Dorian Hunter 130 - Ernst Vlcek - E-Book

Dorian Hunter 130 E-Book

Ernst Vlcek

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Beschreibung

Ein markerschütternder Schrei aus dem Kinderzimmer riss Margot in die Wirklichkeit zurück. Sie stürzte aus der Küche.
Rose schrie noch immer, als sie ins Kinderzimmer kam. Sie lag auf dem Rücken, strampelte mit den Beinen und schlug mit den Händen um sich. »Geht weg! Fort mit euch, ihr garstigen Ungeheuer!«, rief sie dabei verzweifelt.
Margot stürzte sich auf ihre Tochter, versuchte ihre Arme zu packen und drückte sie an sich. Rose schrie wieder unartikuliert. »... tiefer Abgrund ... Felsnadeln ... klebriges Spinnennetz.«

Dorian, Coco und Olivaro befinden sich noch immer auf dem Weg zum Berg der Berge, als unvermittelt die achtjährige Rosemarie Wagner, eine der Kontaktpersonen Dorians von der Erde, nach Malkuth transferiert wird. Rosemaries Albträume werden wahr ...


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Inhalt

Cover

Was bisher geschah

ROSEMARIES ALBTRÄUME

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

mystery-press

Vorschau

Impressum

Der ehemalige Reporter Dorian Hunter hat sein Leben dem Kampf gegen die Schwarze Familie der Dämonen gewidmet, seit seine Frau Lilian durch eine Begegnung mit ihnen den Verstand verlor. Seine Gegner leben als ehrbare Bürger über den Erdball verteilt. Nur vereinzelt gelingt es dem »Dämonenkiller«, ihnen die Maske herunterzureißen.

Bald kommt Dorian seiner eigentlichen Bestimmung auf die Spur: In einem früheren Leben schloss er als Baron Nicolas de Conde einen Pakt mit dem Teufel, der ihm die Unsterblichkeit sicherte. Um für seine Sünden zu büßen, verfasste de Conde den »Hexenhammer« – jenes Buch, das im 16. Jahrhundert zur Grundlage für die Hexenverfolgung wurde. Doch der Inquisition fielen meist Unschuldige zum Opfer; die Dämonen blieben ungeschoren. Als de Conde selbst der Ketzerei angeklagt und verbrannt wurde, ging seine Seele in den nächsten Körper über. So ging es fort bis in die Gegenwart. Dorian Hunter begreift, dass es seine Aufgabe ist, de Condes Verfehlungen zu sühnen und die Dämonen zu vernichten.

Als Rückzugsort in seinem Kampf bleibt Dorian neben der Jugendstilvilla in der Baring Road in London noch das Castillo Basajaun in Andorra, in dem er seine Mitstreiter um sich sammelt – darunter die ehemalige Hexe Coco Zamis, die aus Liebe zu Dorian die Seiten gewechselt hat. Kurz nach der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes Martin versteckt Coco diesen zum Schutz vor den Dämonen an einem Ort, den sie selbst vor Dorian geheimhält.

Auf der Suche nach der Mumie des Hermes Trismegistos findet Dorian den Steinzeitmenschen Unga, der Hermon gedient hat und der sich nach seinem Erwachen schnell den Gegebenheiten der Gegenwart anpasst. Auf Island gewinnt Dorian den Kampf um das Erbe des Hermes Trismegistos.

Eine neue Gefahr zieht am Horizont auf: Der ehemalige Fürst der Finsternis Olivaro, ein Januskopf, erklärt, dass seine Artgenossen von der Parallelwelt Malkuth eine Invasion der Erde planen. Im Tempel des Hermes Trismegistos erhält Dorian Hinweise auf das Wirken von Janusköpfen in Indien. Dort bekämpfen sich die beiden Sekten der Padmas und der Chakras bis aufs Blut. Während die parapsychisch begabten Padmas dem Padmasambhawa Bodhisattwa folgen, dienen die Chakras den Janusköpfen, in denen selbst der Erzdämon Luguri, Olivaros Nach-Nachfolger als Oberhaupt der Schwarzen Familie, eine Gefahr sieht. Luguri versucht Unga zu erpressen, damit er ihn zum Versteck des Padmasambhawa führt. Aber Unga kann Luguris Beauftragten Galahad töten und dringt zusammen mit Reena und Don Chapman in die Feste des Padma vor. Dorian, Coco und Olivaro versuchen auf dem Umweg über Malkuth zum Padma vorzustoßen. Eine der größten Gefahren sind die Psychos, verdrängte Aggressionen der Menschen, die sich auf Malkuth manifestieren. Dorian begegnet seinem eigenen Psycho Lillom. Die kleine Rosemarie Wagner, eine von Dorians Kontaktpersonen auf der Erde, erlebt indes ihren eigenen Albtraum.

