Echte Verbindung von Anfang an - Katrin Lehner - E-Book

Echte Verbindung von Anfang an E-Book

Katrin Lehner

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Beschreibung

Was bestimmt hauptsächlich die Entwicklung des Kindes, was bestimmt das Glück des Kindes und das harmonische Miteinander in der Familie?- Dieses Buch zeigt anhand vieler Beispiele auf, wie ausschlaggebend die elterliche Bezugsperson und ihre innere Welt dafür ist. Sie bestimmt das Glück des Kindes, die Qualität der Bindung und die gesamte kindliche Entwicklung. Eine authentische, reflektierte und feinfühlige Bindungsperson im Leben des Kindes ist DER entscheidende Faktor für dessen Gesamtentwicklung. Dieses zeigt diese umfassende Arbeit für Fachleute und wissensuchende Eltern anhand vieler Beispiele auf. Es richtet das Augenmerk dabei im Gegenzug zu Daniel Sterns Betrachtungen über die Sicht des Säuglings auf die elterliche Seite. In der jungen Elternschaft geschehen Booster für die Selbstentwicklung von Mutter und Vater. Sämtliche eigene Themen erscheinen in der Interaktion mit dem eigenen Kind und sind unmittelbar auflösbar. Davon profitieren Kind und Erwachsene gleichermaßen. Eine authentische, reflektierte und feinfühlige Bindungsperson im Leben des Kindes ist der entscheidende Faktor für dessen Gesamtentwicklung. Dieses zeigt diese wissenschaftliche Arbeit anhand vieler Beispiele auf. Es ist eine Zusammenfassung der bedeutendsten Entwicklungspsychologen, Psychoanalytiker und Bindungstheoretiker, die sich mit dem komplexen Miteinander zwischen Elternteil (dort noch oft als "Mutter" gefasst) und Kleinkind/Baby beschäftigt haben. Das Buch zeigt die Übersetzung der elterlichen inneren Welt in die Interaktion mit dem Kind und die resultierende Entwicklung anhand der wichtigsten Ansätze auf. Katrin Lehner arbeitet als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin in eigener Praxis. Sie hat neben der frühen interaktionszentrierten Eltern-Baby und -Kleinkind-Beratung diverse Ausbildungen absolviert, um schnellstmöglich Familien in ihre ureigene Kraft und ein glückliches Miteinander zu verhelfen.

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Katrin Lehner

Echte Verbindung von Anfang an – Transmission zwischen elterlicher Vorstellungswelt und kindlicher Entwicklung

Elterliche Repräsentationen und ihre Wirkung auf die kindliche Entwicklung

© 2020 Katrin Lehner

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

 

Paperback:

978-3-347-00731-4

Hardcover:

978-3-347-00732-1

e-Book:

978-3-347-00733-8

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Ich widme diese Arbeit meinen Kindern Luca, Niclas und Ella

The truth is not that what you know it is what you believe

(unknown)

Villa of Wonderment.com

Überlegungen zu elterlichen Repräsentationen und ihre Bedeutung für die Interaktion mit dem Säugling/ Kleinkind

www.kinderberlin.net

INHALTSVERZEICHNIS

Einleitung

1.1 Problemansatz im Kontext

1.2 Eingrenzung des Themas

1.3 Zielsetzung und Aufbau der Arbeit

2.1 Einführung in die frühe Eltern-Kind-Interaktion

2.2 Das Wesen der frühen Eltern-Kind-Interaktion

2.3 Die Bedeutung der frühen Interaktion für die weitere Entwicklung

2.4 Die Entwicklung der Bindung

2.5 Zusammenfassung

3.1 Einführung

3.2 Entwicklungsmerkmale der frühen Eltern-Kind-Interaktion

3.3 Das Konzept der Feinfühligkeit als Faktor für die Bindungsqualität

3.4 Arten der kindlichen Bindungsqualität

3.5 Erweiterung der Interaktionsqualität über den Moderator der Feinfühligkeit

3.6 Interaktionsstile

3.7 Zusammenfassung zum Qualitätsbegriff der Eltern-Kind-Interaktion und des elterlichen Interaktionsverhaltens

3.8 Zur Interaktionsbeobachtung und –beurteilung

4.1 Einführung und Einordnung in den Kontext

4.2 Der gegenwärtige Erinnerungskontext in seiner Rolle für die intergenerationelle Transmission

4.3 „Self-reflecting-scale“ nach Fonagy

4.4 „Affect-Attunement“ und Misattunement

4.5 Containment nach Bion

4.6 Authentizität der elterlichen interaktiven Bezogenheit

4.7 Nonverbale Interaktionsmöglichkeiten

4.8 Zusammenfassung der Ergebnisse

5.1 Die Sicht der Eltern auf das Kind

5.2 Störfaktoren des intuitiven Elternprogramms

5.3 Zum Begriff der elterlichen Repräsentationen

5.4 Voraussetzungen der entwicklungsförderlichen Responsivität der Eltern

5.4.1 Mütter mit sicheren Bindungsrepräsentationen oder spätere Verarbeitung einer unsicheren Bindung (autonome Bindungsrepräsentationen)

