Drachenkalb singe - Hans Leip - E-Book

Drachenkalb singe E-Book

Hans Leip

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Beschreibung

Es ist eine Gruppe von Großstädtern, Jungen zwischen 10 und 13, die den Kern der "Drachenkälber" ausmachen, des Großstadtchors, der um ein paar Ältere erweitert wird. Genau an dem Tag, als während eines Gottesdienstes an der Orgel der Organist stirbt, ist plötzlich seine Tochter Erika, selbst Organistin, da. Wird sie in die Fußstapfen ihres Vaters treten oder umgekehrt den Weg zurück in das Bergdorf finden, wo Pfarrer Andreas so sehnlichst ihre Rückkehr erwartet?-

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Hans Leip

Drachenkalb singe

Roman

Saga

Um Gutes zu tun, braucht’s keiner Überlegung.

Goethe

Der Regen war vorbei. Es wurde eine klare Nacht. Die Organistin, indessen sie den märzlichen Choral des Sonntagabends begleitete, ließ den Blick seitwärts pendeln, fort von den beleuchteten Noten. Im Fenstergaden, durch zwei romanische Pfeiler und die Wölbung des Bogens gebändigt, erhob sich das Gebirge wie ein Wogenkamm.

„Sehr innig haben Sie heute gespielt!“ sagte der Pfarrer nachdem. Er hatte ein verkapptes Beben in der Stimme, das nicht vom Himmel kam und sich mit irdischer Geneigtheit um ihre kräftige Gestalt legte. Er war nicht jung und sie gegen dreißig, beide unverheiratet, beide aus dem Schüttelbecher der Zeit versprengt, aus dem Norden sie, aus dem Osten er, inmitten der beherrschenden Aura der anders denkenden Kirche als protestantische Enklave geduldet und duldsam, mit einer kleinen Kapelle der Umgebung eingebacken wie ein Roggenkorn ins Weizenbrot.

Die Miene der Organistin erhellte sich mühsam. Der Pfarrer drehte das kräftige nachdenkliche Gesicht, als spüre er eine Hand am Genick und blicke sich nach Hilfe um.

„Wollen Sie wirklich nach Haus?“ fragte er.

„Obwohl Sie als einzige rechte Heimstätte soeben das himmlische Vaterhaus gepriesen haben“, lächelte sie. „Oh, Sie haben überhört, daß ich der irdischen Wanderschaft die gehörige Freude an dem jeweiligen Unterschlupf wohl einräumte und nicht undankbar bin gegen unsere schöne Gastlandschaft. Aber ich wollte uns noch einmal und uns alle trösten über das Verlorene mit einem gelassenen Ubi bene, ibi patria, wie wir beide es den Schäflein allen nahezubringen vermocht. Allen haben wir, bis auf zwei oder dreien, zu Unterkunft und Beruf, ja, sogar zur Siedlung verholfen. Unsere Aufgabe scheint Ihnen erfüllt und diese Dorforgel ist Ihnen zu klein. Ja, Sie bezweifeln, daß es Ihnen hier gut geht. Das stimmt mich nachdenklich.“

Die Organistin schwieg. Ihre dunklen Augen sahen forschend an ihm vorbei. Die schlichten Zirbelholzbänke der Andacht, schon geleert, lagen wie Dünungswellen hintereinander, wie der Schwell des Stromes, den sie so lange nicht gesehen. Sie war zu weit in der Fremde umher gewesen, zu selbständig und zu erfahren, um unklare Gefühle in sich zu dulden. Sie wußte, dieser Mensch und Seelenhirte stand ihr nahe. Zwei Jahre hatten sie hier zusammen gewirkt. Es mochte Zeit sein, eine über alles geliebte Freiheit und Buße nicht mehr so wichtig zu sehen und das pure Heimweh als etwas anderes zu erkennen, nämlich als die Neigung zu endlicher Geborgenheit und zweisamer Harmonie. Und da sprach er es auch schon aus, und gefährlicher als je erschien es ihr, einem anderen die Fähigkeit zuzutrauen, ihre Gedanken zu erraten.

„Heimweh?“ sagte er: „Das ist das Gefühl geographischer Disharmonie, eine unangepaßte Konstitution, eine klimatische Ungewohntheit. Sollte man nicht auf eine fröhliche und natürliche Weise der jederzeit Heimgefundenheit ein wenig Vorschub leisten?“

Er strich sich mit drei Segensfingern zögernd in Herzhöhe über den schwarzen Talar.

„Sie wissen allzu wenig über mich“, sagte sie. Es sollte abwehrend klingen. Und sie fügte leise hinzu: „Einsam bin ich und arm ...“ Es war eine Stelle aus der Predigt, aus dem 24. Psalm, nach deren Anfangswort, Oculi, der Sonntag bezeichnet wird.

„Doch zu Lätare heißt es: Freue Dich!“ erwiderte er, nicht weniger leise.

Der Küster hatte die Lichter gelöscht und klapperte wie zufällig mit dem Schlüssel gegen eine Bankwange.

Die Nacht saß jahrhundertalt am Fuße der gekalkten Wände. Es war ein halbverfallenes uraltes Gemäuer, darin vormals in Kriegsläuften Untat und Gemetzel geschehen war. Kein Weihwedel hatte die Abneigung der Einheimischen besiegen können, und so war es dann den Flüchtlingen ohne Murren als Andachtsort nicht versagt worden. Sie hatten Böses genug erlebt, um die blutige Vergangenheit hier gleichsam als geschwisterlichen Trost zu empfinden und sie mit eigenem Leid und eigener Auferstehung zu besänftigen und mit einer kleinen Portativ-Orgel, einer Stiftung von Freunden jenseits des Atlantik, und mit Gesang und Predigt die Gespenster zu bannen. Die Organistin fühlte, wie lieb ihr alles geworden sei, und doch verbarg sie das Frösteln nicht, das sie aus der lichtlosen Tiefe anwehte, und trat hinaus vor die Tür.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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