ROSEMARIES ALBTRÄUME

von Ernst Vlcek

Margot Wagner konnte von ihrem Platz am Küchenfenster aus den gesamten Innenhof der Wohnhausanlage überblicken. So war es ihr möglich, ihre Tochter zu beaufsichtigen, während sie kochte oder Geschirr spülte. Sie hörte durchs halb geöffnete Fenster die Kinder lärmen. Noch vor wenigen Minuten hatten sie an einem Schneemann gebaut. Rose hatte etwas abseits gestanden, als gehörte sie nicht dazu. Aber jetzt widmeten sie sich einem anderen Spiel – und sie hatten Rose mit einbezogen. Margot freute sich darüber, denn es ließ sie hoffen, dass die anderen Kinder Rose früher oder später doch noch als vollwertigen Spielgefährten akzeptieren würden.

Margot blickte verstohlen aus dem Fenster. Die Kinder schienen so etwas wie Blindekuh zu spielen. Sie hatten Rose die Augen mit einem Schal verbunden und machten sie durch Zurufe auf sich aufmerksam. Dabei verstellten die Kinder ihre Stimmen und wechselten ständig ihren Standort.

Einmal hörte Margot ihre Tochter sagen: »Nein, nein! Es klingt ganz anders.«

1. Kapitel

Dann rief ein zehnjähriger Junge mit tiefer Stimme: »Ich bin dein Freund, Rose! Bitte, bitte hilf mir!«

»Das war falsch«, erwiderte Rose. »Glaubst du, ich habe deine Stimme nicht erkannt, Christof?«

Die Kinderstimmen vermischten sich zu einem unverständlichen Gewirr. Margot konnte nur einige Wortfetzen verstehen, weil alle auf einmal durcheinandersprachen. Ihr war auch, als hörte sie einen Namen. Er hörte sich wie »Florian« an und wurde immer wieder gerufen.

Zwischendurch äfften die anderen Kinder eine fremde Sprache nach und fragten: »Hast du's verstanden, Rose? Du kannst doch so gut Englisch.«

Margot hatte auf einmal ein ungutes Gefühl. Ihr war, als würden die Stimmen der Kinder immer aggressiver klingen. Als sie zum Fenster eilte, war plötzlich ein herzzerreißendes Weinen zu hören.

Rose!

Sie sah, wie die anderen Kinder ihre Tochter umtanzten, die sich die Augenbinde abgenommen hatte und heulend davonlief. Die Jungens bewarfen sie mit Schneebällen.

Margot ließ alles liegen und stehen und lief ins Stiegenhaus, wo ihr eine Etage tiefer bereits Rose entgegenkam und sich schluchzend in ihre Arme warf. Margot redete begütigend auf sie ein, nahm sie auf den Arm und trug sie in die Wohnung. Rose beruhigte sich erst, als Margot ihr Mantel und Schuhe ausgezogen hatte und ihr die kalten Füße rieb.

»Was ist denn vorgefallen?«, wagte Margot endlich zu fragen. »Ihr habt doch so nett miteinander gespielt. Warum zankt ihr euch denn so plötzlich?«

Rose schmollte.

Margot seufzte. Sie bot ihrer Tochter heißen Tee an und begab sich in die Küche, ohne eine Antwort abgewartet zu haben.

Manchmal war Margot wegen ihrer Tochter so verzweifelt, dass sie nicht mehr ein noch aus wusste. Rose war ein Problemkind. In der Schule brachte sie nicht die gewünschten Leistungen, und in der Freizeit fand sie nicht Anschluss an Gleichaltrige. Sie war eine Außenseiterin. Margot hatte schon alles Mögliche versucht. Rose war nicht geistig zurückgeblieben, noch war sie schüchterner als andere Mädchen ihres Alters; dennoch waren ihre Lernerfolge eher mäßig, und sie fand einfach keine Freunde.

Ein befreundeter Psychologe hatte Rose als »Träumerin« bezeichnet, womit er sagen wollte, dass sie sich mit ihrer üppigen Fantasie eine eigene Traumwelt errichtete, in die sie sich zurückzog, weil sie in der Wirklichkeit versagte. Vielleicht aber fand sie auch nur keinen Kontakt zur Wirklichkeit, weil sie sich eine Traumwelt geschaffen hatte.

