4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €
Er ist der Feind – doch ihr Herz gehört ihm: Der ergreifende historische Liebesroman »Im Land der weißen Tabakblüten« von Jane Feather jetzt als eBook bei venusbooks. Virginia, 1779. Inmitten der Wirren des Unabhängigkeitskrieges findet sich die junge Bryony getrennt von ihrer Familie wieder – und wird ausgerechnet von dem geheimnisvollen Freiheitskämpfer Ben Claire aus einer großen Gefahr gerettet. Schon bald kann sie die zarten Gefühle nicht mehr leugnen, die sich zwischen ihr und dem kühnen Rebellen entspinnen – Gefühle, die nicht sein dürfen, denn Bryony ist der englischen Krone treu. Plötzlich ist sie hin- und hergerissen zwischen der engen Verbundenheit mit ihrer englischen Heimat und der süßen Verheißung von Freiheit und Liebe, die Ben in ihr weckt. Kann Bryony es wagen, ihrem Herzen zu folgen? Eine bewegende Geschichte zwischen der glanzvollen Pracht der Herrenhäuser und Tabakplantagen und den Schrecken der Schlachtfelder, auf denen eine neue Welt geboren wurde: »Jane Feather ist eine meisterhafte Erzählerin – bezaubernd romantisch!« Los Angeles Daily News Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der berührende Südstaaten-Roman »Im Land der weißen Tabakblüten« von Bestseller-Autorin Jane Feather wird alle Fans von Catherine Tarley und »Vom Winde verweht« begeistern. Lesen ist sexy: venusbooks – der erotische eBook-Verlag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 714
Über dieses Buch:
Virginia, 1779. Inmitten der Wirren des Unabhängigkeitskrieges findet sich die junge Bryony getrennt von ihrer Familie wieder – und wird ausgerechnet von dem geheimnisvollen Freiheitskämpfer Ben Claire aus einer großen Gefahr gerettet. Schon bald kann sie die zarten Gefühle nicht mehr leugnen, die sich zwischen ihr und dem kühnen Rebellen entspinnen – Gefühle, die nicht sein dürfen, denn Bryony ist der englischen Krone treu. Plötzlich ist sie hin- und hergerissen zwischen der engen Verbundenheit mit ihrer englischen Heimat und der süßen Verheißung von Freiheit und Liebe, die Ben in ihr weckt. Kann Bryony es wagen, ihrem Herzen zu folgen?
Eine bewegende Geschichte zwischen der glanzvollen Pracht der Herrenhäuser und Tabakplantagen und den Schrecken der Schlachtfelder, auf denen eine neue Welt geboren wurde: »Jane Feather ist eine meisterhafte Erzählerin – bezaubernd romantisch!« Los Angeles Daily News
Über die Autorin:
Jane Feather ist in Kairo geboren, wuchs in Südengland auf und lebt derzeit mit ihrer Familie in Washington D.C. Sie studierte angewandte Sozialkunde und war als Psychologin tätig, bevor sie ihrer Leidenschaft für Bücher nachgab und zu schreiben begann. Ihre Bestseller verkaufen sich weltweit in Millionenhöhe.
Bei venusbooks erscheint ihre »Duncan Sisters«-Trilogie:
»Ein Kuss für Lady Constance – Band 1«
»Ein Ring für Lady Prudence – Band 2«
»Ein Gentleman für Lady Chastity – Band 3«
Außerdem veröffentlichte die Autorin Ihre romantische Trilogie der »Regency Angels«:
»Die unwiderstehliche Spionin – Band 1«
»Die verführerische Diebin – Band 2«
»Die verlockende Betrügerin – Band 3«
Unter dem Titel »Regency Nobles« erschienen die Romane:
»Das Geheimnis des Earls – Band 1«
»Das Begehren des Lords – Band 2«
»Der Kuss des Lords – Band 3«
Weiter erschienen in der Reihe »Love Charms«:
»Die gestohlene Braut – Band 1«
»Die geliebte Feindin – Band 2«
»Die falsche Lady – Band 3«
Auch bei venusbooks finden Sie Jane Feathers Trilogie »Die Ladys vom Cavendish Square«:
»Das Verlangen des Viscounts – Band 1«
»Die Leidenschaft des Prinzen – Band 2«
»Das Begehren des Spions – Band 3«
Zu guter Letzt veröffentlichte die Autorin auch ihr Südstaaten-Epos »Im Land der weißen Tabakblüten«.
***
eBook-Neuausgabe Februar 2024
Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.
Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1988 unter dem Originaltitel »Chase the Dawn« bei Avon Books, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1997 unter dem Titel »Ein Hauch von Glückseligkeit« bei Goldmann, München.
Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1988 by Jane Feather
Published by Arrangement with Shelagh Jane Feather
Copyright © der deutschen Erstausgabe 1997 by Wilhelm Goldmann Verlag, München
Copyright © der Neuausgabe 2024 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstockeBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ah)
ISBN 978-3-96898-266-3
***
Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des venusbooks-Verlags
***
Wenn Ihnen dieses eBook gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Im Land der weißen Tabakblüten« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)
Besuchen Sie uns im Internet:
www.venusbooks.de
www.facebook.com/venusbooks
www.instagram.com/venusbooks
Jane Feather
Im Land der weißen Tabakblüten
Roman
Aus dem Amerikanischen von Elke Iheukumere
venusbooks
Bryony würde gleich niesen müssen. Das quälende Kitzeln wurde immer unerträglicher, als sie den Staub und das Heu auf dem Heuboden einatmete. Sie hielt sich mit zwei Fingern die Nase zu und kniff die Lider zusammen, während sie darum betete, verschont zu werden. Über das laute Hämmern ihres Herzens hinweg hörte sie die Stimmen unter sich im Schuppen, die Schritte auf dem gepflasterten Boden. Die Männer dort unten zogen etwas hin und her, Heuballen wahrscheinlich. Aber warum? Und wer waren sie? Wie Schatten in der Nacht waren sie aufgetaucht, und zwar offensichtlich mit bösen Absichten. Den alten Jebediah hatten sie auf dem Hof vor den Ställen ohne zu zögern niedergeschlagen. Was würde mit ihr geschehen, wenn man sie hier fand?
Sie nieste und drückte dabei das Gesicht in die Hände, während sich in ihrer Vorstellungskraft Bilder von Vergewaltigung und Mord mischten. Solche Dinge waren gar nicht so ungewöhnlich in diesem Jahr der Revolution, 1779, wenn sie den geflüsterten Bemerkungen der Frauen im Wohnzimmer ihrer Mutter und dem anmaßenden Gerede der Männer um den großen Mahagonitisch beim Essen Glauben schenken konnte.
»Was war das?« hörte sie eine Stimme von unten, und dann war plötzlich alles still, während das Mädchen auf dem Heuboden von einem lähmenden Entsetzen gepackt wurde, überzeugt, daß die Männer unter ihr das laute Klopfen ihres Herzens in der Stille hören konnten.
»Nur ein paar Ratten«, erwiderte jemand nach einem Moment; dann setzte das Scharren und Ziehen wieder ein. »Das sollte genügen«, sagte eine andere Stimme. Auch wenn die Worte nur leise ausgesprochen worden waren, so besaßen sie doch eine gewisse Autorität, trotz der sanften Stimme, die sich in der wilden Vorstellungskraft der Lauschenden beinahe wie plätschernder Regen an einem Frühlingstag anhörte. Danach war wieder alles still, doch diesmal war es eine andere Stille als zuvor. Es schien, als wäre niemand mehr da.
Waren sie weg? Bryony zog sich auf die Knie und zuckte ein wenig zusammen, als ihre verkrampften Muskeln schmerzten. Sie lauschte noch einmal. Nichts war zu hören. Und dann roch sie es. Rauch. Und sie hörte es. Die Flammen knisterten. Sie hatten die Heuballen unter ihr angezündet, hatten sie aufeinandergestapelt und so einen Scheiterhaufen geschaffen für die heimliche Beobachterin oben auf dem Heuboden. Sie würde sterben, bei lebendigem Leib verbrennen, wie Jeanne d’Arc. Ob es wohl weh tat? Natürlich würde es weh tun. Sie hatte genug darüber in Büchern gelesen, in Geschichten über die Heiligen und die entsetzlichen Qualen ihres Martyriums, über die Brandblasen auf ihrer Haut, den Geruch des brennenden Fleisches, über die Geräusche, wenn ... großer Gott!
Sie stolperte zu der Leiter. Dicke schwarze Rauchschwaden drangen nach oben, Flammen knisterten und loderten dann hell. Der Rauch drang in ihre Nase, in ihre schmerzenden Lungen, und sie schien in der Hitze zu ersticken. Die Stäbe aus Walfischbein in ihrem Unterrock unter dem Reifrock behinderten sie, sie stürzte, als sie die Leiter hinunter in das Inferno sprang, von dem einzigen Gedanken getrieben, es bis zur Tür zu schaffen, wo die Rettung winkte.
