Double Booked – Wenn die Liebe zweimal kommt - Lily Lindon - E-Book
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Double Booked – Wenn die Liebe zweimal kommt E-Book

Lily Lindon

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Beschreibung

  Passt die Liebe zweimal in ein Leben?   Georgina, 26, hat ihr Leben durchgeplant: der sichere Job als Klavierlehrerin angeödeter Kinder, der feste Freund Douglas, der gemeinsame Google-Kalender. Dann geht sie zu einem Konzert, und alles ist anders. Die Sehnsucht, selbst Musik zu machen, ist wieder da – und Kit, die Schlagzeugerin, die ihr den Atem raubt. Gina hat keine Ahnung, welches Leben das richtige ist. Also bleibt sie tagsüber in ihrem sicheren Hetero-Alltag mit Douglas. Nachts wird sie zu George, die als Keyboarderin in Kits Band spielt und auf Frauen steht. Doch kann sie wirklich beides haben?  Ein so kluger wie cooler Roman über die Frage, was wir wagen müssen, um glücklich zu sein.

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Seitenzahl: 528

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Über das Buch

Eigentlich hat Georgina ihr Leben unter Kontrolle: Da sind der sichere Job als Klavierlehrerin, der liebe Langzeitfreund Douglas und der gemeinsame Kalender, durch den ihr Alltag so vorhersehbar ist, wie Gina es braucht, seit ihr der Tod des Vaters alle Gewissheiten genommen hat. Doch dann geht sie mit ihrer queeren Freundin Sophie zu einem Konzert, und plötzlich ist nicht nur klar, wie sehr sie es vermisst, selbst Musik zu machen – da ist auch noch Kit, die Schlagzeugerin, die ihr schlicht den Atem raubt. Auf einmal gibt es zwei Leben, die sie führen könnte, und es geht ihr, wie es jeder vernünftigen Frau gehen würde: Sie kann sich nicht entscheiden. Also lebt sie tagsüber ihr sicheres Hetero-Leben als Gina an Douglas' Seite; nachts wird sie zu George, die als neue Keyboarderin in Kits Bands spielt und auf Frauen steht.

Doch wo findet sie den Menschen, der alles an ihr liebt?

Über Lily Lindon

Lily Lindon studierte Englisch in Cambridge und arbeitete als Lektorin der "Vintage Classics“ bei Penguin Random House, wo sie die Liebesbriefe von Virginia Woolf und Vita Sackville-West herausgab. Derzeit unterrichtet sie kreatives Schreiben und moderiert einen Podcast über lustige Bücher. Auch wenn ihre Eltern das besser nicht erfahren sollten, gewann sie mit einer ihrer Erzählungen den Comedy-"Women in Print"-Preis für die witzigste Sexszene. »Double Booked« ist Lilys Debütroman.

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Lily Lindon

Double Booked – Wenn die Liebe zweimal kommt

Roman

Aus dem Englischen von Anna Julia Strüh

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

Newsletter

Teil 1

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Teil 2

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Teil 3

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Epilog

Impressum

Wer von diesem Roman begeistert ist, liest auch ...

Teil 1

Kapitel 1

»Sorry, ich kann nicht. Ich hab andere Pläne.«

»Georgina«, schnaubt Sophie, und selbst durchs Telefon kann ich ihren sarkastischen Blick spüren. »Du weißt, dass ich weiß, dass du keine anderen Pläne hast.«

Es ist fünfzehn Uhr zweiundvierzig, und ich habe gerade meine letzte Klavierstunde diese Woche gegeben. Wenn ich in meinem normalen Tempo weiterlaufe, erwische ich noch meine Tube vor dem Feierabendverkehr und spare gloriose 50 Pence.

»Es ist Freitag«, erwidere ich, »also hole ich mir jetzt was zum Mitnehmen bei Cod Almighty. Eine Portion Fish and Chips mit Ketchup. Dann nehme ich ein Bad, trinke ein Glas Weißwein und …«

»… und guckst Friends«, sagt Sophie wenig begeistert. »Ich weiß. Aber das musst du nicht. Du könntest deine Pläne ändern. Komm mit und hab zur Abwechslung mal ein bisschen Spaß!«

»Was könnte mehr Spaß machen, als in der Badewanne Friends zu gucken?«

»Oh, ich weiß auch nicht – alles andere?«, schimpft sie. »Zum Beispiel könntest du mit mir in eine der besten Gay Bars in London gehen, eine der angesagtesten Indie-Bands live erleben und dir Drinks von deiner großzügigen, umwerfend schönen besten Freundin spendieren lassen.«

Ich tue so, als würde ich darüber nachdenken, während ich über einen gefährlich wackligen Gullydeckel hinwegsteige und damit meine bequemsten Arbeits-High-Heels vor hässlichen Schrammen bewahre. Gut gemacht, Gina!

Heute Nachmittag schimmert die Frühlingssonne durch die Wolkendecke an Londons ewig trübem Himmel. Um die Wärme im Nacken zu spüren, halte ich Sophie ans andere Ohr und zwirbele meine Haare zu einem lockeren Knoten hoch. Dann erinnere ich mich bei einem Blick auf mein Spiegelbild, wie erschreckend scheiße ich mit hochgebundenen Haaren aussehe. So sieht man mein riesiges Kinn, die Flut von Sommersprossen an meinem Hals und meine komischen Ohren, die abstehen wie bei einem Gartenzwerg. So schnell ich sie hochgebunden habe, lasse ich meine Haare wieder fallen wie einen schlaffen mattbraunen Vorhang. Alles andere als toll, aber wenigstens sind die Ohren nicht mehr zu sehen.

»Du kennst doch bestimmt jemanden, der als Begleitung viel besser geeignet ist. Hast du vergessen, mit wem du redest? Mit deiner Freundin Gina: total langweilig, total unscheinbar – und total hetero.«

»Mich dünkt, die Lady protestiert zu viel …«

»Fang nicht wieder mit diesem Unsinn an, sonst beschuldige ich dich der umgedrehten Konversionstherapie. Warum kannst du nicht mit Jenny gehen?«

Sophie antwortet nicht, also versuche ich, mir ihren Gesichtsausdruck auszumalen. Doch ich könnte schwören, dass sie mir am anderen Ende der Leitung ausweicht.

Ich halte inne. Zwar passt es mir nicht, meinen Vor-Feierabend-Rabatt zu verpassen, aber meine beste Freundin zu trösten dürfte die 50 Pence wert sein.

»Du wolltest mit Jenny hingehen«, schlussfolgere ich, »aber ihr habt euch schon wieder getrennt.«

»Schuldig«, murmelt sie.

Jenny gehört zu der Art sympathischer, hemdsärmliger Frauen, die ihr verschlissenes Arsenal-Trikot selbst zu ihrer eigenen Hochzeit tragen würden. Sie und Sophie sind in einer ewigen On‑off-Beziehung gefangen, wie Ross und Rachel im wahren Leben.

»Hat sie sich wieder geweigert, bei deinen SophieSnob-Videos mitzumachen?«

Wie nicht anders zu erwarten, flippt Sophie aus. Ich halte das Telefon von meinem Ohr weg, damit mir nicht das Trommelfell platzt.

»Ich versteh’s einfach nicht!«, ruft sie aufgebracht. »Die meisten Frauen würden sich darum reißen, mit mir zusammen zu sein! Ich bin schön! Ich bin witzig! Ich bin schlau! Ich bin berühmt! Aber Jenny will noch nicht mal ein Foto mit mir machen.«

»Blasphemie …«, pflichte ich ihr bei.

»Ach, egal«, seufzt sie. »Es ist bloß so schade. Paarvideos sind total angesagt, und ich konnte noch nie eins machen … Vielleicht sollte ich einfach Single bleiben.«

Ihre Niedergeschlagenheit ist geradezu ansteckend.

»Wenn es dir schon unangenehm wäre, Jenny heute Abend dabeizuhaben«, sage ich und spiele betreten am Knopf meines wirklich etwas altbackenen grauen Bleistiftrocks herum, »dann willst du mich bestimmt erst recht nicht dabeihaben. Deine schrecklich unscheinbare Anstandsdame …«

»Du bist nicht schrecklich unscheinbar.« Einen Moment herrscht Schweigen. »Aber vielleicht könnte ich dich ein kleines bisschen umstylen?«

»Ich bin jetzt an meiner Station«, lüge ich. »Viel Glück!«

»Nein, bist du nicht. Du brauchst noch anderthalb Minuten.«

Verdammt, sie kennt mich zu gut. Verdammte Routine.

»Warum gehst du nicht mit einer deiner Party-Lesben?«, frage ich gereizt und laufe schneller.

»Weil du mir viel lieber bist!«

Ich warte.

»Und«, gibt sie schließlich zu, »weil sie alle in irgendeinem Berliner Sex-Kerker Urlaub machen.«

»Da haben wir’s.«

»Ganz ehrlich«, sagt sie und verhindert damit gerade noch, dass ich auflege, »das ist das Beste, was ich mir vorstellen könnte. Ich mache schnell ein paar Aufnahmen, und dann verstecken wir uns in einer Ecke und schauen uns die Band an. Nur wir beide, Gigi, wie in alten Zeiten. Biiiiitte …«

An der Uni hielten Sophie und ich uns für so etwas wie Talentsucher und gingen zu allen Konzerten, die wir uns von unserem Studienkredit leisten konnten. Sophie bewertete sie in ihren Vlogs, und ich sammelte Inspiration für das Schreiben meiner eigenen Songs. Doch es ist ewig her, dass wir das gemacht haben.

