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Manche Kinder haben stärkere Emotionen als andere. Mehr Freude, mehr Wut, mehr Trauer … Im Nachfolger ihres Bestsellers erforscht Nora Imlau die neuen Herausforderungen, wenn gefühlsstarke Kinder sich außerhalb der Familie in der Gesellschaft, der Schule und in den Medien bewegen.
Es geht für die Kinder dabei mehr denn je darum die Selbstregulationsfähigkeit zu stärken und mit dem Druck von außen zurechtzukommen, auch wenn im Inneren die Gefühlsstürme toben.
Nora Imlau gibt dazu viele Beispiele und hilfreiche Lösungsansätze für Alltagskonflikte und besondere Krisen. Sie bestärkt besonders die Eltern darin, auf ihre Kraftreserven zu achten und Selbstzweifel zu überwinden.
Alles, was wir brauchen, um unsere gefühlsstarken Kinder beim Großwerden zu unterstützen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 345
Nora Imlau
Du bist anders,
du bist gut
Gefühlsstarke Kinder beim Großwerden begleiten. Ab 6 Jahren.
Kösel
Für Mika, ohne den ich vielleicht nie von gefühlsstarken Kindern erfahren hätte
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Copyright © 2019 Kösel-Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Cover: Weiss Werkstatt München
Covermotiv: © plainpicture / Daniel Waschnig Photography | BildNR. p300m982031f
Lektorat: Dr. Daniela Gasteiger, München
ISBN 978-3-641-24994-6V003
www.koesel.de
Vorwort: Große Kinder, große Gefühle
Erstes Kapitel Manches wird leichter – und vieles einfach nur anders: Gefühlsstarke Kinder werden größer
Gefühlsstärke ist keine Phase
Ist mein Kind nun wirklich gefühlsstark? Acht typische Eigenschaften
Gefühlsstarke Kinder: Am äußersten Ende des Spektrums der Temperamente
Das alte Rätsel der Menschheit
Gefühlsstärke ist angeboren – aber entwicklungsfähig
Vom Temperament zur Persönlichkeit
Gefühlsstärke ist und bleibt eine riesige Herausforderung
Wenn gefühlsstarke Kinder älter werden: Was anders wird
Die zwei großen Rettungsanker: Selbstregulation und Selbstfürsorge
Zweites Kapitel Umbaumaßnahmen im Gehirn: Gefühlsstarke Kinder beim Erwachsenwerden begleiten
Die Schaltzentrale verändert sich
Einmal alles neu programmieren: Was in der späten Kindheit passiert
Wie Eltern das Gehirn ihrer Kinder prägen
Unzerbrechliche Kinder gibt es nicht
Vorsicht, Scharlatane: Wenn Hoffnung zum Geschäftsmodell wird
Gefühlsstark Plus: Wenn zu einem besonderen Temperament eine medizinische Diagnose kommt
Schluss mit den Vorurteilen! Was jeder über gefühlsstarke Kinder wissen sollte
Drittes Kapitel Von Bedürfnissen und Wünschen: Gefühlsstarke Kinder besser verstehen
Die Bedürfnisse hinter den Gefühlen sehen
Ich liebe dich! Ich hasse dich! Im Wechselbad der Gefühle
Neue Farben in der Palette: Welche Gefühle jetzt hinzukommen
Mit neuen Gefühlen umgehen lernen
Ich will Nähe, ich will Freiheit: Das Spannungsfeld menschlicher Bedürfnisse
Bedürfnisse in Balance
Der Weg durch das Nadelöhr: Von Bedürfnissen und Strategien
Sag mir doch einfach, was du brauchst! Warum das gefühlsstarken Kindern oft so schwerfällt
Aneinander dranbleiben – trotz allem
Nun sprich doch mit mir! Aktives Zuhören statt Druck und Vorwürfe
Zwischen Schützen und Schubsen: Der größte Balanceakt
So viel Neugier, so viel Kraft: Was in gefühlsstarken Kindern und Jugendlichen alles steckt
Viertes Kapitel Viel Freiheit und ein fester Rahmen: Wie gefühlsstarke Kinder Selbstregulationsfähigkeit entwickeln
Wenn Kuscheln nicht mehr hilft: Neue Strategien für alte Probleme
Die eigenen Emotionen regulieren lernen
Selbstregulation trainieren – Fünf ganz praktische Tipps
Halt geben, Vertrauen schenken: Persönliche Grenzen vertreten
Abgrenzen – nicht ignorieren!
Der Unterschied zwischen Kooperation und Gehorsam
Nachgeben statt Aufgeben
Ideal und Wirklichkeit
Das Geheimnis von Authentizität
Zusammen schaffen wir das! Mit gefühlsstarken Kindern Krisen meistern
Fünftes Kapitel Du treibst mich in den Wahnsinn! Strategien für den Alltag mit gefühlsstarken Kindern
Jeder Tag ein neues Drama
Das leidige Klamottenthema
Warum immer so laut? Unterschiedliches Lärmempfinden
Immer dieses Chaos! Warum gefühlsstarke Kinder sich mit Ordnung so schwertun
Ich kann aber nicht schlafen! Schlafprobleme – immer noch
Hier brennt die Luft: Gefühlsstarke Kinder und ihre Geschwister
Wer führt? Über den schmalen Grat zwischen Selbstbestimmung und Überforderung
Sechstes Kapitel Gefühlsstarke Kinder und die Welt da draußen: Freizeit, Medien und soziale Beziehungen
Loslassen, aber nicht alleinlassen
Du brauchst doch ein Hobby, nun bleib doch mal dabei!
Computerverrückt und handysüchtig: Exzessiver Medienkonsum
Verprasst, verschenkt, verpfändet: Gefühlsstarke Jugendliche und ihr Umgang mit Geld
Von Freunden und Feinden: Gefühlsstarke Kinder und ihr soziales Netz
Zu laut, zu wild, zu übermütig: Wenn gefühlsstarken Kindern das Freunde Finden schwerfällt
Wenn aus Wut Gewalt wird: Wege aus der Aggressionsfalle
Siebtes Kapitel So viel Schule, so viel Stress: Warum gefühlsstarke Kinder und Jugendliche in der Schule oft so zu kämpfen haben
Ein Pensum wie ein Vollzeitjob
Ist unser gefühlsstarkes Kind schulreif?
Eine passende Schule für unser gefühlsstarkes Kind
Der wichtigste Grundsatz: Die Schule darf nie zwischen uns stehen
Miteinander statt Gegeneinander: Wie Erziehungspartnerschaft gelingt
Typische Schulprobleme gefühlsstarker Kinder – und mögliche Lösungen
Vokabeln lernen macht mir Kopfweh: Geringe Stresstoleranz als Stressfaktor
Ein Ausweg aus der Ausweglosigkeit
Achtes Kapitel Der Schlüssel zu neuer Kraft für Eltern: Warum es ohne Selbstfürsorge auf Dauer nicht geht
Die große Erschöpfung
Stimmen aus der Vergangenheit
Fürsorge für das Kind in mir
Nett zu uns selber sein
Fünf-Punkte-Plan für den Alltag
Selbst, aber nicht allein
Neuntes Kapitel Wer bin ich und wer bist du? Was wir von gefühlsstarken Kindern über uns selbst lernen
Woher kommt nur meine Wut?
