Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen - Peter Bichsel - E-Book

Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen E-Book

Peter Bichsel

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Beschreibung

Das große kleine Buch seines Lebens - zum 90. Geburtstags des gerade verstorbenen Autors präsentiert die Neuausgabe den Klassiker erstmals unter Berücksichtigung des verfügbaren Archivmaterials: Neben die originalen Texte treten überraschende Varianten, auch gänzlich unbekannte Geschichten. Gute Gelegenheit, einen Klassiker deutschsprachiger Kurzprosa des 20. Jahrhunderts neu zu entdecken.

Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen (1964) hat Peter Bichsel zu dem Autor gemacht, der er ist. Die 21 Geschichten seines Erstlings beeindruckten durch ihre Beschränkung: »Der Milchmann schrieb auf einen Zettel: ›Heute keine Butter mehr, leider.‹« »Am Morgen lag Schnee.« Alltägliche Dinge in alltäglicher Sprache. Auch nach 60 Jahren verdankt sich der anhaltende Reiz von Bichsels Miniaturen der Abgründigkeit ihres Realismus. Möglichkeiten sind es, die der geschilderten Wirklichkeit ihr Gewicht verleihen: »Am Morgen lag Schnee. Man hätte sich freuen können.« Mit so einem Nachsatz wird alles anders – und erzählwürdig.

Erweiterte Neuausgabe mit 8 Varianten und 13 weiteren Geschichten

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Seitenzahl: 94

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Cover

Titel

Peter Bichsel

Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen

Geschichten

Erweiterte Neuausgabe

Herausgegeben und mit einem Nachwort von Andreas Mauz und Beat Mazenauer

Suhrkamp

Impressum

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Erstveröffentlichung des Originalbands 1964 im Walter-Verlag Olten; 1993 als Band 1125 der Bibliothek Suhrkamp

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2025

Der vorliegende Text folgt der ersten Auflage der erweiterten Neuausgabe 2025

© Suhrkamp Verlag AG, Berlin, 2025

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Umschlaggestaltung: Willy Fleckhaus

eISBN 978-3-518-78194-4

www.suhrkamp.de

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Informationen zum Buch

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

21 Geschichten

Stockwerke

Die Männer

Blumen

Pfingstrosen

November

Die Löwen

Musikdosen

Holzwolle

Sein Abend

Der Milchmann

Herr Gigon

Die Beamten

Vom Meer

Das Messer

San Salvador

Das Kartenspiel

Der Tierfreund

Die Tante

Die Tochter

Roman

Erklärung

Varianten

Gestern [Blumen]

Schnee wird es keinen geben [November]

Musikdosen [

I

]

Musikdosen [

II

]

Holzwolle

Ein Abend [Sein Abend]

Die Beamten

Weitere Geschichten

Die Geschichte

Die Verwandtschaft

Sintflut

Der Dekorateur

Der Tag

In seinem Gedächtnis

Beim Mittagessen

Seridan muss es geben

Die Mädchen sind blöd

Der Linksaußen

Zu schreiben wäre noch

Der Lehrling

Ein Sommer

Jetzt sollte man wirklich Geige spielen können

Die Aufmerksamkeit des Materialprüfers

I

.

II

.

III

.

Editorische Nachbemerkungen

Fußnoten

Informationen zum Buch

21 Geschichten

Stockwerke

Behelfsmäßig kann man sich ein Haus vorstellen, ein Haus mit vier Stockwerken, mit einer Treppe, die sie verbindet und trennt, mit einem Ziegeldach; ein Haus an einer Straße, auf teurem Boden hineingezwängt zwischen andere, die Fenster gegen die Straße gerichtet, den Eingang im Hinterhof.

Im Parterre würde niemand wohnen. Man hat noch nie jemanden gesehen im Parterre. Im Parterre ist dieselbe braune Tür, gesprungener Lack, Milchglasscheiben, blaugestreifte Vorhänge. Im Parterre wohnt vielleicht niemand.

Erster Stock: Braune Tür, gesprungener Lack, Milchglasscheibe. Hier wohnt jemand.

Zweiter Stock: Hier wohnt auch jemand. Und im dritten Stock wohnt jemand.

Wenn jemand auszieht, zieht jemand ein. Am ersten Tag riecht man es, riecht man die Vorliebe für Knoblauch oder den Ölgeruch des Mechanikers oder das Sägemehl des Schreiners, später vielleicht noch den Windelgeruch der Kleinen, aber dann, am dritten Tag schon, gehört der Geruch dem Haus, ist es wieder das Haus mit den vier Stockwerken.

Im zweiten Stock wohnt wieder jemand.

Die Türschildchen werden gewechselt.

Ein Telefonmonteur öffnet das Kästchen unten im Gang, ändert den Anschluß und flucht und ändert ihn noch einmal und geht.

Vielleicht wohnt im Parterre doch jemand.

Im Frühling, am 4. April zum Beispiel, wirft die Sonne eine Zeichnung auf die Treppe zwischen dem zweiten und dritten Stockwerk, es ist dieselbe wie letztes Jahr.