Da ist meine Station – meine Rettung! Ich kann die Fish and Chips schon schmecken. Ich will gerade auflegen, als ein unerwartet sanfter Ton in Sophies Stimme mich innehalten lässt.

»Gigi, bitte …? Ich weiß, es ist immer noch schwierig für dich …« Sie schlägt einen anderen Ton an. »Ich würde dich nicht dazu drängen, wenn ich nicht denken würde … Aber ich glaube wirklich, dass wir eine Menge Spaß hätten. Ich vermisse es so sehr, mit dir über Musik zu reden.«

Für einen Moment schließe ich die Augen und erlaube mir, es mir vorzustellen: Ganz und gar umgestylt sitze ich mit Sophie in der versteckten Nische einer neonbeleuchteten Bar und nippe an einem Cocktail. Aus dem Schatten beobachte ich die selbstbewussten, lachenden Frauen um mich herum, höre, wie die Band zu spielen beginnt, und …

»Nein«, sage ich, schüttle den Kopf und laufe nun entschlossen auf mein Ziel zu. »Sorry, Sophie, aber ich kann nicht. Du wirst jemand anderen finden; irgendeine wunderschöne Frau, die liebend gern mitkommt, und dann kannst du mir am Montag auf dem Sofa alles darüber erzählen. Heute Abend gehe ich mit meinen anderen Friends zu einer Hochzeit.«

Mein Zeigefinger ist einen Millimeter vom Auflegen-Button entfernt, als Sophie ihren Trumpf ausspielt.

»Pumpernickel.«

Vor Schreck lasse ich mein Handy fallen. Irgendein Banker prallt von hinten gegen mich und schimpft vor sich hin. Schnell hebe ich das Telefon auf und fauche hinein: »Ernsthaft?!«

»Ernsthaft«, sagt Sophie. »Pumpernickel.«

Pumpernickel ist unser Blutspakt, mit dem wir das Einlenken der anderen einfordern. Das Ganze rührt her aus unserem zweiten Jahr an der Uni, als Sophie sehr leckeren, aber sehr schwer verdaulichen Pumpernickel gegessen und anschließend unser Badezimmer schlimm zugerichtet hatte, während ihr Schwarm vor der Tür wartete. Ich nahm die Schuld auf mich, und seitdem dient uns »Pumpernickel« als freundschaftliche Erpressungsmethode. So habe ich Sophie dazu gepumpernickelt, bei meinen ersten furchtbaren Gigs als Fan aufzutreten und laut zu jubeln. Im Gegenzug hat sie mich gepumpernickelt, Ex-Freundinnen für sie abzuservieren, und wir haben uns gegenseitig gepumpernickelt, Hausarbeiten füreinander zu schreiben. Dem Pumpernickel kann man sich nicht entziehen.

Seltsamerweise durchströmt mich Erleichterung. Dem Ruf des Pumpernickels zu gehorchen fühlt sich genauso an, als folgte ich einfach einer der Routinen, die in meinem Kalender festgeschrieben sind: Ich habe keine Wahl, und somit ist es auch nicht meine Schuld, wenn etwas schiefläuft.

»Ich bin um sechs bei dir«, sage ich. »Aber ich will Pommes.«

Nachdem wir aufgelegt haben, ersetze ich den Fish and Friends-Eintrag in meiner Kalender-App durch einen neuen Termin: Gepumpernickelt: Gay Bar mit Sophie.

Während ich auf das Display starre und den Eintrag immer und immer wieder lese, wird mir klar, dass ich nicht nur erleichtert bin.

Ich freue mich.

Kapitel 2

»Fünf Pfund für Queers, acht Pfund für Heteros«, verlangt die Butch an der Tür, deren burschikoses Auftreten mich doch ein wenig einschüchtert.

Zum Glück habe ich genug Bargeld dabei.

Wir sind im Familiar, einer Gay Bar in Hackney Wick, die für Sophie tatsächlich sehr familiar, vertraut, ist; sie wohnt praktisch hier, seit wir nach unserem Abschluss nach London gezogen sind.

»Du solltest einfach so tun, als wärst du lesbisch«, sagt sie und reicht der Türsteherin einen Fünfer. »Danke, Süße, wie geht’s dir?«

Während Sophie mit der Türsteherin plaudert, wird sie aus der Schlange der Wartenden heraus in Augenschein genommen. Sophie leuchtet heute Abend geradezu: Das Neonlicht wirft kunstvolle Schatten auf ihre dunkle Haut, ihre fast schwarzen Augen werden von einer glitzernd rosafarbenen Cat-Eye-Brille eingerahmt, ihr kurzes, mit Pailletten besetztes Kleid ist ebenso ein Hingucker wie ihre langen, glatten Beine, und die goldenen Perlen an ihren geflochtenen Zöpfen glitzern bei jeder Bewegung wie Kristalle. Und, o Mann, wie ist ihr das bewusst.

Mir schenkt derweil niemand Beachtung. Vielleicht, weil sie einen funktionierenden Gaydar haben, der ihnen sagt, dass ich so straight bin, wie man nur sein kann. Oder vielleicht liegt es daran, dass ich mit meiner tapetenweißen Haut, den halblangen braunen Haaren und einem halblangen schwarzen Kleid, das förmlich schreit: »Ich bin seit Jahren nicht mehr ausgegangen und habe nichts Passendes zum Anziehen«, noch unscheinbarer wirke als ein Standard-Avatar. Mir hat der Mut gefehlt, um mich von Sophie umstylen zu lassen. Man kann eine Kröte schließlich nicht mit Nagellack aufhübschen, also halte ich den Blick gesenkt.

»Entschuldigung«, sagt eins der Supermodels in der Schlange, »bist du nicht SophieSnob?«

Sophie macht einen kleinen Knicks, und alle brechen in Begeisterungsstürme aus. Himmel, hilf …

»O mein Gott, ich folge deinem Channel schon, seit ich ein Baby Gay war!«

»Deine Sex-Tipps haben mir das Leben gerettet!«

Zum Glück ruft die Türsteherin ihnen zu, sie sollen voranmachen. Sophie wedelt majestätisch mit ihrer Kamera und trägt allen auf, ihren YouTube-Kanal zu abonnieren.

Es ist seltsam, Sophie in ihrem natürlichen lesbischen Lebensraum zu erleben. Wenn wir uns treffen, hängen wir normalerweise auf dem Sofa rum, gucken Rom-Coms und tratschen über irgendwelche Leute. Aber hier im Familiar kennen sie alle als eine waschechte Kulturkritikerin und Queer-Connaisseurin und finden sie, den Blicken nach zu urteilen, verdammt heiß. Mein Minderwertigkeitskomplex nimmt rasant zu.

Die Türsteherin drückt mir einen Stempel auf die Hand.

»Das ist eine Katze«, erklärt Sophie, als sie mich irritiert daran reiben sieht, »die Vertraute einer Hexe. Süß, oder?«

»Du solltest dir deine tätowieren lassen. Damit sparst du eine Menge Geld.«

»Gute Idee.«

Mit diesen Worten schiebt sie mich die Rampe hinunter in einen dunklen, nur von grellrosafarbenen Spinnweben und zwinkernden Kürbissen erleuchteten Gang.

»Ich versteh’s nicht«, murmele ich, tippe mit dem Finger an die Wand, die so schleimig ist, dass ich ihn an Sophies Schulter abwische. »Es ist Februar. Warum die gruslige Aufmachung?«

»So ist das Familiar eben«, erklärt sie lapidar und wischt den Glitzerschleim wieder an mir ab. »Verhext. Lass dich einfach darauf ein.«

Am Ende des Gangs erwartet uns eine bogenförmige Tür in gotischem Stil, um die der Umriss einer gigantischen Hexe gezeichnet wurde. Sie ist in der Mitte geteilt: Ein himmlisches Blau und Heilpflanzen auf der linken Seite, ein dämonisches Rot und tödliche Tränke auf der rechten. Sophie posiert davor für ein paar Selfies und versucht, mich zu einem Foto zu überreden, aber ich tue so, als hätte ich sie nicht gehört.

Die Bar selbst ist mit einer Unmenge kitschiger Halloween-Deko überladen. Sophie sichert uns eine versteckte Sitznische in der Ecke, unter einem Poster einer spärlich bekleideten Hexe. Dann holt sie uns an der Bar die charakteristischen Drinks des Familiar – eine blaue Gute Hexe und eine rote Böse Hexe – und reicht mir den blauen.

Das bringt mich auf die Palme. Nur weil ich hetero bin, bin ich noch lange nicht langweilig.

Ich trinke einen Schluck und bekomme keine Luft mehr. »Wie hochprozentig ist der?«

Als einzige Antwort kneift mir Sophie in die Wange. »Danke, dass du mitgekommen bist, Gigi.«

»Danke, dass du mich emotional erpresst, wenn deine coolen lesbischen Freundinnen keine Zeit haben«, antworte ich achselzuckend.

»Keine Sorge, ich lasse nicht zu, dass dich andere Queers belästigen.« Sie zwinkert schelmisch. »Es sei denn, du beschließt endlich, dass du genau das willst.«

Ich kratze mir die Wange mit meinem Stinkefinger.

Sophie verdreht die Augen und lehnt sich zurück, begutachtet ihr Königreich. Selbst in der hintersten Ecke versteckt, zieht sie alle Blicke auf sich. Muss toll sein, schön zu sein.

Schon seltsam, denn wenn ich mich (zugegebenermaßen sehr selten) auf einen Abend in einem Hetero-Club einlasse, hätte ich nur zu gern die Gewissheit, dass mich keine dahergelaufenen Männer anbaggern werden. Aber hier, wo es keine Machotypen gibt, fühlt es sich anders an, ignoriert zu werden. Vielleicht liegt es daran, dass ich Frauen einen besseren Geschmack zutraue? Es ist, als bekäme ich eine schlechte Peer-Review.

