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Dr. Daniel ist eine echte Erfolgsserie. Sie vereint medizinisch hochaktuelle Fälle und menschliche Schicksale, die uns zutiefst bewegen – und einen Arzt, den man sich in seiner Güte und Herzlichkeit zum Freund wünscht. Dr. Robert Daniel war gerade im Begriff, in seine Praxis hinunterzugehen, als das Telefon klingelte. »Herr Doktor! Helfen Sie mir!« drang eine aufgeregte Frauenstimme an sein Ohr. »Wer ist denn da bitte?« fragte Dr. Daniel zurück. »Berthold«, brachte die Frau hastig hervor. »Katrin Berthold. Ich habe Schmerzen! Und Blutungen! Herr Doktor, ich darf dieses Baby nicht wieder verlieren!« »Bleiben Sie ganz ruhig, Frau Berthold«, forderte Dr. Daniel, und seine tiefe warme Stimme zeigte sogar am Telefon Wirkung. »So schnell wie beim letzten Mal kann es nicht mehr gehen. Sie sind schon in der dreiunddreißigsten Schwangerschaftswoche. Legen Sie sich bitte hin, und warten Sie, bis ich komme.« Kaum hatte Dr. Daniel das Gespräch mit Katrin beendet, da wählte er auch schon die Nummer der Steinhausener Waldsee-Klinik. Wie immer meldete sich dort die Sekretärin Martha Bergmeier, die gewissermaßen als Mädchen für alles fungierte. »Daniel«, gab sich der Arzt zu erkennen. »Frau Bergmeier, ich brauche sofort einen Krankenwagen. Schicken Sie ihn in die Tannenfleckstraße 14. Ich komme dann mit meinem eigenen Auto dorthin. Die Frau, die abgeholt werden muß, heißt Katrin Berthold.« »Ich habe alles notiert, Herr Direktor«, versicherte Martha. Dr. Daniel überhörte den hochtrabenden Titel, den er eigentlich gar nicht mochte, aber die gute Martha würde sich wohl nie davon abbringen lassen, ihn auf diese Weise anzusprechen – wahrscheinlich, weil sie Dr. Daniel so tief verehrte und der festen Meinung war, kein anderer würde sich mehr für den Posten eines Klinikdirektors eignen als er. »Anschließend rufen Sie bitte in München bei Dr. Sommer an«, fuhr Dr. Daniel fort. »Er soll sich
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Dr. Robert Daniel war gerade im Begriff, in seine Praxis hinunterzugehen, als das Telefon klingelte.
»Herr Doktor! Helfen Sie mir!« drang eine aufgeregte Frauenstimme an sein Ohr.
»Wer ist denn da bitte?« fragte Dr. Daniel zurück.
»Berthold«, brachte die Frau hastig hervor. »Katrin Berthold. Ich habe Schmerzen! Und Blutungen! Herr Doktor, ich darf dieses Baby nicht wieder verlieren!«
»Bleiben Sie ganz ruhig, Frau Berthold«, forderte Dr. Daniel, und seine tiefe warme Stimme zeigte sogar am Telefon Wirkung. »So schnell wie beim letzten Mal kann es nicht mehr gehen. Sie sind schon in der dreiunddreißigsten Schwangerschaftswoche. Legen Sie sich bitte hin, und warten Sie, bis ich komme.«
Kaum hatte Dr. Daniel das Gespräch mit Katrin beendet, da wählte er auch schon die Nummer der Steinhausener Waldsee-Klinik. Wie immer meldete sich dort die Sekretärin Martha Bergmeier, die gewissermaßen als Mädchen für alles fungierte.
»Daniel«, gab sich der Arzt zu erkennen. »Frau Bergmeier, ich brauche sofort einen Krankenwagen. Schicken Sie ihn in die Tannenfleckstraße 14. Ich komme dann mit meinem eigenen Auto dorthin. Die Frau, die abgeholt werden muß, heißt Katrin Berthold.«
»Ich habe alles notiert, Herr Direktor«, versicherte Martha.
