Doppelgänger-Agentur, Band 2 - Double Blush - Nina MacKay - E-Book + Hörbuch

Doppelgänger-Agentur, Band 2 - Double Blush Hörbuch

Nina MacKay

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Beschreibung

Double-Agentur-Regel Nr. 2: Date niemals einen Doppelgänger! Denn du weißt nicht, wer er wirklich ist. Lexi kann mit Stars überhaupt nichts anfangen – aber sie braucht den Job in der Doppelgänger-Agentur Ognito Inc., um ihre kleine Katzenauffangstation zu finanzieren. Ausgerechnet sie erhält den Auftrag, ein Double für Prinz Louis, den Thronfolger von Feragosa, auszubilden. Prinz Louis entpuppt sich als unerwartet charmant, doch ehe Lexie sichs versieht, findet sie sich in einem royalen Skandal wieder, der nicht nur den Ruf der königlichen Familie, sondern auch ihr eigenes Herz in Gefahr bringt. Noch mehr spannende Romane von Nina MacKay: "Legend Academy"-Dilogie: Fluchbrecher & Mythenzorn

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Zeit:9 Std. 46 min

Veröffentlichungsjahr: 2025

Sprecher:Sebastian WaldemerNina-Carissima Schönrock

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2025

 

Die Print-Ausgabe erscheint in der Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg

© 2025 Ravensburger Verlag GmbH

Text © 2025 Nina MacKay

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Umschlaggestaltung: Andrea Janas unter Verwendung von Fotos von (© sergio34, © popovartem.com, © Vik Y) Lektorat: Svenja Kopfmann & Sabrina Schumacher

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN 978-3-473-51212-6

ravensburger.com

 

FÜR ALLE, DIE IMMER ZUERSTDIE SCHOKOLADE BEIMÜBERRASCHUNGSEI ESSEN.

PLAYLIST

Das Besondere an dieser Playlist ist, dass man sie in Endlosschleife beim Lesen hören kann oder auch jeden Track einzeln zum jeweiligen Kapitel. Track 1 passt perfekt zur Stimmung von Kapitel 1 und so weiter. Viel Spaß damit! 😊

1) Jonas Blue, Felix Jaehn •Weekends (Lexis Lieblingssong)

2) Our Last Night •White Tiger

3) TOTO •Hold the Line

4) Reluctant Hero •Resistance to Resilience (Maddox’ Lieblingssong)

5) Malik Harris •Dreamer (Brias Lieblingssong)

6) Bow Anderson •Midnight

7) WIER, Nico Santos •Better Days

8) Machine Gun Kelly, blackbear •my ex’s best friend

9) Landon Austin •Love At First Fight

10) Toby Romeo, YouNotUs •What It Feels Like

11) MYLE •Mutual

12) Loi •NEWS(Henrys Lieblingssong)

13) Montez, SDP •Fieber

14) ClockClock •Over

15) Taylor Swift •The Great War

16) Bring Me The Horizon •Teardrops

17) Dead Or Alive• You Spin Me Round (Like a Record)

18) Landon Austin •Haven’t You Been In Love Before?

19) Pulsedriver, Tim Savey •We Are Tonight

20) Nathan Evans •Catch You When You Fall

21) Nico Santos, ClockClock •Changes

22) Montez •Jeden Tag mehr

23) Beth Crowley •Perfect Doesn’t Last

24) KAMRAD •I Hope You End Up Alone (With Me)

25) KAYEF •NICHT DEIN TYP(Louis’ Lieblingssong)

26) Cat Janice •Dance You Outta My Head

27) Taylor Swift •Clara Bow

28) Malik Harris •Sticks & Stones

29) Bill Medley, Jennifer Warnes • (I’ve Had) The Time of My Life

30) Tom Gregory •Never Look Back

31) Katy Perry •Wide Awake

32) Asia •Heat Of The Moment

33) Loi •Am I Enough

34) Anna-Sophie •Breathe

35) Taylor Swift •The Manuscript

36) Tom Twers •Für Immer

37) Emil Bulls • Love Will Fix It

38) Taylor Swift • I Look in People’s Windows

39) LIONT • Mein Leben

40) Landon Austin • Broadway

41) Florian Künstler • Kleiner Finger Schwur

42) Michael Schulte, R3HAB •Better Me

43) Nathan Evans •Days Of Our Lives

44) Archer Marsh • Give Me Everything – Stripped

45) Taylor Swift •I Can Do It With a Broken Heart

46) RANE •London

47) Leony •Somewhere In Between

48) Taylor Swift •But Daddy I Love Him

49) HE/RO •Unglaublich

50) Zoe Wees •Lightning

51) Yiruma •River Flows in You

ICH ATME EIN, ICH RASTE AUS.

Ich fühlte mich wie ein menschlicher Kratzbaum, bestrichen mit Erdnussbutter. Während Mr Popsicle an meiner Hand leckte, brach zu meinen Füßen die Babykätzchen-Hölle los.

Die von der besonderen Horrorsorte. Inklusive Kätzchen, die meine Schubladen ausräumten.

»Charlie, nein. Lass das! Copper, runter von meinem Fuß.«

»Brauchst du Hilfe?« Kolly sah von den fünf Papptellern auf, die sie gerade mit Katzenfutter bestrich.

Kurz zog sich mein Herz bei diesem Anblick zusammen. Noch vor ein paar Monaten hatten wir alles in einzelnen Schälchen zubereitet und vor dem Tod meiner Mutter sogar das teure Rawfood verfüttert. Aber das war momentan nicht mehr drin. Das Geld vom Sommerfest war für Charlies Operation draufgegangen sowie für ziemlich viele Impfungen plus Kastrationen. Übrig war im Grunde nichts mehr, außer noch mehr Tierarzt-Schulden. Immerhin konnte Charlie dank des Eingriffs wieder laufen. Dafür hatte sich der Aufwand in letzter Zeit tausendfach gelohnt.

»Nein, es ist alles okay«, antwortete ich Kolly so überzeugt wie möglich. »Gehen wir raus zu Sawyer.«

Kolly kräuselte die Nase, schwieg jedoch. Wahrscheinlich nahm sie mir das überhaupt nicht ab, dass alles okay war. Obwohl … es war wirklich offensichtlich, in welcher Lage ich mich befand.

Ich pflückte mir die kleine getigerte Katze vom Oberschenkel und nahm die Kratzer in Kauf, die die Flauschkugel auf meinen nackten Oberschenkeln hinterließ. »Klettern kannst du sogar noch besser als gerade laufen, hm?«

Fünf Pappteller zur Fütterungszeit an fünfzehn Kätzchen und zwei erwachsenen Katern vorbeizubalancieren, war wirklich nur was für Profis. Aber immerhin lagen wir bei unter zwanzig zu vermittelnden Kätzchen. Mr Popsicle und Charlie zählten nicht zu dieser Gruppe dazu, da sie meine eigenen Katzen waren.

Draußen im Gras lag Sawyer auf dem Rücken und starrte in den Himmel.

»Achtung, die Kavallerie ist im Anmarsch«, rief Kolly ihrem besten Freund zu.

Zeitgleich mit Lucifer, der seinen Kopf aus der Hundehütte streckte, setzte sich Sawyer auf, strich sich einmal durch die dunklen Strubbelhaare und grinste. Die Sonne hatte seine Stirn rötlich verfärbt, was selbst unter den braunen Strähnen zu erkennen war. »Das war nicht zu überhören.«

Tatsächlich hörte sich das Miauen wie die berühmte Chinesische Wasserfolter an – wenn sie von der akustischen Sorte gewesen wäre. Jedenfalls hörbar aufdringlich. Doppelt so aufdringlich – genau genommen. Einfach das allerbeste Geräusch der Welt für meine Ohren.

Sawyer half uns, die Pappteller so aufzustellen, dass alle Kätzchen gut drankamen und sich gleichmäßig verteilten.

