Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Drei Fantasy-Romane des Gorian- und Elben-Autors Dieses Ebook beinhaltet die Alfred Bekker-Romane "Das Schiff der Orks", "Keduan - Planet der Drachen" und "Nebelwelt". (399) Der Umfang dieses Buchs entspricht 464 Taschenbuchseiten. Drei frühe Fantasy-Romane des Gorian- und Elben-Autors. Dieses Buch enthält folgende drei Romane: Das Schiff der Orks/ Keduan - Planet der Drachen/ Nebelwelt – Das Buch Whuon. Das Schiff der Orks: Ein Schiff voller wilder Orks auf der Suche nach Gold und Glück! NEBELWELT - Das Buch Whuon: Thagon, der Magier von Aruba, beschwört die Schattenkreaturen der Hölle. Grausige, orkähnliche Schattenkreaturen und Wolfskrieger stehen in seinem Dienst. Schonungslos greift er nach der Macht in den Reichen der Menschen, indem er deren Herrscher durch willfährige Doppelgänger zu ersetzen versucht. Der Barbar Whuon und seine Gefährten treten ihm entgegen - und werden bald selbst zu Gejagten... KEDUAN - PLANET DER DRACHEN: Der interstellare Konzern-Ranger Gordon wird nach Keduan geschickt, auf den Planet der Drachenreiter, wo jegliche Fortbewegung mit Hilfe von Maschinen aus religiösen Gründen verboten ist.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 553
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Alfred Bekker (alias John Devlin)
Drachen, Orks & Magier
Drei frühe Fantasy-Romane des Autors von
© 1977, 2002 und 2010 by Alfred Bekker
www.alfredbekker.de
All rights reserved
Ein CassiopeiaPress Ebook
Ausgabejahr dieser Edition: 2010
1. digitale Auflage 2015 Zeilenwert GmbH
ISBN 9783956173615
Cover
Titel
Impressum
DAS SCHIFF DER ORKS
Prolog
NEBELWELT
ERSTES BUCH DER LETZTE MAGIER
1. Die Stadt der Magier
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
ZWEITES BUCH DAS SCHATTENWESEN
1.
2.
3.
4.
KEDUAN – PLANET DER DRACHEN
Alfred Bekker
(John Devlin)
Fantasy-Roman
©2002, 2005 und 2010 bei Alfred Bekker
www.alfredbekker.de
Ein CassiopeiaPress-E-Book
Alle Rechte vorbehalten
Ein hochgewachsener Mann in dunkler Kutte, deren Kapuze tief ins Gesicht gezogen war, ging durch die verfallenden Straßen des nächtlichen Ardassa. Die Ruinenstadt stellte heute nur einen Abklatsch früherer Größe dar. War sie einst die zweite Hauptstadt des Reiches der Meeresherrscher gewesen, so wurde sie jetzt von dem sagenumwobenen Bettlerkönig beherrscht, der seine Anhänger in alle Welt aussandte. Einst, zur Zeit des Reiches der relianischen Meeresherrscher, war Ardassa eine Weltstadt gewesen. Jetzt rochen ihre zerbröckelnden Mauern nach Moder und eine Aura des Verfalls hatte sich dieses Ortes bemächtigt. Ardassa bot dem Gesindel der gesamten Hemisphäre Unterschlupf. Piraten und Ausgestoßene trafen sich hier, Sonderlinge, Propheten verschrobener Kulte und Gelehrte, deren Lehren andernorts als Ketzerei galten.
Wie ein Schatten wirkte der Kuttenmann.
Das Licht des fahlen Mondes drang nicht in das Dunkel, das seine Kapuze erfüllte.
Von seinem Gesicht war nichts zu sehen.
Eiligen Schritte und fast lautlos ging er durch die engen, finsteren Gassen. Lärm, Musik und zänkisches Stimmengewirr drang aus den vereinzelten Schänken.
Hier und da wurde eine Tür oder ein Fenster geöffnet und für kurze Augenblicke drang etwas Licht in die Finsternis der Straßen Ardassas. Die Schritte des Kuttenträgers waren schnell und zielstrebig. Er schien sehr genau zu wissen, wo sein Ziel lag.
Die sich nähernden kehligen Stimmen einiger Männer ließen ihn aufhorchen, als er in eine weitere Gasse bog.
Drei lärmende Männer kamen ihm entgegen, die offenbar schon einiges getrunken hatten. Seeleute irgendeines Piratenschiffs.
Der Kapuzenmann verbarg sich im Schatten einer Türnische und ließ die drei vorbeiziehen. Sie waren zu betrunken, um ihn zu bemerken. Dann setzte er seinen Weg fort.
Vor der hölzernen Tür eines zweigeschossigen Hauses blieb er stehen. Er benutzte den Schlagring, um anzuklopfen.
Zunächst erfolgte keinerlei Reaktion. Erst nach dem zweiten Versuch öffnete ein alter, gebeugter Mann mit wirren weißen Haaren und einem dünnen Bart.
"Wer seid Ihr?", fragte der Alte.
"Einer, der mit dem Gelehrten Atamandrimedes zu sprechen wünscht!", war die Antwort des Kuttenträgers. Er sprach leise und mit tiefer, etwas rauer Stimme. Es klang beinahe wie ein düsteres Flüstern. Er sprach zwar Bryséisch, aber mit einem eigentümlichen Akzent, der keinen Zweifel daran ließ, dass er aus einem anderen Teil der Welt stammen musste.
Der Alte runzelte die Stirn.
"Ich bin Atamandrimedes", erklärte er.
"So lass mich eintreten. Ich habe mit Euch über eine Schriftrolle zu reden, die sich gegenwärtig in Eurem Besitz befindet, Atamandrimedes."
"Ich weiß nicht, wovon Ihr redet!", erwiderte der Gelehrte. Eigentlich widerstrebte es ihm ganz offensichtlich, diesen Fremden hereinzulassen.
Aber der Kuttenmann setzte einfach einen Fuß nach vorn. Zwei Schritte und er stand in dem spärlich beleuchteten Haus. Kerzenlicht flackerte in der Zugluft. Mit dem Absatz gab der Kuttenträger der Tür einen Stoß, sodass sie zurück ins Schloss fiel.
Atamandrimedes wich zurück.
Der Kuttenträger schob den Riegel vor die Tür.
"Es ist viel Gesindel in der Stadt", erklärte er dazu.
"Jetzt sag mir, was Ihr wollt, Fremder!", forderte Atamandrimedes jetzt unmissverständlich.
Aber ein angstvolles Zittern schwang in seiner Stimme mit. Sie hatte einen leicht vibrierenden Klang, drohte sich zu überschlagen. Der Gelehrte schluckte. Der Kuttenträger legte seine Kapuze zurück. Das hagere Gesicht eines grauhaarigen, bärtigen Mannes wurde sichtbar. Der Teint war dunkel. Und der Blick der dunklen, beinahe schwarzen Augen hatte eine geradezu hypnotische Intensität, die Atamandrimedes unwillkürlich erschauern ließ. Nie zuvor war ihm ein vergleichbarer Blick begegnet.
"Verzeiht meine Unhöflichkeit", sagte der Kuttenträger schließlich nach einer längeren Pause des Schweigens. "Mein Name ist An-Shar. Und genau wie ihr habe ich Jahre meines Lebens dem Studium der Magie und der alten Schriften gewidmet."
"Ich habe Euren Namen noch nie zuvor gehört", meinte Atamandrimedes stirnrunzelnd.
Ein dünnes Lächeln spielte um An-Shars Lippen.
"Das ist gut möglich", sagte er und hob dabei die Schultern. "Ich bin hier, um mit Euch über eine Schrift zu sprechen, die über verschlungene Pfade in Euren Besitz gelangt ist …"
"Oh, das gilt gewiss für viele Schriften, die ich in meiner Privatbibliothek im Laufe vieler Jahrzehnte gesammelt habe!", erwiderte Atamandrimedes.
"Ich spreche von der Rolle der geheimen Worte …" Atamandrimedes schluckte. Er öffnete halb den Mund, so als wollte er etwas erwidern. Aber kein einziges Wort kam über seine Lippen.
"Ich bin nicht im Besitz dieser Rolle!", behauptete er schließlich und wich noch ein paar Schritte weiter vor dem Fremden, der sich An-Shar genannt hatte, zurück.
Dessen Stimme bekam jetzt einen bedrohlichen Unterton.
"Jahre schon jage ich dieser Schrift hinterher, habe jede Station ihres Aufenthalts verfolgt, bin ihr über Meere und Kontinente nachgereist. Ich verfolgte ihren Weg über Mokanesh und Aylonesse, über das Meer der Sieben Winde nach Bryseia. So traf ich einen Händler von zweifelhaftem Ruf, der sich mitunter wohl auch als Pirat versucht, wenn die Geschäfte schlecht gehen. Ein schmalgesichtiger Elbenoide namens Salid al-Dosi. Ich bin überzeugt davon, dass Ihr Euch an seinen Namen erinnern werdet!"
"Nein! Ich habe diesen Mann nie getroffen!"
An-Shar lächelte zynisch. "Ich glaube kaum, dass dieser Salid al-Dosi mich angelogen hat. Mir stehen nämlich sehr wirkungsvolle Methoden zur Verfügung, um die Wahrheit aus jemandem herauszuholen. Wenn Ihr versteht, was ich meine …"
Atamandrimedes versuchte, sich vor dem Kuttenträger in Sicherheit zu bringen. Aber sein Körper war von einem Augenblick zum nächsten wie gelähmt. Er vermochte sich nicht mehr zu bewegen. Alles, was er noch vermochte, war seine Augäpfel zu drehen und zu sprechen. An-Shar trat nahe an den Gelehrten heran.
Atamandrimedes starrte den Fremden entsetzt an. Für einige Augenblicke waren An-Shars Augen vollkommen schwarz. Nicht ein bisschen weiß war noch zu sehen. Diese Erscheinung verschwand allerdings schon nach einigen Momenten. "Ich verfüge über Kräfte, von denen selbst ein Mann wie Ihr keinen Begriff haben dürfte. Und jetzt zeige mir die Schriftrolle, die ich suche …"
"Nein …", krächzte der Gelehrte.
Dann begann er plötzlich zu röcheln, so als ob er keine Luft mehr bekam. Sein Gesicht verfärbte sich, wurde dunkelrot.