Dr. Daniel überhörte den hochtrabenden Titel, den er eigentlich gar nicht mochte, aber die gute Martha würde sich wohl nie davon abbringen lassen, ihn auf diese Weise anzusprechen – wahrscheinlich, weil sie Dr. Daniel so tief verehrte und der festen Meinung war, kein anderer würde sich mehr für den Posten eines Klinikdirektors eignen als er.
»Anschließend rufen Sie bitte in München bei Dr. Sommer an«, fuhr Dr. Daniel fort. »Er soll sich auf einen Kaiserschnitt einrichten und den Frühgeborenen-Spezialisten informieren. Die Frau ist in der dreiunddreißigsten Schwangerschaftswoche.«
»In Ordnung, Herr Direktor«, stimmte Martha eifrig zu.
Dr. Daniel verabschiedete sich, dann drückte er den Knopf, der ihn direkt mit seiner Praxis im Erdgeschoß verband. Die junge Empfangsdame Gabi Meindl ging dort an den Apparat.
»Fräulein Meindl, ich habe einen Notfall und muß unverzüglich nach München«, erklärte er. »Versuchen Sie die Patientinnen auf den Nachmittag zu vertrösten, oder schicken Sie sie in die Waldsee-Klinik.«
»Wird gemacht, Herr Doktor«, versicherte Gabi, und Dr. Daniel wußte, daß es sie sicher einige Mühe gekostet hatte, einen tiefen Seufzer zu unterdrücken.
Er hatte allerdings keine Zeit, sich darüber irgendwelche Gedanken zu machen, denn jetzt war Eile dringend geboten. Katrin Berthold hatte schon mehrfach komplizierte Schwangerschaften gehabt, von denen die meisten ohnehin in einer Fehlgeburt geendet hatten.
Gleichzeitig mit den Sanitätern kam Dr. Daniel in der Wohnung der Bertholds an und wurde von der fünfjährigen Bettina stürmisch begrüßt.
»Meiner Mami geht’s gar nicht gut«, erklärte sie mit kindlichem Ernst, legte ihren Kopf etwas schräg und sah zu Dr. Daniel auf. »Kannst du ihr helfen?«
»Ja, Bettina, ich denke schon«, meinte Dr. Daniel, während er bereits das Wohnzimmer betrat, wo Katrin blaß und mit angstvoll geweiteten Augen auf dem Sofa lag.
»Muß ich ins Krankenhaus?« fragte sie, und ihre Stimme bebte dabei.
Dr. Daniel nickte. »Ja, und zwar nach München. Sie haben noch fast zwei Monate bis zum Geburtstermin, da wollen wir kein Risiko eingehen.«
Katrin erschak sichtlich. »Aber was geschieht dann mit Bettina? Meinen Mann kann ich um diese Zeit nicht erreichen, und bis meine Mutter aus Stuttgart kommt…«
»Keine Sorge, Frau Berthold, ich weiß jemanden, der liebend gern auf Bettina achtgeben wird, bis Ihr Mann nach Hause kommt«, beruhigte Dr. Daniel die aufgeregte Frau, dann gab er den beiden Sanitätern ein Zeichen.
Rasch und geschickt hoben die beiden Männer Katrin auf die fahrbare Trage und brachten sie zum Krankenwagen, während Dr. Daniel ihnen mit der kleinen Bettina folgte. Die Kleine bekam kugelrunde Augen.
»Darf ich da auch mitfahren?« fragte sie, und ihre Pausbäckchen röteten sich vor lauter Aufregung.
»Ja, Bettina, ein Stückchen darfst du mitfahren«, antwortete Dr. Daniel liebevoll.
Die Fahrt führte durch wenige Straßen bis zu dem Haus, in dem Darinka Stöber sich eine kleine Wohnung mit Bianca Behrens teilte. Darinka arbeitete in der Waldsee-Klinik als Krankenpflegehelferin und hatte ein besonderes Geschick im Umgang mit kleinen Kindern. Darüber hinaus war sie seit kurzem die Freundin von Dr. Daniels Sohn Stefan.
