Duncan Sisters - Ein Gentleman für Lady Chastity - Jane Feather - E-Book
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Duncan Sisters - Ein Gentleman für Lady Chastity E-Book

Jane Feather

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Beschreibung

Zwischen Vernunft und Gefühl: Der prickelnde Liebesroman »Duncan Sisters – Ein Gentleman für Lady Chastity« von Jane Feather jetzt als eBook bei venusbooks. Mit zwei verheirateten Schwestern und der Führung eines in ganz London berüchtigten Ehevermittlungsinstituts weiß Lady Chastity eigentlich genau, was Männer wollen. Doch die Anfrage ihres neuesten Klienten bringt sie dennoch aus der Fassung: Der gutaussehende, aber berechnende Dr. Douglas Farrell ist auf der Suche nach einer Frau. Selbstverständlich soll sie aus allerbestem Hause und reich sein, alles andere ist ihm egal. Am liebsten würde Chastity ihn sofort wieder hinauswerfen! Stattdessen beschließt sie, ihn so schnell wie möglich unter die Haube – und aus ihrem Leben – zu bekommen. Einfacher gesagt als getan, denn der ehrgeizige Doktor ist wählerischer als zuerst angenommen. Und dann ist da auch noch Chastitys lästiges Herz, dass immer schneller zu schlagen beginnt, wenn Douglas in ihrer Nähe ist … »Jane Feather schreibt Romane zum Sammeln, man muss sie alle haben!« Romantic Times Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der historische Liebesroman »Duncan Sisters – Ein Gentleman für Lady Chastity« von Jane Feather ist der dritte Teil ihrer aufregenden Romance-Serie, in der drei selbstbewusste Schwestern der Londoner Männerwelt den Kopf verdrehen. Alle Bände können unabhängig voneinander gelesen werden und werden die Fans von Sabrina Jeffries begeistern. Lesen ist sexy: venusbooks – der erotische eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 516

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Über dieses Buch:

Mit zwei verheirateten Schwestern und der Führung eines in ganz London berüchtigten Ehevermittlungsinstituts weiß Lady Chastity eigentlich genau, was Männer wollen. Doch die Anfrage ihres neuesten Klienten bringt sie dennoch aus der Fassung: Der gutaussehende, aber berechnende Dr. Douglas Farrell ist auf der Suche nach einer Frau. Selbstverständlich soll sie aus allerbestem Hause und reich sein, alles andere ist ihm egal. Am liebsten würde Chastity ihn sofort wieder hinauswerfen! Stattdessen beschließt sie, ihn so schnell wie möglich unter die Haube – und aus ihrem Leben – zu bekommen. Einfacher gesagt als getan, denn der ehrgeizige Doktor ist wählerischer als zuerst angenommen. Und dann ist da auch noch Chastitys lästiges Herz, dass immer schneller zu schlagen beginnt, wenn Douglas in ihrer Nähe ist …

»Jane Feather schreibt Romane zum Sammeln, man muss sie alle haben!« Romantic Times

Über die Autorin:

Jane Feather ist in Kairo geboren, wuchs in Südengland auf und lebt derzeit mit ihrer Familie in Washington D.C. Sie studierte angewandte Sozialkunde und war als Psychologin tätig, bevor sie ihrer Leidenschaft für Bücher nachgab und zu schreiben begann. Ihre Bestseller verkaufen sich weltweit in Millionenhöhe.

Bei venusbooks erscheint ihre »Duncan Sisters«-Trilogie:

»Ein Kuss für Lady Constance – Band 1«

»Ein Ring für Lady Prudence – Band 2«

»Ein Gentleman für Lady Chastity – Band 3«

Außerdem veröffentlichte die Autorin ihre romantische Trilogie der »Regency Angels«:

»Die unwiderstehliche Spionin – Band 1«

»Die verführerische Diebin – Band 2«

»Die verlockende Betrügerin – Band 3«

Unter dem Titel »Regency Nobles« erschienen die Romane:

»Das Geheimnis des Earls – Band 1«

»Das Begehren des Lords – Band 2«

»Der Kuss des Lords – Band 3«

Weiter erschienen in der Reihe »Love Charms«:

»Die gestohlene Braut – Band 1«

»Die geliebte Feindin – Band 2«

»Die falsche Lady – Band 3«

Zu guter Letzt finden Sie bei venusbooks auch Jane Feathers Trilogie »Die Ladys vom Cavendish Square«:

»Das Verlangen des Viscounts – Band 1«

»Die Leidenschaft des Prinzen – Band 2«

»Das Begehren des Spions – Band 3«

***

eBook-Neuausgabe September 2022

Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2004 unter dem Originaltitel »The Wedding Game« bei Bantam Books, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2005 unter dem Titel »Im Bann der Herzen« bei Random House

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2004 by Jane Feather

Published by Arrangement with Shelagh Jane Feather

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2005 by Verlagsgruppe Random House mbH

Copyright © der Neuausgabe 2022 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)

ISBN 978-3-96898-206-9

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des venusbooks-Verlags

***

Wenn Ihnen dieses eBook gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Duncan Sisters 3« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

Besuchen Sie uns im Internet:

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Jane Feather

Duncan Sisters – Ein Gentleman für Lady Chastity

Roman

Aus dem Amerikanischen von Anke Koerten

venusbooks

Kapitel 1

Der Gentleman, der sich am oberen Ende der zur National Gallery führenden Stufen postiert hatte und eine Ausgabe des Blattes The Mayfair Lady auffällig in der Hand hielt, musterte aufmerksam die angeblichen Kunstliebhaber, die dem großen Portal des Museums hinter ihm zustrebten. Er hielt Ausschau nach jemandem mit dem gleichen Erkennungszeichen.

Auf dem Trafalgar Square flatterte jäh ein Taubenschwarm auf, als eine Gestalt über den Platz eilte und dabei für die Vögel Körner ausstreute. Sie überquerte die Straße direkt vor dem Museumskomplex, hielt an der untersten Stufe inne und zerknüllte die Papiertüte, die die Körner enthalten hatte, in der Hand, während sie zum Portal hinaufblickte. In der freien Hand hielt sie eine zusammengerollte Zeitung. Als der Mann eine zögernde Bewegung mit seiner Zeitung machte, warf die weibliche Gestalt die zerknüllte Tüte in einen Abfallkorb und lief die Stufen hinauf, ihm entgegen.

Die Gestalt war klein und weiblich … Das war das Einzige, was der Gentleman unterscheiden konnte. Sie war in einen losen Alpaka-Staubmantel jener Art gehüllt, die Damen bei Ausfahrten mit dem Automobil wählten, und trug einen breitkrempigen Filzhut, dessen dichter Chiffonschleier ihr Gesicht völlig verhüllte.

»Bonjour; M’sieur«, begrüßte sie ihn. »Ich glaube, wir haben ein Treffen vereinbart, n’est-ce pas?« Sie schwenkte die Zeitung. »Sie sind doch Dr. Douglas Farrell?«

»Ebender, Madam«, erwiderte er mit einer kleinen Verbeugung. »Und Sie sind …?«

»Ick bin natürlich die Mayfair Lady«, gab sie zurück, wobei ihr Schleier bei jedem Atemzug erbebte.

Mit einem französischen Akzent, wie er falscher nicht sein kann, dachte Dr. Farrell amüsiert, entschied aber, sie deswegen noch nicht zur Rede zu stellen. »Die Mayfair-Lady persönlich?«, fragte er neugierig.

»Die Repräsentantin der Zeitung, M’sieur«, entgegnete sie mit rügendem Unterton.

»Ach so.« Er nickte. »Und die Vermittlerin?«

»Ein und dieselbe, Sir«, sagte die Dame mit entschiedenem Nicken. »Und wenn ich richtig verstanden habe, Sir, ist es die Vermittlerin, die Ihnen von Nutzen sein könnte.« Dieser verflixte französische Akzent reizt mich ständig zum Lachen, ging es der ehrenwerten Chastity Duncan durch den Sinn. Ob sie oder eine ihrer Schwestern ihn gebrauchte, alle waren sie sich einig, dass sie wie französische Kammerzofen in einer Feydeau-Komödie klangen. Doch es war ein probates Mittel, um die Stimme zu verstellen.

»Ich hätte mir eigentlich ein Treffen in einem Büro erwartet«, sagte der Arzt mit einem Blick auf ihre Umgebung, die gar nicht öffentlicher hätte sein können. Ein kühler Dezemberwind fegte über den Platz und zauste das Gefieder der Tauben.

»Unsere Büroräume sind für die Öffentlichkeit nicht zugänglich, M’sieur«, sagte sie rundheraus. »Ich schlage vor, wir gehen hinein. Im Museum gibt es viele Plätze, an denen wir sprechen können.« Sie ging auf das Portal zu, und ihr Begleiter beeilte sich, ihr einen Flügel zu öffnen. Die Falten ihres Alpaka-Staubmantels streiften ihn, als sie an ihm vorüber das höhlenartige Atrium des Museums betrat.

»Gehen wir in den Rubens-Saal, M’sieur«, schlug sie vor, mit der Zeitung zur Treppe deutend. »Dort gibt es eine kreisrunde Sitzgelegenheit, wo wir uns unauffällig unterhalten können.« In gebieterischer Haltung schritt sie voraus zur Treppe, die in den Hauptsaal führte. Dr. Farrell folgte ihr bereitwillig. Ihr Auftreten, das ihn ein wenig amüsierte, hatte seine Neugierde geweckt.

Auf halber Höhe bog sie auf einem Treppenabsatz ab und durcheilte eine Flucht von Räumen voller großformatiger Renaissancegemälde, auf denen grausame Märtyrerszenen, Pietas und Kreuzigungen dargestellt waren. Ohne auch nur einen flüchtigen Blick für diese Kunstschätze blieb sie erst stehen, als sie in einen runden Raum mit einem runden Sofa in der Mitte gelangten.

