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Es gibt Promis, die sie lieben und noch mehr, die sie hassen: Clara Bodenstein. Die Chefredakteurin des Boulevardmagazins UP hat schon so manchen Stern am Society-Himmel aufgehen lassen, aber auch für gnadenlose Untergänge gesorgt. Gerade wegen ihrer Skrupellosigkeit wird Clara von der Filmdiva Jackie Benz beauftragt, deren Skandalbiografie zu schreiben, was einige Zeitgenossen gern verhindern möchten. Nach Morddrohungen und einem nächtlichen Überfall bei Dreharbeiten auf Mallorca verschwindet die Benz plötzlich spurlos. Und sie ist nicht die Einzige, die wie vom Erdboden verschluckt ist …
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Seitenzahl: 290
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Claudia Rossbacher
Drehschluss
Thriller
Promisterben Es gibt Promis, die sie lieben und noch mehr Promis, die sie hassen: Clara Bodenstein, Chefredakteurin des Boulevardmagazins UP in Berlin. Als Gesellschaftsreporterin hat die gebürtige Wienerin schon so manchen Stern am Society-Himmel aufgehen lassen, aber auch für einige gnadenlose Untergänge gesorgt. Gerade wegen ihrer Skrupellosigkeit wird Clara von der Filmdiva Jackie Benz beauftragt, deren Skandalbiografie zu schreiben, was einige Zeitgenossen lieber heute als morgen verhindern möchten. Nach etlichen Morddrohungen und einem nächtlichen Überfall bei Dreharbeiten auf Mallorca verschwindet die Benz auf einmal spurlos. Und sie soll nicht die einzige Prominente bleiben, die plötzlich wie vom Erdboden verschluckt ist.
Bestseller-Autorin Claudia Rossbacher wagt einen schonungslosen Blick hinter die schillernden Kulissen der Boulevardmedien und die perfekt geschminkten Masken der Stars und Promis, die beinahe zu allem bereit sind, um im Scheinwerferlicht zu glänzen.
Claudia Rossbacher, geboren in Wien, zog es nach ihrem Tourismusmanagementstudium in die Modemetropolen der Welt, wo sie als Model im Scheinwerferlicht stand. Danach war sie Texterin, später Kreativdirektorin in internationalen Werbeagenturen. Seit 2006 arbeitet sie als freie Schriftstellerin in Wien und in der Steiermark und schreibt vorwiegend Kriminalromane und Kurzkrimis. Ihre Steirerkrimis waren allesamt Bestseller in Österreich. »Steirerblut«, »Steirerkind«, »Steirerkreuz« und »Steirerrausch« wurden als Landkrimis für ORF und ARD verfilmt und sorgten in der Primetime für Topquoten. 2014 wurde Claudia Rossbacher mit dem »Buchliebling«, 2019 mit dem »Bacchuspreis« ausgezeichnet. www.claudia-rossbacher.com
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alle Rechte vorbehalten
»Drehschluss« erschien erstmals 2009 beim echomedia buchverlag
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung: Julia Franze
E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © Robert Daly/KOTO/adobe.stock.com
ISBN 978-3-8392-6848-3
Für meinen Vater, den ich sehr vermisse.
Ich danke der wunderbaren Schauspielerin Kathrin Beck für unsere Freundschaft, die seit über 40 Jahren ungebrochen besteht. Und meinem Mann, dem begnadeten Künstler Hannes Rossbacher, für seine bedingungslose Liebe und Unterstützung in den letzten drei Jahrzehnten. Euch zu Ehren beginnt die Geschichte am 8. März, euer beider Geburtstag.
Der vorliegende Thriller ist erstmals 2009 erschienen. Heute ist die überarbeitete Neuauflage fast schon ein historischer Roman. So viel hat sich seither verändert.
2007 kam das erste iPhone auf den Markt. Soziale Medien wie Facebook und Twitter, Selfies, YouTube und Streaming-Dienste steckten in den Kinderschuhen. Es gab kein Instagram und keine Influencer, wie wir sie heute kennen. IT-Girls wie Paris Hilton, Kim Kardashian & Co wurden über Reality-TV und Boulevardmedien weltberühmt.
Die Geschäftswelt war in fast allen Bereichen von Männern und Sexismus geprägt. Von #MeToo war die Welt noch weiter entfernt als von Hashtags an sich.
Das Rauchen in der Öffentlichkeit, auch in Gaststätten, war in Deutschland zum Teil noch erlaubt. In Österreich sowieso, wo ein generelles Rauchverbot in Gastronomiebetrieben erst seit 2019 besteht.
Corona war damals nur ein Bier, kein Virus, das Millionen Menschen dahinraffte.
Beim Überarbeiten meines Thrillers war ich kurz versucht, die Geschichte in die Gegenwart zu transferieren, fand es schlussendlich aber spannender, jene Zeit zu beleuchten, in der die Weichen gestellt wurden: für Selbstdarsteller, Cyber-Mobbing und -Stalking, Fake News, Politische Korrektheit, Klimastreiks, Corona und vieles andere, mit dem wir heute mehr oder weniger selbstverständlich leben.
Ob früher alles besser war? Oder auch schlechter? Urteilen Sie selbst.
Ich wünsche Ihnen gute Unterhaltung.
Ihre
Claudia Rossbacher
Wien, im Sommer 2021
Ich sehe dich an.
Du bist schön.
Strahlend schön
wie die Sonne,
um die sich alles dreht.
Gleißend hell stehst du da,
gleich einer Göttin.
Unnahbar, unerreichbar
am Firmament deines Ruhms.
Bist du nicht einsam?
So allein dort oben?
Ohne die Nähe,
nach der du dich sehnst?
Ohne die Liebe,
nach der du dich verzehrst?
Donnerstag, 8. März 2007
Für Clara Bodenstein war es ein ganz normaler Donnerstagmorgen. Wie jeder Donnerstag, an dem sich die Chefredakteurin des Boulevardmagazins UP – Unter Promis – nicht auf Geschäftsreise befand. Oder sich einen ihrer seltenen Urlaubstage gönnte.
