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»Es ist nicht anders: ich bin den Okkultisten in die Hände gefallen.« Dieses ironische Eingeständnis bildet den Auftakt zur Beschreibung von drei Séancen, an denen Thomas Mann auf Einladung des Hypnoseforschers Albert von Schrenck-Notzing im Dezember 1922 teilgenommen hat. Dass sich hier bereits das Kapitel ›Fragwürdigstes‹ aus dem ›Zauberberg‹ vorbereitet, ist unverkennbar. Die drei Berichte wurden in Schrenck-Notzings Buch ›Experimente der Fernbewegung (Telekinese) im Psychologischen Institut der Münchener Universität und im Laboratorium des Verfassers‹ 1924 veröffentlicht und bilden die Grundlage für Manns Essay ›Okkulte Erlebnisse‹ (1923).
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Seitenzahl: 26
Thomas Mann
[Drei Berichte über okkultistische Sitzungen]
Essay/s
Fischer e-books
In der Textfassung derGroßen kommentierten Frankfurter Ausgabe(GKFA)Mit Daten zu Leben und Werk
München den 21.XII.22.
Poschingerstrasse 1.
Sehr verehrter Baron Schrenck:
Auf Ihren Wunsch fixiere ich kurz, was ich gestern bei unsrer Sitzung mit dem Medium Willi S. gesehen.
Nach meinem Eintritt in Ihr Empfangszimmer mit den übrigen Teilnehmern bekannt gemacht, liess ich es mir angelegen sein, auch den jungen Willi zu begrüssen und einige Worte mit ihm zu wechseln, teils um ihn merken zu lassen, dass kein Feind und böser Aufpasser in mir sich eingefunden habe, teils um einen Eindruck von seiner Persönlichkeit zu gewinnen. Ich fand einen etwa Zwanzigjährigen von offenbar ziemlich schlichter Herkunft, süddeutsch-österreichischen Dialekts und von anständig-freundlichem Wesen, der aber kein Bedürfnis verrät, durch eifriges Entgegenkommen und wortreiche Höflichkeit für sich einzunehmen. Abseits von der Gesellschaft sich haltend und beim Antworten auf sachliche Erkundigungen eher einsilbig, schien er sich im Zustand einer gewissen Spannung und unterdrückten Erregung befangen, einer Art von »Lampenfieber« offenbar, das mir auf seinen Gipfel zu kommen schien, als er zur Sitzung Toilette machte. Sie gaben mir vorher Gelegenheit, mich im anstossenden Experimentierraum umzusehen und das von diesem Zimmer durch einen Vorhang abgeteilte Kabinett zu untersuchen. Darauf nahm ich an der Kontrolle des Mediums beim Umkleiden teil und überzeugte mich, dass an dem schwarzen Trikot, den W. S. anlegte, und dem schwarzseidenen wattierten und mit Streifen {588}aus Leuchtstoff versehenen Schlafrock, den er darüberzog, keinerlei Vorkehrung getroffen war, die zur Täuschung der Beobachter hätte dienen können. Auch W.’s Mundhöhle wurde untersucht. Die Gesellschaft ging dann in den Sitzungsraum hinüber.
Man nahm auf Stühlen vor dem geschlossenen Kabinett in einem ungefähren Dreiviertelskreise Platz, an dessen einem Ende das Medium gegenüber den beiden Kontroll-Herren sass. Zwei Personen blieben ausserhalb der Kette, auf Rückplätzen.
Mein Sitz war in unmittelbarer Nähe des Mediums und der es kontrollierenden Herren, über deren Methode ich mich zuvor unterrichtet hatte: Sie, Baron Schrenck, waren mir beim praktischen Ausprobieren der Ueberwachung behilflich gewesen. Sie besteht darin, dass einer der Kontrollierenden die geschlossenen Füsse, Unterschenkel und Knie des Mediums zwischen seine eigenen nimmt und dessen Handgelenke mit den Händen umfasst, während der andere die Handballen hält. Die Figur des Mediums blieb mir vermöge der an seinem Kopf und seinem Rock angebrachten Leuchtstreifen während der ganzen Dauer der Sitzung in ihren Hauptumrissen sichtbar. Das Einstecken von Leuchtnadeln in den unteren Teil des Rokkes geschah auf W.’s besondere Mahnung.
Es wird nun das Weisslicht ausgeschaltet und durch Kontaktnahme mit den Nachbarn Kette gebildet. Der Raum ist schwach rötlich erleuchtet durch eine rot und schwarz abgeblendete Deckenlampe und ein rotes Tischlämpchen. Eine Spieldose wird in Gang gesetzt. Man unterhält sich.
Wenige Minuten nach Eintritt der Rotdunkelheit melden die Kontrollierenden Trance-Zustand des Mediums. Nach meiner Beobachtung setzt dieser Zustand mit einem plötzlichen kurzen und heftigen Zusammenzucken ein, das von andauernden stossenden Bewegungen des Oberkörpers nach {589}