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In der Eifel sinkt ein U-Boot, der Kapitän ertrinkt dabei. Doch was zur Hölle macht ein U-Boot in einem Trinkwasserspeicher, in dem sogar das Schwimmen verboten ist? Kommissar Fischbach würde alles andere lieber tun, als sich dieser Frage zu stellen. Zum Beispiel die Kochkunst seiner Frau genießen. Aber es bleibt nicht bei einem Toten, und bald jagt er mit seinem Kollegen Welscher einen Serientäter durch die Eifel, der durch überaus skurrile Mordmethoden auffällt.
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Seitenzahl: 444
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Nach seinem Studium in Köln verfasste Rudi Jagusch, Jahrgang 1967, zahlreiche Krimis. »Eifelteufel« ist seine fünfte Veröffentlichung bei Emons. Er lebt mit seiner Familie in Bornheim im Vorgebirge.www.krimistory.de
Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.
© 2013 Hermann-Josef Emons Verlag Alle Rechte vorbehalten Umschlagmotiv: © mauritius images/Ralf Adler Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch eBook-Erstellung: CPI – Clausen & Bosse, LeckISBN 978-3-86358-273-9 Originalausgabe
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»Jetz hamme de Kappes!«
Bombenstimmung am Urftstausee
Hermann Zingsheim presste das Fernglas an die Augen und blickte über den Urftsee.
Seit Stunden harrte er auf der Aussichtsplattform am südlichen Ende der Staumauer aus, ohne eine Menschenseele gesehen zu haben. Noch glitzerte die Wasseroberfläche im Sternenlicht. Doch im Osten malte die aufgehende Sonne bereits einen schwachen Pastellton an den wolkenlosen Horizont. Einige Singvögel begrüßten zwitschernd den nahenden Tag.
Das alles nahm Zingsheim nur unterbewusst wahr. Seine Gedanken kreisten um die Katastrophe, die er zu verhindern suchte.
Unglaublich, dachte er nicht zum ersten Mal. Seit Tagen kursierte das schockierende Gerücht durchs Internet, und niemand kümmerte sich darum: ein Anschlag auf die Staumauer.
Schon von Kindesbeinen an verfügte Zingsheim über eine blühende Phantasie. Nicht selten hatte ihn sein Vater gescholten, weil er wieder einmal einen Fuchs gesehen haben wollte, der angeblich den Hühnerstall ausraubte. Legendär waren auch die Horrorgeschichten, die er in der Schule erzählt hatte. Tatsächlich war es ihm einmal gelungen, eine Mitschülerin davon zu überzeugen, dass ihr Klassenlehrer, ein Alien, nur darauf wartete, sie allein zu erwischen, um sie dann auszusaugen. Heulend und total verängstigt war die Kleine nach Hause gerannt. Den anschließenden Rapport beim Rektor hatte er mit einem innerlichen Schmunzeln über sich ergehen lassen. Schließlich war der Lehrer wirklich nicht von dieser Welt gewesen.
Somit fiel es ihm nicht schwer, sich das drohende Szenario vorzustellen: den See, dessen Wasser sich aus einem riesigen Loch in der fünfundfünfzig Meter hohen Staumauer sturzartig in die Windungen des Eifelamazonas ergoss. Fünfundvierzig Millionen Kubikmeter pure Vernichtungsmasse, die durch das enge Tal schoss und alles niederriss, was ihr im Weg war. Dagegen wäre jeder Tsunami ein Plätschern in der Badewanne. In Einruhr, flussabwärts gelegen, würde kein Stein mehr auf dem anderen bleiben, und unzählige Opfer wären zu beklagen.
Vor einigen Jahren war der See einmal annähernd leer gewesen. Ein trockener Frühling hatte die Füllmenge bis auf zwanzig Prozent des normalen Volumens sinken lassen. Wenn es nur heute auch so wäre, dachte Zingsheim. Ein fast ausgetrockneter See würde ihn die Sache gelassener betrachten lassen. Stattdessen tröpfelte das Wasser stetig in die trichterförmigen Überläufe oberhalb des Kaskadenhanges, der sich nördlich an die Staumauer anschloss.
Die Eifeler konnten froh sein, dass er sich der Sache annahm. Sollten die Terroristen nur versuchen, eine Bombe an die verwitterten Steine der alten Staumauer zu heften! Er würde zur Stelle sein und den Tätern das Handwerk legen. Dann wäre es aus mit der Häme und dem Spott. Respektvoll würden sie ihm die Hand schütteln, ihn zu Empfängen einladen, und ganz sicher würde er das Bundesverdienstkreuz aus der Hand des Bundespräsidenten entgegennehmen.
Für einige Sekunden sah er sich auf dem roten Teppich durch die Hallen im Schloss Bellevue schreiten, bis er vor dem wartenden Staatsoberhaupt stoppte und den Kopf senkte, um sich das Band mit dem Orden um den Hals legen zu lassen.