Pünktlich um 6.30 Uhr stöckelte sie den gläsernen Korridor entlang, vorbei an den noch verwaisten Schreibtischen ihrer Mitarbeiter, die in spätestens zweieinhalb Stunden in der Redaktion eintreffen würden, um ihren nervenaufreibenden Arbeitsalltag wieder aufzunehmen. Das hektische Treiben in dem Großraumbüro in der 21. Etage würde wie immer bis zum späten Abend anhalten. Vielleicht sogar bis tief in die Nacht hinein.
Am Ende des Ganges verschwand Clara Bodenstein in ihrem steril anmutenden Büro, dem jegliche private Note fehlte. Es gab hier keine Fotos, keine Pflanzen, keine persönlichen Gegenstände. Nichts, was irgendetwas über ihre Person verraten hätte. Außer, dass sie sich auf ihren Job konzentrierte.
Kurz vor der Jahrtausendwende war die Journalistin aus Wien dem Ruf der Medienmetropole Berlin gefolgt, in der sie sich seither mit viel Talent und noch mehr Einsatz Schritt für Schritt nach oben kämpfte. Inzwischen war sie fast am Ziel ihrer ehrgeizigen Träume angelangt. Spätestens mit 40, also in knapp zwei Jahren, würde sie auch noch den letzten Sprung schaffen. Bis ganz nach oben in die 22. Etage des Glaspalastes. Jene Etage, die den Vorstandsmitgliedern des Alex-Reiter-Verlages vorbehalten war. Wenn sie weiterhin ihre Kräfte in die Arbeit investierte und im richtigen Moment ihren unwiderstehlichen Charme einsetzte, würde es mit dem Vorstandsposten schon klappen. Davon war Clara felsenfest überzeugt.
Zu dieser frühen Stunde fiel das milchige Licht der noch zaghaften Frühlingssonne durch die gläserne Fassade ihres Eckbüros, das sie nach ihrer Beförderung zur Chefredakteurin bezogen hatte. Von hier aus genoss sie den atemberaubenden Blick auf Berlin, bis endlich das grüne Lämpchen der Espressomaschine zu blinken aufhörte. Die erste Tasse Kaffee war ihr heilig. Clara liebte es, ihn in aller Ruhe zu genießen. Mit viel Milchschaum. Besonders an den Donnerstagen, wenn nicht nur die UP erschien, sondern auch all die anderen bunten Klatschblätter, die Einblicke ins Leben der Promis und Stars gewährten. Die Konkurrenzbeobachtung war zwar längst an ein Marktforschungsunternehmen ausgelagert, das regelmäßig Berichte ablieferte, doch Clara zog es vor, sich selbst einen unmittelbaren, ungefilterten Überblick über die Society-News der vergangenen Woche zu verschaffen. Lieber vertraute sie der eigenen Urteilsfähigkeit als irgendwelchen Marktforschern. Die Ergebnisse ihrer Analysen archivierte sie fein säuberlich in den schwarzen Ordnern im Jalousieschrank, der bis knapp unter die Decke reichte. Man konnte ja nie wissen, wofür diese Aufzeichnungen eines Tages gut sein würden. Hier oben war die Luft schon recht dünn. Und es war in jedem Fall besser, stets wachsam und gut vorbereitet zu sein. Vor allem auf Angriffe aus den eigenen Reihen.
Clara liebte ihren wöchentlichen Blick über den Tellerrand. Überhaupt, wenn sie wie gerade eben zufrieden feststellte, dass sie einen hervorragenden Job gemacht hatte. Die Reportage über Steffen Wolke würden die Leserinnen verschlingen. Vor allem wegen der Fotostrecke, die den Soap-Star aus »Hier und jetzt«sexy wie nie zuvor zeigte. Die Titelstory der aktuellen UP-Ausgabe war ohnehin nicht zu toppen. Ihre Mitbewerber mussten früher aufstehen, wollten sie ihr das Wasser reichen. Clara war ihnen wie so oft um die berühmte Nasenlänge voraus.
Gestern Nachmittag hatte Saskia Hansen, die junge Society-Reporterin, die Clara vor wenigen Monaten vom größten Konkurrenten aus Hamburg abgeworben hatte, gerade noch rechtzeitig grünes Licht von der Rechtsabteilung eingeholt. Und heute Morgen prangte die Headline groß und fett, vor allem aber exklusiv, am druckfrischen UP-Titel.
Unfassbarer Verdacht gegen TV-Star: Hat Henning Bach Sandra S. (21) vergewaltigt?
Clara nahm einen Schluck von ihrem Caffè Latte und leckte sich genüsslich den Milchschaum von der Lippe. Wieder einmal hatten sich die exzellenten Kontakte, die sie im Laufe der Jahre aufgebaut hatte, und die sie sorgsam hegte und pflegte, als ihr wertvollstes Kapital erwiesen. Ein kleiner inoffizieller Hinweis von offizieller Polizeistelle hatte ihr zum Exklusiv-Interview mit der bisher völlig unbekannten Sandra S. verholfen, die den beliebten TV-Star vor zwei Tagen angezeigt hatte und behauptete, von ihm vergewaltigt worden zu sein. Im Laufe eines tränenreichen Interviews hatte die junge Frau kein noch so schmutziges Detail ausgelassen. Clara hatte der Wasserstoffblondine zu bedenken gegeben, dass die Story gehörig Staub aufwirbeln und ziemlich sicher das Ende einer vielversprechenden Schauspielerkarriere bedeuten würde. Doch Sandra S. war standhaft bei ihrer Geschichte geblieben.