Der Arzt wunderte sich daher nicht sonderlich, als Stefan ihm die Tür öffnete und ziemlich verlegen war, sich so unverhofft seinem Vater gegenüberzusehen. Immerhin hatte Stefan heute früh am Morgen noch behauptet, schnellstens in die Klinik zu müssen, wo er als Assistenzarzt arbeitete. Nun hatte Dr. Daniel ihn also bei seiner kleinen Schwindelei ertappt, und Stefan rechnete immerhin mit einer diesbezüglichen Bemerkung seines Vaters.
»Die Mutter der kleinen Bettina muß dringend in die Sommer-Klinik«, erklärte Dr. Daniel knapp, ohne auf die Anwesenheit seines Sohnes in Darinkas Wohnung näher einzugehen. »Sei so nett und bitte Darinka, sich ein wenig um das Kind zu kümmern. Ich werde Bettinas Vater informieren, sobald ich ihn erreichen kann.«
»In Ordnung, Papa«, brachte Stefan noch etwas mühsam hervor, dann nahm er die Kleine kurzerhand auf den Arm.
Dr. Daniel verabschiedete sich und eilte wieder zum Krankenwagen, der nun den Weg nach München einschlug.
»So, Frau Berthold, versuchen Sie bitte, sich trotz all der Aufregung ein bißchen zu entspannen«, meinte er. »Ich muß Sie untersuchen.«
Allerdings war das nur noch eine Formsache. Wie Dr. Daniel schon vermutet hatte, ließ sich die Geburt des Kindes nicht länger aufhalten.
»Es hat heute früh angefangen«, stammelte Katrin und hatte Mühe, die Tränen zurückzuhalten. »Herr Doktor, ich habe das Kleine in den vergangenen Wochen schon gespürt… ich liebe es… bitte sagen Sie, daß ich es nicht verlieren werde.«
»Dr. Sommer hat eine erstklassige Frühgeborenen-Intensivstation«, erklärte Dr. Daniel, »und darüber hinaus auch einen Spezialisten, dessen Namen man in München und Umgebung kennt.« Er schwieg kurz. »Natürlich wäre es besser gewesen, Ihr Baby wäre noch eine Weile dort geblieben, wo es um diese Zeit eigentlich noch hingehören würde, aber es ist lebensfähig und hat in der Sommer-Klinik die besten Chancen.«
Daß er im Moment weit mehr um Katrins Leben fürchtete, verschwieg er dabei. Ihr Blutverlust war jetzt bereits enorm hoch, und Dr. Daniel vermutete, daß die Blutgerinnung wieder nicht funktionierte. Das war schon bei der letzten Fehlgeburt ein Problem gewesen, und das schlimmste war, daß der Grund dafür nicht herausgefunden werden konnte.
Jetzt bog der Krankenwagen in die Auffahrt ein, die zur Notaufnahme führte, dann hielt er mit einem Ruck an. Die Türen wurden aufgerissen und die fahrbare Trage herausgezogen. Im nächsten Moment war auch Dr. Daniels langjähriger Freund Dr. Georg Sommer zur Stelle.
»Wie sieht’s aus?« wollte er wissen.
»Es eilt«, antwortete Dr. Daniel. »Der Muttermund ist fast sieben Zentimeter offen, darüber hinaus hat Frau Berthold starke Blutungen. Ich vermute, daß sich die Plazenta ablöst. Die Herztöne des Kindes holpern.«
»Also Kaiserschnitt«, meinte Dr. Sommer. »Kommst du mit?«
Dr. Daniel nickte und folgte seinem Freund zum Waschraum.
»Sie wird Blut brauchen«, erklärte er, während er sich gründlich die Hände abschrubbte. »Die Blutgerinnung scheint wieder nicht zu funktionieren.«
»Eine EPH-Gestose?« wollte Dr. Sommer wissen, doch Dr. Daniel schüttelte den Kopf.
