E-Book 101-105 - Günter Dönges - E-Book

E-Book 101-105 E-Book

Günter Dönges

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Beschreibung

Butler Parker ist ein Detektiv mit Witz, Charme und Stil. Er wird von Verbrechern gerne unterschätzt und das hat meist unangenehme Folgen. Der Regenschirm ist sein Markenzeichen, mit dem auch seine Gegner öfters mal Bekanntschaft machen. Diese Krimis haben eine besondere Art ihre Leser zu unterhalten. Butler Parker ist seinen Gegnern, den übelsten Ganoven, auch geistig meilenweit überlegen. In seiner auffallend unscheinbaren Tarnung löst er jeden Fall. Bravourös, brillant, effektiv – spannendere und zugleich humorvollere Krimis gibt es nicht! E-Book 1: Der Sex Report E-Book 2: Der Tiger E-Book 3: Der Kidnapper E-Book 4: Der Rocker von Blackpool E-Book 5: Killer für zwei schlanke Beine

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Inhalt

Der Sex Report

Der Tiger

Der Kidnapper

Der Rocker von Blackpool

Killer für zwei schlanke Beine

Butler Parker – Box 20 –

E-Book 101-105

Günter Dönges

Der Sex Report

Roman von Dönges, Günter

Günter Dönges

Parker und der Sex-Report

Butler Parker wurde ganz offensichtlich abgelenkt. Er stand in würdevoller Haltung neben seinem hochbeinigen Wagen und übersah das Näherkommen von Lady Agatha Simpson. Sie wurde von ihrer äußerst attraktiven, jungen Gesellschafterin begleitet, die wie ein scheues Reh folgte. Kathy Porter winkte in Richtung Parker um auf Lady Agatha aufmerksam zu machen, doch der Butler reagierte nicht.

Was menschlich verständlich war.

Vom Parkplatz aus konnte der Butler bequem über eine hohe Taxushecke ein Grundstück beobachten, das seltsame Reize bot. Diese Reize versprühte eine junge Frau, die entfernt an ein amerikanisches Sexidol der 50er Jahre erinnerte. Eine gelungene Kopie der Marilyn Monroe stand am Rand eines überdachten Swimming-pools vor einer Staffelei und betätigte sich als Malerin. Was sie so an Ölfarben auf die Leinwand strich und spachtelte, interessierte den Butler nur sehr wenig. Seine Blicke wurden von den ausgeprägten Körperlinien dieser Frau angezogen, die etwa 25 Jahre zählte.

Sie trug ungemein knappe Shorts, die an sich schon eine einzige Herausforderung darstellten. Ihre langen, schlanken Beine endeten in hochhackigen Sandalen. Die aggressive Wucht ihrer Oberweite steckte in einer augenscheinlich hauchdünnen Bluse, die deutlich zeigte, daß die junge Dame auf Stützen jeder Art bewußt verzichtete. Das Haar war schulterlang und honigblond.

Nicht nur Parker war beeindruckt.

Es gab da auf dem Parkplatz eine Reihe von Männern aller Altersklassen, die völlig vergaßen, daß sie eigentlich in ihre Wagen steigen wollten. Diese Männer sahen verstohlen oder offen hinüber auf das Grundstück und auf die Malerin, die sich wohl nicht bewußt war, wie sehr sie die Räumung des Parkplatzes verzögerte.

Der Parkplatz gehörte zu den Tennisanlagen von Kew Gardens, westlich von London, an der Themse gelegen. Das Match einiger lokaler Vereine war vor zehn Minuten beendet worden. Der Andrang auf dem Parkplatz war dementsprechend massiv.

Der überdachte Swimming-pool gehörte zu einem kleinen Landsitz, der von weiten, gepflegten Rasenflächen und Baumgruppen umgeben wurde. Dieser Swimming-pool mit den zum Garten hin geöffneten Glastüren fügte sich gerade noch in das ansonsten seriöse Gesamtbild ein.

»Ich werde für Sie den ›Playboy‹ abonnieren«, ließ Agatha Simpson sich ironisch vernehmen. Sie stand inzwischen seitlich hinter ihrem Butler und beobachtete ebenfalls die Künstlerin.

»Ich bitte um Vergebung«, erwiderte Parker ein wenig irritiert, »ich muß Mylady übersehen haben.«

»Kunststück!« Agatha Simpson lachte ein wenig anzüglich. »Damit kann ich natürlich nicht konkurrieren.«

Was vollkommen stimmte.

Lady Agatha Simpson war etwa 60 Jahre alt, groß und erinnert an eine Bühnenheroine vergangener Theaterzeiten. Sie hatte ein volles Gesicht mit sehr vielen Lachfältchen um Mund und Augen, besaß eine Art Adlernase und ein energisches Kinn. Die dunklen Augen waren in steter Bewegung. Einer Lady Agatha entging kaum etwas von Interesse.

Sie trug ein an sich teures Jackenkleid, das allerdings zu groß und zu bequem war. Es hing faltenreich an ihr herunter und paßte auf den Punkt genau zu den großen, derb wirkenden Schuhen, die Lady Agatha bevorzugte.

»Reißen Sie sich von dieser Einladung los«, meinte Parkers Herrin und deutete mit ihrer Lorgnette hinüber auf das Grundstück. »Dieses Dämchen posiert etwas zu eindeutig.«

»Wie Mylady befehlen«, erwiderte der Butler und wandte sich zu seinem Wagen um.

Genau in diesem Augenblick fiel der Schuß!

*

Die Monroe-Kopie vor der Staffelei stieß einen entsetzten Schrei aus und rannte zur Terrasse des Hauses. Dabei verlor sie das Gleichgewicht, rutschte aus und landete mit einem zweiten Aufschrei im spritzenden Wasser. Sie schien nicht besonders sportlich zu sein. Sie schlug wild um sich und paddelte an den Rand des Swimmingpools heran.

Die Staffelei war wie von einer unsichtbaren Riesenfaust zur Seite geschleudert worden und lag zusammengeknickt im Gras.

Lady Agatha, Parker und Kathy Porter erhoben sich aus ihrer Kniebeuge, die sie beim Aufpeitschen des Schusses automatisch eingenommen hatten.

»Sollte da irgendein Flegel auf mich geschossen haben?« fragte die Sechzigjährige ergrimmt.

»Keineswegs, Mylady«, gab der Butler zurück und wies mit der Spitze seines Universal-Regenschirms auf den Swimming-pool, aus dem die Monroe-Kopie gerade herauskletterte, um dann in langen Sätzen auf das Haus zuzulaufen.

»Das will ich mir auch ausgebeten haben«, stellte Agatha Simpson fest. »Kommen Sie, Mister Parker! Wir werden gebraucht.«

»Sind Mylady sicher?« fragte Parker zögernd.

»Es handelt sich doch offensichtlich um einen Mordversuch«, freute sich die alte Dame und sah ihren Butler unternehmungslustig an. »Sehen Sie sich das an!«

Der Schuß und die flüchtende Malerin hatten bei den männlichen Zuschauern auf dem Parkplatz erstaunliche Reaktionen ausgelöst. Die Mehrzahl der Betrachter befand sich noch in Deckung zwischen den abgestellten Wagen. Doch einige mutige Männer hasteten auf die Taxushecke zu, um der Monroe-Kopie ihre Hilfe anzubieten. Sie warfen sich auf und unter die Hecke und arbeiteten sich wütend durch dieses Hindernis.

»Worauf warten Sie noch, Mister Parker?« Lady Simpson setzte sich in Bewegung, aber sie hielt keineswegs auf die Taxushecke zu. Sie marschierte auf ihren stämmigen Beinen zum angrenzenden Grundstück, das einen etwas verwilderten Eindruck machte. Damit bewies die passionierte Detektivin, daß sie die Lage durchaus richtig einschätzte. Der Schuß mußte von diesem Grundstück aus abgefeuert worden sein.

Parker folgte notgedrungen, wobei er mit Agatha Simpsons Gesellschafterin einen hilfesuchenden und ergebenen Blick wechselte.

Es war also wieder mal passiert.

Agatha Simpson war mit einem interessanten Fall konfrontiert worden. Sie würde nun nicht eher ruhen, bis dieser Fall geklärt war. Die resolute Dame sehnte sich nach Abwechslungen dieser Art. Und erstaunlicherweise kam sie immer wieder auf ihre Kosten.

»Einen Augenblick, bitte, Sir …« Agatha Simpson hatte den Parkplatz verlassen und rief jetzt einen jungen Mann an, der hinter dichtem Busch- und Strauchwerk rechts vom Parkplatz hervorkam. Er schleppte bezeichnenderweise einen Geigenkasten mit sich herum.

Der junge Mann war etwa 25 Jahre alt, schlank und mittelgroß. Er trug gepflegte, sportliche Kleidung und paßte durchaus in diese Gegend.

»Einen Moment, bitte!« Lady Simpsons Stimme klang bereits wesentlich schärfer. Sie war nicht gewillt, diesen Mann ziehen zu lassen. Unternehmungslustig funkelten ihre schwarzen Augen.

Der Geigenkasten!

Das war ein Indiz nach Myladys Geschmack.

Natürlich wußte sie aus Erfahrung, daß in solchen Behältern nicht ausschließlich Instrumente transportiert wurden, Kästen dieser Art enthielten recht oft Schußwaffen aller Art.

Der junge Mann reagierte noch immer nicht.

Er war allerdings etwas schneller geworden und hielt jetzt auf einen Hillman zu, der am Straßenrand vor dem Parkplatz abgestellt worden war.

»Warten Sie!« Lady Simpsons Stimme grollte. Sie blieb stehen und bemühte ihren Pompadour.

Es handelte sich um ein mit Straß und Perlen besticktes Handbeutelchen, wie es von älteren Damen gern benutzt wird, um Gegenstände persönlichster Art aufzubewahren. Myladys Pompadour war allerdings wesentlich größer als der Durchschnitt und schien mehr zu enthalten als nur einige Toilettenartikel.

Lady Agatha hielt die Schnüre des Pompadours in der rechten Hand und ließ ihn kreisen. Dann, mit einer leichten Verbeugung, ließ sie die Schnüre los und schickte den Handbeutel auf die Reise.

