verfiel er auf den seltsamsten Gedanken, den jemals ein Tor auf der Welt ergriffen hat, denn es schien ihm nützlich und nötig, sowohl zur Vermehrung seiner Ehre, als zum Besten seiner Republik, ein fahrender Ritter zu werden und mit Rüstung und Pferd durch die ganze Welt zu ziehen, um Abenteuer aufzusuchen und alles das auszuüben, was er von den irrenden Rittern gelesen hatte, alles Unrecht aufzuheben, und sich Arbeiten und Gefahren zu unterziehen, die ihn im Überstehen mit ewigem Ruhm und Namen schmücken würden. Der Unglückliche stellte sich vor, daß er mindestens zum Lohn seines tapferen Arms als Kaiser von Trapezunt würde gekrönt werden, und mit diesen schönen Gedanken, angefrischt von seiner seltsamen Leidenschaft, dachte er nun darauf, seine Entwürfe in Ausübung zu setzen. Zuerst begann er damit, einige Waffenstücke zu reinigen, die er von seinen Urgroßvätern geerbt und die gänzlich mit Rost und Staub bedeckt vergessen in einem Winkel standen. Er putzte und schmückte sie, so gut er konnte, wobei er aber gleich einen großen Mangel bemerkte, daß der Helm nämlich nicht vollständig, sondern nur eine Sturmhaube sei; aber seine Erfindsamkeit half dem ab, denn er verfertigte aus Pappen die untere Hälfte und verband sie mit der Haube, die dadurch den Anschein eines vollständigen Helmes erhielt. Es ist wahr, daß, um zu erproben, ob er stark genug sei, die Gefahr eines Kampfes auszuhalten, er sein Schwert zog und zwei Hiebe auf ihn führte, aber schon mit dem ersten das wieder vernichtet hatte, was er in einer Woche gearbeitet. Ihm gefiel die Leichtigkeit nicht, mit der er sein Werk zerstört hatte, und um sich vor dieser Gefahr zu sichern, arbeitete er es von neuem, fügte inwendig einige Eisenstäbe so an, daß er mit der Tüchtigkeit zufrieden war, und ohne eine andere Probe zu machen, hielt er sich für überzeugt, daß dieser Helm der trefflichste sei.
Sogleich ging er, seinen Klepper zu besuchen, ob dieser nun gleich mehr Dreiecke am Körper hatte, als ein Taler Dreier hat, und mehr Gebrechen als das Pferd des Gonela, das nur Haut und Knochen war, so schien es ihm doch, als wenn sich weder der Bukephalos Alexanders noch der Babieza des Cid mit diesem messen dürfe. Drei Tage verstrichen, indem er sann, welchen Namen er ihm beilegen solle, denn (wie er zu sich selber sagte) es sei unanständig, wenn das Pferd eines so berühmten Ritters, und das an sich so trefflich sei, keinen bekannten Namen führe. Er suchte nämlich den Namen so einzurichten, daß man daraus begriffe, was es vorher gewesen, ehe es einem fahrenden Ritter gedient, und was es nun sei; indem es der Vernunft gemäß, daß, sowie es einen anderen Herrn bekomme, ihm auch ein anderer Name zukommen müsse, der es ziere und sich für das neue Amt und die neue Lebensweise gezieme, in die es nun eingehe. Darauf, von den vielen Namen, die er bildete, vernichtete und vertilgte, umarbeitete, wegwarf und wieder annahm, um den besten zu erfinden, wählte er endlich die Benennung Rosinante, ein nach seinem Urteil erhabener, volltönender und bedeutungsvoller Namen, bezeichnend, daß er ein Klepper gewesen, ehe er seinen jetzigen Stand bekommen, auch daß er der erste und fürnehmste von allen Kleppern auf der Welt sei.
Da ihm dieser Name für sein Pferd so nach seinem Geschmacke gelungen, so suchte er einen andern für sich selbst. In dem Nachsinnen darüber verstrichen wieder acht Tage, und nun geschah es endlich, daß er sich Don Quixote nannte. Woher (wie gesagt wird) die Verfasser dieser wahrhaftigen Geschichte Gelegenheit genommen zu behaupten, daß er ganz ohne Zweifel Quixada und nicht Quesada geheißen, wie andere meinen wollen. Da er aber gedachte, daß der tapfere Amadis sich nicht begnügt, sich bloß trocken Amadis zu nennen, sondern noch den Namen seines Reiches und Vaterlandes hinzugefügt, um es berühmt zu machen, und sich daher Amadis von Gallia betitelt habe: so stehe es ihm ebenfalls als einem wackeren Ritter zu, den Namen seines Landes beizufügen, und er benannte sich also Don Quixote von la Mancha. Hiermit erklärte er nach seiner Meinung Vaterland und Geburtsgegend genau und ehrte sie zugleich, indem er den Zunamen von ihr entlehnte.
Die Rüstung war gesäubert, die Haube zum Helm gemacht, dem Klepper ein Namen gegeben, sein eigener festgesetzt; er sah ein, daß nun nichts fehle, als eine Dame zu suchen, in die er verliebt sei, denn ein irrender Ritter ohne Liebe sei ein Baum ohne Laub und Frucht, ein Körper ohne Seele. Er sprach: „Wenn ich nun zur Strafe meiner Sünden oder zu meinem Glücke auf irgendeinen Riesen treffe (wie dies denn gewöhnlich fahrenden Rittern begegnet) und ich ihn in einem Anlaufe niederrenne, oder ihn mittendurch haue, oder kurz ihn überwinde und bezwinge, wär es nicht gut, jemand zu haben, zu dem ich ihn schickte, sich zu präsentieren? Wenn er dann hineinträte, vor meiner süßen Herrin sich auf die Knie niederließe und mit demütiger und unterwürfiger Stimme spräche: Meine Herrscherin, ich bin der Riese Caraculiambro, Herr der Insel Malindrania, den im Zweikampfe der mit Recht ewig gepriesene Ritter Don Quixote von la Mancha überwand. Er befahl mir, mich Euer Gnaden zu präsentieren, damit Ihro Hoheit nach Ihrem Wohlgefallen mit mir schalte.“ — O wie erfreut war unser wackrer Ritter, als er diese Rede gehalten, noch mehr aber, als er wußte, wem er den Namen seiner Dame geben solle. Es war, wie man glaubt, in einem benachbarten Dorfe ein Bauernmädchen von gutem Ansehen, in die er einmal verliebt gewesen war, welches sie aber (wie sich versteht) nie erfahren, er ihr auch niemals gesagt hatte. Sie hieß Aldonza Lorenzo und schien ihm tauglich, ihr den Titel der Herrin seiner Gedanken zu geben. Er suchte nun einen Namen, der dem seinigen entspräche, der eine Prinzessin und Herrscherin bezeichnend und ihr geziemlich sei, und er nannte sie daher Dulzinea von Toboso, denn sie war von Toboso gebürtig; ein Name, nach seinem Urteil musikalisch, fremdtönend und bezeichnend, wie alle übrigen, die er zu seinem Gebrauche erfunden hatte.
