E-Book 131 - 140 - Günter Dönges - E-Book

E-Book 131 - 140 E-Book

Günter Dönges

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Beschreibung

Butler Parker ist ein Detektiv mit Witz, Charme und Stil. Er wird von Verbrechern gerne unterschätzt und das hat meist unangenehme Folgen. Der Regenschirm ist sein Markenzeichen, mit dem auch seine Gegner öfters mal Bekanntschaft machen. Diese Krimis haben eine besondere Art ihre Leser zu unterhalten. Butler Parker ist seinen Gegnern, den übelsten Ganoven, auch geistig meilenweit überlegen. In seiner auffallend unscheinbaren Tarnung löst er jeden Fall. Bravourös, brillant, effektiv – spannendere und zugleich humorvollere Krimis gibt es nicht! E-Book 131 - Der Augenzeuge E-Book 132 - Mit Melone Schirm und Panzer E-Book 133 - Auf der Spur nach den Dieben E-Book 134 - Parkers Luftsprung mit dem Staatsfeind E-Book 135 - Parker stoppt die Frühlingsrollen E-Book 136 - Parker köpft die Guillotine E-Book 137 - Parker harpuniert den Killerhai E-Book 138 - Parker hebt den Maulwurf aus E-Book 139 - Parker haut den Lukas E-Book 140 - Parker fängt die Königskobra E-Book 1: Der Augenzeuge E-Book 2: Mit Melone Schirm und Panzer E-Book 3: Auf der Spur nach den Dieben E-Book 4: Parkers Luftsprung mit dem Staatsfeind E-Book 5: Parker stoppt die Frühlingsrollen E-Book 6: Parker köpft die Guillotine E-Book 7: Parker harpuniert den Killerhai E-Book 8: Parker hebt den Maulwurf aus E-Book 9: Parker haut den Lukas E-Book 10: Parker fängt die Königskobra

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Inhalt

Der Augenzeuge

Mit Melone Schirm und Panzer

Auf der Spur nach den Dieben

Parkers Luftsprung mit dem Staatsfeind

Parker stoppt die Frühlingsrollen

Parker köpft die Guillotine

Parker harpuniert den Killerhai

Parker hebt den Maulwurf aus

Parker haut den Lukas

Parker fängt die Königskobra

Butler Parker – Staffel 14 –

E-Book 131 - 140

Günter Dönges

Der Augenzeuge

Roman von Dönges, Günter

Lady Agatha Simpson fühlte sich in ihrer Bewegungsfreiheit empfindlich eingeschränkt.

Sie saß am Steuer ihres Land-Rover und war von parkenden Wagen restlos eingekeilt. Sie hatte keine Möglichkeit, sich in den Verkehr einzufädeln. Grimmig schaute sie auf den Fahrer des nächsten Wagens. Der Mann rührte sich nicht und reagierte keineswegs auf das gereizte Hupkonzert. »Was sagen Sie zu dieser Frechheit, Kindchen?« erkundigte sie sich bei ihrer Sekretärin und Gesellschafterin.

»Vielleicht könnte man ein paar Zentimeter zurücksetzen, Mylady«, erwiderte Kathy Porter beruhigend. Ihr war sehr daran gelegen, Myladys Unmut ein wenig zu dämpfen. Sie kannte das Temperament der älteren Dame. »Worauf Sie sich verlassen können!« Agatha Simpson schaltete den Rückwärtsgang ein, was nicht ohne deutlich hörbare Schaltgeräusche vor sich ging. Die Lady ging mit der Technik stets rigoros um. Sie ließ die Kupplung kommen und setzte zurück.

Ein knirschendes Geräusch des hinter ihr parkenden Wagens verriet, daß sie wohl doch etwas zu viel Gas gegeben hatte...

»War da was?« fragte sie bei Kathy Porter an.

»Wahrscheinlich sind die Scheinwerfer des hinter uns stehenden Wagens eingedrückt worden« vermutete Kathy ergeben. »Soll ich nachsehen, Mylady?«

»Papperlapapp, Kindchen! Mit solchen Kleinigkeiten gebe ich mich nicht ab. Warten Sie, ich werde es nach vorn noch mal versuchen.«

Sie schaltete und war ganz bei der Sache. Agatha Simpson, die sich vorgenommen hatte, es mit ihrer Geschicklichkeit zu schaffen, gab erneut Gas und lädierte auch prompt die Rückscheinwerfer des vor ihr parkenden Wagens.

Glas splitterte, und dazu gab es erneut ein knirschendes, häßliches Geräusch von zerknautschtem Blech.

»Was war das?« erkundigte sich die resolute Fahrerin noch mal. »Mir schien, als hätte ich was gehört.«

»Eigenartig«, wunderte sich Kathy halblaut und schüttelte den Kopf. »Der Fahrer reagiert überhaupt nicht. Er muß es doch auch gehört haben.«

»Tatsächlich.« Agatha Simpson richtete sich auf und straffte ihre majestätische Erscheinung. »Dieser Verkehrsrowdy scheint besonders schwerfällig zu sein.«

»Mylady, vielleicht sollten Sie nicht noch mal rammen«, schlug Kathy vor. Agatha Simpson aber ließ sich nicht beirren. Sie hatte bereits zurückgesetzt, sorgte dafür, daß die Scheinwerfer des hinter ihr stehenden Wagens restlos in die Brüche gingen, und fuhr dann wieder an.

Diesmal handelte es sich um einen echten Rammstoß.

Der vor dem Land Rover stehende Wagen wurde gehörig durchgeschüttelt und nach vorn getrieben. Kathy schloß für einen Moment die Augen. Jetzt mußten die Rückfahrscheinwerfer mit Sicherheit endgültig in ihre Bestandteile zerlegt worden sein.

»Sehen Sie doch, Kindchen!« Agatha Simpson deutete nach vorn. »Dieser phlegmatische Bursche scheint sich hingelegt zu haben.«

Myladys Beobachtung entsprach vollkommen der Tatsache.

Der Fahrer war verschwunden. Wahrscheinlich hatte er sich entsetzt zur Seite auf den Beifahrersitz geworfen. Doch er richtete sich nicht wieder auf, was normal gewesen wäre.

»Da stimmt doch was nicht.« Agatha Simpson drückte die Wagentür auf und stieg aus. Erst jetzt zeigte sich, wie erhaben sie wirkte. Sie trug ein Kostüm aus Tweed, das ihr ein wenig zu groß war. Die Schuhe waren derb und in jedem Fall unmodisch. Agatha Simpson liebte legere Kleidung, was sich auch in ihrer Kopfbedeckung ausdrückte. Der Hut glich einem sturmerprobten Südwester, wie er von Hochseefischern verwendet wird.

Ihr Gesicht erinnerte an das eines etwas angejahrten Rassepferdes. Es war faltenreich und verriet Energie. Lady Simpson hatte hellwache, graue Augen, die schnell im Zorn aufblitzten. Sie war eine durch und durch ungewöhnliche Frau, deren Alter schwer zu schätzen war. Sie selbst gab es stets mit »etwas über sechzig Jahre« an, woran zu erkennen war, daß sie nicht ganz frei von einer gewissen Eitelkeit war.

Diese ungewöhnliche Frau also marschierte auf ihren stämmigen Beinen zum vor ihr parkenden Wagen und schaute in das Innere. Sie hatte sich nicht getäuscht. Der Fahrer lag halb auf dem Nebensitz und rührte sich auch dann noch nicht, als die passionierte Detektivin energisch gegen die Scheibe klopfte.

Der Mann rührte sich immer noch nicht.

Lady Simpsons Temperament kam prompt zum Durchbruch. Sie öffnete die Wagentür und beugte sich über den auf den Polstern liegenden Mann.

»Haben Sie sich gefälligst nicht so«, schnauzte sie den Fahrer an. »Das bißchen Glas und Blech werden Sie ja wohl noch verschmerzen können, oder?«

Der Fahrer äußerte sich nicht zu dieser Frage. Er war nämlich tot!

*

»Er wurde vergiftet«, berichtete Lady Simpson und strahlte ihren Butler förmlich an. »Das muß man sich mal vorstellen, Mr. Parker. Er wurde vergiftet! Und wissen Sie auch, wo das geschehen sein muß?«

»Ich möchte mich nicht erkühnen, Mylady vorzugreifen«, antwortete Josuah Parker zurückhaltend und gemessen. Er hatte gleich nach Myladys Rückkehr den obligaten Tee serviert und stand abwartend vor dem kleinen Tisch. Er war bereit, Mylady zum Tee den ebenfalls obligaten Kreislaufbeschleuniger zu reichen. Dabei handelte es sich um einen erstklassigen alten Kognak, den die Hausherrin bevorzugte.

Parker trug eine schwarze Hose, eine gelb-schwarz gestreifte Weste und einen schwarzen Binder, der den altväterlich aussehenden Eckkragen zierte. Er war der Prototyp eines englischen Butlers, wie man ihn vielleicht nur noch in englischen Gesellschaftsfilmen zu sehen bekommt.

Butler Parker stand schon seit geraumer Zeit in Diensten der älteren Dame und fühlte sich hier außerordentlich wohl. Lady Simpson teilte seine Neigung und betätigte sich ebenfalls als Amateurdetektivin. Ihr unermeßlicher Reichtum gestattete es, dieser Laune zu frönen. Im Augenblick war sie von dem Mord sehr angetan. Sie witterte einen neuen Fall.

»Sie werden nicht erraten, wo er vergiftet worden ist«, vermutete Agatha Simpson.

»Mit einiger Sicherheit nicht, Mylady.«

»In der Kantine von New Scotland Yard«, sagte die Detektivin und lachte spöttisch. »Solch eine Blamage muß man sich mal vorstellen! Es ist einfach nicht zu fassen.«

»Wie Mylady meinen.« Parker sah den Zeitpunkt gekommen, den Kreislaufbeschleuniger zu reichen. Agatha Simpson ließ sich den Schwenker servieren und stärkte ihren Organismus nachhaltig.

»Haben Sie dazu sonst nichts zu sagen?« wunderte sich die resolute Dame, nachdem sie den Kognakschwenker abgesetzt hatte. Sie sah ihren Butler leicht verärgert an.