»Eben nicht. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber sie wäre mir aus diesem Grund bei der letzten Fehlgeburt schon beinahe weggestorben, und eigentich hatte ich ihr auch von einer weiteren Schwangerschaft abgeraten.«
Jetzt waren die beiden Ärzte fertig und ließen sich von einer Schwester die keimfreien Handschuhe überstreifen, dann traten sie an den OP-Tisch. Der Anästhesist hatte die Narkose inzwischen eingeleitet. Dr. Sommer ordnete eine Bluttransfusion an.
»Geben Sie der Patientin zehn Milliliter partielles Thromboplastin intravenös«, fügte er hinzu, während er bereits die Hand ausstreckte und das Skalpell gereicht bekam.
»Das wird nicht reichen«, prophezeite Dr. Daniel.
Dr. Sommer sah ihn an. »Bist du sicher?«
»Absolut sicher.«
»Erhöhen Sie auf zwanzig Milliliter«, korrigierte Dr. Sommer seine Anordnung, dann setzte er rasch und geschickt den Schnitt. Dr. Daniel setzte die Wundhaken an, damit Dr. Sommer das Baby herausheben konnte. Wie aus dem Nichts tauchte in diesem Moment auch der Frühgeborenen-Spezialist Dr. Senge auf und nahm das winzige Baby entgegen.
»Meine Güte, was ist denn bloß mit der Blutgerinnung los?« stöhnte Dr. Sommer. »Noch mal zehn Milliliter partielles Thromboplastin.«
»Der Körper dieser Frau scheint mit jeder Schwangerschaft noch mehr aus den Fugen zu geraten«, meinte Dr. Daniel, während er seinem Freund assistierte, der jetzt die halb abgelöste Plazenta herausnahm.
»Kammerflimmern!« rief der Anästhesist.
»Was zu erwarten war«, murmelte Dr. Sommer, nahm von der OP-Schwester die Defibrillator-Paddel entgegen und drückte sie auf die Brust der Patientin.
»Zurücktreten!« kommandierte er, dann drückte er den Knopf, der einen kurzen Stromstoß durch Katrins Körper jagte. Das gleichmäßige Piepsen des Monitors zeigte an, daß das Herz wieder normal arbeitete.
»Die Blutung kommt allmählich zum Stillstand«, erklärte Dr. Daniel erleichtert.
»Mein lieber Mann, das war knapp«, meinte Dr. Sommer, dann sah er seinen Freund an. »Ob sie die nächste Schwangerschaft überleben würde, ist mehr als fraglich.«
Dr. Daniel nickte. »Ich weiß, und ich habe dir ja vorhin schon gesagt, daß ich ihr sogar schon von dieser Schwangerschaft abgeraten hatte, aber sie hat leider nicht auf mich gehört.«
Dr. Sommer begann, die Wunde zu schließen. »Diesmal sollte sie es unbedingt tun.« Wieder sah er Dr. Daniel an. »Warum war sie überhaupt zu Hause? Eine solche Risikopatientin gehört doch eigentlich ins Krankenhaus.«
»Du mußt mir gegenüber nicht den allwissenden Professor spielen, Schorsch«, entgegnete Dr. Daniel. »Ich kann keine Patientin zwingen, ins Krankenhaus zu gehen. Als Frau Berthold schwanger wurde, habe ich ihr dringend geraten, sich stationär in der Waldsee-Klinik aufnehmen zu lassen, aber sie hat es abgelehnt, weil sie ein kleines Kind zu Hause hat. Sie hat mir versprochen, sich zu schonen, und ich war jeden zweiten Tag bei ihr, um ihren Zustand zu kontrollieren. Bis heute früh hatten sich keinerlei Komplikationen ergeben.«
Dr. Sommer war jetzt fertig und wandte sich der OP-Schwester zu. »Bringen Sie die Patientin bitte in den Aufwachraum. Ich kümmere mich gleich um sie.« Dann sah er Dr. Daniel an. »Du mußt dich vor mir nicht rechtfertigen, Robert. Es hat mich nur erstaunt, weil ich doch weiß, wie verantwortungsbewußt du normalerweise mit deinen Patientinnen umgehst. Und da du über die Risiken sehr genau Bescheid wußtest…« Er winkte ab. »Vergiß, was ich gesagt habe.« Er schwieg kurz, ehe er hinzufügte: »Komm, Robert, schauen wir, wie es dem Baby geht.«
Das winzig kleine Mädchen lag bereits im Brutkasten.