Da er diese Vorkehrungen getroffen, konnte er es nicht länger aufschieben, seinen Vorsatz ins Werk zu richten, denn ihn drängte der Nachteil, der nach seiner Meinung der Welt durch seine Verzögerung erwüchse; ihn rief das Unrecht, das er vertilgen, die Ungebühr, die er einrichten, die Beschwer, die er aufheben, Mißbräuche, die er bessern, und Verschuldungen, die er vergelten müsse. Ohne also irgend jemand seinen Vorsatz mitzuteilen, ohne daß ihn einer bemerkte, rüstete er sich eines Morgens vor dem Tage (der einer der heißesten im Julius war) mit allen Waffenstücken, bestieg den Rosinante, setzte den übel gemachten Helm auf, faßte den Schild und ergriff die Lanze und zog durch eine kleine Tür des Hinterhofes aufs Feld hinaus, sehr zufrieden und vergnügt, daß sein guter Vorsatz einen so leichten Anfang gewann. Kaum aber sah er sich auf dem Felde, als ihn ein furchtbarer Gedanke mit solcher Gewalt befiel, daß er beinah sein angefangenes Unternehmen gänzlich aufgegeben hätte. Es kam ihm nämlich ins Gedächtnis, daß er noch nicht zum Ritter geschlagen sei und daß er also nach den Gesetzen der Ritterschaft mit keinem Ritter einen Waffenkampf weder halten könne noch dürfe, daß er ferner als neuer Ritter weiße Waffen führen müsse, ohne Sinnbild auf dem Schilde, bis seine Tapferkeit ihm eins gewinne. Diese Vorstellungen erschütterten seinen Vorsatz heftiglich, aber seine Torheit, mächtiger als jeder andere Grund, gab ihm ein, daß er sich vom ersten, auf den er träfe, zum Ritter wolle schlagen lassen, in Nachahmung vieler andern, die ebenso verfahren, wie er in den Büchern gelesen, die davon Meldung getan. Was die Weiße der Waffen beträfe, so gedachte er sie, wenn er einen Ort erreicht, so hell zu schleifen, daß sie den gefallenen Schnee an Weiße überträfen. Hiermit beruhigte er sich und setzte seinen Weg fort, ohne einen andern zu suchen als den sein Pferd eingeschlagen, denn er meinte, daß dies die Kunst sei, Abenteuer zu beginnen.
Indem nun unser frischer Abenteurer fortritt, sprach er zu sich selber. also: „Es leidet keinen Zweifel, daß in künftigen Zeiten, wenn die wahrhafte Geschichte meiner Taten an das Licht tritt, der Weise, der sie schreibt, gewiß nicht ermangelt, von meinem ersten so frühen Auszuge also anzuheben: Der feuerrote Apollo hatte kaum über das Angesicht der großen weitstreckigen Erde die güldenen Fäden seines schönen Haupthaares verbreitet; kaum hatten die kleinen buntgemalten Vögelein mit ihren Harfenzungen die rosichte Aurora mit süßer honiglieblicher Harmonie begrüßt, die das weiche Bett des eifersüchtigen Gemahls verließ, und durch die Tore und Balkone des Manchanischen Horizontes sich den Sterblichen zeigte: als der berühmte Ritter Don Quixote von la Mancha die müßigen Federn verließ, sein berühmtes Roß Rosinante bestieg und begann, über das alte und wohlbekannte Feld Montiel zu reiten.“ Er ritt jetzt in der Tat durch diese Gegend und fuhr weiter fort: „O beglückte Zeit! beglücktes Menschenalter! in dem meine preisvollen Taten ans Licht treten werden, die verdienen, daß man sie in Erz gießt, in Marmor haut und auf Tafeln zum Gedächtnis der künftigen Zeit malt! O du weiser Zauberer, wer du auch seist, dem es aufbehalten ist, die Chronik dieser Wundergeschichte zu stellen, o vergiß, ich flehe dich, den wackern Rosinante nicht, meinen unzertrennlichen Gefährten auf jedem Wege und in jeglicher Bahn.“ — Darauf sprach er, als wäre er in der Tat verliebt gewesen: „O Prinzessin Dulzinea! Herrin dieses gefangenen Herzens! wie quält es mich, daß Ihr mich verbannt und mit grausamer Härtigkeit mich verwerft, daß Ihr gebietet, ich solle nicht vor Eurer Schönheit erscheinen. O gedenkt, Herrscherin, dieses Euch unterworfenen Herzens, das so Großes um Eurer Liebe willen leidet.“
An diese Ausrufungen fügte er noch andern Unsinn, alles wie er in seinen Büchern gefunden hatte, indem er sich bemühte, ihre Sprache, soviel es ihm möglich war, nachzuahmen. Er zog dabei eine große Strecke fort, und die Sonne brannte so heftig und heiß auf ihn hinunter, daß sie ihm leicht die Sinne verrückt, wenn sie welche angetroffen hätte. Er zog den ganzen Tag fort, ohne daß er auf etwas stieß, das der Erzählung würdig war, worüber er sich entrüstete, denn er wünschte nur Gelegenheit, um sogleich die Tapferkeit seines starken Armes zu erproben.