Bin ich eigentlich selbst gefühlsstark?
Hilfe für gefühlsstarke Erwachsene
Große Gefühle schweißen zusammen
Zum Schluss
Gemeinsam statt einsam
Anmerkungen
Bildnachweis
Zum Weiterlesen
Vorwort Große Kinder, große Gefühle
Mein Kind ist anders als andere: sensibler und gleichzeitig wilder, ungestümer und verletzlicher, kuscheliger und fordernder. Von jedem Gefühl, jedem Bedürfnis scheint es nur die Extremvariante zu kennen, die keine Grenzen und keinen Aufschub kennt. Und weil es ständig wie unter Strom zu stehen scheint, kommt es nicht nur selbst kaum je zur Ruhe – es hält auch die ganze Familie permanent in Atem. Es war dieses Gefühl, das mich vor vielen Jahren dazu bewog, mich mit dem besonderen Temperament jener Jungen und Mädchen auseinanderzusetzen, die ich heute gefühlsstarke Kinder nenne. Aus dem Wunsch, mein eigenes Kind besser zu verstehen, erwuchs eine umfangreiche Recherche, deren wichtigste Ergebnisse ich schließlich in einem Buch zusammenfasste: »So viel Freude, so viel Wut«, das erste deutschsprachige Buch über gefühlsstarke Kinder, erschien im Frühsommer 2018 und eroberte die Köpfe und Herzen vieler tausend Eltern im Sturm.
»Endlich sind wir nicht mehr allein« – das ist die häufigste Rückmeldung, die mich seither von dankbaren Leserinnen und Lesern erreicht. Denn ein gefühlsstarkes Kind ins Leben zu begleiten, kann eine verflixt einsame Erfahrung sein. Schließlich kann kaum jemand nachvollziehen, wie es wirklich ist, mit so einem hochemotionalen Energiebündel zusammenzuleben. Statt Verständnis hagelt es deshalb meist eher Erziehungstipps: Sei strenger, greif härter durch, lass ihm das nicht durchgehen. Als wäre das besondere Temperament unseres Kindes unsere eigene Schuld, und seine Schwierigkeiten im Alltag die direkte Folge unserer mangelhaften Erziehung. Dabei ist glasklar bewiesen: Kinder werden nicht gefühlsstark gemacht, sie kommen bereits mit dieser besonderen Spielart der Persönlichkeit zur Welt. Die besondere Kombination aus Wildheit und Verletzlichkeit ist keine Störung, kein Anzeichen einer Krankheit, kein Fehler im System. Sondern vielmehr eine gesunde, natürliche, angeborene individuelle Eigenschaft, die mit besonderen Herausforderungen einhergeht – aber auch mit besonderen Stärken und Potenzialen.
In »So viel Freude, so viel Wut« habe ich den Grundstein dafür gelegt, dass gefühlsstarke Kinder in Deutschland heute in einem neuen Licht betrachtet werden: nicht als verhaltensauffällige Problemkinder, sondern als die spannenden und vielseitigen Persönlichkeiten, die sie in Wirklichkeit sind. In »Du bist anders, du bist gut« führe ich diesen Gedanken nun weiter und erkläre, wie sich Gefühlsstärke mit den Jahren verändert und entwickelt und welche Folgen daraus innerhalb und außerhalb der Familie erwachsen. Ein gefühlsstarkes Schulkind braucht andere Eltern als ein gefühlsstarker Teenager. Und weil Gefühlsstärke auch im Erwachsenenalter nicht einfach verschwindet, ist es wichtig, zu verstehen, wie der besondere Mix explosiver Persönlichkeitsmerkmale auch dann in Familien wirkt, wenn Eltern und Großeltern gefühlsstark sind – auch wenn sie es als Kinder vielleicht nie sein durften.
Erstes KapitelManches wird leichter – und vieles einfach nur anders: Gefühlsstarke Kinder werden größer
»Ach, das verwächst sich«, bekommen Eltern oft zu hören, wenn sie über schrullige oder anstrengende Eigenheiten ihrer Kinder sprechen. Und oft stimmt das tatsächlich: Hartnäckige Strumpfhosen-Verweigerer ziehen sich einige Jahre später oft problemlos an, kleine Gemüse-Hasser können zu gänzlich unkomplizierten Essern heranwachsen, und aus bockigen Wutzwergen sind zehn Jahre später nicht selten sanftmütige, kompromissbereite Jungen und Mädchen geworden. Doch bei gefühlsstarken Kindern hilft das Mantra von der schwierigen Phase, die garantiert vorbeigeht, oft nicht weiter. Zwar durchlaufen selbstverständlich auch sie verschiedene Entwicklungsstufen und dabei wird manches mit der Zeit ganz von selber leichter – aber ihr intensives, hochreaktives Temperament wächst sich eben nicht aus, sondern bleibt eine Herausforderung, auch dann noch, wenn in anderen Familien längst wieder Ruhe eingekehrt ist. Denn so, wie gefühlsstarke Kinder häufig von einer großen, wilden, alles umfassenden Emotion in die nächste springen, so löst bei ihnen oft auch eine herausfordernde Phase die nächste ab. Da verwundert es nicht, dass eines der häufigsten Themen in der Gruppe für Eltern gefühlsstarker Kinder auf Facebook die bange Frage ist: Wird es für uns denn niemals leichter? Darauf gibt es keine einfachen Antworten. Denn Fakt ist: Gefühlsstärke ist und bleibt eine Charaktereigenschaft, die sich nicht einfach verwächst, sondern lebenslang Chance und Herausforderung zugleich bleibt – für die Betroffenen ebenso wie für ihr Umfeld.
Doch das heißt nicht, dass das Leben mit einem gefühlsstarken Kind nicht trotzdem mit den Jahren leichter werden kann. Denn was gefühlsstarken Kindern so schwerfällt – sich selbst zu regulieren – ist eine Fähigkeit, die sie mit der richtigen Begleitung zuverlässig lernen können. Und sobald sie diesen Dreh raus haben, wird der Familienalltag tatsächlich um ein Vielfaches unkomplizierter. Die gute Nachricht ist: Die Selbstregulationsfähigkeit ihres gefühlsstarken Kindes stärken können Eltern von der Babyzeit an. Die schlechte: Sie brauchen dafür einen verflixt langen Atem. Denn viele Jahre der geduldigen, beständigen Co-Regulation sind nötig, bis sich im Gehirn gefühlsstarker Kinder jene Strukturen ausgeprägt haben, die ihnen ermöglichen, sich ihren heftigen Gefühlsausbrüchen selbstwirksam zu stellen. Umso wichtiger ist es, auf diesem Weg die kleinen Erfolge zu sehen und zu feiern: Jede Enttäuschung, die nicht zu einem völligen Ausrasten geführt hat. Jeder Kindergeburtstag, der nicht in die Hose ging. Jedes Innehalten, Durchatmen, Ruhigwerden. Vielen Eltern gefühlsstarker Kinder gelingt dies jahrelang sehr gut. Nachdem sie verstanden haben, warum ihr Kind so ist wie es ist, schöpfen sie aus ihrem neuen Verständnis die Kraft, für ihr kleines Emotionsbündel da zu sein, ohne es mit Druck und Strafen verändern zu wollen.