Margot kehrte mit einer Tasse Kamillentee ins Wohnzimmer zurück. Rose hatte sich in ihr eigenes Zimmer zurückgezogen. Sie stand am Fenster, den Kopf gegen die beschlagene Scheibe gedrückt, starrte sie sehnsüchtig in unbekannte Fernen. Margot kannte diesen traumverlorenen Blick nur allzu gut.

»Da kommt dein Tee, Liebes!«

Rose zuckte erschrocken zusammen und drehte sich langsam um. Ihre Augen drückten Überraschung und Verständnislosigkeit aus; aber dann lächelte sie.

»Ach so«, murmelte sie, setzte sich an den Kindertisch und schlürfte den dampfenden Tee.

Margot kniete neben ihr nieder, drückte sie kurz und innig an sich und küsste sie auf die Wange. »Wo warst du nur wieder mit deinen Gedanken, Rose?«

Rose gab keine Antwort. Sie starrte in ihre Teetasse, als rollte dort ein faszinierendes Schauspiel ab.

»Willst du mir nicht verraten, was vorhin passiert ist?«, fragte Margot vorsichtig. »Was haben sie dir getan?«

Rose kniff die Lippen zusammen, dann sagte sie: »Sie haben mir nicht geglaubt, haben mich eine Lügnerin geschimpft.«

»Was glauben sie dir nicht, Rose?«

»Dass ich einen Freund habe.«

Margot spürte, wie ihre Augen feucht wurden. Sie drückte ihre Tochter wieder an sich, rieb die Augen an ihrem blonden Haar trocken, murmelte mit halb erstickter Stimme: »Lass sie reden. Du hast genug Freunde.«

»Ich habe nur einen Freund«, sagte Rose trotzig. »Aber er ist der beste Freund, den man sich vorstellen kann. Ich weiß, dass er mich mag.«

Margot ging in Gedanken die Namen aller infrage kommenden Kinder der Wohnhausanlage durch. Dann erinnerte sie sich, dass die Kinder vor ihrem Fenster immer wieder einen Namen gerufen hatten. »Meinst du Florian?«

»Dorian«, berichtigte Rose mit einem zurechtweisenden Blick.

»Aha, Dorian.« Margot konnte sich nicht erinnern, den Namen schon einmal gehört zu haben. »Dorian heißt also dein Freund. Du hast mir noch nie von ihm erzählt. Ist es ein Schulkamerad?«

»Nein«, sagte Rose einsilbig.

»Aber er wohnt auch nicht in der Anlage?«

»Nein.«

Rose versteifte sich. Margot erkannte, dass sie nicht weiter in sie dringen durfte.

»Gut, wenn du es mir nicht sagen willst«, meinte Margot leichthin. In Wirklichkeit verspürte sie eine wachsende Besorgnis. So verschlossen hatte sich Rose bisher noch nie gezeigt.

Um ihre Tochter aus der Reserve zu locken, fuhr sie aufgeräumt fort: »Weißt du was, Rose? Weißt du, was wir tun werden, um den anderen zu beweisen, dass du nicht gelogen hast? Wir werden deinen Freund einladen. Bringe Dorian einfach her, damit alle Kinder ihn kennenlernen können. Die werden Augen machen! Was ist denn, Rose?«

Ihre Tochter schüttelte traurig den Kopf. »Das geht nicht. Dorian wohnt nicht hier. Er ist weit, weit weg. In England.«

»Wo?«

Rose war jetzt etwas aufgetaut. »Er ist Engländer, das hat er gesagt. Und weil er so weit weg ist, habe ich ihn noch nicht sehen können. Aber er hat zu mir gesprochen. Schon ein paarmal. Er hat gesagt, dass ich ihm helfen kann, wenn ich will. Bisher bat er mich noch nicht um Hilfe, aber ich werde sie ihm nicht verweigern, wenn er sie braucht. Er – ist in Schwierigkeiten.«

Margot spürte einen Kloß in ihrer Kehle. »Hat er schon oft zu dir gesprochen?«, fragte sie bange.

Rose schüttelte den Kopf. »Nein, noch nicht oft. Aber er hat gesagt, dass er sich wieder mit mir in Verbindung setzen wird, wenn er mich braucht.«

»In welcher Sprache hat er denn mit dir gesprochen?«

»In welcher Sprache?« Rose runzelte die Stirn und schien angestrengt nachzudenken. »In überhaupt keiner Sprache. Er hat gar nicht laut gesprochen, Mama. Weißt du, seine Stimme war einfach da. In meinem Kopf.«

Margot nickte. Kein Wunder, wenn die anderen Kinder Rose verspotteten.