Diesen Raum schmückten höchst auffallend zwei der Rubens-Gemälde mit der Darstellung des Urteils des Paris. Mit heimlicher Belustigung hatten die Duncan-Schwestern just diesen Ort für Zusammenkünfte mit möglichen Klienten ihres Vermittlungs-Service gewählt. Die drei fülligen Akte von Venus, Juno und Minerva waren ihnen als Hintergrund für die dort getätigten Abmachungen höchst passend erschienen.

»’ier ist es ruhig, und wir sind ungestört«, erklärte sie und setzte sich aufs Sofa, ihre Röcke eng an sich raffend, damit er sich neben sie setzen konnte.

Douglas blickte interessiert um sich. Ganz ungestört war man hier nicht. Es waren andere Besucher da, die von einem Bild zum anderen gingen und sich in gedämpftem Ton unterhielten. Doch das runde Sofa bildete, obwohl in der Mitte stehend, eine kleine Oase, wo zwei Personen eng nebeneinander sitzen und miteinander reden konnten, ohne Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Er setzte sich neben sie, wobei er ihr Parfüm erschnupperte, einen frischen Blumenduft, der unter ihrem Schleier hervordrang.

Chastity drehte ihm ihren verschleierten Kopf zu. Sie war Dr. Douglas Farrell gegenüber im Vorteil, da sie ihn schon einmal gesehen hatte, als er sich in Mrs. Beedles Eckladen eine Nummer von The Mayfair Lady besorgte und sie diesen Kauf unbemerkt beobachtete. Er war so, wie sie ihn in Erinnerung behalten hatte, ein ungewöhnlich großer Mann, den man nicht so leicht vergaß. Groß und breit, dazu kräftig und muskulös wie ein Sportler. Ein Boxer oder Ringer, dachte sie. Der auffallende, wahrscheinlich auf einen Bruch zurückzuführende kleine Nasenhöcker schien ihre Vermutung zu bestätigen. Seine Züge waren ausdrucksvoll, wenn auch unregelmäßig, sein Mund breit, sein Kinn kantig. Unter dichten schwarzen Brauen, die über dem Nasenrücken zusammenstießen, blickten tiefschwarze Augen hervor. Sein Haar war ebenso schwarz, ein wenig gelockt, der Schnitt aber kurz und praktisch. Alles an ihm deutete darauf hin, dass er auf subtilere Nuancen seiner äußeren Erscheinung wenig Wert legte. Zu seinem unauffälligen, bis zum Hals geknöpften Mantel trug er Schal und Handschuhe. Seinen schlichten weichen Filzhut hielt er auf dem Schoß.

Plötzlich wurde sie gewahr, dass sich das Schweigen, das ihre Einschätzung seiner Person begleitete, in die Länge zog, und sie sagte hastig: »Also, wie könnte die Vermittlung Ihnen ’elfen, M’sieur?«

Wieder ließ er seinen Blick etwas verblüfft durch den Raum wandern. »Das ist also das Büro der Mayfair Lady?«

Wieder hörte sie die leichte schottische Klangfärbung heraus, die ihr schon aufgefallen war, als sie ihn bei Mrs. Beedle beobachtete. »Non, wir empfangen keine Klienten in unserem Büro«, eröffnete sie ihm rundheraus. Dabei verschwieg sie geflissentlich, dass ihnen entweder der Teesalon bei Fortnum and Mason oder der obere Salon im Haus ihres Vaters, das ehemalige Allerheiligste ihrer Mutter, als Büro diente. Keine dieser Örtlichkeiten eignete sich für Besprechungen mit Klienten.

»Und warum?«, fragte er.

»Die Mayfair Lady muss anonym bleiben«, erklärte sie. »Könnten wir in Ihrer Angelegenheit fortfahren, M’sieur?«

»Ja, natürlich. Aber ich muss gestehen, Madam Mayfair-Lady, dass ich neugierig bin. Warum ist Anonymität für Sie so unverzichtbar?«

Chastity seufzte. »’aben Sie die Zeitung gelesen, M’sieur?«

»Ja, natürlich. Andernfalls wäre ich ja nicht auf Ihren Vermittlungsservice gestoßen.«

»Man kann Anzeigen lesen, ohne die Artikel zu beachten«, wandte sie ein und vergaß sekundenlang ihren Akzent.

»Auch die Artikel habe ich gelesen.«

Sie reagierte mit einem typisch gallischen Achselzucken. »Dann ist Ihnen sicher aufgefallen, dass die dort geäußerten Ansichten sehr kontroversieller Natur sind. Die ’erausgeber ziehen es vor, anonym zu bleiben.«

»Ich verstehe.« Er glaubte es jedenfalls. »Natürlich muss diese Geheimniskrämerei den Reiz des Blattes erhöhen.«

»Das ist richtig«, gestand sie.

Er nickte. »Wenn ich mich recht erinnere, gab es vor einigen Monaten einen Verleumdungsprozess. The Mayfair Lady wurde wegen Rufschädigung vom …«, er furchte die Stirn, dann erhellte sich seine Miene, »… vom Earl of Barclay angeklagt, glaube ich.«

»Die Klage wurde abgewiesen«, sagte Chastity.

»Ja.« Nachdenklich drehte er seinen Hut in den Händen. »Ich kann mich erinnern. Ebenso weiß ich, dass das Blatt von einer anonymen Person im Zeugenstand vertreten wurde. Habe ich Recht?«

»Ja.«

»Sehr interessant. Sicher stiegen die Verkaufszahlen daraufhin kräftig.«

»Mag schon sein«, antwortete sie vage. »Aber nicht aus diesem Grund geben wir unsere Identität nicht preis. Also, jetzt zu Ihnen, M’sieur.«

Douglas, dessen Faszination und Neugierde unverändert blieben, fand sich damit ab, dass für den Moment die Fragestunde vorbei war. »Wie ich schon in meinem Brief erklärte, suche ich eine Frau.«

Sie entnahm den betreffenden Brief ihrer Handtasche. »Mehr schreiben Sie freilich nicht. Wir müssten mehr über Ihre persönliche Situation und über den Typ Frau, der Ihnen vorschwebt, erfahren, ehe wir wissen, ob wir Ihnen bei der Suche behilflich sein können.«

»Ja, natürlich«, pflichtete er ihr bei. »Aber es sind eigentlich nur zwei Eigenschaften, die ich bei einer Frau voraussetze.« Während er sprach, zog er die Handschuhe aus und steckte sie in seine Manteltaschen. »Hoffentlich haben Sie in Ihrer Kartei jemanden, der dem entspricht. Von diesen zwei wichtigen Punkten abgesehen, bin ich nicht wählerisch.« In kühlem, sachlichem Ton ging er daran, die Situation näher zu erklären, wobei er bei jedem einzelnen Punkt mit einem Finger gegen die Fläche der anderen Hand tippte.

»Wie in meinem Brief erwähnt, bin ich Arzt. Ich bin erst vor kurzem von Edinburgh, wo ich studierte und ein paar Jahre praktizierte, in London eingetroffen. Ich habe die Absicht, eine Praxis in der Harley Street zu eröffnen, die mir mit Sicherheit ein stattliches Einkommen einbringen wird, sobald ich mir in der Londoner Gesellschaft einen Namen gemacht habe.«

Chastity, die keine Antwort gab, faltete die behandschuhten Hände im Schoß und betrachtete ihn durch ihren Schleier hindurch. In ihr regte sich ein schlechtes Gefühl, was dieses Gespräch betraf, und ihre Intuition trog sie nur selten.

Der Arzt wickelte seinen Schal auf. Trotz der unzureichenden Heizung schien es ihm in dem runden Saal zu warm zu sein. Chastity, die von ihrem Weg im kalten Dezemberwind noch durchfroren war, beneidete ihn. Ein so großer Mensch erzeugt vielleicht zusätzlich Körperwärme, überlegte sie.

»Jedenfalls«, fuhr er fort, »muss ich eine Frau finden, die vor allem reich ist.«

An diesem Punkt wurde Chastity klar, dass ihre Intuition sie tatsächlich nicht getrogen hatte. Sie erstarrte unmerklich und hüllte sich weiterhin in Schweigen.

»Die Einrichtung einer solchen Praxis ist eine kostspielige Angelegenheit, wie Sie sich denken können«, fuhr er in unverändert gleichmütigem Ton fort. »In der Harley Street sind die Mieten hoch, zudem erwarten reiche Patienten ein entsprechendes Ambiente, eines, das den Eindruck erweckt, dass sie sich einem Arzt anvertrauen, der nur Patienten behandelt, die das Beste gewöhnt sind und es sich auch leisten können.«

Chastity glaubte, einen Anflug von Sarkasmus in seinem Ton zu entdecken. Distanziert sagte sie: »Meiner Erfahrung nach verdienen Ärzte, die in der Harley Street praktizieren, sehr gut. So gut, dass sie eine Frau erhalten können, würde man meinen.«

Er zuckte mit den Achseln. »Ja, sobald sie sich gut eingeführt haben. Aber so weit bin ich noch nicht, doch ist es mein Ziel. Um dies zu erreichen, brauche ich Starthilfe. Verstehen Sie jetzt?«

»Ich gelte im Allgemeinen nicht als beschränkt«, sagte sie.