Doch irgendwann, wenn ihr Kind im Grundschulalter ist, erreichen viele Eltern den Punkt, an dem sie das Gefühl haben: Jetzt ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Jetzt begleiten wir unser Kind schon so lange so verständnisvoll durch seine ganzen wirbeligen Emotionen, und es ist immer noch oft so wütend, so anstrengend, so kompliziert. So kann es einfach nicht länger weitergehen! Mit sieben, acht, neun, zehn Jahren muss ein Kind doch langsam mal in der Lage sein, nicht um jede Kleinigkeit ein Drama zu machen! Dazu kommt, dass auch das Verständnis aus dem Umfeld immer weiter sinkt. Mag ein willensstarkes Kleinkind noch ganz süß sein, geht ein gefühlt ständig bockiger Neunjähriger ohne niedlichen Babyspeck vielen Menschen schlicht tierisch auf die Nerven. »Das muss doch in dem Alter nicht mehr sein« – viele Eltern gefühlsstarker Kinder trifft dieser Vorwurf, mal abschätzig gemurmelt, mal unausgesprochen im Raum stehend, mitten ins Herz. Denn sie zweifeln ja selbst immer mehr an ihrem Weg, ihrer Erziehung, ihrem Kind. Deshalb ist es so wichtig, dass genau an dieser ganz typischen Klippe im mittleren Grundschulalter jemand steht und sagt: Keine Angst – das ist alles ganz normal. Die Wutausbrüche, immer noch. Die Verletzlichkeit, die Angst, die Tränen. Die Wechselhaftigkeit, die düsteren Gedanken, das Gefühl, dass nichts einfach mal leicht sein kann. Die Verzweiflung darüber, die Sorge, etwas falsch gemacht zu haben. All das gehört dazu, wenn gefühlsstarke Kinder größer werden in einer Welt, die nicht für sie gemacht ist und die sie und ihre Eltern so oft missversteht. Unzählige Familien sind vor uns durch diese schwierige Zeit gegangen, und unzählige werden es nach uns tun. Wir sind nicht allein. Und der Weg raus aus der Panik und dem Stress führt nicht über mehr Strenge und Härte, wie uns oft eingetrichtert wird. Sondern – wie auch schon in der Baby- und Kleinkindzeit – über Klarheit und Verständnis. Je besser wir begreifen, was in unseren gefühlsstarken Kindern vor sich geht, wenn sie älter werden, und was sie in diesen stürmischen Zeiten von uns brauchen, desto leichter wird es uns fallen, unseren Weg als Familie ruhig und selbstbewusst weiterzugehen. Und zwar nicht im Kampfmodus, in einem ständigen Gegeneinander. Sondern in dem guten Gefühl, mit unserem gefühlsstarken Kind allen Widerständen zum Trotz gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Zusammen meistern wir den Kraftakt, an einem gesunden, selbstwirksamen Umgang mit starken Gefühlen zu arbeiten, ohne sie dabei unterdrücken oder auslöschen zu wollen. Denn unser Kind ist richtig und gut, so wie es ist. Es hat nur die Lebensaufgabe, seine heftigen emotionalen Hochs und Tiefs in sozial verträgliche Bahnen zu lenken. Dabei sind wir Eltern seine wichtigsten Lehrmeister und Wegbegleiter, von der Kleinkindzeit bis zum Erwachsenwerden.
Immer wieder kommt es vor, dass Eltern sich unsicher fragen, ob ihr Kind nun wirklich gefühlsstark ist. Meist ist der Grund, dass sie es zwar in vielen der typischen Kennzeichen gefühlsstarker Kinder erkennen – aber nicht in allen. Oder sie haben das Gefühl: Oft ist unser Kind exakt so wie dort beschrieben, aber eben nicht immer. »Reicht« das dann, um gefühlsstark zu sein? Vereinzelt kam es sogar bereits vor, dass Eltern sich einen eindeutigen Gefühlsstärke-Test wünschen: Könnte man vielleicht das Level des Stresshormons Cortisol im Blut des Kindes überprüfen und daraus ablesen, wie gefühlsstark es ist? Oder könnte vielleicht ein MRT Aufschluss geben? Bei allem Verständnis dafür, dass Mütter und Väter sich nach Klarheit sehnen, ist es wichtig, zu betonen: Einen solchen eindeutigen Beweis dafür, dass das eigene Kind gefühlsstark ist, kann und wird es niemals geben. Denn auch wenn es viele Hinweise darauf gibt, dass Gefühlsstärke ihre Ursache auch in Besonderheiten des menschlichen Gehirns hat, ist sie keine trennscharf festzustellende körperliche Anomalie, sondern letztlich nichts anderes als die Beschreibung mehrerer Eigenschaften, die Eltern und Kinder gleichermaßen herausfordern. Dass dabei auch eine subjektive Komponente eine Rolle spielt – nicht jeder wird jedes Kind als gleich gefühlsstark empfinden –, ist dabei keine Schwäche der Idee, sondern genau so gewollt. Schließlich sollen alle Familien Rat und Unterstützung finden, die sich durch das intensive Temperament ihres Kindes herausgefordert fühlen – ganz unabhängig davon, wo genau es nun auf irgendeiner messbaren Skala steht.
Die typischen Eigenschaften gefühlsstarker Kinder zeigen: Jeder Mensch kommt mit seinem ganz eigenen, angeborenen Grundtemperament zur Welt, das bestimmt, wie er die Welt wahrnimmt und auf Reize reagiert. Verantwortlich für diese unterschiedliche Weltwahrnehmung ist die Tatsache, dass das Gehirn zwar grob bei allen Menschen gleich aufgebaut ist, sich jedoch in kleinen, aber bedeutsamen Details von Geburt an unterscheidet. Bestimmenden Einfluss auf das individuelle Temperament hat dabei insbesondere die Größe und Empfindlichkeit der Amygdala, eines kleinen mandelförmigen Hirnareals in der Mitte des limbischen Systems, das für Stressreaktionen und Gefahren-Früherkennung zuständig ist, sowie die Beschaffenheit des Vagusnervs, also jenes Nervensystems, das Entspannungs- und Ruhesignale vom Gehirn in den Körper trägt. Aus dem Zusammenspiel dieser beiden neuronalen Strukturen ergibt sich, wie stressempfindlich und empfänglich für äußere Reize ein Mensch ist und wie schnell und effektiv er seine Reaktionen und Emotionen regulieren kann.