Ich will Sophie nicht im Stich lassen, aber als ihr die nächste wunderschöne Frau zulächelt, mich bemerkt und sich abrupt abwendet, habe ich das Gefühl, als sei meine Anwesenheit hier ein gewaltiger Cockblock. Hmm, schlechte Wortwahl. Ich brauche noch einen Drink.

Sophie schickt mich allein zur Bar, egal wie unsicher ich mich fühle. Meine Nervosität nimmt weiter zu, als ich vom Boden aufblicke und sehe, wie unerlaubt schön die Barkeeperin ist. Sie sieht aus wie Cara Delevingne, mit platinblonden, kurz geschorenen Haaren, dunklen Augenbrauen und Hunderten Ohrringen. Unter ihrer bauchfreien Weste lugt ein buntes Patchwork von Tattoos hervor – Sonne und Mond, ein heulender Wolf, etwas, das aussieht wie ein Käselaib (echt jetzt?), und eine lange Sonnenblume, die an ihrer Seite hinunterwächst. Wie weit sie wohl hinunterreicht …?

Gott, hier drin ist es verdammt heiß. Aber aus irgendeinem Grund – wahrscheinlich, weil ich weder schön noch queer bin – lässt mich die viel beschäftigte Barkeeperin warten. Was muss ich tun, um hier bedient zu werden – mir einen Regenbogen aufs Gesicht tätowieren lassen?

Da steigt mir Sophies Chanel-Duft in die Nase. Sie lehnt sich neben mir an den Tresen, nickt der Barkeeperin lässig zu, die sofort näher kommt.

»Eine Good Witch und eine Bad Witch bitte«, sagt sie – aus ihrem Mund klingt selbst eine Getränkebestellung cool und sexy.

Die Barkeeperin nickt und schüttelt gekonnt ihre Cocktail-Shaker.

»Nein, wir nehmen zwei Bad Witches«, höre ich mich sagen. »Doppelte, bitte.«

Kaum sind die Worte aus meinem Mund, erkenne ich meinen Fehler.

»Das sind Cocktails«, sagt die perfekte Barkeeperin und blickt nur flüchtig auf, während sie ihre Shaker mit Eis füllt. »Davon gibt’s keine doppelten.«

Sophie lacht, und ich versuche mitzulachen, aber ich weiß, dass mich dieser Moment in meinen Alpträumen verfolgen wird.

Mit meiner nicht doppelten Bad Witch flüchte ich mich zurück in unsere Sitznische. Sophie hebt selbstgefällig eine Augenbraue.

»Sieh mich nicht so an. Ich wollte den pinkfarbenen probieren, nichts weiter!«

»Okay, Süße«, schnaubt sie. »Du musst dich nicht für die Wahl deines Drinks rechtfertigen.«

Zum Glück gibt es eine Ablenkung, ehe ich eine erfinden muss. In der Bar wird es dunkel, und alle wenden sich der Bühne zu. Das Scheinwerferlicht folgt einer Gestalt in einem rosa Cape zum Mikro. Mit großer Geste wirft sie das Cape ab, und darunter kommt eine vollbusige Drag Queen mit einem glitzernd purpurnen Kleid, Perücke und Bart zum Vorschein.

»Guten Abend, meine zauberhaften Lieblinge«, säuselt sie, »willkommen im Familiar! Ich bin Polly Amory, eure Showmasterin der Extraklasse!«

Das Publikum jubelt.

»Ich habe einen Zauber, um unseren ersten Act zu beschwören. Aber – o nein! – wo ist mein Zauberstab?« Mit dem größten Vergnügen tastet sie sich selbst ab. »Oh, ich verliere immer alles. Meinen Schlüssel, meinen Geldbeutel, meine Würde. Ich würde meinen Kopf verlieren, wenn er nicht angewachsen wäre.«

Schließlich zieht sie einen unfassbar langen Zauberstab aus ihrem Schlüpfer.

»Tada! Jetzt kann ich eine Drag-King-Legende – und einen meiner zahlreichen Ex-Liebhaber – für euch herbeirufen: Willy Nilly!«

Ich wusste nicht einmal, dass es Drag Kings gibt. Wie sich herausstellt, sind sie im Familiar eine große Sache. Willy Nilly ist wie Shakespeare gekleidet und spricht in altertümlicher Sprache darüber, wie gut er im Bett ist, dann legt er einen Striptease hin. Verführerisch streift er seine Halskrause ab, und darunter kommt eine weitere Halskrause zum Vorschein. Als er sich zu guter Letzt seine Pluderhose herunterreißt, trägt sein kleiner William auch eine Minihalskrause. Für jemanden, der mit einem leuchtend grünen Dildo in einem Papierrock herumwedelt, ist er ziemlich gut.

Mit einem Zwinkern ruft Polly: »Willy mag es verrüscht!«

Die Menge stöhnt und jubelt Willys Hintern zu, als er sich von der Bühne entfernt.

Nach Willy Nilly wird ein sehr ernsthaftes Gedicht über die Mitschuld von Heteros am Patriarchat vorgetragen. Ich kichere nervös, bis mir Sophie einen Tritt verpasst.

»Jetzt ist Pause«, verkündet Polly, »seid in zehn Minuten zurück für unseren Haupt-Act. Ich weiß, dass ihr euch nur ihretwegen in eure besten Outfits geschmissen habt. Heute Abend beehrt uns unser aller Lieblings-Girlband – Phase!«

Ruckartig wende ich mich zu Sophie um. Sie nippt an ihrer Bad Witch, ganz die Unschuld in Person.

Ach nein. Also deshalb hat Sophie mich heute Abend mitgeschleppt. Von dieser Band redet sie ständig. Sie hat sie vor ein paar Wochen live im The Glory gesehen, und seitdem schwärmt sie pausenlos davon, wie sehr ich sie lieben würde. Aber man kann sie sich nirgends online anhören. Nicht, dass ich lange gesucht hätte.

Ich tippe mir nachdenklich ans Kinn und heuchle Gleichgültigkeit. »Ist Phase nicht die Band, deren Songs alle von irgendwelchem okkulten Kram handeln?«

»Nein«, erwidert Sophie, »in ihren Songs geht es um Astrologie.«

Ich starre sie skeptisch an.

»Vertrau mir«, sagt sie, »wenn du sie erst mal gesehen hast, wirst du an alles glauben, was sie sagen.«

»Ach bitte. Es braucht schon mehr als ein bisschen Amateur-Pop, um mich dazu zu bringen, an Horoskope zu glauben.«

»Horoskope sind so was von queer«, entgegnet Sophie wie zur Verteidigung.

»Dann ist es ja kein Wunder, dass ich nichts damit anfangen kann.«

Sophie zieht eine perfekt gezupfte Augenbraue hoch. »Ich will sie für SophieSnob interviewen und sie supporten. Wenn ich es richtig anstelle, widmen sie mir vielleicht einen Song.«

»Oh, Sophie«, improvisiere ich, »you’re in luck, our stars tell me we’re destined to fuck.«

»Wow, du hast es immer noch drauf.«

Meine Wangen laufen hochrot an. Ich bin es nicht gewohnt, so viel zu trinken.

»Im Ernst«, sagt Sophie in sanfterem Ton, »du solltest wirklich wieder eigene Songs schreiben.«

Ich spieße die Olive in meinem Cocktail mit meinem Schirmchen auf, das die Form eines Hexenbesens hat. »Das ist lange her.«

Damit ernte ich einen weiteren entnervten Blick von Sophie. »Oh, du hast da was«, sagt sie, zupft an meinem Kragen und betrachtet ihre Finger. »Sieht aus wie … verdammt miese Laune.«

Ich schubse sie von ihrem Barhocker. Sie lacht nur.

»Hey, ich mein’s ernst«, sage ich. »Das ist nicht lustig. Ich werde nie wieder Klavier spielen.«

»Aber du bist Klavierlehrerin!«

»Ganz genau. Die, die es können, tun es. Alle anderen werden Lehrer.«

»Von deinem Vater redest du nicht so schlecht, obwohl er auch Lehrer war.«

Das ist ein Schlag unter die Gürtellinie, und selbst Sophie ist erschrocken von ihrer Dreistigkeit. Ich tue so, als hätte ich sie nicht gehört.

Stattdessen starre ich zur Bühne, wo eine große, attraktive Schwarze Frau mit kurzen Rastazöpfen und einem engen Jeansrock ein Keyboard aufstellt.

»Das ist Marsha Adomako«, erklärt Sophie. »Die Keyboarderin von Phase.«

Mein Blick verdüstert sich. Ich wette, sie ist besser, als ich es je war.

Jetzt redet Marsha hinter der Bühne mit Polly Amory und schaut dabei immer wieder auf ihr Handy. Anscheinend verspäten sich die anderen Bandmitglieder.

Wie aufs Stichwort kommen genau in diesem Moment drei Frauen durch die Seitentür herein, mit einem Schwall frischer Abendluft. Alle im Raum drehen sich zu ihnen um.

Sie sind die coolen Mädchen, die in einem Teeniefilm in Zeitlupe herumstolzieren. Sie sind die Cowboys, die sich mit dem Sheriff anlegen. Sie sind die Superhelden, die gekommen sind, um die Welt zu retten.

»Das ist Phase«, flüstert mir Sophie ins Ohr.