Fairerweise hatte die Chefredakteurin dem Beschuldigten eine Chance eingeräumt, zu den schweren Vorwürfen gegen seine Person Stellung zu beziehen. Doch Henning Bach hatte Clara, die seit seinen Anfängen als austauschbarer Nebendarsteller wohlwollend über ihn berichtet hatte, reichlich brüsk an sein Management verwiesen, das jeden Kommentar verweigerte. Mit diesem folgenschweren Fehler musste er nun leben. Clara konnte und wollte ihm nicht mehr helfen. Warum auch? Es gab keinen Grund Sandra S.’ Erzählungen anzuzweifeln. Sie war ein unbeschriebenes Blatt, eine junge hübsche Frau, deren Idol sie angeblich schamlos missbraucht hatte. Saskia hatte ihre Vergangenheit lückenlos überprüft. Und Henning Bach war geliefert. Als mutmaßlicher Vergewaltiger konnte er sich von seinem süßen Starleben erst einmal verabschieden. Höchstwahrscheinlich sogar für alle Zeiten.
In ungefähr einer Stunde würden die Telefone in der Redaktion heißlaufen, wusste Clara. Wenig später würde ihr Jan Decker, der Geschäftsführer des UP-Magazins und Vorstandsmitglied des Reiter-Verlages, zur brisanten Exklusiv-Story gratulieren. Die Auflage würde sich verkaufen wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln. Und Decker sie dafür lieben. Noch mehr, als er es ohnehin schon tat. Das war der anstrengendste Teil an ihrem Job.
Ständig musste sie sich ihren Boss vom Hals halten, ohne ihn zu vergrämen. Seit er sich für ihre Beförderung zur Chefredakteurin höchstpersönlich starkgemacht hatte, wie er nicht müde wurde zu betonen, war er hinter ihr her. Dabei hatte seine Frau Betty damals erst entzückende Zwillingstöchter zur Welt gebracht. Clara war selbst kein Kind von Traurigkeit und wahrscheinlich eine der wenigen Frauen, die davon überzeugt waren, dass Sex nicht zwangsläufig mit Liebe einhergehen musste. Oftmals war sogar das Gegenteil der Fall. Sie konnte sich an einige ziemlich heiße Nummern mit Männern erinnern, die ihr weder vorher noch nachher etwas bedeutet hatten. Ob sie gebunden waren oder nicht, war ihr dabei stets herzlich egal gewesen. Das mussten die Typen schon mit ihrem Gewissen ausmachen. Doch Jan Decker war für sie tabu. Nicht wegen Betty oder den Zwillingen, sondern weil Clara einem ihrer wichtigsten professionellen Prinzipien folgte: »Never fuck the office.« Sie hatte es bisher nicht nötig gehabt, sich nach oben zu schlafen. Und sie hatte nicht vor, diesen Grundsatz jemals zu brechen. Auch nicht für Decker, der trotz seiner Mitte 50 durchaus eine Sünde wert war. Was Clara betraf, so würde sie erst mit ihm schlafen, wenn er woanders sein Geld verdiente. Doch dann saß sie bereits auf seinem Vorstandssessel. Und das Interesse an ihr war damit vermutlich jäh erloschen.
Clara blickte in den Spiegel ihrer Puderdose, legte ein wenig Lipgloss auf ihre markant geschwungenen Lippen auf. Bis Jan Decker sein Büro in der 22. Etage für sie räumte, wollte sie ihn wenigstens mit ein paar zusätzlichen Marktanteilen beglücken, dachte sie schmunzelnd und steckte ihr Schminkzeug in die Handtasche zurück.
Für Mona Ettinghaus war dieser Donnerstagmorgen alles andere als ein ganz normaler, war er doch der letzte in ihrem Leben, das gerade einmal 43 Jahre lang gedauert hatte. Seit elf Tagen galt die Geschäftsführerin des Ettinghaus-Verlages nunmehr als vermisst. Daran hatten weder die beinahe Rund-um-die-Uhr-Ermittlungen des LKA Berlin noch die guten Beziehungen der einflussreichen Unternehmerfamilie Ettinghaus etwas ändern können.
Anfangs war der schwerreiche Verlegerclan – genau wie Kriminalhauptkommissar Frank Schütte – davon ausgegangen, dass das prominente Familienmitglied Opfer einer Entführung geworden war. Monas schwarzer Nobel-Geländewagen war auf einem Restaurant-Parkplatz in unmittelbarer Nähe des Lehnitzsees, etwa zehn Kilometer nördlich von Berlin, aufgefunden worden. Ihre Krokotasche, das Handy und ein paar Akten hatten im versperrten Wagen gelegen. Eine Lösegeldforderung war bisher nicht eingegangen. Von der Verlegerin, die ihre Firma an einem Montagabend wie gewöhnlich gegen 19 Uhr verlassen hatte, fehlte jede Spur.
Mittlerweile hatten auch die Medien Wind vom Verschwinden der Mona Ettinghaus bekommen und übertrafen sich gegenseitig mit den wildesten Spekulationen über ihr mögliches Schicksal. Doch nichts, was die Presse bisher erfunden hatte, reichte auch nur annähernd an die so viel grausamere Realität heran.
Monas nackter, blutleerer Körper und der kahl geschorene Schädel ließen ihren Leichnam wie eine Schaufensterpuppe aussehen, die mit gespreizten Armen und Beinen an ein Andreaskreuz an der Wand gefesselt war. Der blasse Kopf hing leblos vornüber, die tiefe Schnittwunde in der Kehle verbergend, aus der inzwischen alles Blut gewichen war. Von den Körpersäften, die auf dem Fliesenboden des Kellers eine übel riechende Lache gebildet hatten, und den Blutspritzern auf den weißen Wandfliesen war nichts mehr zu sehen, so sauber waren sie mit dem Wasserschlauch abgespritzt worden.
Genauso sauber, wie Monas penibel enthaarter Leichnam, den nie wieder jemand zu Gesicht bekommen sollte. Außer ihr geisteskranker Mörder, der sein perverses Ritual noch nicht zu Ende geführt hatte.