"Nicht …nein …", keuchte er.
Noch einmal wurden die Augen des Kuttenträgers für einen kurzen Moment vollkommen schwarz. An-Shars Gesicht verwandelte sich dabei in eine hasserfüllte, verzerrte Maske.
Atamandrimedes schrie auf.
Dann entließ An-Shar den Gelehrten aus dem Griff seiner magischen Kräfte. Atamandrimedes rang nach Luft, keuchte. Er hielt sich an der Wand fest.
"Ihr müsst ein Hexer sein, der sich der schwarzen Magie bedient!", brachte er dann hervor. "Anders kann ich mir das nicht erklären …"
"Es ist mir gleichgültig, was Ihr darüber denkt, Atamandrimedes. Mich interessiert nur die Schriftrolle. Und Ihr werdet sie mir geben." Atamandrimedes nickte. Er sah wohl ein, dass er keine Möglichkeit hatte, sich gegen das Ansinnen dieses Mannes zu wehren.
"Folgt mir, An-Shar."
Während Atamandrimedes das sagte, rieb er sich den Hals. Er führte den Kuttenträger in einen anderen, von Kerzenlicht erfüllten Raum. Der flackernde Schein ließ Schatten an den Wänden tanzen. Überall lagen alte Folianten und Schriftrollen herum.
"Wie ich sehe, habe ich Euch bei Euren Studien gestört, Meister Atamandrimedes …"
Der Gelehrte holte einen zylindrischen Behälter hervor und reichte ihn AnShar. "Die Rolle, die Sie suchen, befindet sich darin!", behauptete er. An-Shar öffnete den Behälter, holte vorsichtig die enthaltene Rolle hervor. Den Behälter ließ er zu Boden fallen. Dann entrollte er vorsichtig das Schriftstück.
Jahrelang bin ich diesem Schatz hinterhergejagt!, ging es ihm durch den Kopf. Ein Magier aus der Spätzeit des untergegangenen Reiches Ta-Tekem hatte die 'Rolle der geheimen Worte' verfasst. Eine schier unvorstellbare Irrfahrt hatte dieses Dokument anschließend hinter sich gebracht. Aber jetzt gehört es mir!, dachte An-Shar. Das letzt Stück, das mir in dem großen Mosaik noch gefehlt hat …
Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte An-Shar eine Bewegung. Atamandrimedes schnellte auf ihn zu. In seiner Rechten blitzte ein Dolch. Der Gelehrte holte zum Stoß aus.
Mitten in der Bewegung hielt er inne. Seine Hand mit der Klinge zitterte. Wie von einer unsichtbaren Kraft abgelenkt, fuhr ihm der Dolch dann selbst in die Brust. Röchelnd sank er zu Boden.
Für Sekunden waren An-Shars Augen wieder vollkommen schwarz. Er blickte zu den am Boden liegenden Gelehrten hinab.
Wie es scheint, habe ich ihn unterschätzt!, überlegte er. Atamandrimedes kannte offenbar die immense Bedeutung dieser Schriftrolle …
"Makanet Tephrenet ktogafon …", murmelte der Mann in der Kutte. Formelhafte Worte in einer längst vergessenen Sprache, die schon Äonen über keines Menschen Lippen mehr gekommen waren.
*
Wochen später …
"Bei der Streitaxt des Elben folternden Ork-Gottes!", entfuhr es Kirad Kiradssohn Elbenschlächter. "Ein bryséisches Handelsschiff! Darauf habe ich gewartet!" Der große, hässliche Kapitän und Schiffseigner stand am Bug des Ork-Langschiffs ORKZAHN. Die Gischt spritzte hoch empor, das Segel wurde von dem kräftigen Wind gebläht, der über die Meeresstraße zwischen den Küsten Relians und Bryseias wehte.
Die ORKZAHN war eine Skaid, worunter man ein orkisches Kampfschiff neuerer Bauart verstand, vierzig Meter lang, acht Meter breit und mit etwa zweihundert Kriegern bemannt. Am Bug befand sich der charakteristische Drachenkopf, der die Ork-Schiffe als Schrecken der Meere kennzeichnete.
"Es wurde Zeit, dass wir endlich auf Beute stoßen", murmelte Rraggrrorr Einauge, ein mächtiger Ork mit hässlichem Gesicht und üblen Hauern, der jetzt neben Kirad Kiradssohn getreten war. "Die Männer wurden schon unruhig." Kirads Pranke schloss sich um den Griff des Breitschwertes, das er an der Seite trug.
"Ich hoffe nur, dass dieser bryséische Segler die Mühe auch lohnt und wertvolle Fracht an Bord hat."
Rraggrrorr Einauge lachte rau.
"Wie die Barkasse eines Stadtfürsten sieht diese Nussschale nicht gerade aus, Kirad!"
Die Männer stimmten ein wildes Kriegsgeheul an.
Die ORKZAHN fuhr seitlich auf den bryséischen Segler zu, näherte sich ihm von der dem Wind zugewandten Seite. Das war Taktik. Irgendwann würde das Quadratsegel, das von dem Gaffel der ORKZAHN hing, dem bryséischen Handelssegler im wahrsten Sinn des Wortes den Wind aus den Segeln nehmen. Das Handelsschiff war ohnehin viel schwerfälliger, was die Manövrierfähigkeit anging.
Unter den Bryseiern brach offensichtlich Panik aus. Hektische Aktivität war zu beobachten. Die wirren Schreie drangen durch das Tosen der Gischt bis zu den Orksn an Bord der ORKZAHN hinüber und stachelte die Freibeuter nur noch mehr an.
"Mehr Steuerbord!", rief Kirad in Richtung von Krune Drygvarrson, dem ersten Steuermann des Drachenschiffs. "Diese fette Beute soll uns nicht entkommen."
Bogenschützen gingen in Stellung und schossen ihre Pfeile in Richtung des Handelsseglers. Manche der Pfeilspitzen schnitten in die Segel hinein, andere bohrten sich in die Körper der bryséischen Seeleute.
Erste Todesschreie gellten über das Meer.
Einige Bryseier versuchten ebenfalls mit dem Bogen zurückzuschießen. Pfeile sirrten durch die Luft. Aber kaum einer erreichte auch die ORKZAHN. Hastig und schlecht gezielt glitten die meisten von ihnen ins Wasser. Dann war die ORKZAHN bis auf wenige Meter an das Handelsschiff herangekommen.
Einer der Orks schleuderte eine Wurfaxt über die Reling des Handelsschiffs und traf einen der Bryseier mitten in der Stirn.
Die Segel des bryséischen Schiffes hingen schlaff vom Mast. Enterhaken wurden hinüber geworfen, hakten sich fest.
An dicken Tauen zogen die Krieger des Nordens den bryséischen Segler näher an ihr eigenes Schiff heran.
Gleichzeitig wurden die Segel der ORKZAHN losgelassen, so dass das Drachenschiff innerhalb weniger Augenblicke fast vollkommen die Fahrt verlor. Die ORKZAHN legte sich jetzt längsseits des bryséischen Seglers. Ein Pfeil durchdrang die Brust eines Orkss. Getroffen kippte er über die Reling der ORKZAHN hinein in die Fluten.
Doch der bryséische Schütze kam nicht mehr dazu einen zweiten Pfeil einzulegen, denn Yggron Schädelspalter hatte seine Wurfaxt herausgerissen und mit einer wuchtigen Bewegung in Richtung des Gegners geschleudert. Mitten in die Stirn wurde der bryséische Bogenschütze getroffen. Nicht einmal mehr für einen Schrei blieb ihm noch Zeit.
Für die orkischen Seefahrer gab es jetzt kein Halten mehr. Kirad Kiradssohn, der Kapitän der ORKZAHN, kletterte als einer der Ersten an Bord des bryséischen Seglers.
Dicht hinter ihm Trurbjjan Axtschwinger, der eine gewaltige Streitaxt schwang, um damit Tod und Verderben unter den bryséischen Seeleuten zu säen.
Etwas zischte durch die Luft.
Kirad duckte sich im letzten Moment. Eine scharfe, blitzende bryséische Klinge schnellte dicht über ihn hinweg.
Den nächsten Hieb parierte Kirad mit seinem eigenen Schwert. Metall schlug klirrend auf Metall.
Der Bryseier holte erneut aus, aber eher seinen Schlag wirklich anbringen konnte, hatte Kirad Kiradssohn Elbenschlächter ihm den Kopf vom Rumpf getrennt.
Überall auf dem Schiff war jetzt Waffengeklirr zu hören. Es mischte sich mit den Schreien der Sterbenden und den barbarischen Kriegsrufen der Orks. Der Übermacht der geballten Kampfkraft der Ork hatten die bryséischen Seeleute auf Dauer nichts entgegen zu setzen.
Die Verteidiger waren zum Untergang verurteilt. Einer nach dem Anderen sank blutüberströmt auf die Planken oder in die salzige See. Trurbjjan Axtschwinger ließ seine gewaltige, fast schon monströs wirkende Streitaxt kreisen.
Yggron Schädelspalter hieb mit einem einzigen Schwertstreich seinen Gegner in der Mitte durch.
Kirad drang indessen ins Innere des Schiffes vor. Es stieg eine schmale Treppe hinab, die unter Deck führte.
Ein Mann in einem dunkelroten, tunikaartigen Gewand stürmte ihm entgegen. Sein dunkles Haar kräuselte sich etwas und zeigte Ansatz zur Lockenbildung. Die eine Hand umklammerte ein langes, schlankes Schwert, die andere einen Wurfspeer. Das Gesicht dieses Mannes war zu einer Maske der Wut verzerrt. Er schleuderte seinen Speer. Kirad wich zur Seite. Nur eine Handbreit neben ihm fuhr der Speer entlang und zerschmetterte eine der Sprossen jener Holztreppe, über die Kirad soeben hinabgestiegen war.
Mit der Wucht derselben Bewegung stürzte der Bryseier nun vorwärts, ließ dabei das Schwert kreisen. Seine Hiebe folgten rasch aufeinander. Kirad vermochte sie nur mit Mühe zu parieren. Er wich aus, taumelte zu Boden.
