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Dr. Daniel ist eine echte Erfolgsserie. Sie vereint medizinisch hochaktuelle Fälle und menschliche Schicksale, die uns zutiefst bewegen – und einen Arzt, den man sich in seiner Güte und Herzlichkeit zum Freund wünscht. Das Wartezimmer von Dr. Ro-bert Daniel war wieder einmal brechend voll. Es sah aus, als hätten sich sämtliche Frauen aus Steinhausen in seiner Praxis verabredet; und natürlich durften auch die beiden berüchtigtsten Klatschtanten des Ortes nicht fehlen. »Haben Sie schon gesehen? Dr. Daniel und Frau Dr. Carisi haben das Aufgebot bestellt«, flüsterte Waltraud Schütz, die Gattin des Steinhausener Bürgermeisters der neben ihr sitzenden Besitzerin des Gemischtwarenladens Amelie Hauser zu. Diese nickte eifrig. »Natürlich habe ich das gesehen, Frau Bürgermeister.« Waltraud reckte sich ein wenig in die Höhe. Obwohl sie mit dem Amt ihres Mannes nicht das geringste zu schaffen hatte, genoß sie es immer sehr, von Amelie Hauser mit »Frau Bürgermeister« angesprochen zu werden. Das ließ sie für einen Augenblick sogar die drückenden Schmerzen in ihrem Bauch vergessen. »Irgendwie hatte ich ja damit gerechnet, daß die Beziehung der beiden doch noch auseinandergehen würde«, meinte Waltraud Schütz jetzt. »Zwei vielbeschäftigte Ärzte… ich weiß nicht. Das kann doch auf Dauer gar nicht gutgehen.« »Das kommt darauf an«, raunte Amelie Hauser zurück. »Womöglich wird die Ehe der beiden auf unsere Kosten glücklich.« Überrascht sah Waltraud sie an. »Wie meinen Sie das, Frau Hauser?« Amelie zuckte die Schultern. »Es könnte doch sein, daß sich Dr. Daniel von jetzt an für seine Patientinnen nicht mehr so viel Zeit nimmt wie vorher.« Waltraud, die normalerweise gleich dabei war, wenn es galt, über jemanden schlimme Ge-rüchte zu verbreiten, zögerte diesmal. »Ich weiß nicht, Frau Hauser, dazu ist Dr. Daniel doch eigentlich nicht der Typ«, wandte sie ein. »Ich glaube, er nimmt seinen Beruf viel zu ernst,
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Das Wartezimmer von Dr. Ro-bert Daniel war wieder einmal brechend voll. Es sah aus, als hätten sich sämtliche Frauen aus Steinhausen in seiner Praxis verabredet; und natürlich durften auch die beiden berüchtigtsten Klatschtanten des Ortes nicht fehlen.
»Haben Sie schon gesehen? Dr. Daniel und Frau Dr. Carisi haben das Aufgebot bestellt«, flüsterte Waltraud Schütz, die Gattin des Steinhausener Bürgermeisters der neben ihr sitzenden Besitzerin des Gemischtwarenladens Amelie Hauser zu.
Diese nickte eifrig. »Natürlich habe ich das gesehen, Frau Bürgermeister.«
Waltraud reckte sich ein wenig in die Höhe. Obwohl sie mit dem Amt ihres Mannes nicht das geringste zu schaffen hatte, genoß sie es immer sehr, von Amelie Hauser mit »Frau Bürgermeister« angesprochen zu werden. Das ließ sie für einen Augenblick sogar die drückenden Schmerzen in ihrem Bauch vergessen.
»Irgendwie hatte ich ja damit gerechnet, daß die Beziehung der beiden doch noch auseinandergehen würde«, meinte Waltraud Schütz jetzt. »Zwei vielbeschäftigte Ärzte… ich weiß nicht. Das kann doch auf Dauer gar nicht gutgehen.«
»Das kommt darauf an«, raunte Amelie Hauser zurück. »Womöglich wird die Ehe der beiden auf unsere Kosten glücklich.«
Überrascht sah Waltraud sie an. »Wie meinen Sie das, Frau Hauser?«
Amelie zuckte die Schultern. »Es könnte doch sein, daß sich Dr. Daniel von jetzt an für seine Patientinnen nicht mehr so viel Zeit nimmt wie vorher.«
Waltraud, die normalerweise gleich dabei war, wenn es galt, über jemanden schlimme Ge-rüchte zu verbreiten, zögerte diesmal.
