Dorfkind - Frank Weber - E-Book

Dorfkind E-Book

Frank Weber

0,0

Beschreibung

'Dorfkind - Eine Kindheit auf dem Lande' erzählt in 60 kleinen Geschichten vom Fahrrad- und Schlittenfahren, vom Kaugummi-Automat vorm Dorfladen und der ersten Zigarette, vom Fische fangen und Floßfahren, von Ponys, Weihnachtsbäumen und Dorfkneipen ... und doch muss dieses Büchlein unvollständig bleiben. Während des Schreibens staunte ich nicht schlecht, was doch alles zusammenkam an Erinnerungen, an Episoden und Abenteuern. Die Geschichten sind alle in sich geschlossen, kurze Geschichten von ein bis vier Seiten, die man mal kurz zwischendurch lesen kann. Alle entstammen sie meiner persönlichen Erinnerung, sind so oder so ähnlich wirklich passiert in einem kleinen Dorf in den Ausläufern des oberhessischen Berglandes. Dein Buch erinnert mich an meine eigene Kindheit. Bin auch auf einem Bauernhof großgeworden. (Leserstimme)

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 96

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Alle großen Leute waren mal kleine Kinder, aber nur wenige erinnern sich dranAntoine de Saint-Exupéry - Der kleine Prinz -

Inhalt querbeet

Birken im Schnee

Mit Schlitten runter, mit Spikes rauf

Schlittenfahren auf der Dorfwiese

Papa‘s Weihnachtsbaum

Schlittenfahrt mit Pony Pascha

Kirchgang

Erntezeit

Geliehene Hühnereier

Die Feldscheune am Promilleweg

Der Kaugummiautomat vorm Lädchen

Einkauf zu Fuß und mit Vollmacht

Fahrrad mit Rücktritt

Kinderfahrrad vs. Taxi

Die scharfe Axt

Spielzeugautos im Sand

Der Modellbauwettbewerb

Brennholz fürs Straßenfest

Klavier am Freitag

Staubsauger und Heiermann

Munition für die Räuberpistole

Zigarren im Unterholz

Western von gestern

Campingplatz mit Schwimmbad

Straßenfußball

Im Hof der Fleischerei

Hausschlachtung

Baumkletterer

Das Taubenhaus

Nachbar’s Manta

Die Motorradgang nebenan

Kindergrillen

Nachbars Swimmingpool

Floßfahren

Fischerei im Mühlgraben

Stunk aufm Schulhof

Schreiner Hofers Schultaxi

Zu Fuß zum Zug und zur Schule

Die nette Sibylle

Dickwurz und Halloween

Milch vom Bauernhof

Bei Rupp’s aufm Hof

Das Bäckerauto

Blasmusik am Feiertag

Maifeiertag

Trauerzug und Streuselkuchen

Tanzkurs

Der Tante Emma Laden

Yps

Das große Einkochen

Dorfkneipe

Singstunden und Stammtische

Auf dem Spielplatz im Dorf

Obst und Bauchweh

Großbaustelle im Neubaugebiet

Lego, Playmobil und Rennbahnen

Drachen fliegen nie sonderlich hoch

Gartenpflege

Kleine Katastrophen

Es gäbe noch mehr zu erzählen

Früher war alles …

Ein kleines Nachwort

Inhalt alphabetisch

Birken im Schnee

Bei uns die Straße runter, wo die Straße aus unserer Neubausiedlung in die Landstraße mündete, so ungefähr zweihundert Meter, standen gegenüber, auf der anderen Straßenseite oberhalb des Straßengrabens, drei jungen Birken, die wir uns als Kletterbäume ausgesucht hatten. –

Die Bäume, oder besser die Bäumchen waren noch sehr jung, ihre Stämmchen daher noch sehr dünn und wohl kaum fünf Meter hoch. Sie bogen sich unter unserem Gewicht - damals wohl kaum mehr als vierzig Kilo, wenn wir daran hochkletterten.