Er lächelte. Der Gedanke gefiel ihm. Vielleicht ergab sich nach dem offiziellen Programmpunkt ja noch die Möglichkeit zum vertraulichen Gespräch. Dann könnte er dem Bundespräsidenten mitteilen, worauf dieser sein Augenmerk richten sollte. Zum Beispiel auf den Kometeneinschlag, den Zingsheim für den neunundzwanzigsten Februar des kommenden Jahres voraussagte. Es mussten Vorkehrungen getroffen, die Rettungskräfte informiert, gegebenenfalls sogar die Bundeswehr in Alarmbereitschaft versetzt werden. Ein Skandal, dass bisher niemand etwas unternommen hatte, wo doch die Zeichen so deutlich waren. Aber wenn er das Attentat hier am Urftstausee verhinderte, würden die Leute endlich auf ihn hören und ihn nicht mehr als »Eifel-Däniken« verballhornen.
Er seufzte. So ganz unrecht hatten sie ja nicht. Wenn er ehrlich mit sich selbst war, musste er zugeben, dass er einige Male weit danebengelegen hatte. Gut, er war unzuverlässigen Quellen aufgesessen. Daher war es eigentlich nicht seine Schuld gewesen. Das Einzige, was er sich persönlich vorwerfen musste, war sein manchmal etwas naiver Umgang mit Informationen. Dass der Bürgermeister von Schleiden eine Marionette der Islamisten war, eingesetzt, um die erzkatholische Eifel von innen heraus zu zermürben, hätte er kritischer hinterfragen sollen. Auch der kryptische Hinweis, den er von einem gewissen »Captain Gurk« via E-Mail erhalten hatte, wäre vermutlich recht leicht als Jux zu entlarven gewesen. Er war schlicht gutgläubig. Wenigstens hatte ihm die tagelange Suche nach dem abgestürzten UFO in den dichten Wäldern der verschneiten Eifel ordentlich Bewegung beschert. Und nicht nur das: Ihm war es als erstem Menschen überhaupt bei dieser Wanderung gelungen, den legendären Eifelpuma abzulichten. Das Foto zierte nun seine Homepage und brachte ihm zahlreiche Besucher ein. Den Hinweis von dem Zoologen im Gästebuch, es würde sich bei dem Tier nicht um den Eifelpuma, sondern um eine wilde Hauskatze handeln, hatte er daher vorsorglich gelöscht.
Aber das war alles Schnee von gestern. Diesmal hatte er gründlich recherchiert. Mehrere Quellen hatten das Gerücht, die Urftseestaumauer sei das Ziel von Terroristen, bestätigt. Klar, es blieb immer eine Unwägbarkeit. Zum Beispiel konnte der eine vom anderen abschreiben, dabei etwas hinzuerfinden, und zum Schluss wurde aus einer Mücke ein Elefant. Oder aus einem Knallfrosch in der Regenrinne eine Bombe im Urftsee.
Aber egal. Sein Motto lautete: »Lieber vorsehen als nachsehen«. Wenn er danebenlag, war es immer noch besser, hier unverrichteter Dinge wieder abzuziehen, als einer verpassten Chance, berühmt zu werden, hinterherzutrauern.
Eine Bewegung auf der nördlichen Aussichtsplattform oberhalb des Restaurants ließ seinen Puls nach oben schnellen. Er drehte am Rädchen für die Fokussierung, um die Schärfe zu verbessern. Dort stand eine Gestalt. Mit dem schwarzen Mantel, den sie trug, fiel sie in der Dunkelheit kaum auf. Ihre Umrisse verschwammen mit dem bewaldeten Hang im Hintergrund. In der Hand schien die Person einen Gegenstand zu halten, etwas Silbriges blitzte auf. Dann lag plötzlich ein hohes Sirren in der Luft, das an Intensität zunahm.
Zingsheim setzte das Fernglas ab und suchte nach der Ursache des Geräusches. Im schwachen Licht der Dämmerung erkannte er ein dunkles Objekt, das über dem See hinter der kleinen Insel, die dem Kaskadenhang der Staumauer vorgelagert war, Kreise zog. Eindeutig keine günstige Ausgangslage für einen Versuch, die Talsperre zu zerstören. Dennoch schien der Gegenstand die Quelle des Tons zu sein.
Er kniff die Augen zusammen. Ein Vogel? Die Ornithologie zählte nicht zu seinen Leidenschaften, doch von einem in der Eifel beheimateten sirrenden Vogel hätte er vermutlich trotzdem schon gehört. Ein anderer Schluss lag näher.
Mit dem Fernglas suchte er nach der Bestätigung seiner Annahme. Als er das fliegende Objekt gerade lokalisiert hatte, färbte sich der See darunter orange, und Luftblasen sprudelten wild um diese Stelle herum.
»Verdammt! Was geht da vor?«, fluchte er und dachte sofort an das Ungeheuer von Loch Ness. Er sah schon die Schlagzeile vor sich: »Urzeitmonster im Urftstausee!«. Die Presse würde sich um ihn als Augenzeugen schlagen.
