Dorf der Vampire - Franny Stoker - E-Book
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Dorf der Vampire E-Book

Franny Stoker

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Beschreibung

Sarah Wehler träumt von einer großen Karriere als Reporterin. Dafür muss sie nach Rumänien reisen und einen Artikel über ungewöhnliche lokale Beerdigungsriten schreiben. Der mysteriöse Lucian Bota stellt sich ihr als Dolmetscher vor und verspricht, Sarah bei den Recherchen zur Seite zu stehen. Doch in dem kleinen, von einem unerschütterlichen Glauben an Vampire beherrschten Dorf ist niemand bereit, ihr zu helfen – außer Lucian. Je mehr Zeit sie mit ihm verbringt, desto tiefer gerät sie in einen unheimlichen Sog dunkler Geheimnisse, die ihren Geist zu vernebeln drohen und sie an der Realität zweifeln lassen. Wird Sarah dieser mysteriösen Macht widerstehen können?

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Seitenzahl: 145

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Die Autorin
Noch mehr Vampire

Dorf der Vampire

Franny Stoker

Dana Müller

Kapitel 1

»Das duftet aber lecker«, ertönte Roberts Stimme direkt hinter mir.

Erschrocken fuhr ich zusammen. »Schleich dich doch nicht immer so an«, rügte ich ihn.

Dabei wusste ich genau, dass ich es war, die diese Schelte verdient hätte. Immerhin waren meine Gedanken gar nicht hier. Noch immer war ich gekränkt, dass Lea diesen Artikel über die Berlinale schreiben durfte. Zumal ich mich schon vor Monaten dafür angemeldet hatte.

»Mach dich nicht verrückt. Du schreibst großartige Artikel«, beschwichtigte Robert.

Ich drehte mich ihm zu. »Weißt du, dass ich Flo vor vier Monaten schon angefleht habe, diesen Artikel schreiben zu dürfen und weißt du auch, dass er nicht Nein gesagt hat? Und dann hat er ihn auf den letzten Drücker Lea gegeben!«

»Mama, wann gibt es Essen? Ich verhungere«, rief Jana, während sie die Küche stürmte.

Meinem kleinen Sonnenschein gelang es immer wieder, mich aus den düstersten Momenten zu befreien. »Gleich fertig. Du kannst Papa helfen, den Tisch zu decken.«

»Ich bin schon sechs, ich kann das alleine«, erwiderte sie, zog den Küchenstuhl an die Arbeitsfläche und kletterte hinauf, um an die oberen Türen zu gelangen, hinter denen sich die Teller verbargen.

»Wo versteckt sich denn deine Schwester?«, fragte Robert.

»Im Internet«, erwiderte Jana und holte einen Teller heraus, den sie Robert reichte.

Er nahm ihn ihr ab und wartete auf den nächsten.

»Soll ich mal nach ihr sehen?«, fragte ich und rührte den Reis um.

»Lass nur. Ich gehe gleich. Kümmere du dich mal um den Gaumenschmaus.« Robert nahm Jana den vierten Teller ab und hob sie rasch vom Stuhl. Er hatte es offenbar eilig, ins Kinderzimmer zu gelangen. Mich wunderte es nicht, denn Serafina hatte sich wieder einmal über seine Anweisung hinweggesetzt. Sie steckte mit ihren neun Jahren inmitten einer nicht enden wollenden rebellischen Phase.

»Was gibt es zum Nachtisch?«

»Götterspeise mit Vanillesoße«, schoss es über meine Lippen.

Jana jauchzte vor Freude.

Da kam auch schon Serafina mit einem langgezogenen Gesicht in die Küche. »Ich hab gar keinen Hunger. Kann ich wieder in mein Zimmer zurück?«

Ich blickte zu meinem Mann, der genauso unglücklich aussah wie unsere ältere Tochter. Demnach hatte sie gerade ihr Handy oder das Tablet abgeben müssen. Manchmal fragte ich mich, wie wir früher ohne Internet ausgekommen waren.

Gerade, als ich den Reis auftat, klingelte mein Handy. Ich versuchte, es zu ignorieren, aber Robert brachte dafür keine Geduld auf. Seine Hand schnellte so schnell an mir vorbei zur Arbeitsfläche, auf der das Gerät lag, dass ich ihn nicht daran zu hindern vermochte, das Gespräch einfach anzunehmen. Er hatte ja nicht einmal einen Blick aufs Display geworfen.

Während ich Jana den Teller auf den Tisch stellte, verfolgte ich aufmerksam das Gespräch.