5.4.2 Abweisende Mütter

5.4.3 Mütter mit verstrickten Bindungsrepräsentationen

5.4.4 Mütter mit unverarbeiteten Traumata

5.4.5 Ergebnis

5.5 Zur Entwicklung und Veränderung der Repräsentationen

5.6 Zusammenfassung

6.1 Einleitung und Überlegungen zur Strukturierung der elterlichen repräsentationalen Welt

6.2 Der Bereich zwischen den mütterlichen Repräsentationen und den aktuellen Mutter-Kind-Interaktionen

6.3 Ursächliche elterliche Repräsentation (Elterlicher intrapschischer Hintergrund)

6.3.1 Schemata-of-being-with der Mutter

6.3.2 Organisationsmodi über klinisch relevante Grundthemen und Motivationssysteme

6.3.3 Das Modell des dominanten Themas (Stern 1998)

6.3.4 Zu Abwehrmechanismen

6.4 Mentalisierungsgrad der mütterlichen affektiven Erfahrung

6.4.1 Das Modell der narrativen Kohärenz (Stern 1998)

6.4.2 Metakognition

6.5 Phantasiestil der Mutter gegenüber dem realen Kind

6.5.1 Ursachen abweichenden elterlichen Containments

6.5.2 Grad der Entsprechung des elterlichen Interaktionsbeitrags auf die kindlichen Signale

6.5.3 Paradoxe Stimulation

6.5.4 Nicht-Abstimmung, Fehlabstimmungen und selektive Abstimmungen

6.5.5 Das ontogenetische Modell (Stern 1998)

6.5.6 Weitere Ursachen von Störungen in der Eltern-Kind- Interaktion

6.6 Interaktionscharakter

6.7 Zu Interaktionsbeiträgen des Kindes

6.8 Zusammenfassung

6.9 Bezug zu möglichen therapeutisch-beraterischen Interventionen

7.1 Zusammenfassung der Ergebnisse

7.2 Kritische Reflexion

7.3 Mögliche Fortführung der Arbeit

7.4 Abschließender Gedanke

8.1 Danksagung

Einleitung

Einen Interessenschwerpunkt der Autorin im Rahmen ihrer Berufstätigkeit (Ergotherapeutin/ Personzentrierte Spieltherapeutin) und im Studium stellten frühe Interaktionsprozesse und Interaktionsqualitäten dar. Auch in der bisherigen Berufstätigkeit als Ergotherapeutin (Schwerpunkt Pädiatrie) und in der Weiterbildung der Personenzentrierten Spieltherapie lag der Fokus auf der Beziehungsqualität in der Therapie. So entstand bei der Autorin das Bedürfnis, diesen wichtigen Bereich der geglückten Beziehungsentwicklung und deren Abweichungen näher zu beleuchten und diesen wissenschaftlich zu untermauern.

Entscheidend für eine gute seelische Entwicklung sind bedingungslose liebevolle Annahme, natürliche Erfüllung der primären Bedürfnisse (Nahrung, Wärme, Schlaf, Bindung, Interaktion) und eine verständnisvolle Akzeptanz und Förderung der individuellen Eigenart des Kindes. Lediglich auf diese Art kann echtes Vertrauen, Neugierverhalten und gesundes Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl entstehen. Dabei ist die kontinuierliche Erfüllung dieser Bedingungen ausschlaggebend. In der westlichen, sogenannten zivilisierten Welt sind diese Bedingungen und die Erfüllung emotionaler Bedürfnisse oft nur unzureichend gegeben. Diese Arbeit soll dazu beitragen, die unmittelbaren Gründe für misslungene Eltern- Kind-Interaktionen wie z.B. fehlende Nähe und Respekt zu erkennen. Der Circulus Vitiosus von der Weitergabe elterlicher (erzieherischer) Mangel-Erfahrungen an die eigenen Kinder sollte erkennbar werden und möglichst frühzeitig unterbrochen werden können (Papousek et al. 2004).

Die Ausbildung eines tragenden Selbstwertgefühls, einer stabilen inneren Autonomie und Identität wird für die Kinder immer wichtiger, um kreativ mit den ihnen zunehmend zugemuteten Veränderungen und sozialen Unsicherheiten wie z.B. der Trennung der Eltern (Nach Fthenakis waren bei 49,2 % der minderjährigen Kinder der alten Bundesländer, 64,9 % der neuen von Scheidung betroffen (Fthenakis 1995. S. 127)) oder Wohnortwechseln (Spangler 2003). Dabei ist eine auf die Erfordernisse des Kindes abgestimmte Interaktion der Bezugspersonen ausschlaggebend und notwendig. Daniel N. Stern erfasst die Erfahrung des Säuglings und Kleinkindes von Selbstwirkung, Kohärenz, Affektivität und Kontinuität für die Entwicklung basaler Autonomie (Garlichs & Leuzinger-Bohleber 1999). Die Autorin möchte innerhalb dieses thematischen Zusammenhangs die ersten Interaktionsbedürfnisse des Kindes als das Fundament der Beziehungsund Bindungsentwicklung erfassen. Dabei spielen die Phantasien und Vorstellungen des erwachsenen Interaktionspartners eine große Rolle, da diese die „Inter-Affektivität“1 steuern (Dornes 1997. S. 143). Die frühen Interaktionsprozesse sind entscheidend für die Autonomie und die Identität des Kindes. Sie verlaufen wechselseitig zwischen Eltern und Kind und sind daher als „primäre Intersubjektivität“ bekannt (Dornes 1997. S. 143). Alle späteren Beziehungserfahrungen bauen auf diesen ersten Beziehungsrepräsentationen auf, diese bleiben jedoch auch stets im Detail veränderbar (Diebold 2000).

Die Erkenntnis der Bedeutung der frühen Eltern-Kind-Beziehung und der frühen kindlichen Erfahrungen in Umgang und Interaktion mit seinen erwachsenen Bezugspersonen hält immer mehr Einzug in unsere Sichtweise der frühen Kindheit. So wird z.B. durch die deutsche Rechtssprechung ein Vermeiden oder Mildern von frühen Trennungen von der kindlichen Bezugsperson angestrebt (Balloff 2002; Klüber & Terlinden 2002; Spangler 2003; Willutzki 2003). Durch Überforderungen der Eltern und Kinder, zunehmend komplexere ökologische Faktoren, weniger Spiel- und Lernraum für Kinder und dem Zerbrechen von stützenden und vorbildgebenden Familienstrukturen entsteht häufig noch ein Betreuungsnotstand. Die Umwelt muss sich in ihrem Kontakt zum Kind an dessen Bedürfnisse anpassen, Eltern müssen verständnisvoll und nicht abwertend und schuldgebend in ihren elterlichen Interaktionskompetenzen unterstützt und „gebildet“ werden (Ahnert 2003; Fleck 2003). Dafür müssen zumindestens Pädagogen, Therapeuten und beratend Tätige über das Wesen der Interaktion mit dem Kind, den Ursachen von Störungen und über die frühe Interaktions- und Bindungsentwicklung ein fundiertes Wissen aufbauen. Die Autorin möchte sich dabei mit den zeitlichen Anfängen der Interaktion beschäftigen und somit von den intuitiven Fähigkeiten des Erwachsenen (Elternteil) ausgehen.