Das Orange hellte sich zu Gelb auf, und das Sprudeln des Wassers nahm zu. Etwas brach durch die Wasseroberfläche, gleißendes Licht blendete ihn. Instinktiv schloss er die Lider.
Das Geräusch einer Explosion ließ ihn zusammenschrecken. Hastig ging er in die Knie und suchte hinter der massiven Brüstung Schutz.
»Mist, Mist, Mist«, heulte er auf. Jetzt war es passiert, und er hatte es nicht verhindern können. Anstatt aufmerksam zu sein, hatte er sich von einem unbekannten Flugobjekt ablenken lassen, während die Terroristen einen Sprengsatz zündeten. Hunderte, wenn nicht sogar Tausende Tote hatte er jetzt auf dem Gewissen. Die Erkenntnis, versagt zu haben, lähmte ihn.
Er schluckte hart, versuchte, den Kloß im Hals herunterzuwürgen.
Angestrengt horchte er auf das Knirschen der berstenden Mauer, das tosende Rauschen der in die Tiefe stürzenden Wassermassen, das Krachen der splitternden Baumstämme.
Doch nichts davon war zu vernehmen. Stattdessen war das Sirren verschwunden. Einige Vögel hatten den Schreck bereits überwunden und trällerten wieder munter.
War der Angriff fehlgeschlagen? Die Bruchsteine hielten einiges aus. Selbst die Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg hatten nur an der Mauerkrone gekratzt.
Mit zittrigen Fingern holte er seinen silbrig glänzenden Flachmann aus der Manteltasche und nahm einen großen Schluck. Der Selbstgebrannte explodierte warm in seinem Magen und beruhigte die flirrenden Nerven. Sein Puls normalisierte sich. Er steckte den Behälter zurück in die Tasche, ballte die Hände zu Fäusten und bereitete sich auf einen schrecklichen Anblick vor. Mit der Schulter an der Brüstung schob er sich nach oben und starrte über den Rand.
Staunend öffnete er den Mund.
Das hatte er nicht erwartet.
* * *
Schlaftrunken öffnete Jan Welscher die Augen. Ein Geräusch hatte ihn aus seinen Träumen gerissen. Lars saß auf der Bettkante, beugte sich vor und küsste ihn auf die Stirn. Der Moschusduft seines Rasierwassers lag schwer in der Luft. In dem nachtblauen Anzug und der dazu passenden Krawatte wirkte Lars steif und unnahbar. »Ich muss los«, sagte er.
»Schon?«, jammerte Welscher, der Lars bereits jetzt vermisste. Zum ersten Mal, seit sie zusammen waren, hatte sein Freund bei ihm in Köln übernachtet, und sie hatten eine wundervolle Nacht miteinander verbracht. »Wie viel Uhr haben wir denn?« Suchend sah er sich nach dem Radiowecker um.
»Kurz nach fünf«, antwortete Lars. Er bückte sich und stellte das Gerät wieder auf den Nachttisch. »Ein Opfer unserer gestrigen Aktivitäten.« Er lachte verhalten. »Nur gut, dass ich mich auf mein Smartphone verlassen kann.«
»Ich habe nichts gehört.«
»Vermutlich warst du schlicht total ausgelaugt.« Schelmisch zwinkerte er ihm zu.
Welscher gähnte herzhaft. »Sollen wir noch frühstücken?«
»Um kurz nach fünf?«
»Oder einen Kaffee?«
»Wäre klasse, aber ich muss wirklich los.«
»Wir könnten auch …« Welscher streckte die Hand aus und ließ sie langsam auf Lars’ Oberschenkel in Richtung Schritt gleiten.
Lars packte sie, hob sie an seinen Mund und hauchte einen Kuss darauf. »Na, du bist mir einer. So früh am Morgen? Das mit dem ausgelaugt nehme ich zurück.«
Sie kicherten wie kleine Kinder.
»Wann treffen wir uns wieder?«, fragte Welscher. Er wappnete sich innerlich ob der schmerzhaften Antwort, die nun folgen würde. Lars lebte unter der Woche in einer kleinen Wohnung in Luxemburg und ging von dort aus zur Arbeit. Er konnte nicht jeden Tag die Strecke nach Köln fahren, um ihn zu treffen, auch wenn Welscher genau das gern hätte. So blieben ihnen nur die Wochenenden in Kronenburg. Lars hatte dort ein Haus, in das er sich an seinen freien Tagen zurückzog, um sich in die Künstlerin Larissa zu verwandeln, und seit sie sich vor einigen Monaten während der Ermittlungen in einem Mordfall zum ersten Mal begegnet waren, verbrachte Welscher die Wochenenden bei ihm in der Eifel. Heute war Mittwoch, noch ewig bis zum Wiedersehen. Wie sollte er das nur aushalten?
