Du bist Vergangenheit - Sandra Adam - E-Book

Du bist Vergangenheit E-Book

Sandra Adam

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Beschreibung

Samira hat den perfekten Ehemann, Martin. Er kümmert sich liebevoll um die beiden gemeinsamen Kinder und liest ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Besser kann ihr Leben nicht aussehen. Doch dann sucht ihre erste Liebe, Kai, sie in ihren Träumen heim. All die Jahre mit Martin hat Samira ein Geheimnis gehütet, das nun droht, ans Licht zu kommen, und das ihre Ehe auf die Probe stellt. Es gibt nur einen Ausweg: Sie muss sich den Geistern ihrer Vergangenheit stellen. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt. Wird Samira es schaffen, allem gerecht zu werden, ohne sich selbst zu verlieren? Ein Roman voller Liebe, Romantik, Schmerz und ganz viel Humor.

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Seitenzahl: 192

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Inhalt

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Epilog

Emma

Martin

Danksagung

Weitere Bücher

Prolog

„Samira?“ Die Stimme meiner Mutter hallt unaufhörlich durch den Hausflur.

Leicht genervt rolle ich mit den Augen. Kann man nicht einmal in Ruhe auf die Örtlichkeiten verschwinden? „Ja gleich! Warte noch ein paar Minuten!“, brülle ich zurück.

Muss sie mich jetzt so treiben? Gerade heute besteht sie darauf, mich zur Schule zu bringen. Ich fahre sonst immer mit dem Fahrrad, da die Schule gerade mal fünfzehn Minuten weit weg ist. Außerdem ist es gesund, mit dem Rad zu fahren, behauptet sie immer.

„Ich kann auch mit dem Fahrrad fahren“, setze ich weniger genervt hinterher.

„Spinnst du Kleines? Es schüttet wie aus Eimern. Bis du am Rad ankommst, bist du schon bis auf die Unterhose nass!“

Ich kann richtig heraushören, wie sie mit dem Kopf schüttelt. Sie meint es ja nur gut. Eigentlich ist sie eine traumhafte Mutter. Immer darauf bedacht, dass mein kleiner Bruder und ich es guthaben. Mum möchte, dass wir es besser haben als sie. Manchmal ist sie dabei einfach zu weich. Mein Bruder nutzt das gerne mal aus. Sobald er auf die Tränendrüse drückt, gibt sie nach. Ich hingegen habe lieber meine Ruhe und erledige alles selbst. Aber genau das hat mich nun in diese blöde Situation und in die Toilette verbannt. Mein dummer Dickkopf und der Wille, alles alleine regeln zu wollen!

Vorsichtig drehe ich das Stäbchen in meiner Hand um. Schweiß läuft mir über die Stirn, meine Hände zittern und ich weiß nicht, was ich machen soll. Gucken? Nicht gucken?

„Samira!“, hallt mein Name erneut über den Flur.

Ich bin gerade zu keiner Antwort fähig. Die Worte bleiben mir im Hals stecken. Ich ersticke fast dran. Oh Gott, das kann und darf nicht sein. Warum ich? Wieso bloß? Das Stäbchen in meiner Hand zeigt zwei Striche. Zwei verdammte Striche! Was soll ich denn jetzt machen? Es war doch nur eine Nacht. Eine verfluchte Nacht. Und nun das. Lieber Gott, wieso ich? Warum muss das sein?

Das Klopfen an der Tür von meiner Mutter nehme ich nur noch unterschwellig wahr. Es ist unwirklich. Schweißgebadet sitze ich auf dem Rand der Badewanne und weine. Nein, weinen kann man das nicht nennen, ich heule regelrecht riesige Krokodilstränen.

„Liebes, mach die Tür auf.“ Liebevoll klingen die Worte meiner Mutter durch die Tür, ehe sie die Klinke runterdrückt. Erst einmal, dann noch ein paar Mal. Ich schluchze. „Bitte Kleines, mach endlich die Tür auf. Was ist denn los? Ich höre doch, dass du weinst. Bitte Samira, mache endlich die Tür auf!“

Panik schwingt in ihren Worten mit.