»Glaubst du mir etwa auch nicht, Mama?«

»Doch, Liebes. Doch, ich glaube dir.« Margot biss sich auf die Lippen. »Aber wenn dir die anderen nicht glauben, ist es besser, wenn du ihnen nichts mehr über deinen Freund erzählst. Versprichst du mir das?«

»Ich werde bestimmt nicht mehr darüber sprechen«, versprach Rose.

Margot ging schnell in die Küche. Dort weinte sie sich hemmungslos aus. Was sollte sie nur tun? War Rose nicht nur eine Tagträumerin, sondern wirklich geistesgestört? Was für ein schrecklicher Gedanke! Margot verdrängte ihn, aber er brach immer wieder zu ihrem Bewusstsein durch.

Vielleicht hatten sie die Ärzte allesamt nur belogen, um sie zu beruhigen, als sie ihr versicherten, dass Rose von ihrem Vater nicht erblich belastet war. Robert – er hatte Selbstmord begangen, als Rose noch ein Baby gewesen war.

Ein markerschütternder Schrei aus dem Kinderzimmer riss Margot in die Wirklichkeit zurück. Sie stürzte aus der Küche.

Rose schrie noch immer, als sie ins Kinderzimmer kam. Sie lag auf dem Rücken, strampelte mit den Beinen und schlug mit den Händen um sich. »Geht weg! Fort mit euch, ihr garstigen Ungeheuer!«, rief sie dabei verzweifelt.

Margot stürzte sich auf ihre Tochter, versuchte, ihre Arme zu packen und drückte sie an sich. Rose schrie wieder unartikuliert.

Dazwischen sprudelten Worte über ihre Lippen, die überhaupt keinen Sinn ergaben. »... tiefer Abgrund ... Felsnadeln ... klebriges Spinnennetz.«

Rose wand sich verzweifelt in den Armen ihrer Mutter und biss Margot in die Lippen, als diese ihr Gesicht abküsste.

»Ekelhaft!«, kreischte Rose angewidert. »Verschwindet, Fledermausspinnen! Ich helfe dir! Dorian, wie kann ich dir helfen? Das klebrige Netz zerreißt!«

Margot wusste sich nicht mehr anders zu helfen, als den Körper ihrer Tochter durchzuschütteln. Endlich beruhigte sich Rose. Sie atmete keuchend. Ihr Gesicht war totenblass. Schweiß stand auf ihrer Stirn.

»Ist es vorbei, Liebes?«, fragte Margot besorgt und drückte den Körper ihrer Tochter, der schlaff und wie leblos wirkte, an sich. »Geht es dir wieder gut? Ist es vorbei?«

»Ja«, sagte Rose mit apathischer Stimme. »Und es ist deine Schuld, Mama. Ich war Dorian schon ganz nahe. Ich hätte ihm helfen können. Aber du hast ihn verjagt.«

Wenige Minuten später war Rose vor Erschöpfung in den Armen ihrer Mutter eingeschlafen.

Margot entkleidete sie und brachte sie zu Bett. Dann wählte sie mit zitternden Fingern eine Nummer.

Als es läutete, war Margot sofort an der Tür. Sie hatte kaum geöffnet, da stürmte der Besucher auch schon herein. Er schloss sie kurz in die Arme und tätschelte ihre Wangen.

Margot begann sofort wieder zu weinen.

»Hat sich Rose inzwischen beruhigt?«, fragte der Besucher und fuhr fort, ohne eine Antwort abzuwarten: »Es tut mir leid. Ich konnte nicht schneller kommen. Bei uns geht es wieder drunter und drüber. Schon gut, Mädchen. Weine dich nur aus!«

Er führte sie ins Wohnzimmer und drückte sie auf eines der Elemente der Sitzgruppe. Sie ließ alles mit sich geschehen und starrte stumpf vor sich hin.

Der Besucher setzte sich ihr gegenüber nieder und zündete sich mit flatternden Fingern eine Zigarette an. Er war groß und hager, hatte einen dunklen Teint und schwarz gelocktes Haar und war von einer solch hektischen Betriebsamkeit, dass man meinen konnte, in seinen Adern würde statt Blut Quecksilber fließen. Seltsamerweise war seine Nervosität nicht ansteckend, sondern wirkte eher beruhigend. Er war überhaupt ein Mensch der Gegensätze, ein unruhiger Geist, der Ruhe verbreitete, mit einer lauten Stimme, die Vertrauen erweckte, und seine Beredsamkeit schuf das Gefühl der Geborgenheit. Kinder sahen in ihm ihren Spielgefährten, Frauen ihren Beichtvater, Männer ihren Kumpel.