1.1 Problemansatz im Kontext

In verschiedenen Fachrichtungen ist in der Forschung beginnend mit den siebziger Jahren nicht mehr nur ein retrospektiver Blick auf die frühe Kindheit, sondern prospektiv das Kind und seine Ursprungsfamilie Gegenstand der Betrachtung (Stern 1994). Noch immer ist es schwierig, den künftigen Ausgang einer gegebenen Eltern-Kind-Interaktion vorauszusagen, das heißt, ob sich die Beziehung positiv oder negativ entwickeln wird (Stern 1994). Von daher besteht ein Defizit in der Kleinkindforschung.

Primär steht die frühe Interaktion zwischen Eltern und Kind als wichtigster Entwicklungsfaktor neben den biologisch determinierten Schädigungen (als Risiko oder Schutzfaktor) für die kindliche Entwicklung (Sarimski 1993). Beckwith und Cohen konstatierten schon 1980 einen engen Zusammenhang zwischen der Qualität des elterlichen Umgangs, ihrer Angebote an das Kind, ihrer Sensibilität und der wechselseitigen Blickorientierung im ersten Lebensjahr und dem späteren Entwicklungsstand des Kindes (Sarimski 1993). Hunter et al. erwähnten 1987, dass der Anteil gut abgestimmter Spielepisoden mit späteren Intelligenztestergebnissen korreliert (Sarimski 1993). Diese Gedanken sind nicht neu. So hält der Aneignungstheoretiker Wygotski fest, dass alle höheren planenden und organisierenden Fähigkeiten im Kontext sozialer Interaktion erworben werden und erst später als individuelle Problemlösestrategien internalisiert werden (Elkonin 1980). Das bedeutet, dass Entwicklung als dynamische Wechselwirkung zwischen Kind und Umwelt verstanden wird. Der Fokus auf diese interaktive Sichtweise von Entwicklung ist in der

Bindungstheorie John Bowlbys zu erkennen. Bowlby erweiterte die psychoanalytische Triebtheorie um das genetisch verankerte Motivationssystem des Kindes nach mindestens einer Bindung an eine erwachsene, verlässliche und anwesende Bezugsperson (Bowlby 1953; Dornes 2000). Auch Forschungsergebnisse aus der Neuropsychologie und Neurophysiologie bestätigen dies: Schore bekräftigt, dass interaktive Erfahrungen unmittelbar auf genetische Systeme wirken, die das Gehirnwachstum programmieren (Schore 2003). Nach Schore bezeichnet zum Beispiel Gibson das Gehirn als „biosoziales Organ“ (Schore 2003. S. 52). Komplexe regulatorische Kapazitäten als Übergang von externer Regulation durch die Eltern zu interner Selbstregulation des Kindes reifen erfahrungsabhängig. Die sichere Bindungsbeziehung stellt somit eine entwicklungsfördernde Umwelt für die Reifung komplexer regulatorischer Kompetenzen dar (Schore 2003). So veröffentlichte beispielsweise auch Katharina Braun Untersuchungen, die frühe emotionale Erfahrungen als ersten emotionalen Lernprozess erfassen (Braun 2001). Dieser übt eine wichtige regulatorische Funktion bei der psychischen und intellektuellen Reifung mit konkret erfassbaren hirnbiologischen Veränderungen aus. Längsschnittuntersuchungen wie die Mannheimer Risikolängsschnittstudie (Laucht/ Esser/ Schmidt 1993) oder Untersuchungen von Werner in Kauai (Lehmkuhl 1999) bestätigen die Bedeutung der sozioemotional unterstützten Entwicklung auf die allgemeine Entwicklung des Kindes. Die frühe Eltern-Kind-Beziehung ist der Moderator zwischen der Ausgangssituation mit den biologischen Determinanten und dem kindlichen Entwicklungsergebnis (Sarimski 1993, 1998; Lehmkuhl 1999). Sie stellt einen wichtigen Schutzfaktor für das Überleben dar (Schore 2003).

Negative Auswirkungen psychosozialer Risikofaktoren gewinnen mit dem Älterwerden der Kinder zunehmend an Bedeutung. Biologische und psychosoziale Risikofaktoren haben additive Wirkung, aber eine positive und fördernde Interaktion mit nahen Bezugspersonen kann auch eine biologische Beeinträchtigung kompensieren (Lehmkuhl 1999).

Auch in der neueren Entwicklungspsychopathologie2 werden unter anderen bei Papousek die entwicklungsfördernden und protektiven Kräfte der frühen Eltern-Kind-Beziehung untersucht (Papousek 1998, 2001 a, 2001 b). Dabei sind die intuitiven und erworbenen Kompetenzen der Eltern und die Bedürfnisse und Fähigkeiten der Kinder, sowie deren Risikofaktoren in Wechselwirkung voneinander ausschlaggebend für die kindliche Entwicklung. In den Interaktionsstudien der Säuglingforscher fällt auf, dass sie die Angepasstheit der frühen Interaktion zwischen Mutter (Bindungsperson) und Kind in ihrer Besonderheit ausführlich beschreiben, die Störungen und Beeinflussungen finden aber lediglich bei wenigen Autoren Beachtung. Hierbei kann die Verknüpfung zwischen Säuglingsforschung, Entwicklungspsychologie,Entwicklungspsychopathologie und neuerer Psychoanalyse hilfreich sein. Bislang kann man diese jedoch erst bei wenigen Autoren beobachten. Des Weiteren werden Interaktionsqualitäten der Eltern und ihre zugrundeliegenden Motive oft nur exemplarisch angegangen. Ausnahmen bilden die psychoanalytischen Bindungstheoretiker wie Fonagy. Dort findet das Phänomen als „Transmission gap“ (Fonagy 1998. S. 356), der Übertragung der Repräsentationen der älteren Generation auf die jüngere Beachtung. Nach Stern ist seit den sechziger Jahren mit Wilfred Bion und Donald Winnicott der große Einfluss der mütterlichen Phantasien für die psychische Entwicklung des Säuglings und Kleinkindes bekannt (Stern 1998). Selma Fraiberg hat in den achtziger Jahren die Phantasien und Erinnerungen der Mutter in das Zentrum eines klinisch krankheitsbedingenden Prozesses mit Folge der gestörten Mutter-Säuglings-Beziehung oder der Symptombildung beim Säugling gesetzt (Stern 1998). Die mütterliche Repräsentation wurde damit für die Kliniker zur wichtigsten Bedingung innerhalb der Mutter-Kind-Psychotherapie. Auch in Europa richten Forscher wie Lebovici, Cramer und Kreisler ihren Blick auf elterliche Phänomene des „imaginären Babys“ oder des „phantasmatischen Babys“ (Stern 1998. S. 30). In der psychoanalytisch orientierten Therapie und Forschung ist bei Autoren wie Fonagy ebenso der Blick auf Repräsentationen der Mutter – seltener der des Vaters – gerichtet. Die elterlichen Repräsentationen werden ohne Frage als Mitverursacher pathogener Zustände des Kindes gesehen. Besonders die Entwicklungspsychologen und Bindungstheoretiker schenken mittlerweile mit Konzepten wie dem des „Inner working models“ (Bowlby 1976; Dornes 2000) und dem Konzept der Repräsentationen generalisierter Ereignisse (Bretherton 1984, Stern 1989) verstärkte Aufmerksamkeit.