»Darf man erfahren, Mylady, wer der Tote ist?«

»Ralph Tainers, Mr. Parker. Das hier entdeckte ich in seinem Wagen, halb unter dem Sitz.«

Sie reichte Parker einen Zettel, der wohl aus einem größeren Notizbuch stammte. Auf diesem Zettel stand nichts anderes als eine Telefonnummer. Die Ziffern waren entweder in größter Eile oder vielleicht sogar mit schwindender Lebenskraft geschrieben worden. Sie sahen zittrig und leicht verwischt aus.

»Darf ich mir die Freiheit nehmen, Mylady zu fragen, woher Mylady den Namen des Toten in Erfahrung bringen konnte?« Parker drückte sich stets barock aus.

»Ich schnappte ihn von den Polizeidetektiven auf«, erwiderte sie. »Selbstverständlich verständigten Kathy und ich sofort die Polizei, nicht wahr, Kindchen?«

»Nachdem Sie den Toten durchsucht hatten, Mylady«, erwiderte Kathy und stellte die Dinge richtig.

»Halten wir uns nicht mit solchen Kleinigkeiten auf«, sagte die Detektivin ungerührt. »Was meinen Sie zu diesem Wisch, Mr. Parker?«

»Mylady haben sich bereits eine feste Meinung gebildet?« erkundigte sich Parker gemessen.

»Und ob ich das getan habe, Mr. Parker! Dieser Tainers hatte vor seinem Tod gerade noch die Kraft, die Telefonnummer seines Mörders niederzuschreiben. Für mich liegt das auf der Hand.«

»Mylady vergaßen wahrscheinlich, diese Telefonnummer den zuständigen Behörden zu übergeben?«

»Das ist vollkommen richtig, Mr. Parker.« Sie nickte. »Sie können sich ja vorstellen, wie durcheinander ich war.«

Parker konnte sich das zwar überhaupt nicht vorstellen, doch er hütete sich, dies zu sagen. Mylady hatte den Zettel mit der Telefonnummer ganz einfach unterschlagen.

»Sollte man dieses bedauerliche, aber verständliche Versäumnis möglicherweise nachholen, Mylady?«

»Unterstehen Sie sich!« Sie blitzte ihn gereizt an. »Ich würde mich ja unmöglich machen. Nein, nein, das muß ich jetzt durchstehen. Leider.«

Sie seufzte tragisch auf und tat so, als habe sich eine unsichtbare, aber schwere Last auf ihre Schultern gesenkt. Dann trank sie den Rest des Kognaks und stand auf. Sie machte einen sehr animierten Eindruck.

»Sie müssen zugeben, Mr. Parker, daß das hier ein neuer Fall für uns ist, oder?«

»Mylady haben sich bereits entschieden?«

»Mylady hat sich bereits entschieden«, schaltete sich Kathy Porter ein. »Mylady rief diese Nummer bereits an und nannte ihren Namen.«

»Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit bestürzt«, gab Josuah Parker zurück. »Darf man erfahren, wie die Gegenseite reagierte?«

»Überhaupt nicht«, erwiderte Agatha Simpson grimmig. »Sehr schlecht erzogene Leute unter diesem Anschluß. Es wurde einfach aufgelegt. Was sagen Sie dazu, Mr. Parker?«

»Die Manieren mancher Leute lassen in der Tat zu wünschen übrig, Mylady.«

»Es wurde einfach aufgelegt, Mr. Parker. Daraus geht doch hervor, daß man Dreck am Stecken hat. Ist Ihnen das nicht aufgegangen?«

»Durchaus, Mylady. Aber die Gegenseite dürfte jetzt wissen, wer da eine Spur aufgenommen zu haben scheint.«

»Das möchte ich doch sehr hoffen«, lautete die Antwort. »Ich habe meinen Namen schließlich laut und deutlich genannt. Sicherheitshalber zweimal! Sie müssen ihn genau verstanden haben.«

*

Er kam wieder mal zufällig vorbei, wie er behauptete.

Super-Intendent McWarden hatte sein bestes Sonntagsgesicht aufgesetzt und begrüßte Lady Simpson. Er schaffte es sogar, so etwas wie einen Kratzfuß anzudeuten, der allerdings leicht verunglückte. McWarden, seit einigen Wochen der berühmten »Flying Squadron« angehörend, war ein untersetzter, bullig aussehender Mann von etwa fünfzig Jahren. Er war ein ausgezeichneter Detektiv, der es überhaupt nicht schätzte, wenn Amateure seine Kreise störten. Zu seinem Pech und Leidwesen aber war es immer dieses Trio – Agatha Simpson, Butler Parker, Kathy Porter das ihm über den Dienstweg lief. Und nur zu oft schon hatte dieses Trio ihm fertig gelöste Kriminalfälle geliefert, während er noch nach den Tätern suchte.

An diesem frühen Nachmittag gab McWarden sich freundlich, was ihm allerdings schwerfiel. Er wiederholte noch mal, er sei wirklich zufällig vorbeigekommen.

»Natürlich war das ohne Absicht, McWarden«, meinte Agatha Simpson genußvoll. »Und rein zufällig wollen Sie herausbekommen, wie ich diesen Ralph Tainers entdeckte, nicht wahr?«

»Ich hörte davon«, meinte McWarden und nahm den angebotenen Platz in einem alten und schweren Ledersessel an.

»Aber diese Sache interessiert Sie nicht, wie ich vermute.«

»Nun, das möchte ich nicht unbedingt sagen«, erklärte der Superintendent gequält. »Tainers war ein interessanter und wichtiger Mann.«

»In der Tat, Sir«, schaltete sich Josuah Parker ein, der dem Gast einen Brandy servierte. »Mr. Ralph Tainers war ein wichtiger Augenzeuge im Fall Edward Healers.«

»Aha, Sie haben sich inzwischen schon informiert?«

»Man brauchte nur in den Zeitungen nachzulesen, Sir«, redete der Butler höflich und gemessen weiter. »Mr. Tainers wollte vor Gericht beschwören, daß Healers einen Mord begangen hat. Er war sich seiner Sache sicher und – wenn ich es so salopp ausdrücken darf – der wichtigste Zeuge der Anklage.«

»Das stimmt, Mr. Parker«, entgegnete McWarden.

»Warum wurde solch ein wichtiger Zeuge nicht besser beschützt?« grollte die ältere Dame ihren zufälligen Besucher an. »Wieso konnte Mr. Tainers in der Kantine von Scotland Yard vergiftet werden? Die Polizei ist längst nicht mehr das, was sie mal war.«

»Wir sind dabei, die Zusammenhänge aufzudecken«, entschuldigte sich McWarden grimmig. »Tainers wurde rund um die Uhr überwacht und abgesichert.«

»Mit bestem Erfolg, wie man sieht«, spottete die Hausherrin. »Die Zeitungen werden über die Polizei herfallen.«

»Und ein gewisser Edward Healers dürfte nun befreit aufatmen, Sir«, vermutete der Butler zurückhaltend. »Damit dürfte die Anklage gegen ihn zusammenbrechen, wenn ich es so ungeschminkt ausdrücken darf.«

»Vollkommen richtig.« McWarden nickte ergeben. »Healers ist aus dem Schneider.«

»Seine Leute haben Ralph Tainers umgebracht, nicht wahr?«

»Natürlich.« McWarden nickte erneut. »Aber wie soll man das beweisen? Ja, wenn Tainers uns noch einen Tip hätte geben können.«

»Einen Tip?« Agatha Simpson runzelte die an sich schon faltenreiche Stirn zusätzlich. »Ein Sterbender? Wie hat er es überhaupt geschafft, aus der Kantine in seinen Wagen zu kommen?«

»An der Giftbestimmung wird noch gearbeitet«, schickte McWarden voraus. »Es muß sich aber um einen Stoff gehandelt haben, der mit einer gewissen Spätzündung arbeitete. Der Mann war bereits tot, Mylady, als Sie ihn fanden?«

»Mausetot, McWarden«, bestätigte die Detektivin mit Nachdruck. »Machen Sie sich keine falschen Hoffnungen! Er hat mir nichts mehr zuflüstern können.«

»Wie schade! Aber es hätte ja sein können, nicht wahr?«

»Er rührte sich nicht mehr, McWarden. Keiner bedauert das mehr als ich.«

»Sie werden sich um diesen Fall kümmern, Mylady?« McWarden fragte beiläufig.

»Werden wir, Mr. Parker?« Agatha Simpson wandte sich an ihren Butler und sah ihn fragend an.

»Wenn mein Rat erwünscht ist, Mylady«, sagte Parker, »würde ich mir erlauben zu sagen, daß dieser Fall ein Spiel mit dem organisierten Tod sein dürfte. Mr. Edward Healers war und ist noch der Chef einer sehr gut organisierten Verbrecherbande, die vor nichts zurückschreckt.«

»Das kann ich nur unterstreichen«, warnte McWarden prompt. »Die Healers-Bande ist die große Nuß, die selbst der Yard bisher nicht geknackt hat. Ich gebe Ihnen den Rat, die Finger davon zu lassen, Mylady. Ich sehne mich nicht gerade danach, an Ihrem vorzeitigen Begräbnis teilzunehmen.«

»Weil Sie ein Geizkragen sind, McWarden«, stellte Agatha Simpson grimmig klar. »Sie scheuen ja nur die Ausgabe für einen Kranz!«

*

Mylady scheinen verfolgt und beschattet zu werden«, meldete Josuah Parker nach hinten in den Wagen.

Er saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und fuhr durch die City von London. Man befand sich auf dem Weg zum Haus jenes Mannes, dem der Telefonanschluß gehörte. Parker hatte inzwischen herausgefunden, daß es sich um einen gewissen Mr. Brett Nichols handelte. Mr. Nichols war der Besitzer eines kleinen Dienstleistungsunternehmens. Er vermietete Papierhandtücher, die man nach Bedarf aus Kunststoff-Boxen ziehen konnte.

»Es werden doch nicht etwa schon die Ganoven sein?« hoffte die ältere Dame.

»Meiner bescheidenen Ansicht nach dürfte es sich um ein Fahrzeug der Polizei handeln«, erwiderte Butler Parker.

»Sie glauben, daß McWarden mich beschatten läßt?«

»Mit solch einer Möglichkeit sollte man durchaus rechnen, Mylady«, gab der Butler zurück. »Er scheint sich der Hoffnung hinzugeben, über Myladys Reaktionen neue Informationen gewinnen zu können.«

»Was werden Sie jetzt tun, Mr. Parker?«

»Man sollte die Verfolger abschütteln, Mylady.«

»Worauf warten Sie noch?« Agatha Simpson widerstand der Versuchung sich umzuwenden. Sie blieb zufrieden in der Wagenecke sitzen und freute sich auf das kommende kleine Intermezzo. Für Abwechslung war sie immer zu haben.

