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E-Book 1879-1928 E-Book

Diverse

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Beschreibung

Die Familie ist ein Hort der Liebe, Geborgenheit und Zärtlichkeit. Wir alle sehnen uns nach diesem Flucht- und Orientierungspunkt, der unsere persönliche Welt zusammenhält und schön macht. Das wichtigste Bindeglied der Familie ist Mami. In diesen herzenswarmen Romanen wird davon mit meisterhafter Einfühlung erzählt. Die Romanreihe Mami setzt einen unerschütterlichen Wert der Liebe, begeistert die Menschen und lässt sie in unruhigen Zeiten Mut und Hoffnung schöpfen. Kinderglück und Elternfreuden sind durch nichts auf der Welt zu ersetzen. Genau davon kündet Mami. E-Book 1: Das Haus ohne Lachen E-Book 2: Wir haben es geschafft, kleine Angelika E-Book 3: Wir drei heiraten E-Book 4: Zwei Lausebengel - aber mit Herz E-Book 5: Er rettete ein kleines Mädchen E-Book 6: Mit Kind und Hund ein neues Leben E-Book 7: Diese Mami oder keine E-Book 8: Zu Besuch bei Tante Conny E-Book 9: Ich will, dass Papi bei uns bleibt E-Book 10: Augen, die so traurig sind … E-Book 11: Der erste Schritt in ein neues Leben E-Book 12: Unverhofft - und doch geliebt E-Book 13: Franzi setzt sich durch E-Book 14: Der freche kleine Max E-Book 15: Hilfe kommt von meinem großen Freund E-Book 16: Felix, der kleine Detektiv E-Book 17: Geliebte Zwillinge E-Book 18: Trubel im Entbindungsheim E-Book 19: Als wärest du meine kleine Schwester E-Book 20: Glückliche Kinderwelt ... E-Book 21: Wir haben dich gewollt E-Book 22: Hallo, ich bin Raya E-Book 23: Eine trügerische Idylle E-Book 24: So lieb – und sooo frech E-Book 25: Es war nicht immer so ... E-Book 26: Nur ein einziger Augenblick ... E-Book 27: Als der Papa heimkam ... E-Book 28: Ein Knirps in Turnschuhen E-Book 29: Wir finden den Papi E-Book 30: Drei endlich im Glück E-Book 31: Rogers große Freundin E-Book 32: Wir beide in einem fremden Land E-Book 33: Der Papi als Hausmann E-Book 34: Mein Papi soll kommen E-Book 35: Turbulente Ferien E-Book 36: Die Welt ist wieder hell und schön E-Book 37: Kinderglück am Meeresstrand E-Book 38: Mami und Papi sollen nicht streiten E-Book 39: Der Papi aus Amerika E-Book 40: Glück im Doppelpack E-Book 41: Ich such' dich auf der ganzen Welt E-Book 42: Traumeltern für Melissa E-Book 43: Kleine Pusteblume E-Book 44: Mein Papi und deine Mama E-Book 45: Ein Kleeblatt mit sechs Blättern E-Book 46: Und noch einmal von vorn E-Book 47: Warum glaubt mir denn niemand? E-Book 48: Ihr gebt meinem Leben einen Sinn E-Book 49: Waisenkind Alida – endlich zu Hause E-Book 50: Nur eine Mutter für meinen Sohn?

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Seitenzahl: 5979

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Inhalt

Das Haus ohne Lachen

Wir haben es geschafft, kleine Angelika

Wir drei heiraten

Zwei Lausebengel - aber mit Herz

Er rettete ein kleines Mädchen

Mit Kind und Hund ein neues Leben

Diese Mami oder keine

Zu Besuch bei Tante Conny

Ich will, dass Papi bei uns bleibt

Augen, die so traurig sind …

Der erste Schritt in ein neues Leben

Unverhofft - und doch geliebt

Franzi setzt sich durch

Der freche kleine Max

Hilfe kommt von meinem großen Freund

Felix, der kleine Detektiv

Geliebte Zwillinge

Trubel im Entbindungsheim

Als wärest du meine kleine Schwester

Glückliche Kinderwelt ...

Wir haben dich gewollt

Hallo, ich bin Raya

Eine trügerische Idylle

So lieb – und sooo frech

Es war nicht immer so ...

Nur ein einziger Augenblick ...

Als der Papa heimkam ...

Ein Knirps in Turnschuhen

Wir finden den Papi

Drei endlich im Glück

Rogers große Freundin

Wir beide in einem fremden Land

Der Papi als Hausmann

Mein Papi soll kommen

Turbulente Ferien

Die Welt ist wieder hell und schön

Kinderglück am Meeresstrand

Mami und Papi sollen nicht streiten

Der Papi aus Amerika

Glück im Doppelpack

Ich such' dich auf der ganzen Welt

Traumeltern für Melissa

Kleine Pusteblume

Mein Papi und deine Mama

Ein Kleeblatt mit sechs Blättern

Und noch einmal von vorn

Warum glaubt mir denn niemand?

Ihr gebt meinem Leben einen Sinn

Waisenkind Alida – endlich zu Hause

Nur eine Mutter für meinen Sohn?

Mami – Paket 4 –

E-Book 1879-1928

Diverse -

Das Haus ohne Lachen

Die kleine Sarah ist so tapfer

Roman von Simon, Lisa

»Komm, ich helfe dir mit deinen Haaren.« Corinna Jäger blickte lächelnd zu ihrer kleinen Tochter Sarah hinunter, die vor dem Flurspiegel stand und sich mit dem Haargummi abmühte.

»Wir müssen uns beeilen, damit ich nicht zu spät in den Kindergarten komme«, drängte die Kleine und gab ihrer Mutter das Haargummi.

»Und ich muß pünktlich im Büro sein«, ergänzte Corinna amüsiert. »So, jetzt siehst du wie eine kleine Lady aus.«

Wenig später verließen die beiden die Wohnung. Bevor Corinna ihren Dienst bei der Firma Fleige antrat, wo sie als Chefsekretärin arbeitete, brachte sie Sarah morgens in den Kindergarten, der direkt auf dem Weg zum Büro lag. Am Nachmittag holte sie ihre kleine Tochter dort wieder ab.

Was aus ihrer Stelle wurde, wenn Sarah in zwei Jahren zur Schule kam, wußte Corinna nicht; doch sie war sicher, daß ihr Chef, Karl Fleige, eine Lösung finden würde. Seit Corinna die Stelle angetreten hatte, fühlte sie sich in dem mittelständischen Betrieb, der Rasierapparate herstellte, pudelwohl.

Karl Fleige hatte immer ein offenes Ohr für die Probleme seiner Angestellten, und schon oft hatte er ein Auge zugedrückt, wenn Corinna früher das Büro verlassen mußte, weil der Kindergarten eher schloß oder auch, wenn Corinna ganz zu Hause bleiben mußte, weil Sarah krank war.

Es war nicht einfach gewesen, nach der zermürbenden Scheidung von Frank ein neues Leben zu beginnen. Von einem Tag auf den anderen mußte Corinna eine Stellung finden, bei der sie genügend verdiente, um für sich und das Kind den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Nur durch Zufall erfuhr Corinna von der freigewordenen Sekretärinnen-Stelle.

Das war bereits vor zwei Jahren gewesen, und Corinna hatte sich schnell an die Doppelrolle als Mutter und Ernährerin gewöhnt. Traurig war sie allerdings, daß Frank sich kaum noch um seine kleine Tochter kümmerte.

Bis kurz nach der Scheidung hatte er sich am Wochenende öfters blicken lassen, doch die Abstände seiner Besuche wurden immer länger, bis sie ganz aufhörten. Inzwischen hatte er wieder geheiratet und war mit seiner neuen Frau in eine andere Stadt gezogen.

»So, mein Fräulein, da wären wir.« Corinna stieg aus dem Auto und half Sarah, den Sicherheitsgurt zu lösen. »Bis heute nachmittag.«

Die Kleine schmatzte ein feuchtes Küßchen auf die Wange ihrer Mutter und lief winkend zum Grundstück des Kindergartens. Wie immer wartete Corinna, bis Sarah im Gebäude verschwunden war, bevor sie ihren Weg fortsetzte.

Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, daß sie sich sputen mußte, um pünktlich im Büro zu sein. Auch wenn Herr Fleige nie etwas sagte, wenn sie ein paar Minuten zu spät kam, bemühte sie sich, um halb acht in ihrem Vorzimmer zu sitzen.

*

»Der Chef sieht in letzter Zeit so bedrückt aus«, sagte einige Tage später Inge Kowald aus der Buchhaltung während der Frühstückspause zu Corinna. »Hat er etwas zu dir gesagt?«

Corinna schüttelte langsam den Kopf, während sie schluckweise ihren heißen Kaffee trank. »Nein, das nicht – aber auch mir ist aufgefallen, daß er oft mit seinen Gedanken ganz woanders ist.«

»Hm, Sorgen um seinen Betrieb braucht er sich jedenfalls nicht zu machen, denn das Geschäft läuft besser denn je.«

Corinna sah nachdenklich aus dem Fenster. Jetzt, wo Inge es erwähnt hatte, begann auch sie, sich Sorgen um Karl Fleige zu machen. Er war doch nicht etwa krank? Seine Gesichtsfarbe schien in letzter Zeit tatsächlich ziemlich ungesund auszusehen.

»Ich kann mir auch nicht recht vorstellen, was mit ihm los ist«, sagte Corinna nachdenklich. »Möglicherweise hat er private Probleme.«

»Nun, da wird ihm seine Belegschaft auch nicht helfen können«, gab Inge zurück und sah zur Uhr. »Meine Güte, die Pause ist schon wieder um. Herr Neubauer macht mir bestimmt gleich wieder die Hölle heiß.«

Corinna lachte. »So schlimm wird es schon nicht werden.«

»Abwarten. Sehen wir uns in der Mittagspause?«

»Tut mir leid, aber da muß ich meine Einkäufe fürs Wochenende erledigen. Du weißt ja, daß ich nach Dienstschluß sofort Sarah abholen muß.«

»Ja, ja, die lieben Kinderchen. Ich bin froh, daß meine beiden aus dem Gröbsten raus sind.«

Die beiden Frauen trennten sich auf dem Gang und wünschten sich gegenseitig ein angenehmes Wochenende. Corinna beeilte sich, in ihr Büro zurückzukommen, um all ihre Aufgaben bis zum Feierabend noch zu erledigen.