Lars seufzte. »Was fragst du? Wie immer am Freitagabend.«
Welscher nickte tapfer. Er wollte vermeiden, dass Lars ihm die Enttäuschung anmerkte. Sein Freund sollte kein schlechtes Gewissen mit nach Luxemburg nehmen.
»Mach nicht so ein Gesicht. Den Freitag haben wir für uns. Und am Samstag feiern wir mit unseren Freunden meinen Geburtstag. Das sind doch positive Aussichten.«
»Okay«, stimmte Welscher etwas halbherzig zu. Nach der intensiven Nacht hatte er ein wenig Hoffnung gehegt, Lars würde die weite Fahrt nach Köln schon am Donnerstag erneut auf sich nehmen.
Sie gaben sich einen innigen Kuss, dann stand Lars auf. »Ich schick dir später eine SMS, sobald ich Zeit dazu finde.«
»Du kannst auch anrufen.«
»Ich möchte nicht stören.« Lars zögerte, setzte sich dann wieder auf die Bettkante und drückte Welschers Hand. »Nimm dir Zeit, bring es in Ruhe hinter dich. Es wird nicht einfach werden.«
Welscher richtete sich auf und umarmte ihn. »Danke, dass du mich heute Nacht nicht allein gelassen hast.« Er ließ ihn wieder los und sah ihm tief in die Augen. »Und jetzt verschwinde, bevor ich losheule. Abschiede kann ich nicht ertragen.«
Lars drückte ihm noch einen Kuss auf die Lippen und verließ dann das Schlafzimmer. Kurz darauf hörte Welscher die Wohnungstür ins Schloss fallen. Er stellte den Wecker und kuschelte sich wieder unter seine Decke.
Drei Stunden konnte er noch schlafen.
Dann musste er aufstehen und sich für die Beerdigung zurechtmachen.
* * *
Nichts zu sehen!
Hermann Zingsheim konnte es nicht fassen.
Still lag der See vor ihm. Das Licht der aufgehenden Sonne glitzerte auf der Wasseroberfläche.
Sosehr ihn das Ausbleiben einer Katastrophe auch erleichterte, beruhigt war er dadurch nicht. Er zweifelte an seinem Verstand. Hatten seine Nerven ihm einen Streich gespielt?
Hastig sprang er auf, rannte die Stufen hinunter und eilte über die Mauerkrone. Suchend blickte er sich um, doch er konnte nirgends einen Schaden an der Staumauer erkennen. Hatte er sich die Explosion nur eingebildet? War er vielleicht übermüdet? Halluzinationen sollten in dem Fall nicht unüblich …
»Ach, hör auf, du Spinner«, schimpfte er mit sich selbst. Er blieb stehen, nahm einen weiteren Schluck aus dem Flachmann und wischte sich mit dem Ärmel seines Mantels über den Mund. Es war keine Einbildung gewesen. Kräuselte sich die Wasseroberfläche nicht immer noch an der Stelle, wo er das grelle Licht gesehen hatte?
Die Gestalt!
Die Person, die auf der Aussichtsplattform gestanden hatte. Sie hatte etwas Metallisches in der Hand gehalten. Einen Fotoapparat? Oder eine Filmkamera? Vielleicht gab es Beweismittel.
Zingsheim rannte los, über den Kaskadenhang, an den Schaubildern der Talsperre vorbei. Er musste die Gestalt erwischen. Selbst wenn sie nicht auf den Auslöser gedrückt hatte: Sie war ein Augenzeuge.
Hinter dem Gartenrestaurant unweit seines rostigen Renault 4, den er hier vor Stunden abgestellt hatte, stand eine füllige Frau und starrte auf den See hinaus.
Keuchend blieb Zingsheim neben ihr stehen und stemmte die Hände in die Seiten. »Haben Sie was gesehen?«
Sie lüpfte ihre Baseballkappe, auf der die blau-grünen Buchstabenkürzel des Wasserverbandes Eifel-Rur prangten. Argwöhnisch musterte sie ihn von oben bis unten. »Gesehen? Nein.«
»Oder gehört. Einen Knall?«
Skeptisch hob sie eine Augenbraue. »Haben Sie etwas damit zu schaffen?«
Erleichtert streckte sich Zingsheim. Sie hatte es also auch gehört. Er hatte noch alle Sinne beieinander. »Nein, nein, ich bin nur … äh … zur Recherche hier.«
»Recherche?« Eine Sorgenfalte grub sich tief in ihre Stirn. »Mitten in der Nacht?«
»Lange Geschichte, nicht so wichtig.«
»Waren Sie etwa schwimmen? Das ist …«
Zingsheim gebot ihr mit erhobener Hand Einhalt. »Nein, nicht doch. Ich bin … Vogelforscher«, log er und hob zur Bestätigung sein Fernglas.
»Ornithologe?« Die Falte auf ihrer Stirn vertiefte sich.