»Ich weiß nicht, Frau Hauser, dazu ist Dr. Daniel doch eigentlich nicht der Typ«, wandte sie ein. »Ich glaube, er nimmt seinen Beruf viel zu ernst, als daß er seine Patientinnen vernachlässigen würde.«
Amelie seufzte abgrundtief. »Abwarten, Frau Bürgermeister, abwarten.«
Zu einer Erwiderung kam Waltraud Schütz nicht mehr, denn jetzt schaute die Sprechstundenhilfe Sarina von Gehrau ins Wartezimmer.
»Frau Schütz, bitte!« rief sie mit einem freundlichen Lächeln.
Waltraud beeilte sich, der Sprechstundenhilfe zu folgen. Der Ausgang des Gesprächs hatte ihr jetzt gar nicht behagt.
Sie betrat das Ordinationszimmer von Dr. Daniel und reichte dem ausgesprochen attraktiven Arzt, der ihr mit einem herzlichen Lächeln entgegenkam, die Hand.
»Guten Tag, Frau Schütz. Bitte, nehmen Sie Platz«, bot Dr. Daniel höflich an, dann setzte auch er sich wieder. »Ich nehme an, Sie kommen zur Routineuntersuchung, oder haben Sie Beschwerden?«
Waltraud zögerte einen Moment, dachte an die diffusen Unterbauchschmerzen, die sie seit kurzem hatte, schüttelte dann aber den Kopf. »Nein, Herr Doktor, Beschwerden habe ich keine. Ich möchte nur die übliche Krebsvorsorge durchführen lassen.«
Ein wenig nervös drehte sie den Riemen ihrer Umhängetasche zwischen den Fingern, was Dr. Daniel sofort auffiel.
»Was haben Sie denn noch auf dem Herzen, Frau Schütz?« fragte er behutsam.
Waltraud seufzte tief auf. »Ich hatte im Wartezimmer gerade ein Gespräch…« Sie zögerte. »Wissen Sie, damals, als dieser Arzt sich an Ihnen rächen wollte und die bösen Gerüchte über Sie in Umlauf gebracht hat, da war ich eine der ersten, die darauf hereingefallen ist und Ihnen mißtraut hat. Diesen Fehler möchte ich nicht noch einmal begehen.«
Dr. Daniel runzelte die Stirn. »Aber, Frau Schütz, das alles ist doch längst Vergangenheit, und Sie waren ja auch nicht die einzige, die diesen bösen Gerüchten Glauben geschenkt hat. Ich war damals zwar etwas enttäuscht, weil mir viele meiner Patientinnen plötzlich mißtrauten, aber ich glaube nicht, daß ich das jemanden habe spüren lassen.«
Heftig schüttelte Waltraud den Kopf. »Nein, Herr Doktor, so habe ich das auch nicht gemeint. Es geht mir nicht um den Fall von damals, sondern vielmehr… um Ihre Hochzeit mit Frau Dr. Carisi.« Errötend senkte sie den Blick. »Ich weiß schon, das geht keinen von uns etwas an, aber…« Sie sah Dr. Daniel wieder an. »Werden Sie sich in Zukunft wirklich weniger Zeit für uns nehmen?«
»Wer erzählt denn einen solchen Unsinn?« entgegnete Dr. Daniel, war dabei aber eher amüsiert als ärgerlich. »Frau Schütz, ich kann Ihnen versichern, daß sich durch meine Hochzeit nichts am Ablauf in der Praxis ändern wird. Ich werde mich um meine Patientinnen genauso kümmern wie in all den Jahren zuvor.« Er lächelte. »Aber Sie werden doch hoffentlich einsehen, daß auch ein Arzt eine Frau braucht, nicht wahr?«
»Natürlich, Herr Doktor«, beeilte sich Waltraud zu versichern. »Und wir alle gönnen Ihnen und Frau Dr. Carisi dieses Glück, das müssen Sie mir glauben.«
»Das weiß ich schon, Frau Schütz«, meinte Dr. Daniel, dann stand er auf. »Können wir jetzt die Untersuchung vornehmen?«
Auch Waltraud erhob sich und folgte Dr. Daniel ins Nebenzimmer, dann machte sie sich hinter dem dezent gemusterten Wandschirm frei und stieg auf den Untersuchungsstuhl.