Agatha Simpsons. Geschicklichkeit war schon eine beachtenswerte Sache. Der Pompadour zischte nachdrücklich durch die Luft, überbrückte die fast 20 Meter und … klatschte dann gegen den Hinterkopf des Geigenspielers.

Der Musikus – falls er einer war – blieb sofort stehen.

Dann rutschte er allerdings im Zeitlupentempo in sich zusammen, wobei er den Geigenkasten, den er sich unter den Arm geklemmt hatte, verlor. Es staubte ein wenig, als der Mann auf dem Boden landete.

»Treffer!« stellte Lady Agatha zufrieden fest. »Widmen wir uns diesem Subjekt, Mister Parker. Es befand sich nicht grundlos auf der Flucht.«

Parker beeilte sich, zu dem jungen Mann zu kommen.

Er wußte sehr gut, daß der Mann Hilfe brauchte. Parker kannte nämlich den Inhalt des Pompadours. In dem Handbeutel befand sich Myladys Glücksbringer: ein echtes Hufeisen von beachtlichem Gewicht.

Der junge Mann stöhnte leicht, als Parker sich über ihn beugte.

»Sie hatten einen Unfall?« erkundigte sich der Butler und nahm den Pompadour schnell an sich. Er ließ ihn unter seinem schwarzen Zweireiher verschwinden.

»Ohhh …« stöhnte der junge Mann.

»Nur eine kleine Beule, die allerdings noch wachsen wird«, beruhigte Parker den Getroffenen und richtete ihn vorsichtig auf. Dabei achtete er darauf, daß der junge Mann nicht mitbekam, wie Lady Agatha bereits ungeniert und ungemein erwartungsvoll den Geigenkasten öffnete.

Sie beugte sich über den nun geöffneten Behälter und nahm dann sehr langsam und etwas betroffen wieder den Kopf hoch. Anschließend präsentierte sie Parker den Inhalt des Kastens.

»Ohhh!« war Josuah Parkers einzige Reaktion.

Die Geige im Kasten war nicht zu übersehen. Lady Agatha schien ihren Pompadour auf den falschen Hinterkopf gewirbelt zu haben.

*

»Sie hätten mich warnen müssen«, raunzte Agatha Simpson ihren Butler an. »Sie wissen doch, daß ich manchmal ein wenig impulsiv bin.«

Parker saß am Steuer des Wagens, Agatha Simpson und Kathy Porter hatten im Fond des hochbeinigen Monstrums Platz genommen. Bei diesem Wagen handelte es sich um ein ehemaliges Londoner Taxi, das nach Parkers Wünschen frisiert und umgebaut worden war. Dieser Wagen war jetzt eine Trickkiste auf Rädern und zeichnete sich durch technische Raffinessen aller Art aus.

»Warum sagen Sie nichts?« wollte Lady Agatha wissen, als Parker beharrlich schwieg.

»Ich möchte Mylady nicht widersprechen«, sagte der Butler, »zudem möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, daß der Träger des Geigenkastens sehr wohl eine Waffe mit sich führte …«

»Wie bitte?«

»Besagter junger Mann besaß eine Handfeuerwaffe, Mylady.«

»Und das sagen Sie mir erst jetzt? Wie finden Sie das, Kindchen? Das ist doch ein glatter Mißbrauch meines Vertrauens.«

Kathy Porter hütete sich, Stellung zu nehmen.

»Er hatte einen Revolver bei sich?« fragte Agatha Simpson eifrig.

»Eine Pistole. Eine Automatik vom Kaliber 9 Millimeter, um ganz genau zu sein, Mylady.«

»Und dann lassen Sie dieses verkommene Subjekt so einfach laufen, Mister Parker? Soll ich mich wundern oder ärgern?«

»Vielleicht sollten Mylady auf beide Möglichkeiten freiwillig verzichten«, schlug der Butler vor. »Ich war natürlich so frei, die Personalien des Musikanten festzustellen.«

»Und? Wie heißt dieses Individuum?«

»Es handelt sich um einen gewissen Marty Pearson, Mylady, wohnhaft in London. Wenn Mylady es wünschen, kann ich mit der vollständigen Adresse dienen.«

»Verschonen Sie mich mit diesen Einzelheiten«, grollte Agatha Simpson zurück. Sie wollte sich auf keinen Fall ablenken lassen. Und sie fragte auch nicht, auf welche Art und Weise Parker sich die Adresse verschafft hatte. Die Lady wußte inzwischen längst, daß ihr Butler eine Fingerfertigkeit besaß, die einen professionellen Taschendieb hätte erröten lassen.

»Könnte dieser Marty Pearson auf die Malerin geschossen haben?« fragte Kathy Porter.

»Keineswegs mit der Pistole«, gab der Butler zurück, »dazu war die Entfernung zu groß.«

»Hoffentlich sind wir bereits auf dem Weg nach London«, erkundigte sich Agatha Simpson grimmig. »Dieser Pearson wird mir Rede und Antwort stehen müssen.«

»Wie Mylady befehlen«, gab der Butler ungerührt und höflich zurück, »aber darf ich mich erkühnen, Mylady einen Vorschlag zu unterbreiten?«

»Lenken Sie mich nur nicht ab, Mister Parker«, Agatha Simpsons Stimme ließ Mißtrauen erkennen. Sie hatte herausgefunden, daß ihr Butler in letzter Zeit alles tat, um Kriminalfällen aus dem Weg zu gehen. Was Mylady selbstverständlich nicht paßte.

»Man sollte sich vor dem Gespräch mit Mister Pearson mit der Malerin befassen«, redete der Butler inzwischen weiter. »Ohne Grund dürfte man nicht auf sie geschossen haben.«

»Und wie wollen Sie das bewerkstelligen?«

»Die junge Dame kann unmöglich die Besitzerin des Landsitzes sein, Mylady.«

»Natürlich nicht. Danach sah sie wirklich nicht aus. Ich werde mich darum kümmern, Mister Parker.«

»Vielen Dank, Mylady.«

»Zum Teufel mit Ihrer Höflichkeit«, entfuhr es der Sechzigjährigen, »sagen Sie mir lieber, warum wir uns den Tatort nicht angesehen haben.«

»Darf ich Mylady nachträglich an die Zahl jener Herren erinnern, die der jungen Künstlerin Hilfestellung anbieten wollten?«

»Dennoch … Vielleicht hätten wir eine heiße Spur entdeckt, Mister Parker.«

»Einzelheiten zur Tat können wir mit Sicherheit der Abendpresse entnehmen, Mylady.«

»Nun ja, Augen- und Ohrenzeugen gab’s ja genug«, pflichtete Lady Simpson ihrem Butler bei, »eigentlich überraschend, daß der Schütze sich ausgerechnet diese Zeit ausgesucht hat, finden Sie nicht auch? Auf dem Parkplatz wimmelt es geradezu von Leuten.«

»Eine Feststellung, Mylady, der man größte Aufmerksamkeit schenken sollte.«

»Aha!« Agatha Simpson wußte zwar nicht, worauf ihr Butler anspielte, aber sie hatte das deutliche Gefühl, einen wichtigen Beitrag geliefert zu haben. »Worauf wollen Sie hinaus, Mister Parker?«

»Mit einiger Phantasie, Mylady, könnte man den Eindruck haben, daß dieser Schuß bestellt gewesen war.«

»Natürlich«, erwiderte Lady Agatha schnell und ließ sich zufrieden zurücksinken. »Davon rede ich doch die ganze Zeit.«

»Gewiß, Mylady«, sagte Parker höflich. Er dachte nicht daran, Agatha Simpson zu widersprechen. Er war eben ein sehr höflicher Mensch.

*

»Zum Teufel, nein, ich weiß es nicht«, sagte Marty Pearson gereizt. Er befand sich in seiner kleinen Wohnung oberhalb einer Garage und telefonierte.

»Irgendwas knallte gegen meinen Hinterkopf. Und dann war Sense. Als ich wieder an Deck war, kümmerte sich so ’ne alte Tante samt Butler um mich.«

Pearson hörte einen Moment zu und verzog dabei sein Gesicht. Das, was er zu hören bekam, schien ihm nicht zu gefallen.

»Ich wiederhole noch mal«, meinte er schließlich. »Der Schuß auf die Sexbombe kam aus einem Gewehr. Eindeutig. In solchen Dingen kenne ich mich aus. Und daraufhin habe ich mich natürlich abgesetzt. Ist doch wohl klar. Und dann hatte ich den Hammer am Kopf. Fühlte sich an wie ein auskeilendes Pferd.«

Pearson zündete sich eine Zigarette an und hörte wieder zu. Er befand sich in gereizter Stimmung. Es paßte ihm gar nicht, daß er einem gewissen Rätsel gegenüberstand. Es paßte ihm nicht, daß man ihn auf geheimnisvolle Art und Weise von den Beinen gebracht hatte.

»Natürlich versuche ich es noch mal«, sagte er endlich, als die Gegenseite für einen Moment schwieg. »Ist ja schließlich egal, wer da geschossen hat. Hauptsache, die Sexbiene hat eine Warnung verpaßt bekommen. Wie? Natürlich werde ich mich um die alte Lady kümmern. Ich habe mir das Wagenkennzeichen gemerkt. Die spüre ich schnell auf. Okay. Ende!«

Marty Pearson legte auf und stellte sich vors Fenster. Er fragte sich erneut, ob diese Lady für den Niederschlag verantwortlich war. Eigentlich ausgeschlossen. Daß sie zur ersten Gesellschaft gehörte, stand für ihn eindeutig fest.

Solch einer Frau war doch niemals zuzutrauen, daß sie aktiv zulangte. Nein, hier mußte ein Konkurrent seine Hand im Spiel haben, was Pearson sich gut vorstellen konnte. Hinter dieser Sexbombe mußten ganz andere Leute hersein, die es ebenfalls verstanden, Daumenschrauben anzuziehen.

Die blonde Sexbombe spielte immerhin mit einem Sprengstoff, wie man ihn sich brisanter nicht vorstellen konnte.

*

Josuah Parker stand zu dieser Zeit ebenfalls vor einem Fenster. Es gehörte zur Stadtwohnung Lady Simpsons. Sie befand sich in einem altehrwürdigen Haus, in der Nähe von Shepherd’s Market, das sie schon seit vielen Generationen im Besitz der Familie Simpson befand.