»Jetzt beruhige dich bitte, Jackie! Ich bin dein Agent und will wie immer nur dein Bestes.« Mark Konrad stand vor dem hohen französischen Fenster in seinem Schöneberger Loft und starrte in den trostlosen, vom langen Winter gezeichneten Innenhof, während er beschwichtigend ins Telefon sprach. Wieder einmal versuchte er, das beste und nervöseste Pferd in seinem Stall zu beruhigen. Doch Jackie Benz hatte sich fix in den Kopf gesetzt, ihre Biografie schreiben zu lassen. Und nichts und niemand konnte sie davon abbringen. Nicht einmal der geduldige, souveräne Mark, der seit mehr als drei Jahren der Agent der wohl bekanntesten deutschsprachigen Schauspielerin war. So lange wie er hatte es noch keiner mit der launischen Diva ausgehalten. Es war zum Verzweifeln. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund bildete sich die Primadonna des deutschen Spielfilms ein, dass es just an ihrem 45. Geburtstag, der in fünf Monaten anstand, mit ihrer Karriere vorbei sein würde. Die zahlreichen Rollenangebote, die sie in den letzten 22 Jahren mehr oder weniger auf dem Silbertablett serviert bekommen hatte, würden schlagartig ausbleiben. Davon war sie felsenfest überzeugt.
Was auch immer Mark Konrad an Argumenten vorbrachte, die Benz rückte keinen Millimeter von ihrem Vorhaben ab. Sie wollte dem angeblich bevorstehenden Karrieretief unbedingt mit ein paar skandalträchtigen Enthüllungen entgegenwirken.
»Jackie, bitte! Das hast du doch gar nicht nötig«, flehte Mark, der bereits eine gute halbe Stunde mit Engelszungen auf sie einredete.
»Was ich nötig habe und was nicht, bestimme ich immer noch selbst. Schließlich geht es hier um meine Karriere, von der auch du ganz gut lebst«, erwiderte Jackie scharf.
»Wie du meinst. Aber vergiss bitte nicht, dass ich dich davor gewarnt habe. Du machst dir jede Menge Feinde mit diesem Buch.«
»Na und? Das halte ich aus. Ich weiß schon, mit wem ich mich anlegen kann und mit wem nicht. Schließlich bin ich lange genug in diesem verdammten Business. Und ich gedenke es auch weiterhin zu bleiben. Bis zum letzten Atemzug, wenn du es genau wissen möchtest. Also, sieh zu, dass du Clara Bodenstein überzeugst. Ich will, dass sie meine Biografie schreibt«, forderte sie lautstark.
Mark seufzte. »Okay«, gab er sich geschlagen. »Ich versuche es.«
»Das reicht mir aber nicht. Ich will sie. Und nur sie. Hast du mich verstanden?«
»Ach, Jackie«, sagte Mark. »Wenn du schon in ein Wespennest stichst, dann aber gleich mitten hinein. Deine Promi-Geschichten und Clara Bodensteins gnadenlose Schreibe … Ich hoffe nur, dass ich in diesem Teufelswerk nicht erwähnt werde.«
»Teufelinnenwerk, mein Lieber, Teufelinnen. Mal sehen. Wenn du artig bist und mir die Bodenstein als Autorin verschaffst, könnte ich eventuell auf eine Erwähnung deiner ohnehin etwas farblosen Person verzichten.«
»Danke.« Mark schluckte.
»Ich meine es ernst.«
»Das war mir klar. Ich kenne dich schon länger.«
»Sobald die Bodenstein unterschrieben hat, soll die neue PR-Tante die Öffentlichkeit informieren, dass ich mit der Chefredakteurin der UP an meiner Biografie arbeite. Also hopp, hopp, mein Lieber! An die Arbeit! Und halte mich gefälligst auf dem Laufenden.«
»Du ziehst das also wirklich durch?«
»Volles Programm, Mark. Und ich werde es genießen, mit anzusehen, wie gewisse Leute zittern. Aus Angst vor der Wahrheit.« Die Vorstellung schien Jackie prächtig zu amüsieren.
Mark hingegen jagte ihr boshaftes, kehliges Lachen unbehagliche Schauer über den Rücken. Vielleicht war es an der Zeit, Jackie loszuwerden, überlegte er, nachdem das Telefongespräch beendet war. Mittlerweile vertrat er mit seiner Agentur etliche bekannte Namen, die alle gutes Geld im Film- und Fernsehgeschäft verdienten. Darunter auch ein paar vielversprechende Nachwuchstalente, die ihm besonders am Herzen lagen. Schließlich waren es die Stars von morgen, die mit ihren künftigen Gagen dafür sorgen würden, dass er von seinem Zehn-Prozent-Anteil auch später ein angenehmes Leben führen konnte. Ob er es riskieren konnte, sein bisheriges Zugpferd Jackie Benz zu verlieren? Oder war es dafür zu früh?
Wieder einmal beschloss Mark, diese schwierige Entscheidung zu vertagen. Stattdessen drückte er die Taste auf der Telefonanlage, die ihn mit seiner Sekretärin im Vorzimmer verband. Wenngleich sie mittlerweile an die 50 sein musste, war Fanny immer noch sein Mädchen für alles. »Bring mir doch bitte einen doppelten Espresso«, sagte er und ließ sich erschöpft auf seinen Lederstuhl fallen.
»Kommt sofort«, antwortete die vertraute Stimme aus dem Vorzimmer, die wie meistens resolut und fürsorglich zugleich klang.
Mark griff erneut zum Telefon, diesmal, um Katrin Schäfer anzurufen. Er kannte die kluge, unscheinbare Katrin von früher, als sie mit seinem ehemaligen Kommilitonen und Mitbewohner liiert gewesen war. Seit ein paar Jahren war sie Cheflektorin im Ettinghaus-Verlag. Jenem Verlag, der die meisten Prominenten-Biografien in Deutschland veröffentlichte. Und deren Geschäftsführerin seit Tagen vermisst wurde.