1.2 Eingrenzung des Themas

In einem transaktionalen Entwicklungsmodell wird versucht, die Wechselwirkungsprozesse zwischen dem kindlichen Erfahrungsrepertoire und seiner Einbettung in eine subjekthafte Umwelt zu beachten (Speck & Thurmair 1989). Die Angebote der Umwelt und das kindliche Verhalten bilden ein wechselseitig verknüpftes System, angelehnt an Sameroff (Speck & Thurmair 1989) wird also die Interaktion im Eltern-Kind-System untersucht. Die Betrachtung ist daher beziehungsfokussiert. Störungen im Kleinkindalter werden als Ausdruck einer Beziehungsproblematik angesehen und dementsprechend betrachtet (Stern 1998). Vorweggreifend kann man die frühe Interaktion zwischen Bezugsperson und Kind nach Sarimski (Sarimski 1986, 1993) als reziprok erfassen. Das bedeutet, dass diese Arbeit lediglich aufgrund der Absicht einer Analyse differenziert bei einer Teileinheit der Interaktion ansetzt: dem kontinuierlich anwesenden Erwachsenen, der mit dem Kleinkind interagiert. Diese Fokussierung ist künstlich herbeigeführt.

Die Eltern-Kind-Interaktion wird von dem unterschiedlichen Erfahrungshintergrund der beteiligten Interakteure bestimmt. Im Gegensatz zum Kind ist das erwachsene Denken symbolisch organisiert (Dornes 1993). Somit bringt jedes Elternteil einen großen Anteil von Erfahrungen und Phantasien in die Interaktion mit dem Kind ein. Diese können positiv im Interaktionsgeschehen wirken und den Entwicklungsverlauf des Kindes und den Aufbau der (sicheren) Bindung fördern, aber sie können diesen auch negativ beeinflussen (Stern 1998). Wenn man diesen Bereich betrachten will, muss man sich auf der Grenze des Normalen (Entwicklungspsychologie) und dem Gebiet der psychoanalytischen Gedankenwelt und der Entwicklungspsychopathologie bewegen. Dabei möchte die Autorin jedoch betonen, dass die Absicht der Arbeit darin besteht, lediglich die Auslöser für spätere Risikofaktoren, unsichere Bindungsmuster oder desorganisierte Bindungen und Störungen der sozioemotionalen Entwicklung des Kindes anzudenken. Daraus folgert der Fokus auf die frühe Eltern-Kind-Interaktion. Die Autorin konzentriert sich dabei auf die Seite der Eltern und deren mentalen Voraussetzungen, die sie in die Interaktion einbringen.

Weitere wichtige Faktoren, wie die kindliche Seite mit ihren hohen Interaktionskompetenzen und v.a. dem kindlichem Temperament sowie die weitere Umgebung der Eltern-Kind-Beziehung werden in der Darstellung aus Gründen der Eingrenzung zurückgestellt. Daher liegt die Konzentration auf der dyadischen Interaktion zwischen Säugling/Kleinkind und Bindungsperson, im Folgenden zumeist als Elternteil oder Mutter benannt.

Die Autoren der verwendeten Literatur gehen zumeist auf die Mutter als Bezugsperson des Kindes ein, wie bereits erwähnt, wird der Vater als spezifische Bezugsperson noch immer selten beachtet. Aus diesem Grund wird in der folgenden Arbeit vorrangig die wichtigste Bezugsperson „Mutter“ genannt. Der Vater kann sicher viele Interaktionsbeiträge ebenso übernehmen. Jedoch betont Stern (Stern 1996,1998) die besonderen Phantasie- und Erfahrungsgehalte der männlichen Bezugspersonen des Kindes, die sicherlich durch eine geschlechtsspezifische Erziehung geprägt ist. Auch Grossmann und Grossmann unterscheiden Funktionen von Mutter und Vater bezüglich ihrer Bindungsangebote (Grossmann et al. 2001 a).

Diese Arbeit wird sich aufgrund des begrenzten Umfanges auf die ersten beiden Lebensjahre des Kindes und die ersten vorsprachlichen Interaktionsformen konzentrieren. Wo es möglich ist, wird ein Ausblick auf die spätere Entwicklung gegeben.

1.3 Zielsetzung und Aufbau der Arbeit

Normalerweise kann man eine biologisch adäquate Passung von kindlichen und elterlichen Kompetenzen in der Interaktion konstatieren (Papousek 1996, 1998, 2001 a, 2004). Ebenso kann man häufig ein sich gegenseitig positiv unterstützendes System nach Stierlin (Papousek 2000) beobachten. Dieses System ist jedoch sehr störanfällig. In dieser Arbeit sollen die Ursachen möglicher Störungen der Interaktion näher betrachtet werden. Ausgehend von entwicklungsfördernden elterlichen Interaktionsbeiträgen zum Aufbau der Bindung und entlang der kindlichen Entwicklung werden Ursachen möglicher Abweichungen dessen auf Seiten der Eltern und insbesondere ihrer mentalen und emotionalen Innenwelt erfasst. Damit möchte die Autorin einen wesentlichen Ursprungsort von Irritationen im Aufbau von sicheren Bindungsbeziehungen und von Entwicklungsstörungen des Kindes betrachten. Das Ziel stellt letztendlich die Erstellung hilfreichen Materials für die Unterstützung der seelischen Entwicklung von Säuglingen und Kleinkindern durch die Förderung einer positiven Eltern-Kind-Interaktion und –Beziehung dar.