Manche Menschen kommen mit einer unterdurchschnittlich empfindlichen Amygdala, aber einem sehr starken Vagusnerv zur Welt. In der Folge sind sie selbst in heftigen Stresssituationen nicht leicht aus der Ruhe zu bringen, und wenn sie sich doch mal aufregen, erlangen sie überdurchschnittlich leicht wieder ihre innere Balance zurück. Diese extrem regulationsstarken Menschen stehen am einen Ende des Spektrums der verschiedenen Temperamente, an dessen anderem Ende sich unsere gefühlsstarken Kinder befinden. Dazwischen bewegen sich all die, die mit ihrer individuellen Stress-Resistenz und Selbstberuhigungsfähigkeit nicht so stark einem der Pole zuneigen. Je nachdem, wo auf dieser großen Bandbreite der unterschiedlichen Weltwahrnehmungen unsere Kinder und wir selbst angesiedelt sind, ändert sich die Dynamik unserer Familie. Auffällig dabei ist, dass es umso mehr knallt, je näher Familienmitglieder am äußersten Ende dieses Spektrums stehen, und zwar auf der gefühlsstarken Seite. Denn wo eine extrem empfindliche Amygdala auf einen sehr schwach ausgeprägten Vagusnerv trifft, schlägt die Wucht jedes Reizes und jedes großen Gefühls ungebremst zu. Gefühlsstarke Kinder scheinen deshalb oft von jedem Bedürfnis und jeder Gefühlsäußerung nur die Maximalvariante zu kennen: Tiefste Trauer, größte Freude, heftigster Frust, wildeste Wut. Das Leben mit ihnen gleicht einer turbulenten Achterbahnfahrt, die kaum jemals pausiert, denn einfach mal so mittelzufrieden sind diese Kinder so gut wie nie. Stattdessen springen sie wie kleine Flummibälle von einem starken Gefühl ins nächste, und treiben die Menschen um sie herum mit ihrem unbändig starken Willen, ihren heftigen Gefühlsausbrüchen, ihrem starken Gerechtigkeitssinn, ihrem Denken und Fühlen in Extremen und ihrem typischerweise geringen Schlafbedarf in Kombination mit einem hohen Bewegungsdrang schier in den Wahnsinn.
Umso wichtiger ist es, sich klarzumachen: Gefühlsstärke ist anstrengend und herausfordernd für alle Beteiligten, aber sie ist weder eine Krankheit noch eine Störung noch ein Ergebnis falscher Erziehung. Sie ist einfach nur eine besondere Spielart der Persönlichkeitsentwicklung. Gefühlsstark zu sein ist genauso normal wie nicht gefühlsstark zu sein. Es ist nur seltener. Etwa jedes siebte Kind, schätzt die US-amerikanische Pädagogin Mary Sheedy Kurcinka, ist gefühlsstark. Genaue Zahlen zu erheben ist schwierig, da Gefühlsstärke ja eben keine medizinische Diagnose darstellt, sondern einfach nur einen explosiven Mix verschiedener intensiver Charaktereigenschaften beschreibt, und zwar auf möglichst wertschätzende Weise. Denn in der Geschichte der Erziehung sind für wilde, willensstarke Kinder bisher ganz andere Vokabeln verwendet worden. Sie galten als Trotzköpfe und Taugenichtse, als Zappelphilippe und Zicken, als verhaltensauffällige Problemkinder.
Diese Kinder heute als gefühlsstark zu sehen und zu bezeichnen hilft dabei, das Stigma, das ihrem besonderen Temperament anhaftet, zu lösen und nach neuen Wegen zu suchen, ihnen zu einem gesunden, sozialverträglichen Umgang mit ihren großen Gefühlen zu verhelfen. Gefühlsstärke zu verstehen heißt, Kinder nicht länger dafür zu verurteilen, dass sie anders sind als andere. Sondern das ungeheure Potenzial, das in ihrem besonderen Persönlichkeitsprofil liegt, zu sehen und zu stärken, ohne die Gefühlsstärke als Ausrede oder Standard-Entschuldigung für alles heranzuziehen.
Keine Spezies auf unserer Erde ist so variantenreich und vielfältig wie unsere Art. Es ist unglaublich, wie verschieden Menschen sein können, selbst dann, wenn sie von denselben Eltern oder Großeltern abstammen. Jede Kultur hat dafür in den vergangenen Jahrtausenden ihre eigenen Erklärungen gefunden: Vielleicht prägt der Stand der Sterne zum Zeitpunkt unserer Geburt unsere Persönlichkeit? Oder wird ein Kind im Mutterleib vielleicht schreckhaft davon, wenn seine Mutter sich erschrickt? Trägt es das Erbe eines früheren Lebens in sich, das es bestimmt? Oder hat es von den Göttern und Geistern einen besonderen Auftrag mitbekommen? Von Generation zu Generation wurden solche Geschichten weitererzählt, die die unglaubliche Unterschiedlichkeit von Menschenkindern erklären sollten. In der Antike entwickelte der griechische Arzt und Philosoph Galen von Pergamon bereits 200 nach Christus die Idee der vier Grundtemperamente: Die heiteren und aktiven Sanguiniker sind das genaue Gegenteil der eher passiven und schwerfälligen Phlegmatiker; Melancholiker haben eine besonders stark ausgeprägte traurige und nachdenkliche Seite, während Choleriker sich leicht aufregen und schnell wütend werden. Seither wurde die antike Temperamentelehre immer wieder ergänzt, neu interpretiert und zum Teil auch mystifiziert, indem etwa bestimmten Sternzeichen typische Charaktereigenschaften zugeschrieben wurden.
Das Spannende daran ist, dass augenscheinlich zu allen Zeiten – ob in der Antike, im Mittelalter oder auch während der Aufklärung – nach Erklärungen dafür gesucht wurde, warum Kinder sich zu so unterschiedlichen Erwachsenen entwickeln, und warum wir auf diese Entwicklung so wenig Einfluss haben. Die Frage, mit der wir Eltern gefühlsstarker Kinder uns so häufig herumschlagen – Warum ist mein Kind nur, wie es ist? – ist also keineswegs eine Modeerscheinung der Neuzeit. Im Gegenteil: Dass sich Menschen seit über 2000 Jahren auf ganz unterschiedliche Weise mit der Lehre der Temperamente beschäftigen, zeigt, dass wir Eltern uns mit einem der größten und ältesten Rätsel der Menschheit befassen: Wie werden wir zu den Menschen, die wir sind?
Die Idee, dass unsere Erziehung irgendeinen Einfluss darauf haben könnte, wie Kinder sich entwickeln, ist hingegen verhältnismäßig neu. Das hat einen einfachen Grund: Den größten Teil der Menschheitsgeschichte lebten Familien in Stämmen, in denen alle ziemlich genau das Gleiche taten. Sie aßen dasselbe Essen, schliefen an ähnlichen Orten, trugen die gleiche Kleidung. Und auch der Umgang mit ihren Kindern unterschied sich nicht von dem der anderen Menschen in ihrem Clan. Kindererziehung war keine individuelle Angelegenheit und beinhaltete keine Wahl zwischen verschiedenen Wegen, sondern bestand in der kollektiven Umsetzung dessen, was im Clan unhinterfragter Konsens war. In der Folge wäre es völlig unplausibel gewesen, die Eltern eines besonders wilden, aufrührerischen, störrischen, lauten Kindes in irgendeiner Weise für das Verhalten ihres Kindes verantwortlich zu machen. Sie hatten ja offensichtlich nichts anders gemacht als all die anderen Mütter und Väter. Nein: In den äußeren Umständen des Aufwachsens konnten die offensichtlichen Unterschiede zwischen den verschiedenen Clankindern nicht liegen. Sie mussten ihre Unterschiedlichkeit vielmehr mitgebracht haben.