»Sie ist eine kräftige junge Dame«, urteilte Dr. Senge mit einem wohlwollenden Lächeln. »Nicht einmal eine künstliche Beatmung ist nötig.«
»Das ist schön«, meinte Dr. Sommer und griff nach dem Inkubator, um ihn zu Tür zu fahren. »Dann werden wir Mutter und Tochter jetzt mal miteinander bekannt machen.«
Katrin erwachte gerade aus der Narkose, als Dr. Sommer und Dr. Daniel mit dem Brutkasten an ihr Bett traten.
»Mein Baby«, murmelte sie.
»Wird schon geliefert«, erklärte Dr. Sommer lächelnd, während Dr. Daniel seiner Patientin half, sich ein wenig zur Seite zu drehen, damit sie ihr Kind sehen konnte.
Katrin erschrak ein wenig. »Es ist… so klein.«
»Aber kräftig und gesund«, entgegnete Dr. Daniel, dann drückte er sanft Katrins Hand. »Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer kleinen Tochter.«
Erschöpft von der Anstrengung ließ sich Katrin wieder zurücksinken, dann glitt ein glückliches Lächeln über ihr Gesicht.
»Ein Mädchen«, flüsterte sie. »Wie wird Uli sich freuen. Er wollte doch immer schon ein ganzes Haus voller Mädchen.« Mit dem letzten Wort aber schlief sie unter den Nachwirkungen der Narkose wieder ein.
»Ein ganzes Haus voller Mädchen«, wiederholte Dr. Daniel ihre Worte leise. »Dieser Wunsch wird sich mit Sicherheit nicht erfüllen.«
*
Es ging schon auf Mittag, als Dr. Daniel wieder in Steinhausen in seiner Praxis ankam.
»War’s sehr schlimm?« wollte er von seiner Empfangsdame Gabi Meindl besorgt wissen.
»Nicht schlimmer als an jedem anderen Montag auch«, entgegnete sie. »Heute nachmittag können Sie sich allerdings auf eine mittlere Invasion gefaßt machen.«
Dr. Daniel seufzte. »Das hatte ich befürchtet.« Er holte aus seiner Brieftasche einen Zettel und legte ihn vor Gabi auf den Tisch. »Das ist die Telefonnummer, unter der Herr Berthold ab Mittag zu erreichen sein müßte. Versuchen Sie es bitte, und legen Sie das Gespräch dann in mein Zimmer.«
Es dauerte keine zwei Minuten, bis die Verbindung zustande gekommen war, und Uli Berthold ahnte auch sofort, worum es ging.
»Ist etwas mit meiner Frau?« stieß er angstvoll hervor.
»Ihre Frau hat heute ein Mäd-chen zur Welt gebracht«, erklärte Dr. Daniel. »Die Kleine ist zwar ein Frühchen, aber ansonsten gesund und kräftig. Ihre Frau hat den Kaiserschnitt ebenfalls gut überstanden. Sie müssen sich also keine Sorgen machen.«
Uli atmete hörbar auf. »Gott sei Dank.« Dann fiel ihm seine andere kleine Tochter ein. »Wenn Katrin im Krankenhaus ist – wo ist denn dann Bettina?«
»Sie wird von unserer Krankenpflegehelferin Darinka Stöber versorgt«, beruhigte ihn Dr. Daniel.