Tränenüberströmt gebe ich nach, schließe auf und setze mich wieder zurück auf den Badewannenrand. Meine Beine verweigern mir den Dienst. Das wird gleich ein Donnerwetter geben. Innerlich wappne ich mich gegen das Schreien und Fluchen meiner sicherlich zu Recht wütenden Mutter, wenn sie sieht, was ihre „Kleine“ angestellt hat. Klein? Nein, nun bin ich nicht mehr klein. Jetzt bin ich groß, dämlich und am Arsch.

Unsicher guckt sie mich an. „Samira, rede mit mir. Was ist los?“

Doch ich kann nicht sprechen. Meine Worte stecken immer noch wie ein riesengroßer Kloß in meinem Hals fest. Zitternd strecke ich ihr einfach das Stäbchen mit den zwei blöden blauen Streifen entgegen, die mir den Atem rauben. Sie erkennt sofort, um was es sich handelt.

Ein Schwangerschaftstest!

Klar, sie hat ja selber zwei Kinder. Ob sie bei ihren Tests auch so wie ich im Bad gesessen hat?

Es kommen keine Beschimpfungen, kein Fluchen. Zärtlich nimmt sie mich in den Arm und drückt mich ganz fest an sich.

„Scheiße“, flüstert sie in meine zerzausten Haare.

Ist das alles? Scheiße? Mir fallen so einige Worte mehr ein. Doch meine gute Erziehung verbietet es mir, diese alle auszusprechen. Wobei die gute Erziehung scheinbar eh versagt hat. Ich bin gerade mal fünfzehn, gehe noch in die Schule, habe keinen festen Freund und bin bei meinem ersten One-Night-Stand mit Kai schwanger geworden. Nicht nur, dass es mein erster One-Night-Stand war, nein, es war überhaupt mein erstes Mal.

Gut gemacht Samira, ganz toll!

Kapitel 1

Es ist ein herrlich lauer Sommertag. Nicht so heiß wie die letzten Tage, die Sonne scheint ganz sacht und ein paar Wolken sind am Himmel.

Das Gewitter letzte Nacht hat die Luft abgekühlt. Es ist einfach perfekt. Mit einem Lächeln im Gesicht schaue ich unseren zwei Kindern beim Spielen zu und gebe Martin einen dicken leidenschaftlichen Kuss.

„Womit habe ich den denn verdient?“ Er grinst mich verschmitzt an.

Tief einatmend sauge ich den Geruch des Sommers ein und zucke mit den Schultern.

Dieser Tag soll nie enden. Martin ist ein Traummann. Nein, er ist mein persönlicher Traummann.

Nicht nur, dass er toll aussieht mit seinen dunklen Haaren, dem durchtrainierten Körper und den wunderschönen braunen Augen. Er ist auch ein toller Vater, hilft wo und wie er kann, obwohl er immer viel arbeitet. Am Wochenende kümmert er sich gerne um die Kinder, steht früh auf, um jede freie Minute mit ihnen zu verbringen, und lässt mich dabei gerne schlafen.

Das Frühstück bekomme ich auch oft ans Bett gebracht. Martin backt dann extra Brötchen, kocht Eier, brät Schinken und schmückt ein Tablett mit Blumen und allerlei Leckereien.

Ich hingegen gehe nur ein paar Stunden in der Woche arbeiten, um aus dem Haus zu kommen.

Wegen des Geldes bräuchte ich es nicht machen.

Dafür sorgt Martin ebenfalls. Er liest mir dabei jeden Wunsch von den Lippen ab. So ein Leben wünscht sich jede Frau. Meine Freundinnen beneiden mich für meinen Ehemann. Eine hat sogar mal versucht, ihn zu verführen. Allerdings ohne Erfolg, denn treu ist er auch noch. Martin hat es mir sofort erzählt und ist empört gewesen über die Dreistigkeit, die meine damalige Freundin dabei an den Tag gelegt hat. Ein Mann wie aus dem Bilderbuch.

Meine beste Freundin Saskia fragt mich sogar heute noch des Öfteren: ‚Wo hast du den Mann denn gefunden? Hast du dir den gebacken?