Der Anblick trieb mir wie immer eine Mischung aus Freudentränen und Tränen, die meinen Versagensängsten geschuldet waren, in die Augen. Wobei es sich heute eher um Letztere handelte. Wieder mal stieg diese starke Sehnsucht nach meiner Mom und meiner Grandma in mir auf. Zu niemandem sonst aus meiner Familie hatte ich mehr Kontakt, seit wir zu dritt aus Costa Rica ausgewandert waren. Inzwischen war nur noch ich übrig geblieben.

»Das waren so ziemlich die letzten Futterdosen.« Komisch, ich hätte nie gedacht, dass ich mir selbst die billigen, die stark nach Thunfisch rochen, einmal zurückwünschen würde.

Kolly hob Zelda zur Seite, damit sie nicht beim Essen halb über ihrem Bruder lag. »Sollen wir für dich einkaufen fahren?«

Ich schluckte. Nett von den beiden. Wieder einmal. »Gern, holt einfach, was immer ihr für meine verbliebenen zwölf Dollar kriegen könnt.«

»Kein Problem, ich lege zwanzig Dollar drauf«, sagte Kolly, so als wäre es nichts.

Für mich war es jedoch zu viel. »Nicht schon wieder. Ihr könnt mir nicht dauernd aus der Patsche helfen. Vielleicht kommen heute noch ein paar Spenden rein, oder jemand füllt online einen Adoptionsantrag für eine der Katzen aus.«

Obwohl ich meinen Blick auf den Boden richtete, bemerkte ich, wie Kolly und Sawyer einander ansahen. Ich kannte diese Blicke.

Schweigend nahm sich Sawyer eins der kaputten Angelspiele, die ich für die Katzen gehäkelt hatte, und knotete die Fäden wieder zusammen.

»Weißt du«, begann Kolly mit ihrer besänftigenden Stimme, mit der sie normalerweise auch mit den ganz schwachen Kätzchen sprach, »es ist nicht schlimm, Hilfe anzunehmen.«

»Ach?« Ich bedachte sie mit einem Seitenblick, woraufhin sie schuldbewusst die Lider niederschlug.

Wir wussten alle nur zu genau, wie sie vor ein paar Wochen in die Schlagzeilen geraten war, weil sie ein Hilfsangebot ausgeschlagen hatte. Bei einem Ausflug in die Hills war sie in eine Felsspalte gerutscht und hatte sich nicht von Lincoln, dem Double, das sie zu dieser Zeit betreut hatte, retten lassen wollen. Lincoln, der jetzt ihr fester Freund war.

Zelda würgte, und ich streichelte der kleinen Katzendame über den Rücken. Dabei fiel mein Blick auf die ganzen Teehandschuhe im Gras, mit denen die Katzen so gern spielten. Meine Erfindung – eigentlich dazu gedacht, sich nicht die Hände an heißen Tassen zu verbrühen. Nur momentan waren mir die Menschen ausgegangen, denen ich Teehandschuhe schenken konnte. »Vielleicht könnte ich ein paar Teehandschuhe verkaufen«, murmelte ich, wobei ich selbst nicht ganz davon überzeugt war. Dazu musste man jede Menge Marketing machen, und das kostete Zeit, die ich definitiv nicht hatte. Abgesehen davon, dass das keine großen Gewinne versprach, da musste man sich nur meinen kümmerlichen Etsy-Shop einmal ansehen.

»Oder …« Kolly tippte sich ans Kinn. »Du fängst in der Double-Agentur meiner Mom an. Ich weiß, dass sie Unterstützung sucht, und du könntest kurzfristig einsteigen, selbst für eine kurze Zeit. Sicher würde sie dir auch das Gehalt wöchentlich ausbezahlen. Kein Thema.«

Ich verzog das Gesicht. »Also ich und Doubles betreuen, das halte ich für keine besonders gute Idee. In dem Bereich habe ich absolut keine Erfahrungen.« Büroarbeit und Doppelgänger mit mehr Allüren, als ich Kätzchen beherbergte. Allein bei dem Gedanken verspannten sich meine Nackenmuskeln, und ich ließ meine Schultern kreisen.

»Das bekommst du schon hin.« Kollys Augenbrauen hüpften, während sie ihre Mundwinkel hob, als glaubte sie bei dieser Sache voll und ganz an mich. Es fehlte nur noch, dass sie mir einen Daumen hoch zeigte. »Ist nicht anders, als auf diesen Sack voll Flöhe aufzupassen. Der Job ist als Assistentin von Caleb und Bria ausgeschrieben. Du brauchst keine Vorkenntnisse, sie werden dir alles zeigen, so wie Caleb damals mir. Und solange du tagsüber unten in L.A. arbeitest, schmeißen Sawyer, Leila, deine Nachbarin und ich den Laden.«

»Aber dazu müsste ich unter Menschen.« Zweifelnd zog ich die Nase hoch. »Du weißt schon, dass ich mehr soziale Kontakte zu meinen Socken als zu meinen Mitmenschen pflege.« Ich deutete von meinen selbst gestrickten Socken zu den Katzen und dann zu Sawyer und Kolly. Sawyers Freundin Leila und meine Nachbarin Mrs Larson mitgerechnet, waren die vier so ziemlich die einzigen Menschen, mit denen ich mich regelmäßig austauschte.

»Ja und? Das schaffst du schon.« Kolly sah mich fest an. »Ich muss sowieso noch einige Wochen meine Sozialstunden bei dir verrichten. In der Zeit kannst du es dir leisten, anderswo Geld zu verdienen, während ich bei den Katzen die Stellung halte.«

»Eigentlich brauche ich das Geld.« Ich seufzte. Aber Doubles? Diese Rockstar-Doubles samt der Original-Band hatten Kolly damals einiges abverlangt.

»Du schaffst das.« Sawyer warf mir eine dunkelrote Häkelangel zu, an der ein Mini-Walfisch hing.

Kolly nickte. »Alles im Leben hat seinen Preis, Lexi. Es kommt darauf an, was du bereit bist zu zahlen.«

Ja, was war ich bereit zu zahlen? Gedankenverloren betrachtete ich die Kätzchen. Für diese kleinen Racker war ich bereit, so ziemlich alles zu geben.

Später, als die anderen längst gegangen waren, goss ich mir mit heißem Wasser eine Tütensuppe auf. Natürlich war das Gemisch im Beutel längst abgelaufen und schmeckte entsprechend. Krümelig. Ranzig. Ich verzog den Mund. Selbst Mr Popsicle warf mir einen mitleidigen Blick von seinem roten Kissen aus zu.

»Ich weiß, ich weiß.«

Er fixierte mich aus trüben Augen.

Seufzend hielt ich ihm den Becher Nudelsuppe hin. Mr Popsicle schnupperte daran, ehe selbst er würgte.

»Das hab ich mir gedacht«, murmelte ich, ehe ich eins meiner gestrickten Abtropfsiebe von der Ablage nahm, die Suppe hindurch in den Ausguss kippte und alles, was im Strickmuster hängen blieb, im Müll entsorgte.

Ich sah auf die Uhr. Was machte ich jetzt mit den angefangenen zehn Minuten, ehe ich die Inkubatoren reinigen musste? Im Radio lief ein Break-up-Song von Taylor Swift, den ich lauter stellte. Dazu musste ich mich etwas strecken, denn das Gerät stand auf dem obersten Regalbrett einer abgewetzten Kommode. Sobald meine Fußballen wieder auf dem Boden aufsetzten, fiel mein Blick ein Stück nach unten auf die Schublade.

Mr Popsicle gab ein klägliches Miauen von sich.

»Du willst mir also bei der Post helfen?« Mit zwei Fingern strich ich ihm über das weiche Fell zwischen den Ohren.

Er war der Nächste von uns beiden, der in Richtung von der Schublade spähte. War das ein Zeichen? Augenblicklich spannte sich meine Nackenmuskulatur an, und ich starrte überallhin, nur nicht zur Kommode. Andererseits hatte ich die Schublade schon wieder deutlich zu lange ignoriert.