So zog er den ganzen Tag fort, daß am Abend sein Roß und er vor Hunger beinah gestorben waren.
Er schaute nach allen Seiten um, ob er nicht ein Kastell erspähen könne, oder eine Schäferhütte, um sich zu erquicken und seiner Not abzuhelfen. Endlich erblickte er unfern dem Wege, auf dem er ritt, eine Schenke, die ihm wie ein Stern entgegenschien, der ihn in das Tor oder die Freistätte seiner Leiden winkte. Er eilte dorthin und erreichte sie mit dem Anbruche des Abends. Unter der Tür standen von ungefähr zwei Mädchen, von jenen, die man die gutwilligen nennt, die mit einigen Maultiertreibern, welche in dieser Schenke ihr Nachtlager hielten, nach Sevilla gingen. Wie nun unserm Abenteurer alles, was er dachte, sah oder sich einbildete, so erschien und sich zutrug, wie er es gelesen hatte, so kam es ihm sogleich, als er die Schenke sah, vor, dies sei ein Kastell mit seinen vier Türmen, mit Gesimsen von glänzendem Silber, mit Zubehör der Zugbrücke und des Burggrabens, nebst allen übrigen Dingen, mit denen dergleichen Kastelle geschildert werden. Er näherte sich der Schenke, die ihm ein Kastell schien, und da er nur noch wenig entfernt war, zog er dem Rosinante den Zügel an, in der Erwartung, daß ein Zwerg auf den Zinnen erscheinen würde, um mit einer Trompete das Zeichen zu geben, daß sich ein Ritter dem Kastelle nahe. Da er aber sah, daß er zögerte, Rosinante auch begierig war, sich dem Stalle zu nahen, so nahte er sich der Tür der Schenke und sah dort die beiden liederlichen Mädchen stehn, die ihm zwei schöne Fräulein oder zwei anmutige Damen schienen, die sich vor dem Tore des Schlosses in der Frische ergingen. Es traf sich indes, daß ein Schweinehirt, der von dem Stoppelfelde eine Herde Schweine versammeln wollte, und also in ein Horn stieß, auf dessen Schall sie alle zusammenkamen. Sogleich stellte sich Don Quixote das vor, was er wünschte, daß nämlich ein Zwerg das Zeichen seiner Ankunft gegeben habe. Mit großer Zufriedenheit also näherte er sich der Schenke und den Damen, die, da sie einen Mann auf diese Art gewaffnet, mit Schild und Lanze auf sich zukommen sahn, aus Furcht in die Schenke hineinlaufen wollten. Don Quixote aber, der ihre Furcht aus ihrem Entfliehn schloß, erhub das Visier aus Pappe, zeigte sein mageres und bestäubtes Gesicht und sagte mit zierlicher Weise und sanfter Stimme diese Worte: „Fliehen Eure Gnaden nicht und fürchten dieselben keinen Unglimpf, denn es gebeut der Orden der Ritterschaft, dem ich diene, keinen Raub oder Gewalttätigkeit an irgend jemand zu verüben, geschweige denn an so edlen Jungfrauen, mit denen mich Eure Gegenwart beglückt.“
Die Mädchen sahen ihn an und suchten sein Gesicht mit den Augen, welches das schlechte Visier verdeckte, aber da sie sich Jungfern nennen hörten (etwas, das ihrem Gewerbe so fern lag), konnten sie das Lachen nicht zurückhalten, sondern sie lachten so laut, daß sich Don Quixote entrüstete und sprach: „Es geziemt Bescheidenheit den Schönen wohl, und große Torheit ist es überdies, mit schlechter Ursach lachen; doch sage ich dies nicht zu Eurer Anhörung, noch daß ich Übelwollen zeige, denn ich habe keinen andern Willen, als Euer Diener zu sein.“ Diese Sprache verstanden die Damen nicht, und das üble Aussehn unseres Ritters vermehrte ihr Gelächter sowie seinen Zorn; sie hätten auch darin fortgefahren, wenn der Schenkwirt nicht hinzugekommen wäre, ein Mann, der, wie er sehr fett, auch überaus friedliebend war; als dieser diese Gestalt scheußlich gerüstet mit so ungeziemlichen Waffen, als der Zaum des Pferdes, die Lanze, der Schild und der kleine Harnisch war, erblickte, so fehlte wenig, daß er nicht das Vorbild von Fröhlichkeit der beiden Mädchen nachgeahmt hätte. Da er aber doch diese umbollwerkte Figur fürchtete, so entschloß er sich höflich zu reden und sprach also: „Wenn Eure Gnaden, Herr Ritter, Ruhe suchen, so finden sie außer einem Bette (denn wir haben keins in der Schenke) alles übrige im großen Überflusse.“ Als Don Quixote die Unterwürfigkeit des Kommandanten der Festung sah (denn dafür hielt er den Schenkwirt und die Schenke), antwortete er: „Für mich, Herr Kastellan, ist alles Ding genug, denn mein Schmuck sind die Waffen, meine Ruhe ist Streiten.“ Der Wirt dachte, da er sich Kastellan nennen hörte, jener hielte ihn für einen Gauner, die man wohl feine Kastilianer nennt, er war aber ein Andalusier, ein Eingeweihter in die falschen Künste der Karten, ein Schelm und ein Spottvogel wie ein Student oder Page, er antwortete daher: „So werden also Euer Gnaden Betten harte Steine,und Euer Schlaf ein beständiges Wachen sein, und wenn es sich so befindet, so dürft Ihr nur kecklich absteigen, denn Ihr trefft in diesem Hause Gelegenheit und Anstalt, ein ganzes Jahr nicht zu schlafen, geschweige denn eine Nacht.