»Hm, ja. Okay. Gut. Ich sage ihr Bescheid. Ja. Tschüss.«

»Wer war dran?«, wollte ich wissen.

»Dein Boss«, erwiderte Robert und setzte sich ohne ein weiteres Wort an den Tisch.

»Und was wollte er?« Ich hasste es, ihm jedes Wort aus der Nase zu ziehen. Heute konnte ich sein Verhalten allerdings nachvollziehen. Immerhin hatte er vorhin offenbar einen emotionalen Kampf mit Serafina überstanden.

»Ruf ihn einfach nach dem Essen zurück. Er hat irgendwas von einem Artikel gestammelt. Ist er immer so verwirrt, wenn es um die Arbeit geht?«

So ein Mist. Ich hatte den ganzen Tag auf Flos Anruf gewartet und nun war er meinem mürrischen Ehemann zum Opfer gefallen. Ich drehte mich zur Arbeitsfläche um und griff nach meinem Handy.

»Schatz, nicht jetzt.«

Er hatte ja recht. Wir bedienten eine gewisse Vorbildfunktion. Gerade, da Serafina genau aus diesem Grund mit ihrem Vater aneinandergeraten war. Trotzdem nagte die Unwissenheit an meinem Innersten. Deshalb hakte ich nach. »Was hat er denn genau gesagt?«

»Soll ich zitieren?«

Was für eine blöde Frage. »Ja, bitte.«

»Also gut! Sarah? Lust auf Reisen? Spesen werden übernommen. Artikel ist ne große Sache. Ach, nicht Sarah? Robert? Egal – richte ihr aus, sie soll mich anrufen. Tschüss.« Er ratterte das so monoton runter, dass er jedem Roboter Konkurrenz machen konnte. Die Kinder fanden das offensichtlich lustig, denn sie verloren sich in ungezügeltem Lachen.

Ich lehnte mich zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete das Glück, das mir beschert worden war. Das Leben war voller Kontraste. Auf der einen Seite hatte ich das große Los gezogen – auf der anderen hätte es wesentlich besser laufen können. Wenn ich doch nur imstande wäre, meiner Karriere einen kleinen Schubser zu verpassen.

Ich konnte es kaum abwarten, bis alle mit ihrem Essen fertig waren, um den Tisch abzuräumen und endlich Flo anzurufen. Auf Reisen hatte ich zwar Lust, aber da Robert morgen zu einer Ärztetagung aufbrechen musste und die komplette Woche ausfiel, konnte ich nicht zusagen. Trotzdem war ich daran interessiert, in Erfahrung zu bringen, welchen Artikel mir Flo gegeben hätte. Also rief ich ihn mit brennender Neugier zurück.

»Sarah. Gut, dass du anrufst. Hat Robert dir gesagt, worum es geht?«

»Als wäre ich live dabei gewesen. Aber…« Ich wollte ihm erklären, dass ich hier nicht wegkonnte, da unterbrach mich mein Boss.

»Fein, dann mach dich bereit. Pack deine Sachen. Es geht nach Rumänien.«

Rumänien? Das entsprach nun nicht meiner Vorstellung. Als er gemeint hatte, dass alle Spesen übernommen würden, hatte ich für einen winzigen Augenblick die Hoffnung gehabt, er würde mich nach London, Paris oder New York schicken. Rumänien stand nicht unbedingt auf meiner Wunschliste, dennoch wollte ich mehr erfahren. Immerhin spiegelte seine Auftragserteilung das wider, was er von seinen Journalisten hielt.

»Dort gibt es ein Dorf, das ganz wunderbar in unsere Rubrik des Unheimlichen passt. Und zwar geht es um Beerdigungspraktiken, die über das Übliche hinausgehen.«

»Beerdigungspraktiken? Flo, du weißt, dass ich noch nie einen Auftrag abgelehnt habe, aber das hier? Was soll das bitte bringen?«

»Jetzt hör mir doch mal zu. Die Leute dort beerdigen ihre Toten mit einem Ziegelstein im Mund oder einem Pflock im Herzen. Es wird nicht ohne Grund als Vampirdorf bezeichnet.«

»Warum ich? Ich meine – Vampire? Wirklich? Ich bin Journalistin und keine Fantasy-Autorin. Was soll das? Warum schickst du nicht Monika? Sie würde für diese Art der Berichterstattung sterben.«

Von dem anderen Ende der Leitung war ein tiefes Seufzen zu hören. »Das ist ja das Problem. Du bist die Einzige im Team, die nicht an Geister und Vampire und solchen Dummfug glaubt. Ich würde ja selbst fahren, aber du weißt, dass ich hier nicht wegkann.«