Es war Zeit. Mit spitzen Fingern zog ich an dem Knauf, von dem die rote Farbe bereits abblätterte, darunter kam die weiße Grundierung zum Vorschein. Eigentlich wusste ich, was darin auf mich wartete. Bloß nicht in welchem Ausmaß. Es fühlte sich an, wie mit angezogener Handbremse Auto zu fahren oder wie von einer Comic-Gewitterwolke verfolgt zu werden. Dank der Schublade war mir ein unbeschwertes Leben verwehrt. Gut, und aufgrund meines lächerlich geringen Kontostands.

Das Papier unter meinen Fingerspitzen fühlte sich rau an. Kein gutes Omen. Zuerst kamen zwei Mahnungen meines Stromanbieters. Dann eine von der Autowerkstatt. Zum krönenden Abschluss noch eine horrende Kreditkartenabrechnung, Tierarztrechnungen und als Kirsche auf der Sahne: nicht beglichene Bankkosten, deren Mahngebühren inzwischen höher waren als die ursprüngliche Summe. So viele Rechnungen. So viele Mahnungen. In meinem Magen rumorte es, während ich die Briefe – dieses Mal zumindest ordentlicher – in die Schublade einsortierte.

Mr Popsicle maunzte in einem warnenden Tonfall, wie es mir vorkam.

»Schon gut, schon gut. Ich gehe morgen zur Bank und frage nach einem Kredit.« Meine Stimme klang fest, und das, obwohl mir jedes zweite Wort in diesem Satz Übelkeit bereitete. Andererseits musste ich es für die Katzen tun. Sie hatten es verdient. Besser, ich beglich all diese Rechnungen mithilfe eines Bankkredits, ehe mir der Strom abgestellt wurde, oder ein Gerichtsvollzieher mein Auto einkassierte. Dann hätte ich lediglich bei einem Gläubiger Schulden abzubezahlen: der Bank. Was war die Alternative?

Pancake sprang auf meinen Schoß, während Zelda versuchte, seinen süßen, plüschigen Schwanz zu erwischen. Meine Augen wurden feucht. Ich würde sie nicht in eins der überfüllten Tierheime abgeben, niemals. Dann lieber vor sämtlichen Banken in Los Angeles blankziehen. Immer noch besser, als mit Prominenten und deren Doubles zu arbeiten. Oder nicht?

Meine Bank-Odyssee lief ungefähr so, wie ich es erwartet hatte – wobei ich es offensichtlich mit Bankangestellten aus den tiefsten Kreisen der Hölle zu tun hatte.

Bis zum frühen Nachmittag hatte ich sieben verschiedene Banken abgeklappert – und Überraschung, keine wollte mir einen Kredit geben. Nun beobachtete ich den Höllenangestellten der letzten Bank auf meiner Liste. Er trug eine lächerliche rote Krawatte mit Baseballmuster und blätterte meine Mappe durch, wobei er in regelmäßigen Abständen auf seinen Bildschirm starrte. Vermutlich tat er nur so, als würde er Finanzierungstabellen studieren, und verfolgte stattdessen ein Baseballspiel. »Es sieht so aus …« Mr Tarenhorn fuhr sich über die Nase. »Ja. Ich kann nichts für Sie tun.« Und damit klappte er meine Mappe zu.

»Bitte?« Diesen Satz von ihm hatte ich im Prinzip erwartet, aber dieses Mal ganz ohne weitere Erklärung? Wollte er mich dermaßen schnell loswerden? Blinzelnd sah ich ihn an, wollte ihm ganz bestimmt die Sache nicht erleichtern und einfach so gehen.

»Ms Hayride.« Er drehte sich auf seinem roten Bürostuhl so, dass er mir frontal gegenübersaß. Dabei knackste der Drehstuhl bedrohlich. »Ihre Sicherheiten sind minimal, Ihre Kreditwürdigkeit damit ebenso, deshalb können wir Ihnen leider keins unserer Kreditprodukte anbieten.«

Das Herz sackte mir in die Hose. Genau den gleichen Satz hatten die anderen Höllenangestellten auch gesagt, weswegen ich eigentlich nicht überrascht sein sollte. Und doch fühlte ich mich, als hätte man mich aus einem Flugzeug gestoßen. Ohne Fallschirm. Das hier war die letzte infrage kommende Bank.

Immerhin war mir dadurch diese Situation nicht gänzlich fremd, was dahingehend vorteilhaft war, dass ich meine Antwort schon parat hatte. »Aber ich habe bisher immer alle meine Schulden zurückgezahlt. Da, sehen Sie.« In meinem Ordner blätterte ich auf die entsprechende Seite vor. Dabei fiel mir auf, dass die Bluse meiner Mom, die unter meinem Blazer hervorlugte, am Ärmel einen Faden zog.

Mr Baseballkrawatte-Tarenhorn rubbelte sich über das Kinn. »Das sind geringfügige Schulden gegenüber Ihres Stromanbieters. Eine ganz andere Hausnummer. Es tut mir leid …«

Und auch diese Antwort kannte ich schon. Meine Lider flatterten. Dieser Mann, diese Bank, dieser Kredit waren meine letzte Chance.

Mr Tarenhorn faltete die Hände, sah dann in Richtung seines Glases mit verpackten Schokokugeln, die sicher in der Hitze der Stadt schon einmal geschmolzen und jetzt durch die zu hoch aufgedrehte Klimaanlage fast schockgefrostet waren.

Kurz schloss ich die Augen. Nach sieben Absagen hatte ich nicht sonderlich viel Hoffnung gehabt, dass ich bei dieser Bank mehr Glück haben würde. Ich spürte, wie Verzweiflung in mir hochstieg, dicht gefolgt von Wut. Meine Katzen hatten diesen Kredit verdient. Irgendwo in meinem Unterbewusstsein hörte ich Charlie miauen. Gleich würden mir die Tränen kommen. In dieser ungerechten Welt, wo man nur Kredite bekam, wenn man sowieso schon Geld hatte.

Mit einem Schnauben sprang ich auf, schnappte mir meine Unterlagen und stopfte sie zurück in die Tasche.

»Ms Hayride …«, setzte Mr Tarenhorn noch einmal an.

Doch ich schüttelte den Kopf. »Bitte geben Sie sich keine Mühe. Das passt schon.« Obwohl absolut nichts passte. Andererseits wollte ich weder eine Mitleidsansprache noch unbeholfene Alles-wird-gut-Sprüche hören, und genau deshalb musste ich weg von hier.

Ohne ihn noch eines weiteren Blickes zu würdigen, stürmte ich an den vielen Beratertischen vorbei, an denen ähnlich hoffnungslos dreinblickende Kunden saßen, und aus dem Gebäude.

War ja klar, dass ich absolut keine Chance hatte. Lexi gegen die Großbanken? Einfach lächerlich.

In dem Moment, als ich durch die Schiebetüren der Bank preschte, erwartete mich schon die Megahitze von L.A., und ich musste kurz stehen bleiben, um mich an den Temperaturwechsel zu gewöhnen. Mein Auto hatte ich illegalerweise auf diesem Luxushotelparkplatz gleich neben der Bank geparkt. Der Parkplatz besaß zwar eine Bezahlschranke, doch auch einen versteckten Übergang zur Tankstelle nebenan, den ich genutzt hatte, um kein Ticket ziehen zu müssen. Die Parkkosten in L.A. konnte sich eigentlich kein Mensch leisten. Es sei denn, man verdiente sich dumm und dämlich in seinem Job.

Unglücklicherweise hatte ich keinen Schattenparkplatz erwischt und jetzt ein glühendes, altersschwaches Auto vor mir, dessen Tür schon beim Aufschließen quietschte.

»Verflucht, ist das heiß!« Meine Finger hatten den Türgriff kaum berührt, da zuckte ich schon zurück. Auch das noch. Aber was half es? Der Tag konnte ab jetzt nur noch besser werden, oder?