Ziel der Arbeit ist das Erfassen von Auswirkungen elterlicher Phantasien und Einstellungen auf die Interaktion mit dem kleinen Kind und somit auf dessen Gesamtentwicklung. Um dieses greifen zu können wird zunächst die Interaktion im Kapitel 2 begrifflich untersucht und dann ihre Besonderheit in der frühen Säuglingszeit und Kindheit, sowie ihre Rolle für den ersten Beziehungs- und Bindungsaufbau erarbeitet. Die vorliegende Arbeit beinhaltet zunächst eine Literaturrecherche zum Thema der frühen Eltern-Kind-Interaktion und -beziehung. Dabei wird zunächst ein Überblick über wichtige Erkenntnisse und Forschungen aus den Bereichen der Entwicklungspsychologie, vorrangig der Bindungstheorie, der Entwicklungspsychopathologie und der Sozialpädiatrie gegeben. Ausgehend von allgemeinen Merkmalen, die in der dyadischen Interaktion und ihrer Entwicklung und der Bindungsentwicklung gelten und der Bedeutungserfassung der frühen Interaktion wird das Interaktionsverhalten der Eltern eingehender erfasst werden.

Des Weiteren wird auf Bindungs- und Interaktionsqualitäten eingegangen werden (Kapitel 3). Diese führen zu den Moderatoren, der Verbindung zwischen der elterlichen Interaktionsqualität und den elterlichen Phantasien in Punkt 5 und 6. Die Moderatoren stellen in Kapitel 4 die Brücke zwischen den elterlichen Repräsentationen und ihren Erfahrungen und der aktuellen elterlichen Beziehung zum Kind dar. Es werden bekannte Moderatoren zwischen dem elterlichen Verhalten (Output) und den ursächlichen Phantasien und Vorstellungen des Elternteils herausgearbeitet. Die Moderatoren bilden die erste Strukturierungshilfe für Kapitel 6, in dem konkrete elterliche Repräsentationen erfasst werden und auf ihr sichtbares Verhalten in der Interaktionssituation bezogen werden. Die Moderatoren sind ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg des Rückschlusses von der beobachtbaren Mutter-Kind-Interaktion und dem mütterlichen Interaktionsstil zu den Ursachen des mütterlichen Verhaltens. Es findet also eine Betrachtung von der allgemeinen begrifflichen Erfassung von Interaktion und kindlicher Bindungsentwicklung zu einer genaueren Betrachtung des Übersetzungsweges elterlichen intrapsychischen Erlebens in die Interaktion statt. Gleichzeitig wird in dieser Arbeit zunächst das beobachtbare Interaktionsverhalten betrachtet und von da aus der Weg zurück zu den Ursachen in den elterlichen Phantasien verfolgt.

In Kapitel 5 werden dann die elterlichen Phantasien in ihrem Wesen und Ursprung näher dargelegt. Aus der bestehenden Literatur werden Beispiele aufgegriffen und eine mögliche Struktur der Einordnung in Kapitel 6 angegangen. Dabei helfen vor allem die Arbeiten von Stern und Dornes sowie anderer Kliniker und Entwicklungspsychopathologen wie Burisch, Papousek, Hédervári- Heller, Zimmermann und andere. Das Ziel soll es sein, die „Interactional failures“3 sowie stimmige Interaktionssequenzen zu betrachten und mit ihren Ursächlichkeiten in der Phantasie der erwachsenen Bezugsperson zu verankern (Papousek & Papousek 1983. S. 31) (Kapitel 5). Die Gründe für die Interactional Failures, die nicht zusammenpassenden Interaktionen und ihre Störungen werden nach Dornes noch zu wenig untersucht (Dornes 1993). Dabei kann die Psychoanalyse einen Beitrag zur Säuglingsforschung leisten (ebenda).

In dem 5. und 6. Kapitel soll der für die Prävention und Intervention wichtigen Frage nach Ursachen für die Abweichungen elterlichen Interaktionsverhaltens von dem entwicklungsfördernden Verhalten in der frühen Interaktion nachgegangen werden. Hinsichtlich der Rolle der Repräsentationen der Eltern nehmen Autoren einen wichtigen Stellenwert ein, die die Bindungstheorie in ihre psychoanalytische Arbeit mit einbeziehen. Die Untersuchung der Repräsentanzenwelt war schon immer eine Domäne der Psychoanalyse (Dornes 1998), dabei stechen einige Autoren wie Peter Fonagy heraus. Einige Arbeiten können hierbei das Verhältnis von Bindungsrepräsentation bzw. Phantasien und Interaktionsverhalten der Eltern klären helfen. Die neuere Psychoanalyse ist dabei weitgehend mit Erkenntnissen aus der Bindungstheorie vereinbar, da sie ihren Fokus eher auf „Mikrotraumatisierungen“ innerhalb des frühen alltäglichen Interaktionsgeschehens als Auslöser von sozioemotionalen Problemen als auf den Komplex der ödipalen Phase und den der Triebphantasien des Kindes legt (Dornes 1998. S.329). Im Schlussteil des 6. Kapitels der Arbeit sollen die Ergebnisse dieser Arbeit zusammenfassend dargestellt werden.

Im 7. Kapitel erfolgen die allgemeine Zusammenfassung, der Ausblick auf eine möglichen Fortführung der Arbeit und ein kritisches Benennen der Mängel. Auch werden weiterführende Thematiken wie die langfristigen Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung und der Kreislauf zur folgenden Kindergeneration angesprochen. Fragen pädagogischer und psychotherapeutischer Prävention und Intervention sollen zumindest angeschnitten werden.