Die Blondine an der Spitze sieht aus wie Marilyn Monroe, nur noch femininer. Gewellte Haare, schneeweiße Haut, glänzender Lippenstift. Sie trägt ein glamouröses, langes rotes Kleid und erinnert mich an ein Renaissance-Gemälde oder ein altmodisches Pin‑up-Poster.

»Die Femme vorn ist Isobel Evennett, die Frontsängerin und Gitarristin. Das hinter ihr mit dem rosa Afro ist Rudy Cooper, die Bassistin.«

Rudys Locken sind tatsächlich rosa wie Zuckerwatte. Sommersprossen sprenkeln ihre dunkle Haut, und sie trägt eine weite Jeans-Latzhose und ein schelmisches Grinsen. Auf dem Weg zur Bühne tauscht sie wie der Hauptcharakter in einem Pixar-Film aufwendige, personalisierte Handschläge mit allen Leuten aus, an denen sie vorbeikommt.

Doch mein Blick wird von der Person hinter ihr angezogen. Die dritte Reiterin der lesbischen Apokalypse.

»Und das ist Kit Tsuki.«

Kit ist schlicht und einfach die attraktivste Person, die ich je gesehen habe. Groß, durchtrainiert, androgyn, mit glatter brauner Haut und wilden schwarzen Haaren, die ihr Gesicht wie ein Heiligenschein umgeben. Sie trägt eine ramponierte Lederjacke, zerrissene schwarze Jeans und abgetragene Stiefel, die einzigen Accessoires ein Nasenring und eine simple Silberkette. Ihre Wangenknochen sind so scharf, dass ich schon allein vom Hingucken blute, und ihre lodernden Augen sind mit Kajal umrandet. Sie sind wie schwarze Löcher, die mich anziehen. Und sie sieht mich direkt an.

Einen kurzen Moment starren wir einander an. In dieser Millisekunde steht die Zeit still. Mein Magen dreht sich um, meine Wangen glühen, und ich wende hastig den Blick ab.

Okay, das war seltsam. Anscheinend ist mir die Cocktail-Olive nicht gut bekommen.

Alle sehen zu, wie die drei lässig durch die Bar schlendern. Doch kurz bevor sie die Bühne erreichen, zögert Kit. Dann wirft sie mir einen flüchtigen, aber definitiv nicht meiner Phantasie entsprungenen Blick zu.

»… wie jetzt!«, kreischt Sophie. »Siehst du, was ich meine?«

Mit einem Schlag wird mir bewusst, dass Sophie die ganze Zeit mit mir geredet hat und ich nichts davon mitbekommen habe.

Mühsam wende ich den Blick von Kit ab und drehe mich zu ihr. »Was hast du gesagt?«

»Kit guckt die ganze Zeit zu mir rüber. Sieh nicht hin! Himmel, geht’s auch etwas unauffälliger?«

Oh. Natürlich. Kit hat Sophie angesehen, nicht mich. Mein Gott, was bin ich für eine Idiotin.

»Magst du sie?«

»Ob ich sie mag?« Wie um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, wirft Sophie ihre Zöpfe schwungvoll über die Schulter. »Wir sind so gut wie verliebt.«

Ich lache. Sophie nicht.

»Kit und ich hatten immer eine Verbindung«, beharrt sie. »Bald ist es so weit, und dann spielen wir Sex-Blinde-Kuh.«

Vielleicht hat Sophie mir tatsächlich von Kit erzählt. Ich erinnere mich nie an Einzelheiten ihrer langen Liste von Leuten, in die sie »so gut wie verliebt« ist.

»Kit hat was mit Marsha am Laufen«, erklärt Sophie und beugt sich verschwörerisch vor. »Marsha sagt, sie hätten eine offene Beziehung. Kit meint, sie vögeln nur.«

Ich erröte schon wieder. Bevor die Band hinter der Bühne verschwindet, erhasche ich noch einen Blick auf Kit, wie sie Marsha lässig über den Hals streicht. Mein eigener Hals kribbelt, doch ich kratze das Gefühl schnell weg.

Die Lichter in der Bar erlöschen, die auf der Bühne leuchten auf, und Polly Amory erscheint wieder, nun ganz in Lila.

»Hallo noch mal, meine Süßen«, ruft sie. »Ich weiß, ihr wollt, dass ich mich kurzfasse. Also, heißt nun vier meiner Ex-Liebhaberinnen auf der Bühne willkommen … Phase!«

Phase schreiten auf die Bühne. Von Glitzervorhängen, Sternwimpeln, Discokugeln und rosafarbenen und blauen Lichtern erleuchtet, funkeln sie vor Selbstbewusstsein.

Marilyn Monroe/Isobel legt ihre Finger ums Mikrophon und lächelt kokett.

»Hallo, meine Lieben«, säuselt sie, und dem Publikum verschlägt es den Atem.

»Danke, dass wir wieder hier im Familiar sein dürfen. Wer von euch hat uns schon mal gehört?«

Die meisten heben ehrfürchtig die Hand.

»Ich verspreche euch, selbst wenn ihr uns schon mal live gesehen habt, werdet ihr euch nicht langweilen«, sagt Isobel lächelnd, »denn wir spielen keinen Song jemals gleich. Wir improvisieren und geben unseren Stücken immer wieder einen neuen Touch, um euch ein echtes Live-Erlebnis zu bieten. Also bitte, packt eure Handys weg und erlebt diesen Moment mit uns gemeinsam.«

Zu meinem Erstaunen steckt sogar Sophie, die sich selbst beim Sex nicht davon abhalten lässt, Live-Tweets zu posten, ihr Handy in die Tasche. Was für eine schwarze Magie ist das?

»Wir sind Marsha, Rudy, Kit und Isobel, und zusammen …« Sie legt eine Kunstpause ein und beißt sich verführerisch auf die Lippen. »… sind wir nur eine Phase!«

Marsha spielt ein Keyboard-Intro, und schon die ersten Töne gehen mir durch Mark und Bein.

Viel zu spät wird mir klar, warum ich nie hätte herkommen dürfen.

Sie sind brillant. Zu brillant. Sie experimentieren mit ihrer Musik, kombinieren Jazz, Rock, Folk, Blues und Pop zu ihrem eigenen einzigartigen Sound. Das kann eigentlich gar nicht funktionieren, aber irgendwie machen sie es gemeinsam perfekt. Sie sind genau die Art Musikerinnen, die ich sein will. Nein, genau die Art Musikerinnen, die ich früher sein wollte. Und der ganze Neid, die Missgunst, all die Schuldgefühle und eine tiefe Sehnsucht durchfluten mich mit solcher Wucht, dass es mir den Atem raubt.

Phase singen so klar, so selbstsicher, in perfekter Harmonie.

»I’ve always known that I was born on the cusp

I’m always too much or not quite enough …«

Ich wusste immer, dass ich auf der Schwelle geboren bin

Ich bin immer zu viel oder nicht genug.

Ich weiß, ich sollte mich nicht in diesen Songs verlieren – dadurch wird es nur noch schmerzhafter werden. Doch es ist, als halte mich die Musik unter Wasser. Adrenalin durchströmt mich, und ich bekomme kaum Luft. Das ist so peinlich. Unwillkürlich muss ich an Mythen über Sirenen denken, die Seemänner mit ihrem lieblichen Gesang dazu treiben, über Bord zu springen. Ich verspüre den verrückten Drang, mir die Ohren zuzuhalten, will aber nicht, dass Sophie mich so sieht.

Ihre Stimmen klingen einfach richtig zusammen. Alles an ihrer Musik ist so … richtig.

Also lasse ich mich fallen.

Marsha schließt die Augen und bewegt ihre Hände über die Tasten, Isobels Hände schließen sich um das Mikro, Rudy umfängt ihren Bass, und Kits muskulöse Arme kreisen sanft über ihrem Schlagzeug.

Alles andere schwindet dahin, und ich lasse mich treiben.

Bitte. Nur noch einen Refrain …

Doch das Lied endet.

Einen Moment herrscht vollkommene Stille. Ich schließe die Augen und versuche, diesen Moment für die Ewigkeit abzuspeichern.

Nur ein Gedanke bleibt in meinem Kopf zurück: Ich wünschte, ich könnte Dad von ihnen erzählen.

Dann fängt die Menge an zu kreischen, und die Welt stürzt wieder auf mich ein. Unsanft werde ich aus dem Tiefschlaf gerissen, desorientiert, atemlos, beschämt. Ich sollte Beifall klatschen. Ich sollte jubeln wie die Verrückten überall um mich herum. Oder Sophie wenigstens sagen, dass sie recht hatte.

Doch ich kann mich nicht rühren. Ich kann überhaupt nichts tun, außer reglos zur Bühne zu starren und darauf zu warten, dass sie endlich weiterspielen und mein entsetzliches Selbst mit ihren perfekten Songs übertönen.

Isobel spricht ins Mikrophon, und mir scheint, als redete sie direkt zu mir. »Sei ehrlich: Wann hast du gelernt, dein Verlangen zu akzeptieren? Wann hast du erkannt, dass du nicht hetero bist?«

Mir stockt der Atem.

»Als Kind«, fährt sie fort und streicht sich eine blonde Locke hinters Ohr, »wurde mir nichts von queerer Liebe erzählt. Also nahm ich an, die Gefühle, die ich für einige meiner Freundinnen hegte, würde jeder für hübsche Mädchen empfinden.«

Das Publikum lacht, und da wird mir bewusst, dass ich mich inmitten einer Menschenmenge befinde. Sie redet nicht mit mir. Mein Gott, wie dumm von mir.

Die Leute um mich herum nicken und schnippen mit den Fingern. Anscheinend ist Fingerschnippen eine Art queeres Klatschen.