Die Flammen schienen nach ihr zu greifen; wie häßliche Zungen aus einem Nest voller Vipern leckten sie nach ihr. Sie duckte sich, bedeckte ihren Mund und ihre Nase mit dem mit Spitze eingefaßten Ärmel ihres Abendkleides aus Damast. Die dünnen Sohlen ihrer zum Kleid passenden Satinschuhe schienen der Hitze des Feuers keinen Widerstand zu bieten, ihre Fußsohlen schmerzten höllisch, und der warnende Geruch brennenden Haares trieb Tränen der Verzweiflung in ihre Augen. Die Hitze war so überwältigend, daß sie das Gefühl hatte, zu verbrennen, auch ohne daß die Flammen sie berührten. Die Tür, ihr Ziel, war verdeckt von dem dicken Qualm, und in ihrer Panik verlor sie jedes Gefühl der Orientierung. Blindlings stolperte sie im Kreis umher, während sie keuchend nach Luft rang und jeder Zentimeter ihrer Haut in der Hitze schmerzte. Und dann, wie durch ein Wunder, stand sie plötzlich in der rauchigen Dunkelheit vor der Tür. Sie schrie auf vor Schmerz und Hoffnungslosigkeit, als sie die Hand danach ausstreckte und feststellte, daß der schwere Metallriegel unerträglich heiß war – viel zu heiß, als daß ein Mensch ihn anfassen könnte, es sei denn, die Verzweiflung trieb ihn dazu.
Sie versuchte, den Schmerz zu ignorieren, als die Haut ihrer Hände verbrannte, und riß an dem soliden Riegel. Er bewegte sich ein Stück, und mit letzter Kraft stemmte sie sich gegen das große, doppelflügelige Tor. Es schwang auf und ließ einen Schwall Luft in den Schuppen, der die Flammen hinter ihr lichterloh auflodern ließ. Das Feuer erfaßte den Rücken ihres Kleides. Voller Schmerz und Entsetzen schrie sie auf, ihre Gestalt eine klar umrissene Silhouette vor dem flammenden Inferno hinter ihr. Dann war alles vorüber, als eine dicke schwarze Rauchwolke sie einhüllte und sie besinnungslos zusammenbrach und alles Licht und alles Leben in einer Explosion bunter Farben um sie herum verloschen.
Benedict Clare verließ das beengende Innere des Blockhauses und ging in den Sommerabend hinaus. Die Hitze des Tages hatte sich zwischen den großen Bäumen um die kleine Lichtung gehalten, und er wischte sich mit seinem Halstuch übers Gesicht. An diesem Abend stand eine tiefe Falte zwischen seinen Brauen. Er war ein Mann, der immer von sich selbst geglaubt hatte, jeglichen Gefühlen gegenüber immun zu sein. Es gab keinen Platz dafür in dem Lebenskampf, den er ausgetragen hatte, seit seine Pubertät mit solch abrupter Heftigkeit dem Erwachsenendasein hatte weichen müssen. Er konnte den Männern keinen Vorwurf machen, weil sie mit seiner Entscheidung nicht einverstanden gewesen waren. Er hatte sich seiner eigenen Schwäche wegen verurteilt, seit er das verkohlte, zerlumpte Bündel auf den Wagen gehoben hatte, auf dem die gestohlenen Gewehre und die Munition lagen, und dann von der Plantage der Truemans weggeritten war, mit dem brennenden Schuppen in seinem Rücken.
Doch nachdem der Überfall erfolgreich abgeschlossen war, nachdem die Waffen der Loyalisten für die Sache der Patrioten beschlagnahmt worden waren, war es eigentlich unnötig gewesen, den Schuppen in Brand zu stecken – ein maßloser persönlicher Racheakt. Es war eine Rache, auf die er weiß Gott jedes Recht hatte, doch das Mädchen, das in dem Schuppen gefangen gewesen war, hatte keine Schuld auf sich geladen, und wenn er nicht so von seinen Rachegelüsten besessen gewesen wäre, hätte sie nicht leiden müssen. Ein störrischer Sinn für Gerechtigkeit hatte ihn gezwungen, für die Folgen seines Tuns geradezustehen. Er hatte nicht gewußt, ob das Mädchen noch lebte, als er es mitgenommen hatte, aber er hatte gewußt, daß er es nicht zurücklassen durfte.
Sie lebte, doch in den letzten vierundzwanzig Stunden war sie immer nur für einen kurzen Moment aus der Bewußtlosigkeit erwacht. Aber dieser Zustand rührte wohl eher von dem Schlag auf ihren Kopf her, als sie zu Boden gestürzt war, und weniger von den Brandwunden auf ihrem Rücken. Diese Wunden waren nicht so schlimm, wie er befürchtet hatte, und sie heilten durch die Kraft des jungen, gesunden Körpers. Doch die Art, wie sie stöhnte und sich auf dem Lager bewegte, wenn er die Verbände wechselte, ließ ihn annehmen, daß ihre Verletzungen schmerzhaft genug waren, um die Grenzen ihrer Bewußtlosigkeit zu durchdringen.
Er schlenderte langsam zu den Bäumen am Ufer des schmalen Flüßchens hinüber, das sich zwei Meilen weiter in die breiten Ausläufer des James River ergoß. Das Flüßchen war voller Schilf und Sumpfgras, höchstens ein Kanu konnte darauf fahren, und Benedicts einzige Gesellschaft waren Brachvögel, Regenpfeifer und andere Sumpfvögel, die über dem Marschland kreisten. Er hob sein Gewehr, zielte und drückte dann den Abzug, und ein dunkler Umriß fiel vom Himmel. Es war ein fetter Kiebitz, der ein gutes Mahl abgeben würde, und er brauchte dringend etwas zu essen. Er hatte seit dem Überfall auf die Trueman-Plantage nur von Trockenvorräten gelebt, weil er das Mädchen nicht allein lassen wollte, bis er sicher war, daß sie überleben würde und er Zeit genug hatte, etwas zu jagen. Jetzt schlang er das Gewehr über seine Schulter, nahm den Vogel in die Hand und machte sich auf den Weg zurück zu der Hütte.
Bryony spürte zuerst den Schmerz, wie immer. Er schien ein Teil von ihr geworden zu sein. Bei jeder unvorsichtigen Bewegung wurde er unerträglich, selbst im Schlaf, so daß sie sich bemühte, sich so wenig wie möglich zu bewegen. Sie blieb ganz still liegen, bis ihre verkrampften Glieder danach schrien, daß sie eine andere Haltung einnahm. Noch immer war sie benommen und erschöpft, und wenn sie die Augen öffnete, schien sie alles nur verschwommen zu sehen, als betrachte sie ihre Umgebung aus dem Wasser heraus. Es war viel zu anstrengend, deshalb schloß sie die Augen wieder und bewegte dann die Zehen, in der Hoffnung, daß ihre verkrampften Beine sich damit zufriedengeben würden. Doch die Hoffnung war vergebens, und mit einem schmerzlichen Aufstöhnen drehte sie sich schließlich auf die Seite.
»Seid Ihr wach?«
Es war eine Stimme, die sie inzwischen kannte, eine Stimme, die sie immer wieder in ihrem Unterbewußtsein gehört hatte; sie gehörte zu den Händen, die ihre Verletzungen versorgt hatten, die einen Becher Wasser an ihre trockenen Lippen gehalten und die sie ab und zu auf den Topf gesetzt hatten, mit einer ungeheuren Sanftheit, bemüht, ihr so wenig Schmerz wie möglich zu verursachen. Sie wußte nicht, wem diese Stimme gehörte – es schien auch gar nicht wichtig. Einmal hatte sie vage ein bärtiges Gesicht wahrgenommen, helle, besorgt blickende Augen, doch dann war sie wieder in der gnädigen Dunkelheit der Ohnmacht versunken.
»Ich glaube schon.« Ihre Stimme klang selbst in ihren Ohren fremd, es war eher ein heiseres Krächzen, und ihr wurde klar, daß sie schon eine endlos lange Zeit nicht mehr gesprochen hatte. Panik stieg in ihr auf. »Wo bin ich? Wer ...?«
»Ruhig, Mädchen. Ihr habt noch nicht genug Kraft, um Euch so aufzuregen.« Die sanfte Stimme wurde leiser, dann drehten vorsichtige Hände sie auf den Bauch. Sie fühlte die plötzliche Kühle, als er die Decke von ihrem Körper zog, dann spürte sie nur noch die wundervolle, inzwischen vertraute Linderung, als er das heilende Öl auf die Verletzungen an ihrem Rücken und ihren Beinen goß. Ihr Herz floß über vor Dankbarkeit. Der Anflug von Panik verschwand, und sie schlief wieder ein.