Im Gesamtkonzept dieser Arbeit werden wichtige Faktoren wie die kindliche Seite mit ihren hohen Interaktionskompetenzen und v.a. dem kindlichen Temperament sowie die weitere Umgebung der Eltern-Kind-Beziehung aus Gründen der Eingrenzung zurückgestellt. Das Ziel dieser Arbeit ist schlussendlich der Nutzen des erarbeiteten Wissens und der Zusammenhänge zwischen intrapsychischem Erleben der kindlichen Bezugsperson und der Eltern-Kind-Interaktion: Risiken in der Eltern-Kind-Interaktion können so schon vor dem schädigend weiterbestehenden Interaktionsverhalten der erwachsenen Bezugsperson erfasst werden. Eine primäre Prävention4 späterer kindlicher und jugendlicher Entwicklungsstörungen, Entwicklungsverzögerungen und psychischer Auffälligkeiten (inklusive des delinquenten Verhaltens) wird möglich.

Um eine Vereinfachung der Darstellung zu erreichen, übernimmt die Autorin den Begriff der „Mutter“ aus der früheren Bindungstheorie und der psychoanalytischen Literatur. Dabei möchte sie betonen, dass ebenso gut der Vater oder eine andere Bindungsperson, die sich vorrangig um das Kind in den ersten Jahren bemüht, gemeint sein kann. Zu Unterschieden in der Interaktion zwischen Vater und Mutter, die bei Grossmann näher beschrieben werden, wird die Autorin in dieser Arbeit nicht näher eingehen können. Diese sollten, genauso wie systemische und ökologische Gegebenheiten der Familie dem Leser immer präsent sein. Methodisch wird die Autorin sich jedoch auf eine künstliche Reduzierung auf die „Mutter-Kind-Dyade“ (Bindungsperson - Kind) einlassen, um unmittelbare Auswirkungen des Interaktionsverhaltens und der dahinter stehenden Phantasien der „Mutter“ betrachten zu können. Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie werden insbesondere aus dem Bereich der Bindungstheorie, die sich mit der Entstehung des ersten affektiven Bandes, der ersten Beziehung des Kindes beschäftigt, entnommen. Im 5. Kapitel werden auch Überlegungen aus der psychoanalytisch motivierten Säuglingsforschung von Bedeutung sein. Im Verlauf der Arbeit werden Kategorien des beobachtbaren Interaktionsverhaltens aus verschiedenen bindungstheoretischen und psychoanalytischen Quellen und Interaktionsbeschreibungen erwähnt und beim Erfassen der Auswirkungen elterlicher Phantasien und elterlichen Verhaltens in Punkt 6 wieder aufgegriffen. Es werden somit zu den bekannten Einzelfallbeispielen aus der Literatur elterliche Verhaltensweisen und ihre Ursachenzuschreibung in der elterlichen Vorstellungs- und Gedankenwelt (bewusst und unbewusst) oder eine Hierarchie erfassbarer Verhaltensanteile deutlich.

Die Arbeit soll in ihrer Gesamtheit also den Zusammenhang zwischen Bindungsrepräsentationen bzw. Phantasien und Interaktionsverhalten der Eltern klären helfen. Dabei sind die Ursachen für Abweichungen in der frühen Interaktion von Seiten des erwachsenen Interaktionspartners wichtig für die Prävention späterer Entwicklungsstörungen, sozioemotionaler sowie kognitiver Art und für Fragen pädagogischer und psychotherapeutischer Prävention und Intervention. Diese Fragen und eine kritische Reflexion werden im letzten Kapitel angerissen. Es folgt der Ausblick auf Nutzen und Chancen dieses erarbeiteten Wissens.

1 Nach Stern soll die Interaffektivität die „Gemeinsamkeit affektiver Zustände“ zwischen Kind und Bindungsperson erfassen (Dornes 1997. S. 143). Stern behandelt als weitere geteilte kognitive und emotionale Zustände die „Inter- attentionality“ (gemeinsame Ausrichtung von Aktivitäten) und die „Inter- intentionality“ (Gemeinsamkeit affektiver Zustände) (Stern 1996. S.187 ff.).

2 Nach Resch ist die „Entwicklungspsychopathologie“ als eine spezifische Fachrichtung im Bereich der Psychiatrie und Psychotherapie anzusehen. Sie hat das Verständnis von psychischen „Störungsphänomenen“ unter dynamischen Gesichtspunkten der Anpassung und Entwicklung zum Ziel (Resch 2004. S.32). Unter dieser Betrachtungsweise werden psychopathologische Symptome als Störungszeichen, die eine Problematik des Kindes in Auseinandersetzung mit den Personen in seiner Umwelt wiedergeben, verständlich. Es werden also dysfunktionale Beziehungsgefüge untersucht. (Resch 2004. S. 32)

3 „Interactional Failures“ werden nach Papousek (Papousek &Papousek 1983. S. 31) als vereinzelte Verhaltensweisen, die nicht zusammenpassen, beschrieben.

4 Primäre Prävention: Definition primärer Prävention als Vermeidungschädigender Einflüsse, nach Beckmann et al. und Neuhäuser in Speck/ Thurmair unter Beachtung der psychosozialen Faktoren (Familienstruktur, Elternbeziehung, soz. Netzwerk) (Speck/ Thurmair 1989).

2 Die frühe Eltern-Kind-Interaktion

2.1 Einführung in die frühe Eltern-Kind-Interaktion

Der Begriff der Interaktion wird aus dem Lateinischen mit Wechselwirkung oder wechselseitiger Beeinflussung übersetzt (Häcker/ Stapf 2004). Die soziale Interaktion wird als die gegenseitige Beeinflussung von Individuen innerhalb von und zwischen Gruppen und die dadurch entstehenden Änderungen des Verhaltens oder der Einstellungen, Meinungen, etc. definiert (ebenda). Als Merkmal der Interaktion besteht die Kontingenz. Die Interaktion wird zum Teil als soziale Fertigkeit angesehen (ebenda). Zwei oder mehr Menschen sind aufeinander bezogen und immer mindestens beidseitig interagierend (Wenniger 2000). Es gibt verschiedene Arten des Zusammenspiels (ebenda) und jede Interaktion umfasst zeitliche und psychologischinhaltliche Prozesse (ebenda). Lebovici bringt die Interaktion auch mit dem Begriff der Wechselwirkung und der gegenseitigen Abhängigkeit in Verbindung (Lebovici 1990). So erwähnt er Larousse, der Interaktion als Grundanschauung jeden dialektischen Denkens als wechselseitige Beeinflussung zweier Phänomene begreift (ebenda). So bedingen sich Individuum und Umwelt gegenseitig. Die Interaktionsvorgänge zwischen dem Individuum und der Außenwelt sind ebenso wie die epigenetischen5 Interaktionsprozesse zwischen den einzelnen Bestandteilen des Großhirns am Aufbau der Hirnstruktur beteiligt (ebenda).