Falls ihr eisiger Ton den Doktor in Verlegenheit brachte, ließ er sich nichts anmerken und fuhr gelassen fort: »Ich brauche eine Frau, die eine gewisse finanzielle Sicherheit in die Ehe einbringt und zusätzlich über gesellschaftliche Talente und Verbindungen verfügt, die meiner Praxis zugute kommen. Kurzum, eine Dame, dank deren Überredungskunst die …«, innehaltend suchte er nach dem passenden Wort und schürzte leicht die Lippen, ». Damen mit Migräne zu mir kommen, Frauen mit eingebildeten Leiden, die daher rühren, dass sie an nichts denken müssen und im Leben nichts Vernünftiges zu tun haben, sowie Herren mit Gicht und anderen Wehwehchen, wie eine träge und üppige Lebensweise sie mit sich bringt. Ich brauche eine Frau, die diese Patienten quasi angelt und ihnen blindes Vertrauen in die ärztliche Kunst ihres Mannes einflößt.«

»Kurz gesagt, M’sieur, Sie brauchen nicht so sehr eine Frau als vielmehr eine Geldgeberin und Kupplerin«, zog Chastity ein Resümee, momentan besorgt, ob sie ihrer Entrüstung nicht zu unverhüllt Ausdruck verliehen hatte, doch konnte sie unbesorgt sein.

»Genau«, stimmte er ihr ungerührt zu. »Sie erfassen die Situation genau. Ich ziehe es vor, die Dinge beim Namen zu nennen.« Er schaute sie durchdringend an. »Wäre es möglich, Ihr Gesicht zu sehen, Madam?«

»Absolument pas, M’sieur. Ganz ausgeschlossen.«

Er zog die Schultern hoch. »Natürlich ‒ wie Sie wollen. Aber ganz abgesehen davon, dass ich lieber mit jemandem verhandle, dessen Identität ich kenne, erscheint mir diese Geheimnistuerei unnötig. Könnten Sie wenigstens diesen falschen Akzent ablegen?«

Chastity biss sich hinter dem Schleier auf die Lippen. Sie hatte zwar nicht erwartet, dass er nur eine Sekunde darauf hereinfiel, doch wusste sie genau, dass der Akzent ihre Stimme sehr gut verfälschte. Und wenn der Zeitpunkt kam, ihm von Angesicht zu Angesicht zu begegnen, was nötig sein würde, wenn sie ihn als Klienten akzeptierte, durfte er die Dame aus der National Gallery nicht mit der Ehrenwerten Chastity Duncan in Verbindung bringen.

Ohne auf die Frage einzugehen, fragte sie kühl: »Geht die Vermittlung recht in der Annahme, dass Sie kein Interesse an einer Ehe haben, in der Zuneigung oder Achtung eine Rolle spielen? Zählen für Sie nur Geld und gesellschaftliche Stellung?«

Diesmal konnte er die Schroffheit ihres Tones nicht überhören. Er schlug mit den Handschuhen gegen die Fläche der anderen Hand. »Das sind meine Prioritäten«, beharrte er. »Gehört es zu den Aufgaben der Vermittlerin, diese in Frage zu stellen? Sie sind Repräsentantin einer Agentur, die eine Dienstleistung anbietet.«

Chastity spürte, wie ihre Wangen erglühten. »Um Ihnen von Nutzen zu sein, M’sieur, müssen wir die Fragen stellen, die wir für nötig erachten.«

Er runzelte die Stirn, um dann wie zustimmend mit den Achseln zu zucken. »Sagen wir lieber, dass ich bei der Wahl meiner Frau nach ganz praktischen Gesichtspunkten vorgehe.« Er sah sie mit einem gewissen Unmut an. Was ihm ganz einfach erschienen war, erwies sich nun aus irgendeinem Grund als schwierig, und die Tatsache, dass er keine visuellen Anhaltspunkte hatte, an die er sich hätte halten können, erschwerte alles noch viel mehr.

Chastity beobachtete ihn durch ihren Schleier hindurch. Sie konnte ihn ganz deutlich sehen und seine Gedanken einigermaßen genau lesen. Ihre Instinkte rieten ihr, den Mann ohne weitere Umstände als Klienten abzulehnen, da ihre zarteren Empfindungen, mit denen sie überreich gesegnet war, sich dagegen sträubten, diesem unverschämt materialistisch eingestellten Kerl eine reiche Frau zu verschaffen. Es war jedoch eine Entscheidung, die sie nicht treffen konnte, ohne erst ihre Schwestern zu befragen, und sie wusste jetzt schon, dass diese ihre edleren Prinzipien einfach abtun würden. Sie führten ein Unternehmen und konnten es sich nicht leisten, einen zahlenden Klienten abzuweisen, mochte er ihnen auch noch so unsympathisch erscheinen. Chastity wusste, dass sie auf Prudences kühl pragmatische Stimme anstatt auf ihre eigene spontane und emotional geprägte Reaktion hören musste. Ebenso wusste sie, dass Constance ‒ was immer diese vom guten Doktor halten mochte ‒ einwenden würde, ein zahlender Klient sei ein zahlender Klient. Und es gab Frauen, die so verzweifelt einen Ehemann suchten, dass sie sich sogar auf eine Verbindung dieser Art einlassen würden. Natürlich würde Constance auch sagen, dass man diesen Frauen zu mehr Selbstvertrauen verhelfen und sie umerziehen müsse. Bis dahin aber bliebe einem nichts übrig, als mit ihnen zu ihren eigenen Bedingungen umzugehen.

Und sowohl Prudence als auch Constance hatten Recht. The Mayfair Lady und der Vermittlungsservice sicherten den Duncan‒Schwestern ihre Unabhängigkeit und ermöglichten ihrem Vater ein relativ angenehmes Leben. Obwohl Prudence und Constance nun Ehemänner hatten, die spielend für ihren Unterhalt aufkommen konnten, war keine der beiden bereit, ihre Selbstständigkeit aufzugeben.

Beim Gedanken an ihren Vater stieß Chastity unwillkürlich einen Seufzer aus, der ihrem Begleiter nicht entging, als er das leichte Wehen ihres Schleiers sah.

»Ist etwas?«

»Nein«, sagte sie. »Für heute halte ich die Sache für beendet, M’sieur. Ich möchte mich im Büro mit meinen Schw … meinen Mitarbeiterinnen beraten. Sie werden von uns noch vor Ablauf der Woche brieflich ’ören.« Damit stand sie auf und reichte ihm die Hand.

Er ergriff sie. »Wie werde ich mögliche Kandidatinnen kennen lernen?«

»Das werden Sie erfahren«, sagte sie. »Immer vorausgesetzt, wir können eine Frau finden, die so wie Sie gewillt ist, sich mit einer Vernunftehe ohne Achtung und Zuneigung zu begnügen. Guten Tag, Dr. Farrell.« Damit enteilte sie und war fort, ehe er reagieren konnte.

Er tat einen Schritt, ihr nach, und seine Fassungslosigkeit wich Zorn über ihren spitzen Ton und ihre Worte. Sie aber durchschritt bereits in weiter Ferne die belebte Galerie. An einem so öffentlichen Ort konnte er ihr nicht nachrennen und eine Entschuldigung von ihr fordern ‒ aber bekommen würde er eine. Wie konnte man nur so engstirnig und selbstgerecht urteilen? Was wusste sie denn von den Umständen seiner Arbeit?

Eine innere Stimme rief ihm in Erinnerung, dass er ihr von dieser trüben Wirklichkeit, von der anderen Seite seiner beruflichen Tätigkeit, nichts verraten hatte. Diese gehörte zu jenen Dingen, die er lieber für sich behielt. Außerdem war sie für die Dienste, die der Vermittlungs-Service anbot, nicht relevant.

Ungeachtet der progressiven Ansichten, für die The Mayfair Lady eintrat, verrieten die Artikel, dass die Verfasser und Herausgeber ‒ Frauen, wie er vermutete ‒ über Geld und Bildung verfügten. Diese Menschen wussten nichts von den verkommenen Straßen in Earl’s Court, von den desolaten Reihenhäusern, in denen Ratten umherhuschten und der Gestank der Abtritte die Luft verpestete. Sie wussten nichts von der Realität der Tuberkulose und Ruhr, die in allen dunklen Winkeln lauerten, von den verzweifelten Müttern, die sich abmühten, ein paar Münzen für Milch für ihre rachitischen Kinder zusammenzukratzen, von den arbeitslosen Männern, die oft vertranken, was sie an Geld in die Finger bekamen, von den lauten Kneipen an jeder Straßenecke. Sich für Frauenstimmrecht und Gleichheit vor dem Gesetz einzusetzen, war einfach. Viel schwieriger aber war es, solch hehre Ansichten vor dem Hintergrund der düsteren Realität zu vertreten, in der die Unterschicht lebte.

Immer mehr ärgerte sich Douglas Farrell, während er das Museum verließ. Vaterlos in einem aus seiner Mutter und sechs älteren Schwestern bestehenden Haushalt aufgewachsen, einem Haus voller schwatzender, streitsüchtiger, doch erstickend liebevoller Frauenzimmer, war er geneigt, in die Klage seines Landsmannes John Knox über die Monstrosität jeglicher Weiberherrschaft einzustimmen. Gewiss, Knox bezog sich auf die Königinnen, die vor dreihundert Jahren England und Schottland regiert hatten. Doch für Douglas, der sich seinen Weg durch den weiblichen Irrgarten gebahnt hatte, der seine Jugend beherrschte, bedeutete es eine gewisse Befriedigung, diese Wendung für seine persönliche Situation zu nutzen. Ein Zuviel an Liebe konnte ebenso nachteilig sein wie ein Zuwenig. Dies hatte er schon vor Jahren festgestellt und es geschafft, fünfunddreißig Jahre alt zu werden, ohne in die Ehefalle zu tappen.

Mit Marianne war es nur ein ganz knappes Entrinnen gewesen, rief ihm eine innere, zur Aufrichtigkeit mahnende Stimme in Erinnerung, doch unterdrückte er das leise Raunen unbarmherzig. Die Vergangenheit war abgetan, und wenn er nun bereit war, die Ruhe des Junggesellenlebens im Interesse seiner hingebungsvollen Arbeit für die Armen Londons zu opfern, war das allein seine Sache.