»Ja, ja. Aber kommen wir auf die Explosion zurück. Ich weiß nicht, was vorgefallen ist. Ich habe ein Licht gesehen, mitten auf dem See …«
»Ein Licht, aha«, unterbrach sie ihn und schürzte die Lippen.
»Ja, und ein UFO. Es sirrte und zog Kreise. Da oben stand jemand, der kann das sicher alles bezeugen.« Er zeigte zu der drei Meter über ihnen befindlichen Aussichtsplattform hinauf.
Sie beugte sich vor und schnupperte an ihm. »Aha, verstehe.« Sie wich zurück und wedelte mit der Hand vor ihrer Nase herum. »Fahne gehisst.«
»Ich habe nur … auf den Schreck, Sie verstehen? Aber das ist doch jetzt nicht wichtig.« Verzweifelt wies Zingsheim in Richtung See. »Ein UFO …«
»Ein UFO, genau. Und eine Gestalt, hm. Vermutlich grün. Also ich habe niemanden gesehen.« Sie machte auf dem Absatz kehrt und schritt zu dem Wohnhaus hinüber, in dem sich die Büroräume des Wasserverbandes befanden. Ein Fernseher plärrte lautstark aus einem der Fenster in die Morgendämmerung.
»He«, rief Zingsheim ihr hinterher, »warten Sie doch. Die Explosion, wir müssen die Polizei …«
»Das war nur ein Überschallknall. Ein übermütiger Jetpilot, mehr nicht«, rief sie, ohne sich umzudrehen. »Von mir aus auch ein zu schnelles UFO. Die ominöse Gestalt war aber bestimmt kein Außerirdischer, sondern ein Geist. Soll es in der Eifel ja vielerorts geben.« Sie gluckste amüsiert. Kurz darauf fiel die Haustür hinter ihr ins Schloss.
Zingsheim hielt sich die Hand vor den Mund, hauchte hinein und schnüffelte. »Puh«, urteilte er. Die Fahne war durch den Schnaps auf nüchternen Magen tatsächlich sehr intensiv.
Ohne weiter darüber nachzudenken, rannte er die Stufen zu der nördlichen Aussichtsplattform hinauf. Oben angekommen, drehte er sich im Kreis. Er war allein. Wo war die Gestalt hin? Von hier aus führte ein Wanderweg hangaufwärts bis zu dem großen Parkplatz Hirschley. Die Zufahrt zum Vorplatz der Talsperre endete nach gut einem Kilometer auf der alten Kreisstraße 7, kurz hinter dem Wasserstollen, der zum Kraftwerk Heimbach hinabführte. Auf der Rückseite des Hauses des Wasserverbandes ging es ebenfalls abwärts, zum Schiffsanleger. Irgendwo dort zweigte der Urftseewanderweg ab.
Mist, dachte Zingsheim. Die Wahrscheinlichkeit, der Gestalt auf dem richtigen Weg zu folgen und sie einzuholen, war angesichts der Möglichkeiten gering, reine Glücksache.
Einer alten Angewohnheit folgend, zupfte er nachdenklich an seinen Nasenhaaren. Warum war die Person einfach abgehauen? Hatte sie etwas mit dem Ganzen hier zu schaffen? Oder hatte sie dem schlicht keine Bedeutung beigemessen? Es gab solche oberflächlichen Typen, die selbst eine Invasion von Außerirdischen nicht bemerken würden.
Zingsheim stellte sich an das gemauerte Geländer, blickte auf den See hinaus und gönnte sich noch einen Schnaps.
Was nun?
Die Sache auf sich beruhen lassen, nach Hause fahren und eine Mütze Schlaf nachholen? So könnte er neuem Spott entgehen.
Das war zwar verlockend, aber gleichzeitig sträubte sich alles in ihm. Vor seinen Augen hatte sich ein rätselhaftes Phänomen abgespielt. Das konnte er nicht ignorieren. Seit Jahrzehnten jagte er ohne großen Erfolg verschiedenen Mysterien hinterher und war empfänglich für jede Verschwörungstheorie. Hier bot sich vielleicht die einmalige Chance, berühmt zu werden.
Nein, er musste etwas unternehmen.
Er setzte erneut seinen Flachmann an, stutzte jedoch und riss ihn sich von den Lippen. Das Metall schimmerte in seiner Hand. Wenn er weiter soff, würde ihm garantiert keiner mehr glauben. Daher holte er aus und warf das Gefäß in hohem Bogen in den See. Klatschend landete es auf der Wasseroberfläche, dümpelte einige Sekunden im seichten Wellengang und versank schließlich.
Er musste einen klaren Kopf behalten und die gehisste Alkoholfahne wieder einholen. Sollte er angetrunken bei dem Mann auftauchen, von dem er sich Hilfe versprach, würde der ihn hochkant rauswerfen.
Zingsheim drehte sich um und lief zurück zu seinem Wagen.