Ich weiß nicht mehr genau, wie alt wir damals waren, vielleicht so zehn oder elf Jahre. Es muss wohl gegen Ende der Grundschulzeit gewesen sein, aber noch vor dem Schulwechsel, die Bäume trugen noch ihr volles Laub, außerdem hätten wir nach dem Wechsel von der Grundschule aufs Gymnasium - unsere Schuljahre endeten und begannen damals im Hoch- bzw. Spätsommer - nicht mehr die Zeit gehabt für solch sportliches Treiben, von dem ich hier erzähle.

Ich weiß auch nicht mehr, wer von uns drei oder vier Jungs genau damit angefangen hatte, auf die jungen Birken zu klettern. Ich erinnere mich aber noch gut, dass wir einen Riesenspaß dabei hatten.

Wenn man nämlich zwei oder zweieinhalb Meter hoch geklettert war, also eigentlich noch gar nicht so hoch, dann bog sich das Stämmchen so sehr, dass es mit der Spitze schon wieder abwärts zeigte. Und dann rutschten wir, zuerst etwas ungeplant, später mit voller Absicht, über die nach unten zeigende Spitze des Baumes hinweg und ließen uns ins hohe Gras fallen.

Der Baum richtete sich dann wieder auf, wir kullerten runter und landeten unter Gejohle im Straßengraben.

Mit zehn, elf Jahren, kaum vierzig Kilogramm schwer, landet man noch recht weich und leicht im hohen Gras, rappelt sich auf, rennt den Berg wieder hoch und beginnt das Spiel von neuem.

Dass im nicht immer trockenen Gras die Hose dessen Farbe annahm, war für uns zunächst Nebensache. Für die Mutti, die die Hose waschen durfte - was sie auch mit viel Liebe immer wieder tat (so meine Wahrnehmung, damals) - war es sicher auch schön, wenn es ihrem Sohn gut ging.

Die Mutti hatte damals übrigens schon eine neue Waschmaschine. Die hatte der Papa neu gekauft, nachdem er das ganze Haus für uns gebaut hatte.

Doch zurück zu unseren drei jungen Kletterbäumen, den Birken, die einfach nicht kaputt zu kriegen waren.

Wir hatten, wie gesagt, unseren Spaß, der aber nicht mehr lange anhalten sollte. Einer von den Erwachsenen aus der Siedlung - ich weiß nicht mehr, wer’s war - hat uns verpfiffen, dass wir auf den Bäumen rumklettern. Und wir durften dann nicht mehr weiter klettern und uns planmäßig von unseren drei Kletterbirken abstürzen lassen. Also suchten wir uns fürs Erste neue Abenteuer; und davon gibt es in Neubaugebieten reichlich. - Das dürfen Sie ruhig glauben.

Es ist, wie bereits erwähnt, lange her. Ich erinnere mich noch, dass wir unsere Kletterbäume im darauf folgenden Winter, in dem jede Menge Schnee lag, wieder entdeckten.

Es muss Ende der Siebziger gewesen sein, wir hatten einen weißen Schneewinter. Es fuhren auf der Land-Straße sehr wenige Autos, und wir entdeckten gerade unsere drei Kletterbirken neu.

Wie schon im Spätsommer kletterten wir hoch, der noch sehr junge Baum neigte sich, und wenn die Baumspitze in Richtung Boden zeigte, ließen wir uns fallen und landeten in aller Regel weich, nein, nicht im Gras, sondern im tiefen Schnee. Wir kullerten denn johlend Richtung Straßengraben, rappelten uns auf und rannten den Hang wieder hoch, um sofort wieder auf den Baum zu klettern. So ging das Spiel dann auch eine ganze Weile.

Offenbar wegen des winterlichen Wetters und der Straßenverhältnisse waren noch weniger Leute unterwegs als sonst, Salz wurde noch nicht gestreut und es fuhren auch noch weniger Autos als sonst.