Parker hingegen sah noch mal genau in den Rückspiegel und nahm Maß. Die Verfolger saßen in einem unscheinbar aussehenden Zivilwagen der Marke Morris. Das Fahrzeug war ihnen bisher hartnäckig gefolgt, doch wahrscheinlich wurde er schon bald durch ein zweites, anderes Fahrzeug ersetzt, um Parker nicht mißtrauisch werden zu lassen. Der Butler kannte sich in den diversen Tricks der Polizei und auch der Gangster aus.

Er wußte, was zu tun war.

Parker steuerte sein hochbeiniges Monstrum in eine Hochgarage und war durchaus zufrieden, als der Morris ihm folgte, der inzwischen dichter aufgeschlossen hatte. Der Butler erkannte zwei Männer, die sich angeregt miteinander unterhielten und es darauf anlegten, einen unverdächtigen Eindruck zu machen.

Parker drückte den Knopf für den Parkschein, wartete, bis die automatisch arbeitende Sperrschranke sich hob und fuhr dann über die Wendelrampe hinauf zum zweiten Parkdeck.

Dann gab er allerdings sehr viel Gas, brauste durch das Deck und wischte über die zweite Wendel wieder nach unten.

»Darf ich Mylady zumuten, sich ein wenig abzuducken?« fragte er seine Herrin.

»Soll ich mich auf den Boden legen?« erkundigte sie sich.

»Die Sitzpolster dürften schon durchaus reichen, Mylady.«

»Wenn schon, denn schon!« Agatha Simpson rollte sich zur Seite und ging in volle Deckung. Als Parker am Kassenschalter stand und den Grundpreis bezahlte, erschien hinter dem hochbeinigen Monstrum ein Ford, in dem eine kinderreiche Familie saß. Erst dahinter war wieder der Morris zu sehen.

Der Beifahrer stieg aus.

Er war ganz eindeutig der Meinung, Parker habe Lady Simpson oben auf dem zweiten Parkdeck abgesetzt. Der Mann hastete zurück und zwängte sich an nachfolgenden Wagen vorbei zurück nach oben. Er wollte den Anschluß nicht verlieren und glaubte wohl, Mylady sei vom Parkdeck aus mit dem Fahrstuhl hinunter in das angrenzende Kaufhaus gefahren.

Vor Parker hob sich die Sperrschranke.

Er fuhr an und sah, daß die Schranke sich hinter ihm wieder senkte, wie es sich für solch eine Schranke eben gehörte. Der Fordfahrer mit der großen und kinderreichen Familie folgte.

Parker sorgte für eine Vollsperrung.

Er hatte das Wagenfenster auf seiner Seite heruntergekurbelt und griff in die Tasche seines schwarzen Zweireihers. Er holte eine Handvoll Münzen hervor und ließ sie auf die Betonrampe fallen.

Sie hüpften neckisch umher, rollten durcheinander und waren nicht zu übersehen.

Die Kinder im Ford reagierten wie erwartet.

Während ihr Vater noch zahlte, hüpften auch sie, nämlich aus dem Wagen. Sie rannten nach vorn und betätigten sich als Sammler. Sie spürten verbissen jeder Geldmünze nach und hielten den ganzen Betrieb auf.

Der Fahrer des Morris war ausgestiegen und schimpfte wie ein gereizter Rohrspatz. Er forderte den Vater der Kinder energisch auf, die Sperre zu räumen. Bevor Parker sich in den Verkehr einfädelte, sah er noch deutlich, daß der Morris-Fahrer sogar so etwas wie einen Dienstausweis zeigte.

Doch das beeindruckte weder Vater noch Kinder. Sie waren ordentliche Bürger und kümmerten sich erst mal um die diversen Fundstücke.

*

»Natürlich wird diese alte Schachtel auftauchen«, sagte Brett Nichols. »Und ihr komischer Butler wird dabei sein. Diese beiden Typen lassen doch keine Gelegenheit aus, um mit dem Feuer zu spielen.«

Brett Nichols, Inhaber des Papierhandtuch-Schnelldienstes, war etwa vierzig Jahre alt, mittelgroß und schlank. Der Mann sah vertrauenerweckend aus, absolut nicht wie ein Gangster, wie er in einschlägigen Filmen gern dargestellt wird.

Er war aber ein Gangster!

Brett Nichols gehörte jener Organisation an, deren Boß Healers unter Mordanklage in Untersuchungshaft saß. Seine Rolle in dieser Gang war sogar bemerkenswert. Nichols war so etwas wie Healers’ rechte Hand und verfügte über großen Einfluß.

Sein Geschäft diente zwar nur zur Tarnung, doch es florierte eigenständig. Es gab da eine Anzahl von Vertretern und Kundendienstberatern, es gab ein gutes Dutzend kleiner Lieferwagen, und sogar die Steuern wurden pünktlich und korrekt bezahlt. Nichols hielt auf Ordnung. Er wollte bei den Behörden nicht unangenehm auffallen.

Nach außen hin war er von einem Saulus zum Paulus geworden. Einige Male vorbestraft, war er der Polizei natürlich bekannt, doch schon seit Jahren wollte er mit kriminellen Dingen nichts mehr zu tun haben. Seine tatsächliche Verbindung zu Healers hielt er geheim. Es gab nur zwei Vertraute, die davon wußten, und auf diese beiden Männer konnte er sich verlassen. Sie waren ihm treu ergeben.

Sie befanden sich in seinem Büro und hießen Pete Stornay und Jess Wavers.

Pete Stornay war sechsundzwanzig Jahre alt, klein und drahtig, Jess Wavers schon dreißig, untersetzt und vollschlank. Auch sie sahen keineswegs wie Gangster aus. Sie galten in der Firma als Inspektoren und überprüften die Arbeit der Außenangestellten. Dadurch hatten sie die Möglichkeit, sich frei und ungehindert zu bewegen.

Sie erledigten gewisse Spezialeinsätze für Brett Nichols. Sie trugen nie Schußwaffen bei sich. Sie konnten jedem Polizisten oder Detektiv treuherzig in die Augen sehen. Wenn sie einen Mord zu erledigen hatten, geschah das auf raffinierte Art und Weise.

Nun, Mord war natürlich nicht ihr tägliches Brot. Es gab da noch ganz andere Dinge zu tun. Sie baldowerten interessante Beutezüge aus Und sorgten für eine stetige Ausweitung des Kundenstamms.

»Was machen wir, wenn sie kommen?« wollte Pete Stornay wissen.

»Gar nichts«, antwortete Brett Nichols. Er lächelte und zündete sich eine Zigarette an. »Die beiden Typen lassen wir gegen eine Gummiwand laufen.«

»Die beiden Typen sind aber nicht ungefährlich«, warnte Jess Wavers. »Es werden die verrücktesten Geschichten über sie erzählt.«

»Maßlos übertrieben«, meinte Brett Nichols.

»Und wie ist die Alte an unsere Firma gekommen?« fragte Stornay.

»Das möchte ich allerdings auch mal wissen«, wunderte sich Wavers und hob die Schultern. »Ob Tainers ihr das noch gesteckt haben kann?«

»Wie denn, Jungens?« Brett Nichols schüttelte den Kopf. »Er wußte doch gar nicht, wer ihm das Gift untergejubelt hat. Tainers hatte keine blasse Ahnung.«

»Dann muß die Alte ’ne Hellseherin sein«, erklärte Stornay. »Die rief doch nicht einfach so hier bei uns an, oder?«

»Wir sollten sie mal in die Mache nehmen«, schlug Wavers vor. »Innerhalb von zehn Minuten wissen wir dann genau Bescheid, wetten?«

»Nicht jetzt«, entschied Nichols, der ein vorsichtiger Fuchs war. »Wir sollten...«

Das Telefon unterbrach ihn. Er hob den Hörer ab und hörte einen Moment zu.

»Ich lasse bitten«, sagte er dann und legte wieder auf. Er wandte sich Stornay und Wavers zu. »Sie sind da, wie ich’s mir gedacht habe. Verschwindet, Jungens, laßt euch nicht sehen! Mit den beiden Typen werde ich allein fertig.«

*

»Was kann ich für Sie tun?« erkundigte sich Brett Nichols, nachdem Lady Simpson und Butler Parker sein Büro betreten hatten. Er gab sich höflich und bescheiden und sah vor allen Dingen die resolut wirkende Dame erwartungsvoll an. »Ihr Besuch ehrt mich, Mylady.«

»Mr. Tainers läßt grüßen«, erwiderte Agatha Simpson grimmig.

»Tainers? Wer ist das?« Nichols schluckte. Solch eine direkte Offenheit hatte er nun wirklich nicht erwartet.

»Der Mann, den Sie oder Ihre Subjekte umgebracht haben«, antwortete die Detektivin. »Mr. Parker, zeigen Sie ihm den Zettel, den Tainers mir noch in die Hand drücken konnte!«

Josuah Parker griff in die Tasche seines schwarzen Zweireihers und erfüllte Myladys Wunsch. Nichols sah deutlich seine Telefonnummer.

»Was soll das?« fragte der Papierhandtuch-Chef gereizt. »Telefonnummern kann jeder aufschreiben.«

»Das soll Ihnen nur zeigen, weshalb ich mich für Sie interessiere«, entgegnete die ältere Dame. »Vor seinem Tod war Tainers noch in der Lage, mir einige Hinweise zu geben, über die bei passender Gelegenheit zu reden sein wird.«

»Verlassen Sie augenblicklich mein Büro«, verlangte nun Brett Nichols mit scharfer Stimme. »Ich habe große Lust, Sie wegen Verleumdung zu verklagen.«

Natürlich bluffte er, denn er hätte von sich aus nie die Polizei angerufen. Aber für ihn stand es nun fest, daß diese verrückte Lady und ihr Butler aus dem Weg geräumt werden mußten. Sie machten die Pferde nur unnötig scheu und würden ihm früher oder später die Polizei auf den Hals hetzen. Und gerade sie brauchte nicht zu wissen, wie eng er mit Edward Healers liiert war. Die Tarnung hatte bisher immer funktioniert. Und so sollte und mußte es auch bleiben.