Vielleicht war Mona Ettinghaus einfach nur untergetaucht? Mit einem neuen Lover. So etwas kam schließlich auch in besseren Kreisen vor. Oder war sie doch entführt worden? Aber warum gab es dann keine Lösegeldforderung? Vielleicht war bei der Entführung irgendetwas schiefgelaufen, sinnierte Mark, während er in der Warteschleife des Verlages hing. Er würde Fanny bitten, ihn mit Katrin zu verbinden, wenn sie ihm den Kaffee brachte. Er wollte schon auflegen, als eine Frauenstimme seine Gedanken unterbrach.
»Sie möchten Frau Schäfer sprechen?«
Mark bejahte.
»Einen kurzen Moment noch, bitte.«
Niemand würde Clara Bodenstein ein Projekt besser verkaufen können als Katrin, die als ihre Busenfreundin galt, kehrte er gedanklich zum Grund für seinen Anruf zurück. Freilich hätte er die attraktive, aber arrogante Chefredakteurin des UP-Magazins selbst kontaktieren können. Er kannte sie ja von diversen Medienevents und Filmpreisverleihungen. Doch Clara Bodenstein löste jedes Mal eine Unsicherheit in ihm aus, wie er sie zuletzt als Halbstarker empfunden hatte.
Wann immer sie sich begegneten, schien sie ihn nicht einmal wahrzunehmen. Als wäre er Luft für sie. Der Umweg über Katrin Schäfer war eindeutig die bessere Strategie, um die Klatschtante der Nation für Jackies Skandalbiografie zu gewinnen, glaubte Mark. Und damit sollte er wie so oft auf das richtige Pferd setzen.
Katrin saß im Berliner Promilokal Darius und blätterte in der UP. Das konnte doch nicht wahr sein! Henning Bach ein Vergewaltiger? Oder besser, ein mutmaßlicher Vergewaltiger. »Mutmaßlich«, murmelte sie geringschätzig vor sich hin. Dieses unscheinbare Wort vor der eigentlichen Anschuldigung mochte rechtlich gesehen zwar den großen Unterschied machen, die Leser dieses Klatschblatts würden davon jedoch kaum Notiz nehmen. Unterm Strich wurde lediglich wahrgenommen, dass Bach ein Gewaltverbrechen begangen hatte. Und die Tat würde den bisherigen Publikumsliebling für den Rest seines Lebens verfolgen. Ob er sie nun begangen hatte oder nicht, dachte sie wütend. Ihre beste Freundin hatte wieder einmal zugeschlagen. Und Bach lag womöglich für immer am Boden. Sollte er diese Sandra S. tatsächlich vergewaltigt haben, ging sein K. o. zwar okay, doch Katrin war der Meinung, dass der Mann zuerst einmal gerichtlich verurteilt werden sollte, bevor ihn die Medien fertigmachten. »Im Zweifelsfall für den Angeklagten«, hatte vielleicht früher einmal gegolten, bevor journalistische Arbeit ausschließlich an verkauften Auflagen respektive Quoten gemessen wurde. Es war zum Kotzen. Claras Artikel war zum Kotzen. Und ihr selbst war auch zum Kotzen zumute.
Angewidert steckte Katrin das bunte Klatschblatt in ihren cognacbraunen, auf antik getrimmten Lederbeutel, den sie bei der letzten Shoppingtour mit Clara erstanden hatte. Eigentlich war sie gar nicht der Typ für derlei modische Eskapaden, aber Clara hatte sie zum Kauf des Must-haves dieser Saison überredet. Das trendige Teil war dementsprechend kostspielig gewesen. Viel zu teuer für ihren Geschmack. Katrin hatte noch immer ein schlechtes Gewissen, wenn sie an die hohe dreistellige Summe dachte, die von ihrem Konto für eine einzige dämliche Handtasche abgebucht worden war. Der braune Beutel, der im Laden gegenüber für 69,90 Euro angeboten wurde, hätte es von ihr aus auch getan. Doch Clara war der Meinung, dass sie sich ruhig etwas Luxus gönnen sollte. Schließlich konnte sie sich ein solches Designerteil durchaus ab und zu leisten. Damit hatte die Freundin nicht unrecht.
Katrin beobachtete, wie Clara am Eingang den Regenschirm zuklappte und aus ihrem grellbunten Pucci-Regenmantel schlüpfte. Nachdem sie beides an der Garderobe abgegeben und den Raum auf bekannte Gesichter gescannt hatte, näherte sie sich lächelnd ihrem Tisch. Unterwegs nickte sie einer Männerrunde zu. Am Nebentisch hielt sie kurz an, um mit der Frau im dunkelroten Businesskostüm und deren Begleiter ein paar Worte zu wechseln. Katrin kannte keines der beiden Gesichter. Aber anscheinend waren sie wichtig. Sonst hätte Clara sie nicht begrüßt.
»Katinka! Wie schaust du denn drein? Hat dir das Wetter auf die Psyche geschlagen?« Die Freundin nahm ihr gegenüber am schlicht gedeckten Zweiertisch aus massivem Nussholz Platz. Den hatte Katrin nur deshalb so kurzfristig ergattert, weil sie ihn für Clara Bodenstein hatte reservieren lassen. Für die Chefredakteurin der UP fand sich immer und überall ein Plätzchen. Selbst im Darius, dem angesagtesten Restaurant der Stadt, das seit seiner Eröffnung vor einem Dreivierteljahr nahezu lückenlos ausgebucht war.
Clara nannte die schicke Location ihr zweites Büro. Schließlich gaben sich hier die Promis die Klinke in die Hand, von denen die Society-Reporterin gut lebte, und die umgekehrt von ihr lebten. Jedenfalls solange sie bei ihr nicht in Ungnade fielen, wie zuletzt Henning Bach.
Auch der Besitzer des Restaurants, Darius Schneyder, der sich zuvor als Caterer beim Film einen Namen gemacht hatte, wusste, dass Leute wie Clara Bodenstein über Erfolg oder Niederlage entschieden. Für sie konnte er jederzeit einen Tisch freimachen.