Parker interessierte sich allerdings nicht für die reizvollen alten Häuser, die noch fast dörflichen Charakter aufwiesen. Auch nicht für die eleganten Bauten, die sich stilvoll in diese Gegend einfügten. Sein Interesse galt einem untersetzten Mann von etwa vierzig Jahren, der gerade die Straße überquerte und auf Lady Simpsons Haus zuhielt.

Dieser Mann hatte sie in einem kleinen Minicooper seit dem Verlassen des Parkplatzes in Kew Gardens ausgesprochen hartnäckig verfolgt. Wahrscheinlich hatte er aus nächster Nähe beobachtet, wie Agatha Simpson ihren Pompadour durch die Luft schleuderte. Der Mann wollte jetzt wohl feststellen, mit wem er es zu tun hatte.

Josuah Parker benötigte nur wenige Schritte bis in den Vorflur des Hauses. Er baute sich dicht vor der Tür auf und beobachtete durch einen Spion den Mann, der den säulengeschmückten Vorbau des Hauses inzwischen erreicht hatte.

Sein Gesicht war durch den Spion klar und deutlich zu erkennen.

Es wirkte ein wenig gedunsen und schlaff. Die Augen des Mannes waren grau und aufmerksam.

Er kam über die Stufen des Vorbaus nahe an die Tür heran. Er suchte nach einem Namensschild.

»Darf ich mir erlauben, Ihnen meine Hilfe anzubieten?« fragte der Butler, nachdem er überraschend und blitzschnell die Tür aufgezogen hatte. Er sah den Mann mit dem schlaffen Gesicht gemessen und distanziert an.

Die Reaktion des Fremden war eindeutig.

Seine rechte Hand schoß hoch und verschwand unter dem linken Revers seines Jacketts. Dort befand sich wahrscheinlich eine Schulterhalfter samt Inhalt.

Der Mann schaffte es, diese Bewegung nicht bis zur letzten Konsequenz auszuführen. Er stoppte seine Hand unter dem Revers und bemühte sich um Harmlosigkeit.

Und versuchte anschließend einen uralten Trick.

»Hier wohnt doch Mister Cadswill, oder?« fragte er, einfach einen Namen verwendend, der ihm gerade einfiel. Er rechnete selbstverständlich mit einer negativen Antwort.

Doch Parker tat ihm diesen Gefallen nicht.

»In der Tat«, reagierte der Butler gemessen und trat einen halben Schritt zurück. »Ich werde Sie sofort bei Mister Cadswill anmelden, Sir. Wenn Sie bitte näher treten wollen.«

Der Mann sah den Butler völlig entgeistert an. Mit dieser Antwort hatte er wirklich nicht gerechnet. Er schnappte nach Luft, hüstelte ein wenig und suchte krampfhaft nach einem Ausweg.

»Bitte, Sir!« Parker wies mit seiner schwarz behandschuhten Rechten in den Vorflur. »Wen darf ich melden?«

»Äh … Ich … Also, das ist so …« Der Besucher stotterte verlegen herum. »Wissen Sie was, ich werde später noch mal vorbeikommen.«

»Mister Cadswill wird Ihnen mit Sicherheit zur Verfügung stehen«, behauptete der Butler höflich.

»Möglich … ja, wahrscheinlich … Aber ich komme später noch mal vorbei. Ich bin in Eile …«

Er wandte sich hastig um und lief zurück zur Straße. Dort angekommen, sah er sich noch mal konsterniert nach Parker um. Natürlich wußte er inzwischen, daß dieser Butler ihn auf den Arm genommen hatte. Der Mann mit dem schlaffen Gesicht fühlte sich durchschaut.

Parker blieb völlig ungeniert in der geöffneten Tür stehen und sah dem Mann nach.

Dieser steuerte auf seinen Minicooper zu, legte sich dann allerdings in eine Art Kurve und marschierte weit um den Wagen herum. Er wollte offensichtlich nicht, daß Parker merkte, daß er zu diesem Wagen gehörte.

Der Mann stiefelte ein Stück die Straße hinunter und verschwand dann in einer schmalen Gasse.

Worauf der Butler sich ins Haus zurückbegab und die Tür schloß. Durch den Spion aber beobachtete er weiter den kleinen Wagen. Es dauerte nicht lange, bis der Mann mit dem schlaffen Gesicht wieder auf der Straße erschien.

Er ging schnell zu seinem Gefährt und setzte sich ans Steuer. In diesem Moment zog der Butler erneut die Haustür auf und zeigte sich dem Fahrer in seiner ganzen Würde.

Parker deutete eine höfliche Verbeugung an, als der Minicooper die Haustür passierte.

Der Fahrer zog daraufhin den Kopf ein, um nicht erkannt zu werden. Die ganze Geschichte schien ihm sehr peinlich zu sein.

*

»Die Abendzeitung, Mylady!«

Parker betrat den Salon der Stadtwohnung und präsentierte der alten energischen Dame einige Zeitungen, die auf einem Silbertablett lagen.

Agatha Simpson zog ihre ausgeprägte Adlernase kraus.

»Verschonen Sie mich mit diesem Lesefutter«, sagte sie. »Ich hoffe, Sie können mich bereits informieren, Mister Parker.«

»Sehr wohl, Mylady«, gab der Butler zurück. »Bei der jungen Malerin, auf die geschossen wurde, handelt es sich um eine gewisse Mandy Saxon, die sich als Schauspielerin bezeichnet.«

»Mandy Saxon … Mandy Saxon …?« Agatha Simpson dachte laut nach. »Haben wir diesen Namen nicht schon gehört, Mister Parker?«

Die Detektivin hatte es sich bequem gemacht. Sie trug einen mit Schmetterlingen bestickten Hausmantel, der an einen indischen Sari erinnerte. Sie sah darin jugendlich aus.

»Die bewußte junge Dame hat in der Vergangenheit schon recht häufig Schlagzeilen gemacht, Mylady.«

»Richtig! Mandy Saxon. Das ist doch diese Skandalnudel, nicht wahr?«

»In der Tat, Mylady! Miß Saxon war das, was man gemeinhin diskret eine Gespielin nennt. Sie wurde häufig in der Begleitung bekannter Männer gesehen.«

»Hat diese Saxon nicht sogar einen Minister außer Gefecht gesetzt?«

»So könnte man es ausdrücken, Mylady. In der Öffentlichkeit erschienen Fotos, die dieses Kabinettsmitglied zusammen mit Miß Saxon zeigten. In verfänglichen Situationen, wie es wohl zu nennen sein müßte.«

»In eindeutigen Situationen, Mister Parker«, korrigierte die ältere Dame energisch. »Nennen wir das Kind doch beim Namen. Diese Saxon ist ein Flittchen.«

»Wie Mylady es auszudrücken belieben.«

»In letzter Zeit ist es ruhig um sie geworden, nicht wahr?«

»Gewiß, Mylady. Miß Saxon hat sich zurückgezogen, um einen, wie sie es nennt, Sex-Report zu schreiben.«

»Du lieber Himmel!« Agatha Simpson richtete sich fast erfreut auf. »Daraus ergeben sich ja herrliche Möglichkeiten.«

»Weniger für jene Herren, die von Miß Saxon zitiert werden sollen, Mylady.«

»Für uns, Mister Parker, für uns! Können Sie sich nicht vorstellen, daß gewisse Leute diesen Sex-Report verhindern wollen?«

»In der Tat, Mylady! Die Zeitungen sprechen ebenfalls von solchen Möglichkeiten. Sie hegen die Vermutung, daß der Schuß auf Miß Saxon eine Art Warnung oder Drohung darstellte.«

»Wunderbar!« Agatha Simpson erhob sich erstaunlich schnell aus ihrem Sessel. »Wird es bei dieser Warnung bleiben, Mister Parker?«

»Ich fürchte, Mylady, daß hier ein Mord geplant wird.«

»Das sage ich doch die ganze Zeit«, behauptete die alte Dame, »und diesen Mord werden wir verhindern, Mister Parker! Das ist unsere Pflicht als Staatsbürger!«

»Wie Mylady meinen«, gab der Butler zurück und unterdrückte einen leichten Seufzer. Es war also wieder mal so weit. Mylady witterte einen Kriminalfall. Und nach Lage der Dinge ließ sie sich jetzt nicht mehr ablenken.

»Was wissen wir bereits, Mister Parker?« Die streitbare Sechzigerin marschierte auf ihren stämmigen Beinen durch den Salon ihres Stadthauses. »Da war zuerst mal der Schuß, der die Staffelei traf. Dann haben wir dieses Individuum namens Pearson, das mit einem Geigenkasten und einer Faustfeuerwaffe herumlief. Und schließlich dieses Subjekt, das Sie an der Tür empfingen.«

»Eine vollständige Aufzählung, Mylady«, stellte Parker gemessen, aber auch zurückhaltend fest.

»Und welche Schlüsse ziehen wir daraus?« wollte Lady Simpson wissen. Sie sah ihren Butler bereits leicht strafend an. Sie erwartete eine Analyse.

»Ich möchte Mylady keineswegs vorgreifen«, antwortete Parker vorsichtig.

»Ja, merken Sie denn nichts?« entrüstete sich Agatha Simpson.

»Nicht direkt, Mylady.« Parker hütete sich, die Unternehmungslust seiner Herrin unnötig anzuheizen.

»Dann kann ich Ihnen auch nicht helfen«, meinte Agatha Simpson und wirkte ein wenig enttäuscht. Sie hatte wohl gehofft, von Parker einen Tip geliefert zu bekommen.

»Haben Mylady noch Wünsche?« erkundigte sich Parker, der sich zurückziehen wollte.

»Natürlich! Fahren Sie in einer halben Stunde vor, Mister Parker! Ich muß mir dieses Flittchen aus der Nähe ansehen.«

»Wie Mylady befehlen«, sagte Parker nur. Er wußte aus Erfahrung, daß es völlig sinnlos war, Mylady umstimmen zu wollen.

»Ich weiß inzwischen, wem das Landhaus gehört«, schloß Agatha Simpson triumphierend. »Sagt Ihnen der Name Sir Robert Panham etwas, Mister Parker?«

»Gewiß, Mylady. Sir Robert dürfte einer der bemerkenswertesten Shakespeare-Darsteller Englands sein, wenn ich nicht irre.«

»Sie irren sich nicht, Mister Parker. Ich könnte mir vorstellen, daß er seinen Landsitz nicht gerade freiwillig vermietet hat. Aber lassen wir uns überraschen!«

*

Josuah Parker blieb am hochbeinigen Wagen zurück und beobachtete die Szene vor der Haustür des Landsitzes.