*

»Mami, fahren wir morgen in den Zoo?« fragte Sarah am Samstagmorgen beim Frühstück. »Wir waren schon lange nicht mehr dort.«

»Du hast recht, mein Schatz. Wenn das Wetter so schön bleibt, geht es in den Zoo.« Liebevoll strich Corinna ihrer kleinen Tochter eine Locke aus der Stirn.

»Und wenn es regnet?« kam es wie aus der Pistole geschossen.

»Dann lassen wir uns etwas anderes einfallen. Aber jetzt trinke deinen Kakao, sonst wird er kalt.«

»Kann ich dann mit Katja spielen?«

»Sicher kannst du das. Ich habe sowieso noch eine Menge zu tun.«

Als Sarah gegangen war, griff Corinna seufzend zum vollen Wäschekorb. Der gesamte Samstag war für den Haushalt reserviert, für Unternehmungen mit der Kleinen blieb nur der Sonntag – doch darauf freuten sich Mutter und Tochter um so mehr.

Während der eintönigen Hausarbeit mußte Corinna wieder an ihren Chef denken. Was war, wenn Inge nicht auf dem neuesten Stand war und das kleine Unternehmen gar nicht gut florierte? Mußte man damit rechnen, daß Karl Fleige den Betrieb aufgab und alle Mitarbeiter entlassen wurden?

Corinna hielt in ihrer Putzarbeit inne. Wenn das passierte, würde sie sich und Sarah nicht mehr ernähren können! Für eine dreißigjährige alleinerziehende Mutter würde es so schnell keinen neuen Arbeitsplatz geben.

Energisch schüttelte Corinna schließlich den Kopf. Warum sollte sie sich Gedanken über etwas machen, was nur Spekulationen waren und ihr damit das ganze Wochenende verdarben?

Doch trotzdem mußte Corinna immer wieder daran denken. Selbst, als sie mit Sarah bei strahlend schönem Wetter am Sonntag den Zoo besuchten, stahlen sich die Gedanken um ihre Zukunft wieder in den Vordergrund.

»Mami, sieh mal, der kleine Affe steckt seine Hand durch das Gitter. Darf ich ihn mal streicheln?«

Erschrocken zog Corinna die Kleine zu sich heran. »Auf keinen Fall! Auf dem Schild da steht nämlich, daß die Affen bissig sind.«

»Aber der sieht so lieb aus«, beharrte Sarah weiter auf ihrem Wunsch, das kleine drollige Kapuzineräffchen zu streicheln.

»Sei vernünftig, Schätzchen – oder willst du, daß dich der Affe in den Finger beißt?«

»Nein.«

»Na also. Komm, laß uns mal rüber zu den Raubtieren gehen. Ich habe vor ein paar Tagen in der Zeitung gelesen, daß die Löwen Junge bekommen haben.«

»Au ja! Löwenbabys mag ich!« Sarah sprang vor Begeisterung vor ihrer Mutter her, und die war erleichtert, ihre Tochter von den bissigen Affen fortgelockt zu haben.

Später wurde Corinna überredet, auf dem Heimweg in ein Hamburger-Restaurant zu gehen. Mit großem Appetit verzehrte Sarah ihren Hamburger mit Pommes frites.

»Schling nicht so«, ermahnte Corinna lächelnd. »Sonst bekommst du am Ende noch Bauchschmerzen und kannst morgen nicht in den Kindergarten gehen.«

Sarah liebte ihren Kindergarten und die Erzieherinnen, doch noch mehr gefielen ihr die Stunden mit ihrer Mutter. Corinna war sehr froh darüber, daß ihre Tochter sich nicht sträubte, tagsüber von der Mutter getrennt zu sein – denn das hätte es unmöglich gemacht, eine Stellung anzunehmen.

Sarah schlief fast augenblicklich ein, als sie in ihrem Bettchen lag. Sie hatte an diesem Tag so viel gesehen, und bevor sie einschlief, murmelte sie: »Die anderen Kinder werden staunen, wenn sie erfahren, was ich heute alles erlebt habe.«

Corinna küßte das Mädchen sanft auf die Wange. »Schlaf schön.«

Daß ihre Mutter leise das Zimmer verließ, bemerkte Sarah gar nicht mehr.

*

»Frau Jäger, kommen Sie doch bitte gleich zu mir«, wurde Corinna am Montagmorgen von ihrem Chef begrüßt. »Ich muß mit Ihnen reden.«

Sofort sprang Corinna auf und griff nach ihren Stenoblock. Doch Karl Fleige winkte ab.

»Den können Sie hierlassen.«

An seiner Stimme konnte Corinna erkennen, daß es um etwas Ernstes ging. Und mit zitternden Knien nahm sie Karl Fleige in seinem Zimmer gegenüber Platz.

Der sah sie über den Rand seiner Brille fast traurig an, so daß Corinnas Herz schneller zu schlagen begann.

»Tja, wie soll ich anfangen?« Herr Fleige nahm die Brille ab und wischte sich über die Augen. »Es fällt mir nicht leicht, darüber zu reden, aber nun gibt es keinen Rückzieher mehr.«

»Ich verstehe«, sagte Corinna nickend, obwohl sie gar nichts verstand.

»Frau Jäger, ich habe mit meinem Arzt gesprochen. Sie wissen ja, daß ich nicht mehr der Jüngste bin und mir seit einiger Zeit mein Herz zu schaffen macht.«

»Sicher.«

»Nun, nachdem mir Dr. Arler ohne Umschweife gesagt hat, daß ich nicht mehr lange zu leben hätte, wenn ich mich nicht endlich zur Ruhe setzen würde, habe ich mich entschlossen, den Betrieb zu verkaufen.«

Corinna saß wie erstarrt da, konnte kaum glauben, was sie gerade gehört hatte. Schließlich räusperte sie sich und fragte mit tonloser Stimme: »Und was bedeutet das für Ihre Belegschaft?«

»Gut, daß Sie darauf zu sprechen kommen, Frau Jäger. Sie und Ihre Kollegen und Kolleginnen müssen keine Angst um Ihren Arbeitsplatz haben. Ich habe bei den Kaufinteressenten zur Bedingung gemacht, daß die gesamte Belegschaft übernommen wird.«

Corinna atmete hörbar auf.

»Der Grund, weshalb ich mit Ihnen zuerst über den Verkauf spreche ist, weil Sie auch mit dem neuen Besitzer am meisten zusammenarbeiten werden.«

»Und… haben Sie bereits einen Käufer gefunden?« fragte sie zaghaft.

»Ja, am Wochenende haben der neue Besitzer und ich die Verträge unterzeichnet. Glauben Sie mir, mein ganzes Herz hängt an dem Betrieb, aber wenn die Pumpe nicht mehr mitspielt…«

Corinna brachte ein klägliches Lächeln zustande. Ihr gefiel es ganz und gar nicht, künftig unter einem anderen Chef zu arbeiten – doch war dies immer noch besser, als ihre Stelle zu verlieren.

»Michael Kirschner ist ein guter Geschäftsmann, und ich bin sicher, er wird den Betrieb in meinem Sinne weiterführen. Sein Vater besaß vor Jahren selbst eine eigene Produktionsfirma, und Herr Kirschner hat alles von der Pike auf gelernt. Ich bin überzeugt davon, daß meine Mitarbeiter mit ihm zufrieden sein werden. Er ist noch sehr jung und dementsprechend dynamisch – und wird besonders bei den Damen beliebt sein. Sicherlich werden Sie von Ihren Kolleginnen beneidet werden, Herr Kirschners Sekretärin zu sein.«

Corinna wußte, daß Karl Fleige sie trösten wollte, und nickte zustimmend. »Wann werden Sie es den anderen sagen?«

»Heute nach der Mittagspause. Bitte geben Sie an alle Abteilungen weiter, daß sich alle Mitarbeiter in der Halle treffen – und bitte erwähnen Sie vor niemandem die Neuigkeit. Ich halte es nämlich für das beste, wenn die Leute es von mir persönlich erfahren. Erstens bin ich ihnen dies schuldig und zweitens möchte ich eine Panik vermeiden. Sie wissen ja selbst, wie das ist, wenn man nur die Hälfte mitbekommt.«

»Natürlich.« Corinna erhob sich. »Wird der neue Besitzer auch da sein?«

»Nein, er wird den Betrieb nächste Woche übernehmen. Bis dahin müssen Sie leider noch mit mir altem Kauz vorlieb nehmen.« Er lächelte wehmütig.

Mit gesenktem Kopf verließ Corinna das Chefbüro. Karl Fleige war mehr als ein Vorgesetzter für sie, er hatte sich oft genug als väterlicher Berater erwiesen. Wie mochte wohl der neue Besitzer sein?

*

Schnell hatte sich die gesamte Belegschaft daran gewöhnt, einen anderen Chef zu bekommen. Zwar tat es allen leid, daß Karl Fleige den Betrieb aufgab, doch man war mehr als erleichtert, daß keiner seinen Arbeitsplatz verlieren würde.

»Guten Morgen, Frau Jäger!« Unbemerkt war Herr Fleige ins Zimmer getreten. »Darf ich Ihnen Ihren neuen Chef vorstellen? Herr Kirschner, dies ist meine fleißige Sekretärin, Frau Jäger.«

Das erste, was Corinna erblickte, waren zwei himmelblaue, strahlende Augen. Zögernd erwiderte sie den Händedruck ihres Gegenübers. »Angenehm. Ich hoffe, Sie werden mit meiner Arbeit zufrieden sein.«

»Herr Fleige hat mir schon von Ihren Fähigkeiten vorgeschwärmt. Ich bin überzeugt davon, daß wir gut zusammenarbeiten werden.«

»Sie können sich ja später noch richtig bekannt machen«, sagte Karl Fleige. »Zunächst möchte ich Sie dem Rest der Belegschaft vorstellen.«

Als Corinna wieder alleine war, mußte sie sich setzen. Herr Fleige hatte zumindest nicht gelogen mit seiner Äußerung, daß Michael Kirschner atemberaubend gut aussah. Wenn er auch als Vorgesetzter so sympathisch wie sein Äußeres war, würde Corinna ihre Arbeit auch in Zukunft so viel Freude machen wie bisher…

*

Die erste Arbeitswoche mit Michael Kirschner war erstaunlich angenehm verlaufen. Aufatmend setzte sich Corinna am Freitagnachmittag in ihr Auto und schlug den Weg zum Kindergarten ein.