Als Bryony das nächste Mal erwachte, waren alle Dinge in ihrem Gesichtskreis scharf und deutlich; sie konnte wieder klar denken, war sich wieder der Linien und Formen ihres Körpers bewußt. Sie lag ganz still da, während sie Bilanz zog und den Wust verwirrender Erinnerungen zu sortieren versuchte. Ihr Rücken schmerzte noch immer, und als sie den Kopf auf dem dünnen Kissen zu drehen versuchte, hielt sie sofort inne, weil die Bewegung weh tat. Doch sie war wach, und sie konnte ohne Behinderung sehen und ohne das ständige Summen in ihren Ohren hören. Dennoch konnte sie sich nicht erinnern, wo sie war oder warum sie hier war, wie sie sich verletzt hatte oder – du lieber Gott, sie konnte sich an gar nichts mehr erinnern, nur noch an das verwirrende Durcheinander der letzten Tage, oder wie lange es auch immer gedauert haben mochte, daß sie hier lag, gefangen zwischen Schlafen und Wachen, versorgt von einem fremden Mann. Eine verschwommene Erinnerung stieg in ihr auf und nahm nach und nach klare Konturen an. Langsam, fast als hätte sie Angst vor dem, was sie entdecken würde, legte sie die Hände auf den Bauch und strich darüber. Sie war so nackt wie am Tag ihrer Geburt. Langsam hob sie die Decke, und ihre Augen bestätigten ihr diese Tatsache.
Schnell ließ Bryony die Decke wieder fallen und starrte an die grob gezimmerte, rauchgeschwärzte Decke des Blockhauses. Angestrengt versuchte sie sich zu erinnern, an etwas ... irgend etwas! Aber da war nichts – nur eine große Leere. Sie wußte nur, daß sie in einer Holzhütte lag, daß sie nackt war und daß es da irgendwo einen Mann gab, für den ihre Nacktheit ein gewohnter Anblick geworden war. Was war mit ihr geschehen? Was hatte er getan, während sie hier hilflos gelegen hatte? Aber sie wußte, was er getan hatte. Es war das einzige, was sie wußte. Er hatte ihr kein Leid zugefügt, er hatte sie versorgt wie eine Krankenschwester, die sich um ein Baby kümmert, er hatte selbst ihre intimsten Bedürfnisse erfüllt. Und Bryony wünschte, sie wäre eher gestorben, als aufzuwachen und sich dieser beschämenden Wirklichkeit gegenüberzusehen, nur von diesen letzten und so peinlichen Erinnerungen erfüllt.
Ein leises Knarren und ein Viereck strahlend hellen Lichts sagten ihr, daß die Tür der Hütte geöffnet worden war. Sie blinzelte, als das helle Licht ihre Augen traf, und dann schob sich für einen Augenblick eine Gestalt in ihr Blickfeld – eine Gestalt, die sie sehr gut erkennen konnte. Hastig schloß sie wieder die Augen.
Benedict ließ die Tür offen, trat an das Lager und blickte auf die Gestalt hinunter. Das Mädchen hatte die Augen fest geschlossen, doch er erkannte an ihrer Körperhaltung und der starren Miene, daß sie nicht nur wach, sondern auch bei vollem Bewußtsein war. Er kniete neben dem Bett nieder. »Macht die Augen auf, Bryony.«
Bryony! Ihre Lider flogen auf, und sie begegnete dem eindringlich prüfenden Blick eines Augenpaares, so schwarz wie Ebenholz. »Ist das mein Name?« Sie vergaß all den Schmerz und ihre Scham über dieser für sie so wichtigen Frage.
Er pfiff leise durch die Zähne, als ihm die Bedeutung ihrer Frage klar wurde. »Könnt Ihr Euch nicht erinnern?«
Sie schüttelte den Kopf und zuckte zusammen, als dabei ihr Rücken über das Kissen rieb.
Die Hände, an deren Sanftheit sie sich erinnerte, drehten ihren Kopf zur Seite, schoben ihre rabenschwarzen Locken beiseite und befühlten die Beule an ihrem Kopf. »Ihr habt einen schlimmen Schlag auf den Kopf bekommen«, sagte er und seufzte. »Ich nehme an, es ist gar nicht so überraschend, daß Ihr Euch nicht erinnern könnt. Aber es ist eine verdammte Komplikation.«
»Woher wißt Ihr denn, daß ich Bryony heiße?« Ihre Stimme klang ein wenig zittrig, sowohl vor Angst als auch deshalb, weil sie so lange nicht mehr gesprochen hatte.
»Der Name war in Euer Taschentuch eingestickt und in Eure gesamte Unterwäsche, oder eher in das, was noch davon übrig war.« Er stand auf und wandte sich ab, deshalb sah er auch nicht die heiße Röte, die ihr in die Wangen stieg. Er nahm einen kleinen Keramiktopf von einem Regal, schraubte den Deckel ab und kam dann zurück zum Bett. »Legt Euch auf den Bauch, Mädchen, damit ich die Brandwunden auf Eurem Rücken versorgen kann.«
Bryony starrte ihn eine Sekunde lang an, dann schüttelte sie den Kopf. »Das ist nicht nötig, danke. Ich fühle den Schmerz schon gar nicht mehr.« Er hörte am Klang ihrer Stimme, daß sie sich verzweifelt um Würde bemühte.
»Ihr seid dumm«, sagte er ruhig. »Wenn diese Verbrennungen sich entzünden, dann können sie tödlich sein.«
»Dann werde ich es selbst tun«, gab sie mit einem erstickten Flüstern zurück.
Benedict runzelte die Stirn. Sie konnte es unmöglich selbst tun, und es war eine Sache, die unbedingt getan werden mußte. Aber vielleicht wäre es das beste, sie das selbst herausfinden zu lassen. Er wußte, daß er mit Überredung nichts erreichen würde. Achselzuckend stellte er den Topf auf das Bett neben sie. »Wie Ihr wollt, ich werde Euch in ein paar Minuten etwas zu essen bringen.«
Die Tür schloß sich hinter ihm, und Bryony versuchte angestrengt, sich aufzusetzen in dem Dämmerlicht, das jetzt im Raum herrschte. Nur wenige Sonnenstrahlen hatten einen Weg gefunden durch die Risse zwischen den Balken, wo sich Moos und Lehm gelöst hatten. Sie steckte einen Finger in die ölige, duftende Salbe und versuchte dann, sie auf ihren Rücken zu reiben. Ihre Finger berührten die Wunden, und Tränen traten ihr in die Augen. Sie versuchte es über ihre Schulter und dann von der Taille aus rückwärts, doch es war ihr unmöglich, mehr als nur einen winzigen Teil der Verbrennungen zu erreichen.
Das leise Knarren der Tür ließ sie auffahren. Schnell verschwand sie wieder unter der Decke, und das kleine Töpfchen fiel zu Boden. Benedict stellte eine dampfende Schüssel auf einen dreibeinigen Hocker vor dem Kamin, hob ohne ein Wort die Salbe vom Boden auf und schraubte den Deckel wieder darauf. Er warf Bryony einen Blick unter hochgezogenen Brauen zu. »Ich habe ein wenig Brühe für Euch. Seid Ihr hungrig?«
Der köstliche Duft erfüllte die ganze Hütte, und erst jetzt bemerkte Bryony, daß sie regelrecht ausgehungert war, doch im gleichen Augenblick meldete sich ihr Körper mit einem Bedürfnis, das unbedingten Vorrang hatte. »Ich muß zuerst nach draußen«, sagte sie und wurde über und über rot.
Benedict seufzte, als ihm klar wurde, daß der Krieg eröffnet war. »Ich denke, dafür seid Ihr noch nicht kräftig genug, Mädchen. Ich werde Euch den Topf bringen.«
»Nein!« Mit beinahe übermenschlicher Anstrengung setzte sie sich auf, zog die Decke vor ihre Brüste und schwang die Beine über die Bettkante.
Er stand daneben und beobachtete sie, unbeweglich, doch nicht unfreundlich. In der Tat fühlte er eher Bewunderung für ihre verbissene Entschlossenheit. Wenn sie unter solchen Umständen so hartnäckig sein konnte, wie würde sie dann erst sein, wenn sie gesund und stark war? Es war ein verlockender Gedanke, doch im Augenblick würde er ganz einfach geduldig warten, bis sie wieder zur Vernunft kam.
Bryony biß die Zähne zusammen, stellte die Füße auf den Lehmfußboden und stand ganz langsam auf. Doch ihre Beine trugen ihr Gewicht nicht, und der Raum begann sich um sie zu drehen. Übelkeit befiel sie, und ihr Kopf dröhnte heftig. Sie klammerte sich schwankend am Bett fest, und dabei entglitt ihr die Decke, die sie um sich gewickelt hatte.
Tränen der Schwäche und der Verärgerung über ihre Hilflosigkeit liefen ihr über die Wangen, und als er sie sanft hochhob, legten sich ihre Arme wie von selbst um seinen Hals. Sie klammerte sich wie ein kleines, verwundetes Tier an ihn und zehrte von seiner Kraft.