Das war so typisch für Flo. Er sah immer nur seine Seite, eine andere interessierte ihn gar nicht. »Das kann ich auch nicht. Robert muss zur Tagung und ich kann die Mädchen nicht alleine lassen. Was soll ich also tun? Mitnehmen kann ich sie auch nicht.«

»Überlege es dir bis morgen früh. Dann brauche ich eine Antwort.«

So einfach wollte ich es ihm nicht machen. Er wollte etwas von mir? Das passte mir ganz gut, denn dann würde er mir bestimmt eine Frage beantworten. »Eins noch: Warum hast du mir die Berlinale nicht gegeben?«

Ich konnte sein Grummeln hören und vor meinem inneren Auge sah ich, wie er tomatenrot anlief. »Herrje! Das wirst du mir wohl immer nachtragen.«

»Es war ja auch ziemlich unfair. Du hättest mir gleich sagen können, dass ich den Artikel nicht schreiben darf. In dem Fall hätte ich mir etwas anderes gesucht. Weißt du, dass die Konkurrenz viel besser bezahlt?«

»Schon gut. Ich mache dir einen Vorschlag: Schreib den Artikel über das Vampirdorf und danach kannst du dir aussuchen, worüber du berichten willst.«

Wie großzügig er doch sein konnte, wenn er keinen anderen Ausweg sah. »Ganz egal, was es ist?«

»Ja, ja! Meinetwegen!«

»Ich überlege es mir und melde mich morgen früh«, erwiderte ich und legte auf, ohne auf seine Antwort zu warten. Sicher hatte er erwartet, dass ich bei diesem Angebot sofort zuschlagen würde. Aber Flo hatte einen Fehler gemacht. Er hatte mir verraten, dass er auf mich angewiesen war. Also hielt ich dieses Ass in meiner Hand und musste genau darüber nachdenken, ob dieser Deal wirklich fair war.

Kapitel 2

Am nächsten Morgen war ich total gerädert. Als hätte ich in einem von Schimmelpilzsporen belasteten Zimmer geschlafen, lag eine Schwere auf meiner Brust, die mir das Atmen erschwerte. Wahrscheinlich schlummerte der Ursprung dafür in meiner Psyche, denn ich hatte keine Ahnung, wie ich eine Reise zum jetzigen Zeitpunkt organisieren sollte. Schon gar nicht, wie ich meinen Töchtern erklären wollte, dass sie womöglich zu ihrer Tante Caroline sollten. Die Mädchen fanden sie einfach zu streng, was ihnen kaum zu verübeln war. Wer verlangt schon von einer Sechsjährigen, dass sie ihr Bett akkurat macht?

»Hast du meine Laptoptasche gesehen?«, fragte Robert, dem die Aufregung anzusehen war.

»Liegt auf dem Küchentisch. Kaffee?«

»Sehr gerne. Hast du deinen Boss zurückgerufen?«

»Noch nicht.« Das wollte ich auch nicht. Natürlich erschien es mir verführerisch, den nächsten Artikel ganz alleine zu wählen. Allerdings war der Preis dafür etwas hoch. Ich tat so, als wäre ich vertieft in die Funktion der Kaffeemaschine.

Doch Robert hatte mich durchschaut. »Ich finde, du solltest deinem Traum keine Steine in den Weg legen. Ruf ihn an!«

»Das ist nicht so einfach. Er will, dass ich für ein paar Tage nach Rumänien fahre und dort in einem Dorf die Bräuche recherchiere. Genauer gesagt, die Beerdigungsbräuche. Die Bewohner dort glauben wohl an Vampire.«

Robert blickte mich intensiv aus seinen hellgrauen Iriden an. »Aha – und wann?«

»Ich soll ihn heute anrufen und ich nehme an, dass es dann auch bald losgeht. So genau habe ich ihn nicht gefragt, weil das eh nichts für mich ist. Außerdem musst du heute fahren und bist eine Woche weg. Da kann ich sowieso nicht verreisen.«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, das ist kein Problem. Ich wette, meine Schwester brennt darauf, die Kinder zu nehmen. Du weißt doch, dass sie die beiden sehr gerne um sich hat.«

»Sie vielleicht. Aber hast du mal Serafina und Jana gefragt, was sie davon halten, bei Caro zu sein?«

Er lachte. »Touché. Aber es ist ja nicht für immer. Ein paar Tage werden sie das schon aushalten. Außerdem freut sich Serafina doch, mit einem feuerroten Ferrari zur Schule gebracht zu werden.«