Es war nicht einzusehen, warum der Reichtum einer privilegierten, wenn nicht gar adeligen Frau nicht dazu dienen sollte, das Los leidender Menschen zu lindern, deren Existenz sie ansonsten kaum zur Kenntnis nahm. Und er sah auch nicht ein, warum er seine beträchtlichen medizinischen Fähigkeiten nicht in den Dienst ebendieses menschenfreundlichen Anliegens stellen sollte, indem er die Hypochonder, die sich seine Dienste leisten konnten, tüchtig schröpfte. Mit welchem Recht also faselte dieses zu klein geratene verschleierte Geschöpf mit dem lächerlichen falschen Akzent über Liebe und Respekt in der Ehe? Sie hatte eine Dienstleistung anzubieten, und es ging sie nichts an, aus welchem Grund ihre Klienten diese in Anspruch nahmen. Von Liebesbeziehungen war er für ewig geheilt. Wenn er eine gewollt hätte, wäre er eine eingegangen.

Nach wie vor wütend, lief er die Stufen des Museums hinunter und marschierte in Richtung St. James’s Park, in der Hoffnung, die kalte Luft würde seinen Aufruhr dämpfen, was sie auch tat. Als er den Park durchquert und Buckingham Palace erreicht hatte, meldete sich sein gewohnter Sinn für Humor wieder. Von seinem fünften Lebensjahr an hatte er gelernt, dass ein Mann im Umgang mit Frauen Humor haben musste, wenn er bei klarem Verstand bleiben wollte.

Chastity lief über Trafalgar Square, diesmal ohne die Tauben zu beachten, die als flatternder gurrender Schwarm zu ihren Füßen aufflogen. Sie winkte an Charing Cross eine Droschke herbei und gab dem Kutscher die Adresse Manchester Square Nr.10 an. Als sie einstieg, rümpfte sie die Nase über den aus der Polsterung aufsteigenden Tabakgeruch.

Sie hatte sich auf das Treffen mit Douglas Farrell gefreut. An dem Tag, als er den Eckladen betreten hatte, um eine Ausgabe von The Mayfair Lady zu erstehen, reizte der Arzt, der in der üblen Gegend um Earl’s Court praktizierte, ihre Neugierde. Vor allem hatte sie der Umstand neugierig gemacht, dass er sich mit einigen Pfund Süßigkeiten eingedeckt hatte, mit mehr Lakritze und Bonbons, als ein Mensch konsumieren konnte. Chastity konnte das gut beurteilen, denn ihr eigener Verzehr von Süßigkeiten lag weit über dem Durchschnitt. Sie hatte sich gefragt, ob die Sachen für die armen Kinder bestimmt waren, die in seine Praxis in St. Mary Abbot’s gebracht wurden. Es war eine Vorstellung, die ihre eigene mitfühlende Natur anrührte und in ihr den Wunsch weckte, diesen Mann kennen zu lernen. Und nun war er so ganz anders, als sie sich ihn vorgestellt hatte.

Sie schlug den Schleier zurück und atmete erleichtert auf, als kühle Luft ihre glühenden Wangen kühlte. Mrs. Beedle fand ihn sehr nett, doch kannte die Inhaberin eines kleinen Eckladens ihre Kunden natürlich nicht sehr gut. Wohnte er in Kensington? Das stand zu vermuten, da er Mrs. Beedles Laden frequentierte. Es war eine anständige Gegend, aber wohl kaum eine vornehme Privatadresse für einen aufstrebenden, in der Harley Street praktizierenden Arzt. Für eine Praxis in Earl’s Court natürlich ausreichend. Vermutlich auch billig genug … denn dass Geld für ihn ein Problem darstellte, war klar.

Chastity sagte sich, dass die Vermittlung ein Eheanbahnungs-Service war, dem es nicht zustand, moralische Urteile über die Klienten zu fällen. So gesehen, konnte man sagen, dass der Arzt seine Vorstellungen und Anforderungen klipp und klar geäußert hatte.

Nur war es ein Standpunkt, den einzunehmen Chastity überaus schwer fiel. Dr. Farrell war kalt und berechnend. Er wollte eine Frau, die vermögend und einflussreich war, eine Frau, die er für seine Zwecke einspannen konnte. Ihre Kopfhaut prickelte. Sie verspürte ein überwältigendes Gefühl der Enttäuschung.

Die Droschke hielt vor der eindrucksvollen Fassade des Hauses Nr. 10 an, und sie stieg aus, bevor sie den Kutscher bezahlte. Dann lief sie die Treppe zur Haustür hinauf und schauderte in einem Windstoß, der über die Grünanlage des Platzes fegte. Jenkins, der Butler, öffnete ihr, ehe sie die oberste Stufe erreicht hatte.

»Ich sah die Droschke anhalten, Miss Chas«, erklärte er. »Heute ist der Wind äußerst unangenehm.«

»Er riecht nach Schnee«, meinte Chastity und betrat die von einem massiven Zentralheizungskörper erwärmte Halle. »Ist mein Vater da?«

»Seine Lordschaft hat die Bibliothek nicht verlassen, Miss Chas«, berichtete Jenkins. »Er sagte, er hätte sich ein wenig erkältet.«

»Ach, du meine Güte.« Chastity runzelte die Stirn, als sie die Handschuhe auszog und den Hut ablegte. »Sollen wir einen Arzt rufen?«

»Ich fragte ihn, er aber lehnte ab.«

Chastity nickte. »Ich sehe nach ihm. Vielleicht ist ihm nach Tee mit Whiskey zumute.«

»Ich brachte gleich nach dem Lunch die Whiskeykaraffe hinein«, sagte Jenkins.

Wieder furchte Chastity die Stirn. Lord Duncan litt zunehmend an Depressionen, seitdem der Verleumdungsprozess die Niedertracht seines einstigen besten Freundes, des Earl of Barclay, an den Tag gebracht hatte. Der Fall hatte sowohl den Betrug seines Freundes als auch sein eigenes dummes und blindes Vertrauen enthüllt. Und Letzteres war es, was nach Meinung seiner drei Töchter Lord Duncan am schwersten belastete. Seine eigene Leichtgläubigkeit hatte ihn um das Familienvermögen gebracht, da er es einem Schwindler und Betrüger anvertraute. So war es gekommen, dass Lord Duncans Töchter The Mayfair Lady und den Vermittlungs-Service zu Gewinn bringenden Unternehmungen ausgebaut hatten, deren Erträge eine Zeit lang dazu dienten, ihren Vater in Unwissenheit über die finanzielle Lage der Familie zu belassen. Diese Tatsache nagte ebenfalls am Stolz Lord Duncans. Dass seine Töchter ihm die Wahrheit vorenthalten hatten, während sie sich abmühten, den Haushalt vor dem Bankrott zu bewahren, war eine Tatsache, mit der er sich nicht abfinden konnte.

Chastity ging zur Bibliothek, zögerte aber, die Hand zum Anklopfen erhoben. Seit Prudences Heirat vor sechs Wochen war sie nun die einzige im Haus verbliebene Tochter. Die Bürde von Lord Duncans zunehmenden Depressionen lastete daher am schwersten auf ihren Schultern, wiewohl ihre Schwestern bereitwillig diese Last mit ihr getragen hätten. Doch verhinderte die örtliche Distanz, dass sie von seinen Stimmungsschwankungen viel mitbekamen.

Leise klopfte sie an und betrat den Raum, in dem spätnachmittägliches Dunkel herrschte. Der Schein des Kaminfeuers war die einzige Lichtquelle. »Möchtest du nicht Licht machen, Vater?«, fragte sie und schloss die Tür hinter sich.

»Nein, nein, so ist es mir lieber. Wir wollen doch das Gas nicht verschwenden«, erklärte Lord Duncan ernst aus den Tiefen seines Armsessels am Feuer. »Es reicht, wenn man die Lampen bei Einbruch der Dunkelheit anzündet.«

Chastity rollte die Augen. Das Beharren auf kleinen und sinnlosen Einsparungen war seine Art, mit seinem neuen Wissen über den wahren Stand der Finanzlage umzugehen. »Jenkins sagte, dass du dich nicht sehr wohl fühlst. Soll man Dr. Hastings rufen?«

»Nein, nein. Nicht nötig, dass man für einen dieser Quacksalber Geld ausgibt«, erklärte Seine Lordschaft. »Es ist nur eine Erkältung.« Als er nach der Karaffe griff, bemerkte Chastity, dass der Pegelstand um zwei Drittel gefallen war. Sie wusste, dass Jenkins sie bis oben gefüllt gebracht hatte. Ihr Vater wirkte keineswegs betrunken. Wahrscheinlich ist es die übliche Menge für ihn, dachte sie. Aber er trank jetzt allein, während er das früher nur mit seinen Freunden im Klub getan hatte. Sie konnte sich nicht erinnern, wann er letztes Mal den Klub besucht hatte.

»Wirst du heute außer Haus zu Abend essen?«, fragte sie in einem unbeschwerten Ton, zu dem sie sich zwingen musste.

»Nein«, war die knappe Antwort.

»Warum gehst du nicht in den Klub?«

»Mir ist nicht danach, Chastity.« Er nahm einen tiefen Schluck zu sich.

»Und warum änderst du nicht deine Meinung und kommst mit mir zu der Dinnerparty, die Prudence und Gideon heute geben?«, redete sie ihm zu.

»Ich schlug die Einladung aus, meine Liebe. Und ich werde nicht einfach mir nichts, dir nichts meine Absicht ändern und die Tischordnung deiner Schwester umwerfen.« Er beugte sich vor und schenkte sich nach.