Dann musst du mir mal die Form und das Rezept geben.‘ Die Beiden verstehen sich blendend, ohne dass sie versucht, ihn ins Bett zu bekommen. Ich lache dann immer los und antworte: ‚Ne, er hat mich gefunden.‘

Eigentlich bin ich damals nicht bereit für eine Beziehung gewesen. Ich habe keine Männer sehen und schon gar nicht einen in meinem Leben haben wollen. Doch Martin ist hartnäckig geblieben und hat mich monatelang umgarnt.

Wir haben uns durch Zufall im Urlaub kennengelernt. Er hat mich ins Kino und zum Essen eingeladen, mir dann Blumen mitgebracht und hat mir sogar die Türen aufgehalten.

Sympathisch habe ich ihn sofort gefunden. Und vor allem sexy. Das hat er auch ziemlich schnell gemerkt und dies schamlos ausgenutzt. Er hat einfach nicht aufgegeben. Ich dann allerdings irgendwann nach. Und das war auch gut so.

Nach nicht einmal einem Jahr haben wir geheiratet und uns ein Haus in einem kleinen, gemütlichen Dorf am Meer gebaut. Ich liebe das Wasser. Unser Haus liegt auf einem großen Grundstück mit viel Platz zum Spielen für die Kinder. Für mehr Sicherheit sorgt ein weißer Holzzaun rundherum. Das Haus selbst ist im dänischen Stil gebaut mit hellen Kieferntüren, weil ich die so liebe, und ein offener Kamin befindet sich im Wohnzimmer. Es ist ein Traumhaus.

An den Wochenenden haben wir schon damals lange Spaziergänge gemacht und am Strand gepicknickt. Ich fühle mich noch immer wie in einem Traum. Doch es ist keiner, denn ich bin bis heute nicht aufgewacht. Mein Traumleben dauert an. Inzwischen sind wir schon acht Jahre verheiratet und haben zwei wundervolle Kinder. Jack ist sieben und Sophie ist fünf Jahre alt. Sie lieben Martin genauso wie ich. Manchmal hängen sie fast zu stark an ihm.

Ich liebe meine Kinder, aber sie sind eindeutig Pappkinder.

„Bekommen wir ein Eis?“ Sophie strahlt Martin mit ihren ebenfalls braunen Augen an.

Beide haben die Augen ihres Vaters geerbt. Nur die hellblonden Haare, die haben sie von mir.

Ansonsten ist gerade Jack seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten.

Den Satz ‚Ihn kann Martin aber nicht leugnen‘ hören wir öfter und rollen jedes Mal mit den Augen. Als wenn Martin das je machen würde.

Jack wird den Mädels mal den Kopf verdrehen und reihenweise deren Herzen brechen. Schon heute laufen ihm die Damen hinterher und malen ihm Bilder oder besorgen an Valentinstag Rosen für ihn.

Jeder mit einem dicken Eis bewaffnet schlendern wir den Strand entlang.

„Du hast da was.“ Martin schleckt etwas Eis von meinem Kinn.

„Ey, das ist meins! Das behalte ich für später“, protestiere ich.

Martin zieht mich dicht an sich ran. „Später habe ich andere Dinge mir dir vor.“ Mir kräuseln sich die kleinen Haare im Nacken und eine Gänsehaut überkommt mich. Das bleibt nicht unentdeckt. Er hebt mich hoch und küsst mich leidenschaftlich. „Genau mein Schatz, genau das“, raunt er in mein Ohr.

Mit einem vielsagenden Blick umschlingen meine langen Beine seine Hüfte und ich drücke mich fest an ihn. Was er kann, kann ich auch!

„Boah, Mama, Papa, muss das sein?“

Jack guckt uns angewidert an. Er ist nicht so für das Kuscheln. Sophie schon eher. Ich bin allerdings auch nicht so eine Kuschelmutter.

Vielleicht kommt Jack deshalb nicht an. Und wenn er mal Nähe sucht, dann eher die von seinem Vater. Aber auch das eher selten. Sophie hingegen sitzt gerne in seinem Arm und kuschelt sich stundenlang an ihn. Da werde ich manchmal eifersüchtig. Ich kann nicht so mit den Kindern kuscheln, wie sie es vielleicht bräuchten. Ob es an meiner Vergangenheit liegt?