Dort wurde sie schon von einer der Erzieherinnen am Eingang angehalten. »Frau Jäger, beunruhigen Sie sich jetzt bitte nicht…«

»Was ist passiert?« fragte Corinna alarmiert.

»Das wissen wir leider auch nicht so genau. Sarah sitzt bereits seit einer Stunde in der Leseecke und weint bitterlich.«

Corinna ließ die junge Frau einfach stehen und machte sich auf die Suche nach ihrer kleinen Tochter. Sie fand sie zusammengekauert in der Ecke sitzen.

»Schätzchen, was ist denn mit dir los?« fragte Corinna hilflos und nahm Sarah behutsam in den Arm. »Hat dir jemand weh getan?«

Sarah schüttelte wild den Kopf, hörte aber nicht auf zu schluchzen.

Hilflos sah sich Corinna um. Einige Kinder standen mit neugierigen Blicken um sie herum. »Wißt ihr, warum Sarah weint?«

Die Kinder verneinten. Inzwischen war auch die Erzieherin zu der kleinen Gruppe getreten und kniete sich vor Sarah. »Willst du wenigstens mir sagen, welchen Kummer zu hast?«

Wieder schüttelte die Kleine heftig den Kopf und sah ihre Mutter bittend an.

»Wir fahren jetzt nach Hause«, erklärte Corinna. »Vielleicht möchtest du mir später erzählen, was geschehen ist, ja?«

Ohne Widerstand ließ sich Sarah hochheben und von Corinna Jacke und Schuhe anziehen. Besorgt beobachtete sie dabei ihre Tochter. Es sah ihr überhaupt nicht ähnlich, so unendlich traurig zu sein – im Gegenteil, im allgemeinen war Sarah ein fröhliches, unkompliziertes Kind.

Erst beim Abendbrot rückte sie mit der Sprache heraus. »Der Malte hat etwas Gemeines zu mir gesagt, deshalb mußte ich weinen.«

Corinna ließ sich ihre Erleichterung, daß die Kleine endlich redete, nicht anmerken, sondern fragte wie beiläufig: »Ach ja? Was hat denn der Malte zu dir gesagt?«

»Daß ich keinen Vater habe!«

Corinna ließ das Messer sinken. »Aber das stimmt doch gar nicht.«

»Das habe ich ihm auch gesagt, aber er hat mir nicht geglaubt. Er hat gesagt, wenn ich einen Vater habe, dann soll ich ihn mal zeigen – aber das kann ich ja nicht.«

Zärtlich streichelte Corinna dem Mädchen über das erhitzte Gesichtchen. Im Stillen dachte sie sich, daß so etwas nie passiert wäre, wenn Frank sich nach der Scheidung weiterhin um seine Tochter gekümmert hätte und bei Feierlichkeiten im Kindergarten dabeigewesen wäre.

»Soll ich mal mit Malte reden und ihm erklären, daß dein Vater in einer anderen Stadt lebt?«

»Nein, Mami. Das habe ich doch auch schon gesagt, aber Malte will es nicht glauben.«

Corinna seufzte. Wie konnte sie Sarah nur trösten?

»Mami?« fragte die Kleine in die Gedanken ihrer Mutter hinein. »Kann ich nicht einen neuen Papa haben?«

Trotz der ernsten Situation mußte Corinna schmunzeln. »Das ist nicht so einfach, mein Kleines. Väter kann man nicht einfach im Geschäft kaufen.«

»Aber das weiß ich doch selbst!« rief Sarah empört. »Doch wenn du dir einen neuen Mann suchst, dann habe ich auch wieder einen Papa. Stimmt’s?«

Corinna stand auf und nahm ihre Tochter in den Arm. »Im Prinzip hast du natürlich recht, aber bisher habe ich noch keinen Mann gefunden, den ich gerne heiraten würde.«

»Dann suchen wir einen, ja?« Sarahs Gesicht sah plötzlich unternehmungslustig aus.

Ihre Mutter versuchte, ein Lachen zu unterdrücken. Wie konnte sie der Kleinen bloß erklären, daß sie eigentlich gar keine Lust hatte, sich wieder zu verheiraten und eventuell dasselbe Drama wie mit Sarahs Vater durchzumachen? Für einen winzigen Moment schob sich das Gesicht von Michael Kirschner vor ihr inneres Auge, und erschrocken zwinkerte sie, um die Vision zum Verschwinden zu bringen.

»Was hast du, Mami?« fragte Sarah mit drollig gerunzelter Stirn.

Corinna erhob sich schnell und setzte sich wieder an ihren Platz. »Ach, nichts. Da war nur etwas in meinem Auge.«

»Und was ist jetzt mit dem neuen Papa?«

»Darüber laß uns noch einmal in Ruhe nachdenken, ja?«

Als Sarah schlief und es in der Wohnung still war, mußte Corinna erneut daran denken, daß sie bei ihrem potentiellen neuen Ehemann ihren Chef im Visier gehabt hatte.

Sie schüttelte energisch den Kopf. Welch dumme Idee das doch gewesen war! Sie mußte zugeben, daß sie von Kirschners männlicher Ausstrahlung fasziniert war, daß sie sich freute, wenn er sie lobte und sie dabei direkt mit seinen blauen Augen ansah. Aber das hieß noch lange nicht, daß sie sich in ihn verlieben könnte – oder?

Ganz gegen ihre Gewohnheit holte Corinna eine Flasche Wein aus dem Kühlschrank und goß sich ein Glas ein. Normalerweise trank sie höchstens am Wochenende ein Gläschen; doch nun war sie so durcheinander, daß sie unbedingt einen Schluck brauchte.

Auch wenn Michael Kirschner der erste Mann war, für den sich Corinna seit der Trennung von Frank interessierte – für ihn würde sie wohl immer nur die tüchtige Sekretärin bleiben. Und das schien gut so zu sein, denn der neue Chef hatte sicherlich eine hübsche, verwöhnte Dame der Gesellschaft zur Freundin…

*

Das ganze Büro stand Kopf, denn an diesem Montag waren alle Computer abgestürzt. Der Fachmann, der den Schaden wieder in Ordnung bringen sollte, kam erst am frühen Nachmittag.

»Und gerade heute müssen ein paar sehr wichtige Briefe geschrieben werden«, stöhnte Michael Kirschner. »Sie können nicht eventuell länger bleiben?«

»Leider nicht«, erwiderte Corinna ehrlich bedauernd. »Sie wissen doch, daß ich meine Tochter pünktlich vom Kindergarten abholen muß.«

»Ja, entschuldigen Sie, das hatte ich total vergessen. Was mache ich denn nur?«

»Ich könnte die wichtigsten Dokumente mit der Schreibmaschine schreiben«, schlug Corinna spontan vor.

Kirschner fuhr sich durch das Haar. »Daran habe ich natürlich auch schon gedacht, doch die Informationen, die wir für die Korrespondenz brauchen, sind alle im Computer gespeichert.«

»Wie dumm.« Corinna überlegte fieberhaft, wie sie ihrem Vorgesetzten helfen konnte, während er mit langen Schritten nervös sein Büro durchschritt. »Ist es denn wirklich so wichtig?«

»Mehr als wichtig. Es geht um Verträge für einen äußerst lukrativen Geschäftsvorgang, bei dem ich schnell reagieren muß. Wie es aussieht, wird es wohl nichts mit diesem Geschäft werden.«

Wie gern hätte Corinna den Abend im Büro verbracht, um dieses Geschäft nicht zu gefährden. Plötzlich hatte sie eine Idee.

»Ich könnte mir die Informationen ausdrucken lassen, nachdem der Computer wieder in Gang gebracht wurde, und die Briefe zu Hause auf meinem PC heute abend noch schreiben. Sie müßten die Dokumente nur bei mir abholen.«

Kirschner sah Corinna strahlend an. »Das würden Sie tatsächlich für mich tun?«

»Selbstverständlich. Wenn Sie heute nacht noch alles wegschicken, könnten Sie eine Chance haben.«

»Ach, Frau Jäger, Sie sind meine Rettung! Kein Wunder, daß Herr Fleige in den höchsten Tönen von Ihnen geschwärmt hat.«

Corinna blickte vor Verlegenheit betreten zu Boden. Es machte sie stolz und glücklich, von Kirschner gelobt zu werden. Zumindest war er mit ihrer Arbeit mehr als zufrieden.

Erst kurz vor Dienstschluß liefen die Computer wieder einwandfrei, und Corinna ließ sich schnell die Dokumente ausdrucken, die sie für ihre Heimarbeit brauchte.

»Wann werden Sie fertig sein?« fragte Michael Kirschner, als sich Corinna verabschiedete.

»Ich denke, gegen neun Uhr. Hier ist meine Adresse; wissen Sie, wo das ist?«

Er blickte auf das Visitenkärtchen. »Ich denke schon. Bis heute abend also – und nochmals vielen Dank für Ihren Einsatz.«

»Keine Ursache.« Ihr Herz machte einen Extrahüpfer, als Michael Kirschner sie lächelnd ansah.

Sarah wartete wie üblich schon ungeduldig auf das Eintreffen ihrer Mutter. »Können wir noch unterwegs eine Pizza essen, Mami?«

»Tut mir leid, mein Schätzchen. Heute geht es nicht, denn ich muß für meinen Chef zu Hause etwas schreiben. Aber ich verspreche dir, daß wir das Pizza-Essen nachholen.«

»Och«, maulte Sarah vom Rücksitz her. »Immer die doofe Arbeit.«

Corinna schmunzelte. Es hatte keinen Zweck, der Kleinen zu erklären, daß sie froh war, eine so gut bezahlte Stelle zu haben. Um das Mädchen abzulenken, fragte sie: »Hat dich Malte heute wieder geärgert?«

»Nein, heute nicht.«

»Wie schön.«

»Aber nur, weil er gar nicht im Kindergarten war. Morgen ärgert er mich bestimmt wieder.«

»Ach, mach dir nichts daraus.« Corinna warf einen Blick in den Rückspiegel und stellte erleichtert fest, daß Sarah bei der Erwähnung ihres »Erzfeindes« nicht mehr todtraurig aussah.