»Trotzdem werde ich versuchen, gleich nach Hause zu kommen«, versprach Uli, zögerte kurz und erkundigte sich dann: »Darf ich auch mit Bettina zu Katrin in die Klinik kommen?«
»Ja, natürlich«, stimmte Dr. Daniel zu, der die herrschenden Gepflogenheiten in der Sommer-Klinik sehr genau kannte. »Wenn Sie diesen ersten Besuch bei Ihrer Frau aber lieber allein machen möchten, dann ist Darinka sicher gern bereit, Bettina auch am Nachmittag noch zu betreuen.«
»Das ist nicht nötig, Herr Doktor. Bettina möchte ihr Schwesterchen sicher auch gleich kennenlernen.« Wieder zögerte er. »War es eine schwierige Geburt?«
»Wie gesagt, Dr. Sommer und ich mußten einen Kaiserschnitt vornehmen, und…, ich will ehrlich sein, Herr Berthold, es lief nicht ohne Komplikationen ab. Sie erinnern sich wahrscheinlich, daß es damals nach der letzten Fehlgeburt bei Ihrer Frau schon Probleme mit der Blutgerinnung gegeben hat, und das war diesmal nicht anders.«
»Aber Katrin geht es jetzt wirklich gut, nicht wahr?« vergewisserte sich Uli noch einmal.
»Ja, Herr Berthold.« Dr. Daniel überlegte, ob er ihm sagen sollte, daß es besser wäre, wenn Katrin jetzt kein Kind mehr bekommen würde, entschied sich jedoch dagegen. Es war unnötig, bei Uli Berthold schon am Telefon sozusagen mit der Tür ins Haus zu fallen. Wenn sich Katrin erst von dem Kaiserschnitt erholt hätte, würde es noch früh genug sein, mit dem Ehepaar ein ernstes Gespräch zu führen.
*
Zwei Jahre lang hatten Antoinette Barré aus Paris und Patrick Wieser aus Steinhausen vor Gericht um Yvonne gestritten. Jetzt war in letzter Instanz entschieden worden, daß Patrick das Sorgerecht für seine vierzehnjähirge Nichte bekommen sollte, und so stand die völlig verschüchtert wirkende Yvonne Barré an einem entsetzlich heißen Nachmittag – die Ferien hatten am Tag zuvor begonnen – mutterseelenallein auf dem Bahnsteig des idyllischen Vorgebirgsortes, wo sie auf ihren Onkel wartete, der sie von hier abholen sollte.
Yvonne war ein ausgesprochen hübsches Mädchen mit langen
dunklen Locken und ausdrucksvollen blauen Augen. Die leise Melancholie im Blick und der tiefe Ernst auf dem schmalen, etwas blassen Gesicht weckten Mitleid und den Wunsch, sie liebevoll in die Arme zu nehmen und zu beschützen. In ihrer augenblicklichen Situation kam dann auch noch eine rührende Ratlosigkeit hinzu, die ihren Liebreiz noch verstärkte, während Yvonne immer wieder den Bahnsteig hinauf- und hinunterblickte. Sie konnte einfach nicht glauben, daß niemand hier war, um sie in Empfang zu nehmen. Der Zug, mit dem sie gekommen war, war schon vor einer halben Stunde wieder abgefahren, doch von ihrem Onkel war weit und breit nichts zu sehen.
»Der wird mich doch nicht etwa vergessen haben«, murmelte sie, dann schleppte sie ihren Koffer in den Schatten des Bahnhofsgebäudes und ließ sich mit einem tiefen Seufzer auf die danebenstehende Holzbank fallen. Das fing ja wirklich ganz hervorragend an!
Unwillkürlich mußte Yvonne an die Worte ihrer Tante denken. »Was fällt denen überhaupt ein, diesem Bauern ein Kind anzuvertrauen! Patrick hat doch noch nie Verantwortungsbewußtsein gehabt!«