Schnell streiche ich den Gedanken beiseite.

Daran möchte ich nun wirklich nicht denken.

***

Wo bin ich? Verwirrt schaue ich mich um.

Neben mir stehen eine Bank und ein Baum mit einer Schaukel. Der Ort kommt mir bekannt vor. Nicht schon wieder dieser Traum.

Ich lasse mich auf der Bank nieder und gucke mich um.

„Samira! Endlich kommst du!“, ertönt eine Stimme von weiter weg.

„Nein, geh weg! Ich will dich nicht sehen!

Verschwinde!“, schreie ich, springe auf und laufe davon.

Die Stimme fleht mich förmlich an: „Bitte Samira, bitte gehe nicht. Bleib hier, bitte! Ich flehe dich an. Bleib wenigstens einmal hier! Ich möchte doch nur mit dir reden.“

Doch ich höre nicht und laufe davon. Immer wieder dieser Albtraum mit der gleichen Stimme!

Ich will das nicht! Warum verfolgt er mich.

***

Schwert atmend und schweißgebadet liege ich in meinem Bett. Martin guckt mich verwirrt und sorgenvoll an.

„Was ist los Schatz? Ist alles ok? Hast du schlecht geträumt?“ Er streichelt über meinen zitternden Arm.

„Schlecht geträumt“, sage ich nur kurz und renne los ins Bad. Mir ist schlecht und ich muss mich übergeben. Martin folgt mir auf dem Fuße.

Er macht sich Sorgen, aber das kann ich ihm nicht erklären. Das ausnahmsweise nicht.

Eigentlich haben wir keine Geheimnisse voreinander.

Eigentlich!

Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es noch lange keine Zeit ist zum Aufstehen. Schnell Zähne geputzt, ein anderes Nachthemd angezogen und wieder ab ins Bett. Hoffentlich ohne Albtraum.

„Willst du mir nicht sagen, von was du dauernd so schlecht träumst?“ Martin ist hellwach und mehr als besorgt. Es ist nicht mein erster Traum dieser Art und er ist ein sehr aufmerksamer Ehemann.

„Mich jagen Wölfe“, bringe ich kleinlaut hervor. Martins Augenbrauen wandern steil aufwärts.

„Ah ja, Wölfe?“ Er glaubt mir nicht, was ich durchaus verstehe.

Also versuche ich, es ihm zu erklären, aber ich bin eine schlechte Lügnerin. So kann er mir gar nicht glauben, das merke ich selber.

„Wir haben doch mal diesen Horrorfilm geguckt“, meine ich ausweichend.

„Das waren Hunde mein Schatz, Hunde, keine Wölfe“, erklärt mir Martin, doch ich beharre weiter auf meine Lüge, bis er endlich aufgibt.

„Wenn du meinst“, sind seine letzten Worte, bevor er sich zur Seite rollt.

Er merkt, dass ich ihm nicht die Wahrheit sage, weiß aber nicht, wieso oder was wirklich mit mir los ist. Und das soll auch so bleiben.

Wenn nur diese blöden Träume nicht wären.

Aber was heißt hier Träume. Sie sind schon sehr echt. Gruselig real.

An Schlaf ist nun auch nicht mehr zu denken.

Ich stehe auf, mache mir einen Kaffee und schnappe mir mein Buch. Ich möchte nicht mehr schlafen heute Nacht und schon gar nicht träumen. Es ist egal, wie spät es ist und ob ich morgen müde bin. Ich weigere mich einfach, die nächste Zeit zu schlafen, dann gehen die Albträume bestimmt weg.

Lieber lese ich die ganzen Nächte und versinke in fremde Welten. Aber mein Körper sieht das anders. Mit dem Buch in der Hand schlafe ich im Sitzen auf dem Sofa ein. Mein Kopf ist zur Seite gekippt, so dass ich mit starken Nackenschmerzen aufwache.