Benedict hielt sie einfach nur in seinen Armen, während er ihr Trost spendete und sie beruhigte. Es war eine Frau, die er in seinen Armen hielt, und sie war wunderschön und jung, trotz all ihrer Verletzungen und ihrer Schwäche. Die Haut unter seinen Händen war glatt wie Seide, das rabenschwarze Haar, das im Augenblick sein Kinn kitzelte, war üppig, auch wenn es dringend gewaschen werden mußte. Bis jetzt hatte er in ihr nur eine Verantwortung gesehen, die Folge einer Tat aus einer augenblicklichen Laune heraus, eine Bürde, derer er sich so bald wie möglich wieder entledigen würde. Sobald sie genesen war, würde sie mit verbundenen Augen an einen Ort in der Nähe ihres Heimatortes gebracht werden, und von dort könnte sie allein den Weg nach Hause finden und ihre eigene Version der Geschichte erzählen. Sie würde nur ihn zu Gesicht bekommen haben und ihn danach niemals wiedersehen. Doch jetzt war dieser Plan undurchführbar – unmöglich gemacht durch ihren Gedächtnisverlust, der wahrscheinlich darauf zurückzuführen war, daß er sie auf die Pflastersteine des Hofes vor dem Stall geworfen und mit seinem Umhang ihr brennendes Kleid gelöscht hatte. Und die Tatsache, daß sein Plan jetzt zunichte gemacht worden war, hinterließ eine Lücke, die sein unwillkommenes Bewußtsein ihrer Weiblichkeit und ihrer neu erwachten Persönlichkeit ausfüllte.
Mit grimmiger Entschlossenheit schob er diese beunruhigenden Gedanken beiseite und legte sie auf das Bett zurück. Diesmal protestierte Bryony nicht, als er ohne ein Wort die Wunden auf ihrem Rücken versorgte, als seine Finger sanft über ihren Rücken, ihren Po und ihre Schenkel strichen. Aus irgendeinem Grund war er sich plötzlich überdeutlich der sanften Kurve ihrer Taille bewußt, der Kurve ihrer Hüften und der langen, schlanken Beine mit der cremig zarten Haut. Sosehr er es auch versuchte, die Objektivität, mit der er in den letzten Tagen ihren Körper betrachtet hatte, wollte sich nicht wieder einstellen. Und dann kam der Augenblick, als sie sich unter seinen Berührungen sinnlich zu bewegen begann. Er hätte sein Leben darauf verwettet, daß es eine unbewußte Bewegung gewesen war, daß weder ihre Schmerzen noch ihre Verbrennungen dafür verantwortlich gewesen waren.
Bryony machte sich keine Gedanken über die Ungezwungenheit, mit der sie sich jetzt der Intimität seiner Berührungen hingab. Ihr früherer Protest schien ihr jetzt lächerlich. Er tat doch nur das, was er schon seit Tagen getan hatte, und nur ein Dummkopf würde sich gegen eine Behandlung wehren, die ihr eine so wundervolle Erleichterung brachte. Seit wie vielen Tagen schon? fragte sie sich und lehnte sich gegen seine breite Brust, als er sich hinter sie setzte und sie festhielt, damit sie die Schüssel mit der Brühe auf ihren Knien halten konnte. Sie schmeckte köstlich, doch nach einigen wenigen Löffeln war ihr Magen bereits gefüllt, und sie legte sich mit einem Seufzer zurück, viel zu zufrieden, um sich Sorgen zu machen oder seine Fragen zu beantworten.
Benedict nahm ihr die Schüssel ab und ließ ihren Körper in die Kissen sinken. »Morgen werdet Ihr das alles schon allein tun können, Bryony. Dann müssen wir uns damit beschäftigen, Eurem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen.«
Bryony antwortete nur mit einem leisen Murmeln, dann drehte sie sich auf die Seite – eine Bewegung, die ihr jetzt kaum noch Schmerzen bereitete. Schlaf, warm und willkommen, hüllte sie ein.
Es war mitten in der Nacht, als sie das nächste Mal erwachte. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an die undurchdringliche Dunkelheit, und sie erkannte die Umrisse der einfachen Möbel – ein Tisch aus Brettern, dreibeinige Stühle, Regale, die einfach in die Holzbohlen der Wände geschnitzt worden waren, die Öffnung des Fensters, die nicht durch eine Glasscheibe verschlossen war. Heute nacht ließ sie die sanfte, ein wenig feuchte Luft des Sommers in Virginia in den kleinen Raum, aber im Winter würde es in dieser Hütte bitterkalt sein, selbst wenn das Fenster mit den hölzernen Läden verschlossen war.
Sie wandte vorsichtig den Kopf und blickte in die Richtung, aus der leise, regelmäßige Atemzüge zu hören waren. Der Mann – das war alles, was sie von ihm wußte – lag friedlich schlafend auf einem Strohlager neben dem leeren Kamin.
Etwas sagte ihr, daß er kein einfacher Hinterwäldler war. Sie wußte nicht, was sie so sicher machte; vielleicht war es ein Wissen, das auf einer flüchtigen Erinnerung beruhte. Oder vielleicht war es auch seine Stimme. Diese sanfte, schleppende Sprechweise war ihr quälend vertraut, obwohl sie sie so oft nur in ihrem Unterbewußtsein gehört hatte, als sie sich in der Dämmerwelt der Bewußtlosigkeit befand. Etwas an seinen Händen schien so gar nicht zu diesem primitiven Lebensstil zu passen. Sie waren rauh, die Fingernägel praktisch kurz geschnitten, doch seine Finger waren lang und sensibel, elegant. Woher wußte sie, daß es nicht die Hände eines Mannes waren, der daran gewöhnt war, seinen Lebensunterhalt den Elementen abzuringen?
Bryony runzelte die Stirn und versuchte, eine etwas bequemere Lage in dem Bett zu finden. Sie wußte nicht, wer er war, sie hatte keine Ahnung, wie sie an diesen Ort gekommen war, sie wußte nicht, welcher Tag heute war, welches Jahr oder welcher Monat. Aber es gab so viele andere Dinge, die sie wußte. Wie es schien, wußte sie Bescheid über Hinterwäldler. Sie konnte addieren und subtrahieren, multiplizieren und dividieren im Kopf. Sie erinnerte sich an Zeilen von Gedichten und lateinischen Versen. Sie schien in der Lage zu sein, vernünftig zu denken. Sie konnte ihrem Körper Befehle erteilen, und ihr Körper gehorchte ihr – oder wenigstens, so lenkte sie wehmütig ein, würde er das tun, wenn sie wieder kräftiger geworden war. Alles in allem – abgesehen von einigen bedeutenden Erinnerungslücken – schien ihr Gehirn ganz normal zu funktionieren.
Sie war hellwach. War es gestern gewesen, als sie die Suppe gegessen hatte, oder waren seitdem erst wenige Stunden vergangen? Sie war nicht in der Lage, sich daran zu erinnern; die Zeit verging wie im Fluge, wenn man schlief. Der Drang, etwas anderes als diesen begrenzten Raum zu sehen, wurde beinahe übermächtig; es wäre ein unbezähmbarer Wille nötig gewesen, um ihm zu widerstehen. Da Bryony keinen vernünftigen Grund sah, gegen den Drang anzukämpfen, warf sie einen vorsichtigen Blick auf die schlafende Gestalt und setzte sich dann auf. Diesmal begann sich der Raum nicht um sie zu drehen, auch dann nicht, als sie die Füße auf den Boden stellte und ganz vorsichtig aufstand. Ihre Beine fühlten sich an wie Gelee, doch sie trugen sie. Sie hielt die Decke mit einer Hand fest, als sie langsam zur Tür der Hütte schlurfte, während sie sich mit der anderen Hand haltsuchend an den Möbeln abstützte. An der Tür warf sie noch einen Blick auf den schlafenden Mann. Er braucht seinen Schlaf, dachte sie und nickte mitleidig mit dem Kopf. Es wäre nicht gut, ihn aufzuwecken. Und außerdem könnte er vielleicht etwas dagegen haben, daß sie auf Erkundungstour ging. Mit diesem überzeugenden Gedanken schob sie den hölzernen Riegel zurück und biß sich nervös auf die Lippe, weil sie fürchtete, daß die Tür in der Stille der Nacht vielleicht ein verräterisches Geräusch machen könnte.
Doch kein Quietschen störte die nächtliche Stille, und im nächsten Augenblick stand Bryony draußen und schloß leise die Tür hinter sich. Eine ganze Minute lang blieb sie still stehen, um in tiefen Zügen die frische Luft und den Duft nach Tannennadeln, Geißblatt, feuchtem Moos und lehmigem Wasser einzuatmen. Alles wohlbekannte Gerüche, wie ihr bewußt wurde. Der Boden unter ihren nackten Füßen war weich und federnd, und sie grub die Zehen in den moosigen Boden und genoß das überwältigende Gefühl, am Leben zu sein – ein Gefühl, das wiederum eine andere Empfindung in ihr weckte, als ob sie dies erst jetzt wirklich zu schätzen wüßte. War sie vielleicht beinahe gestorben bei dem, was mit ihr passiert war, was auch immer das gewesen sein mochte? Ihr Verstand versuchte sich zu erinnern, doch es gab nur eine große Leere, wo doch eigentlich Erinnerungen hätten sein müssen. Aber diese Lücke würde der Mann in der Hütte füllen können.
Der Himmel erhellte sich langsam, der erste blasse Schimmer der Morgendämmerung warf ein rosiges Licht über die Bäume. Bryony ging bis an den Rand der Lichtung, fühlte mit jedem Schritt, wie ihre Kraft zurückkehrte. Zwischen den Bäumen versanken ihre Füße in einem dichten Bett von Tannennadeln, die in ihre Fußsohlen stachen, und sie fuhr mit einem erschrockenen Schrei zurück. Es war nicht nur das Stechen in ihren Fußsohlen, was sie hatte zurückschrecken lassen. Es war etwas anderes, etwas, das wie ein dunkler, unbestimmbarer Schatten in einem Winkel ihres Bewußtseins lauerte und eine verschwommene Erinnerung auslöste.