»Sie kleiner Miesling«, erwiderte Agatha Simpson. »Ich verspüre auch große Lust, nämlich Ihnen ein paar Ohrfeigen zu verabreichen.«

»Das würden Sie bereuen!« Er hatte keine Ahnung, was er da heraufbeschwor, sonst hätte er es wahrscheinlich lieber gelassen. Er wich ein wenig zurück, als die forsche Frau auf ihn zumarschierte.

Und dann täuschte sie ihn raffiniert.

Sie holte mit der linken Hand aus, worauf Nichols seinen Kopf nach rechts nahm. Agatha Simpson hatte auf diese Reaktion nur gewartet. Sie landete ihre rechte Hand und schüttelte Nichols kräftig durch. Als geübte Golfspielerin besaß sie trainierte Muskeln und wußte damit deutliche Akzente zu setzen.

Nichols traten die Tränen in die Augen. Er schnappte keuchend nach Luft und rief mit erstickter Stimme nach seinen Paladinen Stornay und Wavers.

Sie hatten im kleinen Nebenraum nur auf ihren Einsatzbefehl gewartet. Erfreut brausten sie herein, nachdem sie die Tür aufgerissen hatten, doch sie kamen nicht sonderlich weit.

Butler Parker hatte nämlich bereits eine taktisch günstige Position bezogen und stand dicht neben der Tür. Als die beiden Vertrauten von Nichols ihn passierten, langte Parker mit dem bleigefütterten Griff seines Universal-Regenschirms zu. Er war darin ein Meister.

Stornays Sturmlauf endete rapide.

Nachdem der bleigefütterte Griff seinen Hinterkopf berührt hatte, absolvierte er eine etwas mißlungene Rolle vorwärts und schrammte anschließend mit seinem Riechorgan über den dicken Teppich.

Wavers hingegen versuchte sich an einem Salto, der allerdings auch nicht recht klappte. Der temperamentvolle Kämpfer fiel krachend auf den Rücken und verstauchte sich dabei einen Halswirbel.

Parker interessierte sich für die waffentechnische Ausrüstung der beiden Nichols-Mitarbeiter und barg je eine Automatic. Er schien mit Waffen dieser Art nicht sonderlich gut umgehen zu können. Die Mündungen richteten sich auf Nichols, der abwehrend die Arme hob und ins Stottern geriet. Was er sagen wollte, war leider nicht zu verstehen.

»Ich hoffe, Sie werden Myladys Einladung nicht ablehnen«, sagte Parker.

»Ei... Ei... Einladung?«

»Zu einer kleinen Spazierfahrt«, präzisierte der Butler. »Mylady lieben Gesellschaft.«

»Ich ... Ich ...«

»Sie sind also einverstanden«, deutete Parker diesen Sprechversuch. »Gehen wir also.«

»Und zwar ein bißchen plötzlich«, grollte Agatha Simpson. »Ich hoffe nicht, daß Sie noch eine schriftliche Einladung brauchen. Die können Sie allerdings haben!«

Doch Brett Nichols kam der höflichen Einladung ohne Widerstand nach, während seine beiden Vertrauten noch immer angeschlagen, allerdings auch dekorativ auf dem Teppich lagen.

*

Er saß neben Lady Simpson und berechnete seine Chancen.

Schön, sie hatte ihn mit dieser gewaltigen Ohrfeige überrascht, aber noch einmal würde sie so etwas nicht schaffen. Sie war immerhin nur eine Frau! Und Parker vorn am Steuer dieses komischen Wagens konnte nicht eingreifen. Die Trennscheibe war erfreulicherweise geschlossen.

Agatha Simpson verhielt sich schweigend.

Ihre Rechte spielte mit den Perlen des Pompadours, der an ihrem linken Handgelenk hing. Es handelte sich dabei um einen antiquiert aussehenden Handbeutel, wie er um die Jahrhundertwende von Damen benutzt wurde. Solch ein Pompadour war längst aus der Mode gekommen, doch er paßte zu Mylady.

Brett Nichols hatte seine Chancen inzwischen berechnet und war zu einem positiven Ergebnis gekommen. Wenn er die komische Alte als Geisel nahm, konnte er den ulkigen Butler zwingen, den Wagen zu stoppen. Danach brauchte er dann nur noch auszusteigen ...

Brett Nichols spannte seine Muskeln, nahm eine Art Count-down vor und warf sich dann jäh auf die falsch eingeschätzte Gegnerin.

Es bekam ihm gar nicht gut.

Mylady schien auf diesen Angriff nur gewartet zu haben. Sie reagierte nicht schreckhaft, sondern sehr konzentriert. Ihre linke Hand beschrieb einen kleinen Halbkreis, und der Pompadour folgte dieser Bewegung. Er setzte sich auf die Nase des Gangsters, die daraufhin deutliche Quetschfalten zeigte.

Nichols hatte das Gefühl, von einem Pferd getreten zu werden. Er heulte auf und sackte zurück in seine Ecke. Er konnte nicht wissen, daß ein echtes Hufeisen ihn außer Gefecht gesetzt hatte. Im Pompadour befand sich nämlich tatsächlich solch ein harter Gegenstand, der nur ganz oberflächlich in dünnen Schaumstoff gewickelt war.

»Sie Naivling«, kommentierte die ältere Dame seine Niederlage. »Lassen Sie sich bei Gelegenheit Ihr Lehrgeld zurückzahlen! Wenn Healers davon hört, wird er an Ihnen zweifeln.«

Nichols fingerte vorsichtig an seiner lädierten Nase herum und sah seine Kontrahentin scheu an. Sie hatte inzwischen eine Hutnadel aus ihrem »Südwester« herausgezogen und hielt das lange und spitze Gerät wie ein Florett stoßbereit in der rechten Hand. Die Spitze dieser Hutnadel war selbstverständlich auf Nichols Weichteile gerichtet.

Der Gangster zog sich noch tiefer in seine Polsterecke zurück und traute der verrückten Alten durchaus zu, daß sie angriff. Er sah sie plötzlich mit völlig anderen Augen.

»Sie streiten also ab, Tainers umgebracht zu haben?« fragte sie nun.

»Ich weiß überhaupt nicht, wer das ist!«

Parker vorn am Steuer umkurvte in diesem Moment einen Lastwagen, wodurch sein hochbeiniges Monstrum sich ein wenig auf die Seite legte.

»Hoppla«, sagte Lady Agatha, die prompt gegen Nichols fiel.

»Au!« keuchte Nichols, der von der Hutnadel getroffen wurde. Er hatte das Gefühl, von einem Miniaturflorett durchbohrt worden zu sein. Er begann, um sein Leben zu fürchten.

»Sie kennen auch keinen Edward Healers, nicht wahr?« erkundigte sich Agatha Simpson ungerührt.

»Ich... Ich habe über ihn in den Zeitungen gelesen«, antwortete der Gangster blitzschnell und rieb sich die schmerzende Seite.

»Aber persönlich kennen Sie ihn nicht, oder?«

»Natürlich nicht, Mylady.« Er sagte bereits »Mylady« zu ihr, um Bruchteile von Sekunden später wieder aufzustöhnen. Der Wagen hatte sich erneut in eine Kurve gelegt. Und wiederum war die ältere Dame samt ihrer überlangen Hutnadel gegen ihn gerutscht.

»Sie ... Sie bringen mich um«, beschwerte sich Nichols. Ihm war jetzt alles egal. Er langte nach der Türklinke und wollte sich ins Freie stürzen. Darin sah er seine einzige Überlebenschance. Er war zu dem Schluß gekommen, es mit Verrückten zu tun zu haben.

Die Tür war von Parker längst elektrisch verriegelt worden, doch das wußte Nichols nicht. Er merkte nur, daß sie sich nicht öffnen ließ.

»Ich habe Sie eben nicht richtig verstanden«, sagte die Detektivin und setzte sich wieder zurecht. Seinen Fluchtversuch ignorierte sie. »Wie sagten Sie noch?«

»Ich kenne ihn«, räumte Nichols jetzt ein. »Nein, bitte, fallen Sie nicht wieder gegen mich, Mylady. Ich rede ja schon. Stornay und Wavers haben Tainers umgebracht. Mein Ehrenwort!«

»Sind das diese beiden Subjekte aus Ihrem Büro?«

»Sie gehören zu Healers. Er hat sie mir auf den Hals geschickt. Ich mußte sie einfach einstellen. Er benutzt meinen Betrieb als Deckmantel für seine Geschäfte. Ich werde von ihm erpreßt. Ich muß tun, was er will, sonst bringen mich Stornay und Wavers glatt um.«

»Reden Sie weiter«, forderte Agatha Simpson ihn grimmig auf. »Ich sitze nicht besonders fest.«

»Sie haben Tainers umgebracht. Er ist doch der einzige Augenzeuge gegen Healers. Er war es. Jetzt wird man Healers nicht mehr den Prozeß machen können.«

»Und wie haben sie ihn ermordet?« Sie sah ihn streng an.

»Mit Gift. Sie sind als Getränkelieferanten nach oben in die Kantine gekommen. War ganz einfach, wie sie mir sagten. Wie sie es genau geschafft haben, weiß ich nicht. Die reden ja nicht mit mir.«

»Sie sind natürlich bereit, das zu beeiden?«

»Bringen Sie mich zur nächsten Polizeistation! Ich leiste jeden gewünschten Eid.« Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er hatte mehr gesagt, als er sagen wollte, aber in seiner Vorstellung war das nicht besonders entscheidend. Er konnte das alles jederzeit wieder abstreiten und behaupten, die beiden Verrückten hätten ihn zu dieser Aussage gezwungen. Hauptsache, er kam erst mal raus aus diesem rollenden Gefängnis, aus dieser fahrbaren Folterkammer.

Brett Nichols fühlte sich sehr schlecht.

Er hatte bereits leichte Sehstörungen und fühlte ein starkes Schlafbedürfnis in sich aufsteigen. Er wußte nicht, daß Lady Simpsons Hutnadel chemisch präpariert war. Die Spitze war von Parker behandelt worden und stellte eine Art Geheimwaffe seiner Herrin dar.

Das leichte Gift wirkte.

Nichols gähnte inzwischen langanhaltend und sackte wenig später entspannt in sich zusammen. Ein paar Augenblicke später waren bereits seine Schnarchtöne zu hören.