Martin guckt mich besorgt an. „Geh ins Bett, ich kümmere mich um das Frühstück der Kinder.“

Er streichelt mir liebevoll über den Kopf und ist immer noch besorgt. Hastig schüttle ich den Kopf, was für Schwindel und erneute Nackenschmerzen sorgt. Autsch, keine gute Idee. Mein viel zu lieber Ehemann zieht die Augenbrauen hoch, schüttelt den Kopf, geht in die Küche und macht uns einen Kaffee.

Seufzend schlurfe ich hinterher, packe meine Arme um seine Hüften und kuschle mich an ihn.

Mein Gesicht in seinem Rücken versteckend fühle ich mich wieder sicher. Martin ist mein Halt, mein Fels in der Brandung, mein Leben.

Vorsichtig dreht er sich zu mir um, streichelt mir über mein Haar und küsst mich leidenschaftlich.

Alle meine Nackenhaare kräuseln sich und eine Gänsehaut überkommt mich. Ich kann diesem Kerl einfach nicht widerstehen. Energisch packe ich ihn mit beiden Händen um die Hüften und versuche, ihn in Richtung Schlafzimmer zu ziehen. Unter seinen Küssen schmelze ich dahin.

Alpträume hin oder her.

Ich will ihn.

Hier und jetzt.

Sofort!

Oder eher jetzt und im Schlafzimmer in Anbetracht der Tatsache, dass die Kinder sonst jeder Zeit in die Küche stürzen können. Wild küssend wie junge Teenager bewegen wir uns zur Treppe, da hören wir ein bekanntes Geräusch. Die Tür vom Kinderzimmer wird geöffnet.

Mist. Zu spät.

Sophie kommt die Treppe herunter und wischt sich die Augen. Sie sieht noch müde aus. Hätte sie nicht noch schlafen können? Innerlich knurre ich wie ein Hund, dem man seinen Knochen klaut, als sie in Martins Arme springt. Noch heftig atmend nimmt er sie liebevoll in Empfang, wirbelt Sophie einmal rum, um sie in die Küche zu bringen und dort auf ihren Stuhl abzusetzen.

„Guten Morgen Prinzessin. Hast du gut geschlafen?“

Martin ist einfach ein liebevoller und fürsorglicher Vater. Kaum hat er Sophie auf ihren Stuhl gesetzt, holt er schon zwei Becher, die Milch und das Kakaopulver raus, um unseren beiden Kindern den Kakao zu machen.

Sophie bekommt warmen und Jack kalten. Jeden Morgen macht er es. Egal, wie viel er arbeitet und wann er abends nach Hause kommt. Er steht immer auf und lässt es sich nicht nehmen, die Kinder zu sehen. Ich seufze. So eine Bindung hätte ich auch gerne zu ihnen, aber das habe ich leider nicht. Ich bin zwar diejenige, die nachmittags da ist und die zwei auch zum Sport fährt, aber trotzdem fehlt mir diese Bindung, die Martin zu unseren Kindern hat. Nun kommt auch Jack langsam heruntergetrottet. Er guckt ebenfalls noch sehr müde aus der Wäsche.

Belustigt wuschle ich durch seine viel zu langen Haare, was er allerdings weniger lustig findet. Er mault mich an. Was für ein Morgenmuffel.

Lachend wackle ich nach oben ins Badezimmer. Heute früh muss ich ein paar Stunden in dem Blumengeschäft um die Ecke arbeiten. Es ist ein kleiner Laden, der viel Dekoration aus Muscheln und Treibholz verkauft. Ich bastle manchmal stundenlang mit den von uns gesammelten Muscheln oder Holz, das wir am Strand finden und mit nach Hause tragen. Die Touristen kaufen die Sachen sehr gerne, um sich an den Urlaub zu erinnern.

Finanziell muss ich nicht arbeiten gehen. Ich mache es eher, um aus dem Haus rauszukommen, damit mir nicht die Decke auf den Kopf fällt. Nur Hausfrau sein, das liegt mir nicht. Ich brauche ja nicht einmal den gesamten Haushalt machen. Auch dafür hat Martin gesorgt. Er möchte nicht, dass ich den ganzen Tag putzen und Wäsche waschen muss. So hat er, als ich noch im Krankenhaus mit Jack gelegen habe, eine Frau angestellt, die sich um den Haushalt kümmert. Sie kommt einmal die Woche und bringt das ganze Haus und die Wäsche in Ordnung. Unsere gute Fee.