»Mir geht’s prima, danke«, antwortete Katrin beiläufig.
»Ich glaube dir kein Wort.« Clara heftete ihren Blick auf die breite schwarze Wandtafel hinter der Bar. Die schwungvolle Kreideschrift pries Darius’ wohlklingende Tagesspezialitäten an.
»Alles ist bestens«, versicherte Katrin wenig überzeugend.
»Na, komm schon. Was ist los mit dir? Weshalb wolltest du mich so dringend unter vier Augen sprechen?«
Ihrer besten Freundin konnte Katrin nichts vormachen. »Na schön. Ich bin vielleicht ein wenig überarbeitet. Und außerdem schlecht gelaunt«, gestand sie Clara. Ob sie ihr an den Kopf werfen sollte, dass ihr moralisch bedenklicher Artikel über Henning Bach der eigentliche Grund für ihre miese Laune war? Nein. Es war nicht der geeignete Zeitpunkt, eine Grundsatzdiskussion anzuzetteln. Die konnte getrost ein andermal stattfinden, beschloss Katrin.
Die Aufmerksamkeit ihres Gegenübers galt ohnehin längst dem prominenten, viel zu schönen Mann am anderen Ende des Speisesaals, der freundlich herüberwinkte. Clara nickte lächelnd zurück. Das blutjunge tschechische Topmodel an seiner Seite schickte ihr makelloses10.000-Euro-pro-Tag-Strahlen hinterher.
»Sieh mal an. Ben Schlesinger mit der Kouskova. Unser Filmbeau hat gerade die Hauptrolle in einem mega Filmprojekt neben der Benz ergattert. Sie drehen ab Mai auf Mallorca. Der Reimann wird Regie führen.« Clara war wie immer gut informiert.
»Sie drehen Straße ohne Schatten. Ich weiß«, erwiderte Katrin, gelassen an einem Stück Oliven-Ciabatta kauend.
»Ach! Straße ohne Schatten?Woher weißt du das, bitte schön?« Clara sah der Freundin zum ersten Mal an diesem Tag länger als drei Sekunden in die Augen.
»Erkläre ich dir gleich. Lass uns zuerst bestellen. Ich bin ein wenig in Eile.« Katrin winkte den Kellner herbei.
»Jetzt red schon! Woher weißt du von diesem Film?« Clara rutschte auf ihrem Sessel nach vorn.
Der Kellner unterbrach ihr Gespräch, um die Bestellung aufzunehmen. Erst nachdem er verschwunden war, rückte Katrin endlich mit ihrem Anliegen heraus. »Ich habe dir ein interessantes Angebot zu unterbreiten.«
»Ach ja? Und welches?« Wenn die Neugierde einen Namen hatte, dann hieß sie Clara Bodenstein.
Katrin rutschte ebenfalls auf ihrem Stuhl nach vorn, damit Clara sie im akustischen Tohuwabohu des voll besetzten Speisesaals auch mit leiser Stimme hören konnte, ohne dass der Nachbartisch alles mitbekam. Immerhin war diese Angelegenheit topsecret. »Jackie Benz möchte ihre Biografie veröffentlichen. Und sie möchte, dass du sie schreibst«, verkündete Katrin ohne Umschweife.
Clara sah sie verblüfft an, als der Kellner die Getränke vor ihnen abgestellt hatte.
Gespannt wartete Katrin auf eine Reaktion, während sie selbst an ihrem Apfelsaft nippte. Jackie Benz’ Biografie war zweifellos ein programmierter Bestseller. Erst recht, wenn es gelang, den schillernden Filmstar und die Königin des Boulevards zusammenzuspannen. Was für den Ettinghaus-Verlag ein starker Umsatzbringer war, konnte für Katrin zu einem Meilenstein in ihrer Karriere werden. Dann nämlich würde vielleicht auch Monas schnöseliger Bruder bemerken, welches Potenzial in ihr schlummerte. Seit Monas Verschwinden hatte er das Ruder in der Firma übernommen. Von seiner Schwester gab es noch immer kein Lebenszeichen. Besonders betroffen wirkte er jedoch nicht. Oder er konnte seine Gefühle gut verbergen.
»Du meinst, ich soll für Jackie Benz die Ghostwriterin spielen?« Clara hatte die erste Überraschung verdaut und nippte an ihrem Melonensaft.
»Du wärst selbstverständlich offiziell die Autorin, falls du dieses Angebot annimmst.«
»Wie kommt sie bloß auf mich?« Clara tat, als wäre diese Idee völlig absurd.
»Sie mag eben deinen Stil. Diese unverblümt ironische Schreibe, mit der du die Leute fertigmachst, amüsiert sie.«
»Hat sie das so gesagt?« Clara fühlte sich geschmeichelt. Immerhin kam das Angebot von keiner Geringeren als der Benz. Und sie wollte ausgerechnet mit ihr zusammenarbeiten.
»So hat es ihr Agent formuliert«, erwiderte Katrin.
»Dieser langweilige Typ. Dieser … wie heißt er doch gleich noch mal? Mike, nein. Mark Soundso …«
»Mark Konrad. Der ist doch nicht langweilig. Ich finde ihn sehr nett.«
»Sehr nett … Na ja, wenn dir das reicht«, lästerte Clara.
»Ich will ihn doch nicht heiraten. Ich kenne Mark schon ewig. Er hat damals mit Klaus zusammen in der WG gewohnt. Ich hab dir doch von ihm erzählt?«
»Von Klaus, deinem peinlichen Lover? Ja, das hast du. Wie könnte ich den bloß vergessen?« Clara grinste. »Ich weiß natürlich, wer Mark Konrad ist«, fuhr sie fort. »Er läuft mir öfter bei offiziellen Anlässen über den Weg. Ich kenne ihn allerdings nur flüchtig, wie man Schauspielagenten halt so kennt. Bisher hatte ich immer nur mit Jackies PR-Agentin zu tun. Weniger mit deinem Mark ...«
»Er ist nicht mein Mark«, protestierte Katrin, was Clara mit einem spöttischen Lächeln quittierte. Warum nur stieg sie immer wieder auf die Hänseleien der Freundin ein? Es war stets dasselbe Spiel, ärgerte sich Katrin über sich selbst.