Agatha Simpson war zusammen mit ihrer Gesellschafterin hinüber zum Haus gegangen und lieferte ein interessantes Schauspiel. Nachdem die Tür geöffnet worden war, drückte sie einen Mann an die Seite und stürmte das Haus. Sie entwickelte dabei die Energie einer Dampfwalze, die einfach nicht aufzuhalten ist.

Der Mann, der die Tür geöffnet hatte, starrte der Lady entgeistert nach, raffte sich dann aber auf und folgte ihr. Er vergaß nicht, vorher noch die Haustür zu schließen.

Josuah Parker nutzte die inzwischen hereingebrochene Dunkelheit für seine Zwecke aus.

Er schritt ein gutes Stück die Straße hinunter, bis er von der Straßenseite des Landhauses aus nicht mehr gesehen werden konnte. Erst jetzt kümmerte der Butler sich um eine kleine schmale Mauerpforte, die allerdings verschlossen war.

Was Josuah Parker überhaupt nichts ausmachte.

Er bemühte sein kleines Besteck, das er für solche Zwecke stets mit sich führte. Es handelte sich um einige Spezialgeräte, die sich in einem schmalen Saffianetui befanden. Es dauerte noch nicht mal eine Minute, bis das Schloß sich fügte und jeden Widerstand aufgab.

Bevor der Butler das Grundstück betrat, schaute er sich mißtrauisch nach allen Seiten um. Er konnte sich gut vorstellen, daß der Schutz der Dunkelheit auch von anderen Nachtwandlern geschätzt wurde. Parker wollte auf keinen Fall überrascht werden und in ein offenes Messer rennen.

Die schmale Straße, die zu den wenigen großen Parks und Grundstücken führte, war menschenleer. Es handelte sich hier um eine ausgesprochen vornehme Wohngegend, in der Tradition und Kapital zu Hause waren.

Parker betrat das Grundstück und drückte die Pforte zurück in den Rahmen. Dann lustwandelte er gemessen durch die Dunkelheit, über den gepflegten Rasen und über einen mit Steinplatten ausgelegten Weg Richtung Landsitz.

Der parkähnliche Garten war zu den beiden benachbarten Grundstücken links und rechts durch halbhohe Mauern begrenzt, die allerdings kein Hindernis darstellten. Wer dieses Grundstück betreten wollte, brauchte nicht artistisch ausgebildet zu sein. Nach hinten grenzte der Park des Landsitzes an einen kleinen verschilften Bach. Jenseits dieses Wassers befanden sich Tennisplätze.

Josuah Parker hatte inzwischen die Rückseite des Gebäudes erreicht und stand neben dem überdachten Swimming-pool. Von hier aus hatte er einen guten Blick auf die Terrasse, deren Türen allerdings geschlossen waren. Vorgezogene Vorhänge nahmen jede Sicht in das Innere des Hauses.

Der Butler wollte sich gerade in Bewegung setzen und näher an das Haus herangehen, als ein scharfes Zischen zu hören war.

Unwillkürlich und instinktiv zog er den Kopf zurück. Plötzlich sah er dann aus zusammengekniffenen Augen den armlangen Pfeil, der zitternd und federnd dicht vor ihm im Holz der Überdachung steckte.

Das spärliche Außenlicht auf der Terrasse reichte vollkommen aus, um die Gefährlichkeit dieses Pfeils zu erkennen. Genauer gezielt, wäre er unbedingt tödlich gewesen.

*

»Ich konnte ja nicht wissen, meine Liebe, daß Sir Robert sein Haus vermietet hatte«, entschuldigte sich Agatha Simpson und spielte die leicht verwirrte, ältere Dame. »Es sollte eine Überraschung sein. Sie müssen wissen, daß Sir Robert und ich uns schon seit Kindheit kennen. Ein bemerkenswerter Mann! Sie kennen ihn?«

Mandy Saxon wirkte hilflos.

Sie war dieser Suada nicht gewachsen. Agatha Simpson redete ununterbrochen und war einfach nicht zu bremsen. Sie hatte bereits Platz genommen und musterte ungeniert den großen, modernen Arbeitstisch in der Nähe der Terrassentüren. Dieser Tisch paßte keineswegs in das Gesamtbild der Einrichtung, die aus alten, kostbaren Stilmöbeln bestand.

Auf diesem Arbeitstisch stand beherrschend eine elektrische Schreibmaschine, die einen noch recht neuen Eindruck machte. Zu beiden Seiten dieser Maschine lagen Manuskriptblätter. Mandy Saxon schien tatsächlich an ihrem angekündigten Sex-Report zu arbeiten.

»Sollte ich Sie nicht kennen, meine Liebe?« erkundigte sich Agatha Simpson inzwischen weiter. »Miß Porter … Geben Sie mir eine Hilfe! Ich weiß genau, daß ich unsere Gastgeberin schon mal gesehen habe.«

»Das Foto in den Abendzeitungen«, erinnerte Kathy Porter prompt. »Auf Miß Saxon wurde ein Mordanschlag verübt.«

»Das ist es, Kindchen, das ist es!« Lady Agatha nickte ihrer Gesellschafterin dankbar zu. »Ein Mordanschlag: Wie aufregend!«

Mandy Saxon warf dem Mann an der Tür einen hilflosen Blick zu. Dieser Mann, der die Haustür geöffnet hatte, war etwa 35 Jahre alt, gut und gern 1,80 Meter groß, breitschultrig und wirkte ein wenig hölzern. Er wußte mit einer Frau wie Agatha Simpson offensichtlich nichts anzufangen.

»Die Miß muß jetzt Weiterarbeiten«, schaltete er sich ein und deutete hinüber auf die Schreibmaschine.

»Sie arbeiten?« staunte Agatha Simpson.

»Miß Saxon ist Schriftstellerin«, schaltete Kathy Porter sich auf dieses Stichwort hin ein. »In den Abendausgaben der Zeitungen steht, daß Miß Saxon eine Art Lebensbeichte verfaßt.«

»Nein, was muß ich hören? Wie interessant, meine Liebe!« Agatha Simpson war außerordentlich begeistert und stand auf. »Sie verfassen Ihre Memoiren? Sie müssen ja erstaunlich viel erlebt haben. Ich darf doch gewiß mal sehen.«

Bevor Mandy Saxon es verhindern konnte, marschierte die Detektivin bereits schnell und energisch zum Arbeitstisch und baute sich vor der Schreibmaschine auf.

Worauf Mandy Saxon und der Mann an der Tür in eine gelinde Panik gerieten.

Sie beeilten sich, an den Arbeitstisch zu gelangen, und drängten Agatha Simpson ziemlich ungeniert ab.

»Ich bin wohl zu neugierig«, stellte die Lady fest und räumte das Feld.

»Verzeihen Sie einer alten Frau, meine Liebe! Ich denke, ich werde mich verabschieden müssen.«

»Mister Hamlin wird Sie hinausbringen«, verkündete Mandy Saxon gespielt vornehm.

»Ist das Ihr Leibwächter, meine Liebe?« erkundigte sich Lady Agatha völlig ungeniert und laut.

»Wie bitte?« Mandy Saxon wurde von dieser Frage völlig überfahren.

»Falls nicht, werden Sie aber bestimmt einen brauchen«, redete Lady Agatha ungeniert weiter, »es wird doch, nicht bei diesem einen Schuß bleiben.«

Bevor Mandy Saxon antworten konnte, war von der Terrassentür her ein lautes Pochen gegen die Fensterscheibe zu hören. Es wirkte wie ein Pistolenschuß.

Mandy Saxon reagierte nervös.

Sie verschwand sofort hinter der Lehne eines Sessels.

Hamlin hatte blitzschnell einen 38er in der Hand, warf sich förmlich auf den Lichtschalter neben der Tür und schaltete die Deckenbeleuchtung aus.

»Ja, bitte?« war Agatha Simpsons energische und gar nicht ängstliche Stimme zu hören. »Wer ist da?«

»Ist es erlaubt, näher zu treten!« antwortete Parker beherrscht und gemessen. »Ich bin sicher, daß ich Mylady eine Überraschung bieten kann.«

*

Das Licht war wieder eingeschaltet worden.

Hamlin hatte seinen 38er weggesteckt und sah mißtrauisch auf den Butler, der seinen Begleiter in einen Sessel drückte. Dieser Begleiter hatte ein gedunsenes, schlaffes Gesicht, war untersetzt und überdies identisch mit jenem Mann, der vor Myladys Haustür von Parker überrascht worden war.

Der Mann mit dem schlaffen Gesicht sah nicht gerade glücklich aus. Er rieb sich immer wieder verstohlen seinen Hinterkopf. Und speziell jene Stelle, die von Parkers Regenschirm nachdrücklich berührt worden war.

Lady Agatha Simpson hatte ihren Butler bereits vorgestellt. Mandy Saxon hatte das leicht verwirrt zur Kenntnis genommen. Sie war eindeutig überfordert und wußte nicht, wie sie sich verhalten sollte. Hamlin interessierte sich fast ausschließlich für Josuah Parker. Er schien instinktiv zu ahnen, daß dieser so würdevoll aussehende Mann mehr war als nur ein Butler.

»Mister Victor Rooters«, stellte der Butler inzwischen vor und deutete auf den Begleiter. »Mister Rooters muß sich im Park ein wenig verirrt haben. Ich war so frei, Mylady, Mister Rooters hierher ins Haus zu bringen.«

»Sie … Sie haben mich niedergeschlagen«, beschwerte sich Rooters und fühlte automatisch nach seiner Kopfbeule. Seine Stimme klang ein wenig schrill.

»In Verkennung der Sachlage«, antwortete der Butler. »Ich mußte Sie zwangsläufig für den Bogenschützen halten, Mister Rooters. Falls ich ein wenig zu nachdrücklich gewesen sein sollte, bitte ich dies entschuldigen zu wollen.«

»Bogenschütze?« ließ Hamlin sich vernehmen.