Entgegen ihrer Gewohnheit machte sich Corinna sofort, als sie die Wohnung betrat, daran, aufzuräumen. Ihr Chef sollte einen angenehmen Eindruck von ihrem Zuhause haben.

»Darf ich aufbleiben und mir deinen Chef mal ansehen?« fragte Sarah bittend, nachdem ihr die Mutter erklärt hatte, daß Herr Kirschner noch am selben Abend kommen wollte.

»Auf keinen Fall, mein Fräulein. Um diese Zeit schläfst du schon längst. Und jetzt sei ein liebes Kind und laß Mami die Briefe schreiben.«

»Na gut. Dann male ich eben ein Bild für deinen Chef, das kannst du ihm nachher schenken.«

»Da wird er sich aber freuen«, gab Corinna lächelnd zurück und hoffte, daß Kirschner mit dem Kunstwerk einer Fünfjährigen etwas anzufangen wußte.

Die Arbeit ging schneller voran, als Corinna erwartet hatte, und bereits um acht Uhr lagen alle Dokumente zum Unterschreiben in der Mappe bereit.

Beim Zähneputzen begann Sarah wieder davon zu reden, wie gerne sie den Chef ihrer Mutter kennenlernen würde.

»Ein anderes Mal, das verspreche ich dir.« Corinna beugte sich vor und wischte Zahncremereste von Sarahs Wange. »Und jetzt schnell ins Bettchen.«

»Ich bin aber noch gar nicht müde«, protestierte das Mädchen. »Sieh mal, ich habe ganz große Augen.«

Sarah sperrte die Augen weit auf, und ihre Mutter lachte schallend. »Du gibst wohl niemals Ruhe, wie? So, Ende der Diskussion und marsch ins Bett.«

Sie gab der Kleinen einen leichten Klaps auf das Hinterteil, und vor Übermut kreischend lief Sarah aus dem Badezimmer. Corinna sah ihr zärtlich nach. Welch großes Glück, ein so reizendes, natürliches Kind zu haben!

Als es im Kinderzimmer ruhig war, ging Corinna mit prüfendem Blick von einem Zimmer zum anderen, nahm hier ein Spielzeug vom Teppich und dort einen Pullover von der Sessellehne. Auch, wenn Kirschner kaum ein Auge für die Wohnung seiner Sekretärin haben würde, sollte er doch einen guten Eindruck davon haben.

Anschließend betrachtete Corinna ihr Gesicht kritisch im Badezimmerspiegel. Ein wenig Farbe auf den Wangen und Lippen konnten nichts schaden, fand sie und griff zum Lippenstift.

Doch dann legte sie den Stift wieder zur Seite und bürstete sich stattdessen nur das Haar. Kirschner sollte nicht denken, daß sie sich ihm zuliebe extra zurechtgemacht hatte, denn welche Frau legte Lippenstift und Rouge auf, wenn sie zu Hause war?

Pünktlich um neun Uhr läutete es an der Tür, und mit zitternden Fingern betätigte Corinna den Türöffner.

»Mama? Ist er gekommen?«

Corinna wirbelte herum. Ohne es zu bemerken, war Sarah aus ihrem Zimmer gekommen und stand nun mit zerzaustem Haar in ihrem blauen Schlafanzug da und rieb sich die Augen.

»Kleines, warum schläfst du denn nicht?« Corinna nahm das Mädchen hoch und trug es ins Bett zurück. »Du sollst doch schlafen.«

»Habe ich ja schon. Ich bin vom Klingeln wach geworden.«

Sarah ließ sich ohne Protest von ihrer Mutter zudecken und schloß sofort wieder die Augen.

Michael Kirschner stand schon vor der Wohnungstür, als Corinna endlich öffnete. »Entschuldigen Sie bitte, daß Sie warten mußten. Meine Tochter ist aufgewacht.«

»Oh, das wollte ich nicht.«

»Ist schon in Ordnung, sie schläft bereits wieder.« Corinna bat ihren Chef mit einer Handbewegung ins Innere der Wohnung.

»Schade, ich hätte Ihre Kleine sehr gerne kennengelernt.«

Sie lachte leise. »Dasselbe hat Sarah auch gesagt. Kommen Sie doch bitte durch, ich habe alles vorbereitet.«

Michael Kirschner sah sich interessiert in dem kleinen gemütlichen Wohnzimmer um. »Schön haben Sie es hier.«

»Ach, meinen Sie?« Errötend strich sich Corinna eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Für Sarah und mich reicht es, auch wenn die Wohnung nicht besonders groß ist. Aber die Gegend ist ruhig, und meine Tochter kann ohne große Gefahren vor dem Verkehr draußen spielen.«

Kirschner zeigte auf die rote Unterschriftenmappe auf dem Wohnzimmertisch. »Sind das die Briefe?«

»Ja, Sie brauchen nur noch zu unterschreiben.« Eifrig schlug sie den Aktendeckel auf und reichte ihrem Chef einen Kugelschreiber. »Die passenden Umschläge habe ich auch adressiert.«

»Sie sind wirklich ein Schatz, Frau Jäger.« Mit seiner schwungvollen Schrift unterzeichnete Kirschner die Schriftstücke. »Ich weiß gar nicht, was ich ohne Sie anfangen sollte.«

Corinna schmunzelte. »Das hat Herr Fleige auch immer gesagt, aber so ernst nehme ich diese Bemerkung natürlich nicht.«

»Das können Sie aber getrost«, entgegnete Kirschner ernsthaft. »Doch, doch. Sie sind eine hervorragende Kraft.«

»Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?« fragte sie zögernd, nachdem alle Briefe unterzeichnet und in die Umschläge gesteckt worden waren.

Er sah auf seine Uhr und sagte mit bedauernder Stimme: »Leider muß ich Ihr freundliches Angebot ablehnen, da ich noch eine Verabredung habe – und außerdem muß ich noch zur Hauptpost, um die Briefe einzuwerfen, damit sie pünktlich morgen früh an ihrem Bestimmungsort sind.«

Corinna schalt sich ein naives Ding, als sie Kirschner hinausbegleitete. Natürlich hatte ein Mann wie er eine Verabredung! Es schien ein absurder Gedanke zu sein, daß er die Abende zu Hause vor dem Fernseher verbrachte.

»Also, nochmals vielen Dank für Ihre Mitarbeit, Frau Jäger. Sie können morgen ruhig etwas später ins Büro kommen – als Entschädigung sozusagen.« Er nahm ihre Hand, und es kam Corinna vor, als hielte er sie eine Sekunde länger als nötig.

»Ich muß sowieso immer um dieselbe Zeit aus dem Haus«, sagte sie. »Sarah muß ja in den Kindergarten. Aber vielleicht könnte ich mal früher gehen, wenn ich etwas Dringendes zu besorgen habe.«

»Ganz wie Sie möchten. Ich wünsche Ihnen noch eine gute Nacht.«

Corinna stand noch lange, nachdem Kirschner gegangen war, unschlüssig im Flur. Die sanfte Berührung seiner Hand ließ ihr Herz noch immer schneller klopfen.

Ihr Blick fiel auf das Bild, das Sarah für Michael gemalt hatte. Es war mit Filzstiften in kunterbunten Farben gemalt und zeigte – eine Familie mit Mutter, Vater, Kind!

Seufzend faltete Corinna das kleine Kunstwerk ihrer Tochter. Sarah schien sich sehr nach einer intakten Familie zu sehnen. Auch wenn Corinna stets versuchte, der Kleinen den Vater zu ersetzen, so ganz schien ihr das nicht zu gelingen.

Sie nahm sich vor, ihrem Chef am nächsten Tag das Bild zu überreichen; mochte er dann damit machen, was er wollte.

*

»Hast du ihm mein Bild gegeben, Mami? Ja, hast du?« fragte Sarah am nächsten Morgen, als sie gleich nach dem Aufstehen in den Flur lief und sah, daß die Zeichnung von dem kleinen Flurtischchen verschwunden war.

»Ja, ich habe es Herrn Kirschner gegeben«, schwindelte Corinna. »Er hat sich sehr darüber gefreut und bedankt sich ganz herzlich dafür.«

»Hat es ihm gefallen?«

»Und wie. Wer sollten denn die Leute auf dem Bild sein?«

»Na, ich, du und unser neuer Papa.«

Corinna war aufgefallen, daß der Mann auf der Zeichnung ein Gesicht ohne Augen, Nase und Mund gehabt hatte.

»Ach, Schätzchen, die Sache mit dem neuen Papa überlegen wir uns noch mal, ja?«

»Aber warum denn?«

»Fehlt dir denn ein Papa so sehr? Wir beide haben es doch schön miteinander.«

»Haben wir ja auch, Mami. Aber manchmal braucht man auch einen Papa, nicht?«

Corinna seufzte. »Mal sehen, was sich machen läßt. Ich glaube, wir müssen los.«

Sorgfältig hatte Corinna das Stilleben ihrer Tochter in ihrer Handtasche verstaut; unter keinen Umständen durfte Sarah erfahren, daß ihre Mutter vergessen hatte, Michael Kirschner das Bildchen zu geben.

Überrascht prallte sie zurück, als sie wenig später das Büro betrat. Ein riesiger Rosenstrauß stand mitten auf ihrem Schreibtisch und verströmte einen lieblichen Duft.

Tief senkte Corinna ihr Gesicht in die duftenden Blüten, als sie den kleinen Umschlag entdeckte, der neben der Vase lehnte.

Von wem mochten wohl die Blumen sein? fragte sie sich und öffnete hastig den Umschlag.

Als kleines Dankeschön für Ihre spontane Mitarbeit. Ihr Michael Kirschner.