SCHÖNE WORTE SIND NICHT IMMER WAHR, UND WAHRE WORTE SIND NICHT IMMER SCHÖN.

An keinem anderen Tag als heute hätte die Katastrophe fürchterlicher ausfallen können, wenn es nach meiner Mutter ging. »Ausgeraubt? Von Frauen, die hinter dir her waren?« Ihr Gesicht auf meinem Tablet färbte sich von blass zu rot. »Wo waren deine Personenschützer?«

Ich lehnte mich im Hotelsessel zurück. »Heute habe ich Bert und Ramsey mittags freigegeben.« Vielleicht war das nicht der richtige Moment, um meiner Mutter zu erklären, dass ich vorhatte, den beiden für den Rest meiner Reise freizugeben. Erst recht in Zeiten wie diesen wollte ich allein sein.

»Beiden auf einmal?« Mutters Stimme klang schrill.

»Ja. Wer hätte auch ahnen können, dass so etwas passiert?« Mir war nichts als meine Handyhülle geblieben, aus der sie jedoch mein Smartphone gerissen hatten. Nachher musste ich mir ein neues besorgen. Meine Kreditkarten hatte ich inzwischen sperren lassen, bis auf die, die noch im Hotelsafe lagerten.

»Laut Henry wurden Bilder von dir auf Incam veröffentlicht.«

»Instagram«, verbesserte ich automatisch, natürlich kannte sich Mutter im Gegensatz zu Henry nicht im Geringsten damit aus.

»Du hättest nie damit anfangen sollen, dein Leben online zu dokumentieren.«

Das sagte sie immer, wenn sie nicht auf das Wort »bloggen« kam.

»Meine Arbeit als Royal-Influencer ist vielleicht das einzig Erfüllende, das ich je in meinem Leben getan habe«, hielt ich dagegen, obwohl ich wusste, dass es keinen Sinn hatte. »So bekommen die Menschen einen Blick hinter die Kulissen und erfahren von all den öffentlichen Auftritten unserer Familie, die sich ja meist um wohltätige Zwecke …«

»Ja, ja, Schatz«, unterbrach Mutter mich. »Bis diese Fans dich aufspüren, ausrauben oder noch Schlimmeres. Vergiss nicht, weswegen du in L.A. bist. Nächste Woche Freitag ist der Termin in der Double-Agentur. Verpass ihn nicht.«

»Ich bekomme das alles geregelt. Ihr müsst euch nicht einmischen«, sagte ich, obwohl ich wusste, dass Mutter es nicht lassen konnte. Vielleicht weil sie generell überfürsorglich war, weil ihr unser Ruf am Herzen lag, oder weil sie nicht aus ihrer Haut konnte und in mir immer noch den kleinen Louis sah, der an Asthmaanfällen litt und daher beschützt werden musste. Mein Atem beschleunigte sich allein bei dem Gedanken, und ich musste mich zusammenreißen. Durch die Nase einatmen und langsam durch den Mund aus. So lange es ging. »Den Termin vergesse ich schon nicht.«

Wie könnte ich auch? Mutter hatte vor, mich mithilfe eines Doubles aus dem Rampenlicht rauszuhalten. Immerhin durfte ich bei der Auswahl von selbigem dabei sein. Was für eine Farce. Gerade wenn man bedachte, was ich am Tag vor dieser Reise erfahren hatte. Etwas, das mich vollkommen aus dem sorglosen Watteweich-Leben im Palast gerissen hatte. Und nein – bisher konnte ich weder mit meiner Mutter darüber reden noch ihr verzeihen. Auch wenn es kindisch klang – andererseits hatte ich jedes Recht dazu, wie ich fand. Am besten für uns alle wäre, wenn sich kein geeigneter Double-Kandidat finden würde, dann könnte ich den Rest der Woche in Los Angeles undercover das Leben genießen, ehe ich nach Feragosa zurückkehren musste, wo sowohl die Pflicht als auch Mutters Pläne auf mich warteten.

Tief durch die Nase einatmen, langsam durch den Mund ausatmen. Ich legte den Kopf in den Nacken und überkreuzte meine Beine auf Höhe der Knöchel.

»… und dann kannst du dich zurückziehen und dich wichtigeren Dingen widmen.« Mutters Monolog ging weiter, wobei ich bei ziemlich viel davon nicht richtig zugehört hatte. »Wie deiner bevorstehenden Hochzeit.«

Und es ging los … Diese Leier schon wieder. Ich seufzte.

»Ich weiß, mein Schatz, aber du und Elena versteht euch doch so gut. Da ist eine Hochzeit die beste Allianz, um neuen Glanz in unsere Königshäuser zu bringen und diesen elendigen Schuften den Stuhl unter ihren Hintern abzusägen.«

Damit meinte Mutter nicht nur Politiker im Allgemeinen, sondern diejenigen im Besonderen, die selbst an die Macht und somit uns als Königsfamilie absetzen wollten.

»Die Fürstin von Kandien und ich sind Freunde, mehr nicht.«

»Ja, eben, ihr versteht euch gut. Also wäre eine Allianz für uns alle das Beste. Durch eine Hochzeit.«

Mit Mutter zu reden, gestaltete sich wie so oft unangenehmer als eine Tauchpartie mit Weißen Haien, vor allem wenn sie dieses Thema anschnitt.

Ich griff mir meine Sonnenbrille, wählte dazu meinen abweisendsten Tonfall. »Tut mir leid, ich muss nun gehen und mir am Strand einen ordentlichen Sonnenbrand holen.«

Damit drückte ich auf den roten Button auf dem Tablet-Display. Besser so, als wenn dieses Gespräch eskaliert wäre. Optimalerweise nutzte ich die Zeit gut, ehe ich der Double-Agentur einen Besuch abstatten musste. Und mit nutzen meinte ich: in den USA ein freies Leben ohne Verpflichtungen führen. Ich könnte mich tatsächlich ausnahmsweise mal amüsieren und mich darin üben, mit Menschen in Kontakt zu kommen. Gar keine schlechte Idee. Einmal ohne Personenschutz inkognito am Strand entlanglaufen und Gespräche mit Fremden beginnen. Ganz normalen Menschen, die mich ebenso für einen ganz normalen Menschen hielten. Würde nicht so schwer werden und keinesfalls so trivial, wie meine Mutter immer sagte.

KAFFEE IST NUR SCHÄDLICH, WENN DIR EIN GANZER SACK DAVON AUF DEN KOPF FÄLLT.

Heiß, heißer, heiß, heiß! In meiner schicken Bluse und den High Heels meiner Mom fiel es mir ungeheuer schwer, mich hinter das Steuer zu setzen – ohne mir den Hintern unter dem Businessrock zu verbrennen. Schnell steckte ich den Schlüssel ins Schloss. Je eher ich nach Hause kam, desto weniger würde ich zerfließen wie ein Schokoriegel im Wasserkocher – was ich bereits unfreiwillig getestet hatte, nachdem Potato einmal einen Riegel mit den Pfoten vom Regalbrett in den offenen Wasserkocher hineingeschubst hatte. Und mich würde gleich ein ähnliches Schicksal ereilen. Denn natürlich besaß mein altersschwacher fahrbarer Untersatz keine Klimaanlage. Also blieb mir nichts anderes übrig, als schnell loszufahren und den Fahrtwind als Kühlung zu nutzen.

Der Motor brummelte, sprang aber nicht an. Was? Dios mio. Ich startete erneut. Ein Minihopser, sonst passierte nichts. Im Grunde ahnte ich, dass es keinen Sinn mehr hatte, und was damit auf mich zukommen würde. Und diese Aussicht ließ mich trotz der Hitze innerlich frösteln.

Mist, Mist, Mist! Selbst mein Auto ließ mich heute im Stich?