»Dann hörte ich in meiner Kirche zwei Frauen darüber singen, dass sie einander heiraten wollen, und plötzlich ergab alles Sinn. Deshalb ist es so wichtig für mich, in einer lesbischen Band zu sein. Ich will eine Stimme sein, die andere wie damals mich erreicht und andere Wege aufzeigt, glücklich zu werden. Und ich werde der Community ewig dankbar sein, dass sie mich mit offenen Armen empfängt.«

»Und Beinen!«, ruft jemand dazwischen. Isobel lacht und schüttelt ihre Locken. Dann, mit einem kurzen Blick zu ihren Bandkolleginnen, stimmt sie eine langsame, wunderschöne Ballade an, und ich schmelze erneut dahin.

»Another lonely afternoon,

For the Virgo in June …«

Noch ein einsamer Nachmittag

Für die Jungfrau im Juni …

Das Lied ist bittersüß, und plötzlich habe ich einen dicken Kloß im Hals. Der schmerzerfüllte Songtext wird eins mit der Zärtlichkeit in Isobels Stimme. Sie haucht jedem Wort Leben ein, und ich bin bei ihr. Ich sehe zu, wie die Frau, die sie liebt, jemand anderen küsst, wie sie wartet – sich verzweifelt danach sehnt –, dass ihr Schwarm sich eines Besseren besinnt.

Das Lied endet, und ich kehre abrupt in die Realität zurück.

Sophie dreht mein Gesicht zu ihr um. Einen langen Moment sehen wir uns wortlos an, dann wischt sie mir sanft die Tränen von den Wangen.

Doch gerade als die Nachwirkungen von Virgo in June langsam abebben, springt Rudy ans Mikro, zählt lautstark bis drei und legt los mit einem Electro-Glitch-Hop-Song. In den Refrain sind Handytöne integriert, und es kommt immer wieder irgendetwas mit einem »Co‑Star« vor, was ich nicht verstehe, aber die Leute um mich herum springen fröhlich lachend auf und ab. Ein mitreißender Song, der sofort süchtig macht und einem das Gefühl gibt, dass alles wieder in Ordnung kommt. Sophie zieht mich hoch.

Sonst bin ich immer zu befangen, um Spaß am Tanzen zu haben, aber irgendetwas an dem Ort und dem Song (und der Tatsache, dass ich total voll bin) lässt mich alle Hemmungen vergessen. Sophie und ich tanzen in unserer kleinen, dunklen Nische, und als das Lied in einem Konfettiregen endet, sind wir wie berauscht und jubeln, als hätten wir einen Zuckerschock.

Dann steht Kit vom Schlagzeug auf.

Alle erstarren. Gemächlich schlendert sie nach vorn, streicht sich die Haare aus dem Gesicht und tippt ans Mikrophon, wie um sich zu vergewissern, ob es noch an sei. Ist es. Und sämtliche Frauen im Saal sind verrückt nach ihr.

»Das nächste Lied heißt Mercury«, sagt sie. Himmel, was für eine umwerfend rauchige Rockstar-Stimme sie hat. »Es handelt von Sex.«

Ich könnte schwören, dass ein Mädchen in der Menge in Ohnmacht fällt.

Rudys Bass schrillt, Isobel und Marsha spielen ein fetziges Riff, und Kit, zurück an ihren Drums, gibt ein schnelles Tempo vor.

»Don’t make us

Come apart

Come over come over come over here …«

Lass uns nicht

Auseinandergehen.

Komm her, komm her, komm her zu mir.

Kit schwitzt. Das Publikum schwitzt, und obwohl ich nur dastehe und zusehe, schwitze auch ich wie nie zuvor.

Schließlich schlägt Kit noch einmal mit Wucht auf das Crash-Becken, schließt die Augen und reckt ihre Drumsticks triumphierend in die Höhe. Außer Atem lehnt sie sich zurück, wie um ihre Erschöpfung auszukosten, die Augen immer noch geschlossen. Irgendetwas an dem Anblick lässt mich am ganzen Körper erröten.

Als Kit die Augen wieder öffnet, rastet die Crowd völlig aus. Sie schreien, schluchzen und knutschen leidenschaftlich – manche tun alles drei gleichzeitig –, und ich kann Sophies Blick auf mir spüren. Ich weiß, ich sollte mich umdrehen und ihr Grinsen erwidern, aber ich kann den Blick nicht von Kit abwenden.

Schon viel zu bald wird sie gehen, und ich werde sie nie wiedersehen. Wenn ich mir die Form ihres Gesichts, die Tönung ihrer Haut und ihre so ausdrucksstarken Augen einpräge, kann ich mir vielleicht vorstellen …

Phase verbeugen sich vor dem Publikum und verlassen die Bühne. Die Magie verpufft.

»Also, Leute«, ruft Polly Amory, »die Show ist zu Ende, aber die Nacht fängt gerade erst an. Wir sehen uns!«

Das Licht geht wieder an. Aus den Lautsprechern dröhnt Britney Spears. Alle machen weiter, als wäre die Welt noch dieselbe wie vorher.

Doch ich verharre reglos. Mir schwirrt der Kopf. Ich fühle mich wie Dorothy, die zum ersten Mal das farbenprächtige Oz sieht.

Ich wünschte, ich wäre so talentiert wie Marsha. So elegant wie Isobel. So spaßig wie Rudy. So … anziehend wie Kit. Ich will mit ihnen befreundet sein. Ich will ein Teil von ihnen sein. Ich will auf dieser Bühne stehen und die Leute so viel fühlen lassen. Ich will dieses begeisterte Publikum stolz angrinsen, weil ich weiß, dass ich hierhergehöre.

Aber das kann ich nicht.

Es ist Zeit, nach Hause zu gehen.

Ich sage Sophie, dass ich noch schnell aufs Klo gehe und dann nach Hause will, bezweifle allerdings, dass sie mich hört, denn sie hat Jennys Fußballtrikot am anderen Ende des Raums entdeckt, und jetzt führen die beiden eine Art Versöhnungspaarungstanz auf.

Obwohl die Toiletten unisex sind, ist die Schlange verflucht lang, und ich bin bei Weitem nicht lässig genug, um in ein Urinal zu pinkeln. Aber ich muss wirklich dringend. Bitte lass mich nicht vor all diesen perfekten Frauen in die Hose machen.

Einem trunkenen Instinkt folgend, wanke ich auf der Suche nach einem zweiten Klo in den Backstage-Bereich und drücke mein Ohr an die Tür zum Aufenthaltsraum: Niemand da. Hastig stürze ich durch unordentlich zusammengelegte Kostüme und halb gegessene Snacks zur Toilette. Halleluja!

Doch sobald ich sitze, dreht sich alles. Wie gern würde ich sofort einschlafen. Nein, ich muss wach bleiben, sonst wird Sophie denken, ich wäre von Lesben mit geringen Ansprüchen entführt worden. Also konzentriere ich mich auf die Musik, die mir noch immer im Kopf nachhallt.

»Don’t make us come …«

Kits rauchige Stimme, so unfassbar eindringlich.

»Komm mir nicht mit dieser Retourkutsche!«

Moment, was?

»Marsha, beruhig …«

»Wag es nicht, mir zu sagen, ich solle mich beruhigen.«

Ich halte den Atem an. Kein guter Zeitpunkt, um aus der Toilette zu kommen und zu fangirlen.

»Eine offene Beziehung kann nicht funktionieren, wenn wir nicht auch offen miteinander sind«, sagt Marsha. »Ich weiß, dass du etwas vor mir verheimlichst. Wer ist sie? Kenne ich sie? Liebst du sie?«

»Marsha, du verstehst das völlig fal…«

»Nein, du verstehst das falsch. Das mit uns ist vorbei. Ich will dich nicht mehr sehen, und ich mache auch nicht mehr bei Phase mit. Du kannst endlich so viel rumvögeln, wie du willst, und musst dich nie wieder mit den Gefühlen eines anderen Menschen beschäftigen. Viel Glück dabei.«

Eilige Schritte. Kit ruft Marsha etwas nach. Eine Tür knallt zu. Stille.

Leise öffne ich die Toilettentür und spähe hinaus. Die Luft ist rein.

Was da wohl los war? Ich wasche mir die Hände, spritze mir Wasser ins Gesicht – und blicke in den Spiegel mit nostalgisch wirkenden Glühbirnen am Rahmen. Gott, ich sehe schlimm aus. Im diesem Moment sehe ich Kit hinter mir am Boden sitzen …

Sie blickt zu mir auf.

»Ich … Es tut mir l‑leid«, stammle ich.

»Nein, nein, ist schon …« Sie wischt sich hastig über die Wangen. O verdammt, sie hat geweint. Ich bleibe wie ein fehlgepflanzter Baum angewurzelt stehen.

»Gehörst du zu einer der anderen Bands?«, fragt sie schniefend.

»Ich bin Musikerin«, platze ich heraus, dann wird mir klar, was ich da gerade gesagt habe. Mist! Warum habe ich das …? Themenwechsel!

»Ähm … es war toll, Phase zu sehen«, sage ich. »Ich hab euch heute Abend zum ersten Mal gehört, und ihr wart …« Ich suche nach dem richtigen Wort, um zu beschreiben, wie viel mir ihre Musik bedeutet. »Gut.«

Erschieß mich einfach. Doch Kit lächelt matt.