Diese Eigenart kam ihm in seinem Beruf als Betriebspsychologe sehr zugute. Und so war es auch nicht verwunderlich, dass sich Margot sofort an ihn um Hilfe gewandt hatte.

»Der Arzt war gerade hier, Heino«, sagte sie. »Er hat Rose ein Beruhigungsmittel gegeben und gesagt, dass sie bis morgen durchschlafen wird. Aber sie ist trotzdem so unruhig, fantasiert und hat Schweißausbrüche. Ich musste ihr Nachthemd schon zweimal wechseln.«

»Tut mir leid, Margot, ich konnte nicht früher kommen«, wiederholte Heino Spazzek entschuldigend, als hätte sie ihm einen Vorwurf gemacht. Er zündete sich eine neue Zigarette an und verzog angewidert das Gesicht, als er feststellte, dass er sie verkehrt herum in den Mund gesteckt und den Filter angezündet hatte.

Margot musste unwillkürlich lachen.

»Also«, sagte Heino Spazzek, »du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Margot. Es wird bestimmt alles wieder gut. Rose hat nur etwas zu viel Fantasie. Das ist alles.«

»Aber ...«

»Du misst dem zu viel Bedeutung bei, dass sie angeblich mit einem Jungen in England sprechen kann«, unterbrach der Psychologe sie. »Die Erklärung ist doch ganz einfach. Rose findet in ihrer nächsten Umgebung nur schwer Kontakt. Was also tut ein Kind in ihrer Lage? Sie erfindet einen fiktiven Freund, mit dem sie nicht nur spielen kann, sondern der auch ihre Hilfe braucht. Das ist der springende Punkt. Rose hat das Gefühl, dass sie dich zu sehr beansprucht. Deshalb möchte sie selbst jemandem helfen.«

»Meinst du?«, sagte Margot unsicher. »Aber ...«

»Gut, ihr Anfall«, schnitt ihr Heino Spazzek das Wort ab, berichtigte sich aber schnell: »Wieso überhaupt von einem Anfall reden? Roses Unterbewusstsein wollte einen Beweis dafür erbringen, dass ihr Freund wirklich existiert und sich auch tatsächlich in einer Notlage befindet und dringend ihre Hilfe braucht. Deshalb ließ sie ihn von irgendwelchen Ungeheuern bedrohen.«

»Es waren Fledermausspinnen. Daran erinnere ich mich genau«, warf Margot ein. »Wie kommt sie ausgerechnet auf Feldermausspinnen?«

»Genauso gut hätten es Elefantenraupen oder geflügelte Eichhörnchen sein können«, behauptete Heino Spazzek. »Kinder erfinden die verrücktesten Namen. Und Rose hat eben eine ausgeprägte Fantasie.«

»Und glaubst du nicht, dass sie ...«

»Hör auf damit!«, rief der Psychologe streng.

Er ahnte in neunundneunzig von hundert Fällen, was seine Gesprächspartner sagen wollten. Deshalb konnte er es sich erlauben, sie nicht erst aussprechen zu lassen. Auch diesmal hatte er Margots Einwand vorausgeahnt. Er fuhr fort: »Wann kommst du endlich von der fixen Idee los, dass Robert seine Schizophrenie Rose vererbt haben könnte? Du kannst den Versicherungen der Spezialisten glauben, dass Rose geistig völlig gesund ist. Und wenn du ihnen nicht glaubst, dann vertraue wenigstens einem Freund.«

»Ich weiß ja, dass du es gut mit mir meinst ...«

Margot verstummte, als sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung sah. Sie wirbelte herum. Rose stand vor ihnen, mit einem völlig durchnässten Nachthemd.

»Warum erschrickst du, Mama?«, fragte sie. Dann erblickte sie den Besucher, und ihr Gesicht hellte sich auf. »Onkel Heino! Wie schön, dass du gekommen bist.« Sie lief zu ihm und sprang auf seinen Schoß.

»Ich bin gekommen, weil mir deine Mutter verriet, dass du Sorgen hast«, sagte der Psychologe. »Steckt dein Freund noch in der Klemme?«

Einen Augenblick schien es, dass sich Rose nicht recht schlüssig darüber war, ob sie wütend sein sollte, dass Margot ihr Geheimnis verraten hatte. Doch dann kam sie offenbar zu der Überzeugung, dass Onkel Heino würdig war, eingeweiht zu werden.

»Dorian steckt ordentlich in der Klemme«, sagte sie ernst. »Die Fledermausspinnen stellen zwar keine Bedrohung mehr dar, aber ...«

»Na, heraus mit der Sprache!«, ermunterte der Psychologe sie.