Somit hatte uns auch keiner gesehen, der uns hätte verpetzen können. Wir kletterten also immer wieder auf unsere Birke, ließen uns fallen und landeten im Schnee und im Straßengraben - dann wieder von vorne

Da wir meist weder Ski- noch Schneehose trugen, und lange Unterhose schon mal gar nicht, waren wir irgendwann durch die Unmengen Schnee, die der Winter uns beschert hatte, doch etwas durchnässt und manchmal auch - zumindest die Jeanshose, wenn auch nur teilweise - steifgefroren. Es wurde mitunter recht kühl, und wir retteten uns nicht selten dann zu einem von uns nach Hause, wo die Dame des Hauses die Ehre hatte, uns mit heißem Tee oder Kakao zu bewirten, was die Muttis dann auch durchweg mit überzeugender Freundlichkeit und wohl auch sehr gerne getan haben. - Schöne Zeiten waren das.

Mit Schlitten runter, mit Spikes rauf

Unsere Neubausiedlung lag übrigens etwas oberhalb des Dorfes. - Das ist heute noch so

Am unteren Ende, kurz bevor die Straße in die Landstraße mündet, war ein kurzes Stück Straße, vielleicht dreißig bis vierzig Meter lang, das steil genug war, dass wir dort Schlitten fahren konnten - jawohl, mitten auf der Straße.

Selbige war bedeckt mit festgefahrenem, teilweise gefrorenem Schnee. Und die Autofahrer mussten ja sowieso sehen, wie sie die Straße hochkamen. Ob wir nun Schlitten fuhren oder nicht. Spaß hatten wir umso mehr.

Kam ein Auto, gingen wir selbstverständlich zur Seite, ließen dem Auto den Vortritt und schauten zu, wie der Wagen sich - mit den Hinterrädern mahlend - den Berg hoch kämpfe.

Das Autos im Verkehr, und die Erwachsenen sonst und überhaupt, meist die Stärkeren waren, wurde nicht weiter hinterfragt. Das war einfach so, und hat sich auch meist irgendwie ausgezahlt.

Erst später lernte ich dann, dass Autos nicht nur mit einfachen Winterreifen fuhren. Damals fuhren sie mit Spikes, kleinen Nägeln, die in die Laufflächen eingearbeitet waren. Dadurch hatten die Reifen Halt auf Schnee oder Eis und konnten auch im Winter fahren. Heute sind diese Spikes nicht mehr erlaubt.

Schlittenfahren auf der Dorfwiese

Als im Winter wieder richtig viel Schnee lag, trafen wir uns mit mehr als einem Dutzend Kindern auf der Dorfwiese zum Schlittenfahren. Die Wiese war schön steil und riesig groß. Und lang genug war sie auch, so dass wir lange und ausgiebig Schlittenfahren konnten.

Meist fuhren wir alle hintereinander los, ein Pulk johlender Kinder - „Bahn frei. Kartoffelbrei.“, kamen nacheinander unten an und stapften dann gemeinsam wieder durch den Schnee nach oben.

Nach Kräften versuchten wir während der Abfahrt zu überholen oder in voller Fahrt andere, egal ob Jungs oder Mädels, vom Schlitten zu schupsen. Dann fielen wir in den Schnee, standen auf, lachten und schimpften auch mal, warfen uns dann gleich wieder auf den Schlitten, und weiter ging die wilde Fahrt bergab.

Hin und wieder fuhren wir über Maulwurfshügel oder über Unebenheiten wie über eine Sprungschanze. Dann hob der Schlitten samt darauf sitzendem Kind ab, und die junge Dame, der junge Mann landete auf dem Allerwertesten. Nach einigen wenigen Augenblicken Sternchen zählen schüttelten wir uns dann, wuschen mit einer Handvoll Schnee die Tränchen aus den Augen (Geheult zu haben hätten wir niemals zugegeben) und weiter gings bergab.