»Danke, Mann. Und sorry wegen dieser … Zugabe.«

»O Gott, nein, mir tut es leid.«

»Tja, so ist das Leben«, sagt sie achselzuckend. »Aber ich wüsste es zu schätzen, wenn du niemandem davon erzählst.«

»Das würde ich nie.«

»Nein«, sagt sie und betrachtet mich nachdenklich. »Nein, das glaube ich auch nicht.«

Sie stößt ein tiefes Seufzen aus, dann springt sie auf und holt eine Schachtel Zigaretten aus ihrer Lederjacke. Sie bietet mir eine an, doch ich schüttele instinktiv den Kopf. Sie zuckt die Achseln.

»Schlechte Angewohnheit«, murmelt sie mit der Zigarette zwischen den Lippen.

Gebannt sehe ich zu, wie sie die Kippe anzündet, dann werfe ich einen Blick auf den Rauchmelder, der mit einer Plastiktüte überdeckt ist. Normalerweise würde ich Gutmensch sofort losrennen und sowohl die Polizei als auch die Feuerwehr rufen. Aber das fühlt sich gerade an wie ein Test, und ich will ihn unbedingt bestehen.

Wir stehen einfach da und sehen zu, wie der Rauch aus Kits Mund strömt. Ich mache eine mentale Notiz, so bald wie möglich mit dem Rauchen anzufangen.

Dann streckt sie mir die Hand entgegen. »Ich bin übrigens Kit«, sagt sie lässig.

»Ich … Ich bin Ge‑Geor‑Ge…«, stammle ich dämlich.

Ihre warmen Finger umschließen die meinen, und endlich finde ich den Mut, ihr in die Augen zu sehen. Mein Magen macht einen Salto.

Kit sieht mich direkt an, als würde sie mich kennen und wissen, was uns verbindet. »Freut mich, dich kennenzulernen, George.«

Benommen stolpere ich zurück auf die Tanzfläche zu Sophie. Wie erwartet ist ihr kaum aufgefallen, dass ich weg war, weil ihre Zunge in Jennys Mund steckt.

»Sophie, ich muss nach Hause«, schreie ich ihre miteinander verschmolzenen Gesichter an. Die beiden lösen sich voneinander, um Luft zu holen, und Jenny grüßt mich freundlich.

»Ich dachte, du amüsierst dich«, jammert Sophie. »Warum gehen wir nicht nach hinten zu Phase?«

»Nein! Nein, ich muss los.«

»Aber …«

»Sophie, bitte.«

»Aber …«

»Pumpernickel.«

Sie ruft uns ein Taxi.

Und hier bin ich nun. Vor meiner Wohnung, mit Phases Songs im Kopf. Und einem Geheimnis von Kit, das ich bewahren soll. Und dem prickelnden Gefühl ihrer Hand in meiner. Und dem Klang ihrer Stimme, als sie mich George genannt hat …

George! So hat mich noch nie jemand genannt. Für die meisten bin ich Gina. Ginny für meine Eltern. Sophie nennt mich Gigi. Aber George war ich noch nie.

George.

Ich glaube, das gefällt mir.

Die Melodie von Mercury summend, hantiere ich mit meinem Schlüssel.

Doch da wird die Tür von innen aufgerissen.

Ein großer, bärtiger Mann mit Brille starrt mich an. Er hat eine blasse, mit Sommersprossen übersäte Haut und rote Haare. Und er bleckt die Zähne wie ein übergroßer Labrador, der ein Leckerli erwartet.

»Gina!«, ruft er mit starkem schottischem Akzent und ohne Rücksicht auf die Nachbarn. »Willkommen zu Hause! Wie waren die Lesben?«

Dann umarmt er mich ungestüm und wirbelt mich bis ins Schlafzimmer.

Ach ja … Das ist Douglas. Mein Freund seit sieben Jahren.

Kapitel 3

Mein Abend mit Sophie war definitiv das Ungewöhnlichste, was mir seit Jahren passiert ist – abgesehen von ein paar echt komisch geformten Gemüsesorten, die mir bei Sainsbury’s untergekommen sind.

Ich führe ein beständiges, ordentliches, ausgeglichenes Leben in einer langjährigen Beziehung mit einem beständigen, ordentlichen, ausgeglichenen Mann. Unsere Ein-Schlafzimmer-ein-Bad-ein-alles-andere-Wohnung mag nicht gerade die größte oder luxuriöseste in Nordlondon sein, aber sie gehört uns (zumindest solange wir die Miete zahlen). Und wie auf unseren Postern, Bierdeckeln, Kissenbezügen und Schlüsselanhängern unzweifelhaft vermerkt, ist Doug der »His« zu meinem »Hers«: meine perfekte bessere Hälfte.

Deshalb werde ich nie wieder ins Familiar gehen oder Phase live sehen oder mich mit einer Schar queerer Fremder herumtreiben. Unser glückliches Leben ist durchgeplant, und alles andere steht nicht im Kalender.

Nach sieben – na ja, fast sieben – Jahren Beziehung würde ich sagen, der Schlüssel zu unserem Glück ist unser gemeinsamer Kalender. Ich weiß nicht, was ich ohne ihn tun würde. Abgesehen davon, dass ich immer zu spät käme. Einer der zahlreichen Vorteile eines digitalen Kalenders ist, dass man ganz leicht sich wiederholende Termine eintragen kann, und so ziemlich mein ganzes Leben ist auf repeat getaktet.

Am ersten Tag jedes Monats gehen Douglas und ich zusammen unsere Kalender durch, sitzen den ganzen Morgen an unserem wackligen Küchentisch mit unseren perfekt zusammenpassenden Lieblingstassen, Hobnobs – mit Schokolade überzogene Haferkekse – und einsatzbereiten Handys. Früher haben wir das gemacht, um Zeit miteinander zu verbringen. Jetzt tun wir es aus Gewohnheit, immerhin ist unsere gemeinsame Zeit schon im Kalender eingetragen. Das ist das Tolle an einem regelmäßigen Terminplan: Wenn er voll genug ist, muss man sich keine Sorgen darum machen, wie man sein Leben verbringt. Alles ist vorgegeben, man muss sich nur treiben lassen und die Tage abhaken.

Doug blickt durch seine Schildpattbrille auf die Kalender-App und verkündet: »Montags nach der Arbeit habe ich Probe, wie immer.«

Tagsüber ist Doug Account Manager einer Marketing-Firma. Nein, ich weiß auch nicht, was das bedeutet. Der Job schien erst nur etwas für zwischendurch, darum habe ich mich nie mit den Einzelheiten befasst, und jetzt arbeitet er schon so lange dort, dass es mir peinlich wäre zu fragen.

Wir dachten, es wäre nur vorübergehend, weil – Achtung, kleine Angeberei – mein Freund ein Popstar ist. Er spielt Bass in einer Band namens The Bronze Age. Ihre Debütsingle Shy Guy war vor ein paar Jahren ein echter Sommerhit, das Lied mit dem eingängigen Refrain: »Sh‑sh-sh‑sh shy guy.«

»Und bei mir«, antworte ich, »steht am Montag wieder ein fauler Abend mit Sophie an.« Mein Finger verharrt über dem regelmäßigen Termin Faulenzen mit Sophie.

»Dienstags haben wir unseren Sportabend mit Bronze Age«, fährt Doug fort. »Mike will, dass wir es diese Woche mal mit Boxen versuchen. Du solltest mitkommen!«

Ich ziehe skeptisch eine Augenbraue hoch. »Kannst du dir mich beim Boxen vorstellen?«

»Ich meine ja nur«, erwidert er grinsend, »du bist jederzeit willkommen.«

Doch ich weiß, dass es nur eine hohle Floskel ist. Nicht auf gemeine Art – Doug denkt, es sei nett von ihm, mich miteinzubeziehen –, aber ich weiß genau, wie seltsam es wäre.

Wir haben Bronze Age in unserer Zeit an der Uni gemeinsam mit unseren Freunden gegründet, aber seit ich die Band verlassen habe, gehöre ich eben nicht mehr dazu. Ich bin nur noch Dougs Freundin.

»Nein, danke, dienstags habe ich meine Zeit für mich«, sage ich mit Blick auf den grauen Dauertermin in meinem Kalender. »Ich nehme ein Bad, trinke ein Gläschen Wein und gucke Friends.«

»Bist du nicht längst durch?«, neckt mich Doug. Friends ist die einzige Serie, die wir nicht zusammen gucken, also schaue ich sie in meinem eigenen Tempo (rasend schnell).

»Die letzte Folge hat mit einem fiesen Cliffhanger aufgehört.«

Ehrlich gesagt habe ich alle zehn Staffeln von Friends unzählige Male gesehen, daher geht eigentlich nichts mehr als Cliffhanger durch. Trotzdem sitze ich seit Tagen wie auf glühenden Kohlen. Ich bin so gestresst, als ginge es um meine echten Freunde. (Freundin. Singular.)

»Mittwochabends habe ich frei«, sagt Doug lächelnd. »Da können wir unsere Dougina-Nacht machen.«

Ich lächle zurück und verharre über dem himmelblauen Paar-Date mittwochabends. Die Farbe von Dougs wunderschönen Augen.

»Ich dachte, diese Woche«, fährt Doug fort, »könnten wir Brettspiele spielen.«

»Ja!«, rufe ich. »Klingt toll!«

Etwa nicht?

»Donnerstags habe ich wieder Proben.«

»Also sitze ich donnerstags wieder mit Sophie auf dem Sofa.«

Eine Zeit lang hatte ich Angst, dass Sophie unsere gemeinsamen Abende irgendwann satthaben würde, aber ich glaube, es gefällt ihr, mit mir rumzugammeln und zur Abwechslung mal nicht ihre coolen Freundinnen beeindrucken zu müssen.