Nach mehreren Wiederholungen dieses frustrierenden Kreislaufs: Schlüssel drehen, Motorgebrummel, Fluchen – zog ich an dem Hebel unter dem Lenkrad, sprang aus dem Wagen und ging um ihn rum. Unter dem Rock klebten meine Schenkel vor Schweiß und rieben unangenehm aneinander. Dieser Tag wurde einfach immer besser. Als ich versuchte, die Motorhaube zu öffnen, verbrannte ich mir fast die Finger, doch das war mir in dem Moment egal. Erst nach einem Tritt gegen die Stoßstange ließ sich die Klappe öffnen. Eine Mini-Rauchschwade kam mir aus dem Motor entgegen. Okay, kein Problem. Wofür gab es YouTube-Reparatur-Tutorials? Ich atmete tief durch. Das würde schon werden, schließlich musste ich dringend zurück nach Hause.

Auf meinem Smartphone scrollte ich durch verschiedene Videos, bis ich bei einem hängen blieb: »Auto springt nicht an. Die zehn häufigsten Ursachen und Lösungen.« Perfekt. Mit etwas Glück war lediglich ein Kabel locker. Besser wäre es, denn gerade schob ein Hotelpage einen goldenen Kofferwagen aus dem Gebäude und sah zu mir herüber. Einen Tick zu lange für meinen Geschmack.

Ich ignorierte ihn geflissentlich und beugte mich weit nach vorn über den Motor.

»Brauchen Sie Hilfe?«

Die Stimme – männlich, mit leichtem französischem Akzent – kam dermaßen aus dem Nichts, dass ich zusammenzuckte und gegen das Metall über mir prallte.

»Jetzt bitte nicht den Kopf an der Motorhaube stoßen«, sagte der Typ.

»Zu spät«, murmelte ich. Erst danach brachte ich mich zurück in eine aufrechte Position. Um den Fremden sehen zu können, musste ich gegen die Sonne anblinzeln. Ein gut aussehender junger Mann etwa in meinem Alter, wahrscheinlich ein Hotelgast, das war nach einem Blinzler klar. Wobei gut aussehend ihm nicht annähernd gerecht wurde. Einschüchternd-attraktiv schon eher. Um nicht zu sagen: selbst für Hollywood ungewöhnlich schön. Nach zwei weiteren Blinzlern fiel mir auf, dass er eine Haltung besaß, die von Überlegenheit sprach – allerdings im positiven Sinne. Dazu kamen eine aristokratische Nase, dunkle Haare und ein durchdringender Blick aus seinen noch dunkleren Augen. Sowie Wimpern, für die einige Hollywood-Sternchen gemordet hätten, so dicht und geschwungen, wie sie waren. Insgesamt strahlte er etwas Erhabenes aus, wie es nur die oberen Zehntausend konnten.

Kurz gesagt, er war einer von den Typen, für die ich mich noch nie interessiert hatte. Wobei: Jetzt war er einmal hier …

»Kennst du dich zufällig mit Autos aus?« Ich neigte den Kopf.

»Mit Autos schon, allerdings nicht mit ihrer Reparatur, da muss ich leider passen.« Er kratzte sich im Nacken, wobei ihm beinahe die Sonnenbrille aus dem Kragen seines weißen Button-Down-Hemds gefallen wäre.

Aha. Wenig hilfreich, wenn auch gut aussehend. Wieso bloß kam mir immer wieder diese Beschreibung seines Äußeren in den Sinn? Absolut oberflächlich von mir und kaum der richtige Moment.

Der Fremde verlagerte sein Gewicht von einem Bein aufs andere. »Kann ich dir sonst irgendwie helfen?«

Ich starrte ihn an. Eigentlich überaus nett, dass er nicht einfach weiterging. Irgendwie erfrischend.

Ich hob mein Smartphone. »Meine YouTube-Reparaturanleitung und ich haben alles im Griff.« Jetzt klang ich schon fast wie Kolly.

Der Typ grinste. »Bist du dir sicher?«

»Ja. Hier steht, dass man die am häufigsten auftretenden Probleme selbst checken und manche sogar ganz einfach fixen kann.« Ich hatte schon ganz andere Steine aus meinem Weg geräumt. Vor allem wenn es darum ging, Geld zu sparen.

»Tatsächlich?« Die Brust des Fremden bebte bei seinen Worten, als versuchte er, ein Lachen zu unterdrücken. »Du reparierst mal fix dein Auto, und ich stehe völlig nutzlos daneben und sehe dabei zu. So müssen sich Superhelden fühlen.«

»Ganz genau.« Ich lächelte ihn an, vielleicht weil es irgendwie mal etwas anderes war. Diese Konversation mit dem Fremden. Unwillkürlich wurde mir noch heißer. Vor allem bei seinen nächsten Worten.

»Vermutlich kann ich sogar noch was von dir lernen.« Er trat näher an mich heran, und ich roch sein Aftershave, das eine sinnliche Note verströmte. Ich schnupperte erneut, sog diesen beerigen Duft ein. Nicht übel. Das erste Aftershave in meinem Leben, das mir gefiel.

»Gut, dass ich nur so kurz im Land bin, sonst könntest du mir gefährlich werden.«

Dieser Satz durchschnitt die Luft zwischen uns, verwandelte die Atmosphäre von einer unschuldigen Hitze zu einer prickelnden.

Wie meinte er das denn? Mit brennenden Ohren beugte ich mich über den Motorraum, versuchte, diesen attraktiven Typen aus meinem Kopf zu bekommen. Womöglich hatte ich mich einfach verhört. Besser, ich ignorierte ihn, konzentrierte mich auf das YouTube-Video statt auf eine Fortführung unseres Gesprächs.

Schritt eins der Analyse, Lexi! Schritt eins. Jetzt!

Ich folgte den Anweisungen aus dem Video und war froh, dass ich zumindest die meisten der aufgelisteten Probleme direkt ausschließen konnte. Als ich beim fünften Schritt ankam, war klar, dass …

»Du brauchst Starthilfe«, bemerkte der Typ neben mir trocken. »Die Batterie ist leer.« Mittlerweile war er dazu übergegangen, sich ebenfalls über den Motor zu lehnen und jede meiner Bewegungen genauestens zu beobachten. Bevor ich ihn aufhalten konnte, war er schon davongeprescht und kam nur wenige Augenblicke später mit einem älteren Ehepaar, das gerade in einen silbernen Kleinwagen hatte steigen wollen, zurück.

»Kein Problem, wir helfen Ihnen, meine Liebe«, sagte die ältere Dame, die mit ihrer zerknitterten grünen Handtasche winkte. Euphorisch und gleichzeitig irgendwie zerknautscht.

»Das … ist sehr nett«, brachte ich stockend hervor. Mein Gehirn war immer noch dabei zu verarbeiten, dass sich gleich drei Fremde um meine Bedürfnisse scherten. Wie oft hatte ich so etwas schon erlebt? Ganz klar noch nie.

Währenddessen manövrierte der ältere Herr mit weißen Haaren und Halbglatze seinen Wagen direkt neben meinen und machte sich im Anschluss daran, die Startkabel aus dem Kofferraum zu holen.

»Die wollte ich immer schon mal benutzen. Ich bin übrigens Alfred.« Alfred schaute beseelt von mir zu meinem Superhelden mit französischem Akzent.

»Äh ja«, sagte dieser. »Du brauchst mich dann wohl nicht mehr. Sehe ich dich heute Abend vielleicht an der Hotelbar?«

Bei dieser Frage wurde mir dann doch ein bisschen heiß. Wie er mich ansah. Richtig beachtet hatte mich in den letzten Monaten kein Mann so wirklich. Und bisher hatte es mir nie etwas ausgemacht …

»Äh, wie wäre es damit, dass ich dich jetzt auf einen Kaffee einlade?« Ich schielte auf meine Uhr. »Weil du so hilfreich warst.« Mehr oder weniger zumindest.