“ Indem er dies sagte, hielt er Don Quixote den Steigbügel, der mit vieler Mühe und Beschwer abstieg, wie ein Mann, der noch den ganzen Tag nüchtern geblieben war. Er sagte sogleich dem Wirte, daß er für sein Pferd große Sorgfalt tragen möge, denn es sei das schönste Tier auf der ganzen Welt, das Brot äße. Der Wirt beschaute es, aber es schien ihm nicht so trefflich, als es Don Quixote beschrieb, ja nicht einmal auf die Hälfte so gut. Er führte es in den Stall und kam dann zurück, um zu sehen, was sein Gast befehle, den indes die Jungfrauen entwaffneten, mit denen er sich wieder versöhnt hatte. Sie lösten den Brust- und Rückenharnisch ab, konnten es aber mit aller Arbeit nicht dahin bringen, die Kehle frei zu machen und den nachgeahmten Helm abzunehmen, der mit grünen Bändern unter dem Halse festgebunden war und von denen sie die Knoten ohne Schnitt nicht aufzulösen vermochten. Darin aber wollte er keineswegs einwilligen, er blieb also den ganzen Abend in seinem Helme und stellte die anmutigste, seltsamste Figur dar, die man sich nur einbilden kann. Er meinte, daß diejenigen, die ihn entwaffneten, vornehme Damen und Gebieterinnen aus einem Schlosse wären, und sagte daher mit vielem Anstande:
„O Rosinante! dies, meine Gebieterinnen, ist der Name meines Pferdes, und ich heiße Don Quixote von la Mancha. Ich sollte mich nicht zu erkennen geben, bis meine Tathandlungen in eurem Dienste mich kenntlich machten, aber es wird die Zeit kommen, wann Eure Hoheit mir gebieten und ich gehorchen soll, wann die Tapferkeit meines Arms, den Willen, euch dienstbar zu sein, bekunden wird.“ Die Mädchen, die solcher rhetorischen Figuren ungewohnt waren, antworteten nicht darauf, sondern fragten ihn nur, ob er nicht etwas zu essen begehre. Sie setzten also den Tisch, der Frische wegen, vor die Tür der Schenke, und der Wirt führte ein Stück schlecht geweichten und übel gekochten Stockfisches auf, nebst einem Brot, schwarz und schmutzig wie seine Waffen. Es war ungemein lächerlich, ihn essen zu sehen, denn da ihn der Helm und das Visier hinderten, konnte er mit den Händen nichts zu Munde führen, wenn es ihm nicht ein andrer gab und hineinsteckte. Eine der Damen bediente ihn auf diese Weise. Ihm aber zu trinken zu reichen war unmöglich, und wäre unmöglich geblieben, wenn der Schenkwirt nicht ein Rohr ausgehöhlt, ihm das eine Ende in den Mund gesteckt und durch das andere den Wein eingegossen hätte. Dies alles ertrug er geduldig, um nicht die Bänder seines Helmes zerschneiden zu lassen.
Indem die Sachen so standen, geschah es, daß ein Schweinschneider in die Nähe der Schenke kam, und indem er sich näherte, vier- oder fünfmal auf seiner Pfeife blies. Dies bestätigte Don Quixote völlig darin, daß er sich in einem berühmten Kastell befinde, daß man ihn mit Musik bediene, der Stockfisch Forelle sei, das Brot feine Semmel, die Huren Damen und der Schenkwirt Kastellan des Kastells; und somit hielt er den Anfang seines Auszugs für glücklich genug. Was ihn nur quälte, war, daß er noch nicht zum Ritter geschlagen, und er sich mithin nicht gesetzmäßig in ein Abenteuer einlassen dürfe, ohne den Orden der Ritterschaft empfangen zu haben.
Von diesen Gedanken beunruhigt, ließ er seine magere und schlechte Abendmahlzeit nicht lange währen; als er sie geendigt, rief er den Wirt, mit dem er sich im Stalle verschloß, sich vor ihm auf die Knie niederließ und sprach: „Niemalen werde ich mich von hier aufheben, tapferer Ritter, bis Eure Gütigkeit mir eine Gabe bewilligt hat, um die ich flehe und die Euch zum Ruhme und der ganzen Menschheit zum Nutzen gereichen wird.“ Als der Wirt seinen Gast zu seinen Füßen sah und dergleichen Reden vernahm, betrachtete er ihn mit Verwunderung, ohne zu wissen, was er tun oder sagen solle. Er bat ihn, daß er aufstehen möchte, welches jener aber versagte, bis der Wirt ihm die Gabe bewilligte, um die er flehte. „Ich erwartete von Eurer Großmütigkeit nichts anderes, mein gnädiger Herr“, antwortete Don Quixote, „ich verkünde Euch also, daß die Gabe, um die ich gefleht habe, und die mir Euer liebreicher Sinn bewilligt, darin besteht, daß Ihr mich früh vor Tage zum Ritter schlagen mögt und daß ich in dieser Nacht in der Kapelle Eures Kastells die Waffen bewachen dürfe; mit der Frühe wird dann mein höchlichster Wunsch erfüllt, damit ich, wie es sich gebührt, in alle vier Teile der Welt ziehen könne, Abenteuer aufzusuchen zum Nutzen der Hilfsbedürftigen, wie es das Amt der Ritterschaft und der fahrenden Ritter ist, zu denen ich mich bekenne, und dessen Sinn zu solchen Taten gerichtet ist.“