Manche Leute, wie Doug oder Sophie, sind so leidenschaftlich und aktiv, dass sie genau wissen, was sie vom Leben wollen, und es einfach tun. Und dann gibt es Leute wie mich, die ihr Leben einfach um das der anderen herum arrangieren. Immerhin erleichtert mir das die Organisation.

»Und freitags«, sage ich zufrieden, »haben wir noch einen Dougina-Abend.«

»Äh …«

Ich sehe Doug über mein himmelblaues Display hinweg an.

»Na ja«, murmelt er betreten, »der Gig gestern Abend im Dane’s lief echt gut.«

Bronze Age treten in einem Pub namens The Great Dane auf, Dane’s genannt, als gehöre es einem Typen aus Dänemark.

»Ich glaube, es besteht die Chance, dass wir jeden Freitag dort auftreten können … Aber vielleicht auch nicht. Weißt du was? Vergiss einfach, dass ich davon angefangen habe.«

Ich atme langsam aus und merke erst da, dass ich die Luft angehalten habe.

»Okay, na dann … Gib mir Bescheid, damit ich meine Friends-Abende planen kann.«

Er stellt seine »His«-Tasse ab. Ich umfasse meine »Hers«-Tasse fester.

»Gina, du weißt, dass wir dieses Kalenderritual nicht machen müssen, oder?«, fragt Doug. »Wenn es dir nicht mehr hilft. Wir können unsere Termine einfach getrennt eintragen, wenn sich was ergibt. Dein Zeitplan muss nicht genau mit meinem übereinstimmen.«

»Nein, nein«, winke ich kopfschüttelnd ab und setze mein strahlendstes Lächeln auf. »Tut mir leid, wenn ich muffelig klang. Was auch aus euren Gigs wird, ich unterstütze dich. Ich habe eine Menge anderes Zeug zu tun, solange du weg bist. Wirklich.«

Er tätschelt meine Hand. Ich lächle noch breiter.

»Samstagnachmittags telefoniere ich mit meiner Mum«, verkünde ich. »Und abends habt ihr wie üblich euren Auftritt im Dane’s, richtig? Und … bist du sicher, dass ihr mich noch als Zuschauerin dabeihaben wollt?«

»Natürlich«, antwortet er entschieden. »Ist doch schön, wenn alle wieder zusammen sind. Wenigstens einmal die Woche.«

»Wenn du dir sicher bist«, sage ich so munter wie möglich und tunke einen Keks in meinen Tee.

»Mickey will danach wahrscheinlich noch was unternehmen«, fügt Doug hinzu. »Du solltest mitkommen.«

Ich lasse den Keks zu lange im Tee und sehe zu, wie ein Stück ins sichere Verderben sinkt. »Nein, ich will euch nicht auf die Nerven gehen …«

»Du nervst doch nicht«, protestiert Doug. »Es wäre wie in den guten alten Zeiten!«

Doch die guten alten Zeiten sind längst vorbei.

»Nein, schon okay.« Ich weiche seinem Blick aus. »Ich … Ich mache lieber mein Ding.«

Doug drückt meine Hand. »Na klar. Du bist eine Frau, die für sich selbst entscheiden kann, ich werde dich zu nichts drängen. Aber wenn du es dir anders überlegst, komm einfach mit. Jederzeit.«

»Also«, sage ich, ganz die selbstbestimmte Frau, »wenn du samstagabends mit Bronze Age ausgehst, wollen wir dann wie üblich sonntags ausschlafen?«

Lachfältchen erscheinen um Dougs Augen. »Wir lieben unsere faulen Sonntagmorgen, oder?«

Ich nicke und fische die durchweichten Kekskrümel mit einem Löffel aus meiner Tasse.

»Dann machen wir einen kleinen Spaziergang«, sagt Doug und drückt erneut meine Hand, »gehen zu einem romantischen Lunch in den Pub, und wenn wir wieder zu Hause sind, schmeißen wir uns in Jogginghosen, hören unsere besten Indie-Playlists und kochen für die ganze Woche vor.«

Der Sonntag ist in meinem Kalender vollständig blau. »Mein Lieblingstag.«

»Meiner auch«, stimmt er zu, und als ich in seine sanften himmelblauen Augen blicke, weiß ich, dass er es so meint. Das flaue Gefühl in meinem Magen lässt nach, und ich beuge mich über den Tisch, um ihn zu küssen.

»Weißt du, was wir sonntags noch machen?« Ich ziehe anzüglich die Augenbrauen in die Höhe, und er tut es mir gleich.

Doug und ich haben nicht nur unseren Kalender perfektioniert, sondern auch unseren Sex. Übung macht den Meister, und in der Studienzeit hatten wir sehr viel Übung. Jetzt haben wir unsere ganz eigene, vollkommen gleichberechtigte Sex-Routine.

Doug zieht mich an sich und küsst mich inniger. Aber nicht zu innig. Schließlich ist nicht Sonntag.

»Damit ist der Dougina-Kalender für einen weiteren Monat fertig.«

Zur Feier des Tages reicht er mir noch einen Hobnob, und wir stoßen mit der Schokoladenseite unserer Kekse an, tunken sie gleichzeitig in unseren Tee und essen sie. Ein Ritual, mit dem wir in unserem ersten Studienjahr angefangen haben, als wir uns nach den Vorlesungen gegenseitig in unseren Zimmern besuchten. Wir tranken Tee und aßen Hobnobs und stellten bald fest, dass ich sie mit der Keksseite nach oben, er jedoch mit der Schokoladenseite nach oben aß, wie ich sie inzwischen auch lieber mag. Die Mysterien der Liebe.

»Vielleicht sollten wir uns einen richtigen Kalender anschaffen«, sagt Doug unvermittelt. »So einen Familienplaner.«

»Aber wir planen keine Familie«, witzele ich, und wir lachen beide übertrieben laut.

Wir sind beide sechsundzwanzig, und ich fühle mich definitiv nicht bereit, Kinder zu kriegen, aber wenn man schon seit sieben Jahren zusammen ist, muss man sehr deutlich zeigen, dass man nur Witze macht, wenn man auf das Thema Kinder zu sprechen kommt.

»Eher schaffen wir uns einen Hund an«, meint Doug. »Also brauchen wir wohl einen Welpenplaner.«

Noch so ein Brüller.

»Vielleicht sollten wir einfach beim Bewährten bleiben«, sage ich, als wäre das urkomisch.

»Wenn es nicht kaputt ist, muss man es nicht reparieren«, grölt er und klopft sich auf die Schenkel.

Dann fragt Doug: »Habe ich schon erwähnt, dass ich dich liebe?«

»Ich liebe dich auch«, antworte ich lächelnd und sehe zu, wie er an seiner Brille herumspielt. Seltsam, das macht er eigentlich nur, wenn er nervös ist.

»Gina«, sagt er in lockerem Ton, »wollen wir bald mal wieder deine Mum besuchen?«

Ich erstarre.

»Ich weiß, das ist nicht leicht für dich«, fügt er hastig hinzu. »Aber beim letzten Mal hast du gesagt, dass wir es öfter tun sollten.«

Ich würge die letzten Kekskrümel herunter. Er hat recht. Mum ist ein paarmal für einen Tag nach London gekommen, aber es ist Monate her, dass ich das letzte Mal zu Hause war.

»Ich werde bei dir sein«, versichert mir Doug. »Und wir können Bunny streicheln. Ich bin sicher, deine Mum würde sich freuen.«

Das bringt das Fass zum Überlaufen. Meine Schuldgefühle, die schlechteste Tochter aller Zeiten zu sein, die ich normalerweise mit dem ganzen Haufen Scham und Selbsthass tief in meinem Innern vergrabe, lassen sich nicht länger ignorieren. Also nicke ich. Doug küsst mich auf die Stirn und trägt Besuch in Greengables als unverbindlichen Termin in den Kalender ein.

Ich texte Mum, um zu fragen, ob sie Zeit hat, obwohl ich genau weiß, dass sie immer Zeit hat, wenn sie nicht gerade eine besonders gute Folge von Gardener’s World gucken muss. Wie erwartet antwortet sie sofort.

JADASWÄRESCHÖN!

Obwohl ich es ihr schon tausendmal erklärt habe, meistert Mum die Kunst der Textnachrichten immer noch nicht richtig. Sie schreibt beharrlich in Großbuchstaben, mit einem Leerzeichen zwischen allen Buchstaben, so dass ihre Nachrichten aussehen wie Erpresserbriefe.

ICHBESORGEUNSPROSECCO.

Natürlich wird sie das. Eines ihrer oft wiederholten Lebensmottos lautet: »Feier die kleinen Dinge.« Kleine Dinge, wie dass ihre selbstsüchtige Tochter endlich mal wieder zu Besuch kommt.

Ich schreibe Sophie, dass Doug meine Mum besuchen will.

Sie antwortet: lol süße. wach auf. dog wird deine mum um deine hand bitten.

O mein Gott.

Ich beobachte Doug, den Hauptverdächtigen, der gerade eine Bolognese kocht. Gibt er den Oregano etwa auf eine Art in die Soße, die darauf schließen lässt, dass er mir einen Antrag machen wird?

Das ist nicht witzig!!, schreibe ich zurück.

kein witz. er hat eindeutig vor, dir einen antrag zu machen. wir wussten, dass das irgendwann passiert.

Und dann ein achselzuckendes Emoji.

Ein achselzuckendes Emoji? Im Ernst?!

Das ist keine angemessene Reaktion, texte ich ihr empört.

Die Kooks laufen, und Doug tanzt dazu herum, als er meinem Blick begegnet, grinst er mich an und macht einen Extrahüftschwung. Ist das der Hüftschwung meines zukünftigen Ehemannes?