»Bogenschütze«, wiederholte Parker und präsentierte den Anwesenden einen Pfeil, der eindeutig nur mit einem Sportbogen verschossen worden sein konnte.

»Damit habe ich überhaupt nichts zu tun«, stellte Rooters beleidigt fest.

»Dieser Pfeil wurde auf meine bescheidene Wenigkeit abgeschossen«, erklärte der Butler ungerührt und gemessen. »Ich entdeckte von der Straße aus eine Bewegung im Park, folgte ihr und wurde dann jäh von diesem Geschoß überrascht.«

Parker blieb nicht ganz bei der Wahrheit, was seinen Aufenthalt im Park anbetraf.

»Ich habe den Pfeil nicht abgeschossen«, sagte Rooters erneut, »ich weiß überhaupt nicht, wie man mit solch einem Ding umgeht.«

»Aber Sie befanden sich im Park, nicht wahr?« Agatha Simpson sah Victor Rooters streng an.

»Ja.« Rooters wirkte jetzt ein wenig verlegen.

»Und was wollten Sie?«

»Ich hatte auch eine Bewegung im Park gesehen«, gab Rooters schnell zurück.

»Wieso kamen Sie in diese Straße?« verlangte die Detektivin zu wissen.

»Ich kam zufällig vorbei.«

»Der Kerl lügt doch wie gedruckt«, schaltete sich Hamlin lautstark ein. »Aber das werden wir gleich haben. Ich werde mich mal mit ihm privat unterhalten.«

»Keine Privatjustiz«, sagte Parker und sah den großen, breitschultrigen Mann verweisend an.

»Hier bestimme immer noch ich«, behauptete Hamlin leichtsinnigerweise und marschierte an Parker vorbei auf Rooters zu, der sich jetzt förmlich in seinem Sessel verkroch und unwillkürlich die Beine anzog.

Hamlin war sich seiner Sache völlig sicher.

Er griff nach der Krawatte des ängstlichen Mannes und stemmte seinen Gegner ohne jede Schwierigkeiten hoch.

Victor Rooters hechelte und schnappte nach Luft. Sein schlaffes Gesicht nahm plötzlich eine fast gesunde, rötliche Färbung an. Er stieß mit den Füßen gegen Hamlins Beine, richtete aber nichts aus.

»Hilfe!« röchelte er.

»Jetzt mal zur Sache, Freundchen«, sagte Hamlin. »Wer hat dich hierhergeschickt? Mach ganz schnell den Mund auf, Junge, bevor ich die Geduld verliere.«

Josuah Parker war ehrlich peinlich berührt.

Rüde Redensarten dieser Art liebte er überhaupt nicht. Er sah etwas verlegen zu Boden und übersah so den strafenden Blick von Agatha Simpson, die von ihm wohl ein Eingreifen erwartete.

»Loslassen«, keuchte Rooters und wurde schlaff wie sein Gesicht, »ich … ich rede!«

»Dann mal los, Freundchen!«

»Ich bin Privatdetektiv«, hechelte Rooters und massierte sich vorsichtig den Hals. »Ich arbeite für Lesley Maulding.«

»Lesley Maulding?« Hamlin schien mit diesem Namen etwas anfangen zu können. Er versetzte Rooters einen derben Stoß und beförderte ihn zurück in den Sessel.

»Lesley Maulding«, stellte Parker fest und sah wieder hoch, »ist das nicht …«

»… der Verleger der Global-Express?« fragte Lady Simpson, nachdem sie ihren Butler unterbrochen hatte.

Victor Rooters nickte nur.

»Da Sie sich zur Wahrheit entschlossen haben, Mister Rooters, sollten Sie auch den Anwesenden mitteilen, warum Sie diesem Landsitz einen Besuch abgestattet haben«, sagte Parker höflich.

»Warum ich?« Rooters staunte den Butler sichtlich an. »Das fragen ausgerechnet Sie? Ich bin doch hinter Ihnen her. Und hinter der Lady dort! Wer hat denn den Mann auf dem Parkplatz niedergeschmettert? Doch nicht ich! Das war doch die Lady! Ich habe genau gesehen, daß sie ihm ihren Pompadour an den Kopf geworfen hat.«

Hamlin nickte langsam und wandte sich zu Parker um.

»So ist das also«, stellte er dann fest. »Sie schnüffeln hier also auch herum. Das werde ich Ihnen austreiben!«

»Echauffieren Sie sich nicht unnötig«, bat Parker gemessen.

»Es handelte sich wohl um diesen Pompadour hier, nicht wahr?« mischte Agatha Simpson sich in die angeregte Unterhaltung ein. Sie hatte den Handbeutel vom Gelenk gelöst und hielt ihn erklärend hoch.

»Was ist damit?« fragte Hamlin ahnungslos.

»Passen Sie genau auf«, sagte Mylady und kam langsam auf Hamlin zu, wobei sie den Pompadour an den Schnüren durch die Luft rotieren ließ. »Achten Sie auf die Bewegung.«

»Was soll denn das?« fuhr Hamlin gereizt fort und widmete sich wieder dem Butler. Mylady schenkte er dummerweise keine Beachtung mehr. Er hielt sie für harmlos.

Und genau das stellte sich als ein folgenschwerer Irrtum heraus.

Die Lady ließ ihren Pompadour los, der sich prompt auf eine kurze, aber rasante Luftreise begab. Als der Glücksbringer im Pompadour sich auf Hamlins Hinterkopf legte, grunzte der breitschultrige Mann fast wohlig auf, wandte sich wieder Mylady zu, stierte sie einen kurzen Moment überrascht an, schloß dann die Augen und setzte sich auf sein verlängertes Rückgrat.

Er raffte seine ihm noch verbleibenden Kräfte zusammen und wollte sich wieder erheben.

Es reichte nicht.

Er scharrte noch ein wenig mit den Füßen und streckte sich dann gemütlich auf dem Teppich aus.

Genau in diesem Moment war draußen auf der Terrasse ein entsetzlicher Aufschrei zu hören, der in ein lautes Brüllen und schließlich in ein Wimmern und Stöhnen überging.

Josuah Parker hatte den dringenden Verdacht, daß sich etwas Außergewöhnliches ereignet haben mußte.

*

»Mister Marty Pearson«, stellte der Butler vor und trat höflich zur Seite.

Die Anwesenden im Salon starrten auf den jungen Mann, der sich auf dem Parkplatz als Geigenspieler gezeigt hatte. Diesmal schleppte Pearson allerdings keinen Geigenkasten mit sich herum. Mißdeutungen jeder Art waren ausgeschlossen. Der Sportpfeil in seinem Oberarm redete eine deutliche Sprache.

Marty Pearson machte verständlicherweise einen angeschlagenen Eindruck.

Es war klar, daß der Pfeil, der in seinem linken Oberarm steckte, ungemein schmerzte. Die Pfeilspitze hatte sich tief in die Muskeln gebohrt. Eine Waffe dieser Art schien Pearson noch nie kennengelernt zu haben. Sie widerte ihn an und war ihm unheimlich, sie schockte ihn geradezu.

Kathy Porter verließ den Raum und suchte wahrscheinlich nach einem Verbandkasten.

Agatha Simpson sah neugierig auf Pearson, der sich vorsichtig in einem Sessel niederließ.

Mandy Saxon knabberte verlegen und ratlos an ihrer vollen Unterlippe und interessierte sich mehr für Hamlin, der noch immer regungslos auf dem Teppich lag.

Josuah Parker kümmerte sich inzwischen um den angeschossenen Marty Pearson, der jammerte und stöhnte. Dennoch war ihm nicht entgangen, daß Rooters, der Mann mit dem schlaffen Gesicht, sich absetzen wollte. Rooters schob sich an die noch spaltbreit geöffnete Terrassentür heran. Es sah so aus, als habe er die Absicht, sich den Park aus der Nähe anzusehen.

»An Ihrer Stelle, Mister Rooters, würde ich den Park dringend meiden«, ließ der Butler sich gemessen vernehmen. »Vielleicht wartet der Bogenschütze auf ein weiteres Opfer.«

Rooters tat daraufhin einen kleinen Sprung zur Seite und kehrte schleunigst ins Zimmer zurück. Er beobachtete Agatha Simpson, die jetzt die Terrassentür schloß und den Vorhang wieder in Ordnung brachte.

Kathy Porter kam mit einem Verbandkasten zurück und befaßte sich mit Pearson, dessen Rockärmel sie mit einer Schere aufschlitzte. Myladys Gesellschafterin entwickelte die Kühle einer versierten Operationsschwester.

»Darf man beiläufig erfahren, was passiert ist?« erkundigte sich Parker bei dem stöhnenden jungen Mann.

»Ich bin angeschossen worden«, stellte er unnötigerweise fest. »Plötzlich war das Ding da im Oberarm. Es tut höllisch weh!«

»Wem wollten Sie einen Besuch abstatten?« fragte Parker weiter.

»Niemand! Wirklich! Ich war draußen auf der Straße, als ich hier einen Einbrecher sah. Oder so was. Genau konnte ich es nicht erkennen. Ich bin also aufs Grundstück. Und dann verpaßte mir irgendeiner das Ding hier. Au …«

»Sie müssen ins Krankenhaus«, entschied Kathy Porter. »Ich habe den Arm provisorisch abgebunden, aber der Pfeil muß herausoperiert werden.«

»Falls Sie gestatten, sollten Mylady vielleicht den Transport übernehmen«, wandte Parker sich an Agatha Simpson, die sofort nickte.

»Man könnte dann auch Mister Rooters mitnehmen und irgendwo in der City absetzen«, redete der Butler weiter.

»Ich komme schon allein zurecht.« Rooters schüttelte schnell den Kopf. Er war eindeutig nicht daran interessiert, mitgenommen zu werden.

»Und der Bogenschütze?« fragte die Detektivin anzüglich. »Wollen Sie sich unbedingt auch einen Pfeil einhandeln, Mister Rooters?«

»Dann komme ich doch wohl besser mit«, entschied Rooters hastig und sah unwillkürlich zur Terrassentür hinüber.

»Und was wird aus mir?« regte sich Mandy Saxon auf. Sie kniete inzwischen neben Hamlin, der wieder zu sich kam und verwirrt wirkte. Er litt noch sichtlich an den Folgen eines gewissen Glücksbringers und war noch nicht in der Lage, gewisse Zusammenhänge zu erfassen.