* * *
Hauptkommissar Horst Fischbach, der von allen außer seiner Frau Sigrid nur Hotte genannt wurde, saß mit einem Kaffeebecher in der Hand auf der Bank vor seiner Werkstatt. Geräuschvoll schlürfte er den Kaffee und streichelte seinem Hausschwein Schnüffel über die Borsten.
Zufrieden grunzte das Tier.
Fischbach liebte die frühen Morgenstunden, wenn die Sonne über die Hausdächer glitt und das Licht sich im Chrom seiner Harley spiegelte. Dazu die frische, kühle, noch unverbrauchte Luft. Alles wirkte viel lebendiger als am Nachmittag.
Schwalben flogen über seinen Kopf hinweg zum Nest im Dachfirst der Werkstatt. Die Katzen der Nachbarin streunten am Zaun entlang, jederzeit bereit, mit einem Sprung einer Maus den Garaus zu machen, und langsam erwachte Kommern zum Leben: Rollläden knarrten, Autos starteten, Schritte hallten in der Straße.
Fischbach holte tief Luft. Es roch nach verbranntem Holz. Sigrid hatte den alten Emaille-Ofen in der Küche angefeuert und bereitete das Frühstück vor.
Schnüffel hatte genug Streicheleinheiten genossen und trippelte mit hin- und herschwingendem Hängebauch ins Haus, um sich bei Sigrid den morgendlichen Apfel abzuholen.
Fischbachs Magen knurrte ebenfalls. Am liebsten wäre er aufgesprungen und hinter Schnüffel hergerannt. Doch bis halb sieben musste er seine Frau in Ruhe hantieren lassen, ansonsten wurde sie unleidlich. So, wie er die frühe Zeit allein auf der Bank beziehungsweise bei schlechtem Wetter das morgendliche Werkeln in seiner Werkstatt genoss, mochte es Sigrid, in Ruhe das Frühstück zuzubereiten.
Er schnupperte. Vielleicht gab es ja Rühreier, schön in ausgelassenem Speck gebraten. Sofort meldete sich sein schlechtes Gewissen. Das Poloshirt spannte so sehr über seinem feisten Bauch, dass der Nabel zu erkennen war. Missmutig zog er an den Hosenträgern und ließ sie zurückschnellen. Seit Monaten wollte er abnehmen, doch regelmäßig machte ihm Sigrid einen Strich durch die Rechnung. Sie liebte jede Rundung an ihm. »Gleich und Gleich gesellt sich gern«, wischte sie seine halbherzig vorgebrachten Weigerungen vom Tisch, wenn sie Deftiges wie »Bonne-Strüh« – ein Eintopf aus Sauerkraut und weißen Bohnen, serviert mit Schweinerippchen oder Mettwürsten – oder »Ribbelscheskooche« – Puffer aus sehr grob geriebenen rohen Kartoffeln, mit viel Öl schwimmend ausgebacken und anschließend mit Käse überbacken – servierte.
Der Geruch nach gebratenem Speck stieg ihm in die Nase.
»Mmm, also doch«, murmelte er. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen. Der Beginn seiner Diät würde sich um mindestens ein Frühstück verschieben. Er blickte auf die Uhr. Fünf Minuten musste er noch aushalten.
Ein stotterndes Knattern dröhnte durch die kleine Straße. Kurz darauf stoppte ein froschgrüner Renault 4 mit quietschenden Reifen genau vor seiner Einfahrt. Mit einigen Fehlzündungen erstarb der Motor.
Fischbach wusste auf den ersten Blick, wer ihn da am frühen Morgen heimsuchte. Dieser Wagen war einmalig in der Eifel. Seufzend stellte er seine Tasse auf die Bank und erhob sich.
Die ruhigen Minuten waren gerade zu Ende gegangen.
* * *
Fischbach wusste nicht, wer lauter schmatzte. Sein Hausschwein Schnüffel, das aufgeweichtes Brot verdrückte, oder sein alter Schulkamerad Hermann Zingsheim, der Sigrids Rühreier in sich reinschaufelte, als würde es kein Morgen geben.
Aber egal, Fischbach gönnte ihm die riesige Portion. Zingsheim wirkte abgemagert, seine Wangen eingefallen. Er war nur noch ein Schatten seiner selbst. Nichts war von der athletischen Gestalt geblieben, mit der er jedes Jahr den Fünftausend-Meter-Lauf in der Schule gewonnen hatte. Seine naturkrausen Haare ergrauten an den Wurzeln, und die Geheimratsecken konnte er selbst durch ausgeklügeltes Legen des Deckhaars nicht verstecken. Geplatzte Äderchen verunzierten die Wangen, und das Weiß seiner Augen hatte einen Gelbstich.
»Du solltest nicht trinken, wenn du Auto fährst«, rutschte es Fischbach heraus, dem Zingsheims Fahne direkt bei der Begrüßung aufgefallen war. Eigentlich hatte er es nicht ansprechen wollen, doch inzwischen überlagerte der Alkoholdunst den aromatischen Speckgeruch und verdarb Fischbach den Appetit. Sein Rührei lag unangetastet auf dem Teller. Nur eine Scheibe Brot mit gesalzener Butter hatte er runterbekommen.