Das konnte man sehen, wie man wollte. »Tut sie das? Oder ist es ihr eher peinlich, mit ihrer durchgeknallten Tante gesehen zu werden?«

Er kam näher und legte seine Hände auf meine Hüften. »Hör zu, ich fahre zur Ärztetagung, weil das zu meinem Beruf gehört. Und du fährst nach Rumänien, um für einen Artikel zu recherchieren, weil das zu deinem Beruf gehört. Unsere Kinder werden das verstehen. Außerdem ist es gut für ihre Beziehung zu uns, wenn sie auch mal woanders sind. Und wenn das bei Caro ist, umso besser.«

»Bei Colonel Caro?«

»Ja«, erwiderte er mit einem Lächeln und küsste mich. »Und jetzt ruf ihn an und sag ihm, dass du den Auftrag übernimmst. Wir skypen jeden Abend mit den Kids und die Tage vergehen schneller, als du jetzt glaubst.«

Obwohl mir nicht ganz wohl bei der Sache war, hatte Robert mich größtenteils überzeugt. Ja, es war nichts daran verwerflich, dass ich meinen Beruf ausübte. Sobald ich mir einen Ruf erarbeitet hatte, könnte ich mir Artikel aussuchen. Bis dahin war es vielleicht gar nicht mehr so ein weiter Weg.

»Wann musst du los?«

»Das Taxi sollte in zwanzig Minuten hier sein.«

Ich reichte ihm den frisch gebrühten Kaffee. »Okay. Und wenn Caro keine Zeit hat?«

Robert schmunzelte. »Aus zuverlässiger Quelle weiß ich, dass sie nichts vorhat. Ich habe sie gestern Abend angeschrieben und schon mal vorgewarnt, dass vielleicht die Mädchen für ein paar Tage bei ihr unterkommen müssen. Willst du die Herzemojis sehen, die sie daraufhin geschickt hat?«

»Aber du wusstest doch gar nicht, dass ich zusagen würde«, beschwerte ich mich mit ein wenig Übertreibung.

»Deshalb habe ich auch vielleicht gesagt.«

Ein Hupen riss uns aus der Zweisamkeit. Ein Blick aus dem Küchenfenster genügte, um das Taxi zu entdecken.

Robert trank seinen Kaffee aus, verabschiedete sich von den Kindern und stieg in das Taxi.

Mir blieb jetzt nichts übrig, als bei Flo anzurufen. Doch gerade, als ich mein Handy zückte, klingelte es an der Tür.

Ich öffnete und stand meinem Boss gegenüber. »Was machst du denn hier?«

»Anrufe sind immer so unpersönlich. Ich war in der Nähe. Dachte, du freust dich, mich zu sehen.«

»Onkel Flo«, rief Jana und rannte den stämmigen Mittfünfziger in seinem Trenchcoat beinahe um. »Hast du mir was mitgebracht?«

Das war immer die erste Frage meiner Jüngsten, wenn sie Flo sah. Er war nicht nur mein Chef, er war auch der Patenonkel meiner Mädchen.

Flo holte eine große Tafel Schokolade unter dem Mantel hervor. »Die ist für dich. Wo ist deine Schwester?«

»Boah! Mit Karamellfüllung«, staunte Jana.

»Serafinas Laune ist nicht die Beste«, warnte ich ihn vor. »Sie ist noch oben im Zimmer.«

»Na dann gehe ich das mal rasch ändern, und du zauberst mir einen Kaffee mit viel Schaum?«

»Natürlich, Boss.«

Keine fünf Minuten später kam er wieder runter und setzte sich an den Küchentisch. Ich nippte an meinem Kaffee und beobachtete ihn beim Genießen des Milchschaums.

»Das ist der Beste!«

»Du bist bestimmt nicht nur wegen meines Kaffees hier.«

»Erwischt. Du bist eine hervorragende Journalistin – dir entgeht nichts.« Er sagte es mit einem so breiten Grinsen, dass mir Schauer über den Rücken liefen.

Die Aufforderung dahinter konnte ich förmlich riechen. »Also, ich kann gar nicht nach Rumänien. Ich habe gar kein Visum.«

»Gut, dass du das gerade ansprichst. Visum brauchst du keines.« Er zog einen Umschlag aus seinem Trenchcoat. »Zufällig habe ich das Zugticket dabei.«

»Zufällig, ja?« Wem wollte er das denn verkaufen?