Der Begriff der Interaktion ist vor allem durch den systembezogenen Ansatz und durch die Untersuchungen zur Kleinkindentwicklung in Psychologie und Psychopathologie weitverbreitet. Dabei ist sein Bezug zu kybernetischen systemtheoretischen Modellen häufig. Die Systemtheorie vertritt nach Lebovici die Ansicht, dass der Kausalzusammenhang bei Ereignissen, die den Menschen betreffen, nicht linear, sondern kreisförmig, vermittelnd und rückwirkend ist (Lebovici 1990). Der Schwerpunkt liegt auf der Betrachtung des aktuellen Ist-Zustandes, der Art der Interaktion. So findet auch der kybernetische Begriff der Homöosthase Bedeutung in dem Feld zwischenmenschlicher Interaktion. Von außen herangetragene Informationen lösen Veränderungen des Systems aus, im System besteht jedoch die Tendenz, einen Gleichklang zu erhalten. So dient die schizophrene Erkrankung eines Familienangehörigen eventuell zum Erhalt des Familiensystems (Lebovici 1990). Lebovici konstatiert eine sich wechselseitig beeinflussende Beziehung zwischen Mutter und Kind. Er greift unter vielen klassisch psychoanalytischen Theorien das Bonding nach Bowlby auf und bezeichnet dieses als erste innige Beziehung zwischen Mutter und Kind, die unter anderem das „Haut- Ich“ (Lebovici 1990. S. 43) beim Kind entstehen lässt, das diesem die Möglichkeit der Erfahrung eines Selbst und dessen Schutzes und Begrenzung durch seine Erfahrungen mit der Körperoberfläche ermöglicht. Die erste Beziehung ist also normalerweise sehr körperlich betont.

„Interaktionen umfassen den ganzen Bereich menschlicher Kontakte“ (Hédervári-Heller 2000 a. S.13). Dabei besteht eine Wechselbeziehung zwischen den Partnern einer Dyade, Triade oder in Gruppen, die aufeinander reagieren. Nach Oswald (Hédervári-Heller, E. 2000 a, 2000 b) ist der Prototyp aller Interaktionen die „dyadische Interaktion“, die Wechselbeziehung zwischen Mutter (als Hauptbezugsperson des Kindes) und Kind. In diesem Fall, der von der modernen Säuglingsforschung untersuchten frühen Interaktion besteht die wechselseitige Interaktion präverbal und verbal zwischen erwachsener Bezugsperson, wobei der biologische Mutterbegriff erweitert wurde, und dem Kind. „Interaktionsmuster beschreiben … nicht einzelne Personen, sondern Paare von Personen (Dyaden).“ (Asendorf & Banse 2000. S. 3). Eine Konstanz der Interaktionspartner und ihre gemeinsame Interaktionsgeschichte wirken stabilisierend auf das Interaktionsmuster (ebenda). Nach einigen „Interaktionsepisoden“ entsteht daher ein „stabiles Interaktionsmuster“ (Asendorf & Banse 2000. S. 4). Dieses charakterisiert die betreffende Dyade und erlaubt Vorhersagen ihres zukünftigen Verhaltens (ebenda). In diesem Fall kann man alltagspsychologisch von einer „Beziehung“ sprechen (Asendorf & Banse 2000. S. 4): „Eine Dyade hat genau dann eine soziale Beziehung, wenn sie mindestens ein stabiles Interaktionsmuster aufweist.“ (ebenda).

Kommunikation umfasst als Grundprinzip das Senden und Empfangen von Informationen (Wenniger 2000) und stellt die wichtigste Form der sozialen Interaktion als Prozess der Interaktionsübertragung dar (Häcker/ Stapf 2004). Sie kann im Gegensatz zur Interaktion auch einseitig und assymetrisch sein, sie wird jedoch zum Teil synonym zum Interaktionsbegriff gebraucht (ebenda).

Im deutschsprachigen Raum gibt es bislang keine Ansätze, den alltagspsychologischen Begriff der „Beziehung“ als Gegenstand einer Beziehungspsychologie zu betrachten (Asendorf & Banse 2000. S. 1). Die „(inter)personal relationships“ werden auch im angloamerikanischen Raum erst langsam zum Gegenstand einer interdisziplinären Forschung (ebenda). Eine einheitliche Definition eines Beziehungsbegriffs besteht bislang nicht, Beziehungen betreffen aber nach Asendorf und Banse immer eine Dyade (Asendorf & Banse 2000). Die soziale Beziehung hat als Basis den Kontakt und die Kommunikation, die in der Intensität sowie Art und Weise variieren können und dadurch die Beziehung prägen (Wenniger 2000). Die zwischenmenschlichen Beziehungen existieren im Rahmen unterschiedlicher Kontexte und Strukturen in sozialen Netzwerken und Dyaden. Die Bindung ist eine spezifische Beziehungsform, „Bindung“ wird lediglich als Teil des komplexen Systems der Beziehung verstanden“ (Brisch 1999 a. S. 35). Die zwischenmenschliche Beziehung wird als Gesamtheit der Interdependenzen des Erlebens und Verhaltens beider Menschen betrachtet (Wenniger 2000).