Der Bryseier war über ihm, fasste das Schwert mit beiden Händen, um Kirad Kiradssohn Elbenschlächter den Todesstoß zu versetzen, als sich ein Pfeil in die Brust des Bryseiers bohrte.
Mit einem verständnislosen Ausdruck in den Augen sank er zu Boden. Kirad kam wieder auf die Füße. Er atmete tief durch, blickte dann hinauf zu jener Luke durch die er hinabgestiegen war.
Dort sah er das breite bärtige Gesicht von Yssgar Bogenschütze.
"Das war knapp, Kapitän", sagte Yssgar. Er stieg jetzt ebenfalls hinab, übertrat dabei die von dem Speerwurf zerstörte Sprosse.
Oben, an Deck, war der Kampflärm inzwischen abgeebbt. Die Schreie der Sterbenden verstummten.
Kirad legte Yssgar eine Hand auf die Schulter.
"Du hast etwas gut bei mir, Yssgar."
Yssgar Bogenschütze lachte dröhnend.
"Ich denke bei dieser Fahrt werden sich noch genügend Gelegenheiten ergeben bei denen du dich revanchieren kannst, Kapitän."
"Da magst du wohl recht haben", nickte Kirad.
Yssgar ließ kritisch den Blick umherschweifen.
Einige Kisten und Fässer standen in diesem Raum herum und waren durch Taue gut befestigt, damit sie während der Fahrt bei hohem Seegang nicht in Bewegung gerieten.
Yssgar zog sein Schwert, hieb eines der Taue durch und kantete eine der zugenagelten Kisten auf.
Er verzog angewidert den Mund.
"Eingelegtes Salzfleisch, pah und Stockfisch."
"Hast du Kisten voller Gold erwartet?", fragte Kirad. Yssgar grinste.
"Jedenfalls wäre mir das lieber als dieser Fraß hier." Eine hochaufgeschossene Gestalt schälte sich aus dem Halbdunkel des Laderaums heraus.
Die Gestalt trug einen kuttenartigen Kapuzenmantel. Unwillkürlich fasste Kirad den Schwertgriff fester und auch durch die Gestalt von Yssgar Bogenschütze ging ein Ruck. Seine Rechte ließ das Schwert fallen. Mit einer behänden, sehr schnellen Bewegung zog er einen Pfeil aus dem Köcher und legte ihn in den Bogen ein.
"Ich warne euch", sagte die Gestalt mit dunkler Stimme. "Wenn ihr mich tötet, so werdet ihr es bereuen."
Der Unbekannte hatte Bryséisch gesprochen, eine Sprache, die Kirad Kiradssohn einigermaßen beherrschte.
Gut zehn Sommer war es jetzt schon her, dass Kirad auf dem Handelsschiff seines Onkels Magnus Lroffson angeheuert hatte und zum Steuermann ausgebildet worden war.
Magnus Lroffsons Fahrten hatten oft in die Städte Bryseias geführt und in jener Zeit hatte Kirad Kiradssohn gelernt, wie man ein Schiff führte und wie man es dabei anstellte, dass man die Elemente zu Freunden hatte. All dies kam dem Kapitän, da er mit eigenem Schiff und auf eigene Rechnung auf Raubfahrt ging, sehr zu gute.
Ebenso die Kenntnisse über die bryséischen Städte und Handelsplätze, die er damals erworben hatte. Denn auch geraubtes Gut wollte irgendwo und irgendwann wieder in klingende Münze verwandelt werden, wobei es Kirad Kiradssohn Elbenschlächter ziemlich einerlei war, welcher Herrscher diese Münzen jeweils geprägt hatte.
Der Unbekannte legte jetzt seine Kapuze zurück. Sein grauhaariger Kopf kam zum Vorschein.
Der noch beinahe schwarze Bart unterstrich die harten Konturen seiner Züge. Die dunklen fast schwarzen Augen schienen eine beinahe hypnotische Kraft zu haben, der man sich schwer entziehen konnte.
Mit einem stechenden Blick musterte der Bärtige die beiden Orks.
"Ich bin der Kartenleser dieses Schiffes und mein Wissen könnte euch von großem Nutzen sein."
Die Augen des Unbekannten verengten sich plötzlich, wurden zu schmalen Schlitzen. Sein Gesicht bekam einen äußerst angespannten Ausdruck. Yssgar Bogenschütze schrie auf, riss den Bogen empor. Der Pfeil schoss in die Decke, blieb in dem dunklen Holz stecken und zitterte dabei, während der Bogenschütze rückwärts zu Boden ging.
Yssgars Augen waren schreckgeweitet.
Kirad stand wie erstarrt da, musterte kurz den Bogenschützen. Nie zuvor hatte Yssgar so etwas erlebt.
Kirad nahm das Schwert mit beiden Händen.
"Bei den einfältigen Göttern Bryseias, wer bist du?", fragte er den Fremden. Das Lächeln, das jetzt auf seinem Gesicht erschien, troff nur so vor Verachtung und Zynismus.
"Immerhin beherrschst du die Sprache der Zivilisation gut genug, um in ihr fluchen zu können", stellte er fest. "Das kann nicht jeder Barbar von sich behaupten."
Vollkommen unerschrocken trat der Mann einen Schritt nach vorn.
"Mein Name ist An-Shar", erklärte er.
"Das ist kein bryséischer Name", stellte Kirad fest. "Und selbst ich, der ich ja nur ein Barbar bin, höre den Akzent mit dem du sprichst."
"Du hast Recht. Ich bin kein Bryseier."
Yssgar Bogenschütze, der kaum Bryséisch sprach und diese Unterhaltung nicht mitbekommen hatte, streckte die Hand aus. Er schluckte dabei.
"Dieser Mann ist von einem Dämon besessen", stieß er hervor. "Er hat Kräfte, die sich nicht mit den Gesetzen der Natur in Einklang bringen lassen. Irgendeine Art von Magie scheint er anzuwenden."
Yssgar erhob sich. Er wollte nach dem Bogen greifen, aber Kirad schüttelte den Kopf.
"Bevor wir ihn erschlagen, lassen wir ihn doch noch erzählen", forderte der Kapitän.
Kirad war sich nicht sicher, ob sein Gegenüber auch Orkisch verstand.
"Du hast gesagt, du seiest Kartenleser", wandte er sich dann in bryséischer Sprache an An-Shar.
"Das ist richtig", nickte dieser.
"Wohin wart ihr unterwegs?"
"Die Reise dieses Schiffes sollte nach Elbenoi führen. Es ging darum, einen Schatz von kaum vorstellbarem Wert zu bergen."
"In Elbenoi?", höhnte Kirad. "Nach allem was ich über dieses Land gehört habe, besteht es aus Wüsten, Sand und Ruinen, die hin und wieder vom Wind freigelegt werden."
"Du bist vielleicht nicht ganz so weltläufig wie du glaubst, Barbar. Im Übrigen habt ihr alle erschlagen, die mit mir diesen Schatz zu bergen hofften. Ich schlage daher vor, dass wir uns zusammentun. Ich brauche ein Schiff und eine Mannschaft und nach allem, was ich über die Orks weiß, sind sie für die Aussicht auf Reichtum jedes nur erdenkliche Risiko einzugehen."
"Gut", sagte Kirad. "Wir nehmen dich mit, als unseren Gefangenen." An-Shar lachte laut auf.
"Du kannst das nennen wie du willst, Barbar, aber im Endeffekt werden wir beide Partner sein, gleichberechtigte Partner. Denn ohne mein Wissen wirst du diesen Schatz nie erringen können. Dir wird nichts anderes übrig bleiben, als mit mir zusammen zu arbeiten. Mal davon abgesehen, dass es nicht so leicht ist mich zu erschlagen. Das haben schon ganz andere versucht." Er streckte die Hand aus. Der Bogen, den er zuvor Yssgar mit Hilfe seiner geheimnisvollen Kräfte entrissen hatte, schwebte jetzt empor direkt in die Hand des Bogenschützen. An-Shar murmelte dabei etwas vor sich hin, das in den Ohren der beiden Orks wie sinnlos aneinander gereihte Silben klang.
*
Kirad und seine Männer ließen den bryséischen Segler brennend zurück. Hoch loderten die Flammen empor. Die Rauchfahne wurde vom Wind in Richtung der Küste Bryseias geweht.
An Bord der ORKZAHN wurde das Segel gesetzt. Der stärker werdende Wind drehte und kam nun zunehmend aus Richtung Nord, aber er war stark genug die Segel zu blähen und sehr schnell eine immer größer werdende Distanz zu dem Wrack des bryséischen Seglers zu schaffen. An-Shar, dieser geheimnisvolle mit magischen Fähigkeiten ausgestattete Mann, hielt sich im Heck der ORKZAHN auf, dort wo Krune Drygvarrson mit seinen kräftigen Pranken das Ruder hielt.
Die Ruderriemen waren eingezogen worden. Ein Ork ruderte normalerweise nur dann, wenn es aus irgendwelchen Gründen nicht möglich war segelnd vorwärts zu kommen, bei Flaute oder wenn man einen Flusslauf stromaufwärts fahren wollte.
"Ich weiß nicht, ob es wirklich eine gute Idee war, diesen eigenartigen Mann an Bord zu nehmen", sagte Yssgar Bogenschütze an Trurbjjan Axtschwinger gewandt.
Die beiden Männer hielten sich am Bug des Schiffes auf.
Trurbjjan zuckte die Achseln. "Unser Kapitän wird schon wissen, was er tut."
"Das will ich hoffen."
"Du bist doch sonst nicht so ängstlich, Yssgar", lächelte Trurbjjan. Yssgar ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten. "Bei Kjull, dem Gott des Schabernacks und der Zauberei, ich habe die Kraft gespürt, die in diesem Mann schlummert."
Trurbjjan Axtschwinger hörte stirnrunzelnd zu während sein Gegenüber zu einer dramatischen Erzählung jener Ereignisse ansetzte, die sich unter Deck abgespielt hatten.
Schließlich zuckte Trurbjjan mit den Schultern.
Kirad, der sich unterdessen im Heck der ORKZAHN befand, wandte sich an Krune Drygvarrson, dem Steuermann, und machte eine Bewegung mit der Hand.
"Halte dich weiterhin in Richtung der bryséischen Küste", forderte er. "Dort ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass wir noch auf lohnendere Beute stoßen als auf diesen Segler."