Chastity, die sich geschlagen gab, da sie wusste, dass man ihrem Vater nie direkt kommen durfte und bei ihm nur mit Diplomatie etwas erreichte, beugte sich über ihn und gab ihm einen Kuss. »Halte dich schön warm. Ich will nachsehen, was Mrs. Hudson für dich zum Abendessen geplant hat.«

»Ach, etwas Brot und Käse müssten reichen.«

Chastity seufzte. Das ökonomische Märtyrertum ihres Vaters war schwerer zu verkraften als seinerzeit seine unbekümmerte Verschwendungssucht. »Ich breche etwas früher zu Prue auf, damit ich mich dort umziehen kann. Deshalb muss ich jetzt meine Sachen packen. Ehe ich gehe, schaue ich noch bei dir herein.«

»Sehr schön, meine Liebe.«

Vor der Bibliothek traf Chastity auf Jenkins, der die Gaslampen in der Halle anzündete. Lord Duncan betrachtete elektrisches Licht ‒ selbst wenn er es sich hätte leisten können ‒ als eine Abscheulichkeit der modernen Welt. »Könnten Sie auch die Lichter in der Bibliothek anzünden?«, bat sie. »Vater sagt zwar, er würde sie nicht brauchen, aber er kann doch nicht ständig im Dunkeln sitzen. Es ist so bedrückend.«

»Wenn Sie mich fragen, Miss Chas, Seine Lordschaft braucht Ablenkung«, erwiderte Jenkins.

»Ich weiß. Meine Schwestern und ich zerbrechen uns die Köpfe, um etwas für ihn zu finden«, sagte sie. »Vielleicht wird Weihnachten ihn aufheitern. Er hat doch die Jagd am zweiten Feiertag so geliebt.«

»Hoffen wir es«, murmelte Jenkins ein wenig zweifelnd.

»Ich wollte mich noch wegen der Arrangements für Weihnachten vergewissern, Miss Chas. Mrs. Hudson und ich werden am Tag vor Heiligabend nach Romsey Manor fahren.«

»Ja, und wir treffen am Spätnachmittag des Vierundzwanzigsten ein, nach Lord Lucans und Hester Winthrops Hochzeit«, sagte Chastity. »Der Empfang findet mittags statt, so dass wir den Zug um vier erreichen und noch rechtzeitig für die Weihnachtssänger dort sein müssten.«

»Es wird sehr hübsch sein, wieder Weihnachten mit großer Familie zu feiern«, sagte Jenkins.

Chastity lächelte ein wenig wehmütig. »Ja, seit Mutter starb, hatten wir das nicht mehr. Aber dieses Jahr wird es sicher wunderbar ‒ mit Prue und Gideon, Sarah und Mary Winston sowie Constance und Max und den Tanten.«

»Ganz nach althergebrachter Weise. Ich zünde jetzt die Lampen in der Bibliothek an. Cobham habe ich bereits Bescheid gegeben, dass Sie ihn um sechs brauchen. Er wird mit der Kutsche vorfahren. Sie bleiben über Nacht bei Miss Prue … Lady Malvern wollte ich sagen«, verbesserte er sich.

»Aber nicht vor ihr, sie würde gar nicht wissen, dass sie gemeint ist«, sagte Chastity mit amüsiertem Auflachen. »Ja, ich bleibe die Nacht über bei ihr, und Sir Gideons Fahrer wird mich am Morgen zurückbringen.« Sie begab sich in die Küche, um mit Mrs. Hudson, der Köchin, das Abendessen ihres Vaters zu besprechen.

»Ach, keine Bange, Miss Chas«, sagte Mrs. Hudson gemütlich. »Für Seine Lordschaft habe ich zwei hübsche Fasane mit Apfelmus, so wie er sie gern mag. Dazu seine geliebte Kastaniensuppe. Und einen Sahnepudding habe ich auch noch gekocht. Es wird ihm sicher schmecken.«

»Ich wusste, dass Sie vorgesorgt haben«, lobte Chastity. »Es riecht hier drinnen ganz köstlich.« Mit einem freundlichen Lächeln verabschiedete sie sich von der Köchin und lief hinauf, um ihre Sachen für den Abend zusammenzulegen.

Sie kam sich noch immer ziemlich komisch vor und fühlte sich zuweilen ein wenig vereinsamt, weil sie als Letzte im Haus verblieben war. Früher hätten die Schwestern sich gemeinsam angekleidet, wären zwischen ihren Zimmern hin- und hergelaufen, hätten Kleider, Schmuck und Accessoires und Brennscheren sowie Meinungen über ihre Aufmachung ausgetauscht. Constance und Prudence, die sehr wohl ahnten, dass Chastity einsam war, sorgten dafür, dass sie fast so viel Zeit mit ihnen verbrachte wie früher, als sie alle noch unter einem Dach lebten. Nur ganz selten zog Chastity sich allein an, wenn sie und eine oder beide Schwestern an demselben gesellschaftlichen Ereignis teilnehmen wollten. Obschon ihr beide Häuser uneingeschränkt offen standen, hielt ihr natürliches Feingefühl sie davon ab, dieses Angebot übermäßig zu strapazieren. Sosehr sie ihre Schwäger schätzte und auch wusste, dass die Sympathie auf Gegenseitigkeit beruhte, wollte sie sich doch nicht in die Ehen ihrer Schwestern drängen.

Jetzt furchte sie die Stirn, als sie den Inhalt ihres Kleiderschrankes musterte und dabei an die bevorstehende Diskussion mit ihren Schwestern über ihre Begegnung mit Douglas Farrell dachte. Ein Teil von ihr hegte den geheimen Wunsch, sie würden, von der materialistischen Einstellung des Arztes ebenso abgestoßen wie sie selbst, einverstanden sein, ihn als Klienten abzulehnen. Eine falsche Hoffnung, wie sie sehr wohl wusste, da sie einen zahlenden Klienten nie ablehnen würden. Aber wo sollten sie eine Kandidatin für den Doktor finden, die in ausreichendem Maß vermögend, heiratslustig und gesellschaftlich hochgestellt war?

Sie entschied sich für ein smaragdgrünes Seidenkleid mit tiefem Ausschnitt und einer kleinen Schleppe, die in anmutigen Falten von der hohen Taille fiel. Es war eine Kreation von Doucet, die Constance von ihrer Hochzeitsreise aus Paris für Chastity mitgebracht hatte. Sie drapierte das Kleid über eine Stuhllehne und wählte die Accessoires aus, die sie mit ihrem Nachthemd, Zahnbürste und Haarbürste in eine kleine Reisetasche packte. Dann legte sie sich das Kleid über den Arm, griff nach ihrer Tasche und lief die Treppe hinunter, als die Uhr sechsmal schlug.

Jenkins nahm ihr die Sachen ab und brachte sie hinaus zum wartenden Wagen, während Chastity sich von ihrem Vater verabschiedete. Lord Duncan schien nun schon besserer Stimmung. Die Lichter brannten anheimelnd, das Feuer prasselte. Seine Whiskeykaraffe war nachgefüllt worden, der köstliche Duft des Fasanbratens wehte von der Küche herauf. »Grüße deine Schwestern schön von mir«, trug er ihr auf. »Sag ihnen, sie sollen mich ab und an besuchen.«

»Aber Vater, wirklich«, protestierte Chastity. »Sie waren erst gestern da. Du weißt, dass sie fast täglich kommen.«

»Ja, aber nicht so sehr, um mich zu besuchen, als an der Herausgabe dieses schändlichen Schmierblattes zu arbeiten, auf das ihr alle so stolz seid«, erklärte Lord Duncan. »Ich kann mir nicht vorstellen, was eure Mutter sich dabei dachte, als sie damit anfing.«

»Es ging ihr um das Frauenstimmrecht, wie du sehr gut weißt«, sagte Chastity, nicht gewillt, sich weiter auf diese Debatte einzulassen. »Und wir tragen das Banner an ihrer Stelle weiter.«

Lord Duncan schmollte und scheuchte sie mit einer Handbewegung hinaus. »Geh jetzt, du sollst nicht zu spät kommen.«

»Morgen bin ich wieder da«, sagte sie und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn. »Genieße dein Dinner. Mrs. Hudson hat deine Lieblingsspeisen zubereitet, vergiss also nicht, dich bei ihr zu bedanken.«

Sie schüttelte den Kopf und überließ ihn seinem Whiskey. Cobham wartete neben dem Wagen, als sie leichtfüßig die Stufen hinunterlief und den Mantel gegen die Kälte enger um sich zog. Die elektrische Straßenbeleuchtung brannte schon, helle weiße Kreise schimmerten auf den Pflastersteinen. Ein Licht, das viel weniger freundlich wirkte als der goldene Schein der Gaslaternen, überlegte Chastity, als sie den Kutscher begrüßte und in den Wagen einstieg.

»Meine Schwester sagte, Sie wollen sich im nächsten Jahr zur Ruhe setzen, Cobham«, sagte sie und zog die Wagendecke über die Knie.

»Ja, Miss Chas. Wird auch Zeit, dass man sich aufs Ausgedinge zurückzieht«, sagte er und trieb die Pferde mit einem Pfiff durch die Zähne an. »Es ist ein hübsches kleines Häuschen, das Miss Prue … Lady Malvern … uns anbot. Meine Frau ist vor Freude außer sich. Und dazu der schöne Gemüsegarten … Wir werden glücklich wie die Schneekönige sein.«

»Davon bin ich überzeugt«, pflichtete Chastity ihm bei und kuschelte sich unter die Decke, bis sie vor dem Domizil der Malverns am Pall Mall Place vorfuhren.

Kapitel 2

»Hallo, Tante Chas.«

»Hallo, Sarah.« Chastity begrüßte die elfjährige Stieftochter ihrer Schwester mit einem Kuss. »Wie ist die Schule?«

»Langweilig«, antwortete das Mädchen mit übertrieben blasiertem Seufzen. »Fürchterlich langweilig.«

Chastity lachte. »Sarah, das glaube ich dir nicht.«

Sarah erwiderte das Lachen. »Na ja, es gibt ein paar Dinge, die ich mag, aber man muss sagen, dass sie langweilig ist, sonst glauben die Leute, es stimmt mit einem etwas nicht.«

Chastity nahm ganz richtig an, dass die fraglichen Leute Sarahs Mitschülerinnen waren. »Das kann ich verstehen«, sagte sie mitfühlend. »Aber es muss schwierig sein zu tun, als würde man sich langweilen, wenn es gar nicht stimmt.«

»Ach, ich bin eine gute Schauspielerin«, sagte Sarah vergnügt. »Ist dies das Kleid, das du heute tragen wirst? Lass mich deine Tasche tragen.«

»Ja, das ist es, und vielen Dank.« Chastity überließ ihre Sachen der eifrigen Kleinen. »Ist Prue oben?«

»Ja, und Daddy ist noch in seinem Büro. Beim Frühstück zankten sie sich, deshalb wird er sicher im allerletzten Moment nach Hause kommen«, vertraute das Mädchen ihr an, völlig unbekümmert wegen dieses nicht seltenen Vorfalls im Hause Malvern.