Zingsheim verschluckte sich und hustete. »Das ist alles, was dir dazu einfällt?«, maulte er und rang mit pfeifendem Atem nach Luft. »Mensch, Hotte, hast du mir nicht zugehört?« Er legte das Besteck neben dem Teller ab und straffte sich. Aufgebracht wies er mit der Hand in Richtung Fenster. »Dort draußen ist etwas Unglaubliches passiert. Das Licht, dieses sirrende Geräusch und die Explosion, das sind doch Zeichen für ein großes Ding, aber ein ganz großes.« Er schlug mit der flachen Hand kräftig auf den Tisch. Dabei erwischte er das Ende der Gabel, die saltoschlagend durch die Luft flog und in einem von Sigrids Blumengestecken landete. Unbeirrt ereiferte sich Zingsheim weiter. »Ich weiß schon, was du denkst: Ich war besoffen und habe kleine grüne Männchen gesehen, stimmt’s? Höre ich nicht zum ersten Mal.«
»Das habe ich doch gar nicht gesagt.« Fischbach zuckte mit den Schultern und schob den Teller von sich weg. Doch sein Ruf eilte Zingsheim tatsächlich voraus. Jeder kannte die verrückten Ideen des Eifel-Däniken. »Sei bitte nicht so theatralisch, Hermann. Das ist sicher nur wieder so eine Sache wie mit deinem Yeti oben im Venn.«
»Und? Lag ich so weit daneben?«
»Es war ein Wanderer.«
»Aber ganz schön behaart.«
»Ein Bart macht einen noch lange nicht zum Yeti.«
»Das war kein Bart, sondern ein Pelz.«
Fischbach holte tief Luft, um zu einer strengen Entgegnung anzusetzen. Im letzten Augenblick bemerkte er die Grübchen in Zingsheims Mundwinkeln und musste ebenfalls grinsen.
»Willst du noch was?«, fragte Sigrid und entspannte die Situation dadurch endgültig. Sie nestelte die Gabel aus dem Gesteck auf dem Regal hinter Zingsheim und legte sie wieder neben seinen Teller.
»Wenn ich dir nicht zu viel Mühe damit mache.«
Sie lächelte gütig und holte zwei Eier aus dem Kühlschrank. »Kannst du denn überhaupt etwas veranlassen?«, fragte sie Fischbach beiläufig.
Der lehnte sich zurück und hakte die Daumen unter seine Hosenträger. »Schwierig. Es liegt ja keine Straftat vor.«
Enttäuscht sackte Zingsheim in sich zusammen. »Und ich habe gedacht, du würdest mir helfen. Aber du bist wie die anderen. Bei dir im Garten könnte ein Raumschiff landen, und du würdest von einer Wolke reden, die sich vor die Sonne geschoben hat.«
»Sei nicht ungerecht«, forderte Sigrid. »Ich bin sicher, mein Schnäuzelchen hat schon eine Idee.« Sie verrührte die Eier in der Pfanne und gab geschnittenen Lauch dazu. »Speck habe ich leider nicht mehr.«
»Schnäuzelchen?« Zingsheim grinste frech.
Fischbach spürte, wie er rot wurde. Dass Sigrid aber auch immer diese absonderlichen Kosenamen für ihn erfinden musste. Er trug doch überhaupt keinen Schnauzbart. »Äh … nicht so wichtig.«
Sigrid nahm die Pfanne vom Ofen und schob Zingsheim das Rührei auf den Teller. »Hab’s etwas flüssiger gelassen. Probier mal.« Sofort fiel er darüber her.
»Wahnsinn, echt lecker«, nuschelte er mit vollem Mund und wandte sich dann wieder an Fischbach. »Es ist passiert, so wahr ich hier sitze. Ich hatte nicht viel Schabau dabei, nicht mal einen Viertelliter. Übrigens habe ich den Flachmann vorhin in den See geschleudert, weil ich schon geahnt habe, was du dazu sagst. Mag ja sein, dass es zum Autofahren zu viel ist. Aber Sinnestäuschungen bekommt man von der Menge garantiert nicht.«
»Könnte eine Luftspiegelung gewesen sein«, meinte Fischbach.
»Ach was, doch nicht so früh am Morgen.«
»Gerade dann. Die aufgehende Sonne …«
»… war es garantiert nicht. Vergiss es. Das Wasser hat gesprudelt, schon vergessen?«
»Die Frau vom Wasserverband sagte was von Überschallknall.«
»Und der leuchtet auf dem See?« Mit der Gabel tippte sich Zingsheim gegen die Stirn. Ein Stück gestocktes Ei blieb an der Haut kleben.