"Eine so armselige Beute habe ich selten erlebt", meinte Krune. Ein paar Waffen, Ausrüstungsgegenstände und Vorräte hatten die Orks an Bord der ORKZAHN gebracht. Eine Beute, die den Aufwand kaum gelohnt hatte.
Wenn diese Pechsträhne weiter anhält, werden die Männer unruhig werden, dachte Kirad Kiradssohn Elbenschlächter.
Von früheren Fahrten wusste er nur zu gut, dass es in so einem Fall kritisch werden konnte.
Kirad drehte sich zu An-Shar herum, der gedankenverloren der Rauchsäule des brennenden bryséischen Seglers nachsah.
"Was ist das für ein Schatz, von dem du gesprochen hast?", fragte der Kapitän.
An-Shar lächelte mild.
"Ich sehe du hast Blut geleckt, Ork. Genauso wie ich es mir gedacht habe. Der Gedanke daran mit wenig Mühe einen sagenhaften Reichtum ernten zu können, lässt dich nicht los."
Ein spöttischer Zug erschien in Kirads Gesicht.
"Mehr als hohle Worte scheint mir bisher nicht hinter deinem Gerede zu stecken, An-Shar. Oder willst du etwa behaupten, dass du mit dieser bryséischen Nussschale wirklich und wahrhaftig Richtung Elbenoi unterwegs warst?" An-Shar hob die Schultern.
"Es war mir leider nicht möglich in Ardassa ein besseres Schiff zu bekommen", erklärte er.
"So, von Ardassa aus bist du aufgebrochen", echote Kirad. Die Ruinenstadt stellte heute nur einen Abklatsch einstiger Größe dar. War sie einst die zweite Hauptstadt des Reiches der Meeresherrscher gewesen, so wurde sie jetzt von dem sagenumwobenen Bettlerkönig beherrscht und bot dem Gesindel der gesamten Hemisphäre Unterschlupf. Piraten und Ausgestoßene trafen sich dort.
An-Shar trat einen Schritt vor auf Kirad zu.
Er machte jetzt einen geradezu beschwörenden Gesichtsausdruck. Die kühle abgeklärte Distanziertheit, die sonst sein Mienespiel kennzeichnete war von einem Augenblick zum anderen von ihm abgefallen.
"Ich brauche ein neues Schiff", stieß er hervor. "Und ganz gleich, wer der Kapitän dieses Schiffes sein wird, er wird als reicher Mann von dieser Reise zurückkehren."
"Du verkennst deine Lage, An-Shar", lachte Kirad. "Du bist ein Gefangener und den Kurs bestimme ich ganz allein."
"Du magst ein Barbar aus dem Norden sein, aber du bist nicht dumm", stellte An-Shar fest. "Einst erstreckte sich zu beiden Seiten des großen Stromes Jasabil das uralte Reich Ta-Tekem. Seine erhabenen Tempel, die Häuser seiner Städte sind größtenteils zu Staub zerfallen, aber ein Teil davon liegt noch unversehrt unter dem Wüstensand. Immer wieder stoßen elbenoidische Karawanen auf vor Jahrtausenden verlassene Geisterstädten."
"Geisterstädte?"
"Der Jasabil hat oft sein Bett verändert und so lagen sie ehedem wohl in der Uferzone. In einer dieser Ruinenstädte stieß ich auf einen Schatz von schier unvorstellbarer Größe. Gold, Silber, mehr davon als man auf deinem Schiff laden könnte."
"Warum hast diesen Schatz nicht selbst geborgen, wenn du schon einmal da warst?", fragte Kirad.
An-Shar hob die Augenbrauen.
"Ich war mir einer kleinen Gruppe Elbenoidischer Begleiter dort", berichtete er. "Karawanenführer, die ich angeheuert hatte. Durch das Studium uralter Karten war mir die Lage dieser Ruinenstadt bekannt. Ich ließ die Elbenoiden soviel von dem Zeug aufladen, wie die wenigen Kamele, die wir bei uns hatten, zu tragen vermochten. Allerdings wurden wir unterwegs von Räubern überfallen. Nur wenige Stücke vermochte ich zu retten." Er griff in die Taschen seines weiten Mantels, holte ein Amulett hervor. Zweifellos war es aus Gold. Fremdartige Schriftzeichen, die Kirad Kiradssohn Elbenschlächter nie zuvor gesehen hatte und der er auch kein bekanntes Alphabet zuzuordnen vermochte, waren in das Edelmetall eingraviert worden. An-Shar gab Kirad das Amulett.
"Behalte es, Kapitän."
Kirad hielt das Amulett ins Licht, fuhr dann mit der Fingerkuppe darüber. Immerhin gab es jetzt so etwas wie einen greifbaren Beweis für die Geschichte An-Shars. Aber noch immer hatte Kirad Kiradssohn Zweifel. Er traute diesem Mann einfach nicht.
"Zurück zu deiner Geschichte", begann der Ork. "Unter Deck des bryséischen Seglers habe ich gesehen, dass du über erstaunliche Kräfte verfügst. Immerhin hast du meinen besten Bogenschützen außer Gefecht gesetzt, der dir liebend gern einen Pfeil ins Auge gejagt hätte."
"Ich bin ein umfassend gebildeter Gelehrter und war als solcher in verschiedenen Städten Bryseias tätig", berichtete An-Shar. "Unter anderem habe ich mich auch mit der Kunst der Magie befasst."
"Warum habt ihr diese Kunst dann nicht gegen jene Räuber angewandt, die euch damals in der Wüste von Elbenoi überfielen?"
"Gleich zu Beginn des Kampfes bekam ich einen Pfeil in den Rücken", sagte An-Shar. "Diese Verwundung setzte mich zunächst vollkommen außer Gefecht und ohne meine magischen Heilkräfte, hätte ich jenen Tag auch nicht überlebt. Im Übrigen machst du dir vielleicht eine falsche Vorstellung von meinen Fähigkeiten."
"Dann erkläre es mir genauer", forderte Kirad.
"Ich verfüge über gewisse Kräfte, die ich durch Konzentration meines Geistes mobilisieren kann, aber das ist oft abhängig von den Umständen, von der Umgebung. Die Hilfe übernatürlicher Wesen lässt sich nicht überall herbeirufen und im Übrigen sind meine Kräfte begrenzt, auch wenn dich mein Kunststück im Lagerraum des bryséischen Seglers anscheinend beeindruckt hat." Kirad verzog das Gesicht.
"In einem scheinst du jedenfalls unschlagbar zu sein, An-Shar." Der Magier hob die Augenbrauen. "Wovon sprichst du?"
"Von deiner Fähigkeit für alles eine Erklärung zu finden."
"Ich spreche nichts als die Wahrheit und ich gebe dir unverdientermaßen und nur durch die Umstände begründet, die Möglichkeit ein reicher Mann zu werden. Alles, was du tun musst, ist zur Mündung des Jasabil zu segeln, dann flussaufwärts bis zu einem Punkt, den nur ich kenne, um schließlich ein paar Meilen landeinwärts zu der Ruinenstadt zu reisen von der ich gesprochen habe. Ein Ort voller Reichtümer, den die Zeit und die Welt vergessen haben." Der Magier machte eine weit ausholende Handbewegung. "Frage deine Männer, was sie darüber denken. Vielleicht können sie deine Zweifel zerstreuen."
Ein teuflisches Lächeln spielte jetzt um seine dünnen Lippen. "Oder sollte ich das vielleicht tun?"
Bis jetzt hatten sie bryséisch miteinander gesprochen, so dass die Männer von dieser Unterhaltung kaum etwas mitbekommen hatten. Sofern überhaupt, so sprachen die Besatzungsmitglieder der ORKZAHN nur sehr schlecht die Sprache Bryseias.
"Vielleicht ist es doch besser, wenn du sie vor diese Frage stellst", fuhr der Magier indessen fort, "denn meine Kenntnisse in Orkisch sind nicht so gut, dass ich mich besonders gewählt ausdrücken könnte."
Diese Sprache spricht er auch, ging es Kirad durch den Kopf. Dieser Mann schien tatsächlich so etwas wie ein Universalgelehrter zu sein. Ein Mann allerdings, der mit seinen Fähigkeiten eher hinter dem Berg hielt als sie offen zu demonstrieren.
Kirad betrachtete das goldene Amulett mit den eigenartigen Schriftzeichen. Warum eigentlich nicht, ging es ihm dann durch den Kopf. Nicht zum ersten Mal würde er mit der ORKZAHN einen Fluss hinaufrudern.
"Ich werde die Männer fragen", versprach Kirad, aber im Grunde seines Herzens war die Entscheidung längst gefallen. Die Neugier hatte ihn gepackt, was es mit diesem Schatz auf sich hatte. Die Gier nach Reichtum hatte Besitz von ihm ergriffen.
"Solltest du gelogen haben, Magier, dann werde ich dich töten!"
*
Stunden vergingen.
Die ORKZAHN war mit gutem Wind in südliche Richtung gesegelt. Kirad zögerte noch auf den Vorschlag des Magiers einzugehen. In der rechten Hand hielt er das goldene Amulett.
Immerhin, ganz aus der Luft gegriffen konnten die Erzählungen des Magiers ja nicht sein. Irgendwoher musste das Gold, aus dem dieses Amulett geschmiedet war, schließlich stammen.
"Hört her, ihr Männer!", rief er schließlich. Er hielt das Amulett empor.
"Dieses Gold stammt aus einem Schatz, der in einer Ruinenstadt in Elbenoi verborgen liegt. Jedenfalls sagt das unser Gefangener An-Shar. Wir werden also zur Mündung des Jasabil segeln und dieser Mann hier", Kirad deutete auf AnShar, "wird uns zu jenem Ort führen, an dem er dies hier fand." Ein Großteil der Männer war hellauf begeistert.
"Das hört sich endlich mal nach guter Beute an", rief Yggron Schädelspalter und Trurbjjan Axtschwinger teilte seine Begeisterung. "Zu lange hat uns das Pech verfolgt, aber es scheint als würden wir jetzt auf der Gewinnerseite stehen."
Als der erste Tumult sich gelegt hatte, meldete sich Yssgar Bogenschütze zu Wort. Sein Gesicht wirkte grimmig, die Augen waren zu schmalen Schlitzen zusammengezogen. Seine ausgestreckte Hand deutete auf An-Shar.