»Und worum ging es bei dem Streit?« Chastity folgte Sarah durch den schmalen Gang zur Treppe.

»Es hat etwas mit einem Fall zu tun, den Daddy annimmt und von dem Sarah glaubt, er solle es nicht tun. Alles habe ich nicht verstanden. Es ging um einen Mann, der für ein Kind nicht zahlen will.« Sarah hüpfte die Stufen hinauf voraus.

Chastity nickte stumm. Wenn Prudence etwas missbilligte, konnte man darauf bauen, dass sie es zum Ausdruck brachte. Und bei Gideon konnte man damit rechnen, dass er ihr riet, sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Beide brausten leicht auf.

»Soll ich deine Sachen ins Gästezimmer bringen? Prue ist in ihrem Salon.« Sarah blieb vor einer geschlossenen Tür am oberen Treppenabsatz stehen.

»Ja, danke, Sarah. Ich möchte Prue rasch begrüßen.« Sie lächelte und eilte den Gang entlang zu einer Doppeltür am Ende. Auf ihr leichtes Pochen hin wurde die Tür geöffnet, und Prudence empfing sie mit einer Umarmung.

»Ach, wie bin ich froh, dass du da bist«, sagte sie und zog ihre Schwester in ein hübsches, quadratisches Wohnzimmer, an das sich das große gemeinsame Schlafzimmer der Eheleute anschloss. »Ich bin auf Gideon schlecht zu sprechen.«

»Ja, Sarah deutete so etwas an.« Chastity knöpfte ihren Mantel auf. In ihrer Rolle als ewige Friedensstifterin war sie bereit, sich die Meinung ihrer Schwester anzuhören. »Es ging um einen Mann, der für ein Kind nicht zahlen will.«

»Manchmal glaube ich, Sarah bekommt mehr mit, als sie sollte«, sagte Prudence mit reuigem Schnauben und rückte ihre Brille auf der Nase zurecht. »Ich frage mich, ob wir vor ihr nicht zu offen reden.«

»Sie ist viel zu intelligent, um es falsch aufzufassen«, beruhigte Chastity sie. »Und sie scheut sich nicht zu fragen, wenn sie etwas nicht begreift.«

Prudence lächelte. »Nein, da hast du wie üblich Recht. Gideon ging mit ihr stets sehr offen um, deshalb wäre es nicht gut, dies zu ändern, nur weil ich auf der Szene auftauchte.«

»Genau«, stimmte ihre Schwester zu und legte ihren Mantel über die Lehne eines mit Gobelinstoff bezogenen Stuhles. »Also, berichte, was sich zugetragen hat.«

Prudence füllte zwei Gläser aus einer Sherrykaraffe auf einem Konsolentisch zwischen den zwei hohen Fenstern, deren üppige bernsteinfarbige Samtdraperien zugezogen waren, um den garstigen Winterabend auszusperren. Sie brachte die Gläser ans Sofa. Chastity nahm eines und setzte sich, die Beine kreuzend, und sah ihre Schwester erwartungsvoll an. Sie war es gewohnt, bei beiden Schwestern die einfühlsame Zuhörerin zu spielen.

Prudence nippte am Sherry und fing an. »Gideon möchte einen Mann verteidigen, der sich weigert, für ein Kind zu sorgen, das seine ehemalige Geliebte unehelich geboren hat. Dies bedeutet, dass Gideon die Frau angreifen wird … ihre Moral, ihre Motive. Er behauptet, dass sie nur aus Habgier handelte und mit Absicht schwanger wurde, um den Mann an sich zu ketten. Nun versuche sie, seine Ehe und seine Karriere zu ruinieren.«

Chastity schnitt eine Grimasse. Sie war sich völlig einig mit ihrer Schwester. Jeder andere Standpunkt wäre den Duncan-Schwestern unmoralisch erschienen. »Glaubt Gideon das wirklich?«

»Nein, sicher nicht. Er sagt aber, er würde jeden Fall übernehmen, der ihn interessiert und herausfordert, ohne Rücksicht auf Schuld oder Unschuld.« Prudence schüttelte angewidert den Kopf. »Wir würden bald auf der Straße landen, wenn er lediglich Fälle übernähme, die mit meinen moralischen Vorstellungen vereinbar sind, behauptet er.«

Chastity musste lachen. »Verzeih«, sagte sie, »aber du musst zugeben, dass er vermutlich Recht hat. Wenn wir jeden Fall, der sich ihm bietet, auf Herz und Nieren prüfen, ob er unseren Ansichten von Recht und Unrecht entspricht, könnte er bald seine Anwaltspraxis zusperren.«

Prudence lächelte widerstrebend. »Es ist ja nicht so, dass ich in diesen Dingen unpraktisch denke, aber gerade dieser Fall traf mich an meiner empfindlichsten Stelle.«

»Ja, das sehe ich ein.« Chastity nippte an ihrem Sherry. »Kommt Con heute früher?«

Prudence warf einen Blick auf die Kaminuhr. »Sie sollte schon da sein. Spätestens um sieben, sagte sie, damit uns Zeit für das Geschäftliche bleibt, ehe die Gäste eintreffen.«

»Dann ziehe ich mich jetzt fürs Dinner um, ehe sie kommt.« Chastity stand auf. »Würdest du mir deinen topasfarbigen Schal borgen? Er passt so gut zum grünen Kleid.«

»Aber natürlich. Du brauchst auch ein passendes Band für dein Haar. Ich suche dir eines heraus, wenn ich mich umkleide. Möchtest du ein Bad nehmen? Ich schicke dir Becky als Hilfe.«

»Nein, ich badete am Morgen und komme beim Umkleiden allein zurecht. Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass ich mich an eine Zofe gewöhnen könnte.«

»Ach, du würdest staunen, wie rasch das geht«, erwiderte Prudence. »Warte nur, bis du einmal ein Leben in Luxus führst.«

Chastity schüttelte nur lächelnd den Kopf und ging ins Gästezimmer, wo Sarah bereits ihr Kleid aufgehängt hatte.

Ein Krug mit heißem Wasser dampfte auf dem Waschtisch neben einem Stapel dicker Handtücher. Während sie ihre Reisetasche auspackte, überlegte sie, dass ihre Schwestern sich mit bemerkenswerter Leichtigkeit an die luxuriösen Annehmlichkeiten gewöhnt hatten, die ihre wohlhabenden Ehemänner ihnen bieten konnten. Man konnte es ihnen allerdings kaum verübeln, nachdem sie so lange am Rande des Bankrotts leben mussten und auf alle Annehmlichkeiten hatten verzichten müssen, die sie zu Lebzeiten ihrer Mutter genossen hatten ‒ ehe Lord Duncan sein letztes Hemd an den Earl of Barclay verlor. Sie war also sehr wohl imstande, sich allein anzukleiden.

Binnen zwanzig Minuten begab sie sich wieder ins Wohnzimmer ihrer Schwester und knöpfte sich im Gehen die Knöpfe an den engen Ärmeln zu. Prudence, die nun ein schwarzgraues Abendkleid aus Seide trug und das zimtrote Haar auf dem Hinterkopf aufgetürmt hatte, trat aus dem Schlafzimmer, als Chastity die Wohnzimmertür hinter sich schloss.

»Das Kleid ist wunderbar«, sagte Prudence bewundernd. »Dieses Grün passt herrlich zu deinem Haar. Komm, ich will dir das Band reinflechten.« Geschickt brachte sie das topasfarbige Band in Chastitys kunstvoll arrangierten roten Locken unter und drapierte den Schal um ihre Schultern. »Du siehst wie immer reizend aus.« Ein leichter Schatten huschte über ihre hellgrünen Augen. »Du bist dünner geworden, Chas.«

»Ja, ich hatte den Eindruck, das Kleid würde ein wenig lockerer sitzen.« Chastity strich die Falten befriedigt glatt. Als Kleinste der drei Schwestern neigte sie mehr zur Rundlichkeit als die viel größere Constance oder die eckigere Prudence. »Wahrscheinlich esse ich weniger Kuchen«, sagte sie und tat das Thema gut gelaunt ab. »Und wen hast du heute für mich eingeladen?« Auf Zehenspitzen stehend betrachtete sie ihre nun vollendete Frisur im Spiegel über dem Kamin und benetzte einen Finger, um die gewölbten Brauen über ihren braunen Augen zu glätten.

»Roddie Brigham. Das ist dir doch recht, oder?«, fragte Prudence eine Spur ängstlich.

»Ja, natürlich. Mit ihm plaudert es sich leicht, so dass wir ab und zu gern zusammen sind«, kommentierte Chastity.

»Das hört sich nicht gerade an, als wärest du vor Begeisterung außer Rand und Band«, bemerkte ihre Schwester.

»Verzeih.« Chastity drehte sich vor dem Spiegel um und lächelte ihr zu. »Ich mag Roddie … vor allem deswegen, weil ich mich mit ihm ganz ungezwungen unterhalten kann.« Sie sah Prudence leicht spöttisch an. »Obwohl er mich mindestens dreimal um meine Hand bat, bin ich nicht auf einen Ehemann aus, Prue. Also mach dir keine Hoffnungen.«

»Meine Erfahrung sagt mir, dass man gar nicht auf einen aus sein muss, sie kommen einfach daher«, erwiderte Prudence.