Entschlossen ging sie weiter und blieb dann auf den Tannennadeln stehen. Alles, was geschah, war, daß sich ihre Füße an das prickelnde Gefühl gewöhnten. Eine Eule schrie der Nacht ihren Abschied nach. Ein Eichhörnchen lief vor ihren Füßen her und rannte einen Baumstamm hinauf. Eine Drossel begann zu zwitschern, und dann wachte der Wald auf, und ein Chor von Stimmen begrüßte die Morgendämmerung und den neuen Tag. Die in die Decke gehüllte Gestalt machte sich auf den Weg zwischen den Bäumen hindurch in Richtung Wasser, instinktiv schien sie zu wissen, daß es nur wenige Meter entfernt war.
Wie immer erwachte Benedict bei den ersten Tönen des morgendlichen Konzerts. Er war sofort hellwach, und sein erster Blick ging zu dem Bett an der Wand. Was er sah, brachte ihn sofort fluchend auf die Beine. Schnell zog er sein Hemd über und eilte nach draußen. Die Spuren ihrer Füße in dem feuchten Gras führten zu den Bäumen. Er seufzte erleichtert auf – wenigstens war nur eine Fußspur zu sehen. Doch an den Bäumen hörte die Fährte auf. Die Tannennadeln waren zu dick und zu federnd, um irgendwelche Fußabdrücke zu zeigen. Wieder fluchte er und stopfte sich das Hemd in die Hose. Wo immer sie auch hingegangen war, sie war allein. Aber er hatte keine Ahnung, in welcher Verfassung sie war, ob ihr Verstand normal funktionierte, um sie auch den Weg zurück zu Hütte finden zu lassen, ob sie genug Vernunft besaß, um die Grenzen ihrer Kraft zu erkennen.
»Bryony?« rief er, leise zuerst, dann lauter, obwohl es seinem Instinkt und seiner Erfahrung zuwiderlief, seine Anwesenheit hier so lautstark kundzutun. Man konnte nie sicher sein, ob es nicht irgendwelche ungebetenen Zuschauer oder Zuhörer gab. Und Benedict Clare konnte sich keines von beiden leisten. Er bekam keine Antwort und blieb eine Weile stehen, um auf ungewöhnliche Geräusche zu horchen. Nichts. Er holte den eisernen Kessel aus der Hütte und ging zum Fluß hinunter, um dort nach Bryony zu suchen, mit dem praktischen Gedanken, daß er gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnte.
Er sah sie, als er aus dem Schatten der Bäume trat. Die zusammengesunkene, in die Decke gehüllte Gestalt saß am Ufer, das Kinn auf die hochgezogenen Knie gestützt. Ihr schwarzes Haar fiel nach vorn und verdeckte ihr Gesicht. Sie schien über etwas nachzudenken, aber ob ihr Blick nach innen gerichtet war oder auf etwas, das sie sah, konnte er nicht sofort erkennen. Er ging zum Ufer und füllte den Kessel.
»Guten Morgen, Sir.« Bryony erwachte aus ihrem Tagtraum, als er in ihr Gesichtsfeld trat.
Er richtete sich auf, den jetzt schweren Kessel in der Hand, eine tiefe Falte zwischen den Brauen. »Guten Morgen, Bryony.« Er ging mit energischen Schritten auf sie zu. »Wie ich sehe, habt Ihr Euch ein wenig erholt.«
»Ja, ich fühle mich schon viel besser«, stimmte sie ihm zu. Sein Gesichtsausdruck schien plötzlich verärgert, deshalb lächelte sie ihn zögernd an. »Ich hoffe, Ihr hattet nichts gegen meinen kleinen Spaziergang?«
Er hockte sich neben ihr nieder. »In Zukunft werdet Ihr mir Bescheid sagen, wenn Ihr beschließt, das Haus zu verlassen.«
»Aber ich bin doch keine Gefangene«, widersprach Bryony und fühlte sich plötzlich unbehaglich. Wenn seine Bemerkung eine Bitte gewesen wäre, wäre sie gar nicht auf die Idee gekommen, sich dagegen aufzulehnen, doch die Atmosphäre zwischen ihnen schien gespannt, und er hatte in einem scharfen, befehlenden Ton gesprochen, der keinen Widerspruch duldete.
»Das ist möglicherweise eine Definition, die wir später klären müssen«, erwiderte er mit ausdrucksloser Stimme. »Es gibt vieles, was Ihr nicht versteht.« Er stand auf und streckte ihr die Hand hin. »Kommt, das feuchte Ufer eines Flusses in der Morgendämmerung ist nicht gerade der ideale Ort für jemanden, der nur spärlich bekleidet ist und sich gerade erst von schweren Verletzungen erholt.«
Bryony ließ sich von ihm hochziehen. »Ich verstehe nicht, was Ihr gesagt habt.«
»Nein, es gibt eine ganze Menge Dinge, die Ihr nicht versteht«, wiederholte er. »Und es besteht die Möglichkeit, daß das noch für eine Weile so bleiben muß. Ich fürchte, im Augenblick werdet Ihr tun müssen, was ich Euch sage, und Eure Neugier im Zaum halten müssen.«
Das war eine Bemerkung, die jeder, der auch nur einen Funken Schneid hatte, nicht so einfach akzeptieren konnte, und Bryony besaß eine gehörige Portion davon. »Ich glaube kaum, daß ich damit einverstanden sein kann«, erklärte sie. »Ganz abgesehen von allem anderen weiß ich noch nicht einmal Euren Namen.«
»Das läßt sich schnell ändern«, gab er zurück, und er schien über ihren förmlichen Ton eher belustigt als verärgert zu sein. »Mein Name ist Benedict, und Ihr dürft mich Ben nennen, wenn Ihr wollt.«
Ben ... Benedict ... Der Name gefiel ihr. Er paßte irgendwie zu ihm. Schlicht und dennoch elegant; stark und doch empfindsam. Gütiger Himmel, sie war ja beinahe schwärmerisch! Oder vielleicht war sie das schon immer gewesen?
»Wie bin ich hierhergekommen?« Die Frage war eine logische Folge ihres vorhergehenden Gedankens.
»Wenn Ihr gefrühstückt habt und ich mir Euren Rücken noch einmal angesehen habe, dann werde ich Eure Neugier stillen, soweit es mir möglich ist. Und wir werden sehen, was wir tun können, um Euer Erinnerungsvermögen anzuregen.«
Sie ließ die Prozedur des Einreibens mit soviel Würde, wie sie aufbringen konnte, über sich ergehen und in einem scheinbar teilnahmslosen Schweigen, das keiner von ihnen brach. Als Benedict damit fertig war und bemerkte, daß sie beinahe wiederhergestellt sei, und als Bryony sich wieder in die Decke gewickelt hatte, kam sie auf das zu sprechen, was sie im Moment am stärksten beschäftigte. »Habe ich gar keine Kleidung, Ben?«
Er schüttelte den Kopf. »Nur noch Lumpen, Mädchen. Aber Lumpen, die sicher einmal sehr teuer gewesen sind«, fügte er dazu. »Rosafarbener Damast mit einem Reifrock, Baumwolle und Spitze und dazu passende Satinschuhe.« Er betrachtete ihr Gesicht und suchte nach einer Reaktion. »Ihr wart für einen Ball gekleidet.« Als sie ihn verständnislos ansah, sagte er: »Was ich gern wissen würde, ist, warum Ihr derart elegant gekleidet in einem Schuppen gewesen seid – wahrscheinlich auf dem Heuboden, da wir Euch vorher nicht gesehen haben – und das um drei Uhr früh. Der Ball auf der Trueman-Plantage war um die Zeit schon längst zu Ende.«
Bryony schüttelte hilflos den Kopf. »Ich weiß es nicht. Seid Ihr sicher, daß mein Name Bryony ist?«
»Es sei denn, Ihr tragt die Unterhose von jemand anderem.« Er lachte leise. »Ich denke, es könnte möglich sein, daß Ihr die Kleider dieser Bryony angezogen habt, vielleicht aus dem gleichen Grund, warum Ihr zu dieser Zeit im Schuppen gewesen seid.«
»Was habt Ihr in dem Schuppen getan?« Sowohl in ihrer Stimme als auch in ihren veilchenblauen Augen lag eine Herausforderung. »Habt Ihr das Feuer gelegt?«
Benedict kaute nachdenklich auf einem Grashalm, dann zuckte er mit den Schultern. »Zufällig ja. Aber ich konnte ja nicht wissen, daß außer den Ratten sonst noch jemand in dem Schuppen war.«
»Aber warum tut Ihr so etwas?«
»Meine Gründe gehen nur mich etwas an«, erklärte er ihr in diesem sanften, aber bestimmten Ton. »Und sie interessieren uns im Augenblick auch gar nicht. Sagt Euch der Name Trueman irgend etwas?«
Bryony hätte ihm am liebsten erklärt, daß sie nicht die Absicht hatte, seine Frage zu beantworten, wenn er die ihre nicht beantworten wollte, doch ihr Verstand sagte ihr, daß sie sich selbst damit keinen Gefallen tat. Sie überlegte angestrengt, doch der Name löste nichts in ihr aus. »Nein.«
»Bryony ist ein ungewöhnlicher Name«, meinte er und betrachtete sie aus schmalen Augen in der Hoffnung, daß seine beiläufige Bemerkung eine automatische Reaktion bei ihr erzeugen würde. »Immer unter der Voraussetzung, daß Ihr Euch diesen Namen nicht aus irgendeinem verruchten Grund ausgeborgt habt.«
Bryony lächelte und fragte sich, ob er wohl recht hatte. Sie hoffte nicht. Wenigstens gab ihr die Vorstellung, daß sie einen Namen hatte, von dem sie glaubte, daß es ihrer war, das Gefühl, in dieser Welt irgendwo hinzugehören. »Es ist der Name einer Blume, nicht wahr?«
»Ich glaube schon.« Er seufzte. »So kommen wir nicht weiter, nicht wahr? Euer Gedächtnis scheint soweit in Ordnung zu sein; es ist nur so, daß Ihr Euch an einen Teil des Geschehens nicht mehr erinnern könnt.«
»Aber das ist doch gerade der wichtigste Teil«, jammerte sie, plötzlich ganz verzweifelt. »Was soll ich nur tun?«
Das war eine Frage, die ihr Gegenüber stark beschäftigte, allerdings mehr in bezug auf das, was er nur tun sollte. Er schien dieses heimatlose Wesen am Hals zu haben, und nach allem, was er bis jetzt gesehen hatte, war sie nicht gerade ein sehr folgsames Wesen. Sie besaß eine beinahe gefährliche Neugier, die er nicht zu befriedigen wagte.