»So, Frau Schütz«, erklärte Dr. Daniel, während er mit seinem fahrbaren Stuhl näher rückte. »Ich werde jetzt erst mal den Abstrich nehmen. Das kennen Sie ja schon.«
Doch als Dr. Daniel mit der Untersuchung begann, zuckte Waltraud sofort zusammen. Erstaunt sah der Arzt sie an.
»Tut Ihnen das weh?«
»Ja, ein bißchen«, gab Waltraud zu. »Das heißt… eigentlich sogar sehr.«
Forschend betrachtete Dr. Daniel sie. »Und Sie hatten vorher wirklich keine Beschwerden?«
Waltraud errötete. »Doch, Herr Doktor. Seit einiger Zeit habe ich immer wieder leichte Unterleibsschmerzen.«
»Warum haben Sie mir das denn nicht gesagt?« fragte Dr. Daniel und konnte den leichten Vorwurf in seiner Stimme dabei nicht ganz unterdrücken.
»Na ja, ich… ich hatte Angst«, gestand Waltraud. »Wenn es nun etwas Schlimmes sein sollte…«
»Eben deswegen hätten Sie ja gleich mit mir darüber sprechen sollen«, erklärte Dr. Daniel eindringlich, dann ging er daran, die Untersuchung fortzusetzen. »Keine Sorge, Frau Schütz, ich werde ganz vorsichtig sein.«
Die Untersuchung gab dann allerdings keinen endgültigen Aufschluß über Waltrauds Erkrankung.
»Ich fürchte, Sie haben eine sogenannte Endometritis… eine Gebärmutterentzündung, möglicherweise sogar eine Pyometra. Das bedeutet, daß sich in Ihrer Gebärmutter aller Wahrscheinlichkeit nach ein Abszeß gebildet hat.«
Waltraud erschrak. »Ist das gefährlich?«
»Sagen wir mal so: Ich muß Sie zur weiteren Untersuchung und Behandlung umgehend in die Waldsee-Klinik überweisen.« Er stand auf. »Sie können sich wieder ankleiden, Frau Schütz.«
Waltraud kam Dr. Daniels Aufforderung nach, doch ihre Hände bebten, als sie sich anzog.
»Muß ich denn jetzt gleich ins Krankenhaus?« fragte sie, als sie Dr. Daniel wieder gegenübersaß.
»Auf jeden Fall«, meinte Dr. Daniel. »Das Wichtigste ist jetzt strikte Bettruhe, vor allem, wenn sich herausstellen sollte, daß Sie erhöhte Temperatur haben. Das ist bei Unterleibsentzündungen nicht selten der Fall.«
Waltraud schluckte schwer.
»Ich habe Angst, Herr Doktor«, gestand sie leise.