»Was kommt daher?«

Beide drehten sich beim Klang der Stimme um. Der Hauch eines exotischen Parfüms kündigte das Eintreten ihrer ältesten Schwester Constance an.

»Ehemänner«, sagte Prudence.

»Ach ja.« Constance nickte. »Wie wahr. Sie pflegen aufzutauchen, wenn man sie am wenigsten erwartet.« Sie küsste ihre Schwestern. »Du hast keinen gefunden, oder, Chas?«

»Seit gestern nicht«, informierte ihre Schwester sie lachend. »Aber wie gesagt, ich halte nach keinem Ausschau. Zumindest nicht für mich selbst.«

»Ach, haben wir heute einen neuen Klienten bekommen?«, fragte Prudence, der einfiel, dass Chastity als Kontaktperson eine Verabredung wahrgenommen hatte.

Chastity rümpfte ihr Näschen. »Ich würde ihm viel lieber sagen, er solle sich trollen und in anderen Gewässern angeln«, beschwerte sie sich. »Er ist richtig ekelig.«

Constance schenkte für alle Sherry ein. »Darauf kommt es aber nicht an, Chas«, lenkte sie prompt ein. »Wir müssen unsere Klienten ja nicht nett finden.«

»Ich weiß.« Chastity nahm das angebotene Glas und setzte sich auf das Sofa.

»Wie hieß er doch gleich? Doktor irgendwie …« Prudence ließ sich auf dem Sofa gegenüber nieder.

»Farrell. Douglas Farrell.« Sie nahm einen kleinen Schluck Sherry. »Er möchte in erster Linie eine reiche Frau. Das ist für ihn sozusagen die Grundbedingung.« Sie konnte ihren Abscheu nicht verhehlen.

»Na, wenigstens ist er ehrlich«, warf Constance ein.

»Ja, das ist er allerdings. Seine Frau muss aber nicht nur reich sein, sie muss auch gewillt und gesellschaftlich in der Lage sein, ihm wohlhabende Patienten zu verschaffen.«

»Wo hat er seine Praxis?«

»In der Harley Street. Da er im Aufbau begriffen ist, braucht er eine Kupplerin.«

Ihre Schwestern schnitten Grimassen. »Musst du das so formulieren, Chas?«, fragte Prudence.

»Ich drückte mich auch ihm gegenüber so aus, und er sagte darauf, das sei völlig korrekt. Er nenne die Dinge gern beim Namen.«

»Er war dir absolut unsympathisch«, konstatierte Constance.

»Stimmt.« Chastity seufzte. »Er ist so kalt und berechnend. Und über die Patienten, die er zu gewinnen hofft, sprach er mit großer Verachtung und nannte sie Hypochonder und Simulanten. Da fragt man sich, wie er sich als behandelnder Arzt benimmt.«

Ihre Schwestern betrachteten sie wortlos. Eine so entschlossene Haltung gegen jemanden sah Chastity, der Nachsichtigsten und Unkritischsten von ihnen, so gar nicht ähnlich.

»Du bist doch sonst nicht so strikt gegen Menschen eingenommen«, sagte Constance.

Chastity zuckte die Schultern. »Er hat mich durch seine Forderungen gegen sich aufgebracht.« Aus einem ihr selbst nicht verständlichen Grund hatte sie ihren Schwestern verschwiegen, dass sie Dr. Farrell bei Mrs. Beedle zufällig schon einmal gesehen hatte. Und aus demselben unerfindlichen Grund brachte sie es nicht über sich einzugestehen, dass ihre Abneigung gegen diesen Menschen ihrer Enttäuschung entsprang. Es erschien ihr gegen alle Logik, aufgrund einer heimlichen Beobachtung hinter einem Vorhang hervor von jemandem etwas Bestimmtes zu erwarten.

»Aber du hast ihm doch nicht gesagt, dass wir ihn als Klienten nicht annehmen?« Prudence klang etwas besorgt. Chastity war manchmal imstande, die finanziellen Prioritäten ihres Geschäftes zu vergessen. Allerdings bedeutete das meist, dass sie ihre Schwestern bestürmte, Klienten anzunehmen, nur weil sie ihr Leid taten ‒ ohne Rücksicht darauf, ob sie den Vermittlungs-Service bezahlen konnten.

»Das würde ich nie sagen, ohne euch erst zu konsultieren«, sagte Chastity. »Aber eigentlich täte ich es gern. Ich kann mir nicht vorstellen, eine Frau zu einer so kalten und lieblosen Beziehung zu verdammen.«

»Nicht jede Frau würde es so sehen«, gab Prudence zu bedenken. »Erfolgreiche Ärzte mit einer Praxis in der Harley Street sind sehr begehrte Heiratskandidaten.«

»Das mag schon sein, aber ist es denn richtig, wenn man sich zunutze macht, dass eine Frau so verzweifelt einen Mann sucht, dass sie sich praktisch verkauft? Denn darauf läuft es hinaus.«

»Ach, hier treffen sich also die Ränkeschmiedinnen.« Sir Gideon Malverns angenehme Stimme unterbrach die Unterredung. Er betrat das Wohnzimmer noch in Straßenkleidung. »Guten Abend, Constance, Chastity.« Er beugte sich über Prudence, die sich nicht vom Sofa weggerührt hatte, und küsste sie. »Und wie geht es Ihnen, Frau Gemahlin? Hoffentlich bist du jetzt besserer Laune.«

»Die Frage könntest du an dich selbst richten«, konterte Prudence spitz.

»Ach, das habe ich«, sagte er gut gelaunt. »Und die Antwort ist definitiv bejahend.«

Prudence spürte, wie ihr der Wind aus den Segeln genommen wurde. Ihr Mann hatte eine Methode, sie zu entwaffnen, die jedes Mal erfolgreich war. »Solltest du dich nicht umziehen?«, mahnte sie, und ein Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel. »Unsere Gäste kommen um viertel nach acht.«

Er nickte und fragte auf dem Weg zum Schlafzimmer über die Schulter: »Kommt Max heute, Constance?«

»Er hatte die Absicht«, sagte sie. »Es sind Parlamentsferien.«

»Ach, sehr gut. Ich wollte etwas mit ihm besprechen.«

»Deinen Fall?«, erkundigte Prudence sich.

»Nein, Weihnachten«, gab er zurück und lockerte seine Krawatte. »Ich bin im Ankleidezimmer, falls jemand mich sprechen will.« Er verschwand im Bad.

»Streit?«, fragte Constance ihre Schwester mit wissend hochgezogener Braue.

»Ach, nur einer seiner Fälle, mit dem ich nicht einverstanden bin.« Prudence schilderte ihr die Sache und stellte befriedigt fest, dass Constance auf den Fall, den Gideon vertreten wollte, mindestens ebenso entrüstet reagierte wie sie. »Nun, im Moment kann man da wenig machen«, sagte Chastity. »Vielleicht kannst du ihn hinter den Bettvorhängen bearbeiten.«

»Das bezweifle ich. Er ist stur wie ein Ochse.« Prudence hörte sich resigniert an.

»Apropos«, sagte Chastity. »Vater.«

Ihre Schwestern schauten sie aufmerksam an. »Gibt es etwas Neues?«, fragte Constance.

Chastity schüttelte den Kopf. »Nicht seit gestern. Aber er macht keine Fortschritte zum Besseren. Sein Gemütszustand … er ist so niedergeschlagen … sitzt nur da, starrt vor sich hin, greift ständig zum Whiskey und sucht die Schuld an allem bei sich.«

»Wir müssen ihn da herausreißen«, sagte Prudence.

»Das sagte Jenkins auch.«

»Leichter gesagt als getan«, stellte Constance fest.

»Unterwegs hatte ich eine Idee.« Chastity sah ihre Schwestern zögernd an. »Ich weiß nicht, was ihr davon halten werdet.«

»Sag schon, Liebes.« Constance beugte sich gespannt vor.

»Ich dachte, wenn er vielleicht eine Gefährtin hätte …« Chastity hielt inne, ratlos, wie sie fortfahren sollte. Was sie vorschlagen wollte, würde ihre Schwestern aufbringen, da es womöglich wie ein Akt der Treulosigkeit am Gedächtnis ihrer Mutter anmutete. »Eine Frau«, sagte sie entschlossen. »Ich dachte mir, wir könnten vielleicht für Vater eine finden … Schließlich suchen wir ja Ehepartner für Leute in der ganzen Stadt. Seit Mutters Tod sind nahezu vier Jahre vergangen. Ich glaube nicht, dass sie etwas dagegen hätte. Im Gegenteil…«

»Im Gegenteil, sie würde die Idee begrüßen«, unterbrach Constance sie energisch. »Eine brillante Idee, Chas.«

Prudence schwieg noch, und beide schauten sie an. Schließlich sagte sie langsam: »Eine Frau, die finanziell unabhängig ist, wäre perfekt.«

»Besser noch eine Frau, die mehr als nur unabhängig ist«, sagte Constance.

»Aber das ist ja so arg wie Douglas Farrell«, protestierte Chastity. »Es ist durch und durch materialistisch. Ich dachte ja nur, dass eine liebevolle Gefährtin Vater auf andere Gedanken bringen könnte. Sie muss ja nicht reich sein.«

»Nein, nein, natürlich nicht«, beschwichtigte Prudence sie. »Aber wenn sie es wäre, würde es nicht das Glück vergolden? Vater denkt natürlich nicht an Geld, und wir würden ihm schon niemanden präsentieren, der uns nicht zusagt, aber …« Sie ließ ein Achselzucken folgen. »Geld kann sehr nützlich sein, Chas.«

»Als ob ich das nicht wüsste«, erwiderte Chas. »Ihr glaubt also, ich wäre mit meinen Einwänden gegen Farrells materialistische Haltung zu brav und bieder?«

»Ehrlich gesagt, ja«, sagte Prudence und blickte Constance an, die zustimmend nickte.