Der Wirt, der, wie schon gesagt, ein Schelm war, und wohl einigen Verdacht über die Verstandesabwesenheit seines Gastes haben mochte, war jetzt völlig davon überzeugt, da er diese Reden hörte. Um sich für die Nacht eine Lust zu machen, nahm er sich vor, seiner Laune zu folgen. Er sagte also: daß er sehr gut verstehe, was er wünsche und flehe, und daß dergleichen Begehren sehr natürlich und schicklich für einen so trefflichen Ritter sei, als er scheine und sein heldenmütiger Anstand verkünde; er selbst habe sich in seinen Jugendjahren einigen ehrenvollen Übungen ergeben, habe gleichfalls verschiedene Teile der Welt durchzogen, seine Abenteuer aufzusuchen. Letztlich aber habe er sich entschlossen, sich in dieses sein Kastell zurückzuziehen, wo er mit seinem Vermögen und fremdem haushalte, alle fahrenden Ritter aufnehme, von was Art und Stand sie auch sein möchten, aus großer Liebe zu ihnen, und darum auch seine Habe mit ihnen teile, um ihre guten Absichten zu belohnen. Er fuhr fort, daß er in seinem Kastelle keine Kapelle habe, wo man die Waffen bewachen könne, weil er sie niedergerissen, um eine neue aufzuführen, daß er aber wisse, daß man die Wache im Falle der Not an jedwedem Orte halten dürfe, und daß er also in dieser Nacht das Wachen in einem Hofe des Schlosses verrichten könne; mit der Frühe wolle er unter Gottes Beistand die nötigen Zeremonien so vornehmen, daß er ihm auf eine Weise den Ritterschlag geben wolle, wie ihn noch kein Ritter in der ganzen Welt erhalten. Er fragte ihn ferner, ob er Geld mit sich führe. — Don Quixote antwortete, daß er keinen Heller führe, weil er in den Geschichtbüchern von fahrenden Rittern niemals gelesen, daß irgendeiner Geld mit sich geführt habe. Hierauf sagte der Schenkwirt, daß er sich irre, daß, wenn es in den Geschichtbüchern nicht stehe, es den Autoren geschienen, daß es nicht nötig sei, von der Führung so unentbehrlicher Dinge zu schreiben, als Geld und reine Hemden wären, daß sie aber darum niemals gezweifelt, ob die Ritter dergleichen bei sich gehabt: es sei auch zuverlässig und ausgemacht, daß alle fahrenden Ritter auf den Fall der Not immer eine gute Börse bei sich hatten, desgleichen Hemden, wie auch eine kleine Büchse mit Salben, um die Wunden zu heilen, die sie empfangen möchten; denn in den Feldern und Wüsten, wo sie kämpften und die Wunden empfingen, war nicht immer jemand, der sie heilte, wenn sie nicht irgendeinen weisen Zauberer zum Freunde hatten, der sogleich zu Hilfe eilte, und durch die Luft in einer Wolke eine Jungfrau oder einen Zwerg mit einem so köstlichen Balsam schickte, daß man nur einen Tropfen davon zu kosten brauchte, um von allen Schmerzen und Wunden so völlig zu genesen, als wenn man gar keine Unpäßlichkeit empfunden. Diejenigen aber, die dergleichen Freunde nicht hatten, bei diesen wandernden Rittern ist es als eine gewisse Sache anzunehmen, daß ihre Edelknaben mit Geld und andern Notwendigkeiten versehen gewesen, wozu besonders Scharpie und Salben zum Verbinden gehören: wenn es aber geschah, daß diese Ritter ohne Edelknaben waren (welches aber in der Tat nur selten der Fall war), so hatten sie selber alles in sehr subtilen Schnappsäcken, die sie hinten auf dem Pferde hatten, daß es aussah, als wär es ein ander Ding von Wichtigkeit, denn aus obigen Gründen war es unter den fahrenden Rittern nicht sonderlich üblich, selber Schnappsäcke zu führen. Der Wirt riet ihm noch einmal (da er ihn schon wie seinen angenommenen Sohn ansähe, welcher er auch binnen kurzem würde), daß er nicht reisen solle, ohne Geld und die vorerwähnten Notwendigkeiten bei sich zu haben, er würde sehen, von welchem Nutzen sie seien, wenn er es am wenigsten gedächte.
Don Quixote versprach, seinen Rat auf das pünktlichste zu befolgen, und sogleich wurde ausgemacht, daß er die Waffen in einem Hofe bewachen solle, der zur Seite der Schenke lag. Don Quixote nahm sie alle und legte sie auf einen Trog, der neben einem Brunnen stand, dann nahm er seinen Schild, faßte die Lanze und fing vor dem Troge an, mit edlem Anstande auf und ab zu gehen: indem er diesen Spaziergang anfing, fing die Nacht an, völlig hereinzubrechen.
Der Schenkwirt erzählte allen, die in der Schenke waren, von der Torheit seines Gastes, wie er die Waffen bewache und Hoffnung hege, zum Ritter geschlagen zu werden. Alle verwunderten sich über diese seltsame Art von Narrheit und betrachteten ihn von weitem, wie er mit friedlichen Gebärden einmal vorüberging, zurückschritt, sich auf die Lanze stützte und seine Augen auf die Waffen heftete, ohne sich weit von ihnen zu entfernen. Es war völlig Nacht, aber so heller Mondschein, daß alles, was der neue Ritter vornahm, ganz deutlich von allen gesehen wurde.