Ein leiser Pfiff drang über die Lichtung, und er erstarrte. Er hatte William befohlen, nur im Dunkeln zu kommen. Er erwiderte den Pfiff, eine sanfte, trillernde Melodie, die sich kaum vom Ruf eines Vogels unterschied.
Bryony sah ihn erstaunt an. »Ihr gebt jemandem ein Signal?«
»Jawohl, und zwar jemandem, dem Ihr nicht begegnen sollt.« Er stand auf. »Kommt in die Hütte.«
»Aber warum denn nicht?« fragte sie verwundert. Er zog sie einfach hinter sich her, und sie umklammerte die Decke. Sein Griff ließ ihr einen Schauer der Angst über den Rücken laufen. Alle Sanftheit in ihm war verschwunden, ersetzt durch eine grimmige Entschlossenheit.
Er antwortete nicht, stieß sie nur unsanft auf das Bett. Als sie versuchte, sich aufzusetzen und zu protestieren, nahm er einen schmalen Streifen ungegerbten Leders aus dem Regal. »Es tut mir leid, aber ich muß das hier tun, zu Eurer eigenen Sicherheit.« Sein Mund, den sie bisher nur zu einem Lächeln der Belustigung verzogen oder sanft vor Mitleid gesehen hatte, war jetzt zu einem schmalen Strich zusammengepreßt und verschwand beinahe in dem üppigen, kupferfarbenen Bart. Seine Augen strahlten nicht länger; sie waren wie harte, schwarze Steine, die ohne Wärme glitzerten. Selbst als sie wütend und voller Angst vor diesem Fremden aufschrie, nahm er eines ihrer Handgelenke und band es mit dem Lederband an einen der Bettpfosten. »Es wird nicht lange dauern.« Er fuhr mit dem Finger zwischen das Leder und ihr Handgelenk. »Wenn Ihr nicht daran zieht, wird es auch nicht weh tun. Bleibt ruhig liegen und versucht zu schlafen.« Und dann war sie allein im Dämmerlicht der Hütte, eine Gefangene, ohne Identität, ohne Namen und ohne eine Ahnung, wer sie war oder welchen Platz sie in der Welt einnahm.
Als Benedict aus der Hütte trat, wartete William am Rand der Lichtung auf ihn. Sein grob geschnittenes Bauerngesicht hatte einen trotzigen, finsteren Ausdruck, und Benedict seufzte, weil er Schwierigkeiten erwartete. William war der Sprecher der Bande, hauptsächlich jedoch wegen seiner Kampfeslust und nicht etwa, weil er besonders taktvoll gewesen wäre.
Benedict entschied, in die Offensive zu gehen, als er mit grimmiger Miene über die Lichtung schritt. »Man hat Euch befohlen, nicht bei Tage hierherzukommen.«
»Die Männer wollen wissen, was Ihr mit ihr tun werdet.« Mit seinem kahlen Kopf deutete er zur Hütte. »Es sei denn, sie ist tot.«
»Nein, das ist sie nicht.« Benedict trat in den Schutz der Bäume und winkte William, ihm zu folgen. Obwohl er wußte, daß das Mädchen unmöglich an das Fenster gelangen konnte, ließ er doch niemals seine gewohnte Vorsicht außer acht, die ihn in den letzten fünf Jahren am Leben gehalten hatte. »Ich übernehme die Verantwortung für sie. Ihr braucht Euch nicht zu fürchten, daß sie irgend jemandem von euch gefährlich werden könnte.«
»Wer ist sie?« wollte William wissen. Benedicts Worte hatten ihn nicht beruhigen können.
»Das weiß ich nicht, mein Freund, und leider weiß sie es selbst auch nicht.«
William riß ungläubig die Augen auf. »Ich verstehe nicht recht, was Ihr damit sagen wollt.«
»Amnesie, William.« Doch dieses Wort schien für ihn keine Bedeutung zu haben, deshalb erklärte er die Situation genauer.
»Dann laßt sie laufen«, sagte William strahlend, weil er glaubte, die perfekte Lösung gefunden zu haben. »Wenn sie nicht an den Brandwunden gestorben ist, dann kann sie auch den Weg nach Hause allein finden. Sie wird von nichts wissen, wird keinem etwas verraten können.«
»Ihr seid ein Dummkopf«, erklärte Benedict bewußt beleidigend, weil er wußte, daß sein Gegenüber die Intelliganz des Anführers und seine Fähigkeit zu planen bewunderte und sich deshalb von diesem Vorwurf würde einschüchtern lassen. »Glaubt Ihr etwa, ich würde jemanden, der beim Brand des Trueman-Schuppens dabei war, einfach freilassen? Erst wenn ich weiß, wer sie ist, werde ich entscheiden, was ich mit ihr anfange.«
William dachte über die Worte nach, und es dauerte eine Weile, bis er etwas entgegnete. Er war nicht gerade das intelligenteste Mitglied der Bande, doch wenn er erst einmal begriffen hatte, worum es ging, so konnte man sich auf ihn verlassen und mit ihm durch dick und dünn gehen. Und er trug einen großen Teil der Verantwortung auf seinen Schultern – teilweise auch deshalb, weil es die kräftigen Schultern eines Schmiedes waren und weil er mit seinen muskulösen Armen und den riesigen Händen selbst einen Ochsen aufs Kreuz legen konnte. »Schon möglich«, war alles, was er nach einer Weile antwortete. »Immerhin könnte sie ja doch eine Trueman sein.«
Benedict schüttelte den Kopf. Er kannte die Familie Trueman. »Sie haben keine Tochter, und das Mädchen trug auch keinen Ehering, also ist sie auch nicht mit einem der Söhne verheiratet. Trueman hat außer seiner Familie keine anderen Verwandten.«
»Was sollen wir denn mit ihr anfangen?« fragte William.
»Zunächst einmal werden wir uns anhören, was die Leute so reden, und den anderen sagen, daß sie das gleiche tun sollen. Wenn sie aus diesem Teil des Landes stammt, wird sich ganz schnell die Neuigkeit verbreiten, daß irgendwo ein Mädchen vermißt wird.«
»Aye, das ist wahr. Und bis dahin werdet Ihr sie hier in Eurer Nähe versteckt halten?«
Ihr habt keine Ahnung, wie nahe, mein Freund, dachte Benedict und dachte wieder an den Ausdruck von Wut und Furcht in diesen tiefblauen Augen, als er sie an das Bett gebunden hatte. Aber was hätte er sonst tun können? »Aye, ich werde sie in meiner Nähe versteckt halten, aber Ihr helft mir nicht gerade, wenn Ihr hierherkommt, obwohl ich es Euch verboten hatte.« Er wurde erneut aggressiv, jetzt noch stärker, weil er verärgert war über das, was er hatte tun müssen.
William trat von einem Fuß auf den anderen und sah ziemlich verwirrt aus. »Na schön, dann werde ich jetzt wieder verschwinden. Ihr werdet uns Bescheid geben?«
»Ich werde Bescheid geben.« Er sah, wie die untersetzte Gestalt mit dem Wald verschmolz, als wäre sie ein Teil davon, dann wandte er sich ab, um über die Lichtung zur Hütte zu gehen. Der Schrei traf ihn, noch ehe er die Mitte der Lichtung erreicht hatte – ein Schrei, der zu beängstigender Lautstärke anstieg und ihn veranlaßte, in Riesensätzen zur Tür zu stürzen.