"Ich traue diesem Burschen nicht. Er verfügt über dämonische Kräfte und um ehrlich zu sein, ich segle nicht gerne mit jemandem an Bord desselben Schiffes, der offenbar in der Anwendung übernatürlicher Kräfte ausgebildet ist."
"Bei Ork-Gott Elbenfolterers blutgetränkter Streitaxt!", fluchte Krune Drygvarrson, der 1.Steuermann der ORKZAHN. "Rufen wir nicht alle den Beistand des Übernatürlichen herbei, wenn wir in Gefahr sind? Oder vor dem Kampf?"
"Der Unterschied ist nur, dass die übernatürlichen Kräfte auf diesen Mann zu hören scheinen", entgegnete Yssgar.
Krune Drygvarrson machte eine wegwerfende Handbewegung. "Bei den Göttern Orkwegens, das ist doch kein Grund jemandem zu misstrauen!"
"Du hast seine Kraft nicht zu spüren bekommen", erwiderte Yssgar. Seine Hände waren zu Fäusten geballt.
"Es hat keinen Sinn, wenn wir uns streiten", meinte Kirad Kiradssohn. "Ich bin der Kapitän. Mir gehört dieses Schiff und ich entscheide. So ist es immer gewesen und so ist es auch diesmal. Es gibt keinen vernünftigen Grund, diesem Mann zu misstrauen. Er wird uns schon deswegen nicht betrügen, weil er selbst einen Teil dieses Schatzes haben will."
Der Magier trat jetzt vor, stellte sich neben Kirad. Er hatte die Kapuze aufgesetzt. Sein Gesicht lag bis auf die Kinnspitze im Schatten. Die Sonne stand schon tief.
"Ich will nichts von dem Gold. Das könnt ihr alles haben. Ich will einzig und allein ein einzelnes unscheinbares Juwel, das ich für meine magischen Studien benutzen möchte, die ich betreibe."
An-Shar hatte sehr langsam gesprochen und zum ersten Mal auf Orkisch. In dem Moment indem er die Stimme erhoben hatte, war es augenblicklich ruhig gewesen, so als ob eine Art natürlicher Autorität diesen Mann wie eine Art Aura umgab.
"Jeder von euch wird diese Reise als reicher Mann beenden, jeder von euch wird sich, wenn er nach Orkwegen zurückkehrt ein eigenes Schiff kaufen können, eine eigene Mannschaft anheuern und auf eigene Rechnung auf Fahrt gehen können. Zugegeben es braucht etwas Mut dafür. Ich habe schon viel über die Männer Orkwegens gehört, aber noch nicht, dass sie feige sind. Also dürfte dieser Punkt kein Hinderungsgrund sein."
Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen und das Rauschen der Gischt war zu hören, die hoch aufspritzte, während die ORKZAHN durch diese hindurch pflügte.
"Redet so ein Gefangener", rief Yssgar. "Pah, wahrscheinlich steht ihr alle unter seinem magischen Einfluss. Wer weiß schon, über welche Kräfte er wirklich verfügt. Bei Kjulls Hinterlist!"
"Wenn dem so wäre, dann hätte ich doch leicht auch dich beeinflussen können, Bogenschütze", erwiderte An-Shar auf seine schleppende akzentbeladene Art und Weise.
Yssgar machte eine betreffende Handbewegung. Er spürte, dass die anderen Männer sich nichts sehnlicher wünschten als in den Besitz des Schatzes zu gelangen von dem An-Shar gesprochen hatte. Er wandte sich an Kirad Kiradssohn Elbenschlächter.
"Du bist der Kapitän", sagte er. "Ich habe bei dir angeheuert und ich folge dir, aber das heißt noch lange nicht, dass ich diesem Kapuzenmann hier auch nur einen Meter über den Weg traue."
Yssgar spuckte aus.
"Mir ist ehrliche Feindschaft lieber als falsche Freundschaft", sagte An-Shar als Yssgar sich bereits umgedreht und der See zugewandt hatte. "Aber spätestens in dem Augenblick in dem du mehr Gold besitzt als du tragen kannst, wirst du einsehen, dass du Unrecht hattest, Bogenschütze." Unterdessen wandte sich Kirad an den Steuermann. "Wir ändern den Kurs in Richtung Südwesten."
"Wir werden ziemlich nah an den Gewässern Relians vorbeikommen", erwiderte Krune.
"Fürchtest du dich? Unsere Skaid ist schneller als jede relianische Galeere, aber der Wind steht günstig für diesen Kurs und wir könnten auf diese Weise wesentlich schneller an der Mündung des Jasabil sein als wenn wir uns entlang der Küste orientieren."
Krune Drygvarrson zuckte die Achseln. "Du bist der Kapitän, Kirad."
"Ich weiß."
Krune Drygvarrson umklammerte das Steuerruder. Er ließ die ORKZAHN eine halbe Drehung vollführen. Sie fuhr jetzt nicht mehr mit seitlichem, sondern mit Rückenwind.
In den nächsten Tagen geschah nichts Besonderes außer, dass der Wind immer mehr nachließ. Die See wurde spiegelglatt. Das Quadratsegel der ORKZAHN hing schlaff vom Gaffel herunter.
Schließlich gab es keine andere Möglichkeit, als dass die Männer der ORKZAHN an die Ruderriemen gingen, sollte die schnittige Skaid nicht mehr oder weniger ohne Kurs dahin dümpeln.
Keiner der orkischen Seefahrer murrte.
Es ist die Aussicht auf schnellen Reichtum, die ihre Arme stark macht, ging es Kirad Kiradssohn Elbenschlächter durch den Kopf. Die blanke Gier nach Gold. Aber ist sie nicht auch in deinem Fall die treibende Kraft, überlegte der Kapitän.
Er stand am Bug der ORKZAHN, dort wo der imposante Drachenkopf begann, der weit nach vorn ragte.
Einen Fuß stellte er auf die Außenwandung und blickte dem immer dunstiger werdenden Horizont entgegen.
Es ist nichts dagegen einzuwenden, Kirad, sagte eine Stimme in seinem Hinterkopf. Du darfst nur nicht zu leichtsinnig werden. Gier betäubt die Sinne und macht dich verwundbar.
Kirad lauschte dem regelmäßigen Geräusch, das das Eintauchen der Ruderblätter in das glatte grünblaue Wasser verursachte. Aus dem Hintergrund heraus, wie aus weiter Ferne, hörte Kirad die Stimme von Yssgar Bogenschütze. Provozierend wandte sich der Ork an An-Shar, den Magier.
"Was ist, wie wäre es, wenn du deine Kräfte darauf verwendest für Wind zu sorgen, Magier?"
"Ich glaube, du überschätzt meine Möglichkeiten", erwiderte An-Shar in seinem akzentschweren Orkisch. Ätzender Spott mischte sich dann in seinen Tonfall, als er fortfuhr. "Dafür, dass ihr zu Reichtum kommt, werdet ihr schon noch einiges tun müssen."
Kirad nahm diese Unterhaltung nur ganz am Rande wahr. Er verengte ein wenig die Augen. Einige dunkle Punkte am Horizont fesselten seine Aufmerksamkeit.
Die Punkte wurden größer.
Kirad drehte sich plötzlich herum.
"Riemen aus dem Wasser!", rief er. "Sofort!" Der Befehl des Kapitäns wurde befolgt.
Er wandte sich an Trurbjjan Axtschwinger, deutete gen Horizont. "Wofür hältst du diese kleinen Punkte dort, die aus dem Dunst heraustauchen?" Trurbjjan blickte angestrengt drein, dann zuckte er die Achseln. "Schiffe, würde ich sagen."
"Gegen ein relianisches Handelsschiff hätte ich nichts einzuwenden", rief Krune Drygvarrson.
An-Shar, der Magier, mischte sich jetzt ein. Er ging in Richtung Bug, blieb in einigen Schritten Entfernung von Kirad stehen.
"Das sind keine Handelsschiffe", sagte er im Brustton der Überzeugung. "Es sind Kriegsgaleeren."
"Woher weißt du das?", fragte Kirad.
"Ich weiß es eben. Das sollte dir genügen."
Kirad gab Krune Drygvarrson den Befehl den Kurs zu ändern, um der herannahenden Flotte auszuweichen.
Die Punkte am Horizont wurden indes rasch größer. Es dauerte nicht lange bis Kirad erkannte, dass der Magier recht gehabt hatte. Es handelte sich tatsächlich um relianische Kriegsgaleeren.
Das Reich der Meeresherrscher war längst untergegangen. Die Inselgruppe, über die das relianische Imperium heute herrschte, stellte nur einen Abklatsch der einstigen Größe dar. Nominell unterstanden dem Imperium zwar noch immer die Küstenstaaten im Norden Lamarans, aber faktisch waren diese seit langem vollkommen unabhängig. Auf einen kärglichen Rest der ehemaligen Größe war das ruhmreiche Imperium geschrumpft und doch waren die Relianer noch eine bedeutende Seefahrernation, deren Schiffe an allen Küsten Midgards zu finden waren.
Ihre schnellen und wendigen Kriegsschiffe waren berüchtigt und bei den Gegnern gefürchtet.
Unter normalen Umständen wäre die Skaid der Orks gegenüber den Kriegsgaleeren im Vorteil gewesen, sofern es Wind gegeben hätte, wäre die ORKZAHN um einiges schneller als diese relianischen Kriegsgaleeren. Aber es herrschte Flaute, absolute Windstille und das Meer war spiegelglatt. Das bedeutete, dass die größere Zahl der Ruderer über das Tempo entschied und dieser Vorteil lag nun eindeutig auf Seiten der Relianer. Sie kamen rasch heran. Die Trommeln, die den Rhythmus für die Ruderer angaben, waren bereits dumpf zu hören.
Den Männern an Bord der ORKZAHN war ziemlich schnell klar, dass sie gegen diese Übermacht keine Chance hatten, wenn es zum Kampf kam. So gab es nur die Flucht.
Die Galeeren näherten sich. Der Trommelrhythmus wurde beschleunigt. Offenbar strebten die Relianer an, das Tempo noch weiter zu erhöhen. Es ist die Frage, wie lange sie es durchhalten können, dachte Kirad. Sie bewegten sich in einer weit auseinander gezogenen, halbkreisförmigen Formation und versuchten ganz offensichtlich der orkischen Skaid den Weg abzuschneiden.