Es fiel einem von den Maultiertreibern, die in der Schenke waren, ein, seinen Tieren Wasser zu geben. Er mußte dazu notwendig Don Quixotes Waffen wegnehmen, die auf dem Troge standen; aber als dieser ihn nahe kommen sah, rief er mit lauter Stimme: „O du, wer du auch seist, übermütiger Ritter, der du dich nahst, die Waffen des allertapfersten Fahrenden anzurühren, den je ein Schwert umgürtete, siehe wohl zu, was du tust, berühre sie nicht, wenn du nicht dein Leben als Strafe deines Übermutes verlieren willst.“ — Der Eseltreiber kümmerte sich um diese Reden nicht (aber für sein Wohlbefinden wäre es besser gewesen, wenn er sich darum gekümmert hätte), sondern nahm die Waffen herunter und warf sie eine große Strecke weit von sich. Als Don Quixote dieses erblickte, schlug er die Augen zum Himmel und richtete darauf seine Gedanken, wie es schien, zu seiner Gebieterin Dulzinea und sprach: „Helft mir, Gebieterin, in dieser ersten Gefahr, die sich dem Euch unterworfenen Herzen darbeut; entzieht mir nicht in diesem ersten Wagestück Eure Gunst und Hilfe.“ Indem er dies und andere dergleichen Dinge sprach, warf er den Schild weg, faßte mit beiden Händen die Lanze und gab dem Eseltreiber einen so gewaltigen Schlag auf den Kopf, mit welchem er ihn so behende auf den Boden hinlegte, daß, wenn noch ein zweiter Schlag gefolgt wäre, jener keines Wundarztes zu seiner Heilung bedurft hätte. Nachdem dies getan war, sammelte er die Waffen wieder auf und fing wieder an, mit derselben Gemütsruhe wie erst, auf und ab zu gehen. Kurz nachher, ohne zu wissen, was sich zugetragen (denn der erste Eseltreiber lag noch ohne Bewußtsein auf dem Boden), kam ein anderer, in der nämlichen Absicht, seinen Maultieren Wasser zu geben; er machte Anstalt, die Waffen herabzuwerfen, um den Trog frei zu machen. Don Quixote, ohne ein Wort zu sprechen und irgend jemand um seine Gunst zu flehen, warf zum zweiten Male den Schild weg, ergriff zum zweiten Male die Lanze, und ohne weitere Umstände schlug er dem zweiten Eseltreiber mehr als dreimal auf den Kopf und eröffnete ihn an vier unterschiedlichen Stellen. Auf das Geschrei liefen alle aus der Schenke zusammen, und unter diesen war auch der Schenkwirt. Als Don Quixote sie sah, faßte er seinen Schild, legte die Hand auf seinen Degen und sprach: „O Herrin der Schönheit! Kraft und Stärke meines schwachen Herzens! Zu dieser Frist wende die Augen deiner Größe auf deinen gefangenen Ritter, dem ein furchtbares Abenteuer bevorsteht!“ — Hierdurch wurde, nach seinem Urteil, sein Gemüt so erfüllt, daß er nicht einen Fußbreit gewichen wäre, wenn ihn auch alle Eseltreiber in der Welt angegriffen hätten.
Als die Gefährten der Verwundeten dergleichen sahen, fingen sie an, nach Don Quixote aus der Ferne mit Steinen zu werfen, wogegen er sich, soviel es ihm möglich war, mit seinem Schilde verwahrte, es aber dabei nicht wagte, den Trog zu verlassen, um seine Waffen nicht unbeschirmt zu lassen. Der Schenkwirt rief, um sie abzuhalten, dazwischen, er habe es ihnen vorher gesagt, daß er närrisch sei und daß ihn seine Narrheit freisprechen würde, wenn er sie auch alle umbrächte. Don Quixote aber schrie noch lauter und nannte sie alle Verräter und Nichtswürdige, der Herr des Kastells aber sei ein feiger und schlechtgearteter Ritter, weil er es dulde, daß man also gegen fahrende Ritter verführe; sobald er den Orden der Ritterschaft empfangen, wolle er auch über seine Verräterei mit ihm Rücksprache nehmen. — „Was aber euch übrige betrifft“, fuhr er fort, „so seid ihr gemeines Gesindel, auf welches ich gar nicht weiter achte; werft, nähert euch, kommt heran und beleidigt mich, soviel ihr könnt, ihr sollt den Lohn empfangen, der eurem Unsinn und Aberwitz gebührt.“ Diese Worte sprach er mit so vieler Kühnheit, daß alle, die ihn angriffen, von Furcht befallen wurden. Hierdurch und durch die Überredungen des Schenkwirts bewogen, hörten sie auf zu werfen, er aber erlaubte den Verwundeten, sich wegzubegeben und kehrte dann zur Bewachung seiner Waffen mit eben der Ruhe und Friedlichkeit zurück, mit welcher er sie begonnen.
Dem Schenkwirt mißfielen die Possen seines Gastes, er beschloß also, sie abzukürzen und ihm lieber sogleich den fatalen Ritterorden zu erteilen, ehe noch mehr Unheil daraus erwüchse. Er ging also zu ihm und entschuldigte sich über die Beleidigung einiger pöbelhaften Menschen, die sie ganz ohne sein Mitwissen verübt, weshalb er sie auch geziemlich ihres Übermutes halber gestraft habe. Er wiederholte, was er ihm schon gesagt hatte, daß er in seinem Kastelle keine Kapelle habe, daß sie aber zu dem, was noch zu tun, wenig vonnöten sei; alles was zur Feierlichkeit gehörig, bestehe hauptsächlich im Nackenschlage mit der Hand und im Schulterschlage mit dem Degen, soviel er von den Zeremonien des Ordens wisse, und daß dies mitten auf dem Felde vollbracht werden könne; mehr als genug habe er in der Bewachung der Waffen getan, zu der zwei Stunden hinreichend wären, auf welche er aber mehr als vier aufgewandt habe. Don Quixote glaubte dies alles und antwortete, er sei sogleich bereit zu gehorchen und möchte alles so schnell als möglich beendigen, denn wenn man ihn wieder angriffe und er schon zum Ritter geschlagen sei, gedenke er keine Person im ganzen Kastell lebendig zu lassen.
Dieser kluge und vorsorgliche Kastellan nahm sogleich ein Buch, in welchem er seinen Häcksel und die Gerste für die Eseltreiber anschrieb, und ging so und mit einem Jungen, der ein Endchen Licht trug, und mit den beiden obengenannten Jungfrauen zu Don Quixote hin. Diesem gebot er, sich auf die Knie niederzulassen, und indem er in seinem Buche las (als wenn er ein andächtiges Gebet hersagte), erhub er unter dem Lesen die Hand und gab ihm einen guten Schlag an den Hals, hierauf einen zierlichen Rückenschlag mit seinem eigenen Schwerte, indem er immer zwischen den Zähnen murmelte, als wenn er etwas hersagte. Dann befahl er der einen Dame, ihm das Schwert umzugürten, die es auch mit vieler Artigkeit und ziemlichem Anstande tat, ob sie gleich große Mühe hatte, bei diesen Zeremonien nicht in ihr erstes Lachen wieder zu verfallen; doch hielten die Tapferkeiten, die sie den neuen Ritter verüben gesehen, die Lachlust in ihre Schranken zurück. Indem sie ihm das Schwert umgürtete, sprach die wackere Dame: „Gott mache Eure Gnaden zu einem glücklichen Ritter und gebe Euch glückliche Kämpfe.“ Don Quixote fragte nach ihrem Namen, um zu wissen, wem er für die empfangene Vergünstigung verbindlich, weil er gesonnen, ihr einen Teil der Ehre, die ihm die Tapferkeit seines Armes erwerben würde, abzutreten. Sie antwortete mit vieler Demut, daß man sie Tolosa nenne, sie sei die Tochter eines Pfandlehners zu Toledo, und sie wolle ihm in allem dienen und ihn für ihren Herrn erkennen. Don Quixote antwortete, daß sie sich aus Liebe zu ihm künftig Donna Tolosa nennen solle. Sie versprach es ihm, und die andere befestigte ihm die Sporen, mit der dasselbe Gespräch wie mit der Schwertdame begann. Er fragte nach ihrem Namen, und sie sagte, daß man sie die Müllerin nenne, denn ihr Vater sei ein angesehener Müller zu Antequera. Don Quixote bat sie gleichfalls, sich Donna Müllerin zu nennen, indem er ihr Dienste und Dankbarkeit anbot.