Grüblerisch kratzte sich Fischbach das Kinn. Sah man mal von dem Eifel-Yeti ab, hatte Zingsheim ihn in all den Jahren mit seinen abstrusen Mysterien in Ruhe gelassen. Warum sollte er sein Verhalten von gleich auf jetzt ändern, wäre er nicht davon überzeugt, diesmal auf etwas wirklich Wichtiges gestoßen zu sein? Verstohlen musterte er seinen alten Schulkameraden. Einen vertrauenerweckenden Eindruck machte dieser in der zerschlissenen Kleidung nicht. Aber deswegen seine sämtlichen Sinneseindrücke als Phantasterei abzutun, wäre ungerecht. Trotzdem verspürte Fischbach nicht den Wunsch, seine eigene Glaubwürdigkeit durch vorschnelles Handeln zu verlieren. Nichts konnte er weniger gebrauchen, als mit einer Spinnerei des Eifel-Däniken in Verbindung gebracht zu werden. Diese Häme wollte er nicht auf sich ziehen. Allerdings konnte er auch seine Neugierde nicht verhehlen. Es reizte ihn, der Sache – beziehungsweise dem Urftstausee – auf den Grund zu gehen. »Hast du noch irgendwo die Nummer von Theo?«, fragte er Sigrid.
»Von Taucher-Theo?«
Fischbach bemerkte, wie Zingsheims Augen aufleuchteten. »Genau. Der könnte doch mal nach dem Rechten schauen, was meinst du?«
»Wunderbare Idee.« Sie stellte die Pfanne in die Spüle und verließ die Küche. Kurz darauf hörte Fischbach sie im Wohnzimmer kramen.
»Darf der denn da einfach so tauchen?«, fragte Zingsheim und löffelte sich die letzten Reste seines Rühreis in den Mund. Rund um seine Lippen glänzte die Haut fettig.
»Einfach so? Bestimmt nicht«, erwiderte Fischbach. »Die Verantwortlichen beim Wasserverband würden ihn vermutlich harpunieren, wenn sie davon wüssten. Aber mach dir keine Sorgen, Theo erwischt keiner. Und wenn doch, findet er eine Lösung. Theo war früher mal aktiver Kampftaucher, dann Ausbilder. Mit dreißig ist er in den Polizeidienst gewechselt. Jetzt ist er Pensionär und langweilt sich zu Tode. Der ist fit, nicht auf den Mund gefallen und weiß sich unauffällig zu bewegen.«
»Ich hab die Telefonnummer«, rief Sigrid.
Fischbach drückte sich beim Aufstehen vom Tisch ab. »Dann werde ich wohl mal einen alten Kollegen anrufen.«
»Und ich? Was kann ich tun?«, wollte Zingsheim voller Tatendrang wissen. Einige Sekunden lang grübelte Fischbach.
»Ich muss heute arbeiten und außerdem zu einer Beerdigung«, murmelte er. »Da kommt man nicht zu den wichtigen Dingen im Leben. Du könntest mir daher einen kleinen Gefallen tun.«
Zingsheim griff nach der Serviette und putzte sich den Mund ab. »Bin bereit. Wann immer mir ein Freund behilflich ist, hat er was gut bei mir.«
»Nur dann?«
»Du weißt, wie ich das meine.«
Fischbach bedeutete Zingsheim, ihm zu folgen.
Sie gingen über den kleinen Hof. Schnüffel lag in der Sonne und genoss die morgendliche Wärme. In der Werkstatt schaltete Fischbach das Licht an, die Neonröhren summten leise.
»Was ist das?«, fragte Zingsheim und deutete auf das, was in der Mitte der Werkstatt stand.
Lächelnd griff Fischbach nach der Dose mit der Polierpaste und drückte sie Zingsheim in die Hand. »Deine Beschäftigung für die nächsten Stunden. Und gib dir Mühe, ja? Übrigens: Du hast noch Ei an der Stirn kleben.« Er wandte sich um und ließ seinen verdutzten Schulkameraden allein.
Ein Ort für die Toten
»Du bist so still.« Bianca Willms hakte sich bei Welscher ein.
Der schreckte auf. Tatsächlich hatte er seit ihrem Weggang von der Grabstelle stumm auf den mit alten Bucheckernhülsen übersäten Weg gestarrt.
Fischbachs Lederstiefel knirschten neben ihnen im Kies. Die Jacke hing an seinem Zeigefinger über der Schulter, das weiße Hemd klebte schweißnass an seinem Rücken. Der leicht ansteigende Rückweg machte ihm offenbar zu schaffen. Mit der freien Hand lockerte er den Schlipsknoten und warf dem blauen Himmel einen finsteren Blick zu. »Ist aber auch heiß heute. Ich hätte doch unten vor der Schranke parken sollen.«
Sie hatten sich darauf verständigt, den Parkplatz oberhalb des Ruheforstes zu nutzen, weil der wummernde Motor von Fischbachs Harley und der löchrige Auspuffkrümmer von Welschers Fiesta die respektvolle Ruhe, die auf einem Friedhof angesagt war, ansonsten ad absurdum geführt hätten.
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