»Was machen wir mit diesem Subjekt?« fragte die Detektivin nach vorn. Trotz der geschlossenen Trennscheibe konnte sie sich mit Parker gut verständigen. Es gab nämlich im Wagen eine versteckt angebrachte Sprechanlage.

»Falls ich mir einen Vorschlag erlauben darf, Mylady, sollte man Mr. Nichols irgendwo aussetzen«, antwortete der Butler gemessen. »Seine Aussagen sind offiziell ohne jeden Wert und Beweiskraft. Aber es würde seine Mitarbeiter gehörig verunsichern, wenn er für ein paar Stunden oder länger wie von der sprichwörtlichen Bildfläche verschwindet. In Gangsterkreisen schießen Gerüchte erfahrungsgemäß üppig ins Kraut!«

*

Als Brett Nichols wieder zu sich kam, fühlte er sich ein wenig unterkühlt. Irgend etwas schüttelte ihn durch, doch er war noch nicht wach genug, um sich darauf einen Reim zu machen. Noch war diese lähmende Müdigkeit in seinen Gliedern, die es ihm kaum gestattete, die Augenlider zu heben.

Er brauchte einige Minuten, bis er merkte, daß er auf einer harten, piekenden Unterlage lag. Er tastete herum und kam zu dem Schluß, daß diese Unterlage aus Eisenschrott bestehen mußte. Dann richtete er sich vorsichtig auf und wurde von einem scharfen Wind gestoppt.

Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.

Er lag in einem offenen Waggon, der mit Eisenschrott beladen war. Wie er hierher gekommen war, konnte er nur mühsam rekonstruieren. War da nicht etwas mit dieser komischen Alten und diesem Butler gewesen? Natürlich, sie hatten ihn zu dieser Spazierfahrt eingeladen, und dabei hatte die Frau ihn mit ihrer Hutnadel gefoltert. Als seine Gedanken diesen Erinnerungspunkt erreicht hatten, schoß Nichols das Blut in den Kopf. So entwürdigend war er noch nie behandelt worden. Bisher hatte man vor ihm nur gezittert.

Er richtete sich noch mal auf und stemmte sich mit dem Oberkörper gegen den Fahrtwind.

Nun erfuhr er die letzte und schreckliche Wahrheit. Der Güterzug, zu dem sein Schrottwaggon gehörte, rollte durch eine zwar liebliche, ihm aber völlig unbekannte Gegend. Von London war weit und breit nicht mal etwas zu erahnen, geschweige denn zu sehen.

Er wäre am liebsten abgesprungen, doch Nichols – im Grunde ein feiger und ängstlicher Mensch – traute sich nicht. Er sah sich bereits mit gebrochenen Knochen neben dem Bahndamm liegen. Dieses Risiko wollte er nicht eingehen.

Seine Wut auf Lady Simpson und Butler Parker steigerte sich noch. Sie hatten ihn gezwungen, mehr zu sagen, als er vorgehabt hatte. Ihnen gegenüber hatte er seine innige Verbindung zu dem inhaftierten Edward Healers zugegeben. Darüber hinaus hatte er gestanden, daß seine Mitarbeiter Stornay und Wavers den Augenzeugen Tainers ermordet hatten.

Gut, vor der Polizei und einem Gericht war dieses Eingeständnis wertlos. Er brauchte es ja nur zu widerrufen oder behaupten, Lady Simpson und Butler Parker hätten sich das aus den Fingern gesogen. Doch wenn dieses komische Paar in Unterweltskreisen mit seinem Wissen hausieren ging, konnte das recht unangenehm werden.

Der Güterzug rollte behäbig durch die Landschaft. Brett Nichols hatte sich wieder abgeduckt und fror entsetzlich. Wenn er wenigstens gewußt hätte, wohin die Reise ging. Nach seiner Uhr hatte er gut und gern zweieinhalb Stunden geschlafen. Dem Sonnenstand nach zu urteilen, ging es in Richtung Nord west, doch das ließ ihn kaum klüger werden.

Er suchte sich auf dem spitzen und sperrigen Schrott eine halbwegs passable Stelle aus und dachte über Lady Simpson und Butler Parker nach. Er hatte diese beiden Leute völlig unterschätzt. Sie waren offensichtlich Vollprofis. Nichols sah noch deutlich vor sich, wie Parker seine beiden Vertrauten Stornay und Wavers außer Gefecht gesetzt hatte.

Der Gangster fuhr nervös zusammen, als die Lokomotive schrill pfiff. Er richtete sich auf und entdeckte, daß der Zug sich einem Tunnel näherte. Sofort wurde Nichols wieder nervös. Er preßte sich auf den Schrott und harrte ängstlich der Dinge, die da kommen mußten.

Seine Geduld wurde auf keine lange Probe gestellt.

Der Güterzug fuhr in den langen Tunnel, in dem die Rauchfahne der kohlenbeheizten Lokomotive nachdrücklich festgehalten wurde. Nichols glaubte ersticken zu müssen. Er hustete und keuchte, geriet in Panik und schwitzte Blut und Wasser vor Angst.

Als der Güterzug den Tunnel wieder verließ, hatte der Gangster sich in eine Art Halbblut verwandelt. Seine eben noch grauweiße Gesichtsfarbe hatte einem braunschwarzen Teint Platz gemacht.

Nein, Brett Nichols sah nicht mehr sonderlich gepflegt aus. Er glich einem ungewaschenen Landstreicher, da schließlich auch sein Anzug und das Hemd sich verfärbt hatten. Er war zu einer Gestalt geworden, die man noch nicht mal mit der Feuerzange anfaßte.

*

»Ich hätte nicht auf Sie hören sollen«, beschwerte sich Agatha Simpson und sah ihren Butler mißmutig an. »Drei Gangster hätten wir hinter Schloß und Riegel bringen können. Aber nein, Mr. Parker mußte wieder mal seinen Kopf durchsetzen.«

»Falls Mylady diesen Eindruck haben, würde ich das zutiefst bedauern«, erwiderte Josuah Parker gemessen. »Darf ich mir erlauben darauf hinzuweisen, daß Myladys Anschuldigungen vor den Polizeibehörden juristisch ohne jeden Effekt gewesen wären?«

»Aber die Polizei sollte vielleicht doch wissen, daß dieser Nichols-Betrieb für Healers arbeitet. Sie scheint das bisher nicht gewußt zu haben.«

»Davon sollte man in der Tat ausgehen, Mylady.«

»Also, was werden wir nun machen?«

»Mit Verlaub, Mylady, gar nichts, wenn ich mir diesen Rat erlauben darf.«

»Das ist nicht gerade viel, Mr. Parker.«

Lady Simpson und Butler Parker befanden sich wieder im Stadthaus der älteren Dame in Shepherd’s Market. Agatha Simpsons wunderschönes altes Fachwerkhaus nahm die Stirnseite eines kleinen U-förmigen Platzes ein, der mit weiteren alten Gebäuden besetzt war. Dieser Platz inmitten der Riesenstadt London war so etwas wie eine Oase der Ruhe und des Friedens.

»Mylady verzeihen meine Kühnheit, da ich widersprechen möchte«, schickte Parker voraus. »Healers wird mit Sicherheit erfahren, daß seine engsten Mitarbeiter in diverse Schwierigkeiten geraten. Healers wird weiter erleben, daß ein Teil dieser engsten Mitarbeiter möglicherweise sogar von der Polizei vereinnahmt wird, um es mal so vulgär auszudrücken. Das wird seine Selbstsicherheit, die er an den Tag legt, erheblich erschüttern.«

»Wie sollen Healers Subjekte denn festgenommen werden, wenn wir nichts tun?« Sie sah ihn empört an.

»Nun, Mylady, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit werden zum Beispiel die Herren Stornay und Wavers bald versuchen, Mylady und meine bescheidene Wenigkeit aus dem Weg zu räumen. Ich rechne mit der kommenden Nacht.«

»Das hört sich schon besser an, Mr. Parker.« Agatha Simpsons Gesicht nahm einen versöhnlichen Ausdruck an.

»Vielleicht gehen sie aber auch schon Miß Porter ins Garn«, redete der Butler weiter. »Ich war so frei, sie auf diese beiden Gangster anzusetzen.«

»Das erfahre ich erst jetzt?« Parkers Herrin grollte.

»Ich wollte Mylady nicht mit Kleinigkeiten belästigen, wenn ich es so ausdrücken darf.«

»Sie wollen mich nur ausmanövrieren, Mr. Parker! Sie scheinen mir nichts zuzutrauen.«

»Durchaus nein und nicht, Mylady!« Parker deutete eine knappe Verbeugung an. »Falls Mylady sich in der Laune befinden, einen Besuch abzustatten, würde ich mir erlauben, Mylady zu einer Ausfahrt einzuladen.«

»Sie verfügen so einfach über mich? Sie wissen, daß ich das nun mal nicht ausstehen kann.«

»Das, Mylady, würde ich mir niemals erlauben.«

»Wohin soll es denn gehen?«

»Zu Anwalt Arthur Pimlay, Mylady. Er ist der Rechtsvertreter des Mr. Edward Healers.«

»Ich verstehe. Sie wollen ihn als Sprachrohr einsetzen, nicht wahr?«

»Es ist anzunehmen, daß er Mr. Healers informieren wird. Anwalt Pimlay ist übrigens ein äußerst gefragter Mann. Er hat sich darauf spezialisiert, die Unterwelt zu vertreten. Es wird sogar behauptet, er arbeite im Grund ausschließlich für Healers.«

»Das haben Sie wohl von Ihren ominösen Kontaktleuten, wie?«

»In der Tat, Mylady! Man erfreut meine bescheidene Wenigkeit hin und wieder mit vertraulichen Informationen, um es allgemein auszudrücken.«

»Dann werde ich mir diesen Pimlay mal ansehen, Mr. Parker. Aber Sie haben mich da eben abgelenkt. Sie haben Kathy auf die beiden Nichols-Gangster angesetzt?«

»Auf die Herren Stornay und Wavers«, erwiderte Parker. »Ich möchte davon ausgehen, daß sie dem Charme Miß Porters kaum gewachsen sein werden.«

*

»Klar, Pete, die ist seit gut zehn Minuten hinter uns her«, sagte Jess Wavers. »Sie sitzt in ’nem kleinen Mini-Cooper.«

»Ich hab sie in der Optik«, erwiderte Pete Stornay, der den Wagen steuerte. Er sah in den Rückspiegel und konzentrierte sich auf das kleine wendige Fahrzeug. »Scheint nicht schlecht auszusehen, die Kleine.«

»Von der Polizei ist sie bestimmt nicht«, meinte der untersetzte Wavers. »Wahrscheinlich hat die verrückte Alte sie uns auf den Hals gehetzt.«

»Klar, die hat so was wie ’ne Sekretärin, Jess.« Pete Stornay lächelte. »Was hältst du davon, wenn wir sie hochnehmen?«

»Und sie gegen Nichols austauschen?« Wavers hatte verstanden und nickte nachdenklich.