In der modernen Psychologie und Verhaltensbiologie des 19. und 20. Jahrhunderts wurde diese Sichtweise oft als unwissenschaftlich verlacht. Als der berühmte Persönlichkeitsforscher Jerome Kagan vor über 50 Jahren als junger Psychologiestudent die Persönlichkeitsentwicklung des Menschen zu erforschen begann, war er absolut davon überzeugt, dass es primär die äußere Sozialisation sei, die die Persönlichkeit eines jeden Menschen forme, wie es der damaligen Lehrmeinung entsprach. Die Vorstellung passte auch ideologisch gut in die Zeit: Wenn qua Geburt alle Menschen gleich aufgestellt sind, können sie mit der gleichen Erziehung und Ausbildung auch alle gleich gut funktionierende Erwachsene werden. Totale Chancengleichheit durch totale Gleichförmigkeit – man muss nur die eine Formel finden, die aus allen Kindern gute Menschen macht. Dem jungen Studenten Kagan widersprach damals ausgerechnet seine Mutter.[1] Ohne jede psychologische Ausbildung sagte sie ihrem Sohn auf den Kopf zu, sie sei sich ganz sicher, dass Kinder schon verschieden zur Welt kommen, und dass keine Gleichbehandlung der Welt sie zu gleichen Menschen machen könne. Dafür sei die unerklärliche Kraft in ihrem Inneren zu stark. Heute erinnert sich Kagan, mittlerweile 90 Jahre alt, etwas verschämt an diese Auseinandersetzung. Denn seine jahrzehntelange Forschung hat letztlich bewiesen, dass seine Mutter Recht hatte, ebenso wie all die Völker und Kulturen, die ganz selbstverständlich davon ausgingen, dass bereits kleinste Kinder etwas ganz eigenes mitbringen, wenn sie geboren werden – und keinesfalls unbeschriebene Blätter sind.
Nie zeigt sich das angeborene Temperament eines Menschen stärker als in der frühen Kindheit. Ein neugeborenes Baby kennt keine Scham und keinen Erwartungsdruck. Es macht sich keine Gedanken darüber, welche Verhaltensweisen in welchen Situationen angemessen oder sozial erwünscht sein könnten. Es folgt vielmehr dem evolutionären Programm in seinem Inneren, das ihm sagt, wann es sicher und wann es potenziell in Gefahr ist, wie es zum Aufbau der lebenswichtigen Eltern-Kind-Bindung beitragen kann, und wie es am besten auf sich aufmerksam macht, wenn es etwas braucht.
Dabei ist es beileibe nicht so, dass allen Babys dasselbe Survival-Programm in die Wiege gelegt wäre. Es zeigt sich vielmehr bereits in den ersten Wochen und Monaten nach der Geburt, dass unsere Kinder mit unterschiedlichen »Werkseinstellungen« ins Leben starten und auf dieselben Reize ganz unterschiedlich reagieren. Den Forschungen Jerome Kagans zufolge lassen sich dabei ganz grob drei Typen erkennen: Etwa 40 Prozent aller Babys sind regulationsstark, reagieren also nur mit einer schwachen Amygdala-Aktivität auf Stress und wirken durch ihren hohen Vagustonus oft sehr ausgeglichen, was sich auch in einer geringeren motorischen Aktivität und einem hohen Schlafbedarf niederschlägt. Weitere 40 Prozent aller Babys könnte man als bindungsstark bezeichnen: Sie brauchen kontinuierliche Co-Regulation von außen, um die Reize und Stressoren des Alltags gut bewältigen zu können. Das heißt: Ihre Amygdala reagiert durchaus empfindlich auf Stress, ihr Vagusnerv spricht jedoch sehr gut auf Regulationsangebote von außen an und vermag mit dieser Unterstützung, den Körper wieder in den Ruhezustand zu versetzen. Die verbleibenden 20 Prozent aller Babys nennt Kagan »hoch reaktiv«: Sie reagieren extrem sensibel auf jeden Reiz, sind enorm stressempfindlich und schaffen es selbst mit viel Begleitung nur schwer, in die Ruhe zu finden. Sie sind motorisch überdurchschnittlich aktiv, ausgesprochen willensstark und hartnäckig, haben einen unterdurchschnittlichen Schlafbedarf und schreien signifikant mehr als Gleichaltrige. Viele dieser Babys entwickeln sich zu jenen sensiblen Wirbelwinden, die wir gefühlsstarke Kinder nennen. Typischerweise fallen gefühlsstarke Kinder also bereits im Baby- und Kleinkindalter durch ihre immens starken Bedürfnisse und ihr besonders anspruchsvolles Temperament auf und bleiben auch weit nach den Kindergarten- und frühen Grundschuljahren fordernder, wilder und impulsiver als Gleichaltrige.
Doch nicht immer verläuft die Entwicklung so linear: Es gibt auch gefühlsstarke Kinder, die von ihren Eltern in der ersten Zeit nach der Geburt als unkompliziert und pflegeleicht empfunden werden und deren intensives Temperament sich erst etwas später zeigt. Umgekehrt gibt es selbstverständlich auch Kinder, die sich aufgrund von Anpassungsschwierigkeiten nach der Geburt in ihren ersten Lebensmonaten wie ein typisches gefühlsstarkes Baby verhalten, dann jedoch spürbar ruhiger und ausgeglichener werden, und zwar dauerhaft. Wichtig ist, Gefühlsstärke nicht mit den ganz normalen stürmischen Emotionen während der sogenannten Autonomiephase zu verwechseln, also jener Zeit zwischen dem ersten und dem fünften Geburtstag, in dem Kinder ihr eigenes Ich und ihren eigenen Willen entdecken, was typischerweise mit heftigen Gefühlsausbrüchen einhergeht. Viele Eltern haben insbesondere beim ersten Kind in dieser Phase oft das Gefühl, ihr Kind sei plötzlich völlig durchgedreht: ständig wütend, häufig unausgeglichen, und oft richtiggehend auf Krawall gebürstet. Kein Wunder, dass sich die meisten Mütter und Väter in dieser Zeit zum ersten Mal fragen, ob ihr Kind vielleicht gefühlsstark sein könnte.