Nachdem schnell und eilig diese unerhörten Zeremonien beendigt waren, konnte Don Quixote die Zeit nicht mehr erwarten, sich auf dem Pferde zu sehen, um auszuziehen und Abenteuer aufzusuchen. Er lief sogleich zum Rosinante, bestieg ihn und umarmte seinen Wirt, indem er ihm so wunderliche Dinge sagte und seine Verbindlichkeit, daß er von ihm zum Ritter geschlagen, so erhöhte, daß es sich nicht wiederholen und erzählen läßt. Der Schenkwirt, um ihn nur bald aus seiner Schenke zu wissen, antwortete ebenso rhetorisch, aber kürzer, und ließ ihn, ohne seine Zehrung zu verlangen, auf gut Glück fortziehen.
Mit Tagesanbruch verließ Don Quixote die Schenke, so zufrieden, vergnügt und hocherfreut, sich als Ritter zu sehen, daß er fast vor Entzücken den Sattelgurt seines Pferdes zerriß. Er erinnerte sich aber des Rats seines Wirtes, in Ansehung der notwendigen Erfordernisse, die er mit sich führen solle, vorzüglich Geld und Hemden, und beschloß also nach Hause zurückzugehen, um sich zugleich mit einem Edelknaben zu versorgen, wozu er einen Bauer, seinen Nachbar, bestimmte, der arm war und Kinder hatte, ihm aber zum Dienste eines Edelknaben der Ritterschaft vorzüglich tauglich schien.
Mit diesen Vorstellungen lenkte er den Rosinante nach der Gegend seines Dorfes zu, der, als wenn er diese Absicht verstünde, mit solcher Bereitwilligkeit zu laufen anfing, daß es schien, als wenn seine Beine den Boden nicht berührten. Er war noch nicht weit geritten, als es ihm vorkam, als wenn rechts aus einem Gebüsche die schwache Stimme einer Person ertöne, die Klagen führe. Kaum hatte er sie vernommen, als er sprach: „Ich danke dem Himmel für die Gnade, die er mir widerfahren läßt, indem er mir so schnell Gelegenheiten vorführt, die Pflichten meines Standes zu erfüllen und die Früchte meines edlen Entschlusses einzusammeln; ohne Zweifel rühren diese Klagen von einem Notgeängsteten her, der meiner Liebe und Hilfe benötigt ist.“ — Er lenkte zugleich den Zügel und ritt mit dem Rosinante dahin, woher ihm die Stimme zu kommen schien. Als er im Gebüsche nur wenige Schritte gemacht hatte, sah er eine Stute an einer Eiche, an einem andern Eichbaume aber einen Jungen gebunden, der von den Schultern bis zu den Hüften nackt war, ungefähr fünfzehn Jahr alt sein mochte und eben derjenige war, der Klagen geführt hatte, und das nicht ohne Grund, denn ein Bauer von starkem Ansehen schlug ihn mit einem ledernen Riemen und begleitete jeden Streich mit einer Warnung und einem Rate, indem er sagte: „Die Zunge laß still bleiben, aber die Augen müssen munter sein.“ Der Junge antwortete: „Ich will es nicht wieder tun, lieber Herr, um Gottes Barmherzigkeit, ich will es nicht wieder tun, ich verspreche, künftig auf das Vieh mehr achtzugeben.“
Als Don Quixote sah, was vorging, rief er mit erhabener Stimme: „Ungezogener Ritter! schlecht geziemt es sich, diejenigen zu bekämpfen, die sich nicht verteidigen können; besteigt schnell Euer Roß und ergreift Eure Lanze“ (denn für eine Lanze sah er das an, was er an der Eiche gelehnt fand, an der die Stute festgebunden war), „damit ich Euch zeige, daß es Schändlichkeit sei, also zu verfahren.“ — Der Bauer, der diese ganz geharnischte Gestalt über sich erblickte, die ihm mit der Lanze vor dem Gesichte focht, hielt sich schon für tot und antwortete mit bittender Stimme: „Herr Ritter, der Junge, den ich da abstrafe, ist mein Knecht, der eine Herde Schafe hüten soll, die ich hier in der Gegend halte; aber er ist so unachtsam, daß mir jeden Tag ein Stück fehlt, und darum bestrafe ich seine Unachtsamkeit und Bosheit, denn er sagt, ich tue es aus Geiz, um ihm den Lohn nicht zu bezahlen, den ich ihm schuldig bin, aber bei Gott und meiner Seele, er lügt es.“
„Lügen! in meiner Gegenwart, du gemeiner Bube!“ rief Don Quixote aus, „bei der Sonne, die uns bescheint, ich renne dich durch und durch mit dieser Lanze, wenn du ihm nicht ohne Widerspruch bezahlst, oder bei dem Gotte, der uns schirmt und schützt, ich vernichte dich augenblicklich; sogleich binde ihn los!“