Die Gestalt auf dem Bett warf sich hin und her, die tiefblauen Augen vor Entsetzen weit aufgerissen. Die Decke war von den wilden Bewegungen zu Boden gefallen, doch Benedict nahm kaum Notiz davon, als er sich über sie beugte und schnell ihr Handgelenk losband. »Was ist los, Mädchen?« Seine Stimme war ganz sanft, als er neben dem Bett niederkniete und einen Arm über sie legte, um sie an sich zu ziehen. Zitternd schmiegte sie sich in seine Arme, ihr ganzer Körper bebte. »Wer bin ich?« Wieder und wieder wiederholte sie diese Worte, wimmerte die Frage. »Da ist nichts, nichts, nur Dunkelheit.«
»Doch, meine Süße, da ist etwas, Ihr müßt es nur wiederfinden.« Er streichelte ihren ganzen Körper, es waren sanfte, zärtliche Berührungen, die ihr die menschliche Nähe vermittelten, die sie in ihren Träumen vergebens gesucht hatte.
»Da ist nichts, nur ein schwarzer Abgrund. Ich bin auf dem Boden eines tiefen Abgrundes ... ich bin nichts, gar nichts.« Sie schluchzte vor Entsetzen vor diesem Nichts, suchte nach Worten, die ihm das grauenhafte Wissen um die Zerstörung begreiflich machen konnten.
»Ihr seid wirklich, Bryony. Wirklich und lebendig. Könnt Ihr das fühlen?« Instinktiv preßte er seine Lippen auf ihre, küßte sie drängend und süß, während seine Hand zu ihren vollen Brüsten glitt, sie sanft umschloß und dann ihre Brustspitze streichelte.
Bryony atmete tief seinen Duft ein, den sehr realen Duft von sonnenwarmer Haut, männlichem Körper und dem frisch gewaschenen Leinen seines Hemdes. Sie schmeckte Salz und Sonne auf seinen Lippen, fühlte das leichte Kratzen seines Bartes an ihrer Haut. Und sie fühlte, wie ihre Brustspitze sich unter seinen streichelnden Fingern zusammenzog. Es war ein herrlich angenehmes Gefühl, genauso wunderbar wie der Druck seiner Lippen auf ihren oder der seiner anderen Hand, die über ihren Po strich, als er sie an seinen langen, schlanken Körper gepreßt hielt.
Noch eine Minute zuvor hatte es nur den Abgrund einer Anonymität ohne Vergangenheit gegeben, eine gefühllose Leere ohne jegliche Verbindung zur Realität, und jetzt dies hier. Ein reines, herrliches Glücksgefühl füllte jetzt diese Leere, holte sie zurück in diese Welt. Willig öffnete sie ihm ihre Lippen, ihr Körper bog sich ihm entgegen, ihre Brust schmiegte sich in seine Hand, und sie schlang die Beine um seinen Körper, reagierte in ihrer Unschuld ganz instinktiv auf die Erinnerungen körperlicher Lust.
Benedicts Welt schien sich um ihm zu drehen, während er gierig von ihrer Süße trank, während er die Forderung, die sie an ihn stellte, begriff und einen verwirrten Augenblick lang überlegte, wer sie wohl war. Sie schien gar nicht so unschuldig zu sein, wie er geglaubt hatte. Ihre Scheide preßte sich gegen seine harte, pulsierende Männlichkeit, ihre Finger suchten zwischen den Knöpfen seines Hemdes nach dem weichen, krausen Haar auf seiner Brust, und ihre Lippen hatten den Weg zu seinem Hals gefunden, über den sie jetzt mit der Zungenspitze strich. Er stöhnte auf und stöhnte dann noch einmal, als ihr Körper sich ihm öffnete und sich noch enger gegen ihn drängte.
»Liebe mich«, flüsterte sie. »Laß mich dich fühlen.«
Seine Hände umfaßten ihre Schultern, und er stieß sie auf das Bett zurück, von einem Verlangen getrieben, das völlig außer Kontrolle geraten war. Dann schob er sich über sie, seine Lippen schlossen sich über ihren, ihre Zungen umspielten einander, tanzten und drehten sich in einer wilden Leidenschaft, die denen ihrer Körper gleichkam. Er zog an dem Verschluß seiner Hose, und sie half ihm, schob sie über seine Hüften hinunter. Ihre Hände strichen über seine Brust, schoben sich unter sein Hemd und umfaßten seine schlanken Hüften, um sich dann um das brennende, pulsierende Glied zu schließen, das sich bei ihrer Berührung steif aufrichtete.
Er schob sich noch weiter über sie, drängte ihre Schenkel auseinander und hielt dann einen kurzen Augenblick inne. Sie hatte die Augen geschlossen, ein glückseliges Lächeln auf den Lippen, doch als er in ihr Gesicht blickte, öffneten sich ihre Augen mit den langen Wimpern und zeigten ihm in den samtblauen Tiefen ihre Bitte und auch ihre Leidenschaft. »Liebe mich«, flüsterte sie.
Mit einem kleinen Seufzer drängte er sein Glied an den feuchten Eingang zu ihrem Körper. Einen Augenblick lang fühlte er einen Widerstand, den er nicht erwartet hatte. Er hielt sich zurück, fluchte leise und spannte seinen Körper an, doch sie legte die Hände auf seinen Po, zog ihn ungeduldig an sich, und dann war es zu spät. Eine Sekunde lang stockte ihr der Atem, als eine schmerzhafte Fülle sie zu dehnen schien, dann gab sie nach, und ihr Schmerzensschrei wandelte sich zu einem Ausruf der Erleichterung. Benedict preßte die Lippen auf ihre Schläfe, auf ihre Augen und auf ihre Mundwinkel, mit einer Hand umfaßte er ihre Brust und streichelte mit dem Daumen über die rosige Spitze. Als er fühlte, wie ihr Körper sich entspannte, drang er tiefer in sie ein, und sie riß weit die Augen auf bei dem lustvollen Gefühl, das durch ihren Schoß pulsierte.
Er beobachtete sie und stieß dann in kraftvollem Rhythmus in ihren Schoß, einem Rhythmus, dem sie sich sofort anpaßte wie eine erfahrene Geliebte. Doch er war viel zu sehr gefangen von dem wundervollen Gefühl ihrer Vereinigung, um Fragen zu stellen, Sie erklommen gemeinsam den Gipfel der Lust, und Bryony war sich nur des Wunders ihres Verlangens bewußt und seiner wundersamen Befriedigung. Seine Hände schlossen sich um ihren Po, hoben sie hoch, seinem Körper entgegen, damit er noch tiefer in sie eindringen konnte. Ekstase riß sie mit sich, und er erstickte ihren kehligen Schrei mit seinem Mund. Als sich die Muskeln in ihrem Schoß zuckend um ihn zusammenzogen, stieß Benedict noch einmal zu und blieb dann in ihr, als auch er den Höhepunkt erlebte.
Erschöpft hielten sie einander in den Armen, bis ihre Herzen wieder langsamer schlugen und die Wogen der Verzückung verebbten. Bryony fiel in einen Schlaf körperlicher und gefühlsmäßiger Erschöpfung, doch bevor sie darin versank, hörte sie einen leisen Fluch, der keinen Sinn zu ergeben schien. Und dann wußte sie von nichts mehr.
»Im Namen des Allmächtigen, Mann! Das Mädchen war Euch anvertraut.« Sir Edward Paget lief auf der Terrasse auf und ab, von der man die weite Biegung des James River überblicken konnte; seine Erregung zeigte sich noch deutlicher durch die Tatsache, daß seine Perücke verrutscht war, als durch seine hitzigen Worte.
»Oh, Edward, sie war mir anvertraut«, stöhnte Eliza Paget und tupfte sich mit dem spitzenverzierten Taschentuch die Oberlippe ab. »Du darfst Mr. Trueman nicht dafür verantwortlich machen.«
»Du, meine Liebe, warst nie in der Lage, angemessen auf deine Tochter aufzupassen.« Sir Edward ging um seine Frau herum, und der Jähzorn, den er normalerweise immer unterdrückte, wenn er mit ihr sprach, brach sich jetzt unter dem Druck einer beinahe unbändigen Furcht seine Bahn. »Ich hätte diesen Besuch niemals erlauben dürfen, aber ich kann dich nicht ewig auf deinen gesellschaftlichen Streifzügen begleiten.«
Eliza Paget wimmerte, und Charles Trueman trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. »Aus dem Haus kann sie nicht entführt worden sein, Paget«, sagte er. »Selbst wenn ihr Verschwinden etwas mit diesen verdammten Banditen zu tun hätte. Sie sind nicht einmal in die Nähe des Hauses gekommen. Die Waffen waren über dem Räucherhaus versteckt, und der Schuppen, den sie in Brand gesteckt haben, lag auf der anderen Seite der Ställe. Der alte Jebediah kann sich nur noch an wenig erinnern, ehe sie ihn zu Boden geschlagen haben, aber er schwört, daß keine Frau bei ihnen war.«
»Ihr habt nichts gefunden?« Sir Edward steckte die Nase in einen Becher mit Muskat gewürztem Punsch. »Keine einzige Spur?«
»Nichts.« Trueman schüttelte verwirrt den Kopf. »Nichts, was auf eine Entführung hinweisen würde – oder etwas noch Schlimmeres.« Er blickte ängstlich zu der erschütterten Eliza, deren Schluchzen immer lauter wurde.