Und darunter: PS. Hätten Sie Lust, am Wochenende mit mir essen zu gehen?

Taumelnd hielt sich Corinna an der Tischkante fest. Michael Kirschner hatte sie zum Essen eingeladen!

Sie machte sich nichts vor, er wollte sich nur revanchieren – doch trotzdem fühlte sie sich plötzlich sehr, sehr glücklich.

»Ach, Sie sind schon da?« klang Kirschners Stimme von seinem Büro. »Ich hoffe, Sie empfinden meine Einladung nicht als aufdringlich.«

»Ganz und gar nicht«, gab sie schnell zurück und hoffte, daß man ihrem Gesicht die Freude über die unerwartete Einladung nicht ansah.

»Können Sie denn jemanden engagieren, der sich so lange um Ihre Tochter kümmert?« fragte er besorgt.

»Nun, ich werde mal herumtelefonieren, ob sich jemand findet«, sagte sie und lachte nervös.

»Wohnen denn Ihre Eltern nicht in der Nähe, die sich um Sarah kümmern können?«

Corinna senkte den Kopf. »Mein Vater ist schon lange nicht mehr am Leben, und meine Mutter starb ebenfalls vor ein paar Jahren. Und zu meinen ehemaligen Schwiegereltern haben wir seit der Scheidung keinen Kontakt mehr; dabei sehnt sich Sarah so sehr nach Großeltern, die Zeit für sie haben.«

»Das kann ich mir vorstellen.« Er nickte. »Als ich noch klein war, gab es für mich nichts Schöneres, als die Wochenenden bei Oma und Opa zu verbringen.«

Sie lächelte. »Ich könnte die Mutter einer Freundin Sarahs fragen.«

»Wenn es an diesem Wochenende nicht klappt, verschieben wir den Restaurantbesuch auf ein anderes Mal.«

»Nein, nein. Ich werde schon jemanden finden«, beeilte sie sich zu sagen. Möglicherweise würde Kirschner die Einladung ansonsten vergessen, wenn zu viel Zeit verstrich. »Ich gebe Ihnen rechtzeitig Bescheid.«

Plötzlich erinnerte sie sich wieder an die kleine Zeichnung in ihrer Handtasche. »Dies hat Sarah extra für Sie gemalt.«

Erstaunt nahm er das Bild entgegen. »Wirklich für mich? Dabei kennt mich die kleine Prinzessin doch noch gar nicht.«

Corinna hielt den Atem an. Er hatte »noch nicht« gesagt. Sie räusperte sich. »Bevor ich an die Arbeit gehe, möchte ich mich für die wunderschönen Blumen bedanken – und natürlich für die Einladung.«

»Gern geschehen. Richten Sie bitte Ihrer Kleinen meinen Dank für das schöne Bild aus.«

An diesem Tag verging die Zeit wie im Fluge. Corinna sagte jedem neugierigen Mitarbeiter, der wissen wollte, von wem der herrliche Rosenstrauß war, dasselbe: »Jemand hat mir nachträglich zum Geburtstag gratuliert.«

Ihrer Meinung nach ging es die Kollegen nichts an, daß der Chef seiner Sekretärin Rosen schenkte.

*

Sarah jauchzte vor Freude, daß sie am Samstag bei ihrer Freundin Charlene aus dem Nachbarhaus schlafen durfte, und Corinna war erleichtert, daß Charlenes Mutter sofort einverstanden war, Sarah zu betreuen.

Michael Kirschner schien sich wirklich zu freuen, daß es mit der Verabredung klappte.

Schon am Freitag zerbrach sich Corinna den Kopf darüber, was sie am Samstagabend anziehen sollte. Nichts in ihrem Kleiderschrank schien passend für die Verabredung mit ihrem Chef zu sein.

Nach langem Hin- und Herüberlegen wählte sie dann das schwarze, schmal geschnittene Etuikleid mit dem Nadelstreifen-Gehrock. In diesem Aufzug konnte sie sich überall sehen lassen, fand sie. Außerdem hatte sie diese Kleidungsstücke noch nie im Büro getragen, so das Michael sie nicht kannte.

Viel zu früh war Corinna ausgehfertig und blickte immer wieder nervös zur Uhr. Der Zeiger schien festzukleben!

Doch endlich klingelte es. Corinna tat, als übersehe sie die bewundernden Blicke ihres Chefs – doch es machte sie sehr froh.

Er hatte ein gutes Restaurant ausgewählt. Corinna kannte es bisher nur dem Namen nach, weil sie öfter einen Tisch für Kirschner und seine Geschäftspartner reservieren lassen mußte.

Sie war überwältigt von der Eleganz und betete, daß sie nicht mit ihren hohen Absätzen stolperte, als ein livrierter Kellner sie und Michael an ihren Tisch führte.

Bei dem wundervollen Essen unterhielten sie sich wie alte Bekannte. Nicht ein einziges mal wurde die Firma erwähnt. Statt dessen erzählte Michael von seinem Leben.

»Ich weiß, daß ich Ihnen merkwürdig erscheinen muß, daß ich mit meinen dreiunddreißig Jahren noch im Haus meiner Eltern lebe, aber das tue ich nur, weil ich dort das gesamte Obergeschoß alleine bewohnen kann. Das Haus meiner Eltern ist viel zu groß für die beiden.«

»Ich finde es nicht sonderlich merkwürdig, daß Sie bei ihren Eltern leben«, entgegnete Corinna sanft. Das gute Essen und der edle Wein hatte ihre Anspannung gelöst, Kirschners lockere Art hatte einiges dazu beigetragen, daß auch sie über ihr Leben reden konnte, ohne zu stottern.

»Es ist sicherlich nicht einfach für Sie, die Kleine ganz alleine großzuziehen«, sagte Michael Kirschner und bestellte eine weitere Flasche Rotwein.

Zunächst wollte sie protestieren, doch der Abend war zu schön, um schon nach Hause zu fahren. Warum dann nicht noch eine Flasche Wein?

»Ja, anfangs war die ungewohnte Situation nicht einfach für Sarah und mich«, berichtete sie. »Jede Entscheidung nun ganz alleine fällen zu müssen und nicht zu wissen, ob sie richtig ist oder nicht…, das war in der Tat schwierig. Dazu immer wieder die Frage, ob ich mich richtig verhalten habe, indem ich Sarah den Vater genommen habe…«

Unbewußt hatte Corinnas Gesicht einen traurigen Ausdruck bekommen. Sie mußte wieder an Sarahs Bildnis mit dem gesichtslosen Vater denken.

»Bereuen Sie die Trennung von ihrem Mann?« fragte er sanft.

»Nein, ich glaube inzwischen, daß es für mich und meine Tochter am besten war, ein neues Leben ohne Frank zu beginnen.«

Der vornehme Kellner brachte den Wein und goß davon etwas in die Gläser. Corinna genoß es, sich bedienen zu lassen, denn ansonsten war sie es, die dafür zu sorgen hatte, daß die Teller und Gläser gefüllt waren.

Kirschner betrachtete still sein hübsches Gegenüber, bis der Kellner genauso lautlos verschwand, wie er gekommen war.

Dann sagte er: »Ich würde Sarah gern einmal kennenlernen.«

Corinna spürte, wie sie vor Verlegenheit rot wurde. Hastig griff sie zu ihrem Glas und nahm einen großen Schluck Rotwein.

»Oder ist es ihnen unangenehm?« fragte er zögernd, als sie nicht antwortete.

»Doch es ist nur…«

»Ja?«

»Nun, ich bin mir nicht sicher, ob das eine gute Idee ist. Immerhin sind Sie mein Chef, und außerdem hat Sarah sich in den Kopf gesetzt, daß ich ihr einen neuen Papa besorgen soll.

Ich denke, sie wird in Zukunft jeden Mann in meiner Nähe als potentiellen Vater ansehen.«

Er lachte leise auf und nickte. »Das habe ich mir schon gedacht, als ich die vollständige Familie auf Sarahs Zeichnung sah – und daß ich Ihr Chef bin braucht sie nicht zu stören.«

»Aber das geht doch nicht«, protestierte sie zaghaft.

Michael nahm ihre Hand, die auf dem Tisch lag. »Und ob das geht. Was glaubst du denn, weshalb ich unbedingt mit dir ausgehen wollte? Corinna, du bist die Frau, von der ich schon immer geträumt habe. Bitte, gib mir eine Chance, dir zu beweisen, daß ich es todernst meine.«

Erschrocken und überrascht zugleich blickte sie den Mann an. Ihre kühnsten Träume schienen sich erfüllt zu haben!

»Ist das Ihr… ich meine dein Ernst? Du willst mich nicht veralbern?«

»Ich bitte dich! Hältst du mich wirklich für so unseriös?«

»Nein, eigentlich nicht«, mußte sie zugeben. »Aber das kommt alles so plötzlich.«

»Ich weiß, ich bin ein ungehobelter Klotz, so einfach mit der Tür ins Haus zu fallen. Eigentlich wollte ich dir viel romantischer sagen, daß ich mich in dich verliebt habe.«

Corinna mußte schmunzeln. Michael sah so zerknirscht aus, daß er ihr direkt leid tat. »Ich habe ja nicht gesagt, daß ich schockiert bin, im Gegenteil. Ich bin sehr glücklich über dein Geständnis. Ich habe mich nämlich auch in dich verliebt.«

»Das habe ich gehofft.« Er atmete erleichtert auf. »Ich hatte es bereits vermutet, aber trotzdem etwas Angst davor gehabt, daß ich mich vielleicht doch getäuscht haben könnte.«

Ohne auf die anderen Gäste zu achten, hauchte er einen Kuß auf Corinnas Handrücken. »Darf ich deine kleine Tochter bald kennenlernen, ja?«

Eine Gänsehaut überzog Corinnas Rücken, als sie Michaels sanfte Lippen auf ihrer Hand spürte. Es kostete sie Mühe zu antworten. »Ja, sie wird sich freuen.«

»Das hoffe ich sehr.« Michael grinste. »Ich habe nämlich keine Erfahrung im Umgang mit Kindern.«

»Oh, darüber mußt du dir keine Sorgen machen. Sarah ist ein liebes unkompliziertes Mädchen. Sie wird genauso begeistert von dir sein, wie ich es bin.«

*

Am darauffolgenden Wochenende lernten sich Michael und Sarah dann tatsächlich kennen. Bei beiden war es Sympathie auf den ersten Blick, doch das wunderte Corinna nicht weiter.