Der Typ grinste. »Gern. Ich bin übrigens Louis.«

»Lexi.« Ich ergriff seine Hand.

Im selben Moment sprang Alfreds Auto an und er versicherte mir, dass meins diesem Beispiel gleich folgen würde, weshalb mir eine ganze Felsenkette vom Herzen fiel. Komischerweise starrte mich dieser Louis weiterhin so intensiv an, dass ich meinen Blick nicht von ihm abwenden konnte. Und wir würden zusammen Kaffee trinken. Er und ich.

Ich blinzelte. Ach ja, das war mein Vorschlag gewesen. Und es war keine große Sache.

Alfred und seine Frau, die er mit Besma angesprochen hatte, lehnten mit einem entrückten Lächeln ab, als ich ihnen anbot, mitzukommen.

»Wir haben bereits andere Pläne, aber du solltest jetzt deinen Wagen starten können. Versuch’s einfach.« Alfred wedelte mit einer Hand.

Einen Moment später drehte ich den Schlüssel in der Zündung, und mein Auto sprang endlich an. Wow. Es lief wieder!

Besma stieß einen Pfiff aus, der so überraschend von ihr kam, dass ich aufsah.

»Ich wäre dann bereit für den versprochenen Kaffee.«

Louis beugte sich zu mir ans offene Autofenster. Ein wenig aufgesetzt, so als hätte er das noch nicht oft gemacht – aber dennoch charmant. Interessant. Ein attraktiver Mann, der nervös war, mit einer Frau zu reden?

Gejohle und Geklapper drang an meine Ohren. Eine Gruppe Jugendlicher mit Skateboards nahm offensichtlich eine Abkürzung über den Hotelparkplatz. Staub wirbelte auf dem heißen Asphalt auf, während sie ganz nah an uns vorbeizogen.

Ein großer blonder Typ drehte seine Baseballcap mit dem Schirm nach hinten, sah dabei in meine Richtung. »Was für eine Schrottkarre ist das?« Einen Herzschlag lang fixierte er mich aus seinen eisblauen Augen. »Direkt vom Schrottplatz geklaut?«

Er legte den Kopf in den Nacken, lachte, und sein Gefolge, ebenfalls bestehend aus schlaksigen Jungs mit Basecaps, tat es ihm nach.

»Diese freundlichen Amerikaner«, murmelte Louis. »Von denen liest man immer wieder in den Reiseprospekten.« Und etwas lauter direkt an die Halbstarken gerichtet, fügte er hinzu: »Besser eine Schrottkarre als keinen Anstand besitzen.«

Ich verzog den Mund. Wieso war ich nicht auf diesen Spruch gekommen? Heute war ich tatsächlich nicht in Form. Noch ein wenig mehr beeindruckt von Louis war ich, als der Junge und seine Begleiter ohne ein weiteres Wort abzogen. Lediglich der ein oder andere gab die Imitation eines genervten Stiers zum Besten.

Alfred applaudierte Louis, ehe sich er und seine Frau von uns verabschiedeten.

Im nächstgelegenen bezahlbaren Café standen wir schweigend in der Schlange. Offensichtlich war der Cafébesitzer ein großer Biberfan, denn diese Tierchen beherrschten als Figuren jede freie Fläche dieses Hipster-Cafés, wodurch diesem ein altbackenes Flair innewohnte. Gedankenverloren streckte ich mein Gesicht dem Deckenventilator entgegen. Louis’ Präsenz nahm mich ebenso ein wie das Gefühl von Hunger und Durst. Um mich abzulenken, checkte ich die Lage zu Hause. Laut Kolly, die mir sofort antwortete, war alles in Ordnung.

Es gab nichts zu tun, weswegen ich mein Smartphone wieder einsteckte. Ob ich ein Gespräch beginnen sollte? Unter halb gesenkten Lidern sah ich zu Louis auf. Bloß war steifer Smalltalk noch nie meins gewesen. Und wozu sollte ich mit diesem auch anfangen? Diesen offensichtlich gut betuchten Touristen aus Europa würde ich nach heute nie wiedersehen.

Ich war kurz davor, das Bibermaskottchen auf dem Tresen anzuknabbern, als endlich der letzte Kunde vor uns Platz machte.

»Zwei Cappuccinos mit Hafermilch bitte«, bestellte ich beim Barista. Darauf hatten Louis und ich uns bereits vor gefühlten Stunden geeinigt.

Ich zog meine Kreditkarte durchs Lesegerät, wollte sie schon wegpacken, als ein Störgeräusch ertönte. O nein. Bitte nicht.

»Der Betrag konnte nicht abgebucht werden«, erklärte der Barista sachlich und professionell. Das Lächeln in seinem Gesicht verrutschte kaum. Er kam mir wie einer dieser Schauspielschüler vor, die sich sowohl im Nebenjob als auch bei einem Casting äußerst korrekt verhielten.

»Ich versuche es einfach noch mal«, sagte ich schnell, obwohl ich eine Ahnung hatte, auf was das Ganze hinauslief.

»Wieder nicht.« Jetzt erlosch das Lächeln des Barista doch. Selbst der Biber auf seiner Schürze schien die Mundwinkel hängen zu lassen.

In meinem Nacken brannte es. Das hieß, mein Kreditlimit war für diesen Monat ausgereizt?

»Darf ich dich ausnahmsweise einladen?« Louis hatte bereits seine Karte gezückt.

»Ausnahmsweise«, bestätigte ich, versuchte, mir dabei nicht anmerken zu lassen, dass ich ansonsten aufgeschmissen gewesen wäre. In meinem Portemonnaie befanden sich nämlich exakt ein Dollar und fünfundzwanzig Cent, wie ich nach einem raschen Blick feststellte. Das reichte nicht mal für einen Tee. »Obwohl ich mich eigentlich damit bei dir bedanken wollte.«

»Darauf komme ich ein anderes Mal zurück.« Ganz gentlemanlike balancierte Louis unsere Tassen zu einer Sitzbankgruppe. Kurz rechnete ich in Gedanken nach, wie lange Kolly schon allein bei den Katzen war und wie lange ich diese Mini-Auszeit, welche einem kleinen Abenteuer gleichkam, mit Louis genießen konnte. So etwas passierte mir sonst nie – oder ich hatte schlichtweg nie Zeit für ein spontanes Kennenlernen, nicht für Dates oder gar einen Cafébesuch.

Ich glitt Louis gegenüber auf eine Bank, die mit grünem Samtstoff bezogen war, und strich über den Serviettenspender in Biberform vor mir auf der Tischplatte.

»Heute Abend in der Hotelbar gibt es um neun Uhr eine Happy Hour.« Über seine Tasse hinweg grinste Louis mich an.

»Mal sehen.« Zugegeben, eine halbe Lüge. Wie sollte ich das alles auch erklären? Dass ich eben kein Hotelgast war und es mir weder zeitlich noch sonst wie leisten konnte, einen Cocktail in einer Hotelbar zu trinken. Genau genommen war so eine Art von Abendplanung eine vollkommen andere Welt für mich.

Louis griff nach dem Zuckerstreuer, wobei er meine Hand berührte. Ein warmes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Viel zu warm. Wieder wurde mir heiß. So viel Aufmerksamkeit, so viele nette Gesten an nur einem einzigen Tag. Das war zu viel.

Bedächtig kippte er ziemlich viel von dem weißen Kristallzeug in seine Tasse. »Die Biber sind echt ein Highlight, verleihen dem Café eine ungeahnte Gemütlichkeit, findest du nicht?« Er rührte seinen Kaffee um, leckte seinen Löffel ab, weswegen ich ihm keine Antwort geben konnte. Ich starrte einfach auf das Stück Metall, das von seinen Lippen umschlossen wurde, neigte dabei meinen Kopf. Mein Mund fühlte sich auf einmal ganz trocken an. »Biber sind meine Lieblingstiere. Neben Schwänen«, fuhr Louis fort.