Nachdenklich stehe ich unter der Dusche.

Mein Leben ist perfekt und trotzdem leide ich unter Albträumen. Was stimmt mit mir nicht?

Warum verfolgt er mich? Kann die Vergangenheit nicht einfach ruhen und genau das sein? Vergangenheit! Tränen laufen über meine Wangen. Weinend, wie ein kleines Kind, das man den Teddy geklaut hat, sitze ich in der Dusche und lasse meinem Unmut freien Lauf.

Wie weggewischt ist meine gute Laune.

„Bitte Albträume hört auf, bitte“, flehe ich.

Lange halte ich es nicht mehr aus. Martin fragt sich auch schon, was mit mir los ist. Er versteht es nicht. Wie auch, er weiß ja nicht, warum mich diese Albträume plagen.

Das kann ich ihm aber auch nicht mitteilen. Es ist mir unangenehm und ich habe Angst. Richtig Panik, dass er mich mit anderen Augen sieht oder mich eventuell sogar verlässt.

Langsam versiegen meine Tränen und ich kann mich normal duschen.

Kapitel 2

Die Arbeit läuft wie immer. Meine Chefin lässt mich basteln und spricht kaum mit mir. Sie weiß, dass ich am liebsten für mich arbeite und nur rede, wenn mir danach ist. Ich bin wohl eher ein introvertierter Typ. Zufrieden gucke ich meine Werke an und lächle. Ein großes Stück Treibholz habe ich mit etwas grünem Efeu und Moos beklebt, wo ich noch Muscheln drauf drapiere. Die schwarzen und beigefarbenen Muscheln passen gut zum hellen Grün.

Irgendwas fehlt aber noch. Krampfhaft überlege ich, was.

„Ein Klappstuhl“, höre ich meine Chefin Tina hinter mir sagen.

Erschrocken zucke ich zusammen. Zu vertieft bin ich in meine Arbeit und der Musik gewesen.

Aber sie hat recht. Der Klappstuhl, den wir vor ein paar Tagen aus Ästen gebaut haben, passt da genau hin. Mit einem breiten Lächeln reicht sie ihn mir und ich platziere ihn auf dem Moos.

„Fertig“, bemerke ich zufrieden.

„Es ist wieder toll geworden.“ Tina mag solchen Kitsch genauso wie ich.

Sie ist zwei Jahre älter, ebenfalls verheiratet und hat ein Kind. Im Gegensatz zu mir ist sie die perfekte Mutter. Ihre Tochter ist schon zehn Jahre alt und hilft mir manchmal beim Basteln.

Ab und an sammelt sie aber auch mit meinen beiden Kindern zusammen Treibholz, Muscheln oder andere Sachen, die sie am Strand finden.

Wenn Martin und ich mal weggehen, passt sie auf Sophie und Jack auf. Ich denke, sie sind so eine Art Geschwisterersatz für Sandy.

Mittags gehe ich nach Hause und mache den Kindern etwas zu essen. Meine Gedanken kreisen allerdings immer noch um meinen Traum. Es war nicht der erste dieser Art und sie sind alle so lebendig. Viel zu real. Bei dem Gedanken an Kais Stimme gruselt es mich wieder.

Auch Martin kommt heute früher von der Arbeit. Wir wollen nachmittags noch in die Stadt fahren. Die Kinder brauchen dringend neue Schuhe. Ich seufze. Martin ist so ein toller Vater.

Besser hätte ich ihn mir nicht wünschen können.

Wenn ich die anderen Frauen um mich herum sehe, stelle ich einmal mehr fest, es sehr gut getroffen zu haben mit ihm. Der eine geht dauernd fremd, der andere trinkt jeden Tag und wieder ein anderer ist nur unterwegs, ohne sich um seine Familie zu kümmern. Mein Mann hingegen trinkt nicht, hat keine Augen für fremde Frauen und ist so viel, wie es ihm möglich ist, zu Hause bei uns. Sogar ein Arbeitsangebot mit deutlich mehr Gehalt hat er abgelehnt, weil der Arbeitsweg zu lang ist. Das Geld brauchen wir allerdings auch nicht. Er bekommt so schon genug. Trotzdem wäre es eine Aufstiegschance gewesen, die er ausgeschlagen hat, ohne nur darüber nachzudenken.