Der Besuch im Vergnügungspark wurde für alle drei ein unvergeßliches Erlebnis. Mit einem glücklichen Lächeln schlief Sarah auf der Rückfahrt ein, den großen Teddybären, den Michael ihr gekauft hatte, fest an sich gepreßt.

»Ich scheine die Prüfung bestanden zu haben«, sagte Michael leise und wies mit dem Kopf auf die Rückbank.

»Sarah ist wirklich ein bezauberndes Mädchen, und ich bin sehr glücklich, daß mich die wunderbarsten Frauen der Welt mögen.«

Zärtlich fuhr Corinna ihm durch das Haar, während er den schweren Wagen lenkte. Wie sehr sie ihn und seine Art liebte!

Nachdem Michael ihr seine Liebe gestanden hatte, schwebte Corinna wie auf Wolken. Natürlich war es in der Firma nicht verborgen geblieben, daß aus dem Arbeitsverhältnis zwischen Chef und Sekretärin ein Liebesverhältnis geworden war.

Schon waren die ersten Fragen der lieben Mitarbeiter aufgetaucht, wann denn die Hochzeit stattfinden sollte – doch soweit war es noch lange nicht.

Zunächst mußte Corinna Michaels Eltern kennenlernen, und das machte ihr Angst. Michael hatte noch nicht viel über sie geredet; eigentlich wußte Corinna nur, daß Michaels Vater seit Jahren an den Rollstuhl gebunden und früher selbst ein erfolgreicher Unternehmer gewesen war. Seinen Betrieb hatte Hermann Kirschner nach dem schrecklichen Unfall zehn Jahre zuvor aufgeben müssen, denn Michael studierte noch und war noch lange nicht reif genug, einen Betrieb eigenständig zu führen. Dies und ein paar Kleinigkeiten über die Mutter hatte Michael Corinna erzählt.

Am kommenden Wochenende war sie nun zu den Kirschners zum Essen eingeladen, und sie sah der Begegnung mit gemischten Gefühlen entgegen. Hoffentlich waren Hermann und Margret Kirschner genauso sympathisch und weltoffen wie ihr Sohn.

»Du wirkst so nachdenklich, Liebes.« Michael warf ihr einen vorsichtigen Seitenblick zu. »Was bedrückt dich denn?«

»Ach, eigentlich ist es nichts. Ich habe nur schreckliches Lampenfieber, deine Eltern kennenzulernen.«

Er lachte leise. »Keine Angst, sie werden dir schon nicht den Kopf abreißen.«

Sie kroch tiefer in den Beifahrersitz hinein. »Das sagst du so leicht, ich weiß ja gar nicht, ob sie mit mir als Schwiegertochter einverstanden sind.«

»Warum sollen sie das nicht sein?« fragte er verwundert.

»Immerhin bin ich bereits geschieden und bringe ein Kind mit in die Ehe. Das paßt deinen Eltern vielleicht nicht.«

»Du machst dir ganz umsonst Sorgen, mein Schatz. Meine Eltern wissen über dein Leben Bescheid – sie waren es schließlich, die dich eingeladen haben.«

»Ach, die Einladung ging nicht von dir aus?« Corinna war erleichtert, dies zu hören. »Ich befürchtete schon, daß sie mich nur kennernlernen wollten, weil du sie darum gebeten hast.«

Wieder lachte er amüsiert. »Du scheinst wirklich zu glauben, daß meine Eltern die reinsten Ungeheuer sind. Natürlich sind sie neugierig auf dich, sie wissen doch, daß ich dich heiraten will, und da ist es ja normal, wenn man die zukünftige Schwiegertochter kennenlernen will.«

*

Charlene und ihre Mutter erwiesen sich einmal mehr als rettende Engel. Gerne konnte Sarah wieder bei ihnen übernachten.

»Wissen sie, Frau Jäger«, sagte Ilona Brandes, »mein Mann ist immer wochenlang auf Montage, da fühlen Charlene und ich uns manchmal ziemlich einsam. Wir freuen uns über eine kleine Abwechslung – und Sarah ist eine sehr angenehme Abwechslung, das dürfen sie mir glauben.«

»Das freut mich. Vielleicht kann ich mich mit dem Kinderhüten revanchieren, falls Sie einmal ausgehen wollen.«

»Vielen Dank für das Angebot, aber das wird nicht nötig sein. Alleine gehe ich nie aus, und wenn ich mit meinem Mann ausgehe, bringen wir Charlene zu den Großeltern. Die sind immer ganz aus dem Häuschen vor Freude, wenn sie die Kleine um sich haben können.«

Einen kurzen Moment dachte Corinna daran, daß auch Sarah bald wieder Großeltern haben würde. Sie beugte sich zu der Kleinen hinunter und gab ihr einen Kuß auf die Stupsnase. »Bis morgen, mein Schätzchen. Sei artig und schlafe schön. Morgen früh hole ich dich dann wieder ab.«

»Ich bringe Sarah gerne bei Ihnen vorbei, denn ich habe den Kindern versprochen, morgen mit ihnen Brötchen zu backen, und ich weiß nicht, wann wir damit fertig sein werden.«

Es gab Corinna einen kleinen Stich, als sie das hörte. Sie selbst hatte am Wochenende kaum Zeit, mit Sarah so lustige Dinge wie Brötchenbacken oder Basteln zu veranstalten.

»Tschüß, Mami.« Sarah winkte ihr zum Abschied zu, den kleinen Rucksack mit Schlafzeug und Zahnbürste auf dem Rücken und dem geliebten Teddy im Arm.

»Geht deine Mami mit deinem neuen Papa aus?« hörte Corinna Charlene fragen, als sie die Treppe hinunterstieg. Natürlich hatte Sarah all ihren kleinen Freundinnen stolz von Michael erzählt, auch, daß er einen riesigen Wagen fuhr und über eine große Menge Leute in seiner großen Firma bestimmte.

Sogar Malte war angeblich blaß vor Neid gewesen.

Schmunzelnd schlenderte Corinna den kurzen Weg zu ihrer eigenen Wohnung zurück. Fröstelnd rieb sie sich die Arme – dabei war es gar nicht kalt.

Schnell schlüpfte sie ins Treppenhaus und eilte die zwei Stockwerke hinauf. Jetzt hieß es sich beeilen, denn sie wollte den bestmöglichen Eindruck bei Michaels Eltern hinterlassen.

Ganz wohl war ihr immer noch nicht, wenn sie an den bevorstehenden Abend dachte. Auch wenn Michael ihre anfänglichen Befürchtungen weitgehend hatte zerstreuen können, war sie sich nicht sicher, ob sie bei den Kirschners tatsächlich willkommen sein würde.

Entspannt lehnte sich Corinna wenig später in der Badewanne zurück. Sie hatte sich extra ein teures Badeöl gekauft, das edel duftete, und ein neues Kleid in der Boutique, das eigentlich ihr Budget bei weitem überschritt.

Michael liebte sie so wie sie war – aber würden dies auch seine Eltern tun? Immerhin waren Hermann und Margret Kirschner ein angesehenes Ehepaar der Gesellschaft, und sie selbst war nur eine kleine Angestellte ihres Sohnes.

Als Michael pünktlich um halb acht läutete, war Corinna fertig angezogen und so nervös wie nie im Leben zuvor.

»Du siehst einfach bezaubernd aus«, bemerkte er bewundernd und zog sie an sich. »Ich bin der glücklichste Mann der Welt.«

Sie versuchte ein Lächeln. »Hoffentlich finden mich deine Eltern sympathisch.«

»Und weshalb sollten sie nicht?« fragte er stirnrunzelnd, aber gutgelaunt.

»Du bist verliebt und somit nicht objektiv«, gab sie zurück und warf einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel. Ohne Zweifel stand ihr das enganliegende Seidenensemble aus ärmellosem Kleid und kleinem Bolero ausgezeichnet.

Sie holte tief Luft und sagte mit einem Anflug von Galgenhumor: »Auf gehts in die Höhle des Löwen.«

Michael lachte laut auf. »Laß das nicht meine Eltern hören!«

»Ganz bestimmt nicht.«

Während der Fahrt begann Corinna wieder zu frösteln, doch nun wußte sie, daß es nicht an dem Wetter, sondern an ihrer inneren Nervosität lag.

Es verschlug ihr schier den Atem, als Michael in die Einfahrt zu seinem Elternhaus einbog. Die weiße Jugendstilvilla wurde von gußeisernen Laternen hell erleuchtet, so konnte Corinna trotz der Dunkelheit den gepflegten Prachtbau gut erkennen.

»Mein Gott«, murmelte sie beklommen, »das ist kein Haus, sondern ein Schloß.«

»Na, so großartig ist es auch wieder nicht. Komm, ich helfe dir aus dem Wagen.«

Die Tür wurde geöffnet, noch bevor Michael und seine hübsche Begleitung die Marmorstufen hinauf gestiegen waren.

Eine ältere Frau mit weißer gestärkter Spitzenschürze und Häubchen grüßte: »Guten Abend, Herr Kirschner.«

»Hallo, Heidi«, gab er salopp zurück.

»Tun Sie nicht so, als hätten sie mich heute noch nicht gesehen.«

Die Hausangestellte lächelte verlegen und warf einen vorsichtigen Blick auf die bezaubernde junge Dame neben ihm.

»Sagen Sie bitte meinen Eltern, daß Frau Jäger und ich eingetroffen sind.«

Heidi nahm Corinna den leichten Mantel ab und hängte ihn an einen Garderobenhaken. Zaghaft sah Corinna sich in der Eingangshalle um, während Michael vor dem Spiegel den Sitz seiner Krawatte prüfte.

Im Inneren der Villa sah es noch prachtvoller aus als von außen. Überall Mamor und antike Möbel, wohin man auch sah. Eine breite geschwungene Treppe führte ins Obergeschoß, dort mußte Michael seine Wohnung haben.