Das Mädchen vom dritten Stock klopft im zweiten Stock und bittet die Frau höflich und schüchtern, ob es den Ball haben dürfe, der ihm vom dritten Stock auf den Balkon des zweiten Stocks gefallen sei.

Der Dachboden ist mit Latten unterteilt, jedes Stockwerk hat ein Abteil, jedes Abteil ist mit einem Vorhängeschloß gesichert, sicher werden hier auch alte Matratzen aufbewahrt, Fotoalben und Tagebücher, Spiegel.

Jemand kehrt den Dachboden alle zwei Wochen.

Hausierer pflegen zuerst im obersten Stock zu läuten. Nachdem sie gefragt haben, ob weiter oben noch jemand wohne, gehen sie hinunter, läuten im zweiten Stock, dann im ersten, dann im Parterre. Die Hoffnung macht das Treppensteigen leichter und enttäuscht kann man nur hinuntergehen. Hausierer haben mit Häusern zu tun.

Förster haben mit dem Wald zu tun. Frauen haben mit dem Warten zu tun.

Häuser sind Häuser.

Die Männer

Sie saß da. Wenn man sie gefragt hätte, seit wann, hätte sie geantwortet: »Immer, ich sitze immer da.«

Sie wartete hier, bald auf eine Freundin, auf eine Kollegin, auf den Zug, auf den Abend.

Der Kellner lächelte vertraulich, wenn er den Kaffee brachte. Sie besaß ein rotes Portemonnaie, und es gehörte ihr so sehr, wie nur jungen Frauen ein Portemonnaie gehören kann. Es kam auch vor, daß ihr jemand den Kaffee bezahlte, aber dann kam die Freundin oder der Zug und sie bedankte sich.

Heute hatte man ihr im Büro gesagt, sie sei nett, der Chef hatte es gesagt, sie spielte mit dem Portemonnaie.

Schöne Frauen sollten nicht warten müssen, dachte man. Sie ist jung, dachte man auch. Ein bißchen verdorben, wünschte man.

Sie macht Lungenzüge, sah man. Eine Freundin hatte es sie gelehrt, wußte man.

Um halb sieben fährt der Zug. Sie sahen ihr zu, wie sie den engen Mantel aufknöpfte, auszog, sich ausschälte. Später wieder anzog, sich in ihn schmiegte, über die Hüften strich.

Sie hat einen großen Mund.

Sie hat schöne Haare.

Sie ist klein und zierlich.

Man kannte ihre Stimme: »Einen Kaffee bitte – danke schön – auf Wiedersehen.« Eine weiche Stimme.

Rehaugen.

Man hätte sie fragen können. Der Kellner fragte: »Was wünschen Sie?«

Sie ist ein kleines Mädchen, ein kleines Ding, ein Püppchen, ein Schmetterling, dachte man auch.

Man hätte sie ja fragen können.

Sie hat eine zarte Hand.

Sie wartet hier, bald auf eine Freundin, auf eine Kollegin, auf den Zug, auf den Abend.

Sie ist ein Mädchen.

Wenn man sie fragt, ist sie schon eine Frau.

Blumen

Dann stellte er sie sich in einem Blumenladen vor, mit grüner Schürze und Nelkenlächeln.

Er würde eintreten und fragen, ob es hier Blumen zu kaufen gebe, und sie würde erschrecken und lächeln und sagen: »Fast nur Blumen«, und er würde auch lächeln.

»Ja, ich sehe«, würde er sagen. Dann würde er fragen:

»Duften sie?«

Sie gibt keine Antwort. Sie nimmt eine gelbe Blume aus der nächsten Vase in die Hand und dreht sie zwischen Zeigefinger und Daumen.

»Was wünschen Sie?« will sie fragen, läßt es aber sein.

»Hat er gefragt, ›duften sie‹«, fragt sie sich.

»Mir wird es peinlich«, denkt sie. In Gedanken versucht sie ihm zuzuflüstern, was er zu sagen hätte:

»Sie haben viele Blumen hier.«

»Lieben Sie die roten Blumen.«

»Astern gefallen mir gut.«

»Wie heißen die Blumen.« Aber sie hat es vergessen.

»Viele Blumen haben Sie hier.« – »Ich liebe Blumen«, würde sie sagen. »Astern gefallen mir«, könnte er sagen.

»Vor allem die roten«, würde sie antworten.

Und sie weiß, daß sie duften, aber Blumen duften ganz anders, das weiß sie auch.

»Blumen duften ganz anders«, sagt sie.

Und er würde nichts sagen.

Und später würde sie fragen: »Was tun Sie hier?«, und er würde antworten: »Ich verkaufe Blumen.«

»Warum duften sie nicht?« sagt sie.

»Es sind Papierblumen.«

»Oh, sie sind schön«, flüstert sie.

»Aber sie duften nicht«, sagt er.