»Geh ins Haus, Frau! Dein Jammern hilft auch nichts«, fuhr der wütende Ehemann sie an, und seine Frau gehorchte ihm hastig und eilte mit flatternden Haubenbändern über die Terrasse und in die angenehme Kühle der Halle.
»Ich habe die Wälder durchsuchen lassen und jeden einzelnen Zentimeter der Plantage«, sagte Trueman mit geschäftsmäßiger Stimme. »Die Haussklaven sind wieder und wieder befragt worden. Kein einziger hat etwas Außergewöhnliches gehört oder gesehen.« Er biß sich auf die Lippe, dann fragte er vorsichtig: »Und es hat keinen Anlaß gegeben, warum Bryony ... na ja, warum sie vielleicht freiwillig verschwunden sein könnte?«
Sir Edwards normalerweise blasses, beherrschtes Gesicht lief rot an. »Das ist Verleumdung, Sir.«
»Nein, so dürft Ihr das nicht sehen«, beeilte sich sein Gast zu versichern. »Es ist nur so, daß junge Mädchen manchmal auf seltsame Ideen kommen. Ich habe mich nur gefragt, ob ...«
»Bryony hat in ihrem ganzen Leben noch keine seltsame Idee gehabt«, sagte ihr Vater. »Sie ist eigensinnig, das gestehe ich, aber sie hat mehr Verstand in ihrem Kopf als die Hälfte der Frauen in diesem Land zusammengenommen.«
Trueman war geneigt, diese Bemerkung dem väterlichen Vorurteil zuzuschreiben. Wer hatte denn schon von einem zwanzigjährigen Mädchen gehört, das etwas anderes im Kopf hatte als Bälle und Besuche und Spiele? Aber hatte nicht Mrs. Trueman erst heute morgen behauptet, wenn Bryony Paget in den letzten beiden Jahren verheiratet worden wäre, so wie es eigentlich hätte sein sollen, daß nichts von all dem passiert wäre? Es war eine unerhörte Nachsicht von Sir Edward, sich damit einverstanden zu erklären, daß die Hochzeit verschoben wurde, die bereits arrangiert worden war, als das Paar noch in der Wiege lag. Es ging das Gerücht um, daß Miss Bryony ihrem Vater erklärt hätte, sie sei für eine Ehe noch nicht bereit, und Sir Edward hätte ihrem Wunsch ohne zu Murren nachgegeben. Niemand, so schien es, hatte auch nur einen Gedanken an den zukünftigen Ehemann verschwendet, und so wurde Francis Cullum von Tag zu Tag untröstlicher.
Diesem Gedankengang folgte Trueman jetzt, als er fragte: »Ich nehme an, Francis kann diese Angelegenheit auch nicht erklären? Er ist gleich nach dem Abendessen nach Hause geritten, weil ihn eine schlimme Migräne plagte.«
»Nein, er konnte in dieser Angelegenheit gar nicht weiterhelfen, außer mit der Tatsache, daß er während des Abendessens noch mit Bryony gesprochen hatte und daß ihm an ihr nichts Ungewöhnliches aufgefallen war.« Der englische Aristokrat wanderte erneut um die Terrasse herum, während er gleichzeitig versuchte, diese beinahe unglaubliche Tatsache zu begreifen: Seine Tochter war, gesund und munter, von der Erdoberfläche verschwunden, als sei sie auf einer Wolke davongeschwebt, aus dem normalen, verläßlichen Haus seines Freundes und unter den Augen ihrer Mutter. Der einzige andere außergewöhnliche Vorfall in dieser Nacht war der Überfall der Patrioten auf das Waffenversteck im Räucherhaus gewesen und das Niederbrennen des Schuppens.
Die Bande der Patrioten wurde immer dreister, während sich der Krieg im Norden dahinzog und die Briten unfähig schienen, die amerikanische Streitmacht unter General Washington und dem Marquis de Lafayette ein für allemal zu vernichten. Aber die Entführung eines unschuldigen Mädchens hatte bis jetzt noch nicht zu ihren Aktivitäten gehört. Sir Edward Paget war zunächst einmal Engländer und erst in zweiter Linie Kolonist, doch die Tatsache, daß dieses Mädchen die Tochter eines der prominentesten Loyalisten der Kolonie war, war jetzt, nachdem der Gouverneur der Krone aus seinem Palast in Williamsburg geflohen war, weil die Stadt eine Brutstätte des revolutionären Durcheinanders geworden war, sicher ein reiner Zufall.
»Ich werde Euch nach Hause begleiten, Trueman«, meinte Paget schwermütig. »Vielleicht kann ich aus den Mitgliedern Eures Haushaltes noch etwas mehr herausholen als Ihr, besonders aus dem alten Jebediah. Irgend jemand muß doch irgendwo etwas gesehen oder gehört haben, selbst wenn man die Bedeutung jetzt noch nicht begreift.«
Der andere Mann nickte und stand auf, während er sein Schwert zurechtrückte und den Rock aus rotem Brokat über seinem wohlbeleibten Bauch glattzog. »Es tut mir unendlich leid, Paget.«
»Aye.« Der Engländer nickte knapp. »Aber ich werde sie finden, und wenn ich jeden einzelnen Stein in Virginia herumdrehen muß.« Er brüllte, und der würdevolle Butler erschien, noch ehe das Echo seines Rufes verhallt war. »Sag deiner Herrin, daß ich zur Trueman-Plantage fahre«, befahl Paget ihm. »Ich werde zwei oder drei Tage wegbleiben. Sie soll einen Boten schicken, wenn sie etwas Neues erfährt.«
Die beiden Männer verließen die Terrasse und gingen den breiten Weg hinunter, der von großen, blühenden Lorbeerbäumen und Katalpen gesäumt war und hinunter zum Fluß führte und zur Anlegestelle, an der das Boot der Truemans wartete.
Im Inneren des Hauses lief Eliza Paget anmutig die große Treppe mit den geschnitzten Stufen und Pfosten hinauf und suchte Zuflucht in ihrem Zimmer. Sie wußte, daß ihr Mann sie für das schreckliche Geschehen verantwortlich machte. Wenn sie doch nur in der Lage gewesen wäre, ihm mehr Kinder zu schenken, doch von den sechs Kindern, die sie ihm geboren hatte, hatte nur Bryony überlebt. Die fünf kleinen Gräber unter der großen Eiche waren ein ständiger Vorwurf.
Ihr Ehemann, dieser Mann strenger und unbeugsamer Prinzipien, ein Mann voller Ungeduld, der nichts übrig hatte für Dummköpfe, war schließlich verantwortlich für alles, was seine Tochter tat. Er hatte sie verwöhnt, von dem Augenblick an, als sie ihre ersten Worte gesprochen hatte, er hatte sie ermutigt, sich ihrer Mutter zu widersetzen, er hatte ihr eine Erziehung zukommen lassen, die weit über das hinausging, was ein Mädchen wissen mußte, um ihrer Rolle als gute und gehorsame Ehefrau, liebevolle Mutter und Herrin einer Plantage gerecht zu werden.
Hätte er doch nur darauf bestanden, daß Bryony an ihrem achtzehnten Geburtstag mit Francis Cullum verheiratet worden wäre, wie der Verlobungsvertrag es vorsah, dann wäre all das nicht passiert! Hätte er doch nur seiner Tochter beigebracht, ihre Pflicht gegenüber ihren Eltern zu erfüllen, anstatt sich dieser schockierenden Anmaßung hinzugeben, daß sie das Recht hätte, selbst über ihr Leben zu bestimmen. Dafür war nur Edward verantwortlich. Wenn Bryony eine solche Einstellung mit in die Ehe genommen hätte, dann hätte sie sich einem Leben voller Elend ausgeliefert. Eliza hatte die Beschreibung einer »guten Frau« aus der Virginia Gazette auswendig gelernt. Es war eine Frau, die demütig und bescheiden war in Vernunft und Überzeugung, unterwürfig aus eigener Wahl und gehorsam aus Neigung. Ein Ehemann hatte das Recht auf eine solche Frau, und es war die Pflicht der Eltern, dafür zu sorgen, daß ihre Tochter diese Erwartungen erfüllte.
Aber keine dieser Wahrheiten konnte den Schmerz der Mutter lindern, als sie an ihre Tochter dachte und sich nur an ihr warmes, liebevolles Wesen erinnerte, ihr sonniges Gemüt und ihre ständige Fürsorge für andere; sie vergaß ganz ihre Halsstarrigkeit, ihre scharfe Zunge und ihre unziemliche Art, immer genau das auszusprechen, was sie dachte, ganz gleich, zu wem, und ihre erbitterte Weigerung, ihre Zeit mit Sticken, Musik und Zeichenstunden zu verbringen, die für die Erziehung einer jungen Dame unerläßlich waren.