Kirad gab Anweisung den Kurs entsprechend zu ändern, aber auch das konnte nichts daran ändern, dass die Relianer immer mehr aufholten. Wind hätte sie vielleicht retten können, aber es sah nicht danach aus, als ob sich etwas an der Flaute ändern würde.
Die Stunden krochen dahin.
Die Orks an Bord der ORKZAHN legten sich nach Kräften in die Riemen, aber die relianischen Galeeren holten immer mehr auf. Gleichgültig, wohin diese Flotte unterwegs war, ein einzelnes Drachenschiff der Orks würden sie sich auf keinen Fall entgehen lassen.
Zu oft hatten orkische Piraten auch die Gewässer Relians unsicher gemacht, Schiffe aufgebracht, brennend zurückgelassen und Siedlungen geplündert. Was die Wendigkeit und die seglerischen Qualitäten anging, waren die orkischen Skaids den relianischen Galeeren natürlich überlegen, aber der fehlende Wind machte diesen Vorteil so gut wie vollkommen wett und wenn es einer der Galeeren erst einmal gelang einen Rammstoß gegen die ORKZAHN auszuführen, war das Schicksal von Kirad Kiradssohn Elbenschlächter und seiner Mannschaft besiegelt.
An-Shar stand mit geschlossenen Augen da, während auf den Galeeren damit begonnen wurde, die Katapulte zu bestücken. Die ersten dieser Geschosse schlugen links und rechts neben der ORKZAHN ein, zumeist wurden Steinbrocken oder brennendes Pech verwendet. Ein einziges dieser Steingeschosse reichte schon, um ein furchtbares Loch in die Außenwandung der ORKZAHN zu reißen.
Ein Hagel von Pfeilen regnete als nächstes auf die ORKZAHN nieder. Dutzende von Bogenschützen hatten sich auf den beiden am nächsten herangekommenen Galeeren aufgestellt. Manche dieser Pfeile brannten. Die Ruderer der ORKZAHN verkrochen sich hinter ihren Schilden, der Rhythmus verlangsamte sich. Überall gingen die Pfeile nieder, blieben zitternd im Holz stecken oder bohrten sich in die Körper der Orks. Erste Todesschreie gellten. Brandpfeile fetzten durch das Segel hindurch, das innerhalb weniger Augenblicke in Flammen stand.
Die wenigen Bogenschützen an Bord der ORKZAHN versuchten den Beschuss durch die Relianer zu erwidern so gut es ging, aber die Übermacht war erdrückend.
An-Shar blieb vollkommen ruhig. Er stand mit geschlossenen Augen da, schien wie entrückt zu sein.
Links und rechts von ihm zuckten die Pfeile vorbei. Das schien den Magier von geheimnisvoller Herkunft nicht im Mindesten zu stören. Er breitete die Arme aus. Eine Falte erschien auf seiner Stirn. Er murmelte eigenartige Formeln vor sich hin, die wie sinnlos aneinander gereihte Silben klangen.
"Er soll uns Wind bringen, dieser fremde Hexer", reif Krune Drygvarrson, "und wenn die finsteren Mächte, zu denen er betet dazu nicht in der Lage sind, dann ist wahrscheinlich auch seine Geschichte von dem sagenhaften Schatz nichts weiter als eine Fabel."
Immer näher kamen die Galeeren heran. Langsam aber sicher begannen sie die ORKZAHN einzukreisen.
"Nakafe ratemet!", rief An-Shar. Er öffnete die Augen. Sie waren vollkommen schwarz. Sein Gesicht war verzerrt.
"Nakafe ratemet sabaman!"
Er wiederholte diese Worte immer wieder wie einen Singsang, streckte dabei die Arme aus. Ein Zittern durchlief seinen Körper.
Bei Ork-Gott Elbenfolterer, was tut er jetzt?, ging es Kirad Kiradssohn Elbenschlächter durch den Kopf.
Die zuvor fast spiegelglatte Wasseroberfläche begann sich zu kräuseln, eigenartige kleine Strudel bildeten sich, obwohl kein Wind blies. Nicht ein Hauch.
Auch die Männer auf den relianischen Galeeren schienen das zu bemerken, denn ihr Kriegsgeheul wurde leiser. Das Wasser bildete eigenartige Formen, Formen menschlicher Körperteile. Arme, Beine, Köpfe, Gesichter, die aus Wasser geformt zu sein schienen, wie gläserne Abbilder von Menschen. Mit gespenstischer Behändigkeit griffen diese Hände nach den Wanden der relianischen Galeeren. Sie kletterten an den Schiffswandungen empor, dabei veränderten sich ihre biegsamen Gestalten ständig, lösten zwischendurch ihre Form vollkommen auf, so dass sie zwischen den Rudern hindurch gleiten konnten. Lautlos waren sie, lautlos und tödlich.
Als der erste dieser Wasserdämonen an Deck jenes relianischen Kriegsschiffes, das der ORKZAHN am nächsten war, wurde er fassungslos angestarrt.
Dann wurden in relianischer Sprache schrill klingende Befehle gerufen. Einer der an Deck stehenden Bogenschützen ließ einen Pfeil durch die Luft sirren. Der Pfeil drang durch den Körper des Wasserdämons hindurch, blieb dahinter im Mast zitternd stecken. Lautlos schnellte der Wasserdämon vor, packte den erstbesten Relianer und schleuderte ihn über Bord. Schreiend klatschte er ins Wasser.
Weitere dieser unheimlichen Wasserdämonen hatten das Deck der Galeere erklommen.
Die Erstarrung, die die Relianer anfänglich gelähmt hatte, war nun von ihnen abgefallen. Sie wehrten sich, legten Pfeil um Pfeil in ihre Bögen, ließen die Schwerter kreisen, aber ihre Waffen waren wirkungslos. Sie fuhren durch die Körper der Wassergestalten hindurch ohne dass irgendeine Wirkung erkennbar war.
Die aus dem Meer emporgestiegenen Angreifer jedoch gingen mit grausamer Konsequenz vor.
Aus ihren gestaltverändernden Körpern bildeten sich Formen heraus, die an die Waffen der Relianer erinnerten. Schwertklingen zumeist, die direkt aus den Handgelenken der Wasserdämonen herauswuchsen.
Vollkommen lautlos ließen die Angreifer sie durch die Luft schnellen. Die Schreie der Relianer waren weithin zu hören. Köpfe wurden von den Körpern getrennt. Panik an Bord brach aus.
Der Abwehrkampf der Relianer gegen die Wasserdämonen war hoffnungslos. Einer nach dem anderen sank tödlich getroffen zu Boden. Blut tränkte bald die Galeerenplanken.
Noch immer bildeten sich weitere dieser kleinen, charakteristischen Strudel, aus denen die Wasserdämonen herauswuchsen, um dann behände die Außenwandungen der Galeeren zu erklimmen.
Auf insgesamt drei der relianischen Kriegsschiffe wurde jetzt erbittert gekämpft. Auf einem davon waren sehr schnell sämtliche Besatzungsmitglieder niedergemetzelt worden. Die Meeresdämonen hatten ganze Arbeit geleistet. Sie sprangen zurück ins Wasser, vermischten sich wieder mit jenem Element aus dem sie aufgestiegen waren während sich an anderer Stelle neue kleine Strudel bildeten aus denen gläsern wirkende Arme sich emporreckten. Das Zittern, das An-Shars Körper durchfuhr, wurde immer heftiger. Eigenartige Laute drangen aus seinem Mund hervor.
"Legt euch in die Riemen, Männer!", rief Kirad unterdessen. "Trurbjjan, Sorleif, gebt was ihr könnt! Wer immer hier uns zu Hilfe gekommen ist, der Angriff dieser Wasserdämonen verhilft uns vielleicht zur Flucht." Die Männer der ORKZAHN ließen sich das nicht zweimal sagen. Sie ruderten mit neuer Hoffnung und neuer Kraft.
Schnell gewann die ORKZAHN wieder an Fahrt während die Verfolger zurückblieben, verwickelt in einen Kampf mit einem übernatürlichen Gegner, den sie nicht gewinnen konnten.
Die grausigen Schreie der Relianer ließen selbst Kirad erschaudern und einige Augenblicke lang empfand er sogar so etwas wie Mitleid mit ihnen. Keinem Seemann wünschte man ein derartiges Schicksal.
Der Vorsprung wuchs wieder. Das Quadratsegel war inzwischen fast vollständig verbrannt. Die letzten Fetzen kohlten noch vor sich hin. Hier und da begann das Feuer bereits auf den Mast und das Quergaffel über zu gehen. Kirad gab zwei Männern den Befehl an den Seilen empor zu klettern und mit Hilfe von feuchten Decken die Brandherde zu löschen.
"Seht nur, diese relianischen Hasenfüsse kehren um!", rief Krune Drygvarrson und deutete auf die nachrückenden relianischen Flotteneinheiten. Sie hatten gesehen welches Schicksal die vorangefahrenen Schiffe erlitten hatten und sie begriffen sehr schnell, dass sie es mit einem Gegner zu tun hatten gegen den nicht der Hauch einer Überlebenschance bestand. So begannen sie eine heillose Flucht.
Jene Galeeren auf denen die Wasserdämonen gewütet hatten trieben hingegen führerlos dahin, dümpelten in der wieder spiegelglatt gewordenen See.
"Sie wagen es nicht, uns zu folgen", stellte Kirad fest.
"Bei Asvagre, dieser Mann wird mir immer unheimlicher", murmelte Krune Drygvarrson halb an den Kapitän gewandt, halb zu sich selbst. Kirad Kiradssohn trat an den Magier heran. Die Schwärze verschwand jetzt wieder aus seinen Augen.
Sein Gesicht, durchzuckte es den Kapitän schaudernd. Es schien um Jahre gealtert zu sein. Wie ein ledriges Relief wirkte die Haut jetzt, bleich, fast pergamentartig.
Das Gesicht eines Toten, dachte der Kapitän.
"Ich danke dir für deine Hilfe", sagte Kirad.
Die Züge des Magiers blieben unbewegt. Ein Muskel zuckte unterhalb seines linken Auges. Dieser Mann wirkte sehr, sehr müde.