Agatha Simpson registrierte aufmerksam, daß Hamlin von der Monroe-Kopie außergewöhnlich zartfühlend, betreut wurde. Mandy Saxon streichelte die Wange des Breitschultrigen und sah ihn dabei zärtlich-besorgt an.

»Es empfiehlt sich, die Polizei zu verständigen«, sagte Parker zu Mandy Saxon, die ihn unsicher ansah. Er deutete auf das Telefon.

»Was meinst du … Äh, was meinen Sie, Mister Hamlin?« erkundigte sich Mandy Saxon bei Hamlin, der vorsichtig aufstand.

»An Publicity müssen Sie doch sehr interessiert sein, oder?« warf Agatha Simpson jetzt ironisch ein. »Schlagzeilen heben gewisse Geschäfte.«

»Was wollen Sie damit sagen?« Mandy Saxon sah die Detektivin ungewöhnlich kalt an.

»Wollen Sie denn keine Reklame für Ihren Sex-Report?« fragte Lady Simpson gespielt naiv. »Nutzen Sie Ihre Chance, Kindchen! Man wird sich um Ihr Buch später reißen.«

*

»Des Menschen Wille ist bekanntlich unter anderem sein Himmelreich«, kommentierte Parker den Entschluß von Pearson und Rooters, auf jede Mitnahme zurück in die Stadt zu verzichten.

»Lassen Sie das mal meine Sorge sein«, sagte Pearson, dessen Wunde provisorisch versorgt worden war.

»Ich komme schon allein zurecht«, fügte Rooters nervös hinzu.

Parker öffnete die Tür und ließ Mylady an sich vorbeirauschen. Kathy Porter trottete wie ein kleines Hündchen hinter der majestätisch aussehenden älteren Dame her. Parker lüftete höflich seine Melone und geleitete die beiden Damen dann durch den Park zurück zur Straße, wo das hochbeinige Monstrum wartete.

»Ich will nicht gerade behaupten, daß ich sehr zufrieden bin«, stellte Agatha Simpson fest, als sie im Fond des Wagens saß. »Wir hätten aus dieser Situation noch viel mehr herausholen können, Mister Parker.«

»Mylady werden mit meiner bescheidenen Wenigkeit zufrieden sein«, prophezeite der Butler, als er den Wagen anrollen ließ. Er steuerte sein hochbeiniges Gefährt in eine stille, vornehme Seitenstraße und stoppte.

»Darf man erfahren, was Sie Vorhaben?« wollte Agatha Simpson kriegerisch wissen.

»Mylady sind möglicherweise an einer intimen Unterhaltung interessiert«, erwiderte der Butler und schaltete das Bordradio ein. »Ich war so frei, in Miß Saxons Wohnraum einen Minisender zu hinterlassen.«

»Pfui, Mister Parker!« Agatha Simpsons Stimme drückte Entrüstung aus. »Pfui und noch mal Pfui um ganz sicherzugehen. So etwas tut man nicht! Das ist eine eklatante Verletzung der Intim- und Privatsphäre fremder Leute.«

»Sehr wohl, Mylady.«

»Was nicht heißen soll, daß Sie jetzt abschalten sollen«, redete Mylady hastig weiter. »Etwas mehr Lautstärke, wenn ich bitten darf.«

Sekunden später waren die Stimmen von Mandy Saxon und Victor Rooters gestochen scharf zu hören.

»… bin ich nur als Vermittler gekommen«, sagte Rooters gerade, »Mister Maulding ist zu einer wichtigen Verhandlung in Paris und kann vor einer Woche nicht zurück sein. Er ist aber bereit, Ihnen eine gewisse Summe zu zahlen, falls Sie einen Namen in Ihrem geplanten Sex-Report nicht erwähnen.«

»Was denkt Maulding sich eigentlich?« entrüstete sich Mandy Saxon, »ich bin doch nicht käuflich.«

»Sie sollten sich Mister Mauldings Vorschlag genau überlegen«, redete Rooters weiter. »Er wird sich das etwas kosten lassen.«

»Und wenn ich auf seinen Vorschlag nun nicht eingehe?«

»Dann wird Mister Maulding seine Rechtsanwälte bemühen.«

»Damit kann er mich nicht schrecken. Sagen Sie ihm das! Ich habe Beweise für das, was ich schreiben werde oder schon geschrieben habe.«

»Eine gütliche Einigung wäre für alle Beteiligten besser, Miß Saxon. Und auch einträglicher.«

»Ich werde darüber nachdenken.«

»Sind Ihnen ähnliche Vorschläge bisher noch nicht gemacht worden?« wollte Rooters wissen.

»Selbst wenn.« Mandy Saxon lachte leise auf. »Selbst wenn. Das würde ich ausgerechnet Ihnen auf die Nase binden, Rooters. Aber da ist eine andere Sache. Wer ist diese Lady Simpson?«

»Irgend etwas stimmt mit ihr nicht. Auch nicht mit ihrem Butler und der Gesellschafterin. Ich habe genau gesehen, daß sie Pearson niedergeschlagen haben. Ein paar Minuten, nachdem auf Sie geschossen wurde.«

»Kennen Sie Pearson?«

»Noch nie gesehen. Vielleicht kommt auch er als Vermittler.«

»Sie schätzen mich falsch ein«, sagte Mandy Saxon auflachend. »Ich will mit meinem Sex-Report doch nicht erpressen.«

»Natürlich nicht, Miß Saxon«, gab Rooters zurück. »Das würden sich andere Leute wahrscheinlich auch, gar nicht gefallen lassen.«

»Wie meinen Sie das? Soll das eine Drohung sein?« Ihre Stimme wurde deutlich scharf. Die Wiedergabe im Lautsprecher war hervorragend.

»Denken Sie doch mal an Pearson, der sich einen Pfeil eingefangen hat«, sagte Rooters, »und denken Sie an den Schuß auf Sie! Mister Maulding verhandelt. Andere aber scheinen nur schießen zu wollen!«

*

»Der Minicooper des Mister Rooters«, stellte der Butler fest, als ein kleiner Wagen auf der Kreuzung zu sehen war. »Mister Rooters scheint Mister Pearson mitgenommen zu haben.«

»Worauf warten wir dann noch, Mister Parker?« verlangte Agatha Simpson zu wissen. »Sie kennen doch die Adresse dieses Pearson. Ich möchte sehen, wie er wohnt.«

»Darf ich Mylady mit einem Gegenvorschlag belästigen?«

»Nicht besonders gern«, lautete ihre Antwort.

»Ich denke nach wie vor an den Bogenschützen«, sagte der Butler. »Könnte er nicht vielleicht wieder auftauchen?«

»Natürlich könnte er.«

»Dann möchte ich versuchen, ihn zu stellen, Mylady.«

»Sie wollen noch mal zurück auf das Grundstück?« Agatha Simpsons Stimme klang angeregt und hoffnungsfroh. Sie witterte wahrscheinlich ein weiteres Abenteuer.

»Ich werde in wenigen Minuten wieder zurück sein«, versprach der Butler und stieg schon aus. Er war nicht daran interessiert, von Mylady begleitet zu werden.

Bevor die Detektivin entsprechend reagieren konnte, hatte der Butler sich bereits abgesetzt und verschwand in der recht dunklen und kaum beleuchteten Straße.

Parker rechnete tatsächlich mit einem weiteren Auftauchen des unheimlichen Bogenschützen. Er nahm es diesem Sportler sehr übel, daß er auf ihn geschossen hatte. Er erinnerte sich noch recht deutlich an den Pfeil, der dicht vor seiner Nase gelandet war.

Parker schritt schnell – aber ohne Verzicht auf Würde – zurück in die schmale Zufahrtstraße und war kaum zu sehen. Seine schwarze Berufskleidung zahlte sich gerade jetzt aus. Er verschmolz mit der Dunkelheit, die ihn umgab.

Nach Lage der Dinge hatte er eine erste Theorie aufgestellt.

Mandy Saxon besaß mit Sicherheit genug Material, um eine Art Sex-Report zu schreiben. Eine Frau wie sie hatte in der Vergangenheit bereits Schlagzeilen gemacht. Nun wollte Mandy Saxon wahrscheinlich ihr Wissen um gewisse Dinge ausnützen und Geld verdienen. Jeder, der mit ihr Kontakt gehabt hatte, mußte diesen Sex-Report fürchten, Und genau an diesem Punkt setzte die Spekulation der Monroe-Kopie ein.

Wie der Minisender übermittelt hatte, wollten sich Betroffene freikaufen. Sie boten Mandy Saxon mehr oder weniger direkt Geld dafür, daß über sie nicht berichtet wurde. Der Verleger Maulding war sicher nicht der erste, der zu zahlen bereit war. Mandy Saxon brauchte jetzt nur in aller Ruhe auf weitere Angebote zu warten.

Der Schuß auf sie, als sie vor der Staffelei stand, war wohl absichtlich inszeniert und abgefeuert worden. Wahrscheinlich von Hamlin, der als Betreuer der Monroe-Kopie galt.

Pearson mit dem Geigenkasten war von diesem Schuß sicher überrascht worden. Wahrscheinlich hatte auch er die Absicht gehabt, auf Mandy Saxon zu schießen. Der Gewehrschuß mußte ihm im letzten Moment dazwischen gekommen sein.

Blieb Rooters.

Daß er Privatdetektiv war, nahm Parker ihm durchaus ab. Rooters arbeitete mit Sicherheit für den Verleger Maulding. Er hatte die Szene auf dem Parkplatz beobachtet und war irritiert worden, als Mylady ihren Pompadour einsetzte.

Wer aber war der Bogenschütze?

Dieser Mann begnügte sich nicht mit Drohungen. Daß er es ernst meinte, bewies der Treffer in Pearsons Oberarm. Parker zweifelte überdies keinen Moment daran, daß dieser Schütze auch ihn, Parker, hatte treffen wollen. Es war nur einem glücklichen Zufall zuzuschreiben, daß er mit dem Schrecken davongekommen war.

Um diesen Schützen ging es Parker. Er hatte inzwischen wieder die schmale Pforte erreicht und betrat vorsichtig das Grundstück, auf dem sich der Landsitz befand. Parker hielt seinen Universal-Regenschirm abwehrbereit in der rechten Hand. Er rechnete mit weiteren Überraschungen, zumal sein inneres Alarmsystem sich inzwischen gemeldet hatte.