Was hätte Corinna in diesem Moment dafür gegeben, mit ihm dorthin zu gehen, anstatt gleich den Kirschners gegenüberstehen zu müssen.

»Komm, laß uns hineingehen.« Er nahm sie leicht am Arm und führte sie in ein salonähnliches Zimmer. Heidi schloß geräuschlos die Tür hinter ihnen.

Zunächst erblickte Corinna nur den grauhaarigen Mann im Rollstuhl, der ihr mit einer Mischung aus Neugier und Skepsis entgegensah.

»Mutter, Vater – darf ich euch Frau Corinna Jäger vorstellen?« Michael legte besitzergreifend seinen Arm um ihre Schulter.

In diesem Augenblick sah sie Michaels Mutter in einem der kostbaren Chintzsessel sitzen. Margret Kirschners Lippen waren fest aufeinandergepreßt, und sie blickte die Frau an der Seite ihres Sohnes mit kalten Augen an.

Etwas hilflos reichte Corinna ihr die Hand, und nur zögernd ergriff Michaels Mutter diese. »Angenehm.«

»Sie sind also die Frau, von der unser Sohn neuerdings so oft redet«, stellte Hermann Kirschner mit erstaunlich kräftiger Stimme fest.

Corinna lächelte unbeholfen und gab auch dem Mann die Hand.

»Setzen Sie sich doch«, sagte Margret. »Möchten Sie vor dem Essen einen Sherry trinken?«

»Ja, gerne.« Corinna setzte sich vorsichtig auf die Kante eines der edlen Sessel. Ihr Herz klopfte bis zum Hals; auf den ersten Blick begriff sie, daß sie bei den Kirschners nicht willkommen war.

Wie auf Kommando erschien Heidi mit einem Tablett, auf dem schwere Gläser aus Bleikristall sowie eine Karaffe aus demselben Material standen.

Corinna wagte kaum aufzublicken, erst als sich Michael ihr gegenübersetzte, atmete sie auf. Sie fühlte sich so unwohl wie nie zuvor.

»Tja, das ist nun meine zukünftige Ehefrau«, sagte Michael, um die beklemmende Stille zu überbrücken. »Ich hoffe, ihr werdet euch bald aneinander gewöhnen.«

»Davon bin ich überzeugt«, sagte Margret viel zu schnell, als daß es hätte echt klingen können. Sie trug ihr graues Haar in einem strengen Knoten am Hinterkopf, was ihr ein herrisches Aussehen verlieh. Das taubengraue hochgeschlossene Kleid verstärkte diesen Eindruck noch.

»Erzählen Sie uns doch etwas über sich.« Margret nippte mit abgespreiztem Kleinfinger an ihrem Sherry, während Corinna noch nicht einmal wagte, ihr Glas zu heben.

»Ach, Mutter.« Michael schüttelte belustigt den Kopf. »Jetzt laß Corinna doch erst einmal ein bißchen warm mit euch werden – außerdem glaube ich nicht, daß ihr nicht schon alles von ihr wißt, nach dem, was ich schon über sie erzählt habe.«

Margret saß steif und mit versteinertem Blick da. Hermann Kirschner schien hingegen etwas gelockerter als seine Frau zu sein.

»Aus welchem Grund sind Sie eigentlich geschieden?«

»Hermann!« ertönte Margrets empörte Stimme.

»Ich will eben genau wissen, mit wem wir es zu tun haben. Wenn eine Ehe zerbricht, sind schließlich immer beide Partner daran schuld, nicht wahr?«

»Vater, ich muß dich doch sehr bitten!« Jetzt klang auch Michaels Stimme entrüstet. »Du darfst nicht immer alle Menschen über einen Kamm scheren.«

»Laß nur, Michael. Wenn dein Vater wissen möchte, weshalb ich geschieden bin, erzähle ich es gerne«, sagte Corinna leise – obwohl sie der Meinung war, daß es zu diesem frühen Zeitpunkt Hermann Kirschner eigentlich nichts anging.

»Mein Mann hat mich während unserer gesamten Ehe mit anderen Frauen betrogen. Ich saß mit unserer kleinen Tochter zu Hause, und er führte sein Junggesellenleben weiter, bis ich es nicht mehr aushielt.«

»Wie unangenehm«, sagte Margret ohne Anzeichen von Anteilnahme – und wie Corinna feststellte, mit einem Anflug von Enttäuschung.

»Das Essen ist serviert«, meldete Heidi in diesem Augenblick, Corinna atmete erleichtert auf.

Michael schien von der ablehnenden Haltung nichts zu spüren; während des vorzüglichen Fünf-Gänge-Menüs plauderte er sorglos über die gemeinsame Zukunft mit Corinna.

Daß seine Eltern immer ruhiger und ihre Gesichter immer länger wurden, fiel ihm nicht auf; der jungen Frau jedoch entging keine Gemütsregung der Kirschners.

»Ich möchte, daß Corinna aufhört zu arbeiten, wenn wir verheiratet sind«, sagte er beim Dessert unvermittelt, und sie hob erstaunt den Kopf.

»Aber warum denn? Die Arbeit in deinem Vorzimmer macht mir riesigen Spaß!«

»Das glaube ich dir gerne, mein Liebling. Doch ich finde, daß du dir dann den Luxus erlauben kannst, dich intensiver um Sarah zu kümmern.« Und zu seinen Eltern gewandt: »Die Kleine ist ein richtiger Goldschatz. Ihr werdet sie sofort in euer Herz schließen, wenn ihr sie seht.«

Corinna wußte, daß sie dies nicht tun würden.

Margret Kirschner räusperte sich. »Michael, bist du so lieb und holst noch eine Flasche Bordeaux aus dem Weinkeller? Du weißt, daß ich Heidi nicht gerne damit beauftrage, da sie Angst hat, in den Keller zu gehen.«

»Das ist mir noch nie aufgefallen.« Michael erhob sich augenblicklich und legte seine Serviette neben den Dessertteller. »Natürlich kümmere ich mich darum.«

Corinna starrte auf ihr Himbeer-Sorbet, sie wagte kaum, Michaels Eltern anzusehen. Es war unangenehm, mit ihnen alleine zu sein, und sie betete, daß Michael sich mit dem Wein beeilen würde.

»Sie wollen also unseren Sohn heiraten«, stellte Margret schließlich mit eiskalter Stimme fest.

»Nun«, Corinna tupfte sich mit ihrer Damast-Serviette die Mundwinkel ab. »Michael hat mir einen Heiratsantrag gemacht und nicht umgekehrt.«

»Das wäre ja auch noch schöner«, brummte Hermann Kirschner. »Dem eigenen Chef ein Heiratsangebot zu machen.«

Corinna unterließ es, ihm zu sagen, daß sie in Michael schon lange nicht mehr ihren Chef sah, statt dessen schwieg sie.

»Sie wissen natürlich ebensogut wie mein Mann und ich, daß diese Heirat unmöglich ist. Unser Sohn ist ein angesehener und vermögender Unternehmer – und Sie sind nur seine Tippse.«

Empört holte Corinna tief Luft. Mußte sie sich diese Schmach gefallen lassen?

»Außerdem bringen Sie ein Kind mit. Ausgeschlossen, daß

es einmal Michaels Erbe sein wird.«

Daran hatte Corinna noch nie gedacht. »Wenn Ihnen meine Tochter Sorgen macht, dann kann man doch sicherlich eine diesbezügliche Vereinbarung treffen.«

Margret lachte hart auf. »Und Sie glauben allen Ernstes, daß sich unser Sohn darauf einlassen würde? Er ist zwar ein guter Geschäftsmann, aber wenn er verliebt ist, ist er so blind wie ein Maulwurf.«

Corinnas Herz schlug vor Wut bis zum Hals. Was bildeten sich die Kirschners eigentlich ein? Daß sie und Sarah gemeine Erbschleicher waren?

Sehnsüchtig schielte sie zur Tür, doch Michael ließ sich anscheinend viel Zeit mit dem Wein. Instinktiv wußte Corinna, daß die Kirschners alles dafür tun würden, um diese Heirat zu verhindern.

»Hören Sie.« Margret senkte ihre Stimme. »Ich kann verstehen, daß Sie und Ihr Kind es nicht leicht haben. Aus diesem Grunde habe ich das hier vorbereitet.«

Sie schob Corinna mit spitzen Fingern einen Scheck über das Tischtuch. Verständnislos blickte sie zuerst auf die hohe Summe, die dort eingetragen war, dann wieder zu Michaels Mutter. »Ich verstehe nicht.«

»Das Geld gehört Ihnen – unter der Bedingung, daß Sie unseren Sohn zufrieden lassen. Ziehen Sie in eine andere Stadt und beginnen Sie dort ein neues Leben. Ich denke, dieses Geld wird Ihnen einiges erleichtern.«

Noch immer starrte Corinna ihr Gegenüber an. Sie konnte nicht fassen, was die Kirschners ihr da anboten.

»Ich lasse mich nicht kaufen«, sagte sie mit erstaunlich fester Stimme.

»Jeder ist käuflich«, erwiderte Margret kühl, »man muß nur genügend Geld bieten. Ich hoffe, Sie lassen sich unser gutgemeintes Angebot durch den Kopf gehen.«

»Ich zeige Ihnen, was ich von ihrem gutgemeinten Angebot halte.« Corinna nahm den Scheck und riß ihn in kleine Schnipsel.«

Empört warfen sich die Kirschners gegenseitig einen Blick zu. Mit so viel Undankbarkeit hatten sie wohl nicht gerechnet.

Corinna fühlte sich elend und dennoch befreit. Sie liebte Michael und würde nicht zulassen, daß seine Eltern alles kaputtmachten.

»Ich denke, es wird Ihnen nicht recht sein, wenn ich Michael von diesem… Tauschgeschäft erzähle.«

In diesem Moment waren seine Schritte zu hören, und Corinna bedeckte den zerrissenen Scheck mit ihrer Serviette.