»Schon gut. Komm wieder runter, Katinka.«
Katrin lächelte säuerlich, ehe sie in geschäftlichem Tonfall fortfuhr. »Jackie Benz möchte dich zu den Dreharbeiten nach Mallorca einladen. Sie meint, ihr könntet dort die Drehpausen mit den Interviews für ihre Biografie überbrücken.«
»Ich bin doch kein Pausenclown«, entgegnete Clara forsch.
»So war es bestimmt nicht gemeint. Überleg doch mal: Du wärst live vor Ort bei den Dreharbeiten zu Straße ohne Schatten. Hautnah an der Seite des größten deutschen Filmstars. Noch dazu auf Mallorca. Schönes Wetter, leckeres Essen, jede Menge Promis und du mittendrin. Das ist doch genau dein Ding.«
»Hm. Ja, vielleicht«, meinte Clara, als der Kellner die bestellten Speisen brachte.
»Mark hat angedeutet, dass Jackie ein paar Leuten gehörig an den Karren fahren wird. Anscheinend plant sie, einige brisante Details über prominente Zeitgenossen zu enthüllen.« Katrin lehnte sich entspannt in ihrem Sessel zurück. Diesen Köder würde die Freundin schlucken, war sie überzeugt. Auf Claras Neugierde war Verlass.
»Jackie plant also eine Skandalbiografie. Das klingt tatsächlich spannend.« Clara ließ das Messer durch das dunkelrote Fleisch auf ihrem Teller gleiten und kostete den ersten Bissen. »Ausgezeichnet«, lobte sie das Carpaccio, genüsslich kauend.
»Das wird ganz bestimmt spannend. Eine solche Chance kannst du dir doch nicht entgehen lassen«, meinte Katrin aufgeregt. Ihre schlechte Laune von vorhin war verflogen.
»Gib mir ein paar Tage Zeit, um darüber nachzudenken. Außerdem muss ich erst mit Jan abklären, ob sich dieses Projekt mit meiner Position im Verlag vereinbaren lässt. Ich müsste mir dann wohl ein paar Wochen Urlaub nehmen«, überlegte Clara laut.
»Lass dir bitte nicht zu lange Zeit. Jackie scheint es eilig zu haben. Ich muss Mark deine Entscheidung spätestens in einer Woche mitteilen. Oder eine andere Autorin vorschlagen.«
Clara zog eine Augenbraue hoch. Sie hasste Ultimaten. Zumindest, wenn sie ihr gestellt wurden.
Das wusste Katrin ganz genau. »Jackie bietet dir 50 Prozent ihrer Tantiemen an. Das ist mehr als fair von ihr. Du könntest dir mit diesem Buch ein hübsches Sümmchen verdienen«, beeilte sie sich fortzufahren. »Dein Anteil am Vorschuss beträgt 20.000 Euro.«
Claras Augenbraue wanderte erneut kurz nach oben. »Ich sagte doch: Gib mir das Wochenende Zeit. Sollte ich mich dafür entscheiden, rede ich am Montag mit Decker. Und rufe dich danach gleich an.«
Katrin warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und schob ihren leeren Teller beiseite. Vorerst konnte sie nichts mehr tun. »Darf ich dir das Geld für mein Essen dalassen? Ich muss dringend ins Büro zurück.«
»Ich übernehme das schon. Geh nur.«
»Sicher?«
»Ja, klar. Geh ruhig.«
»Danke. Bis bald, Clara. Wie wär’s am Sonntag mit Kino?«
»Daraus wird leider nichts. Ich muss am Wochenende arbeiten.«
»Schade. Aber du denkst über mein Angebot nach, ja?«
»Ja-a«, betonte Clara genervt.
»Prima.« Katrin küsste die Freundin auf die Wangen und eilte zur Garderobe, um wenig später in ihrem alten beigen Wohlfühltrenchcoat aus dem Lokal zu hasten.
Clara bestellte einen Espresso und verlangte nach der Rechnung. Die Quittung steckte sie in ihre schwarze Kelly Bag, für die es jahrelange Wartelisten gab. Das sündhaft teure Stück verdankte sie einer einflussreichen New Yorker Galeristin, für deren Filialeröffnung in Berlin sie einige Promis zusammengetrommelt hatte, um anschließend in der UP über das Event zu berichten. Clara hatte jedoch darauf bestanden, die Handtasche selbst zu bezahlen, damit man ihr ja keine Bestechung vorwerfen konnte und sie nicht erpressbar war.
»Danke schön, Frau Bodenstein. Ich hoffe, es war alles zu Ihrer Zufriedenheit«, meinte die Empfangschefin, die Clara in den Mantel half.
»Es war wie immer großartig. Meine Empfehlung an den Chef.«
Das Carpaccio vom Wagyu-Rind mit jungen Löwenzahnblättern und würzigen Grana-Raspeln an extra jungfräulichem toskanischem Olivenöl hatte, wie fast alles, was aus Darius Schneyders Küche stammte, sterneverdächtig geschmeckt. Clara beschloss, ihn dafür in einer der nächsten UP-Ausgaben lobend zu erwähnen. Der begnadete Koch, der wie sie aus Wien stammte, hatte es redlich verdient.
Montag, 4. Juni 2007
Clara saß in der Morgenmaschine der Air-Berlin nach Palma de Mallorca, die den Flughafen Tegel mit über einer Stunde Verspätung verlassen hatte, und nippte an ihrem Tomatensaft. Warum sie ausgerechnet im Flugzeug immer wieder die Lust auf diesen Gemüsedrink überkam, wie so viele andere Passagiere auch, hatte sie erst neulich wo gelesen. Der niedrige Luftdruck in Flughöhe beeinflusste das Geschmacksempfinden. Salz und Zucker wurden weniger stark wahrgenommen. Das fruchtige Aroma von Tomaten blieb hingegen stabiler und schmeckte intensiver. Clara stellte den halb vollen Plastikbecher auf ihrem Klapptischchen ab.