Chastity blickte stirnrunzelnd in ihr Sherryglas. »Na gut. Ich dachte mir ohnehin, dass ihr das sagen würdet. Aber vergesst nicht, dass ihr ihn nicht kennt. Er ist ein mürrischer, berechnender, materialistisch eingestellter Schotte.«

»Aber er ist ebenfalls Arzt«, widersprach Prudence. »Er muss ein Interesse haben, Menschen zu helfen. Das müsste dich ansprechen, Chas.«

»Das würde es auch, wenn ich der Meinung wäre, es sei ehrlich«, sagte ihre Schwester. »Aber er erinnert mich an jene Industriemagnaten alten Schlages, die es nicht kümmerte, welche Mittel sie zum eigenen Vorteil einsetzten oder wer auf dem Weg zu ihrem Ziel unter die Räder kam. Farrell schien zu glauben, dass gegen seine Habgier nichts einzuwenden sei, wenn er sie nur aufrichtig zugab.«

»Und das alles weißt du nach einer kurzen Begegnung in der National Gallery?«, fragte Constance erstaunt.

Chastity errötete leicht. »Es ist ein wenig übertrieben«, gestand sie.

»Wenn du ihm ganz normal bei irgendeiner Gesellschaft begegnest, würdest du ihn eventuell in anderem Licht sehen«, sagte Prudence.

»Wir können keine Einladungen verschicken, ehe wir keine geeigneten Kandidatinnen haben«, wandte Chastity ein.

»Welche Frau in unserem Bekanntenkreis ist so reich und so verzweifelt, dass sie bereit wäre, eine geschäftliche Beziehung unter dem Deckmantel einer Ehe einzugehen?«

»Wenigstens wissen wir, dass sie weder schön noch klug sein muss«, sagte Prudence.

»Oder gar charaktervoll«, sagte Chastity mit einem Anflug von Schärfe. »Wir wissen, dass unser Klient nicht kleinlich ist, was diese Bagatellen betrifft.«

»Der Punkt geht an dich, Chas.« Prudence stand auf. »Gehen wir hinunter in den Salon, die ersten Gäste werden jeden Moment eintreffen.« Sie steckte den Kopf zur Schlafzimmertür hinein und rief: »Gideon, wir gehen hinunter. Beeil dich.«

Ihr Mann, der eben seine Manschettenknöpfe befestigte, erschien sofort. »Darf Sarah vor dem Dinner im Salon sein?«

»Sie erhofft es sich, aber ich sagte, die Entscheidung würdest du treffen.« Gideon hatte Sarah an die sieben Jahre allein erzogen, und Prudence war erst dabei, sich in ihre neue Rolle als Stiefmutter hineinzufinden ‒ wann es angebracht war zu bremsen oder selbst Vorschläge einzubringen, und wann sie ihre Meinung besser für sich behielt.

»Was meinst du ‒ ist sie alt genug dafür?«, fragte er und drehte sich um, um seine Jacke zu holen.

»Ich denke schon.«

»Dann auf jeden Fall. Ich komme gleich nach.«

Als die drei Damen hinunter in den Salon gingen, drückte Sarah sich in der Halle herum. »Darf ich ein bisschen bleiben, Prue?«

»Ja, bis wir zu Tisch gehen«, sagte ihre Stiefmutter. »Dein Vater sagte, es ginge in Ordnung.« Sie begutachtete das Mädchen, das sich in Vorausahnung seines Einverständnisses in ihr bestes Party-Kleid geworfen hatte. Zwar verdarb die Tinte an den Fingern die Wirkung ein wenig, doch war es nicht der Rede wert. Prudence rückte eine Haarspange zurecht, um eine vorwitzige Strähne hinter Sarahs rechtem Ohr festzustecken. »Vielleicht könntest du die Kanapees herumreichen.«

»Ja, das kann ich«, jubelte Sarah. Nun erst bemerkte sie Constance. »Hallo, Tante Con, ich habe dich nicht kommen gehört. Sicher war ich beim Umkleiden.«

»Ja, so war es gewiss«, pflichtete Constance ihr ernst bei. »Mit deinen guten Ohren hättest du andernfalls mein Kommen niemals überhört.«

Sarah sah sie sekundenlang zweifelnd an, als versuche sie sich darüber klar zu werden, ob man sich über sie lustig mache, entschied dann aber, dass es, selbst wenn es so wäre, keine Rolle spielte. Sie mochte ihre neuen Tanten. Sie behandelten sie nie von oben herab, schlossen sie nie aus und erwiesen sich als erstaunlich kompetent bei kniffligen Hausaufgaben. Und sie waren bei ihrem Vater sehr beliebt.

Sie gingen in den Salon, und Prudence überflog mit einem Blick rasch das Tischarrangement. Alles schien an Ort und Stelle.

»Wer sind die anderen Gäste, Prue?«, fragte Constance. »Jemand, den wir noch nicht kennen?«

»Nur die Contessa della Luca und ihre Tochter Laura. Alle anderen kennt ihr.«

Chastity legte den Kopf schräg. »Das hört sich aber exotisch an.«

»Die Contessa war Gideons Klientin.«

»Eine, die deine Billigung fand«, bemerkte Chastity, die ihren gewohnten Gleichmut wieder gefunden hatte, mit einem Anflug von Schalkhaftigkeit.

»So ist es, Chas«, erwiderte Prudence lachend. »Es ging darum, ihr zu ihrem Vermögen zu verhelfen. Sie ist Engländerin, war mit einem italienischen Conte verheiratet und ist seit kurzem Witwe, weshalb sie sich entschloss, mit ihrer Tochter nach England zurückzukehren. Ich kenne beide noch nicht und weiß nur, was Gideon mir berichtete. Er bat mich, sie einzuladen und sie quasi in die Gesellschaft einzuführen. Ich glaube nicht, dass er die Tochter schon kennt. Gideon, hast du Laura della Luca kennen gelernt?«, fragte sie, als ihr Mann eintrat.

»Nein, nur die Mutter. Eine angenehme Person. Ich nehme an, die Tochter ist ähnlich.« Er ging daran, sich einen Whiskey einzuschenken. »Will jemand noch einen Sherry?«

Die Türglocke ertönte, und man hörte, wie Max Ensor den Butler ungezwungen und vertraulich begrüßte. Max trat begleitet von Sarah ein, die ankündigte: »Der Sehr Ehrenwerte Max Ensor, Minister für Transport, Parlamentsabgeordneter für den Bezirk Southwold.«

»Freches Ding«, sagte Max und tippte ihr leicht auf die Wange. Sarah duckte sich und grinste. Sie mochte diesen neu gewonnenen Onkel ebenso wie die Tanten.

»Darf ich dir einen Drink bringen, Onkel Max?«

»Whiskey, bitte. Sarah.« Er gab erst seiner Frau einen Kuss, sodann seinen Schwägerinnen und wechselte mit seinem Schwager einen Händedruck.

»Schwerer Tag?«, fragte Constance, die ihn anlächelte, als er sich auf die Armlehne des Sofas neben ihr niederließ.

»Nein, eher ein träger«, sagte er und wickelte eine rötliche Locke um seinen Finger. »Den ganzen Nachmittag spielte ich Billard.«

»Und … hast du gewonnen?« Constance wusste, dass ihr Mann ebenso ehrgeizig war wie sie.

»Das fragst du?«

Sie lachte. »Natürlich hast du gewonnen.«

Da der Butler die ersten Dinnergäste ankündigte, war die Zeit vertraulicher Familiengespräche vorbei.

Chastity widmete ihre Aufmerksamkeit pflichtschuldigst Lord Roderick Brigham, der sie zu Tisch führen sollte. Es fiel ihr nicht besonders schwer, da sie ihn seit Jahren kannte und er ein ungezwungener und gewandter Gesellschafter war. Sie vollführten die obligaten Schritte der Geselligkeit ganz automatisch und tauschten launige Begebenheiten aus der Familie aus, als die Contessa della Luca und ihre Tochter angekündigt wurden.

»Kennst du sie?«, fragte Lord Brigham leise.

»Nein. Und du?«

»Nur dem Hörensagen nach. Meine Mutter lernte sie unlängst beim Tee bei Lady Wigan kennen.«

Chastity blickte zu ihm auf, da sie etwas Ungesagtes aus seinem Ton heraushörte. Lord Brighams Mutter, eine etwas einschüchternde Dame, galt als gute Menschenkennerin. »Und?«, fragte sie mit der Lockerheit jahrelanger Freundschaft.

Er senkte den Kopf und näherte seinen Mund ihrem Ohr. »Meine Mutter fand die Contessa charmant, ihre Tochter aber …« Er ließ den Satz unvollendet.

»Dabei kannst du es nicht einfach belassen«, erwiderte Chastity gedämpft und warf verstohlen einen Blick auf die Neuankömmlinge, die von den Gastgebern begrüßt wurden.

»Eine Langweilerin«, flüsterte er. »Genauer gesagt eine affektierte Langweilerin.«

Chastity ermahnte sich, dass es lieblos war, sich über Klatsch zu amüsieren, konnte aber ein ersticktes Auflachen nicht unterdrücken. Sie vermeinte die Respekt heischende Lady Brigham zu hören, wie sie ihr Urteil wohl formuliert zum Ausdruck brachte und dabei ihre lange Nase verächtlich anhob.

»Wir lassen uns jetzt besser bekannt machen«, murmelte sie und ging auf die Gruppe zu, die sich vor dem Kamin zusammengefunden hatte.

»Contessa, darf ich Ihnen meine Schwester, die Ehrenwerte Chastity Duncan vorstellen«, sagte Prudence, als ihre jüngere Schwester zu ihnen trat. »Die Contessa della Luca …« Sie vollführte zwischen den beiden die entsprechende Geste.