»Warum hast du denn diesen Wein in der hintersten Ecke versteckt?« fragte Michael gutgelaunt. »Ich habe ihn eben erst entdeckt.«

»Entschuldige«, gab Margret mit hölzerner Stimme zurück. »Ich hatte vergessen zu erwähnen, daß ich den Weinkeller habe umräumen lassen.«

Geschickt öffnete Michael die Flasche und schenkte ein. »Habt ihr euch gut unterhalten, während ich auf der Weinsuche war?«

»Ausgezeichnet«, klang Margrets gepreßte Stimme. Dabei warf sie Corinna einen warnenden Blick zu. Sie sollte es ja nicht wagen, ihrem Sohn von der kleinen Unterredung zu berichten.

Doch diesmal erwiderte Corinna den kalten Blick; sie hatte keine Angst mehr vor den Kirschners…

*

»Wann darf ich denn meine neuen Großeltern kennenlernen?« quengelte Sarah, kaum daß sie daheim war. »Sind sie so lieb wie Charlenes Großeltern?«

Hilflos suchte Corinna nach den richtigen Worten. Sie konnte der Kleinen unmöglich erzählen, welch durchtriebene Leute das waren und daß weder sie noch ihre Mutter willkommen in deren Haus waren.

»Tja, weißt du…« Corinna setzte Sarah auf ihren Schoß. Michaels Vater ist sehr krank, er hatte früher mal einen Unfall und kann seitdem nicht mehr laufen.«

»Der arme Opa«, erwiderte das Mädchen mitleidig. »Soll ich ihm ein Bild malen, damit er wieder fröhlich ist?«

Mit Schaudern dachte Corinna an das brummige Gesicht Hermann Kirschners. »Später vielleicht. Er fühlt sich oft nicht sehr wohl und braucht viel Ruhe.«

»Macht nichts, ich kann auch ganz, ganz still sein.«

Corinna mußte schmunzeln. Das konnte sie sich bei ihrer lebhaften und stets plappernden Tochter nicht richtig vorstellen. »Wir werden Michael fragen, wann du mal seine Eltern besuchen darfst. In Ordnung?«

»Na gut.« Unruhig rutschte Sarah vom Schoß ihrer Mutter. »Ich spiele jetzt ein bißchen mit meinem Teddy.«

»Gute Idee.« Corinna blieb allein in der Küche sitzen und starrte nachdenklich die Wand an. Noch gestern abend hatte sie versucht, Michael behutsam zu erklären, daß seine Eltern sie nicht mochten – doch er hatte ihre Bedenken zerstreut mit den Worten: »Meine Eltern sind ein bißchen wortkarg und leicht verschroben. Sie können sich halt nicht richtig vorstellen, daß ihr einziger Sohn erwachsen geworden ist.«

Doch Corinna wußte es schließlich besser. Hatte unter diesem Gesichtspunkt eine Ehe mit Michael überhaupt eine Chance, zu funktionieren? Würden seine Eltern nicht ständig versuchen, einen Keil zwischen ihn und sie zu treiben?

Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Sie konnte und wollte nicht auf Michael verzichten – er war ihr inzwischen genauso wichtig wie Sarah.

*

»Das ist doch nicht dein Ernst?« fragte Corinna, als Michael ihr einige Tage nach der unerfreulichen Begegnung mit seinen Eltern diesen unmöglichen Vorschlag machte.

»Aber weshalb denn nicht? Meine Wohnung ist groß genug für uns drei, warum solltet ihr nach der Hochzeit nicht bei mir einziehen?«

Sie zögerte. Sollte sie Michael doch von dem Scheck erzählen, den seine Eltern ihr angeboten hatten?

»Michael, dein Vater ist krank. Ich glaube nicht, daß es ihm gefallen würde, plötzlich zwei Personen mehr im Haus zu haben – dazu eine quirlige Fünfjährige, die den ganzen Tag die Treppen hoch und runter rennt.«

Michael machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach was, so krank ist mein Vater nicht. Außerdem glaube ich, daß es meinen alten Herrschaften ganz gut tut, wenn frischer Wind ins Haus weht. Seit dem Unfall gehen die beiden kaum noch aus – so hätten auch sie ein bißchen Ablenkung.«

Corinna schauderte innerlich. Den ganzen Tag dicht an dicht mit den herzlosen Kirschners zusammensein? Das konnte Michael nicht von ihr verlangen – das nicht!

»Außerdem glaube ich nicht, daß es deinen Eltern gefallen würde, wenn Sarah und ich in ihr Haus einziehen«, versuchte sie Michael zu überreden, sich eine eigene Bleibe zu suchen.

Zu ihrer Überraschung antwortete er: »Ich habe sie schon gefragt – sie sind einverstanden. Du siehst, es ist alles geregelt.«

Corinna schwieg betroffen. Sie wußte, daß die Kirschners nicht ihre Einwilligung gegeben hatten, weil sie plötzlich ihre Zuneigung zur zukünftigen Schwiegertochter entdeckt hatten. Sie ahnte, daß sie ihr das Leben zur Hölle machen wollten; und wenn sie Corinna so dicht vor ihrer Nase sitzen hatten, würde ihnen das nicht allzu schwer fallen.

»Was ist denn, mein Liebling?« Michael legte seinen Arm um ihre schmale Taille. »Gefällt dir denn mein Elternhaus überhaupt nicht?«

»Doch, natürlich tut es das…«, erwiderte sie hilflos.

»Weißt du, ich hätte nämlich ein schlechtes Gewissen, wenn ich die alten Leutchen so allein zurücklassen sollte«, erklärte er respektlos. »Immerhin bin ich ihr einziges Kind, und sie haben sich schon öfters darüber beschwert, daß ich so selten zu Hause bin.«

Corinna gab sich die größte Mühe, ihr Lächeln ehrlich erscheinen zu lassen. »Wenn du meinst, daß das gutgeht.«

»Natürlich geht es gut! Sieh mal, für Sarah wäre es doch toll, in dem riesigen Garten zu spielen und ein großes Kinderzimmer zu besitzen.«

Sie dachte an die entsetzten Gesichter der Kirschners, wenn Sarah ihre kleinen Freunde einlud, die mit schmutzigen Schuhen über den spiegelblanken Marmorfußboden und die Orientteppiche liefen, doch sie sagte nichts.

»Laß es uns einfach versuchen, ja?« fragte er zärtlich und küßte ihr Haar. »Wenn es nicht klappt, können wir uns immer noch etwas Eigenes suchen.«

Sie nickte tapfer. »In Ordnung, laß es uns versuchen.«

*

Michael und Corinna hatten sich für eine kleine Hochzeit entschieden. Nur Standesamt und danach einen Empfang für die Belegschaft der Firma. Später wollte das frischgebackene Brautpaar mit Michaels Eltern im selben Hotel essen.

Sarah hatte die Kirschners erst wenige Tage vor der Hochzeit getroffen; schließlich mußte das Mädchen nicht nur die zukünftigen Großeltern, sondern auch ihr neues Zuhause kennenlernen.

Ihre himmelblauen Augen wurden immer größer, als sie an der Hand ihrer Mutter das riesige Haus betrat.

»Mami, ist das ein Schloß?« fragte sie fast ehrfürchtig, dicht an Corinna gedrängt. »Wohnt hier ein König?«

Michael lachte. »Im Gegenteil. Meine Eltern sind ganz normale Menschen.«

Das bezweifelte Corinna, doch sie behielt ihren Kommentar für sich.

Sarahs Lächeln erlosch, als sie schließlich den Kirschners gegenüberstand. Wie bei dem ersten Besuch Corinnas verhielten sie sich reserviert und blickten die Kleine kaum an.

Ratlos sah Sarah immer wieder zu ihrer Mutter. Warum waren Michaels Eltern so ganz anders als die Großeltern von anderen Kindern? Ob es nur daran lag, daß der Opa nicht laufen konnte und vielleicht sogar Schmerzen hatte?

Auf dem Heimweg war Sarah entgegen ihrer sonstigen Art relativ still. Michael hatte noch einen Geschäftstermin und konnte daher seine zukünftige Familie nicht begleiten.

»Mami?« kam es nach einer Weile zaghaft von der Rückbank.

»Ja, mein Engel?« Corinna gab ihrer Stimme einen munteren Ton, obwohl sie ganz genau wußte, was ihre kleine Tochter beschäftigte.

»Ich glaube, Michaels Eltern mögen mich nicht besonders.«

Corinna zögerte einen Moment. Sie hatte gewußt, daß diese Feststellung kommen würde, denn Sarah war ein aufgewecktes Mädchen und merkte sofort, wenn etwas nicht stimmte. »Ich habe dir doch gesagt, daß Herr Kirschner krank ist, du hast ja gesehen, daß er sich nur im Rollstuhl bewegen kann – und dann wird man manchmal ein bißchen komisch, wenn alle Menschen laufen können, nur man selber nicht.«

»Aber Michaels Mutter ist nicht gelähmt!« rief die Kleine aufgebracht. »Und sie hat mich auch immer so streng angesehen.«

Corinna seufzte. Was sollte sie Sarah darauf nur antworten?

»Ich finde, sie reden nur mit Michael ganz normal«, kam ein weiterer Kommentar von hinten.

»Nun«, begann Corinna zögernd, »für seine Eltern ist es eine große Umstellung, plötzlich ein kleines Mädchen im Haus zu haben. Das Haus gefällt dir doch, nicht wahr?«

»O ja! Mein neues Zimmer ist viel größer als in unserer Wohnung – und der Garten viel schöner als der Park bei uns.«

»Na, siehst du. Wenn wir dort eingezogen sind, werde ich den ganzen Nachmittag für dich Zeit haben – oder bereust du es, dann nur noch vormittags in den Kindergarten zu gehen?«

»Nein, viel lieber bin ich mit dir zusammen. Werden wir dann viel unternehmen?«

»Ganz bestimmt.« Corinna wußte schon zu diesem Zeitpunkt, daß sie sich so wenig wie möglich in ihrem zukünftigen Zuhause aufhalten würden, wenn Michael nicht da war.

»Hör mal, mein Schatz, am besten, du sagst Michael nichts davon, wie dir seine Eltern gefallen. Er könnte nämlich sehr traurig darüber sein, daß du und ich sie nicht so sehr mögen wie er.«

»Gut, Mami.«