»Was ist mit Robert? Weiß er Bescheid? Hast du einen Babysitter?«

»Flo, ganz langsam. Robert fällt aus. Er ist auf einer Ärztetagung. Ich muss erst fragen, ob Caro Zeit und Lust hat, und dann muss ich die Mädchen vorsichtig darauf vorbereiten, dass sie eine Weile bei ihrer Tante sein müssen. Verstehst du? Das geht alles nicht so schnell, wie du es dir vorstellst. Außer – du als Patenonkel könntest auch ein bisschen mehr Zeit mit ihnen verbringen.«

Er plusterte die Wangen auf. »Das würde ich ja gerne. Aber die Arbeit – ich bin so eingespannt, dass ich gar keine Zeit habe.« Mit diesen Worten stand er auf, legte den Umschlag auf den Tisch und verabschiedete sich. »Ach ja, dein Zug fährt um 16 Uhr.«

»Warte, wieso überhaupt Zug? Streiken die Piloten etwa?«

Er winkte, ohne sich zu mir umzudrehen und stieg in sein Auto.

Na wunderbar. Jetzt war ich festgenagelt und konnte mich nicht mehr aus dieser Situation retten. Das hieß, mir lief die Zeit davon. Caro anzurufen war das kleinere Übel. Das Größere war, meinen Kindern zu erklären, dass und warum sie ihre Betten gegen die ausgezogene Couch bei ihrer Tante tauschen mussten.

Kapitel 3

Meine erste Hürde war der vollkommen überfüllte Hauptbahnhof. Es war 15 Uhr und ich hatte genug Zeit, um das richtige Gleis zu finden. Das allerdings gestaltete sich schwieriger als angenommen. Die Größe des Bahnhofs überforderte mich. Aber Aufgeben stand nicht auf dem Plan. Nach einer Weile fand ich endlich die richtige Gleisnummer und stieg mit meiner Reisetasche im Schlepptau die Treppe hinauf. Die überfüllte Rolltreppe mied ich gekonnt, denn ich hasste es, im Gemenge unterzugehen. An der Anzeigentafel wurde der Zug nach Bukarest auch schon eingeblendet.

Ich hatte noch etwa zwanzig Minuten. Zeit genug, um mir einen Kaffee am Bahnhofsstand zu besorgen und etwas zu mir zu kommen. Ich war angespannt. Nicht nur wegen der ganzen Leute, die sich wie Bienen auf einer Blume tummelten. Mich ärgerte, dass ich von Flo so überrumpelt worden war. Und das auch noch ausgerechnet jetzt, wo Robert seine Geschäftsreise angetreten hatte. Die Mädchen waren bei Caro gut versorgt – darum ging es nicht. Wohl aber um die Sorge, die eine Mutter nun mal hatte, wenn sie so überstürzt aufbrechen musste. Dann war da noch dieses fremde Land. Ich reiste gerne, keine Frage. Aber ich mochte es gar nicht, wie ein Schneeball in ein mir vollkommen unbekanntes Terrain geworfen zu werden.

»Einen großen Espresso Latte, bitte«, bestellte ich.

»3,60«, erwiderte die Dame hinter dem Tresen knapper als knapp. Ich beschwerte mich nicht. Wahrscheinlich hatte sie heute bereits tausend Kunden bedient. Also zahlte ich und nahm mein Heißgetränk entgegen.

Meine Bahn war pünktlich. Es war ein alter Zug mit Abteilen und ich hatte eines für mich ganz allein. Meine Reisetasche hatte ich auf der Ablage über den Bänken geparkt und das MacBook auf den Knien, um mich ein wenig im Vorfeld über den Ort schlauzumachen, zu dem ich gerade unterwegs war.

In dem Umschlag lag neben einigen Geldscheinen auch ein Zettel, auf den Flo den Namen des Dolmetschers geschrieben hatte. Darunter war vermerkt, dass mir dieser Mann – Lucian Bota – während meiner Recherche zur Seite stehen würde. Er hatte auch eine Route mit Fahrzeiten der Bukarester Busgesellschaft notiert. Demnach musste ich also umsteigen.

Ich tippte den Namen in die Suchmaske und wartete die Ergebnisse ab. Nicht ein einziger Lucian Bota tauchte in den Ergebnissen auf. Abwandlungen wie Luci Botannek, Lucinda Bon brachten mich nicht weiter.

Es half nichts. Ich benötigte Informationen und wenn das Internet diese nicht lieferte, musste ich Flo so lange nerven, bis er etwas ausspuckte. Also rief ich ihn an.