Auf diese innere Stimme hatte er sich bisher immer verlassen können. Sie signalisierte höchste Gefahr. Trotz der rabenschwarzen Nacht kam der Butler sich wie auf einem Präsentierteller vor. Er fühlte sich bereits beobachtet und belauert. Visierte der Bogenschütze ihn schon an?

Parker nahm hinter einem Strauch Deckung und beobachtete den Landsitz.

Die Vorderseite des Gebäudes war unbeleuchtet. Doch um die rechte Hausecke herum war der Widerschein von Licht zu sehen. Wahrscheinlich hielten Mandy Saxon und Paul Hamlin sich noch immer in dem großen Terrassenwohnraum auf.

Josuah Parker, der sich nach wie vor beobachtet und erkannt fühlte, nahm seine schwarze Melone ab und stülpte sie mit der Spitze seines Universal-Regenschirms auf einen abstehenden, starken Zweig. Dann duckte er sich und verschwand rechts vom Strauch in der Dunkelheit.

Er hoffte, daß seine Melone Anreiz genug bot, einen weiteren Pfeil auf ihn abzuschießen.

Er sah sich gründlich getäuscht!

Nach einem widerlich scharfen Zischen durchschnittener Luft wurde sein linker Rockärmel sauber aufgetrennt.

Parker verzichtete verständlicherweise auf alle Würde und hechtete mit einem Sprung, der fast jugendlich und sportlich zu nennen war, zurück in Deckung.

Er fühlte sich überhaupt nicht wohl in seiner Haut.

*

Leicht schockiert erhob sich Josuah Parker und überdachte seine Lage.

Er war offensichtlich an einen Gegner geraten, der ebenfalls über einige Tricks verfügte. Um welche es sich handelte, wußte Parker nicht zu sagen. Er kam sich immer noch wie auf einem Präsentierteller vor. Sein Gegner schien Augen wie ein Luchs zu haben, für ihn schien die Dunkelheit nicht zu existieren.

Als Parkers Überlegungen diesen Punkt erreicht hatten, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.

Infrarot!

Der Bogenschütze mußte über ein Nachtzielgerät verfügen, das auf Infrarotbasis arbeitete. Zielgeräte dieser Art existierten. Sie wurden von der Armee und von Spezialeinheiten der Polizei verwendet. Diese Zielgeräte waren ein unsichtbares »Licht« durch die Nacht und erfaßten jedes gewünschte Objekt. Die Zielobjekte ihrerseits waren aber nicht in der Lage, dieses Infrarotlicht zu sehen. Das menschliche Auge war auf solche Wellenlängen nicht geeicht.

Jetzt wußte Parker genau, was zu tun war.

Nebel! Das war die Lösung.

Er aktivierte sofort einen seiner Spezialkugelschreiber, die er stets bei sich trug. Parker griff hastig nach solch einem Kugelschreiber, verdrehte die beiden Hälften gegeneinander und warf die Miniatur-Nebelbombe dann seitlich ins Gras.

Er hoffte nur, daß die Infrarotstrahlen diesen Nebel nicht durchdrangen. Worauf es im Grund aber auch nicht ankam. Hauptsache, er verblüffte den unsichtbaren Schützen und konnte dessen Verwirrung ausnutzen, eine andere Position zu beziehen.

Nachdem der Kugelschreiber im Gras gelandet war, breitete sich eine meterhohe Nebelwolke, schnell aus. Während dies geschah, griff der Butler nach seiner Melone und lief mit fast fliegenden Rockschößen hinüber zum Haus.

Seine Taktik mußte richtig gewesen sein.

Er wurde nicht mehr von weiteren Pfeilen belästigt, erreichte die Hauswand und ging hier erneut in Stellung. Parker zog seine zusammenlegbare Gabelschleuder aus der Innentasche seines schwarzen Zweireihers und versorgte sich mit Munition.

Diese Munition bestand aus kleinen Knallerbsen, die allerdings eine Sonderladung enthielten. Trafen die Knallerbsen auf einen einigermaßen harten Gegenstand, explodierten sie mehr als lautstark.

Parker baute seinen Vorsprung weiter aus.

Er verpulverte in schneller Reihenfolge drei dieser Geschosse, die er in einer Art Pillendose mit sich herumtrug. Die Zwille erwies sich wieder mal als wirkungsvolle, weil lautlose Waffe.

Der Gegner konnte weder sehen noch hören, woher die kleinen Spezialgeschosse kamen.

Die erste Knallerbse flog weit im Park gegen einen Baumstamm und verursachte eine Detonation, die an eine mittlere Landmine erinnerte.

Die zweite Knallerbse landete am rechten Torpfosten und schuf die Illusion einer hochgehenden Granate.

Die dritte Knallerbse barst in entgegengesetzter Richtung los. Parker hatte sie über den Garagenanbau des Landhauses katapultiert. Das Geschoß krachte irgendwo in der Nähe des Swimming-pools.

Mit der nächtlichen Ruhe in diesem vornehmen Wohnviertel war es damit vorbei.

Die Armee schien ein Manöver zu veranstalten. So klang es wenigstens. In der näheren und weiteren Nachbarschaft wurden Lichter und Parkbeleuchtungen eingeschaltet. Die aus ihrer Ruhe hochgeschreckten Leute glaubten wahrscheinlich an eine nicht genehmigte Invasion. Rufe und Stimmen wurden laut.

Auch der Park, in dem Parker sich befand, wurde hell.

Gartenspots strahlten plötzlich Bäume und Sträucher an. Der Widerschein dieses Lichts reichte aus, Einzelheiten im gesamten Park zu erkennen.

Der Butler entdeckte an der linken Trennmauer zum benachbarten Grundstück eine schlanke, große Gestalt, die sich gerade über die Mauer schob. Diese Gestalt trug ein enganliegendes, schwarzes Trikot.

Ob es sich um eine Frau oder um einen Mann handelte, war nicht ganz klar.

Auch für einen Schuß aus Parkers Universal-Regenschirm war es bereits zu spät.

Josuah Parker gestand sich ein, daß er eine leichte Schlappe erlitten hatte.

Dennoch schritt er würdevoll zurück zur Straße, wobei er unterwegs den auf ihn abgeschossenen Pfeil in einem Baumstamm entdeckte und barg.

Dieser Pfeil war identisch mit den beiden anderen, mit denen er es bisher zu tun gehabt hatte.

*

»Ob Nachtzielgerät oder nicht, Mister Parker! Ich möchte wissen, wer ein Interesse daran hat, auf Parkbesucher zu schießen«, sagte Agatha Simpson sehr energisch.

Parker saß wieder am Steuer seines hochbeinigen Wagens und fuhr in Richtung Londoner City. Mylady hatte darauf bestanden. Sie wollte der Wohnung von Marty Pearson den längst fälligen Besuch abstatten.

»Ich sehe mich leider außerstande, Mylady darauf zu antworten«, gab Parker zurück.

»Könnte diese Mandy Saxon den Bogenschützen zu ihrem Schutz engagiert haben?« ließ Kathy Porter sich vernehmen. Sie sprach scheu und schüchtern wie immer.

»Das ist es, Kindchen.« Agatha Simpson nickte ihrer attraktiven Gesellschafterin erfreut und bestätigend zu. »Warum kommen Sie nicht auf solche Gedanken, Mister Parker?«

»Ich werde darüber nachdenken, Mylady.«

»Es ist ja nur eine Vermutung«, warf Kathy Porter schnell und fast schuldbewußt ein.

»Aber sie klingt plausibel«, redete die Detektivin weiter. »Sie stimmt zudem genau mit meinen Überlegungen überein.«

»Wie Mylady meinen.« Mehr sagte Parker nicht. Er konzentrierte sich auf die Fahrbahn. Der Verkehr war um diese Zeit noch immer sehr stark.

»Denken Sie doch an den ersten Pfeil, der Ihnen galt«, begeisterte sich Agatha Simpson, »dann an den Pfeil, der im Oberarm dieses Subjektes Pearson landete. Und jetzt der dritte Pfeil, der wieder auf Sie abgeschossen wurde! Dieses Flittchen hat sich einen Sportbogenschützen engagiert, um sich beschützen zu lassen.«

»Ein bestechender Gedanke, Mylady.«

»Aber Sie sind natürlich nicht überzeugt.«

»Durchaus, Mylady. Diesem Gedanken sollte man nachgehen.«

»Ihre Begeisterung reißt einen förmlich mit«, gab Lady Simpson ironisch und leicht aufgebracht zurück. »Sagen Sie schon, was Ihnen an dieser Theorie nicht gefällt.«

»Die Bedingungslosigkeit dieser Pfeilschüsse«, erwiderte der Butler höflich. »In allen drei Fällen versuchte der Schütze, genaue Treffer anzubringen. Er begnügte sich keineswegs mit einer Warnung, er hatte es darauf angelegt, gefährliche oder tödliche Treffer anzubringen. So etwas kann Miß Saxon unmöglich veranlaßt haben.«

»Und warum nicht? Wenn es doch um ihre Sicherheit geht?«

»Weder Mister Rooters noch Mister Pearson haben versucht, Miß Saxon umzubringen. Miß Saxon mag an Reklame für ihren Sex-Report gelegen sein, Mylady, aber doch keineswegs an einigen Morden.«

»Wer ist der Bogenschütze also dann? Welche Motive könnte er haben?«

»Er versucht wahrscheinlich, Miß Saxon mundtot zu machen, und zwar mit einem gezielten Schuß. Und jeder, der ihm in die sprichwörtliche Quere kommt, wird beschossen. Dieser Schütze will möglichst schnell an sein Ziel gelangen.«

»Warum sagen Sie nichts, Kindchen?« Die Detektivin drehte sich zu Kathy Porter um.

»Mister Parkers Argumente sind gut«, räumte Kathy Porter ein.