»Genau, Jess!« Pete Stornay gefiel diese Vorstellung. »Nichols wird uns dankbar sein.«

Die beiden Gangster einigten sich schnell, zumal sie eine ungeheure Wut auf Agatha Simpson und Butler Parker hatten. Sie waren von diesem so harmlos aussehenden Duo nach allen Regeln der Kunst ausgeschaltet worden. Sie hatten darüber hinaus immer noch leichte Kopfschmerzen. Der bleigefütterte Bambusgriff des Regenschirms wirkte nach.

Als ausgekochte Profis wußten sie, wie man Verfolger abhängt, aber auch wie man diese in eine Falle lockt. Sie verschoben also ihren Besuch, der einem gewissen Finch gelten sollte. Sie kreuzten die eigentliche Innenstadt und fuhren die Hochgarage eines Warenhauses an. Sie wollten sich aber nicht absetzen, wie Parker es getan hatte, sondern auf einem der Parkdecks die charmante Verfolgerin kidnappen und in ihre Gewalt bringen.

Der Mini-Cooper folgte ihnen und schloß auf. Pete Stornay konnte das Gesicht der Fahrerin jetzt recht deutlich erkennen. Er war sehr angetan.

»Die sieht ja prima aus«, freute er sich prompt. »Mensch, Jess, bevor wir die austauschen, sollten wir uns erst mal mit ihr beschäftigen.«

»Nichts gegen einzuwenden.« Wavers war sofort einverstanden.

»So was hat mir der Arzt immer schon verordnet.« Pete Stornay grinste anzüglich.

»Auf ’ne zusätzliche Stunde wird’s Nichols ja wohl nicht ankommen«, fügte Jess Wavers hinzu. »Warum hat er sich auch abschleppen lassen? Soviel Schlappheit hätte ich ihm gar nicht zugetraut.«

»Nichols ist ’n Feigling«, meinte Pete Stornay. »Ist das so neu für uns?«

»Aber er hat die genau richtigen Verbindungen«, warnte Jess Wavers. »Du weißt, daß Healers ihn für ’n As hält. Und dagegen stinke ich nicht an.«

Die beiden Gangster, Vertraute Brett Nichols’, hatten inzwischen das Parkhochhaus am Rande von Soho erreicht, zogen ihr Ticket und fuhren über die Wendel hinauf in die dritte Etage.

»Is’ sie noch immer hinter uns?« fragte Pete Stornay.

»Worauf du dich verlassen kannst, Pete.« Wavers lächelte und glich in diesem Moment überhaupt nicht einem Finsterling. Er wirkte gemütlich und sah freundlich aus. Nur seine Augen glitzerten ein wenig. Die Aussicht, sich mit dieser jungen Frau intensiv befassen zu können, reizte ihn immer mehr.

Sie schafften es ohne Schwierigkeiten.

Als sie den Wagen abgestellt hatten, gingen sie zum Fahrstuhl, ließen sich etwas Zeit und warteten, bis ihre Verfolgerin zu ihnen aufgeschlossen hatte. Als sie gerade zuschnappen wollten, erschien ein anderer Wagen, der ausgerechnet in Höhe des Fahrstuhls hielt.

Die beiden Gangster verständigten sich mit einem schnellen Blick. Das Kidnapping konnte dann eben im Fahrstuhl selbst über die Bühne gehen. Vielleicht war das sogar noch gefahrloser. In der engen Kabine hatte die Kleine nicht die Spur einer Chance.

Sie beging tatsächlich den Fehler, zu ihnen in die Kabine zu kommen. Wavers war einen Schritt zur Seite getreten und forderte sie höflich zum Einsteigen und Mitfahren ein. Sie reagierte sofort und ohne Zögern.

Die Tür schloß sich, der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung.

Pete Stornay sah sich die junge Dame aus nächster Nähe an.

Sie war groß, schlank und besaß genau jene Linien und Formen, die er an Frauen sehr schätzte. Sie hatte ein pikant geschnittenes Gesicht, wirkte aber irgendwie ein wenig scheu und gehemmt. Wahrscheinlich war sie sich ihrer Attraktivität überhaupt nicht bewußt ...

Dann ächzte Pete Stornay.

Sie hatte ihm ihren linken Ellbogen in die Magengrube geschickt, nachdrücklich und blitzschnell. Pete Stornay schnappte nach Luft und verbeugte sich tief.

»Was is’?« wollte der ahnungslose Jess Wavers wissen. Er schaute seinen Freund Stornay bestürzt an.

»Verdammt«, keuchte Stornay. Er wollte noch mehr sagen und Wavers vor der scheuen jungen Dame warnen, doch die Luft reichte dazu nicht aus. Er verbeugte sich noch tiefer.

Wavers schob sich an der jungen Dame vorbei und wollte sich um seinen Freund kümmern. Dazu kam er jedoch nicht mehr. Er hatte plötzlich das Gefühl, als sei ein Eisenträger gegen seinen Hals gefallen. Er sackte gegen die Wand der Fahrstuhlkabine und sah die junge Dame fast vorwurfsvoll an. Bevor er bewußtlos wurde, beobachtete er gerade noch, wie sie sich die Kante ihrer rechten Hand massierte.

Pete Stornay hingegen sah noch mehr.

Er kniete inzwischen neben seinem liegenden Partner und bekam genau mit, daß die junge Dame sich sehr bewußt und kühl ihre leichte Bluse zerfetzte. Sie zerzauste ihr Haar und verschmierte ihren Lippenstift.

Und da war bereits das melodische Glockensignal zu hören. Der Fahrstuhl war unten im Erdgeschoß angekommen. Die junge Dame schrie ohne jede Vorwarnung gellend auf und schluchzte. Als die Tür des Fahrstuhls sich öffnete, warf sie sich in die Arme eines stämmigen Mannes, der wohl nach oben in die Garage fahren wollte.

»Hilfe«, stieß sie mit gekonnt versagender Stimme aus. »Diese beiden Männer wollten mich vergewaltigen! Bitte, helfen Sie mir!«

*

Anwalt Arthur Pimlay war ein sehr elegant aussehender Mann von etwa fünfundvierzig Jahren. Er trug einen teuren, aber auch etwas zu auffälligen Maßanzug, hatte graumeliertes Haar und wache, schnelle Augen.

»Es ist mir eine Ehre, Mylady«, begrüßte er die vermeintliche Mandantin. »Bitte, nehmen Sie doch Platz. Was darf ich für Sie tun?«

»Überhaupt nichts, Mr. Pimlay«, lautete Lady Simpsons Antwort. »Einen Mann wie Sie ließe ich niemals für mich arbeiten, doch das nur am Rand.«

»Sie sind sehr deutlich, Mylady.« Pimlay geriet nun für einen Moment aus der Fassung, hatte sich dann aber sofort wieder unter Kontrolle.

»Sie sind der Anwalt dieses Healers«, schickte Agatha Simpson barsch voraus. »Richten Sie diesem Subjekt aus, daß ich ihn für den Mord an Mr. Ralph Tainers zur Rechenschaft ziehen werde!«

»Ich betrachte das Gespräch als beendet«, erwiderte Pimlay scharf. Er ging zur Tür und wollte sie öffnen. Dabei geriet er ungewollt in die Nähe von Myladys Pompadour, der ein wenig in Bewegung gekommen war und schaukelte.

Als das Hufeisen darin – Mylady nannte es ihren »Glücksbringer« – gegen seine linke Kniescheibe pendelte, blieb Pimlay beeindruckt stehen und sog scharf die Luft ein.

»Das Gespräch ist erst dann beendet, wenn ich es für beendet erkläre, junger Mann«, warnte die resolute Dame ihn unwillig. »Setzen Sie sich gefälligst!«

Pimlay gehorchte augenblicklich. Er humpelte zu einem der lederbezogenen Besuchersessel und ließ sich nieder. Er rieb sich nachdrücklich sein Knie.

»Wir sprachen von Healers«, fuhr Mylady grimmig fort. »Aus der Zelle heraus hat dieses Subjekt den einzigen Augenzeugen umbringen lassen. Diese Schmutzarbeit haben zwei Strolche namens Stornay und Wavers erledigt, die für einen gewissen Brett Nichols arbeiten. Ist es nicht so, Mr. Parker?«

»In der Tat, Mylady«, erwiderte der Butler gemessen. Er stand schräg hinter seiner Herrin und ließ den Anwalt nicht aus den Augen.

»Richten Sie diesem Subjekt Healers aus, daß der sterbende Mr. Tainers mir noch einige Hinweise zuflüstern konnte, die sich nicht nur auf Nichols bezogen. Sagen Sie diesem Gangsterboß, daß wir dafür sorgen werden, daß seine Organisation aufgelöst werden wird! In einigen Tagen wird man für einen Healers keine Hand mehr rühren.«

»Damit beenden Mylady das Gespräch«, schaltete sich Josuah Parker gemessen ein. »Ziehen Sie Ihre persönlichen Schlüsse aus diesen Informationen, Mr. Pimlay!«

Agatha Simpson stand in Pimlays Nähe. Als sie grimmig davonmarschierte, geriet ihr Pompadour wieder in pendelnde Bewegung. Ob es allerdings nur ein Zufall war, daß der »Glücksbringer« gegen Pimlays Schulter stieß, stand auf einem anderen Blatt. Pimlay röchelte beeindruckt auf und senkte seinen Körper tief in den Sessel ab. Dann sah er dem davongehenden Duo aus tränenverschleierten Augen nach. Er hoffte, nur geträumt zu haben, doch er wußte, daß dies nicht der Fall war. Die schrullige Alte war ein Naturereignis, vor dem man in Zukunft wohl besser auswich.

*

Der muskelbepackte Mann, an dessen Brust Kathy Porter sich geflüchtet hatte, kam zur Sache.