Fakt ist: Es gehört geradezu zu den primären Kennzeichen der Autonomiephase, dass fast alle Kleinkinder in dieser Zeit Gefühle besonders intensiv erleben und – aufgrund ihrer noch unausgereiften Impulskontrolle – auch sehr intensiv ausleben, heftige Wutanfälle inklusive. Insofern sind tatsächlich fast alle Kleinkinder »gefühlsstark« in dem Sinne, dass sie und ihre Eltern tagtäglich von starken Gefühlen und den Schwierigkeiten im Umgang mit ihnen herausgefordert sind. Doch der Unterschied zwischen Gefühlsstärke als angeborenem Temperament und den typischen Gefühlsausbrüchen in den Kleinkindjahren ist, dass Gefühlsstärke kein phasenweises Phänomen ist, keine Begleiterscheinung einer bestimmten Schwelle in der Persönlichkeitsentwicklung mit einem Anfang und einem Ende. Gefühlsstärke bleibt, auch dann, wenn die Gleichaltrigen allmählich alle durch sind mit dem Bocken und Trotzen, dem Auf-den-Boden-Werfen, dem Hauen, Beißen und Spucken. Gefühlsstärke heißt, auch dann noch ständig von Gefühlen überwältigt zu werden, wenn es längst nicht mehr als altersgerecht gilt. Gerade das macht es für Eltern und Kinder ja so schwer. Denn während andere Eltern aufatmen, wenn die Autonomiephase endet und ihr Kind spürbar gereift daraus hervorgeht, fängt für Familien mit gefühlsstarken Kindern der Spießrutenlauf in dieser Zeit häufig erst so richtig an. Schließlich wird in unserer Gesellschaft von Kindern meist spätestens im Vorschuljahr erwartet, sich einfügen und anpassen zu können, sich an Regeln zu halten, still zu sitzen und zuzuhören – Erwartungen, die gefühlsstarke Kinder nur schwer, oft auch gar nicht erfüllen können. Und dann?
Die vielleicht wichtigste Nachricht für Eltern gefühlsstarker Kinder ist: Das besondere Temperament ihres Kindes ist zwar angeboren – doch sein Schicksal ist dadurch nicht vorbestimmt, und sein Lebensweg nicht vorgezeichnet. Denn während in den ersten Lebensjahren der Persönlichkeitsentwicklung das angeborene Temperament eines Kindes tatsächlich eine immense Rolle spielt, nimmt die Bedeutung dieser »Werkseinstellung ab Geburt« mit zunehmendem Lebensalter signifikant ab. Das hat vor allem zwei Gründe. Zum einen verändern und prägen die Erfahrungen, die Kinder und Jugendliche mit ihren engsten Bindungspersonen und ihrer Umwelt machen, das menschliche Gehirn. Zum anderen reift mit dem Älterwerden zusehends auch der Neokortex heran, also jenes Hirnareal, das für bewusste, wohlüberlegte Entscheidungen, Vernunft und einen eigenen Willen verantwortlich ist. Je stärker der Neokortex im Gehirn die Führung übernimmt, desto weniger hilflos sind wir Menschen unseren angeborenen Reaktionsmustern ausgeliefert. Stattdessen können wir für uns typische Muster nun erkennen, analysieren und – wenn wir wollen – auch bewusst verändern. Kurz: Je älter wir Menschen werden, desto mehr übernehmen wir die Kontrolle darüber, was für Persönlichkeiten wir sind und sein wollen. Wir können uns Ängsten stellen, Blockaden überwinden und Strategien entwickeln, Herausforderungen zu bewältigen, die wir bisher intuitiv eher gemieden haben. Doch das heißt nicht, dass damit unser angeborenes Temperament bedeutungslos werden würde. Bis an unser Lebensende hat es vielmehr Einfluss darauf, was uns leicht und was uns schwerfällt, und prägt insbesondere in Stresssituationen unsere spontanen Reaktionen. Doch unsere Vernunft und Entscheidungskompetenz werden mit dem Erwachsenwerden so stark, dass unser angeborenes Grundtemperament in alltäglichen Situationen für Außenstehende meist nicht mehr erkennbar ist. Unsere Persönlichkeit ist nun viel mehr geprägt von unseren Genen und unserer Sozialisation, unserem angeborenen Temperament und unserem freien Willen.
Die spannende Herausforderung für Eltern älter werdender gefühlsstarker Kinder ist es deshalb, ihr Kind weiterhin zu lieben und anzunehmen, wie es ist – ihm aber gleichzeitig auch einen Rahmen zu bieten, in dem es weiter reifen und wachsen kann, indem es sich Herausforderungen stellt, die ihm aufgrund seines angeborenen Temperaments eher schwerfallen. Sind gefühlsstarke Kinder in ihren ersten Lebensjahren vor allem auf Verständnis angewiesen dafür, dass sie ihre heftigen Impulse noch nicht kontrollieren können, brauchen größere Jungen und Mädchen darüber hinaus konkrete Hilfestellung dabei, an Verhaltensweisen und Reaktionsmustern zu arbeiten, die ihnen im Alltag Schwierigkeiten bereiten.
Diesen Entwicklungsprozess zu begleiten, erfordert viel Fingerspitzengefühl. Denn aufgrund ihrer hohen Sensibilität reagieren gefühlsstarke Kinder sehr empfindlich auf jede Form von Kritik und machen schnell innerlich dicht, wenn sie das Gefühl haben, soziale Erwartungen nicht zu erfüllen. Gleichzeitig sind sie dringend auf Rückmeldungen aus ihrem Umfeld angewiesen, um zu identifizieren, aus welchen Verhaltensweisen bestimmte Probleme im Alltag resultieren. Für Eltern bedeutet das den schwierigen Balanceakt, Selbstzweifel ihres Kindes nicht gleich wegzuwischen, weil sie ein wichtiger Entwicklungsmotor sein können – und ihm gleichzeitig zu zeigen, dass es auch ohne jede Veränderung bedingungslos geliebt wird. Ihrem Kind nicht jeden Stein aus dem Weg zu räumen – und gleichzeitig sensibel dafür zu bleiben, wenn ihr Kind an einer Herausforderung nicht mehr wächst, sondern zu zerbrechen droht. Ihr Kind zusehends Verantwortung übernehmen zu lassen für sein eigenes Verhalten – und in schwierigen Situationen trotzdem hinter ihm zu stehen.
Unsere gefühlsstarken Kinder sind ihrem besonderen Temperament weder schutzlos ausgeliefert noch ist ihr Lebensweg durch es vorbestimmt. Doch sie haben auch nicht die gleichen Ausgangsbedingungen für ihre Persönlichkeitsentwicklung wie andere Kinder. Für vieles, was anderen zufällt, müssen sie bedeutend länger und härter arbeiten. Anderes, womit viele Heranwachsende kämpfen, geht ihnen wie von selbst von der Hand. Das Wissen darum, dass dieses Temperament zwar seltener als andere, aber trotzdem weit verbreitet ist, kann Familien enorm entlasten und ihnen Druck und Schuldgefühle nehmen. Nein, die Eltern haben nichts falsch gemacht. Nein, mit dem Kind ist nichts verkehrt. Niemand ist schuld, niemand hat etwas verbockt. Das einzige, was das Familienleben gerade so herausfordernd macht, ist eine besondere, aber gleichzeitig völlig normale Spielart der Persönlichkeitsentwicklung.