»Und Ihre Argumente, Miß Porter, sollte man ebenfalls überdenken«, sagte der Butler. »Es gilt, wenn ich es so ausdrücken darf, diesen Bogenschützen ausfindig zu machen.«

»Ich werde Sie keineswegs daran hindern, Mister Parker«, ließ Agatha Simpson sich vernehmen. »Schade, daß man diesen Sex-Report nicht kennt. Dann besäße man eine Liste der Personen, die als Schützen in Betracht kommen.«

»Sehr wohl, Mylady!« Parker verhielt sich zurückhaltend. Er ahnte bereits, was jetzt kam.

»Man müßte diesen Report mal überlesen können«, seufzte Mylady gespielt auf. »Aber das erlaubt Miß Saxon sicher nicht.«

»Wohl kaum, Mylady.«

»Es muß doch einen Weg geben, an das Manuskript heranzukommen«, steigerte sich Agatha Simpson zielbewußt. »Ich will Sie ja auf keinen Fall zu irgendeiner Ungesetzlichkeit verleiten, Mister Parker, aber ein kurzes Ausleihen des Reports ist doch kein Diebstahl, oder, Miß Porter?«

»Ich weiß nicht recht, Mylady«, redete sich Kathy heraus.

»Es ist kein Diebstahl«, stellte Agatha Simpson fest, energisch und lautstark. »Wie denken Sie darüber, Mister Parker!«

»Diese Frage sollte ein Anwalt klären, Mylady«, erwiderte der Butler. »Ich muß gestehen, daß ich mich juristisch überfordert fühle.«

»Lassen wir das Thema«, entschied Parkers Herrin elegisch und deutlich aufseufzend. »Ich habe schon begriffen. Dann werde ich die Dinge eben allein in die Hand nehmen müssen. Ich bin zwar kein junges Ding mehr, doch das werde ich sicher noch schaffen.«

Parker verbiß sich ein Schmunzeln.

Er kannte die Lady nur zu gut. So zog sie stets alle Register, wenn sie ihren Kopf durchsetzen wollte. Sie drückte dann auf alle Gefühlsdrüsen und gab sich gar als alte und hilflose Frau aus.

Natürlich war es dem Butler klar, daß er wieder mal einspringen mußte, um Mylady vor Schaden an Leib und Seele zu bewahren. Er fragte sich allerdings besorgt, wie er es anstellte, um an den Sex-Report heranzukommen.

Auf dem parkähnlichen Gelände des Landsitzes lebte man sehr gefährlich, wie sich gezeigt hatte.

*

Josuah Parker sah sich in der kleinen, spärlich eingerichteten Wohnung Marty Pearsons um.

Die kleine Pantry, der Wohnraum mit dem offenen Kamin und das Schlafzimmer befanden sich über einem Garagentrakt in der Nähe von Soho. Die Gegend war nicht gerade erbaulich zu nennen. Hier befand sich das große Vergnügungs- und Amüsierviertel der Millionenstadt.

Die Garagen standen in einer schmalen Sackgasse, die kaum beleuchtet war. Auf diese schmale Straße hinaus führten die Bühneneingänge der Bars und die Küchen der Restaurants. Es roch selbst hier oben in der Wohnung noch nach Pommes frites, nach heißem, überhitztem Fett und nach Pizza.

Parker hatte Mylady und Kathy Porter in Agatha Simpsons Wohnung in Shepherd’s Market zurückgelassen. Er rechnete mit Verwicklungen und wollte die beiden Frauen nicht unnötig in Gefahr bringen.

Die kleine Wohnung war von ihm bereits durchsucht worden. Er hatte einige Anhaltspunkte dafür gefunden, daß Pearson auf keinen Fall berufsmäßiger Geiger sein konnte. Marty Pearson besaß nämlich eine Maschinenpistole, die der Butler in einem Versteck seitlich hinter dem Bett aufgespürt hatte. Ganz zu schweigen von einigen Revolvern mit und ohne Schalldämpfer.

Welchem Beruf Pearson nachging, war nicht zu übersehen.

Parker hatte sein kleines Besteck benutzt, um die Wohnungstür zu öffnen. Nun wartete er auf die Rückkehr Pearsons aus dem Hospital. Er wollte sich mit dem jungen Mann noch mal in aller Ruhe unterhalten.

Es dauerte vielleicht eine halbe Stunde, bis unten vor den Garagen ein Taxi erschien.

Marty Pearson stieg aus. Sein linker Arm lag in einer Schlinge. Parker nahm Platz in dem tiefen Sessel mit der hohen Lehne und wartete auf das Erscheinen des Wohnungsbesitzers.

Pearson war ahnungslos.

Er sperrte die Tür auf und betrat die dunkle Wohnung. Dann schaltete er das Licht ein und ging schnurstracks hinüber zu dem kleinen Wandtisch, auf dem Flaschen und Gläser standen. Er hatte einige Mühe, die Whiskyflasche aufzudrehen. Dann setzte er den Flaschenhals an den Mund und nahm einen langen Schluck.

Pearson kam überhaupt nicht auf den Gedanken, dabei beobachtet zu werden. Wogegen Parker nichts einzuwenden hatte. Er blieb regungslos in dem tiefen, sichtschützenden Sessel sitzen und wartete ab, was Pearson tat.

Der junge Mann hatte sich erfrischt, ließ einen erstaunlich tiefen und unschönen Rülpser los und befaßte sich mit dem Telefon. Er wählte eine Nummer und murmelte die jeweilige Ziffer halblaut vor sich hin. Einen größeren Gefallen hätte er Parker gar nicht erweisen können. Der Butler merkte sich diese Nummer selbstverständlich. Sie offenbarte später vielleicht wichtige Querverbindungen und Zusammenhänge.

»Pearson hier«, meldete sich der junge Mann, als die Verbindung hergestellt war. »Pleite auf der ganzen Linie, Sean. – Ja, Pleite! Ich hab’ mir einen Pfeil eingefangen. – Ja, einen Pfeil von irgend so einem Sportbogen.

Schmerzt höllisch. – Ich komme gerade aus dem Hospital. Wer geschossen hat? Weiß ich doch nicht! Plötzlich war mir das Ding verpaßt worden.

Natürlich hab’ ich die Katze nicht aus dem Sack gelassen. – Aber ich weiß, daß du nicht allein hinter der Saxon her bist. – Die scheint eine ganze Kompanie in Bewegung gesetzt zu haben. – Unter anderem auch eine Lady Simpson und deren Butler. – Komische Typen, aber verdammt clever. – Ja, ich hab’ die Adresse von denen. – Einzelheiten später, ich leg’ mich erst mal aufs Ohr, fühl’ mich ziemlich flau im Magen. Okay, ich melde mich morgen gegen 10 Uhr, gut. Ende!«

Marty Pearson legte auf und genehmigte sich einen weiteren Schluck. Dann starrte er in den Spiegel, der über dem schmalen Wandtisch hing und blinzelte den Butler an, der sich erhob und grüßend seine schwarze Melone lüftete.

*

Agatha Simpson hielt sich im kleinen Salon ihres Stadthauses auf und lauschte verzückt den wilden, hämmernden Rhythmen der Rolling Stones, die sie sehr schätzte. Dazu trank sie alten Sherry und rauchte genießerisch eine Zigarre.

Kathy Porter saß am Sekretär und erledigte Geschäftspost.

Sie hatte schon längst keinen Blick mehr für das Groteske an dieser Situation. Zu lange arbeitete sie für diese alte, skurrile Dame, für die es keine Konventionen gab.

Agatha Simpson, schon seit vielen Jahren Witwe, war eine immens vermögende Frau. Ihr Mann hatte ihr reiche Beteiligungen an Fabriken, Reedereien und Brauereien hinterlassen. Dies alles war von ihr in eine Stiftung umgewandelt worden, die allerdings von ihr kontrolliert wurde. Aus den Erlösen dieser Stiftung finanzierte die Lady die Ausbildung begabter, junger und armer Menschen.

Für Agatha blieb genug übrig, um ein völlig sorgenfreies Leben zu führen. Die Detektivin, mit dem Hoch- und Geldadel Englands verschwistert und verschwägert, war eine abenteuerliche Globetrotterin geworden, die in jedes Fettnäpfchen trat, das sie nur fand. Dennoch hatte man sie zumindest gern. Sie wurde respektiert und hofiert.

Kathy Porter war froh, daß Parker Mylady dazu überredet hatte, im Haus zu bleiben. Sie besaß nämlich die schreckliche Neigung, stets auf den Kriegspfad zu gehen. Angst schien sie überhaupt nicht zu kennen.

Kathy spürte plötzlich einen kühlen Luftzug an den Beinen und sah automatisch zur Tür.

Sie zuckte mit keiner Wimper, als dort zwei maskierte Männer erschienen, die nicht gerade vertrauenerweckend aussahen. Sie hatten sich Strumpfmasken übergezogen und waren bewaffnet. Es schienen Profis zu sein.

»Schließen Sie gefälligst die Tür«, war in diesem Moment die Stimme von Mylady zu hören, grollend und empört. »Wollen Sie, daß ich mich erkälte?«

Agatha Simpson übersah souverän die Revolver und griff nach dem Sherryglas.

Die beiden Männer, mittelgroß, schlank, durchtrainiert wirkend, in gutsitzenden Anzügen, waren ein wenig perplex. Solch einen Empfang hatten sie nicht erwartet.

»Haben Sie sich die Füße abgetreten?« verlangte Mylady jetzt zu wissen.

»Moment mal, alte Dame«, sagte einer der beiden Männer empört, »wir sind hier am Drücker!«

»Und zwar verdammt nahe«, fügte der zweite Mann hinzu und hob drohend seinen Revolver. »Es passiert gar nichts, wenn wir den Report bekommen.«

»Und zwar ein bißchen schnell«, schloß der erste Mann.

»Sind Sie sicher, hier an der richtigen Adresse zu sein?« wollte Agatha wissen. Sie zeigte überhaupt keine Angst.

»Natürlich sind wir hier richtig«, lautete die Antwort. »Raus mit dem Manuskript, altes Mädchen, oder wir scheuchen euch durch das Haus, daß ihr Krämpfe bekommt!«

»Sie sind ein Flegel«, stellte die Hausbesitzerin fest.

»Bestimmt«, sagte der angesprochene Mann und lachte leise hinter seiner dichten Strumpfmaske. »Also, wo ist der Sex-Report?«

»Wer hat Ihnen gesagt, daß ich dieses Manuskript habe?«

»Mandy Saxon. Reicht das als Stichwort?«