Sophie hat recht, ich hätte wissen müssen, dass das irgendwann passiert. Ich hätte nur nie im Leben damit gerechnet, dass es jetzt passiert. Aber es soll Leute geben, die mit sechsundzwanzig heiraten …

Unwillkürlich sehe ich uns vor mir, wie wir nach einem Bronze-Age-Konzert der Gang unsere Verlobungsringe präsentieren. Mum ist auch dabei, mit Prosecco natürlich.

Vielleicht ist das der natürliche Lauf der Dinge. Dann sind wir eben noch ein bisschen jung, na und? Die meisten Leute suchen ihr ganzes Leben nach einer Beziehung, die auch nur halb so schön und zielführend ist wie unsere. Wenn sie hören, dass Doug und ich einen gemeinsamen Kalender, eine wöchentliche Routine und geplanten Sex haben, denken sie vermutlich, unser Leben wäre langweilig. Aber sie sind nur eifersüchtig. Unsere Beziehung ist perfekt.

Doug bringt mir einen Löffel Soße zum Probieren, pustet vorher sorgsam, damit ich mir nicht den Mund verbrenne. Sie schmeckt köstlich. Wie immer.

Und genau das ist das Problem. Unsere Beziehung ist perfekt, genau wie sie ist. Jede noch so kleine Veränderung gefährdet unser Gleichgewicht. Ich werde schon nervös, wenn Doug eine andere Zahnpasta kauft. Eine Heirat ist jedoch bekannterweise lebensverändernd, bedeutet ganz neue Regeln, Erwartungen und Selbstzweifel. Mit einem Mal würde Doug denken: »Vielleicht ist Gina die Richtige, um meine Freundin zu sein, aber will ich wirklich für immer mit ihr zusammenbleiben?« Und ich würde denken …

Nun, ich weiß nicht, was ich denken würde. Ich will überhaupt nicht darüber nachdenken. Das kommt alles zu plötzlich.

Wie konnte Doug mir das antun? Wie kann er es wagen, mich heiraten zu wollen?

Kapitel 4

Schon seit vier Jahren spielen Bronze Age jeden Samstag zur selben Zeit vor demselben Publikum im selben Pub in Shoreditch. Sie sind so was von Stammgäste, dass sich ihre Konzerte eher anfühlen wie Familientreffen.

Im Great Dane ist alles braun – auf protzige Art. Freiliegende Backsteinwände mit sepiafarbenen Hundepostkarten dekoriert; zu viele Craft-Bierhähne, beleuchtet von baumelnden nackten Glühbirnen; Ledersofas, in denen die immer selben Hintern tiefe Kuhlen hinterlassen haben; polierter Holzboden, polierte Holzbar, Essen auf polierten Holztabletts; der Geruch von Eau de Cologne, schalem Bier und Gentrifizierung.

Bronze Age sitzen immer am selben Tisch im hinteren Teil des Pubs. Mickey sagt immer, dass die Inhaber eine Plakette daran anbringen sollten, worauf Poppy stets erwidert, dass sie das vielleicht tun werden, wenn die Band tatsächlich berühmt wird.

Mickey und Poppy sind meine ältesten Freunde, zusammen mit Doug und Sophie natürlich. Wir waren alle im selben Musikkurs. Außer Sophie (die gut singen und Gitarre spielen kann, aber schon immer mehr daran interessiert war, als Kritikerin zu arbeiten) wollten wir alle Stars werden. Also gründeten wir im ersten Studienjahr eine Band: Mickey als Frontsänger und Gitarrist, Doug als Bassist und Begleitsänger, Poppy am Schlagzeug und ich am Keyboard. Wir spielten zusammen in Studentenkneipen und bei allen Uni-Anlässen, und die restliche Zeit verbrachten wir damit, haufenweise Pasta mit billiger Tomatensoße zu kochen, unsere Lieblingsbands zu hören und darüber zu streiten, welche Musik wir einander vorspielen sollten. Zwischen ihren Snob-Videos und queeren Aktivitäten fand Sophie immer Zeit, uns anzufeuern (und ziemlich brutale »konstruktive Kritik« zu üben). Wir waren unzertrennlich.

Der Name Bronze Age stammte aus einem Buch über Tattoos, das wir mal zufällig in Poppys Zimmer gefunden haben. Dabei blieb es, und das dazugehörige Design wurde unser Logo. Nach einem versoffenen Gig zwei Jahre später ließen sie und Mickey es sich sogar auf die Fußknöchel tätowieren. Doug und ich verzichteten – wir waren zu schüchtern (Schrägstrich, zu nüchtern). Und bei allem, was danach passiert ist, bin ich heilfroh darüber.

Wir setzen uns an ihren üblichen Tisch – ich muss mir wie üblich einen Stuhl vom Nachbartisch klauen.

»Also, wie läuft’s mit den Klavierstunden, Gina?«, fragt Jasper.

Jasper ist Mickeys Bruder und Bronze Ages neuer Keyboardspieler. Anfangs war unser Verhältnis ein bisschen angespannt. Wer versteht sich schon auf Anhieb blendend mit jemandem, der einen ersetzt hat? Aber eigentlich ist er ganz nett.

Mickey und Jasper sind zweieiige Zwillinge, mit denselben knallroten Haaren und derselben kreideweißen Haut. Doch während Mickey klein, stämmig und großspurig ist, ist sein Bruder groß, schlank und deutlich zurückhaltender.

»Alles beim Alten«, antworte ich.

»O Gott«, ruft Mickey in seinem lauten Dubliner Dialekt, »lasst uns nicht über die Arbeit reden, als wären wir tot! Kommt schon, Leute. Was ist der neueste Gossip?«

Wenn Mickey eine Aufziehpuppe wäre wie Woody aus Toy Story, wären seine Sprüche: »Was ist der neueste Gossip?« und »Hey, Süße, willst du mit einem Popstar poppen?«

Wie üblich lachen alle.

»Poppy, hast du was Spannendes zu bieten?«

Poppy schüttelt den Kopf und bindet ihre langen scharlachroten Haare zu einem lockeren Knoten auf dem Kopf zusammen. Wenn ich das versuchen würde, sähe ich aus wie die letzte Ananas im Laden. Poppy hingegen mit ihren Schlangen- und Vogeltattoos auf ihren cremefarbenen Schultern steht der Look ausgezeichnet.

»Was ist mit diesem großen Typen, der dich nach den Proben angemacht hat?«, fragt Mickey.

»Er wollte mir beibringen, wie man Schlagzeug spielt«, erklärt sie, »obwohl er noch nie eins angefasst hat.«

»Klingt nach einem tollen Fang«, werfe ich ein.

»Er schien das zumindest zu denken«, sagt sie und grinst mir zu.

Poppy ist absolut umwerfend, aber an der Uni ist mir nie zu Ohren gekommen, dass sie was mit jemandem angefangen hätte. Sie ist schrecklich diskret. Sophie dachte lange Zeit, sie wäre lesbisch. Wir haben sogar eine – rückblickend ziemlich problematische – Wette darüber abgeschlossen.

»Gina. Irgendwelchen Gossip?«, fragt Mickey.

»Wie üblich gibt’s bei uns nichts zu tratschen«, antwortet Doug und nimmt meine Hand.

O Gott. Jegliche Indizien für einen Heiratsantrag registrierend, frage ich mich, wie lange wir eigentlich schon eines dieser Wir-antworten-füreinander-Paare sind.

»Doch, ich habe was«, platze ich heraus. Alle drehen sich zu mir um, sichtlich überrascht. Besonders Doug.

»Äh … Sophie ist wieder mit Jenny zusammen«, improvisiere ich.

Alle stöhnen und zollen meiner armseligen Geschichte damit mehr Anerkennung, als sie verdient.

»Nächste Woche kannst du uns den unglaublichen Gossip erzählen, dass sie sich wieder getrennt haben«, lacht Poppy.

Mickey leert seinen Drink mit einem lauten Rülpsen. »Noch eine Runde vor unserem großen Auftritt.« Er knallt die Flasche auf den Tisch. »Jasper, du bist dran.«

»Das Übliche?«

»Ich bin dran«, sage ich und stehe auf.

»Lass mal«, winkt Mickey ab. »Wir sind so oft hier, da wechseln wir uns ab.«

»Ich geb euch einen aus.« Ich will einen Schritt auf die Bar zu machen und stoße mir das Knie am Tisch an.

»Ich bestehe darauf«, entgegnet Mickey und zieht mich zurück auf meinen Stuhl. »Schließlich bist du unser Gast.«

Ich versuche es nicht noch einmal.

»Also … das Übliche?«, fragt Jasper erneut.

Ich weiß, Mickey will nur nett sein, aber mit jedem weiteren Mal, dass ich mich mit ihnen treffe, fühle ich mich weniger dazugehörig. Nur Dougs Freundin. Ein Groupie.

»Ich habe Gossip«, verkündet Mickey. »Becky heiratet.«

Meine Schultern versteifen sich. »Becky und Pjotr aus dem Studium?«

Mickey nickt selbstgefällig.

»Das ist so komisch«, meint Polly.

»Warum ist das komisch?«, fragt Doug. »Die beiden sind schon ewig zusammen.«

Ich sehe ihn nicht an.

Poppy schnaubt abfällig. »Mit Mitte zwanzig sollte man noch nicht heiraten.«

»Warum nicht?«, erwidert Doug. »Ich habe letztens einen Artikel gelesen, in dem stand, dass Frauen finden, sechsundzwanzig sei das beste Alter zum Heiraten.«