Doch mit dieser Feststellung allein ist es nicht getan. Denn so erleichternd es auch ist, angesichts eines angeborenen Temperaments keine Schuldgefühle mehr haben zu müssen, so wichtig ist doch die zweite zentrale Erkenntnis, die aus der wissenschaftlichen Erforschung von Lebensläufen zigtausender Menschen stammt: Unser angeborenes Temperament ist weder Vorbestimmung noch Schicksal, und es ist ganz sicher keine Entschuldigung dafür, keine Verantwortung für unser Handeln zu übernehmen. Unser Temperament beschreibt nicht mehr als die Werkseinstellung unseres Gehirns. Wie wir uns als Erwachsene verhalten, was wir tun und was wir unterlassen, hängt jedoch immer davon ab, wie wir mit unseren angeborenen Grundeigenschaften umgehen. Und dabei spielen unsere Sozialisation und insbesondere während der Kindheit und Jugend auch unsere Bindungs- und Beziehungserfahrungen eine entscheidende Rolle. Wie zentral die Kombination aus genetischer Anlage und Umwelterfahrungen für die Entwicklung jedes Lebewesens sind, erklärt Jerome Kagan gerne anhand eines Experiments des Soziobiologen Richard Lewontin, der sieben genetisch verschiedene Varianten eines Krauts an drei unterschiedlichen Orten einpflanzen ließ: einmal in einem Feld auf Höhe des Meeresspiegels, einmal auf einem Berg auf 1400 Metern Höhe, und einmal in Gipfelnähe. Dann versuchte er, allein aufgrund des Wissens über das Genom der jeweiligen Pflanze oder aufgrund ihres Aufenthaltsorts zu bestimmen, wie hoch ein Kraut wachsen würde – und scheiterte phänomenal. Es war unmöglich, die Entwicklung zu bestimmen, ohne beide Elemente – die biologische Anlage und die Umweltbedingungen – zu kennen.[2] Genauso verhält es sich auch mit gefühlsstarken Kindern. Ihre ständige Suche nach intensiven Reizen, ihr immenser Gerechtigkeitssinn, ihre Hartnäckigkeit und ihre Energie können sie in die Chefetagen eines großen Unternehmens führen – oder mitten in einen Bandenkrieg. Unsere Aufgabe als Eltern ist es deshalb, unseren Kindern jenen Nährboden zu geben, der für ihr individuelles Temperament möglichst günstig ist – ohne uns dabei der Illusion hinzugeben, unseren Nachwuchs nach unseren Wünschen formen zu können.
Wie genau kann dieser Balanceakt gelingen? Was brauchen gefühlsstarke Kinder, um zu gesunden, glücklichen Persönlichkeiten heranzureifen? Und was brauchen Eltern, um sie liebevoll auf diesem Weg begleiten zu können, ohne dabei selbst auszubrennen? Darum geht es in diesem Buch.
Ein gefühlsstarkes Kind – oder gar mehrere gefühlsstarke Kinder – ins Leben zu begleiten, ist eine unglaublich anstrengende Aufgabe. Denn auch wenn das ganz normale Elternsein selbstverständlich allen Müttern und Vätern oft viel Kraft abverlangt, ist das tagtägliche Miteinander mit einem gefühlsstarken Kind mit dieser Kraftanstrengung nicht zu vergleichen. »Klar brachte uns der Alltag mit unserem ersten Kind auch manchmal an unsere Grenzen, aber mit unserem zweiten leben wir gefühlt seit Jahren jenseits unserer Belastungsgrenzen, und es wird einfach nicht leichter«, beschreibt der Vater zweier Kinder, eines davon gefühlsstark, den immensen Unterschied.
Darüber zu sprechen, wie kräftezehrend das Familienleben mit gefühlsstarken Kindern ist, ist in unserer Gesellschaft jedoch ein Tabu. Versuchen Eltern zum Ausdruck zu bringen, dass ihre alltäglichen Herausforderungen sich mit denen anderer Familien nicht vergleichen lassen, stehen sie schnell entweder als Jammerlappen da, oder als selbst ernannte Super-Mütter und -Väter, die sich vor anderen profilieren wollen. Als wäre Elternsein ein Wettbewerb, und wer’s dabei am schwersten hat, gewinnt. Dabei ist es in Wirklichkeit meist umgekehrt: Wer Kinder hat, die aufgrund ihres angeborenen eher regulationsstarken Temperaments ziemlich unkomplizierte, sonnige Zeitgenossen sind, erfährt dafür viel Lob und Anerkennung. Wer hingegen ein Vielfaches an Energie investieren muss, um seinem gefühlsstarken Kind einen zumindest einigermaßen sozialverträglichen Umgang mit seinen großen, wilden Emotionen beizubringen, bekommt dafür meist viel weniger Wertschätzung entgegengebracht – schließlich verhält sich das Kind ja immer noch anstrengender als andere. Umso wichtiger ist es, dass Eltern gefühlsstarker Kinder wissen: Dass ihr Familienalltag um ein Vielfaches herausfordernder ist als der vieler anderer Mütter und Väter, bilden sie sich nicht ein. Sie sind nicht schwächer, weinerlicher, weniger belastbar. Sie stehen einfach nur allein oder zu zweit vor einer Aufgabe, für die es eigentlich ein ganzes Dorf bräuchte: einem Kind gerecht zu werden, das oft kein Maß und keine Pause kennt. Das Nähe und Aufmerksamkeit in einem Maß sucht und fordert, das selbst die zugewandtesten, liebevollsten Erwachsenen an ihre Grenzen bringt – und das in seinem Gegenüber gleichzeitig unglaubliche Klarheit und innere Stärke braucht, um sich selbst nicht im Sturm seiner wilden Emotionen zu verlieren. Das jeden Tag zu leisten, ist eine völlig andere Hausnummer als die Herausforderungen eines ganz normalen Familienlebens. Und so ist es kein Wunder, dass Eltern gefühlsstarker Kinder weit überdurchschnittlich gefährdet sind, irgendwann an den Anforderungen ihres Alltags seelisch kaputtzugehen. Wenn die Belastung über Jahre gleichbleibend hoch ist, und adäquate Unterstützung fehlt, führt die Fürsorge für ein gefühlsstarkes Kind oft auf direktem Weg in den psychischen Zusammenbruch: Depression, Suchterkrankungen und Burnout können die Folge sein. Besonders häufig zeigen sich diese psychischen Folgeerscheinungen jahrelanger Überbelastung einige Jahre nach der Baby- und Kleinkindphase, dann also, wenn in unserer Gesellschaft davon ausgegangen wird, dass Eltern das Gröbste hinter sich haben. Bezogen auf die Eltern gefühlsstarker Kinder bedeutet das: Obgleich sie in den ersten Lebensjahren oft unglaubliche Energiereserven mobilisieren müssen, kommt die richtig schwierige Zeit für sie oft erst, wenn gefühlt in all den Familien rundum ruhigere Zeiten anbrechen, also etwa zwischen dem fünften und dem zehnten Lebensjahr des gefühlsstarken Kindes.