Unten angekommen klopften wir uns den Schnee aus den Kleidern. Zum Frieren hatten wir keine Zeit und zu viel Spaß.

Wir mussten aber am Ende der Abfahrt aufpassen und unsere Schlitten rechtzeitig zum Stehen bringen. Auf der rechten Seite war eine hohe Hecke, deren Besitzer mehr als einmal sehr traurig zu uns rüber guckte und mit dem Zeigefinger drohte. Vor Nachbars Hecke war außerdem ein kleiner Bachlauf – noch so ein Grund, vorher anzuhalten.

Und an der linken Ecke unserer Schlittenwiese war eine Straße, die ebenfalls schneebedeckt war, Streusalz gab‘s damals noch nicht, und hin und wieder kämpften sich Autos mit Spikes durch den Schnee die Straße hoch. Mit denen wollten wir nicht zusammenstoßen.

Die hinter der Straße stehende Hecke war ebenfalls tabu. Die gehörte zum Grundstück von der Kneipe am Wald. - Aber das ist eine andere Geschichte.

Papa’s Weihnachtsbaum

Alle Jahre wieder, kurz vor Weihnachten kam fast schon traditionell die Ansage vom Papa, Freitag, Samstag oder einfach nur mal einen Nachmittag freizuhalten. Und wenn der Tag dann da war, sagte Papa: „Junge zieh dir die festen Schuhe und deine warme Jacke an. Wir müssen heute ein bisschen spazieren gehen.“ – Eigentlich war dann schon klar, was kommen sollte.

Dann reichte der Papa dem Sohn die obligatorische Tüte mit Werkzeug, die dieser zu tragen hatte. Die üblicherweise darin enthaltene Bewaffnung bestand aus Papas großem Taschenmesser - das Alte mit der Säge, einem Fuchsschwanz, das ist eine Einhandsäge, und einem Küchenbeil, mit dem man in der Regel Brot schneiden konnte, weil Papa mit dem Beil am Tag zuvor noch beim Schmied war. - Es gab ja nix Schlimmeres als schlechtes Werkzeug.

Der Weg führte dann schnurstracks in den Wald, Richtung Tannenschonung, und schon nach etwa dreißig bis vierzig Minuten war das Ziel erreicht; Papa ließ sich die Tüte mit dem Werkzeug geben und gab dem Sohn genaue Anweisung: „Du bleibst jetzt hier auf dem Weg stehen und schaust, dass niemand kommt. Wenn doch jemand kommen sollte, sagst du sofort Bescheid. Ansonsten wartest du hier, bis ich dich rufe. Wenn’s soweit ist, rufe ich dich, dann kannst du zu mir kommen und mir ein bisschen helfen.“ – Gesagt, getan. Papa verschwand in der Tannenschonung, der Sohn blieb auf dem Waldweg stehen und schaut angestrengt abwechselnd in alle Richtungen, dass auch nur niemand kommen sollte. Es kam ja auch nie jemand. Wir waren immer ungestört.

Währenddessen war es still im Wald, außer dem Geräusch von Papa’s Säge - ratsch, ratsch - und gelegentlichen Axtschlägen. Dann erschien Papa’s Kopf zwischen den Tannen: „Und? Hast du schon was gesehen?“ – „Nee. Ist noch keiner gekommen.“ –

„Okay. Dann ist ja gut. Pass weiter gut auf!“ Damit verschwand Papa dann wieder und arbeitete weiter. Einen Moment später dann ein leichtes Rauschen, wenn der kleine Baum fiel. Nach einem weiteren Moment Stille dann Papa’s flüsternde Stimme: „Junge, du kannst jetzt zu mir kommen. Du musst mir mal ein bisschen helfen.“ – Wohlbemerkt, er sagte, ein bisschen.