»Moment mal«, bat er die hilflose junge Frau. »Das werden wir gleich haben.«

»Passen Sie auf«, warnte Kathy Porter schluchzend. »Ich glaube, sie sind bewaffnet.«

»Nicht mehr lange, Miß.«

Der Mann betrat den Fahrstuhl und ließ die Tür der Kabine hinter sich zugleiten. Sekunden später setzte sich der Fahrstuhl in Bewegung. Er hob ab und fuhr nach oben.

Kathy Porter ließ sich von einigen aufgebrachten Hausfrauen trösten. Sie schilderte in dramaturgisch geschickter Steigerung die brutalen Annäherungsversuche der beiden Sittenstrolche und erweckte nicht nur das Mitgefühl ihrer Zuhörerinnen. Nein, sie brachte sie auch noch in eine gelinde Wut, die nach einem Ventil suchte.

Weitere Zuhörer stellten sich ein. Ein Abteilungsleiter, der bereits das zuständige Revier angerufen hatte, beobachtete den Etagenanzeiger des Fahrstuhls. Er senkte sich gerade wieder nach unten.

Kathy Porter war eine vollendete Schauspielerin.

Sie streckte abwehrend beide Arme aus, als die Tür des Fahrstuhls sich öffnete.

Der Mitfahrer stieg aus und massierte sich die Hände, die an kleine Kohlenschaufeln erinnerten. Dann wies er auf die beiden Gangster Stornay und Wavers, die nicht mehr so aussahen wie vor wenigen Minuten. Sie waren von ihrem Mitfahrer ein wenig deformiert worden. Sie lagen wie nasse Lappen in je einer Ecke des Fahrstuhls und stierten schielend auf die aufgebrachten Hausfrauen.

Der Mitfahrer lächelte Kathy Porter tröstend an.

»Das werden sie nie wieder versuchen«, sagte er dann. »Sie hatten recht, Miß, diese beiden Typen haben wirklich Kanonen mit sich rumgeschleppt.«

Er zeigte der aufgebrachten Menge die beiden kurzläufigen Revolver und trat dann zur Seite.

»Wer sich noch bedienen möchte?« Er sah die aufgebrachten Hausfrauen aufmunternd an.

Stornay und Wavers wären für die rachedürstigen Damen eine mehr als leichte Beute gewesen. Zu ihrem Glück jedoch erschienen in diesem Moment zwei uniformierte Polizisten, die sich der beiden Gangster annahmen. Als sie in Handschellen abtransportiert wurden, kassierten sie allerdings noch einige derbe Fausthiebe. Sie waren schier überglücklich, als sie endlich im Streifenwagen saßen.

Ein zweiter Wagen brachte Kathy Porter und ihren Beschützer zum Revier.

»Ich ... Ich verweigere jede Aussage«, sagte Kathy schluchzend zum diensttuenden Inspektor. »Morgen sind diese beiden Männer wieder frei. Und dann werden sie hinter mir her sein. Nein, ich sage nichts, überhaupt nichts!«

»Und wer hat Ihre Bluse zerrissen?« fragte der Inspektor und hatte einige Mühe, sich von Kathy Porters Formen loszureißen.

»Die ... Die habe ich mir an einem Nagel zerrissen«, erwiderte Kathy prompt. »Die beiden Männer haben damit überhaupt nichts zu tun.«

»Aber die wollten Sie doch vergewalti... Äh, ich meine, die wurden zudringlich.« Kathys Beschützer zeigte Neigung, noch mal auf Stornay und Wavers loszugehen.

»Nein, nein, da müssen Sie mich falsch verstanden haben«, erwiderte Kathy hastig.

»Verstehe, Miß.« Der Beschützer zwinkerte dem Inspektor zu. »Ich muß sie wirklich falsch verstanden haben. Reichen die beiden Schießeisen?«

»Darauf können Sie sich verlassen, Sir«, erwiderte der Inspektor und nickte. »Waffenscheine werden sie wahrscheinlich nicht haben. Diese beiden Burschen landen erst mal hinter Schloß und Riegel

»Und für wie lange, Sir?« Kathy wandte sich an den Inspektor und sah ihn flehend an.

»Keine Sorge, Miß Porter! Wenigstens für Wochen, wahrscheinlich aber für Monate, falls nicht noch was dazu kommt. Machen Sie sich keine Sorgen!«

»Ich erhebe aber keine Anklage gegen die beiden Männer«, erklärte Kathy Porter und genoß innerlich die wütenden Blicke von Stornay und Wavers, die ihr prompt ins Garn gegangen waren. Nachdrücklicher hätte sie sie nicht aus dem Gangsterverkehr ziehen können. Parkers Ratschlag war wieder mal ausgezeichnet gewesen. List gegen Brutalität, das war und blieb seine Devise. Sie zahlte sich immer aus.

Stornay und Wavers wurden abgeführt. Als sie sich noch mal umwandten, lächelte Kathy ihnen verstohlen zu und nahm sich die Freiheit, ihnen auch noch andeutungsweise die Zunge herauszustrecken.

Sie verstanden sehr gut und gerieten in wilde Wut.

Sie rissen sich von dem sie abführenden Beamten los und wollten sich auf Kathy stürzen.

Damit taten sie genau das, was Kathy gewollt hatte. Sie verwickelten die Polizisten des Reviers, die sie natürlich festhielten, in ein wildes Handgemenge und leisteten nun auch noch erheblichen Widerstand gegen die Staatsgewalt.

»Nein, nein, sie haben mir wirklich nichts getan«, sagte Kathy danach noch mal. »Das kann ich beschwören, Sir. Sie haben mich noch nicht mal angerührt.«

»Natürlich nicht, Miß Porter.« Der schnaufende Inspektor, der sich am allgemeinen Nahkampf beteiligt hatte, nickte nun verständnisvoll. »Das sind völlig harmlose Zeitgenossen. Haben wir ja gerade gesehen.«

*

»Sagen Sie nichts«, meinte Agatha Simpson ironisch zu Super-Intendent McWarden, der von Butler Parker in den großen Wohnraum geführt wurde. »Sie kommen natürlich wieder mal ganz zufällig vorbei, nicht wahr?«

»Diesmal nicht«, erwiderte McWarden gereizt. »Ich möchte Ihnen einige Fragen stellen.«

»Eine Erfrischung, Sir?« erkundigte sich Parker.

»Ich bin quasi dienstlich hier.« Der Super-Intendent schüttelte den Kopf. »Ist übrigens Miß Porter im Haus?«

»Sie möchten sie ebenfalls sprechen?« fragte die ältere Dame.

»Auf jeden Fall, Mylady.«

»Mr. Parker, bemühen Sie sie herunter«, wandte Agatha Simpson sich an ihren Butler. Dann drehte sie sich wieder zu McWarden um und sah ihn fragend an. »Worauf warten Sie noch, junger Mann? Verhören Sie mich! Darauf läuft es ja wohl hinaus, oder?«

»Ich möchte warten, bis Miß Porter und Mr. Parker wieder hier sind, Mylady.«

»Täusche ich mich, oder sehen Sie wirklich verärgert aus, McWarden?« wollte die Detektivin wissen. »Sie leiden unter dem Wetter, nicht wahr? Oder ist Ihre Galle nicht ganz in Ordnung?«

»Sie ist bestens in Ordnung, Mylady, aber sie wird mir eines Tages noch überlaufen. Aha, da kommen ja Miß Porter und Mr. Parker. Guten Abend, Miß Porter! Sie erschienen vor etwa anderthalb Stunden auf einer Revierwache der Polizei, nicht wahr?«

»Das ist richtig«, antwortete Kathy freundlich.

»Sie beschuldigten zwei Männer namens Pete Stornay und Jess Wavers. Ist das auch richtig?«

»Ich habe keinen Menschen beschuldigt«, entrüstete sich Kathy prompt. »Wer hat das behauptet?«

»Äh, ein paar Leute, die zusammen mit Ihnen in Annons Warenhaus waren. Sie erklärten dort, die beiden Männer hätten versucht, Sie zu vergewaltigen.«

»Das nehme ich selbstverständlich sofort wieder zurück. Aber das habe ich ja bereits in der Polizeiwache erklärt, Mr. McWarden. Das muß dort im Protokoll stehen.«

»Sie haben Angst?« McWarden versuchte väterlich zu erscheinen, doch diese Rolle lag ihm gar nicht.

»Vor Ihnen, Sir?«

»Nicht von mir. Vor den beiden Männern?«

»Ich kenne sie ja gar nicht.«

»Und wieso war Ihre Bluse zerrissen, als Sie aus dem Fahrstuhl kamen? Und warum haben Sie darin geschrien? Das muß doch einen Grund gehabt haben, oder?«

»Die Bluse war noch neu, Sir. Ich habe ärgerlich aufgeschrien, als ich sie mir an diesem hervorstehenden Nagel zerriß.«

»Miß Porter, Sie haben nichts zu befürchten«, schickte McWarden voraus. »Diese beiden Burschen sitzen fest hinter Schloß und Riegel.«

»Was sind denn das für Männer?« wollte Agatha Simpson jetzt gespielt neugierig wissen.

»Äh, zwei Gangster, nach denen wir schon lange Zeit gefahndet haben.« McWarden räusperte sich. »Es ist doch sehr eigenartig, daß sie ausgerechnet zusammen mit Miß Porter in einem Fahrstuhl waren, nicht wahr?«

»Das Leben liebt Überraschungen«, ließ der Butler sich vernehmen. »Eine banale Feststellung, Sir, wie mir durchaus bewußt ist, aber sie entspricht den Tatsachen.«

»Vielen Dank für diesen Hinweis«, sagte McWarden ärgerlich. »Der Name Brett Nichols sagt Ihnen nichts, wie? Auch Ihnen nicht, Mylady? Miß Porter?«

»Nichols? Das ist ein Name, wenn ich mir diesen Hinweis erlauben darf, der nicht gerade ungewöhnlich auf der Insel ist, Sir«, antwortete Josuah Parker höflich.

»Welchen Nichols meinen Sie?« erkundigte sich Agatha Simpson genußvoll.