»Kann man den Duft nicht herstellen?« bemitleidet sie ihn.

Oder er würde sagen: »Ich stelle Papierblumen her.«

»Oh, das ist sicher schwer«, sagt sie darauf, »ich möchte das auch können, aber ich liebe Papierblumen nicht.«

»Warum stelle ich Papierblumen her?« würde er im Weggehen denken.

Pfingstrosen

In den Briefkasten einer alten Frau hat jemand einen Strauß Blumen gesteckt, Blumen aus einem gut gedüngten Garten, fette Pfingstrosen. Eine alte Frau hat einer alten Frau Blumen gebracht, eingewickelt in den Inseratenteil einer Zeitung, fett wie Blumenkohl und brauchbar.

Sie hat sie mühsam in die Stadt getragen, in schwarzem Mantel, Hut mit Schleier, Wollstrümpfen. »Adele wird sich freuen, Adele hat Blumen gern«, hat sie gesagt, und »Wir haben so viele in unserem Garten, wir wissen nicht, wohin damit«, und »Adele wohnt fünf Treppen hoch, ich stecke die Blumen in den Briefkasten, Adele wird sie sicher finden, Adele wird sich freuen«.

Adele war immer allein und hatte Läuse, als sie zur Schule ging, Adele ist zweiundsiebzig. Adele scherzt mit dem Milchmann und zählt das Herausgeld nach, die Milch wird teurer.

Adele bekam nie Rosen geschenkt. Rosen kosten viel und verwelken schnell. Sie hat Erfahrungen mit Geranien, sie zerkleinert Eierschalen und bewahrt sie lange in Wasser auf, in Regenwasser. Kleine Bäumchen sind die Geranien geworden, man muß von ihnen sprechen, wenn man zu Adele kommt. Sie erzählt allen, wie man sie pflegt, und sie sagt, daß ihre Mutter die schönsten im Dorfe hatte.

Adele wird sich freuen. Sie machen sich gut, die Pfingstrosen, auf dem weißen Tischtuch mit Spitzenbesatz. Prächtig sind sie geraten dieses Jahr, fleischig wie Krautstengel. Adele wird eine Zeitung unter die Vase legen, die Zeitung mit den Todesanzeigen. Adele ist eine alte Frau.

Die Nachbarin ist letzte Woche gestorben, sie war dreiundsiebzig, Jahrgang neunundachtzig, 1889. Alterskrebs, das weiß Adele. Sie fragte den Arzt.

Adele hat auch einen Franken gegeben, an den Kranz für die Nachbarin. »Die gute Seele«, hat sie gesagt, »sie hätte für mich auch einen Franken gegeben.«

Zu Adeles Beerdigung wird der Neffe aus Aarau kommen. Ihr Neffe ist Bankbeamter in Aarau.

Und Adele ist zweiundsiebzig, Jahrgang 1890. 1900 war sie in der vierten Klasse, bei Lehrer Widmer, er hatte den Roten gern. Adele war gut im mündlich Rechnen. Von den Klassenkameraden sind viele gestorben, kürzlich die Veronika. Die andern sieht man selten. Eine kommt hie und da in die Stadt und bringt Bohnen oder einen Blumenkohl.

November

Er fürchtete sich und wenn er zu jemandem sagte: »Es ist kälter geworden«, erwartete er Trost.

»Ja, November«, sagte der andere.

»Bald ist Weihnachten«, sagte er.

Er hatte Heizöl eingekauft, er besaß einen Wintermantel, er war versorgt für den Winter, aber er fürchtete sich. Im Winter ist man verloren. Im Winter ist alles Schreckliche möglich, Krieg zum Beispiel. Im Winter kann die Stelle gekündigt werden, im Winter erkältet man sich. Man kann sich schützen gegen die Kälte, Halstuch, Mantelkragen, Handschuhe. Aber es könnte noch kälter werden.

Es nützt nichts, jetzt »Frühling« zu sagen. Die Schaufenster sind beleuchtet, sie täuschen Wärme vor. Aber die Kirchenglocken klirren. In den Wirtschaften ist es heiß, zu Hause öffnen die Kinder die Fenster und lassen die Wohnungstür offen, im Geschäft vergißt man seinen Hut.

Man bemerkt nicht, wie die Bäume Blätter fallen lassen. Plötzlich haben sie keine mehr. Im April haben sie wieder Blätter, im März vielleicht schon. Man wird sehen, wie sie Blätter bekommen.

Bevor er das Haus verläßt, zählt er sein Geld nach.

Schnee wird es keinen geben, Schnee gibt es nicht mehr.

Frierende Frauen sind schön, Frauen sind schön.

»Man muß sich an die Kälte gewöhnen«, sagte er, »man muß tiefer atmen und schneller gehen.« – »Was soll ich den Kindern zu Weihnachten kaufen?« fragte er.

»Man wird sich an die Kälte gewöhnen«, sagte er zum andern. »Ja, es ist kälter geworden, November«, sagte der andere.

Die Löwen