Das Motzen meiner Tochter holt mich aus den Gedanken. „Mama, muss das Essen so qualmen?“

Oh nein, ich habe die Schnitzel anbrennen lassen! Unter lautem Fluchen ziehe ich die Pfanne vom Herd. Da ist nichts mehr zu retten.

Mist verdammt! Die Kinder gucken mich mit großen Augen an.

„Nicht schon wieder Pizza!“, meckert Jack.

Er hat recht. Da ich nicht die beste Köchin bin, gibt es häufig Pizza, Nudeln oder irgendwas aus der Dose. Selbst das kann Martin besser.

Was will so ein perfekter Mann nur mit mir?

Tränen steigen in mir auf und ich muss aufpassen, dass ich nicht heulend weglaufe.

Erstmal tief durchatmen. Ne, erst das Fenster aufmachen, dann tief einatmen und überlegen.

Da springt auch schon die Tür auf und Martin steht hustend in der Küche.

„Was ist denn hier los?“, bellt er.

Sofort verdreht Sophie die Augen. „Mama hat gekocht.“

„Ich würde sagen, die Schnitzel sind gar“, bemerkt er grinsend.

Sehr witzig, denke ich und schmeiße die verkohlten Dinger weg.

Mein Mann hingegen hat schon die Jacke weggehängt und kramt im Vorratsschrank. Das ist mein Kommando zum Verlassen der Küche.

Ab hier habe ich nichts mehr zu melden. Nun zaubert er was Leckeres aus irgendwelchen Resten, die er im Kühlschrank und in unseren Schränken findet. Wie er das macht, weiß ich nicht. Mir fehlt dieses Talent gänzlich. Egal, was Martin auch anfängt, es gelingt. Im Gegensatz zu mir. Was ich anfasse, geht in die Hose oder kaputt. Ein Wunder, dass die Ehe noch hält.

Was will Martin mit so einer wie mir? Ich kann nicht kochen, arbeite nur halbtags, bin keine zärtliche Mutter und kann irgendwie nichts.

Doch stundenlang am Strand spazieren gehen, dabei Muscheln und allerhand Kram finden und einsammeln. Das kann ich! Ach ja, und basteln, das kann ich auch. Aber ansonsten bin ich zu nichts nütze oder fähig. Weinend verziehe ich mich ins Badezimmer. Wie lange ich dort verweile, weiß ich nicht.

Irgendwann höre ich Martin nach mir rufen.

Mir ist der Hunger allerdings vergangen, egal, was er mal wieder Leckeres gezaubert hat. Ich seufze, wische mir die restlichen Tränen unter den Augen weg, atme tief ein und gehe raus.

„Alles ok mit dir?“ Martin blickt mich eindringlich an. Er macht sich wirklich Sorgen.

„Ja, klar. Meine Augen haben Rauch von den verkohlten Schnitzeln abbekommen.“

Kopf schüttelnd dreht er sich um. Martin glaubt mir wieder nicht. Würde ich wohl auch nicht. Selbst lügen kann ich nämlich nicht.

Trotz allem, was mittags passiert ist, verbringen wir einen wunderschönen Nachmittag in der Stadt. Sogar lachen kann ich wieder. Es ist eine unbeschwerte Stimmung zwischen uns. Für kurze Zeit vergesse ich meinen Traum, Kai und alles, was damit zu tun hat. Ich bin einfach glücklich mit dem, was ich habe, lache und albere mit meinem Mann und den Kindern herum. Ein völlig unbeschwerter, aber viel zu seltener Nachmittag.

Diese Unbeschwertheit nehmen wir auch mit in den Abend, was auch nicht oft passiert. Eng aneinander gekuschelt sitzen wir auf dem Sofa und lauschen dem Radio. Liebeslieder laufen rauf und runter, was die Stimmung zum Prickeln bringt. Martin streicht langsam an meinen Armen herunter, unsere Hände verknoten sich.