Das hat mehrere Gründe: Zum einen fordert die jahrelange körperliche und seelische Arbeit irgendwann ihren Tribut – all die schlaflosen Nächte, die unglaubliche Lautstärke, die körperliche Anstrengung durch das viele Tragen, Halten und Wiegen, aber auch der seelische Dauerstress, das Sorgenmachen, die Schuldgefühle und die Auseinandersetzung mit der eigenen Scham. Dazu kommt das schwindende Verständnis aus dem Umfeld: Je reifer und verständiger andere Kinder im späten Kindergarten- und frühen Schulalter werden, desto krasser fallen gefühlsstarke Kinder aus dem Rahmen. Und schließlich ist das Älterwerden gefühlsstarker Kinder für ihre Eltern oft auch mit dem schmerzlichen Schwinden einer großen Hoffnung verknüpft: Dass irgendwann alles von alleine leichter wird. Dass das Kind nur größer werden muss, und dann wird alles gut. Kommen dann die ersten schwierigen Rückmeldungen aus der Schule, die Berichte über Heul- und Wutausbrüche im Sportverein, die mal sorgenvollen, mal verständnislosen Blicke anderer Schulkind-Eltern, trifft viele Mütter und Väter die bittere Erkenntnis wie ein Schlag: Es wird nicht alles leichter. Es wird nur anders schwer. Denn Gefühlsstärke ist nichts, was sich einfach verwächst. Unsere Kinder bleiben herausfordernder als andere. Und wieder müssen wir neue Strategien finden, damit gemeinsam umzugehen.
Menschenkinder nehmen sich fürs Großwerden viel Zeit. Keine andere Art gönnt ihrem Nachwuchs eine so lange Kindheit wie die unsere – und das hat einen guten Grund: Was unsere Söhne und Töchter lernen müssen, um die komplexen Regeln des Lebens in einer menschlichen Gemeinschaft zu verstehen, ist unendlich vielfältiger und schwieriger als die Entwicklungsaufgaben jeder anderen Spezies. Denn neben dem Offensichtlichen – dem Laufen, Sprechen, Schreiben und Lesen – lernen unsere Kinder in dieser Phase, die sozialen Spielregeln unserer Gesellschaft zu verinnerlichen: all die unsichtbaren Normen und Gesetze, die unser Miteinander prägen, obgleich sie kaum jemandem bewusst sind. Gefühlsstarke Kinder sind von diesem Entwicklungsprozess in besonderem Maße gefordert. Denn durch ihre feinen Antennen spüren sie jede noch so kleine Unstimmigkeit, jede stille Missbilligung einer Normverletzung. Gleichzeitig treibt ihr stürmisches, neugieriges, rebellisches Grundtemperament sie immer wieder dazu an, Grenzen zu übertreten, Regeln zu verletzen und geltende Ordnungen in Frage zu stellen. So kommt es, dass das Älterwerden gefühlsstarker Kinder in einem permanenten Spannungsfeld aus Dazugehören und Aufbegehrenwollen, aus Regelversessenheit und Regelverstoß passiert. Diesen inneren Konflikt nach und nach aufzulösen, gelingt den meisten gefühlsstarken Kindern erst im Jugendalter. Für uns Eltern bedeutet das: Die Herausforderungen im Alltag mit unseren gefühlsstarken Kindern werden mit deren Größerwerden nicht unbedingt kleiner, aber sie werden andere. Die wichtigsten Veränderungen ungefähr ab dem Schulalter:
Dank der nun ausgereiften kommunikativen Fähigkeiten lassen die in der frühen Kindheit so typischen unerklärbaren Schrei-, Tobe- und Weinanfälle langsam nach. Stattdessen kommen gefühlsstarke Kinder nun in ein Alter, in dem sie alles kommentieren und diskutieren wollen. Der immense Entwicklungsfortschritt dabei: Die starken Gefühle werden zusehends verbalisiert und nicht mehr einfach urschreiartig herausgebrüllt. Der nervenzehrende Nebeneffekt: Jede Planänderung, jeden Frust und jede Ungerechtigkeit in ausführlichen Gesprächen emotional aufzufangen und zu verarbeiten, kostet unendlich Kraft und Geduld. Und: Werden die Emotionen zu groß und überwältigend, legen auch große gefühlsstarke Kinder noch tränenreiche Gefühlsausbrüche hin, bei denen sie ebenso einfühlsamer Begleitung bedürfen wie ein Kleinkind.Die immense Empfindlichkeit der Sinne lässt bei gefühlsstarken Kindern mit dem Älterwerden zwar nicht grundsätzlich nach. Die typischen Konflikte rund ums Anziehen, Essen und Zähneputzen werden trotzdem weniger, weil Eltern und Kinder besser in einen Austausch darüber gehen können, wie eine für alle einigermaßen zufriedenstellende Lösung aussehen kann. Konkret heißt das: Mit bequemen Klamotten, keinem Druck am Esstisch und einer berechenbaren Abendroutine können viele typische Klippen aus dem Leben mit gefühlsstarken Kleinkindern im Alltag nun ohne Wut und Tränen genommen werden.Die Wildheit und der immense Bewegungsdrang gefühlsstarker Kinder ist und bleibt eine große Herausforderung, sowohl im sozialen Miteinander als auch im Schulalltag, in dem von Kindern nun zusehends erwartet wird, ihre Impulse zu kontrollieren und still sitzen zu können. Gleichzeitig sind Grundschulkinder kognitiv so weit entwickelt, dass sie aktiv dabei mithelfen können, Lösungsstrategien für dieses Problem zu entwickeln. Dabei sind sie jedoch auf Erwachsene angewiesen, die sehen und verstehen, was für eine immense Impulskontrolle es gefühlsstarken Kindern abverlangt, ihren Bewegungsdrang für einen bestimmten Zeitraum auch nur einigermaßen im Griff zu haben – und die für genügend Gelegenheiten zum Ausgleich sorgen.Das große körperliche Nähebedürfnis gefühlsstarker Kinder nimmt mit dem Älterwerden langsam ab – aus Kleinkindern, die 24 Stunden Körperkontakt einforderten, werden Jungen und Mädchen, die längst nicht mehr ständig kuscheln wollen. Das heißt jedoch nicht, dass diese nicht auch im späten Kindesalter noch ein besonderes Bedürfnis nach Nähe und Rückversicherung hätten – es zeigt sich nur in anderer Weise. So finden es beispielsweise viele gefühlsstarke Kinder schwierig, auf einem anderen Stockwerk zu spielen als da, wo die Eltern sind – sie brauchen das Wissen um die unmittelbare Nähe, auch wenn sie Mutter oder Vater gerade nicht sehen. Auch Schulübernachtungen und Klassenfahrten stellen gefühlsstarke Kinder oft noch vor große Schwierigkeiten. Gleichzeitig sind sie nun zusehends offen für die Erfahrung, dass Bindungssicherheit nicht auf Mama und Papa beschränkt ist, sondern sich auch anderswo finden lässt: bei den Großeltern, der Lieblingslehrerin oder guten Freunden.Ist in der frühen Kindheit gefühlsstarker Kinder das bestimmende Thema oft die Überforderung mit den Eindrücken dieser Welt, beginnt in der späteren Kindheit eine bewusste und tiefgehende Hinwendung zu den Fragen und Problemen der eigenen Umwelt. Nun bricht die grüblerische, besorgte, manchmal auch schwarzmalerische Seite des gefühlsstarken Temperaments immer deutlicher hervor: Warum haben manche Menschen kein Zuhause? Wieso gibt es Krieg und Vertreibung? Wer nimmt in Kauf, dass Tiere leiden? Diese und weitere Fragen treiben gefühlsstarke Kinder nun oft intensiv um und belasten sie teilweise so stark, dass ihre Lebensfreude empfindlich darunter leidet.