"Sieh mich an, Kapitän!", forderte der Magier in bryséischer Sprache. "Sieh mich an. Verstehst du jetzt? Begreifst du nun, warum ich meine magischen Kräfte nur dann anwende, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt? Es kostet Kraft, so viel Kraft."
"Jedenfalls hast du bei mir was gut", erwiderte Kirad. Ein zynischer Zug erschien um die Mundwinkel An-Shars.
"Möglicherweise werde ich eines Tages darauf zurückkommen, Kapitän."
*
Ein ganzer Tag noch verging, ohne dass Wind wehte, aber dann veränderte sich das Wetter. Dunkle Wolken zogen am Horizont auf und der Wind begann seine gewohnte Kraft zu entfalten. Die Wellen ließen das Schiff schaukeln. An Bord der ORKZAHN wurde das Ersatzsegel aufgezogen. Bald schon nahm die ORKZAHN wieder gute Fahrt auf, Fahrt Richtung Südosten. Am Tag orientierte man sich am Stand der Sonne, des Nachts an den Gestirnen.
Von Bord des bryséischen Seglers, den die Orks gekapert hatten, waren sämtliche Seekarten mit von Bord genommen worden.
Krune Drygvarrson stellte schnell fest, dass sie von außergewöhnlicher Qualität waren. "Viel besser und genauer als alle bryséischen Seekarten, die ich je zu Gesicht bekommen habe", erklärte er.
"Es sind meine Karten", erläuterte An-Shar. "Ich habe sie selbst angefertigt."
"Du bist ein Mann vieler Talente", stellte Kirad fest. Hundert von Meilen auf dem Meer der Sieben Winde lagen vor den Männern der ORKZAHN.
Die Tage vergingen einer wie der andere. An-Shar unterstützte die Orks bei der Navigation. Er schien auch auf diesem Gebiet über erstaunliche Kenntnisse zu verfügen, die selbst die erfahrenen Seemänner aus dem Norden in Erstaunen versetzte.
Der Wind kam günstig und nahm von Tag zu Tag zu.
Nach einer Woche geriet die ORKZAHN schließlich in einen Sturm. Mehrere Männer gingen über Bord. Ihnen konnte nicht geholfen werden. Einige Fässer mit Vorräten gingen ebenfalls verloren. In der Folgezeit mussten aufgrund der bei dem Sturm erlittenen Verluste, die Nahrungsmittel rationiert werden, was natürlich nicht gerade zur Verbesserung der Stimmung an Bord beitrug.
Immer wieder kam es zu Streitereien, mehrere Besatzungsmitglieder wurden krank. Es war zu vermuten, dass auch ein Teil der auf dem Schiff verbliebenen Vorräte schlecht geworden war.
Groß war daher der Jubel als endlich die Küste des Sultanats Moro am Horizont auftauchte. Im Hafen von Orsamanca wurden neue Vorräte aufgenommen, dann ging es weiter an der Lamaran-Küste entlang, Richtung Osten.
*
Die ORKZAHN erreichte den Hafen El-Daribar, der an der westlichsten jener unzähligen Mündungen gelegen war, in die sich der große Fluss Jasabil in seinem Delta verzweigte.
"Wir werden in El-Daribar anlanden müssen", erklärte An-Shar gegenüber Kapitän Kirad Kiradssohn Elbenschlächter.
"Ich sehe keinen Grund dafür", erklärte Kirad.
"Das liegt daran, dass du die Gegebenheiten im Delta-Gebiet des Jasabil nicht kennst. Der Fluss verzweigt sich in Hunderte von kleinen Kanälen und Abflüssen. Jemand, der hier nicht zu Hause ist, sollte einen einheimischen Führer bemühen."
Der Magier machte eine kurze Pause ehe er schließlich fortfuhr.
"So ein Führer wird sein Geld wert sein, glaubt mir. Im Übrigen wäre zu überlegen, ob wir nicht an der Küste entlang weiter bis nach Mokanesh segeln." Mokanesh – der Name dieser Weltstadt war auch Kirad ein Begriff. Ihr Hafen im Westen des Jasabil-Deltas war einer der wichtigsten Handelsplätze an der Küste des Meeres der Sieben Winde.
"Vor langen Jahren bin ich einmal in Mokanesh gewesen", erklärte Kirad. "Es war in jener Zeit als ich an Bord des Handelsschiffs diente, das mein Onkel befehligte. Es ist eine gewaltige Stadt, gewaltiger als alles was ich zuvor gesehen hatte."
An-Shar nickte. "Ja, das ist wahr. Eine, der größten Städte der Welt und das seid sehr, sehr langer Zeit."
Ein verlorener, in sich gekehrter Blick stand jetzt in An-Shars Gesicht. Er wirkte fast ein wenig entrückt, gefangen von Erinnerungen. Ein eigenartiges Lächeln spielte um seine dünnen Lippen.
An-Shar schien seine ganz persönlichen Erinnerungen an Mokanesh zu haben.
"Aber die Reise nach Mokanesh wäre ein Umweg", stellte Kirad fest.
"Das ist richtig", bestätigte An-Shar. "Aber der Seitenarm des Jasabil an dem Mokanesh liegt, erlaubt Schiffen einen wesentlich größeren Tiefgang." Kirad machte eine wegwerfende Handbewegung.
"Die Schiffe der Orks sind für ihren geringen Tiefgang bekannt und wenn es sein muss ziehen wir sie sogar an Seilen über Baumstämme, wenn es darum geht eine Landenge zu überwinden."
An-Shar hob die Augenbrauen.
"Wie auch immer. Du musst mit Untiefen rechnen, Kapitän, aber wenn wir einen guten Führer finden wird das kein Problem sein, wie ich hoffe." Wenig später hatte die ORKZAHN an der Kaimauer des Hafens von ElDaribar festgemacht. Selbstverständlich erregte das Ork-Schiff hier wesentlich mehr Aufmerksamkeit im weltläufigeren Mokanesh der Fall gewesen wäre.
"Ich schlage vor, du lässt deine Männer an Bord und erlaubst ihnen keinen Landgang", erklärte An-Shar.
Kirad nickte. Er hatte von der Strenge gehört mit der die Bewohner Elbenoi s bisweilen ihren Glauben pflegten. Din Mogul-Ulali hieß die Religion der heiligen Zweiheit. Nach dieser Lehre stand dem Lichtgott Aammmut der Herr der Finsternis Ouuul gegenüber. Wobei beide einander brauchten, um das Gleichgewicht der Welt aufrecht zu erhalten. Mit teilweise drakonischen Strafen mussten auch Ausländer rechnen, sofern sie die Gebote des Din Mogul-Ulali nicht beachteten.
Unwissenheit schützte hier vor Strafe nicht.
"Sag deinen Männern, dass sie niemals ein Herd-oder Lagerfeuer löschen sollen", wandte sich An-Shar noch einmal an den Kapitän. "Der Lichtgott Aammmut ist auch der Gott des Herdfeuers und wer so etwas tut begeht einen schweren Frevel für den man sterben kann. Und auf die Spitzfindigkeit ob diese Gesetze auch an Bord eines orkischen Schiffes anzuwenden sind, wollen wir uns besser gar nicht erst einlassen."
"Ich werde es den Männern sagen", erklärte Kirad.
*
Nur einige kleine Schiffe aus Relian, Bryseia und den Küstenstaaten lagen in dem Hafen von El-Daribar.
Kirad begleitete An-Shar an Land.
An-Shar grinste.
"Du hast Angst, dass ich mich einfach aus dem Staub mache, Ork", stellte er fest.
"Ist diese Angst denn unbegründet?"
"Ich bin froh, dass ich ein Schiff habe und sofern du mich bei dieser Unternehmung als Partner betrachtest und nicht länger als Gefangener, habe ich keinen Grund, dich zu betrügen."
Kirad reichte dem Magier die Hand.
"Also gut", sagte er, "wir sind Partner."
"Aber mein Wort gilt trotzdem", erwiderte An-Shar. "Du kannst das gesamte Gold haben, das wir finden. Ich bin nicht daran interessiert. Nur an jener gewissen Kleinigkeit, die ich für meine Studienzwecke brauche."
"Ich hoffe, du erinnerst dich noch an dieses Wort, wenn wir die Schätze an Bord der ORKZAHN laden."
"Ich vergesse nie etwas", erwiderte An-Shar.
"Ich will es hoffen. Andernfalls …"
"Andernfalls wirst du mir drohen, mich zu töten, ich weiß", sagte An-Shar. Ein zynisches Lächeln umspielte seine Lippen. "Ich schätze den Optimismus bei euch Orksn."
"Optimismus?", echote Kirad.
"Ja, in zweifacher Hinsicht: Erstens gehst du davon aus, dass du mich so einfach töten kannst."
"Und zweitens?"
"Zweitens hast du Angst davor, dass ich, den du gefangen genommen hast, dir entfliehen könnte, aber vielleicht ist es auch genau umgekehrt und du bist mein Gefangener ohne es zu merken und meine Magie hat dir die Sinne vernebelt."
"Ich schätze deinen Humor nicht, Magier."
Sie gingen durch die engen Gassen zwischen den Sandsteinhäusern von ElDaribar. Die Stadt war voller Geschäfte und Händler. Die Geschäfte und Stände gehörten fast ausschließlich Einheimischen, was einfach damit zu tun hatte, dass Ausländern und Ungläubigen die Eröffnung eines Gewerbes nur dann erlaubt war, wenn sie zuvor die Einwilligung der örtlichen Würdenträger eingeholt hatten. Selbstverständlich ließen sich diese eine solche Erlaubnis teuer bezahlen, so dass sich die Aufnahme der Geschäfttätigkeit kaum lohnte. Kirad fühlte die Blicke, die auf ihn gerichtet waren.
"Es gibt hier viele Vorurteile gegen euch Orks", kommentierte An-Shar diese Situation. "Viele Bewohner Elbenoi s sind der Meinung, dass Orks ihre erstgeborenen Kinder verspeisen."
"Pah, sollen sie denken, was sie wollen", erwiderte Kirad. "Hauptsache, keiner dieser Turbanträger kommt mir in die Quere."