»Meine Lieblingstiere sind ganz klar Katzen.« Mit dem Kinn wies ich auf meinen Ellenbogen, wo ein paar Katzenhaare klebten.

Louis stieß ein helles Lachen aus. Ein ehrliches, lockeres Lachen. »Das ist ziemlich cool.«

Ich starrte ihn an, konnte nicht anders. Wieso fühlte es sich so vertraut an, hier mit ihm zu sitzen? So als würden wir das jeden Freitag tun? »Genau genommen engagiere ich mich sogar im Bereich der Katzenrettung«, brachte ich stockend hervor.

»Das ist sogar noch cooler.« Louis grinste breit, leckte den Schaum von seinem Löffel, was meinen Magen grummeln ließ. Allerdings nicht unangenehm. Bei Gott, dieses Lächeln. Ich konnte ihm gefährlich werden? Er mir genauso. Dios mio! Das Plastik unter dem Samtbezug knisterte, als ich meine Fingernägel in die Sitzbank bohrte. Ich umklammerte den Rand davon so fest, als würde die Schwerkraft nicht ausreichen, um mich am Boden zu halten.

»Nachher möchte ich noch zum Strand. Begleitest du mich?«

»Hm?« Ich sah auf, wühlte mich langsam durch meine drückenden Gedanken zurück in die Realität. Gerade wollte ich noch mehr sagen, da klingelte mein Handy. Kollys Nummer. »Entschuldige, ich muss da rangehen.«

Louis nickte, sah aus dem Fenster, als könnte mir das etwas Privatsphäre verschaffen.

»Lexi, kannst du kommen?«, fragte Kolly, ehe ich überhaupt zu Wort kam. »Taco hechelt ganz seltsam und wirkt apathisch.«

O nein. Taco. Ich sprang auf, erwischte dabei meine Tasse mit dem Unterarm am Henkel und stieß sie um. Verflucht. Das Kaffeegebräu verteilte sich unschön über den Tisch und auf die Bank auf der anderen Seite, wahrscheinlich hatte sogar Louis’ Hose etwas abbekommen. Jedenfalls sprang er auf und griff nach dem Biberserviettenspender.

»Ja, ich komme sofort, mach dir keine Sorgen«, sagte ich an Kolly gewandt. »So schnell ich kann.«

Rasch legte ich auf, meinte es auch genau so, wie ich es Kolly versprochen hatte.

»Es tut mir so, so unendlich leid«, sagte ich zu Louis und deutete auf das Malheur auf seiner Hose. Meine Schuld. Alles meine Schuld.

»Aber du musst gehen«, vervollständigte er meinen Satz.

»So ist es.« Ich zwang mich dazu, äußerlich die Fassung zu bewahren, obwohl ich mich in eine Situation manövriert hatte, die an Peinlichkeit kaum zu überbieten war. Selbstverständlich musste ich mich zum Abschied blamieren. Bis auf die Knochen.

»Schon in Ordnung, ich räume hier auf.« Etwas umständlich wischte er in Kreisen um die Cappuccino-Flut herum, wirkte allerdings weder sauer noch enttäuscht. Ich neigte den Kopf. Wahrscheinlich hatte ich in meinem Leben noch nie jemanden so sexy etwas aufwischen sehen. Was natürlich nichts zur Sache tat und auch nichts daran änderte, dass er und ich uns nie wieder begegnen würden.

Gerade als ich etwas sagen wollte, hustete Louis, und zwar so heftig, als könnte er gar nicht mehr aufhören. Hatte er sich verschluckt? Alarmiert vergaß ich auf der Stelle alles, was ich hatte sagen oder tun wollen. Ohne nachzudenken, überwand ich die Distanz zu ihm, klopfte auf seinen Rücken. Was war los? Die Situation – das nicht enden wollende Gehuste aus seinem Mund – ließ mich panisch werden. Schon sah ich ihn vor meinen Augen ersticken, da kramte Louis ein weißes Plastikteil aus seiner Hosentasche hervor. Ein Asthmaspray, begriff ich. Rasch und irgendwie routiniert nahm er mehrere Züge davon, woraufhin das Husten aufhörte. Der Asthmaanfall war vorbei. Oh, danke Gott, dass nichts Schlimmeres passiert war.

»Setz dich lieber wieder.« Sanft bugsierte ich ihn zurück auf die Bank, wo er sich mit einem Seufzen zurücklehnte.

»Alles in Ordnung, schon vorbei. Mach dir keine Sorgen.« Er rieb sich über die Stirn. »Wir sehen uns in unserem Hotel, ja?« Seine hoffnungsvolle Stimme ließ mich schlucken.

Ein Wiedersehen, richtig – darauf legte er es wirklich an. Irgendwie brachte ich es nicht über mich zu erklären, dass ich mich nur auf dem Hotelparkplatz eingeschlichen hatte.

Ich besah mir das Desaster, nahm mir einen Moment Zeit, um durchzuatmen. Was hatte ich mir auch gedacht? Dass ich Zeit und Nerven für so was wie ein Date hätte? Noch dazu mit einem Typen aus einem Luxushotel? Ein sexy One-Night-Stand? Nein, nicht mal das passte in mein Leben. Rein zeitlich betrachtet.

»Bis dann«, presste ich hervor. Meine letzte Erkenntnis zog mich ganz schön runter. Ich konnte mir selbst nicht erklären, warum. Auch nicht, weshalb mein Herz bei meinem Abgang flatterte. Vielleicht weil es mir der ganze Tag und die ganze Woche schon schwer machten. Und jetzt auch noch die Kreditsache, mein fehlendes Bargeld und der verschüttete Cappuccino. Andernfalls hätte ich sicherlich einen Spruch für Louis parat gehabt, oder einen Vorschlag, wo und wann ich ihn wiedersehen könnte. Allerdings war ich nicht so naiv zu glauben, dass ich Zeit für eine Affäre mit einem europäischen Touristen aufbringen könnte. Also sollte ich das Ganze lieber vergessen. Es war vorbei, ehe es überhaupt begonnen hatte. Wie so vieles in meinem Leben.

Ohne einen Blick zurück stürmte ich aus dem Café und zurück zum Hotel-Parkplatz. Louis hielt mich nicht auf. Wieso auch? Er respektierte sicherlich meinen Wunsch, glaubte an ein Wiedersehen im Hotel und war dazu noch mit Aufwischen beschäftigt.

Auf dem Bürgersteig vor der Tankstelle bemerkte ich einen offensichtlich obdachlosen Mann mit einem kleinen Hund. Beide sahen dehydriert und absolut hoffnungslos aus. Die Hitze brannte erbarmungslos auf die zwei hinunter. Im Vorbeigehen warf ich meinen Dollar und die fünfundzwanzig Cent aus meinem Portemonnaie in den zerknautschten Pappbecher vor dem Mann. Die beiden hatten es nötiger. Ich nickte dem Mann zu, als er sich bedankte und mir einen schönen Tag wünschte. Der würde hoffentlich irgendwann mal kommen. Der schöne Tag. Innerlich schalt ich mich für diesen Gedanken. Taco ging es schlecht und er brauchte mich. So viele Katzen in dieser Stadt brauchten mich. Immer positiv denken! So hatte es mir meine Grandma beigebracht, die wahrlich viel Schlimmeres hatte durchmachen müssen als ich. Aber ein Fakt war nicht zu leugnen: Ich besaß weder Bargeld noch Kreditwürdigkeit bei einer Bank und konnte meine Kreditkarte nicht weiter belasten. Dafür hatte ich ziemlich viele hungrige Kätzchen oben in Shadow Hills, die sich auf mich verließen. Was sollte ich tun? Rumsitzen und in Selbstmitleid ertrinken, war so gar nicht meine Art.

JEDE MINUTE IST EIN NEUANFANG.