2.2 Das Wesen der frühen Eltern-Kind-Interaktion

Hanus Papousek hat die Bedürfnisse des Kindes um das Bedürfnis der Kommunikation mit den Bezugspersonen (dialogische Bedürfnisse) neben den Bedürfnissen nach Selbstwirksamkeit in Bezug auf die soziale und dingliche Welt, nach ungestörter Integration der Erfahrung, nach dem Vertrautwerden mit dem Unbekannten und nach dem Erkennen von Kontingenzen6 und der Voraussagbarkeit der Bezugspersonen erweitert (Papousek 1996, 1998, 2000, 2001 a). Dabei benötigt der Säugling und das Kleinkind eine Koregulation durch die Eltern und ihr auf die wachsenden kindlichen Fähigkeiten angepasstes responsives empathisches Verhalten (ebenda, Sroufe 2000). Generell scheint Kontingenz wachstumsfördernd zu sein. „Die Wahrnehmung von Kontingenz, die Herstellung eines (Sinn-) Zusammenhanges, die Einsicht in verborgene, bisher nicht integrierte Verbindungen, ist ein Akt des Bewusstseins und mit körperlichen Affektreaktionen verbunden.“ (Dornes 1993. S. 243). Die Eltern verfügen über ein genuines Elternprogramm mit einem breiten Repertoire an Verhaltensmustern (Wiederholungen, didaktische Angebote; Nachahmung) (Papousek 1996, 2001 a; Papousek et al. 2004). Sie besitzen im Normalfall eine spezifische Sensibilität und kontingente Responsivität, um die anfängliche kindliche Unreife zu kompensieren und die postpartalen (nachgeburtlichen) Reifungs- und Anpassungsprozesse zu unterstützen (ebenda). Die kindlichen Rückkopplungssignale dienen ihnen als Belohnung und Bestärkung für ihr elterliches Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen. Der Säugling braucht die Erfolge im Auslösen kontingenter elterlicher Antworten und in der Erfüllung seiner Erwartung. So entsteht eine wechselseitige positive Beeinflussung in ihrer Wirksamkeit ähnlich dem Konzept der positiven Gegenseitigkeit aus der systemischen Familientherapie nach Stierlin (Stierlin 1976; Papousek 2000, 2001 a). Beide Interaktionspartner verfügen über ein angeborenes Verhaltensrepertoire, ein „genuines implizites Beziehungswissen“ für die dyadische Interaktion und somit für den Aufbau einer tragenden Bindungsbeziehung (Papousek 2001 a. S. 4-5). So entwickeln sich entwicklungsfördernde und protektive Kräfte. Frühe Interaktionen sind nach Sarimski „Pseudodialoge“, bei denen die Eltern zunächst die soziale Interaktion initiieren und mit dem Verhaltenszustand des Kindes „synchronisieren“ (Sarimski 1986. S.24). Remo Largo beschreibt normale Krisen der kindlichen Entwicklung, die durch die fehlende wechselseitige Abstimmung von kindlichen Dispositionen und (der unangemessenen) Erwartungshaltung der Eltern entstehen (Largo 1993). Im Laufe des kindlichen Wachstums wechseln die Entwicklungsaufgaben (Nahrungsaufnahme und Verdauung; Schlaf- Wach-Organisation; Wahrnehmungsverarbeitung; affektive Erregungssteuerung; motorische Handlungsplanung; Regulation der Aufmerksamkeit und Erfahrungsinterpretation; Bindung und Exploration; Abhängigkeit und Autonomie) und die kindlichen Fähigkeiten sehr schnell (ebenda). So bestehen Phasen erhöhter Vulnerabilität7 für Interaktionsstörungen und psychopathologische Entwicklungen (Brisch 2000; Lehmkuhl 1999). Neben dem intuitiven elterlichen Umgang mit dem Kind wird nach Stern auch das implizierte Beziehungswissen als intuitive, nicht bewusste Ebene des prozeduralen Beziehungswissen des Erwachsenen aktiviert und bestimmt das elterliche Interaktionsverhalten (Stern 1986; 1996) (Punkt 5.3) .

Eine einphasige Interaktion beinhaltet nach Hédervári-Heller eine Reaktion der Mutter auf ein Signal des Kindes und somit eine Handlung von A nach B. Eine Handlung von Partner A zu Partner B und von B zu A nennt man reziproke oder zweiphasige Interaktion (Koch- Kneidl & Wiese 2000). In einer Spielinteraktion reicht das Kind der Mutter z.B. einen Gegenstand und die Mutter reicht diesen zurück (Hédervári-Heller 2000 a). In mehrphasigen Interaktionen oder Ketteninteraktionen wiederholen sich die Handlungen zwischen A und B (ebenda). Dabei sind viele Kommunikationsmittel anfangs nonverbal, so wie der Blickkontakt, die Pupillenerweiterung und die Face-to-face- Interaktion, taktile und Körpergesten und Vokalisationen (Baby-Talk; Intonation) (Schore 2003). Innerhalb sehr kurzer Zeiträume führt das Kind die Interaktion an, die Mutter folgt (Hédervári-Heller 2000 a). Es findet eine häufige Angleichung und Synchronisation der Verhaltenszustände statt, das Kind erfährt in den affektgeladenen interpersonalen Ereignissen ein hohes Niveau an kognitiver und sozialer Information (Schore 2003). Das Kind wird vitalisiert8 und seine Kohärenz und Komplexität in der Verhaltensorganisation wird erhöht (ebenda). „Die elterliche Unterstützung in der Zustandsregulation ist entscheidend dafür, dass das Kind lernen kann, aus negativen Affektzuständen eines übererregten Protestes (Angst) oder übererregter Verzweiflung (Depression) wieder einen positiven Affektzustand herzustellen.“ (Schore 2003. S. 61). Insofern sind die elterliche Interaktions- und Bindungskompetenz und die unterstützende Umwelt entscheidend für die positive kindliche Entwicklung. Die sich entwickelnden sozialen, psychologischen und biologischen Fähigkeiten können nur innerhalb der frühen Bindungsbeziehung, die nach Schore und Sroufe der Höhepunkt der dyadischen emotionalen Regulation ist, verstanden werden (Schore 2003; Sroufe 1996). Die Bindungsbeziehung wirkt direkt auf die Reifung des kindlichen rechtshemisphärischen Stressverarbeitungssystems des Gehirns und formt dieses (Schore 2003). Die Assoziation sozialer Informationen mit motivationalen und emotionalen Zuständen wird erst dadurch möglich.

Autoren wie Sarimski (Sarimski 1996, 1993) und Lebovici (Lebovici 1990) betonen den Charakter der Wechselseitigkeit oder Reziprozität in der Mutter-Kind-Dyade. Etwa ab dem sechsten Lebensmonat ist mindestens eine stabile Bindungsbeziehung zu einer engen Bezugsperson entstanden. Ab ca. 18 Lebensmonaten beginnt nach Stern das Gefühl eines intersubjektiven Selbst und von intersubjektiver Bezogenheit