"Du glaubst vielleicht, dass du alle Probleme mit dem Schwert lösen kannst, Kapitän", sagte An-Shar. "Aber in einer Elbenoidischen Stadt solltest du das nicht versuchen. Die örtlichen Fürsten und Würdenträger sind auch gleichzeitig Richter und vor allem hier oben im Norden können sie bei der Rechtsfindung mehr oder weniger völlig frei entscheiden."
"Ein angeblich so hoch zivilisiertes Volk kennt keine Gesetze?", fragte Kirad verächtlich. Er schüttelte den Kopf. "Kaum zu fassen", meinte er.
"Oh, es gibt schon Gesetze, wenn auch nicht so verfeinerte wie im alten Reich Ta-Tekem, dessen Tage lange vorbei sind und dessen Ruinen du hier und da am Flussufer sehen wirst, Ork. Vor allem gibt es die Bestimmungen des Din Mogul-Ulali, der Religion der Zweiheit."
"Du kennst dich gut in Elbenoi aus", stellte Kirad fest. "Ist dieses Land deine Heimat?"
"Nein", erklärte An-Shar.
Immer wieder kam es vor, dass aufdringliche Händler sie in Elbenoidischer Sprache anredeten und An-Shar antwortete ihnen dann. Er schien die Sprache Elbenois ebenso gut zu beherrschen wie er Bryséisch sprach, aber auch Anfragen auf Elbinga, der Sprache Relians, konnte er mühelos parieren. Elbinga war an vielen Küsten des Meeres der Sieben Winde so etwas wie eine Verkehrssprache.
Auch Kirad konnte sich einigermaßen in ihr verständlich machen, wenn auch lange nicht so gut wie An-Shar.
Sie bogen in eine enge Gasse, kamen dann schließlich in die Altstadt von ElDaribar, die einem verwinkelten Sandsteinlabyrinth glich. Handwerker und Händler residierten hier auf engstem Raum. Kaum irgendwo lebten die Menschen so gedrängt wie in einer elbenoidischen Kasbah. Die Häuser hatten oft mehrere Geschosse. Innenhöfe boten Schatten. Hier und da sah man Männer mit Wasserpfeifen gemütlich beieinander sitzen. Natürlich handelte es sich um Wasserpfeifen, die Aammmut geweiht waren, ansonsten galt jegliche Form des Rauchens nämlich als Frevel gegen die Lehre des Din Mogul-Ulali.
An-Shar sprach einige der Männer an, unterhielt sich einige Augenblicke mit ihnen in elbenoidischer Sprache.
Kirad war natürlich von diesen Unterhaltungen ausgeschlossen. Dem Ork begegneten misstrauische Blicke.
"Ich weiß jetzt, wo wir einen Lotsen finden, der uns durch das Delta des Jasabil bringt", verkündete An-Shar schließlich.
Kirad folgte ihm in eine weitere Gasse. Es ging eine Treppe hinauf, dann durch einen dunklen Rundgang hindurch an dessen Ein-und Ausgängen Bettler saßen und die Hand aufhielten. Abwechselnd auf Elbenoidisch und Elbinga versuchten sie an das Geld der Passanten zu kommen.
An-Shar beachtete sie nicht weiter.
Auf der anderen Seite des Rundganges führte eine Treppe wieder hinab. Frauen mit wallenden Gewändern und Gesichtsschleiern trugen Krüge auf den Köpfen.
Plötzlich bückte sich An-Shar. Er hob einen Stein vom Boden auf, einen unscheinbaren Kieselstein.
"Der bringt Glück", sagte er.
"Gehört das auch zur Lehre des Din Mogul-Ulali?", fragte Kirad Kiradssohn Elbenschlächter.
An-Shar lachte. "Nein. Und ich bin im übrigen auch kein Anhänger dieser Lehre."
Kirad folgte dem Magier weiter durch das Labyrinth der Kasbah von ElDaribar. Schließlich traten sie in eine dunkle Wohnung, die im dritten Geschoss eines Sandsteinhauses lag. Im Inneren herrschte ein Halbdunkel. Es drang kaum Licht herein. Die Fenster waren nur winzige Öffnungen. Es gab keine Tür, nur einen verblichenen Teppich, der vom Sturz der Tür herunterhing.
"Finde ich hier Ahmad el-Auri?", rief An-Shar in Elbenoidischer Sprache. Er wartete eine Antwort gar nicht erst ab. Mit einer kräftigen Armbewegung zog er den Teppich zur Seite und trat ein.
Kirad folgte ihm, blickte sich vorher noch einmal um. Ein Bettler beobachtete ihn, sprach ihn auf Elbenoidisch an, aber der Ork verstand kein Wort davon. Wenn wir länger in diesem Land sind, werde ich auch ein paar Brocken dieser Sprache aufschnappen, ging es ihm durch den Kopf. Ein ziemlich schmutzig wirkender Junge starrte die beiden Männer an. Er rief etwas auf Elbenoidisch. Ein Mann trat aus einem Nebenraum, dessen Eingang ebenfalls durch einen Teppich verdeckt war.
Er bedachte Kirad und An-Shar mit einem misstrauischen Blick. Seine dunklen Augen lagen tief.
Das weite Gewand, das er trug, täuschte darüber hinweg, dass er ziemlich dürr war, aber seine knochige Hand ließ keinen Zweifel daran. Ein schwarzer Bart bedeckte den größten Teil des Gesichtes. Stirn, Ohren und Hinterkopf wurden von einem Turban bedeckt.
"Was wollt ihr?", fragte der Mann ziemlich unwirsch gleich zweimal hintereinander, einmal auf Elbinga und einmal auf Elbenoidisch.
"Du bist Ahmad el-Auri, der Lotse", stellte An-Shar fest, der keinerlei Interesse daran hatte, dass Kirad irgendetwas von der Unterhaltung mitbekam und daher Elbenoidisch sprach.
"Gelobt sei Aammmut, ja der bin ich", sagte der Mann.
"Ich habe einen Auftrag für dich. Im Hafen liegt eine orkische Skaid. Du sollst sie durch das Delta führen und zwar so, dass wir möglichst weder von Straßenräubern noch von Untiefen in unserem Fortkommen gehindert werden." Ahmad el-Auri wandte sich an den Jungen.
"Verschwinde!", zischte er.
Der Junge sah ihn fragend an.
"Nun geh schon. Was hier gesprochen wird ist nicht für deine Ohren", wies Ahmad el-Auri ihn zurecht.
Der Junge verschwand hinter einem Teppich, blickte noch einmal herein.
"Du Geschöpf Ouuuls, verschwinde!", fauchte ihm der dürre Mann hinterher und erst jetzt verschwand er endgültig.
Ahmad el-Auri hob die Achseln.
"Ein Geschöpf der Straße, das ich bei mir aufgenommen habe. Barmherzigkeit ist schließlich auch ein Gebot des Din Mogul-Ulali."
"Ja, ich weiß", sagte An-Shar.
"Gewiss seid Ihr auch ein Rechtgläubiger?"
"So ist es."
"Aber Eure Sprache ist eigenartig, Herr. Kommt Ihr möglicherweise aus Aran?"
"Meine Herkunft tut nichts zur Sache."
"Da habt Ihr natürlich im Prinzip recht", sagte der Lotse. Er musterte Kirad Kiradssohn Elbenschlächter und dabei wurden seine Augen sehr schmal. Er hob die Augenbrauen. Ein abschätziger Zug stand jetzt in seinem Gesicht.
"Vermagst du das, was ich verlange?", fragte An-Shar.
"Gewiss vermag ich das. Ich habe schon viele Schiffe durch das Delta geführt und noch keines davon ist in den Untiefen hängen geblieben."
"Nun, so hast du jetzt Gelegenheit, deine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen", unterbrach ihn An-Shar.
"Nicht so schnell, mein rechtgläubiger Anhänger Aammmuts." Er deutete auf Kirad. "Dieser Mann aus dem Norden ist wohl kaum ein rechtschaffener Anhänger des Din Mogul-Ulali. Und verzeiht mir, wenn ich es so offen ausspreche, aber ich glaube, dass es Unglück bringt ein Schiff voller Ungläubiger der Jasabil hinaufzuführen. Man fordert den Fluch der Kreaturen Ouuuls geradezu heraus, wenn Ihr versteht, was ich meine?" An-Shar lächelte kalt.
"Du bist ein so ängstlicher Mann? Jemand, der Schiffe an Untiefen vorbeiführt?"
"Ich bin nur vorsichtig."
"Und ich glaube, du bist habgierig."
"Ein böses Wort, Fremder."
"Ein wahres Wort", widersprach An-Shar. "Was verlangst du? Denn ich wette, dass es darum und nur darum geht. Du willst den Preis erhöhen. Gut, das verstehe ich."
"Ich verlange einen Dinur", sagte Ahmad el-Auri. "Allerdings nur für die einfache Fahrt, wenn ihr eines Tages wieder aus dem Delta heraus wollt und meine Dienste wieder in Anspruch nehmen möchtet, so müsst ihr erneut bezahlen."
"Nichts dagegen", sagte An-Shar. "Deine Dienste sind uns so viel wert." Er hielt dem Lotsen seine Hand hin. Darin lag der Kieselstein. Ahmad el-Auri starrte wie gebannt auf diesen Kieselstein. "Ein Dinur", flüsterte er und nahm den Stein in die Hand, betrachtete ihn voller Unglauben. Der Dinur war eine in Elbenoi gebräuchliche Goldmünze, die allerdings großen Seltenheitswert hatte. Wegen ihrer außergewöhnlichen Größe und Reinheit war der Dinur fünfmal so viel wert wie Goldstücke aus Westernesse oder Relian.
Ahmad el-Auri steckte die angebliche Münze ein.
"Folge uns jetzt!", forderte An-Shar.
Auf Ahmad el-Auris Gesicht erschien ein seliger, etwas entrückter Gesichtsausdruck. "Ja, Herr", flüsterte er.
An-Shar wandte sich an den etwas erstaunt dreinblickenden Kirad.
"Eine einzelne schwache Seele ist leicht zu kontrollieren", sagte An-Shar.
"Du hast ihn betrogen", stellte Kirad fest.
Sie sprachen Orkisch, so dass der Lotse kein Wort verstehen konnte. An-Shar zuckte die Achseln. "Ich habe diesen Mann sehen lassen, was er sehen wollte. Das ist alles."