»Brett Nichols«, wiederholte McWarden. »Er ist Inhaber einer kleinen Firma, die Papierhandtücher vertreibt. Wissen Sie, diese scheußlichen Dinger, die man aus Kunststoffboxen zieht.«

»Und was ist mit diesem Mr. Nichols?« fragte die Detektivin weiter. »Er muß für Sie wohl recht interessant sein.«

»Der Mann wurde vor einer Stunde in Birmingham festgenommen.« McWarden holte tief Luft. »Er wurde aufgrund eines anonymen Anrufes aus einem Güterwagen geholt.«

»Ein Eisenbahndieb, junger Mann?« Die ältere Dame wußte angeblich von nichts. »Was warf man ihm vor?«

»Nennen Sie mich nicht immer ›junger Mann‹, Mylady«, beschwerte sich McWarden wütend.

»Eine uralte Frau wie ich kann sich das leisten«, erklärte Agatha Simpson. »Ich könnte ja Ihre Mutter sein.«

»Nur das nicht, Mylady!« McWarden hob abwehrend die Arme, lächelte dann jedoch versöhnlich. »Ja, was wirft man diesem Brett Nichols vor? Eigentlich nichts. Er wirft Ihnen und Mr. Parker etwas vor. Deswegen bin ich ja hier.«

»Er wirft Mr. Parker und mir etwas vor? Das ist ja unglaublich!«

»Er behauptet, Sie hätten ihn gefoltert und dann vergiftet. Er will von Ihnen in den Schrottgüterwagen geworfen worden sein.«

»Trauen Sie mir so etwas zu?« Agatha Simpson sah McWarden unschuldig an.

»Natürlich traue ich Ihnen so etwas zu«, sagte McWarden. »Brett Nichols behauptet, Sie hätten ihn mit Ihrer Hutnadel zerstochen. Erstaunlicherweise ließen sich in den seitlichen Weichteilen dieses Nichols Stichwunden feststellen.«

»Dieser Lümmel phantasiert. Die Papierhandtücher scheinen seinen Kopf verwirrt zu haben.«

»Überraschenderweise, das wissen wir inzwischen, ist er der Arbeitgeber jener beiden Typen, die zusammen mit Miß Porter im Fahrstuhl waren. Zufall?«

»Dies, Sir, sollten Sie allein beurteilen«, meinte nun Parker gemessen. »Dieser erwähnte Mr. Nichols scheint eine recht ungewöhnliche Firma zu betreiben, wenn ich das so ausdrücken darf. Er beschäftigt zwei Gangster!«

»Die von der Polizei bisher gesucht wurden?« wunderte sich die Detektivin prompt und schüttelte verständnislos den Kopf. »Sollte Mr. Nichols ebenfalls ein Gangster sein?«

»Ich lasse mich nicht auf den Arm nehmen«, beschwerte sich der Superintendent ärgerlich. »Sie verschweigen den Behörden wichtige Tatsachen, die wahrscheinlich zur Aufklärung eines Mordes dienen können. Das ist strafbar.«

»Sie bringen Nichols mit einem Mord in Verbindung?« staunte die ältere Dame.

»Sollte man unterstellen, Sir, daß Sie den Mord an Mr. Tainers meinen?« fragte Josuah Parker.

»Das sollte man unterstellen.« McWarden nickte. »Nichols scheint für Healers eine Art Filialbetrieb zu führen.«

»Von dem Sie bisher nichts wußten?« Agatha Simpson schüttelte noch mal indigniert und erstaunt den Kopf. »Dann können Sie sich zu diesem Fang doch nur gratulieren. Meinen Glückwunsch, Mr. McWarden!«

»Fang? Wir haben Nichols wieder auf freien Fuß setzen müssen. Das heißt, meine Kollegen in Birmingham haben das getan. Leider etwas zu voreilig. Sie müssen ab sofort damit rechnen, daß Nichols sich revanchieren wird. Und davor möchte ich sehr warnen.«

*

»Er war verärgert, nicht wahr?«

Agatha Simpson sah ihren Butler abwartend an. McWarden war gegangen, gereizt und verschnupft.

»Er schien in der Tat sehr verärgert gewesen zu sein, Mylady«, weitete Parker diese Beobachtung aus. »Diese schnelle Entlassung Mr. Nichols schafft Probleme, wenn ich es so umschreiben darf.«

»Er wird sich umgehend rächen wollen, nicht wahr?«

»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady. Hinzu kommt noch die Tatsache, daß Anwalt Pimlay inzwischen wohl seinen Mandanten Healers aufgesucht und informiert haben dürfte. Die Dinge nähern sich, um es deutlich auszudrücken, einem ersten Höhepunkt.«

»Wie schön«, freute sich die Hausherrin, ohne im geringsten Angst zu zeigen. »Was schlagen Sie vor, Mr. Parker? Sollen wir hier in Shepherd’s Market bleiben oder das Quartier wechseln?«

»Ich möchte keineswegs verhehlen, Mylady, daß Healers ausgesuchte Mitarbeiter einsetzen wird.«

»Schüsse aus dem Hinterhalt und so weiter?«

»Damit sollte man ab sofort rechnen, Mylady«

»Eine wenig schöne Vorstellung, Mr. Parker. Ich möchte nicht den lieben langen Tag mit einer Panzerweste herumlaufen.«

»Darf ich mich erkühnen, Mylady einen Vorschlag zu unterbreiten?«

»Sie haben also bereits disponiert, ja?«

»Ich war so frei, Mylady.«

»Wohin werden wir fahren?«

»Darf ich Myladys Wochenendhaus in den Cotswold Hills als Aufenthalt vorschlagen?«

»Das klingt nicht schlecht, Mr. Parker.« Sie nickte ausnahmsweise mal beifällig. Es handelte sich um eine liebliche Hügellandschaft östlich von Oxford. »Und was werden wir dort tun, Mr. Parker?«

»Mr. Healers’ Mitarbeiter werden Mylady selbstverständlich folgen und von der Voraussetzung ausgehen, Mylady dort in aller Ruhe erledigen zu können. Mylady mögen diese vulgäre Umschreibung verzeihen.«

»Wann fahren wir?«

»Die Koffer sind bereits gepackt, Mylady. Ich war so frei, die Vorbereitungen zu treffen.«

»Und was wird aus Nichols, Mr. Parker? Er dürfte bereits auf dem Weg zurück nach London sein, wenn er nicht schon wieder hier ist.«

»Mr. Nichols wird es nicht versäumen, sich ebenfalls die Cotswold Hills anzusehen, Mylady.«

»Hoffentlich enttäuscht er mich nicht. Aber da ist etwas, was Sie natürlich wieder mal völlig übersehen haben, Mr. Parker.«

»Mylady sind auf einen Denkfehler meiner bescheidenen Wenigkeit gestoßen?« Parker sah seine Herrin aufmerksam an.

»Healers Organisation setzt sich nicht nur aus dieser Nichols-Bande zusammen, oder?«

»Durchaus nicht, Mylady. Mr. Healers betreibt offiziell einen sogenannten Informationsdienst.«

»Was ist denn das, Mr. Parker? Nur ein Bluff für die Öffentlichkeit?«

»So sollte man es in der Tat umschreiben, Mylady. Healers gab und gibt pro Woche eine sogenannte Presseschau heraus. Sie enthält fast ausschließlich Zitate aus englischen und ausländischen Zeitungen.«

»Die er wahrscheinlich für teures Geld an den Mann bringt, nicht wahr?«

»Durchaus, Mylady. Die Kosten sind für die jeweiligen Bezieher dieses Pressedienstes erheblich, wie ich in Erfahrung bringen konnte. Dennoch erfreut sich dieser Pressedienst größter Beliebtheit. Die Auflage soll beträchtlich sein.«

»Man abonniert aus Angst vor Repressalien, oder?«

»Dies trifft den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf, Mylady.«

»Und wo befindet sich das Büro von Healers?«

»In Soho, Mylady. Ich möchte an dieser Stelle betonen, daß Healers dort ein richtiges Verlagsbüro unterhält.«

»Und warum sehen wir uns dort nicht mal gründlich um, Mr. Parker? Ich habe plötzlich überhaupt keine Lust mehr, in mein Wochenendhaus zu fahren.«

»Der von Mylady angesprochene und offensichtlich gewünschte Besuch steht durchaus auf dem Programm«, gab Parker gemessen zurück. »Er sollte und könnte vielleicht von den Cotswold Hills aus erfolgen, falls Mylady darauf bestehen.«

»Ich bestehe darauf«, lautete ihre lakonische Antwort.

*

Butler Parker war nicht nur ein umsichtiger, sondern auch ein sehr phantasiebegabter Mensch.

Noch im größeren Stadtbereich von London bog er mit seinem hochbeinigen Monstrum von der Ausfallstraße ab und durchfuhr ein Gewirr kleiner Straßen, bis er das Lagerhaus einer renommierten Speditionsfirma erreichte, die sich auf Luftfracht spezialisiert hatte.

Parker wußte seit gut zwanzig Minuten, daß Mylady, Kathy Porter und er recht geschickt verfolgt wurden. Es handelte sich um insgesamt drei unauffällig aussehende Wagen, die sich wechselweise an seinen Wagen hängten, um nicht ausgemacht zu werden. Ihm ging es jetzt darum, erst mal für eine gewisse Verwirrung der Verfolger zu sorgen. Sie sollten den Eindruck gewinnen, Agatha Simpson habe die Absicht, die Insel Hals über Kopf zu verlassen.

Nach knapp zehn Minuten kam Parker zum Wagen zurück, in dem seine Herrin und Kathy Porter saßen. Er setzte sich ans Steuer und fuhr weiter.

»Nachforschende Gangster werden jetzt erfahren, Mylady beabsichtige, für einige Wochen nach Paris zu fahren«, erläuterte der Butler, als er wieder die Ausfallstraße ansteuerte. »Morgen wird ein Wagen der Speditionsfirma vor Myladys Haus erscheinen, um die Schrankkoffer abzuholen.«

»Glauben Sie etwa, wir hätten jetzt die drei Verfolger abgeschüttelt?« fragte die Detektivin spöttisch.

»Mitnichten und keineswegs, Mylady«, lautete Parkers Antwort. »Es dürften sich immer noch zwei Wagen auf Myladys Spur befinden.«

»Und wann werden wir den zweiten Wagen los?«

»Vor dem Flughafen, Mylady«, versprach Josuah Parker höflich. »In Heathrow wird die zweite Verfolgergruppe in gewisse Schwierigkeiten kommen, Mylady.«

»Und was ist dann mit dem dritten Wagen? Die Gangster sollen doch schließlich erfahren, daß ich in meinem Wochenendhaus bin.«