Jan Decker hatte nur kurz gezögert, als sie ihm vor drei Monaten von Jackies verlockendem Angebot erzählt hatte. Schließlich hatte er ihr sogar zugeredet, diese einmalige Chance wahrzunehmen. Sie waren übereingekommen, dass Clara sich für zwei der insgesamt vier Wochen ihres Aufenthalts auf Mallorca Urlaub nehmen würde. Die restlichen Arbeitstage zählten als geschäftlicher Auslandseinsatz. Dafür musste Clara der UP Exklusivberichte von den Dreharbeiten liefern.
Die Tatsache, dass die nicht gerade als zimperlich verschriene Chefredakteurin des meistgelesenen Klatschmagazins Jackie Benz’ Biografie schreiben würde, war in den letzten Wochen in den konzerneigenen Medien ausgeschlachtet worden, was die Auflagen erfreulicherweise in die Höhe getrieben hatte. Clara hatte der Öffentlichkeit einen gewagten Blick hinter die Kulissen der Filmbranche angekündigt, gespickt mit persönlichen, amüsanten bis skandalträchtigen Anekdoten der Diva. Und sie plante ihr Versprechen zu halten, auch wenn sie damit den einen oder anderen Prominenten ans Messer liefern würde. Die sensationshungrige Klatsch- und Tratschgemeinde wartete schon begierig darauf, was oder besser wen sie da demnächst verschlingen würde.
Die einzigen Bedenken hatte Clara wegen Jackies berüchtigter Launen. Sie konnte mit Allüren nicht besonders gut umgehen, schon gar nicht, wenn sie diesen über einen längeren Zeitraum hinweg ausgesetzt war. Bisher war die Schauspielerin ihr gegenüber stets freundlich, für einen Star ihres Kalibers beinahe pflegeleicht gewesen. Doch wer wusste schon, wie das bei enger Zusammenarbeit aussehen würde? Hoffentlich packte die Diva nicht ihre gefürchteten Zicken aus. Andererseits war Clara die Chefredakteurin der UP und die Benz lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass sie auch in Zukunft auf ihr Wohlwollen angewiesen war. Ohne Medien mochte sie eine gute Schauspielerin sein, doch gewiss keine Celebrity, der ein Millionenpublikum zu Füßen lag. Schlussendlich bestimmte die Öffentlichkeit ihren Marktwert, und Jackie war clever genug, um sich mit der Journaille zu arrangieren. Auch mit der unbestechlichen Clara Bodenstein.
Kurz bevor der Airbus A320 auf der Landepiste aufsetzte, erhaschte Clara von ihrem Gangplatz aus einen Blick aus dem Fenster. Erfreut stellte sie fest, dass die Sonne auch unterhalb der Wolkengrenze vom mallorquinischen Himmel schien. Nach ziemlich ruppiger Landung bremste der Pilot die Maschine herunter. Einige Passagiere klatschten Beifall, was Clara ein genervtes Augenrollen entlockte, das alsbald in ein zauberhaftes Clara-Bodenstein-Lächeln überging. Jetzt, da sie in Palma gelandet war, freute sie sich so richtig auf die neue Herausforderung. Clara liebte ihren Job bei der UP und hatte im Verlag noch einiges vor, aber ein Buch zu schreiben war die Erfüllung eines lang gehegten Traums. Ihre Autorenkarriere hatte sie zwar erst für einen späteren Zeitpunkt geplant, aber wenn es sich jetzt schon ergab, umso besser. Sie brannte darauf, Jackie Benz’ Biografie zu schreiben. Und Mallorca war allemal eine willkommene Abwechslung. Überhaupt, wo es in diesem Jahr in Berlin einfach nicht warm werden wollte.
Jackies Fahrer erwartete Clara am Flughafen, um sie zum geheimen Filmset zu bringen, wo in den nächsten Wochen der 90-Minüter Straße ohne Schatten gedreht werden sollte. Drei Wochen lang hatte die Crew bereits in der Inselhauptstadt Palma de Mallorca gearbeitet. Ab sofort diente eine Finca als Location, die irgendwo im Hinterland in der Nähe von Pollença vor den südlichen Ausläufern der Serra de Tramuntana lag. Mehr wusste Clara nicht.
Conny Krämer, die übervorsichtige Produktionsleiterin der Filmproduktion hatte befürchtet, dass sie den Drehort in der UP verraten und damit schaulustige Touristen anlocken könnte, was Clara reichlich paranoid fand. Immerhin hatte sie sich vertraglich verpflichtet, ihre Exklusivberichte von den Dreharbeiten erst nach Drehschluss zu veröffentlichen, zudem ausschließlich die Bilder des Set-Fotografen zu verwenden. Schon ein merkwürdiges Völkchen, diese Filmleute, dachte Clara, ohne zu wissen, wie recht sie damit hatte.
Während sie im Fond der Mercedes-Limousine Platz nahm, hievte der untersetzte Fahrer namens Pedro ihren riesigen knallroten Koffer unter wildem, katalanischem Fluchen in den Kofferraum. Wieder einmal hatte Clara viel zu viel eingepackt. Wer wusste schon, was man um diese Jahreszeit bei einem Filmdreh im gebirgigen Norden Mallorcas benötigte? Vier Paar High Heels waren vermutlich ein wenig übertrieben, aber es konnte ja keinesfalls schaden, auch outfitmäßig auf alles vorbereitet zu sein.
Im Wagen zückte Pedro ein blassblaues Baumwolltaschentuch. Schnaufend wischte er sich damit den Schweiß von der Stirn und aus dem wulstigen Nacken und startete den Motor.