»Müssen Sie nicht haben, Frau Schütz«, entgegnete Dr. Daniel beruhigend. »Ich lasse Sie jetzt mit dem Krankenwagen in die Klinik bringen, und dort wird man erst einmal feststellen, ob Sie Fieber haben. Auch eine Blutuntersuchung wird von der dortigen Gynäkologin Frau Dr. Reintaler durchgeführt werden. Nach der Vormittagssprechstunde komme ich dann wieder zu Ihnen und werde Sie gründlich untersuchen. Sollte sich mein Verdacht bestätigen, werde ich sofort eine Antibiotika-Behandlung einleiten.« Er schwieg einen Moment. »Falls sich in der Gebärmutter allerdings tatsächlich Eiter angesammelt hat, wird eine weitergehende Behandlung nötig sein, aber darüber müssen Sie sich jetzt noch keine Gedanken machen.«
Waltraud nickte ein wenig halbherzig. »Diese ganze Behandlung… werden Sie die vornehmen? Ich meine… nichts gegen Frau Dr. Reintaler, aber… zu Ihnen habe ich halt doch das größere Vertrauen.«
Dr. Daniel lächelte. »Das freut mich, Frau Schütz, und ich kann Ihnen auch versichern, daß ich Ihre Behandlung übernehmen werde.« Er begleitete seine Patientin hinaus und wandte sich dann an die junge Sprechstundenhilfe. »Frau Schütz muß umgehend in die Waldsee-Klinik. Ich werde gleich den Krankenwagen bestellen. Vielleicht findet sich in der Zwischenzeit ein ruhiges Plätzchen, wo sich die Patientin ein bißchen hinlegen kann.«
Fürsorglich nahm Sarina von Gehrau Waltraud beim Arm. »Kommen Sie, Frau Schütz, da hinten sind Sie ungestört, und der Wehenschreiber, der da steht, muß Sie gar nicht kümmern.« Sie half Waltraud auf die Untersuchungsliege und breitete noch eine Decke über sie. »Wenn Sie etwas brauchen, dann rufen Sie mich, ja? Ich bin immer hier in der Nähe.«
»Danke«, flüsterte Waltraud, dann sah sie sich unwillkürlich um, doch da trat Dr. Daniel schon zu ihr und drückte einen Augenblick lang ihre Hand. »Machen Sie sich keine Sorgen, Frau Schütz. Wir kriegen das schon wieder hin.«
Dabei verschwieg er, daß Waltrauds Symptome möglicherweise die Begleiterscheinungen einer weitaus gefährlicheren Krankheit waren…
*
Dr. Manon Daniel, Ärztin für Allgemeinmedizin, stand auf dem großen Messingschild, und darunter waren die Sprechzeiten verzeichnet.
Mit einem fast liebevollen Lächeln betrachtete Manon das Schild, das in Kürze draußen an der Praxis angebracht werden würde – direkt unter dem Schild von Robert.
Die Gemeinschaftspraxis von Manon Carisi und Dr. Daniel bestand ja schon seit geraumer
Zeit. Ursprünglich hatten sie damit vorwiegend medizinische Zwecke im Auge gehabt. Natürlich hatten sie sich da bereits ausgezeichnet verstanden, aber der Hauptgrund war eine umfassendere Behandlung ihrer oftmals auch gemeinsamen Patienten gewesen. Doch dann war die attraktive Ärztin plötzlich schwer erkrankt, und Dr. Daniel hatte erkannt, wieviel ihm Manon tatsächlich bedeutete. In den Wochen zwischen Bangen und Hoffen war zwischen ihr und Dr. Daniel eine tiefe Liebe gewachsen, die dann auch nach ihrer Genesung Bestand gehabt hatte.
»Manon, du bist ja noch hier.«
Dr. Daniels Stimme riß sie aus ihren Gedanken. Mit einem zärtlichen Lächeln sah sie ihn an, dann drehte sie das Schild um.
»Schau mal, Robert, das wurde heute geliefert«, erklärte sie.
»Dr. Manon Daniel«, las er, dann ging er zu seiner Verlobten und küßte sie. »Das klingt wunderbar.«
Manon nickte. »Finde ich auch.« Sie legte das Schild zur Seite und schlang ihre Arme um Dr. Daniels Nacken. »Ich wünschte, es wäre schon soweit.« Sie seufzte glücklich. »Manchmal kann ich unseren Hochzeitstag gar nicht mehr abwarten.«
»Nur manchmal?« entgegnete Dr. Daniel schmunzelnd, dann streichelte er liebevoll durch Manons dichtes, kastanienbraunes Haar und gestand: »Ich kann es auch nicht mehr erwarten, bis du endlich meine Frau sein wirst.« Er mußte lachen. »Stell dir vor, heute wurden schon die ersten Bedenken gegen unsere Ehe geäußert.«
»Wie bitte?«
»Gewisse Damen aus dem Ort befürchten, daß ich meine Patientinnen vernachlässigen könnte, wenn ich erst mal mit dir verheiratet bin«, erzählte Dr. Daniel amüsiert.
»Soso, gewisse Damen befürchten das.« Manon grinste schelmisch. »Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wer das sein könnte.« Dabei bewies die leise Ironie in ihrer Stimme nur zu deutlich, daß sie sehr genau wußte, welche Damen Dr. Daniel wohl gemeint hatte.