Ich wusste nicht genau, warum, aber ich konnte sie nicht einfach so gehen lassen. Irgendetwas tief in mir wollte sie noch einmal sehen. Lexi, mit ihren wachen, intelligenten Augen und diesem unbändigen Willen. Obwohl auch etwas Trauriges, nein Bedrückendes in ihrem Blick steckte. Irgendwie faszinierend, wie dunkel ihre Augen schimmerten und wie sich dennoch die ganzen Lichter darin spiegelten. Ein Widerspruch wie bei meinen giftigen Seerosen im Teich hinter dem Gewächshaus. Giftig, aber sanft und wunderschön. Wobei Letzteres nicht so ganz auf Lexi zutraf. Obwohl sie etwas von einer südamerikanischen Schönheit hatte. Nur wilder und ein wenig … kantiger.

Ich zerknüllte die letzte Serviette zu einem runden Schwamm, wischte noch einmal über den Tisch, ehe ich sie in einem Mülleimer entsorgte. Was, wenn Lexi heute Abend nicht an der Hotelbar sitzen würde? War sie vielleicht eine Angestellte des Hotels? Oder noch schlimmer: Reiste sie heute ab? Jedenfalls musste ich ihr meine Nummer geben, ehe ich sie für immer verlor. Lexi fühlte sich genau nach der Art Leben an, das ich mir hier zu leben erhofft hatte. Ein abenteuerliches, bürgerliches Leben in den Staaten. Was für ein Glück sie hatte, so frei zu sein. Mein Herz klopfte bei dem Gedanken, dass ich sie sogar zum Abschied umarmen könnte, wenn ich ihr nachlief.

Zugegeben, jetzt kam ich mir wie ein Teenager vor, der sich zum ersten Mal verliebt hatte. Was nicht so ganz falsch war. Denn meine bisherigen Dates konnte ich an einer Hand abzählen. Ein Nachteil, wenn man seinem Land verpflichtet war und es zudem Politiker in Feragosa gab, die jeden Fehltritt meinerseits zum Anlass nahmen, eine Debatte anzustoßen, dass man das Königshaus auflösen sollte, so wie in anderen europäischen Ländern schon geschehen. Aber hier kannten mich weitaus weniger Menschen, und die Wahrscheinlichkeit, dass jemand ein Foto von mir an Zeitungen weiterleiten würde, war gering. Vielleicht war Lexi meine letzte kleine Auszeit, mein Abenteuer vor diesem Leben, das das Schicksal für mich vorgesehen hatte. Mein Herz pochte wie … wie ein Herz eben pochte. Der Gedanke beschleunigte meine Schritte noch mehr. Raus aus dem Café und zurück zum Hotelparkplatz. Rechts und links an meinem Blickfeld verschwammen die Farben. Weil ich nur noch eins im Sinn hatte.

Sobald ich die Abkürzung über die Tankstelle nahm, sah ich, wie Lexi gerade in ihren Oldtimer kletterte. »Warte!«

Lexi zögerte tatsächlich. Ich war noch rechtzeitig.

In Zeitlupe stieg sie aus dem Auto, schob sich eine dunkle Haarsträhne hinters Ohr. Wie schön sie war mit ihren glänzenden Haaren, die ihr fast bis zum Schlüsselbein fielen.

»Das ist keine Übung.« Ich keuchte nur ein wenig, was das Resultat von zahlreichen Joggingrunden um den königlichen Teich herum war. »Aber ich brauche deine Nummer. Ich möchte dich wiedersehen.« Nachdem ich zum Stehen gekommen war, schob ich mir die Haare aus der Stirn, wartete gebannt ab, wie Lexi reagieren würde.

Reichlich perplex ließ sie ihren Blick über mich wandern.

»Ich möchte dich wirklich kennenlernen.« Eigentlich hatte ich geplant, mich lässig auf der Motorhaube abzustützen, doch die war so kochend heiß, dass ich sofort wieder zurückzuckte.

Lexi grinste. »Ich möchte dich auch kennenlernen.«

»Ja?« Wow, das war leichter gewesen als gedacht, aber dafür nicht uninteressanter. Im Gegenteil.

Lexi schenkte mir einen Augenaufschlag, der mich beinahe in die Knie gehen ließ.

»Und ich möchte … ähm.« Ich näherte mich ihr so sehr, dass kein Fuß mehr zwischen uns gepasst hätte. »Und ich möchte gern das hier tun.« Während ich redete, beugte ich mich zu ihr nach unten. Lexi zuckte nicht zurück. Noch interessanter. »Aber nur, wenn du es auch willst«, hauchte ich, wobei ich mit meinem Mund in der Luft vor Lexis Gesicht verharrte. Irgendwo gurrte eine Taube.

»Das würde ich jetzt irgendwie auch gern tun«, murmelte Lexi.

Wirklich? Mein Herz hüpfte unkontrolliert. Bevor ich einen weiteren Gedanken zulassen konnte, beugte ich mich noch tiefer zu ihr, näherte mich ihrem Mund weiter und weiter. Gleich würde ich ihre Lippen auf meinen spüren, und ich wusste jetzt schon, wie berauschend sich das anfühlen würde. Ich konnte es kaum mehr erwarten.

Lexi seufzte, reckte sich mir entgegen.

Gleich!

»Hey, ihr Boomer! Sucht euch ein Hotelzimmer!«

Unter diesem Ruf, der zweifellos uns galt, zuckte ich zusammen, wandte mich um. Natürlich. Diese Gang bestehend aus Halbstarken mit Baseballmützen von vorhin. Mitsamt ihren Skatebords rollten oder liefen sie auf uns zu, offensichtlich auf dem Rückweg von wo auch immer sie abgehangen hatten. Großartig. Genau im richtigen Moment. Ich fuhr mir durch die Haare.

Mit Schwung wandte sich Lexi ihnen zu. »Wenn wir Boomer sind, dann seid ihr ganz sicher noch Spermien, Freundchen.«

Freundchen grinste frech. »Gut, du könntest echt nicht meine Mutter sein, andererseits benutzt du dieses Boomer-Wort des Jahres ›Freundchen‹ – was mich aber ziemlich heiß macht. Also kann ich deine Nummer haben?«

Lexi war kurz davor, dem Kerl den Kopf abzureißen, das war deutlich zu erkennen.

»Ihr seht besser zu, dass ihr Land gewinnt, sonst erfährt deine Mutter von deinem Verhalten Fremden gegenüber«, erklärte ich mit meiner festen Stimme, die ich mir im Pressetraining angeeignet hatte.

»Uh, sonst was?« Der Kleinste der Truppe mit Sommersprossen auf Nase, Wangen und Schultern, schien Oberwasser zu kriegen, drehte während seiner Frage eine Runde um einen Gullideckel, sodass die Rollen seines Skateboards über den Asphalt schabten.

»Sonst denkt er sich noch mehr Boomer-Wörter für euch aus«, antwortete Lexi an meiner Stelle.

Mein linker Mundwinkel zuckte.

Die Jugendlichen verdrehten ihre Augen. Zwar mussten sie nur knapp zehn Jahre jünger als ich sein, aber für sie fühlte sich diese Zeitspanne sicher so an wie für mich der Zeitraum von jetzt bis zu meiner Geburt.

Lexi seufzte erleichtert auf, sobald die Truppe weiterzog, und auch ich atmete auf. Wobei unser Moment verflogen war. »Darf ich dir jetzt meine Nummer diktieren? Dann können wir später schreiben. Allerdings wurde mein Handy geklaut, es wird bis heute Abend dauern, bis ich ein neues eingerichtet habe. Am besten ich gebe dir auch meine Mailadresse zur Sicherheit.«

»Leg los.« Lexi zückte ihr Smartphone.

Wow, sie war sofort dabei. Beeindruckend. Hitze, die nichts mit dem Wetter zu tun hatte, wallte in mir auf. Jetzt nur keinen Fehler machen. Die richtigen Zahlen nennen und das, obwohl mein Blick wie magisch von Lexis Lippen angezogen wurde.

»Welches Land ist das?« Sie stutzte bei der Vorwahl.