Der Bauer ließ den Kopf hängen und band, ohne ein Wort zu sagen, seinen Knecht los. Diesen fragte Don Quixote, wieviel sein Herr ihm schuldig sei, worauf er antwortete: „Neun Monate, und jeden Monat sieben Realen.“ Don Quixote rechnete es zusammen und fand, daß die Summe dreiundsechzig Realen betrug; er befahl hierauf dem Bauer, sie sogleich auszuzahlen, falls er nicht umkommen wolle; der erschrockene Bauer antwortete, so gewiß er dastehe und geschworen habe (ob er gleich gar nicht geschworen hatte), es betrage nicht soviel, denn man müsse die Kosten von drei Paar Schuhen abrechnen, die er ihm gegeben, ebenso einen Real für zwei Aderlässe, die er ausgelegt habe, als er unpaß gewesen. „Dem mag also sein“, antwortete Don Quixote, „aber was die Schuhe und die Aderlässe betrifft, so magst du sie für die Streiche abrechnen, die du ihm unverschuldet gegeben hast; hat er das Leder deiner von dir bezahlten Schuhe zerrissen, so hast du dafür dasjenige seines Körpers zerrissen; hat der Barbier ihm Blut abgezapft, da er krank war, so hast du es ihm in seiner Gesundheit abgezapft; dafür ist er dir also nichts schuldig.“
„Das Unglück, Herr Ritter, ist nur, daß ich kein Geld bei mir habe. Will aber Andres nur mit mir nach Hause kommen, so will ich ihm einen Real auf dem andern bezahlen.“
„Mit ihm gehen!“ rief der Junge, „schönen Dank; nein, mein Herr, daran ist nicht zu denken, denn wenn er mich allein hätte, so würde er mich schinden wie einen Sankt Bartholomäus.“
„Fürchte nichts“, antwortete Don Quixote, „genug, daß ich es ihm bei seiner Ehrfurcht gegen mich gebiete, er soll mir bei dem Orden der Ritterschaft, den er empfangen, schwören, dich freizulassen und den Lohn gewiß zu bezahlen.“
„Seht wohl zu, gnädiger Herr, was Ihr sprecht“, antwortete der Bursche, „denn mein Herr ist kein Ritter und hat auch gar keinen Orden der Ritterschaft empfangen, er ist ja der reiche Hans Dickbauch, der Nachbar von Quintanar.“
„Das hindert wenig“, antwortete Don Quixote, „auch Dickbäuche können Ritter sein, um so mehr, da jedermann der Sohn seiner Taten ist.“
„Das ist wahr“, sagte Andres, „aber von was für Taten ist mein Herr ein Sohn, der mir meinen sauer verdienten Schweiß verweigert?“
„Ich verweigere dir ihn nicht, Freund Andres“,.antwortete der Bauer, „und wenn du nur mit mir kommen willst, so schwörʼ ich dir bei allen Orden der Ritterschaft in der Welt, ich will dir bezahlen, wie ich gesagt habe, einen Real auf den andern, und obendrein lauter blank geschliffene.“
„Auf die Geschliffenheit bestehe ich nicht“, sagte Don Quixote, „wenn Ihr ihm nur Realen gebt, so bin ich damit zufrieden; trachtet aber, daß Ihr es vollführt, wie Ihr geschworen habt, sonst schwöre ich bei dem nämlichen Eide, daß ich Euch wieder aufsuche und züchtige und daß ich Euch wiederfinden werde, und wenn Ihr Euch auch besser als eine Eidechse verbergen könntet. Wenn Ihr aber wissen wollt, wer Euch dies gebeut, um desto mehr Grund zu haben, Euer Versprechen zu vollführen, so erfahret: Ich bin der tapfere Don Quixote von la Mancha, der Vernichter jeglicher Ungebühr und Beschwer und somit Gott befohlen: vergiß nicht, was du versprochen und geschworen, bei Strafe der angekündigten Strafe.“
Mit diesen Worten gab er seinem Rosinante die Sporen und verließ sie. Der Bauer folgte ihm mit den Augen, und da er bemerkte, daß er das Gehölz verlassen und nicht mehr zu sehen war, wandte er sich zu seinem Knecht Andres und sagte: „Nun komm, mein Sohn, daß ich dir bezahle, was ich dir schuldig bin, wie es mir der Vernichter aller Ungebühr geboten hat.“ — „Ich schwöre Euch“, sagte Andres, „tut Ihr nicht, was der gnädige Herr, der wackere Ritter, Euch befohlen hat (der tausend Jahre leben möge) und der ebenso tapfer als verständig ist, beim Sankt Rochus schwörʼ ich Euch, bezahlt Ihr nicht, so suchʼ ich ihn wieder auf, damit er das tut, was er gesagt hat.“ — „Ich schwöre dir ebenfalls“, sagte der Bauer, „daß ich für das Gute, das ich dir wünsche, noch die Schuld zu vergrößern wünsche, um die Bezahlung zu vergrößern.“ Er nahm ihn zugleich beim Arm und band ihn wieder an die Eiche, worauf er ihm so viele Hiebe gab, daß er ihn halbtot schlug. „Nun, Freund Andres“, sagte er dabei, „ruft doch nun den Vernichter jeglicher Ungebühr und seht, wie er diese vernichten wird; ich glaube, Euch geschieht noch nicht genug; ich habe fast Lust, Euch das Fell abzuziehen, wie Ihr sagtet.“ Endlich band er ihn doch los und gab ihm die Erlaubnis, seinen Richter aufzusuchen, um das gesprochene Urteil zu vollstrecken. Andres ging erbost hinweg und schwur, sogleich den tapfern Don Quixote von la Mancha aufzusuchen, ihm alles, was vorgefallen sei, aufs genaueste zu erzählen, um sich alles siebenfach bezahlen zu lassen. Aber er ging dennoch weinend fort, und sein Herr lachte.
Also vernichtete der tapfere Don Quixote die Ungebühr und war über diesen glücklichen Erfolg ungemein vergnügt, er glaubte seine Ritterschaft auf die schönste und edelste Weise angetreten zu haben und legte mit großer Selbstzufriedenheit den Weg nach seinem Dorfe fort.