Es klopfte an der Tür, Sarina von Gehrau schaute herein.
»Entschuldigen Sie die Störung, aber Frau Hansen hat über die Hausleitung in die Praxis heruntergerufen und gefragt, ob Sie heute noch zum Essen kommen oder nicht«, erklärte sie.
»Wir sind schon unterwegs«, behauptete Dr. Daniel, dann legte er einen Arm um Manons Schultern. »Komm, Liebling, beeilen wir uns besser, bevor mein geliebtes Schwesterlein grantig wird.«
»Robert!« entgegnete Manon tadelnd. »So solltest du über Irene wirklich nicht sprechen. Immerhin führt sie dir schon seit Jahren den Haushalt und verwöhnt dich dabei nach Strich und Faden.«
»So? Verwöhnen nennst du das?« scherzte Dr. Daniel. »Die meiste Zeit werde ich von ihr doch wie ein kleiner Schuljunge ausgeschimpft… weil ich nicht pünktlich bin, weil ich nicht genügend esse, weil…«
»Meine Güte, geht’s dir aber schlecht«, fiel Manon ihm lächelnd ins Wort. »Wenn ich mal Zeit habe, werde ich dich gebührend bemitleiden.«
»Danke. Und jetzt komm lieber, bevor Irene noch wirklich sauer wird.«
Das war inzwischen auch schon passiert. Als Manon und Dr. Daniel die Wohnung im ersten Stockwerk betraten, stand seine ältere, verwitwete Schwester Irene Hansen mißmutig in der Küche und würdigte die beiden keines Blickes.
»Irenchen«, sprach Dr. Daniel sie vorsichtig und besonders liebevoll an. »Es tut mir leid, daß wir so spät kommen, aber in der Praxis war wirklich die Hölle los.«
»Ach, immer dasselbe«, grummelte Irene ärgerlich zurück, dann knallte sie einen Topf mit Gemüse auf den Tisch im Eßzimmer. »Etwas anderes gibt’s heute nicht.« Und schon war sie wieder draußen, wobei sie die Tür sehr nachdrücklich hinter sich schloß.
»Heute ist sie aber wirklich wütend«, stellte Manon fest. »So habe ich sie ja noch nie erlebt.« Sie stand auf. »Vielleicht sollte ich mit ihr reden.«
Doch Dr. Daniel schüttelte den Kopf. »Nein, Manon, das ist wohl eher meine Aufgabe. Irene war ja schon manchmal ärgerlich, wenn ich recht spät aus der Praxis gekommen bin, aber ich schätze, da steckt diesmal noch was anderes dahinter.« Er berührte für einen Moment Manons Hand. »Du entschuldigst mich bitte einen Augenblick.«
Er verließ das Eßzimmer und ging in die Küche hinüber, wo Irene voller Elan das Geschirr abspülte, und es war ein Wunder, daß dabei nichts zu Bruch ging.
»Was ist denn los, Irene?« wollte Dr. Daniel wissen.
Sie hielt es nicht einmal für nötig, sich umzudrehen.
»Nichts«, knurrte sie. »Jetzt mach, daß du wieder hinüberkommst, sonst wird das Essen kalt.«
»Hör mal, Irene, ich habe gesagt, daß es mir leid tut, daß wir so spät gekommen sind«, erklärte er. »Die Sprechstunde hat fast bis eins gedauert.«
»Und jetzt ist es halb zwei!« hielt Irene ihm vor, dann winkte sie ärgerlich ab. »Was rede ich überhaupt! Dir ist es doch völlig egal, ob ich stundenlang in der Küche stehe und mein Essen dann wegwerfen kann, nur weil ihr…«
Dr. Daniel nahm seine Schwester bei den Schultern und drehte sie sachte zu sich herum. Obwohl sie rasch den Kopf senkte, bemerkte er die Tränen in ihren Augen.
»Das sind doch alles nur Ausreden, Irenchen«, entgegnete er sanft. »Um das Essen geht es überhaupt nicht, habe ich recht?«
»Unsinn«, widersprach Irene wenig glaubhaft. »Natürlich geht es ums Essen.«