Dostojewski - mit Maßen - Thomas Mann - E-Book

Dostojewski - mit Maßen E-Book

Thomas Mann

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Beschreibung

Der Bitte der Dial Press um ein Vorwort nahm Thomas Mann gerne an, spielte Dostojewski doch zeitlebens eine bedeutende Rolle auch für sein eigenes Schaffen. Zahlreiche Bezüge finden sich bereits in früheren Werken wie den ›Betrachtungen eines Unpolitischen‹ (1918) oder dem Vortrag ›Goethe und Tolstoi‹ (1921 bzw. 1925), in dem Dostojewski als Gegenpol zu Tolstoi dargestellt wird. Die Gründe seiner Faszination beschreibt Mann eindrücklich: »Meine Scheu, eine tiefe, mystische, zum Schweigen anhaltende Scheu, beginnt vor der religiösen Größe der Verfluchten, vor dem Genie als Krankheit und der Krankheit als Genie, vor dem Typus des Heimgesuchten und Besessenen, in welchem der Heilige und der Verbrecher Eines werden …« Der hier umrissene Themenkomplex spielt auch im ›Doktor Faustus‹ (1947) eine Rolle, dessen Kapitel XXVII Mann vor und nach dem Essay schrieb. Die im Juli 1945 verfasste Einleitung erschien im Rahmen des Erzählungsbandes noch im selben Jahr und erfuhr eine positive Rezeption. Auf Deutsch erschien sie zuerst in der Neuen Rundschau vom 4. Juli 1946.

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Seitenzahl: 34

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Thomas Mann

Dostojewski – mit Maßen

Einleitung zu einem amerikanischen Auswahlbande Dostojewskischer Erzählungen

Essay/s

Fischer e-books

In der Textfassung derGroßen kommentierten Frankfurter Ausgabe(GKFA)Mit Daten zu Leben und Werk

{42}Dostojewski – mit Maßen

Einleitung zu einem amerikanischen Auswahlbande Dostojewskischer Erzählungen

Die Aufforderung der Dial Press, zu einer Ausgabe von Dostojewskis kürzeren Romanen, den sechs Erzählungen, die dieser Band umfaßt, die Einleitung zu schreiben, hatte sogleich viel Anziehendes für mich. Es liegt etwas Beruhigendes in der verlegerischen Mäßigung, von der diese Ausgabe bestimmt ist, etwas Ermutigendes für den Kommentator, der davor zurückschrecken, um nicht zu sagen: zurückschaudern würde, den ganzen ungeheuerlichen Kosmos des Dostojewski-Werkes zum Gegenstand seiner Betrachtung und Besprechung zu machen, und der wohl überhaupt in diesem Leben nicht mehr dazu gelangt wäre, dem großen Russen seinen kritischen Tribut darzubringen, ohne diese Gelegenheit, es sozusagen mit leichter Hand, auf zugemessenem Raum, zu bestimmtem Zweck und mit jener Selbstbeschränkung zu tun, die der Zweck ihm wohltätig vorschreibt.

Merkwürdig genug: mein Schriftsteller-Leben hat ausführliche Studien über Tolstoi sowohl wie über Goethe mit sich gebracht, – mehrere über jeden von ihnen. Über zwei andere Bildungserlebnisse, denen ich nicht weniger schuldig bin, die mindestens ebenso tief meine Jugend erschütterten und die zu erneuern und zu vertiefen meine höheren Jahre nicht müde geworden sind, habe ich nie zusammenhängend geschrieben: über Nietzsche nicht und nicht über Dostojewski. Ich bin den Nietzsche-Aufsatz schuldig geblieben, den Freunde oft von mir gefordert haben, und der auf meinem Wege zu liegen schien. Und nur momentweise, rasch wieder verschwindend, {43}steigt in meinen Schriften das »tiefe, verbrecherische Heiligenantlitz Dostojewskis« (dies war einmal mein Ausdruck) empor. Woher dies Ausweichen, dies Vermeiden und Schweigen – im Gegensatz zu der gewiß unzulänglichen, aber freudigen Beredsamkeit, die die Größe jener beiden anderen Meister und Sterne mir erweckte? Ich weiß es wohl. Vertrauliche Huldigungen, enthusiastisch und mit zärtlicher Ironie durchsetzt, wurden mir leicht vor den Bildern der Göttlichen und Gesegneten, der Kinder der Natur in ihrer hohen Einfalt und prangenden Gesundheit: dem autobiographischen Aristokratismus des Bildners einer majestätischen persönlichen Kultur, Goethes, und der epischen Bärenkraft, der ungeheueren Naturfrische des »großen Schriftstellers des Russenlandes«, Tolstois, mit seinen gewaltig ungeschickten und nie gelungenen Versuchen zur moralistischen Vergeistigung seiner heidnischen Leiblichkeit. Meine Scheu, eine tiefe, mystische, zum Schweigen anhaltende Scheu, beginnt vor der religiösen Größe der Verfluchten, vor dem Genie als Krankheit und der Krankheit als Genie, vor dem Typus des Heimgesuchten und Besessenen, in welchem der Heilige und der Verbrecher Eines werden …

Vom Dämonischen, so fühle ich, soll man dichten, nicht schreiben. Es möge, tunlichst in humoristischer Verhüllung, aus der Tiefe eines Werkes reden; ihm kritische Essays zu widmen, erscheint mir, gelinde gesagt, als Indiskretion. Vielleicht, ja wahrscheinlich, ist das nur eine Beschönigung meiner Trägheit und Feigheit. Es ist unvergleichlich leichter und zuträglicher, über die göttlich-heidnische Gesundheit zu schreiben, als über die heilige Krankheit. Über jene, die gesegneten Kinder der Natur und ihre Naivität nämlich, kann man sich amüsieren, über die Kinder des Geistes, die großen Verfluchten und Sünder, die heiligen Kranken aber nicht. Es wäre mir ganz unmöglich, über Nietzsche und Dostojewski zu scherzen, wie {44}ich es gelegentlich, im Roman, über das egoistische Sonntagskind Goethe und, im Essay, über die Riesentölpelei von Tolstois Moralismus getan habe. Woraus hervorgeht, daß meine Ehrfurcht vor den Vertrauten der Hölle, den großen Religiösen und Kranken im Grunde weit tiefer – und nur darum schweigsamer – ist als die vor den Söhnen des Lichts. Es ist gut, daß sie einmal von außen zu einiger Gesprächigkeit – einer praktisch begrenzten und gezügelten jedoch – angehalten wird.